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Vor Aktschluß trat mal wieder, um einen effektvollen Abgang zu erzielen, der französische Gesandte Talleyrand auf, der nicht umsonst einen so höllisch berühmten Diplomatennamen der guten alten Zeit führen wollte. »Wir sind etwas erstaunt, daß Sie Ihrerseits die Dänensachen noch immer nicht vor unseren Pariser Kongreß brachten. Sie gaben doch, irren wir nicht, unserem General Fleury ziemlich bindende Versicherungen.«
»Kein unbedingtes Versprechen, erlaube ich mir festzustellen. Über Pourparler kam die Angelegenheit nicht weg. Man sollte mich nicht drängen, denn noch scheint mir dies Geschwür für diplomatische Kaltwasserbehandlung nicht reif.«
»Ein hübsches, obschon nicht appetitliches Gleichnis! Lord Clarendon hat es anders ausgedrückt, Sie wissen doch? Nicht von der polnischen Fackel, sondern dem Holsteiner Streichholz drohe die europäische Brandstiftung.«
»Ein schlechter Prophet! Maßlose Übertreibung! So schlimm kann und wird es nicht werden. England überhaupt hat gut reden. Es findet sich leicht in Abkühlung gegen Frankreich, das Meer liegt dazwischen, wir aber sind Nachbarsleute, uns trennt nur der Rhein, und mich leitet immer der Wunsch, Frankreich gefällig zu sein. Deshalb unterstützte ich und empfahl den Kongreß. Sie werden jedoch sehen, daß England nicht will, d. h. sich nicht die Hände binden will. Ach, da sind noch andere Schmerzen!« seufzte er. »Sie überbringen mir wohl irgendeine Frage Ihrer Regierung, der ich die Ehre Ihres Besuches verdanke?«
»Ja, Herr Drouyn de l'Huys fragt an, wer denn nun eigentlich als Bundesorgan gelten solle, der österreichische, preußische oder Bundestagsvertreter? Darin erkennen wir eine Hauptsorge, die uns am Kongreß beschweren würde.«
»Wie richtig erkennen Sie die deutschen Angelegenheiten! Für den Bund wird der Bayer, v. d. Pforten, das große Wort führen wollen. Kostenpunkt 200 000 deutsche Bajonette. Aber Österreich und Preußen haben zusammen 600 000. Es wäre also spaßhaft, wenn wir uns vom Gewicht der Kleinstaaten erdrücken ließen.«
»Das sehe ich ein. Doch die Bevölkerung in Preußen und Deutschösterreich besteht doch auch aus lauter Anhängern des Herzogs Augustenburg.«
»Das sind so Redensarten. 90 Prozent des Volkes kümmert sich um nichts dergleichen. Agitatorenschwindel und Pressemache. Dieser würdige Prätendent und Thronkandidat geht wie eine Fahne von Hand zu Hand, bei den Demokraten und den Partikularisten. Die Kleinstaaten stochern natürlich emsig an diesem Feuerbrande, der ihnen ein traulich warmer Herd für ihre Majoritätsbeschlüsse werden soll. Bei Gott, ich werde ihnen viel Eimer Wasser darüber gießen oder selbst ein anderes Feuerchen anzünden. Solange ich auf diesem Posten stehe, werden die Beust und Pforten uns ihre Stimmenmehrheit nicht aufdrängen. Dem Buchstaben der Bundesakte stelle ich den Geist entgegen. Der Buchstabe tötet und die Lächerlichkeit tötet, und hier beides zusammen.«
Er hat wieder mal seinen eruptiven Anfall! dachte Talleyrand. Und was schaut bei solcher Offenheit heraus? Man bleibt so klug wie zuvor. »Vergessen Sie nicht, daß der König sich noch zu nichts entschloß und daß er lange zu zögern pflegt.«
»Und daß Frau, Sohn, Schwiegertochter und andere Verwandte ihn umdrängen und bedrängen, nicht wahr, das wollten Sie sagen? Nun, mein Entschluß ist gefaßt, nämlich meine Pflicht zu tun, meinem Vaterlande jede Chance zu wahren, aus der man größtmöglichen Nutzen ziehen kann. Wird bis Neujahr die freche Dänenverfassung in Schleswig nicht abgeschafft, so erklären wir das Londoner Protokoll als hinfällig und rücken ein. Ich bin für sofortigen Einmarsch.« – –
Am Karlsbad in einer Gartenwirtschaft, wo man im Sommer saure Milch und jetzt Berliner Pfannkuchen nebst Punsch zu sich nahm, tauschten die Historiker Droysen und Sybel tiefe Ideen aus. Ersterer empfahl sich der Fortschrittspartei durch Biographie des alten Eisenfressers York, eines Erzfeudalen, der sein Leben lang Blücher, Gneisenau, Scharnhorst, Stein von Herzen haßte und den ein boshafter geschichtlicher Zufall zu einem angeblichen Befreiungshelden erhob. Weil er angeblich aus freien Stücken heroische Insubordination bei Tauroggen verübte und sein König aus bestimmten Gründen seine eigene bestimmende Urheberschaft bei dieser Tat verschleierte, welche in Wahrheit sein Mittelsmann Schön, der wahre Arminius Ostpreußens, durch einen Graf Lehndorff herbeiführte, mußte York als demokratischer Heiliger herhalten. Er hätte nicht wenig vor Wut geschäumt, wenn er das erlebt hätte. Droysen unterschlug absichtlich die diskreten, aber hinlänglich deutlichen Mitteilungen des herrlichen Präsidenten Schön, der auch in seinen Memoiren York als richtigen Streber schildert, und seine Tendenzschrift gilt bis heute als klassisch. So wird Geschichte gemacht und so geschrieben. Beide Archivforscher, die den Geist der Geschichte nach der Herren eigenem Geist auslegten, kamen zu dem Forschungsergebnis: »Dieser Bismarck ist ein politischer Abenteurer. Er hat weder ein hohes Ziel noch den Mut zum Handeln.« In der Ferne läuteten die Silvesterglocken. –
Im Abgeordnetenhause am Dönhofsplatze gab es wieder lautes Getöse. Schulze-Delitzsch stellte einen Antrag über das beliebte Thema: »Diesem Ministerium keinen Groschen«, der große Rudolf Virchow vernichtete den Dilettanten Bismarck mit wuchtigem Keulenhiebe voraussetzungsloser Wissenschaft, Professor Gneist steckte juristische Leuchten auf und warnte den König mit dem Satze, vor dem angeblich der Korse zurückbebte: »Eure Majestät wollen das Gesetz füsilieren.« Nur der Obertribunalsrat Waldeck vertrat die Ansicht, man solle sich um die Erbfolge in Schleswig-Holstein vorerst nicht kümmern. Einig waren so gut wie alle in dem erhebenden Stolze, daß 12 000 000 Taler Kriegskredit ein weggeworfenes Geld seien und, wenn nicht, jedenfalls nicht bewilligt werden dürften. Denn die Regierung ärgern, dieser hehre Vorsatz ging allen vor. Allerdings möchten wir sofort die Dänen strafen und vertreiben, aber diesen Bismarck strafen, hätte entschieden höhere vaterländische Bedeutung. »Seine verderbenschwangere Politik wird dazu führen, die Stammesbrüder wieder an Dänemark auszuliefern, wir werden daher alle uns zu Gebote stehenden Mittel anwenden, seine böse Absicht zu durchkreuzen,« predigte Schulze-Delitzsch einem Kreise bewundernder Zuhörer, hatte jener Unverschämte doch zynisch erklärt: »Lassen Sie mich Ihnen sagen, meine Herren, daß wir, wenn nötig, Krieg führen werden auch ohne Ihre Billigung.«
Daneben mußte er noch Goltz, der von Paris aus seine Weisheit umherschüttete, den Kopf waschen, daß der König nicht zwei Minister des Auswärtigen haben könne. Ging doch schon das Gericht bei den Liberalen, Goltz werde ihn ersetzen, während der alte Arnim-Boitzenburg das Präsidium übernehmen werde. Goltz' Geschreibsel war ohne Sinn und Verstand. Er sprach von Unrechtmäßigkeit des Londoner Traktates. Als ob der Wiener Kongreß nicht noch ungenierter mit Fürsten und Völkern umgesprungen wäre! Moral, Gerechtigkeit! Dann müßten alle europäischen Rechtsverbindlichkeiten, wie sie bestehen, abgeschafft werden. Goltz versicherte hochtrabend, die Bierbankbegeisterung der Deutschen imponiere in Paris und London. Otto gestand ihm ehrlich, das freue ihn, es passe in seinen Kram. »Ich bin in keiner Weise kriegsscheu, bin auch gleichgültig gegen Revolutionär und Konservativ wie gegen alle Phrasen.« Vielleicht würden noch Phrasen folgen, die zeigen, daß Krieg auch in seinem Programm liege. Wenn Goltz jetzt noch nicht versteht! Aber nein, er wird nörgeln und nichts verstehen. Die Hauptsache ist diesen Schwätzern, daß wir mit den kleinstaatlichen Kannegießern an einem Strange ziehen und den angestammten Augustenburger für ein nationaldemokratisches Palladium halten, ohne daß sie uns einen Schuß und einen Groschen zu liefern brauchen. Einem anmaßenden Gesellen, der einem die Freundschaft »aus Patriotismus« aufkündigt und den Krieg erklärt, muß man noch schreiben: »Ich halte mich auch nicht für dumm, bin aber darauf gefaßt, daß Sie dies als Selbsttäuschung bezeichnen.« Und man muß ihm aus seine Drohung den Hieb zurückgeben: »Mein Patriotismus ist von so starker und reiner Natur, daß neben ihm auch eine herzliche Freundschaft zu kurz kommen kann.« Welche Demütigung, jedem Stümper Rede stehen zu müssen und keinen Vertrauten zu haben, keinen! Na, wenigstens setzte er mit Gewalt durch, daß das Protokoll der Staatsratssitzung seinen angeblichen Lapsus linguae bezüglich Aneignung Schleswigs-Holsteins nicht unterschlug, sondern Costenoble dies nachträglich einschalten mußte.
»Siehste, Nauke, da hast de de Pauke!« lächelte der König, der in seiner wohlwollenden Herzlichkeit manchmal Berliner Dialekt bevorzugte. »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wenn er's so will, so mag er's haben. Ein ausgezeichneter Mann, aber manchmal sonderbar.« So stand jetzt der sofortige Plan des bösen Bismarck, die teueren Stammesbrüder meerumschlungen an Borussias Busen zu ziehen, für alle Zeit dort verewigt als Wahrzeichen seiner vorschnellen Phantasterei!
*
Der edle Menschenfreund an der Seine trompetete inzwischen einer Adresse des Pariser Senats die »ganze Kraft seiner Wünsche« zu. Er ersehne die Stunde, wo ein Schiedsspruch Europas den großen schwebenden Fragen friedliche Antwort finden werde. Schrieb nicht so schon »der Gründer meines Hauses« (!) auf Sankt Helena? »Solange sich Europäer untereinander schlagen, wird es immer ein Bürgerkrieg sein.« Was einst Utopie, kann jetzt Wirklichkeit werden. Vorurteile der Vergangenheit auszuroden, heiße wahre Ehre erwerben.
Plaudite, amici! Das goldene Zeitalter des ewigen Friedens bricht an, die Vereinigten Staaten von Europa werden sich konstituieren, sobald nur erst dieser Louis der holden Marianne, dieser gekrönte Zuhälter des demokratischen Frankreich, als Schiedsrichter beider Hemisphären thront. Um einen Vorgeschmack dieser erquickenden Zukunft zu geben, ging die blutige Posse in Mexiko weiter.
Der französische Botschafter in Berlin fühlte sich seines Namens würdig, ganz Erbe des seligen Hinkefuß Talleyrand. Mon dieu, dieser Bismarck war ein recht einfaches Wesen. Er liebt die Bewegung und macht sich Motion, überdrüssig des Stillesitzens. Wohin er läuft, weiß er selber nicht. Ohne erkennbares Ziel marschiert sein abenteuerliches Trachten ins Dunkel. Mit Hochgenuß beschrieb er die Lage, seine Depesche vom 6. Januar beruhigte Drouyn de l'Huys und seinen Meister darüber, daß von Preußen nichts zu fürchten sei. Der König werde ewig zögern, eine Gewaltpolitik bis ans Ende mitzumachen. Am Hofe balgen sich die verschiedensten Parteien und Personen, lauter betriebsame Leute. Man müsse hier stets auf schnellen Szenenwechsel gefaßt sein. Nach Neujahr waren die Minister der Bundesstaaten noch eingeschüchtert durch Bismarcks drohende Haltung, heute heben sie wieder mutig ihr gebeugtes Haupt. Unser Kaiser Napoleon, das wird von Tag zu Tag gewisser, bleibt Lenker des Schicksals von Europa, höchster Gebieter über Krieg und Frieden. Man lasse sich nichts vorreden, Bismarck wagt einfach nichts. –
So gelang die Täuschung aufs glücklichste. Zur Stunde, wo der neue Talleyrand orakelte, setzte der plumpe Deutsche schon das Ultimatum an Dänemark auf.
Seine Berechnung schlug nicht fehl, am 14. Januar lehnte der Bundestag den Antrag ab, Schleswig zu besetzen, worauf Preußen und Österreich erklärten, das sei nunmehr ihre Aufgabe, gleich am 16. Dänemark eine Wahl binnen 48 Stunden stellten und nach Ablehnung, wie vorherzusehen, den Kriegszustand erklärten.
Otto rieb sich die Hände. Die Dänen bauen teils auf unseren Parlamentskonflikt, von dem das Ausland sich lächerliche Vorstellungen macht, teils auf Begünstigung durch Frankreich und England. Napoleon wird aber England dafür strafen wollen, daß es seinen geplanten Pariser Kongreß ins Wasser fallen ließ, und England wird sich auf Zeitungsartikel beschränken. Ach, es ist zum Kranklachen, wie Beust, um seine deutschnationale Rolle einzuüben, mit Russel ein grobes Deutsch redet. Der Bund wird gravitätisch grob, seit er weiß, daß er selber nicht fechten wird. Sir Malet muß hören, daß Russels Noten nichts als Papierkorbwische ( wastpaper) seien. Nun, stolzes England, freue dich! Otto dachte, wie manchmal in entscheidenden Augenblicken alte Erinnerungen kommen, an den Ball bei Cowley, wo das englische Wappen in Schildgestalt an der Wand prunkte und gegenüber der Doppeladler ohne Krone, Emblem des Deutschen Bundes, dessen vielfarbige Flaggen von Türen und Nischen hingen. Zweistündiger Kotillon und die Herzoginwitwe von Nassau, geborene Prinzessin von Württemberg, nebst ihren Töchtern tanzt mit ganz Deutschland, nur nicht mit Preußen. Haha, heute wird man sich in Frankfurt auch mit Schimpfen auf Preußen die Zunge zerbrechen. Ganz Deutschland und die preußische Kammer dazu können mir's ja vom Gesicht ablesen, daß ich Schleswig-Holstein partout wieder den Dänen überlassen will. So genau kennen sie mich. I smile in my sleeve.
Das gab einen Sturm in der Kammer, als der Ministerpräsident trocken erklärte: Der Bundesbeschluß gehe ihn nichts an, Preußen werde als europäische Großmacht die Besetzung Schleswigs beginnen. Herrlich sprengten die Matadore Schulze-Delitzsch und Carlowicz in die Arena, um diesen wütigen Stier zu spießen. Die Regierung fordere den schärfsten Tadel und die Einmischung des Auslandes heraus nebst bewaffnetem Widerstand der Bundesstaaten gegen solche Ungebühr. Für immer sei jedes Vertrauen dazu erschüttert, daß Preußen je selbständige Politik treiben werde. (?! Im selben Atem rechnete man ihm ja gerade selbständiges Vorgehen als Verbrechen an.) »Deutsche Interessen kennen diese Herren nicht.«
Herr Schulze erhob sich zu wahrhaft pythischem Schwunge auf historischer Rotunde, er fand ein großartiges Gleichnis. »Nach der Niederlage in den Caudinischen Pässen lieferte Rom die Männer, die jenen demütigenden Vergleich abschlossen, dem Feinde aus, um ihn nicht zu halten.« Hier aber führe man Krieg, damit ein schmähliches Abkommen, obschon der Feind selber es brach, aufrechterhalten werde. Ein solcher Fall stehe ohne Beispiel da! Donnernder Beifall. Denn, daß Bismarck zugunsten der Eiderdänen einschreite und deshalb den hehren Augustenburger nicht anerkenne, war sonnenklar.
Letzterer suchte durch einen Agenten Sommer, der sich an den Kronprinzen heranmachte, auf den König einzuwirken, der aber Otto sofort in Kenntnis setzte. Am gleichen Tage war schon eine »Punktation« zwischen Rechberg und dem preußischen Gesandten Werther aufgesetzt worden, dem Sinne nach, daß man nach dem Siege sehen werde, welche neue Basis aufzustellen wäre. Der Kronprinz drang zwar in seinen Vater, auf einer Soiree bei ihm den Sommer zu sprechen, der König blieb aber bei dieser kurzen Abfertigung sehr kühl und ernst. Inzwischen rückte Wrangel durch Holstein vor, die sächsisch-hannoverschen Bundestruppen machten Platz, das Verhängnis nahm unerbittlich seinen Gang. Höchst betreten frug Talleyrand an: »Eure Exzellenz überraschen Ihre Freunde, ich hätte solches nicht vermutet. Doch bedenken Sie auch, daß der Bundestag gegen Sie mit Waffengewalt sich erheben könnte?«
»Das wird er bleiben lassen. Und wenn so, warum nicht? In jedem Jahrhundert führen Deutsche gegeneinander Krieg, das scheint historische Vorbestimmung. Hie Welf, hie Waiblingen!« »Sie werden kaum behaupten, daß dies ein erfreulicher Usus ist.«
»Bah, Deutschland muß immer seine Jahrhundertuhr richtig aufziehen und nach der richtigen Zeit stellen.« –
Ja, das war eine historische, eine gewaltige Sitzung vom 21. Januar. Noch nie hatte man den großen Physiker Virchow so groß gesehen. Seine gedankentiefe Rede brachte Leben in die Bude, stellte ganz neue, ungeahnte Gesichtspunkte auf. Was wäre die wahre staatsmännische Lösung? Die skandinavische Union!! Wie, was? Begreifen Sie nicht? Uniert sich Dänemark mit Schweden-Norwegen, dann braucht es Schleswig-Holstein gar nicht mehr für seine Existenz. (Natürlich nicht! Die Rekruten und Steuern der fetten Eiderlande, zwei Fünftel des bisherigen Territoriums, sind natürlich Dänemark wurscht. Z. B. verliert eine Bank gern 100 Millionen, wenn sie dafür mit einer anderen Bank sich fusionieren darf. Begriffen?) Ah, die skandinavische Union! So entsteht eine starke Macht am Sund, die nie mit uns kollidiert und immer mit uns sein wird. (Gleichzeitig versicherte Schweden, es werde Dänemark beistehen gegen deutsche Vergewaltigung, was freilich beim frommen Wunsche blieb. Die wahrhaft deutschfreundliche pangermanisch« Gesinnung der Dänen – alle Skandinavier sind Französlinge, was freilich echtgermanisch ist – werden Alexandra von England und die künftige Zarenewna von Rußland uns schon bekunden. Ach, die Damen sind Preußens Unglück seit Friedrich dem Großen, wo zwei Dirnen, die Zarin und die Pompadour, und eine fromme Mutter zahlreicher ehelicher Liebespfänder sich gegen den bösen kleinen Mann mit den Diamantaugen verschworen). Auf so sublimen Einfall wie die skandinavische Union, die ohne viel Federlesens herzustellen eine Kleinigkeit gewesen wäre, kommt natürlich nicht ein Kleingeist wie der Herr Ministerpräsident. (Dieser mag zwar bei seiner Reise nach Skandinavien nur oberflächlich den Tatbestand festgestellt haben, aber irgendwie muß er ihm doch wie jedem, der Skandinavien kennt, zum Bewußtsein gekommen sein: Daß die eigentlichen Nordgermanen gemeinsam über den »falschen Danske«, der Norweger dagegen über den »hochnäsigen Schweden«, der Schwede über den »plumpen, frechen Norweger« schimpft und der Däne, Deutschem näher als er Wort haben will, seinen skandinavischen Bruder ironisch belächelt. All diese Germanen sind hochbegabt, individuell herrliche Menschen, der Durchschnittsstand der Bildung übertrifft selbst den in Deutschland, man muß sie lieben und bewundern, diese echten Germanen, aber unter sich sind sie geradeso zerfallen wie einst die Deutschen, und nur die germanische, nicht die skandinavische Union, kann allgemeine Verbrüderung erzielen. Die Idee des Herrn Professor – pardon, später Geheimrat – Virchow entstammt nach damaligem Stande der Dinge dem Irrenhaus. Diese Union, damals unmöglich und heute fast auch, würde damals vor allen Dingen deutschfeindlich gewesen sein.)
Nach dieser wunderbaren Expektoration versenkte sich der Herr Professor (pardon, später Geheimrat) in die Nichtswürdigkeit des pp. Bismarck. Dieser »schädigt in gewalttätiger und verderblicher Weise die heiligsten Interessen Deutschlands und Preußens«. Wieso? Nun, ganz einfach! Als der Mensch in sein Amt eintrat, hatte er noch sozusagen eine Persönlichkeit und eine »gewisse Politik«, die antiösterreichische. »Doch jeden Tag, den er länger auf dem Ministerstuhl sitzt, verfällt er mehr dem Banne der konservativen Partei.« Sensation bei den Konservativen. Das war ihnen eine schmeichelhafte, aber völlig neue Offenbarung. Virchow donnert weiter: Quousque tandem! Dieser Selbstverleugner wolle nicht mehr selbständige Politik treiben. »Er ist dem Bösen verfallen und wird nicht wieder loskommen.« (Otto dachte in seinem Gemüte an sein Wort: Wenn ich vom Teufel besessen bin, ist's ein teutonischer Teufel.) Großmachtstellung Preußens, von der er und seine Leute schwätzen? Er wollte gleich nach Paris gehen und sich majorisieren lassen. (Haben Sie 'ne Ahnung!) Bei jeder Drehung europäischer Verwicklung bleibt er zu Hause, so wird er jetzt für Schleswig internationale Beschlüsse anrufen. (Kein Engel ist so rein, laß dir dies Kind befohlen sein.) Nach jeder Schlacht wird dieser Bismarck fragen: »Wie denken die Großmächte darüber?« Denn ihm fehlt jedes leitende Prinzip, er stürmt ohne Kompaß in das Meer auswärtiger Verwicklungen hinein. (Wie schön gesagt! Es geht doch nichts über physikalische Gleichnisse.) Um es kurz zu sagen: er hat eigentlich gar keine Politik und keine Ahnung von nationaler Politik. »Das ist ja eben seine Schwäche, er hat kein Verständnis für nationales Wesen.« Ungeheurer Beifall, der Abgeordnete wird gefeiert. Als ihm Otto kühl erwiderte: »Der Herr Abgeordnete hat überhaupt keine Ahnung von irgendwelcher Politik,« erhob sich ein Schrei von Zorn und Hohn, » Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo! Wenn Sie uns das Geld nicht geben, so werden wir's nehmen, wo wir es bekommen.« Neues Geheul und Majorität von 275 gegen 51, gegen den Heereskredit, dazu ein Ausschuß von 36 Mann, die gewaltig »Deutsche in allen Ländern« gegen den »bösen Willen des einen und die Schwäche des anderen« aufriefen. Am anderen Tage Auflösung der Kammer.
*
Unheimliches Gerücht verbreitete sich in inneren Kreisen über ein kurzes symbolisches Gespräch, das der Ministerpräsident in Kürassieruniform mit dem italienischen Gesandten Graf Launey geführt haben soll. Das Gerücht hatte den seltenen Vorzug, wahr zu sein. Ein völlig unbegreiflicher Vorgang. Otto trat im Gespräch nahe an Launey heran, lockerte dessen Galanteriedegen und stieß dann die Klinge in die Scheide zurück: »Das Schwert Italiens.« Der Italiener, verdutzt, aber mit Geistesgegenwart das Sinnbildliche erfassend, murmelte halblaut: »Sie spüren keine Lust zum Gebrauche dieser Waffe, scheint es. Sie wählten einen anderen Waffenbruder.«
»Wählten? Den haben wir gemietet.«
»Ah! Wird er bezahlt?«
» Il travaille pour le roi de Prusse.« Ein Blickwechsel, beide gingen auseinander. Die scheinbare Unvorsichtigkeit hatte natürlich guten Grund. Österreich konnte nicht mehr zurück, Italien mußte aber aufgeklärt werden, daß kein wirklicher Systemwechsel erfolgt sei und nach wie vor beide nach nationaler Einheit ringenden Staaten aufeinander zu rechnen hätten.
Talleyrand hatte Wind bekommen. Er versuchte eine gelinde Daumenschraube anzusetzen. »Habe ich wirklich recht gehört, was Sie da Launey andeuteten?«
»Das bestätige ich Ihnen Wort für Wort.«
»Bei solcher Offenheit verzeihen Sie wohl die Frage: hat Preußen den Besitz von Venetien an Österreich verbürgt?«
»Das ist glatt erfunden.«
»Sehr interessant. Dann verzeihen Sie eine andere Frage. Schleswig-Holstein ist ein fetter Bissen. Sparen Sie den für den Augustenburger auf?«
Kurz und derb kam die Antwort: »Nein!«
Doch der Franzose ging kopfschüttelnd weg. Lauter Theatereffekte! Blageur! Er tut, als hätte er das Heft in Händen, und dabei sagt alle Welt, er werde bald erledigt sein und durch jemand ersetzt werden, den stärkeres Nationalempfinden beseelt.
»Mit Scham und Erbitterung sieht das deutsche Volk die Truppen Österreichs und Preußens vordringen,« hatte der patriotische Ausschuß gefaselt, jetzt drangen die Verbündeten Anfang Februar über die Schlei. Bei Overselk warf die »eiserne Brigade« Gondrecourt die Dänen über den Haufen, deutsch-böhmische Jäger in grauen Überröcken und Hüten mit Spielhahnfeder vorauf. Danebrogs fielen in ihre Hände, das schwarzgelbe Banner wurde siegreich am Königshügel aufgepflanzt. Die Preußen aber zogen bei Missunde, wo stärkere feindliche Stellungen den Übergang verwehrten, eher den kürzeren. Da zeigte sich, wie wenig man auf einzelne Eingangsgefechte geben darf, deren Erfolg sich nach Zufälligkeiten richtet. Die Österreicher, kühn und schneidig vorgehend, bekamen einen hohen Begriff von ihrer überlegenen Tüchtigkeit. Als die Dänen die allzu ausgedehnten Danewerke räumten, die Preußen kampflos in Flensburg einzogen, die Weißröcke aber erneut bei Oeversee sich blutig färbten und Gablentz die Dänen aufs Haupt schlug, schienen Löwenanteil und Lorbeer des Krieges den Österreichern zugefallen. Vom Zündnadelgewehr hörte bisher kein Mensch etwas. Die Brandenburger und Westfalen Prinz Friedrich Karls rückten vor die Düppeler Schanzen, die Garden, bei denen sich später der Kronprinz befand, nach Kolding an die jütische Grenze, wo einst junges deutsches Blut der Kieler Turner und Studenten floß.
Wieder klopfte Frankreich an die Tür. »Wie man hört, sind Eure Exzellenz zur Einverleibung zwei so schöner Provinzen entschlossen?«
»Ich? Nun ja, es wäre des Aufwandes wert. Doch was habe ich zu sagen! Fragen Sie Herrn v. Schleinitz, den Berater der Königin! Die Feindseligkeit bei Hofe legt mir drückende Fesseln an. Und meine Aufgabe ist ohnehin so schwer und so undankbar. Wie sehne ich mich nach Ruhe! Lange kann diese Friktion nicht dauern. Ich habe das Bedürfnis, mich vor allen Intrigen in das Privatleben zurückzuziehen.«
»O wie bedauerlich! Machen Sie doch lieber einen Strich durch das Ganze und gravitieren Sie nach der Augustenburger Seite!«
»Für einen Jammermann solchen Schlages unser schönes Geld und das kostbare Soldatenblut? Es widerstrebt einem wie ein Landesverrat. Aber ach! mein König und Herr ist uneigennützig wie kein anderer Monarch. Und wird das übrige Europa uns solchen Machtzuwachs gönnen? Nur mit Kompensationen. Deshalb bin ich für Personalunion der Herzogtümer mit Dänemark.«
»Wie beliebt? Diese Wendung ist mir neu.«
»Ja, wenn's nach mir geht, tasten wir Dänemark nicht an. Natürlich wird man mich einen Narren schelten, wenn meine Absicht gelingt, und mißlingt sie, dann heiß ich Landesverräter. Das ist der ganze Ertrag, den ich erwarte. Ich mache mir keine Illusionen, daß meine Politik eine verfehlte ist, aber ein Schelm gibt mehr als er hat.«
Talleyrand schenkte ihm sein Mitleid. Ein armer Tropf! Man begreift, daß er gern gehen möchte. Aus uferlosen Plänen kommt steuerlose Irrfahrt. Er irrlichtert herum und findet nirgends Anschluß. –
In Berlin wußte man freilich bald, daß es bei Missunde nicht so glatt ging, wie Prinz Friedrich Karl in schwungvollem Tagesbefehl seinem Korps versicherte. »So staunenswerte Erfolge in sechs Tagen«, aber es waren ja gar keine, auch nicht Übergang über die schwanke Schiffsbrücke bei Arnis unter Gefahr durch Eisschollen und Kanonenboote bewog die Dänen zum Abzug, sondern Verkettung anderer Umstände. Der neidische alte Wrangel gab für Missunde eine halbe Schlappe zu verstehen, doch Prinz Kraft Hohenlohe-Ingolfingen hörte den Feldherrn seinen Leuten beibringen, sie hätten gesiegt. So ließ er den moralischen Faktor nicht herabdrücken und beredete die Einbildungskraft, daß die Preußen etwas Ungewöhnliches getan hätten. Deshalb taten sie später wirklich etwas Ungewöhnliches, weil sie nun mit gehobenem Gefühl ins Gefecht gingen.
Natürlich fing aber gleich die deutsche kritiksüchtige Nörgelei an. Beim Ministerpräsidenten fanden sich Roon, Edwin Manteuffel, Oberpräsident Senft v. Pilsach ein. Letzterer tadelte: »Keine Silbe über die Österreicher, die sich so auszeichneten! Muß unsere Bundesgenossen verschnupfen. Auch setzt er die Westfalen hinter den Brandenburgern zurück, was nicht sein darf. Ich hab' es Seiner Königl. Hoheit brieflich zu Gemüte geführt.«
Roon runzelte die Stirn. »Bisher haben die Österreicher den Vortritt, und wir hinken nach. Wir brauchen Auffrischung des Waffenruhmes, und die Armee wird jedes Opfer bringen, weil sie dies weiß.«
»So ist es«, fiel Manteuffel ein. »Für uns bleibt das wichtigste Kampfziel ein neues Ansehen der preußischen Waffen. Mir scheint der Prinz etwas zu vorsichtig, er tut ja, als spiele er um seinen Kopf, aus übergroßem Verantwortungsgefühl.«
»Das möchte doch wohl mit Feldherrnnaturen verträglich sein,« meinte Otto. »Er will Opfer sparen, und regelrechte Beschießung der Befestigungen soll vorausgehen.«
»Wrangel freilich, der hitzköpfige alte Herr, schreibt mir, der Sturm würde auch heute schon gelingen. Könnte er doch an diesem Ehrentag, die Waffen in der Hand, seinen Tod finden, dann wäre er der Glücklichste von allen! So schreibt er wörtlich, er neigt zum Pathos.«
»Meinen tut er's ja wohl,« lächelte Otto. »Er denkt an sein Vorbild Blücher und kennt als Achtzigjähriger so wenig Furcht wie als Achtzehnjähriger. Merkwürdig, wie der Krieg alles Bessere im Menschen herausholt! Der gute Feldmarschall war doch hier eigentlich unerträglich mit seiner faden Popularitätshascherei auf der Straße.«
»Er soll militärisch unmöglich sein,« murmelte Roon. »Man wird ihn schonend beseitigen, er verkindischt noch und schwärmt immerfort von altertümlichen Bajonettangriffen. Es gibt Reibungen genug im Hauptquartier.«
»Nun, bin ich auch kein Weißhaariger, so will ich doch mit meinen grauen Haaren ins Feuer«, rief Manteuffel.
»Eigentlich müßte jeder dabei sein, alt und jung, wo es endlich mal wieder um Preußens Ehre geht. Das ist eine Schicksalsstunde.«
»Daß sie kam, verdanken wir Ihnen.« Roon drückte Otto die Hand. Manteuffel nickte anerkennend, so wenig er seinen alten Bekannten leiden konnte, und fuhr fort: »Ich werde dem Prinzen ein wenig ins Gewissen reden, wie ich es ihm schon schrieb. Sein Korpsbefehl hat verletzt, er soll jetzt erst beweisen, daß er napoleonische Sprache anwenden darf. Die Augen der Welt sind auf Düppel gerichtet und strenge auf ihn, ob er was kann. Nur keine pedantische Langsamkeit, ihm ziemt das Zauberwort: ich will.« Tatsächlich schrieb er dem Prinzen in scharfem Ton, Streber waren sie alle nicht, diese altpreußischen Männer.
Roon wandte jedoch ein: »Moltke, unser kommender Mann im Generalstab, warnt vor Überhastung. Die Dänen würden Düppel nicht leicht aufgeben, die Entscheidung brauche Zeit, ein guter Reiter werde seinem Roß nicht halsbrecherischen Sprung zumuten.«
»Abwarten und Tee trinken!« lachte Otto fröhlich. »Unsere Aktien stehen gut. Die Hauptsache ist, daß wir nicht umsonst fechten. Schade nur, daß bei uns selbst in gewissen Lagern die Neigung besteht, gratis Feuer zu fressen.«
»Das lassen wir Ihre Sorge sein, dabei fahren wir gut«, betonte Roon.
»Ich hoff' es. Nicht in London, nicht in Gotha, nicht am Dönhofsplatz wird entschieden werden, wem man den Kampfpreis gönnt, sondern in Wien.«
Die anderen schauten verlegen drein und wußten nicht recht, was sie sagen sollten. Das schien doch ein recht dunkles delphisches Orakel.
*
»Was dieser Bismarck im Schilde führt, weiß er wohl selber nicht!« Der große Fortschrittsmann Max Duncker und Herr v. Bernhardi trafen sich zufällig in Josths Konditorei am Leipziger Platz, wo jeder für sich seine Schokolade löffelte.
»Er spielt zweifellos ein Doppelspiel. Doch gegen wen ist er falsch? Vielleicht auch nur gegen sich selber, weil er uferlos ins Weite treibt.«
»Wie begründen Sie das?« frug Bernhardi.
»Dem König hat er gesagt, der erste Kanonenschuß werde das Londoner Protokoll zerreißen, deshalb müsse immer feste kanoniert werden. In London aber führt er eine andere Sprache. Da stellt er Palmerston vor, das Besetzen Schleswigs sei nur so gemeint, um nachher auch Holstein an Dänemark zurückzuerstatten, wenn es nur einigermaßen klein beigäbe.«
»Nun, da Sie so gut unterrichtet sind, Verehrtester, das stimmt allerdings. Mir wird aus Kiel von Augustenburger Seite das gleiche geschrieben.« Es wäre ja schrecklich, wenn man nicht ebenso gut informiert wäre. So plaudert man sich gegenseitig aus, um nur ja den Ruf zu genießen, daß man die »Primeur« habe. »Das Wichtigste ist heute, daß unsere blauen Jungen die Feuertaufe empfingen. Der lange Frieden schadete also nichts, man kann mit ihnen was ausrichten. Was sagt denn Ihr Herr Bruder, der Major?«
»Der ist im siebenten Himmel und bekommt einen neuen Orden, weil er wieder mal öffentlich eine Ansprache hielt: Seine Majestät, unser allergnädigster Herr, Wilhelm der Siegreiche, er lebe hoch!« lächelte der Fortschrittsmann. »Wir sind die feindlichen Brüder, aber vertragen uns gut. Zuguterletzt habe ich auch ein preußisches Herz, wir alle freuen uns eigentlich, daß Bismarck fest auftrat. Schwer hat er's übrigens. Palmerston möchte ihn erneut isolieren, Österreich von uns trennen. Und der König will loyal mit dem Augustenburger verfahren, im Staatsrat sprach er sich scharf für Einsetzung des Herzogs aus.« »Woher wissen Sie denn das, Verehrtester?« frug Bernhardi mißtrauisch.
»Man hat so seine Quellen. Bismarck zieht offenbar die Sache in die Länge, damit die Gewohnheit in ihr Recht trete, wenn die Lande erst mal von uns okkupiert sind. Er hofft wohl auf Zeitgewinn für bessere Konjunktur.«
Die Belagerung der Düppeler Schanzen auf Halbinsel Sundewitt schritt fort. Umsonst spie das Kriegsschiff Rolf Krake feurigen Geifer. Auch die kleine preußische Marine bestand ehrenvoll ein Seegefecht bei Rügen. Die Militärs wollten unbedingt die Grenze Jütlands überschreiten, auch ohne Österreichs Beistimmung. Der alte Wrangel hatte die ihm eigentümliche Dreistigkeit, an den König unchiffrierte offene Telegramme zu richten, worin er die gröbsten Beleidigungen ausstieß und den leitenden Minister für reif zum Galgen erklärte.
»Ich kann es nicht zugeben,« betonte Otto fest. »Unser Zusammengehen mit Österreich würde zunichte gemacht, und wir brauchen es jetzt noch.«
»Aber es liegt auf der Hand, daß wir nur so Dänemark zu raschem Nachgeben zwingen, und das ist doch auch wohl wichtig«, warf Roon ein.
»Unter diesem Gesichtspunkt werde ich mich bestreben, vermöge meines guten persönlichen Einvernehmens mit Minister Rechberg und dem Gesandten Karolyi den Einmarsch auch für Österreich plausibel zu machen.« So geschah es.
Während dieser ganzen Zeit bis Mitte April versuchte England, sich tückisch einzumischen. Ohne jede Spur von Verständnis für die Sachlage, historisch und juridisch, schwelgte John Bull in jener wohlfeilen Sentimentalität, mit der er sich über leidende Mitmenschen dahinten weit in der Türkei erbarmt und ihnen etwa für recht viel Kaufgeld Waffen verabreicht, im übrigen aber nicht den kleinen Finger, wohl aber den geschäftigen Mund rührt. Presse, Publikum, Regierung zerbrachen sich förmlich die Zunge im Jammer über das Heldenvolk der treuherzigen Danskes und die Schlechtigkeit der Räuber. Erst hieß der Protest Vermittelung, dann Protokoll, dann Konferenz, dann Waffenstillstand. Alles prallte wie Tropfen an einem Regenmantel, wie Knallerbsen an einem Harnisch, an dem unglaublichen Menschen ab, der in einem Lande, wo Englands Prinzeß Royal als Kronprinzessin zu residieren sich herabließ, keinen Funken Ehrerbietung für die ältliche Matrone Britannia bewahrte. Und als die Dänen sich endlich dazu bequemten, den Status quo des seligen Londoner Traktats anzurufen, kam die arge Antwort: »Zu spät, den damaligen Zustand gibt's nicht mehr, Krieg hebt jede frühere Abmachung auf. Konferenz? Meinethalben, doch ohne jede Basis von Übereinkunft. Waffenstillstand? Verweigert.«
Eines Morgens flaggte ganz Berlin, und einige Königstreue brachten dem bösen Manne in der Wilhelmstraße ein Ständchen. Hurra, Hurra! Düppeler Schanzen genommen! Eine glänzende Waffentat! 118 Geschütze, 22 Fahnen erobert! Dies war nun wirklich ein Sieg, der sich sehen lassen konnte und alle kleinen Erfolge der Österreicher gänzlich in Schatten stellte. Otto eilte zum König, den er in freudiger Aufregung traf.
»Ich muß zur Armee, ihr meinen Dank sagen. Reden Sie nichts dagegen, mein Herzensdrang ist nicht zu dämpfen. Sie müssen mit und Roon.«
»Ein Extrazug könnte morgen bereitstehen, Eure Majestät könnten am dritten Tage zurück sein. Ich bin sofort reisefertig.«
»General Moltke soll auch benachrichtigt werden. Prinz Friedrich Karl klagt über Wrangel, wir müssen da wohl schonend eingreifen und dem würdigen Greis eine Stütze geben. Ich erhebe Moltke zum Stabschef des Oberkommandos. Roon, der alles so wohl präparierte, soll auch eine Freude haben... verraten Sie mich nicht! – und Chefinhaber seines alten Füselierregiments werden.«
Auf der Durchreise in Flensburg und Rendsburg sprach sich die Dankbarkeit der befreiten Bevölkerung mit lebhaften Kundgebungen aus. »Ihre Sache ist mir heilig und ich werde sie ausfechten«, bekräftigte der König, doch ertönten überall zwischendurch Heilrufe auf den Augustenburger. Die Parade vor Düppel verlief glänzend. Der königliche Greis genoß bei den Truppen die höchste Verehrung und Anhänglichkeit, er begeisterte sich an der Begeisterung, die seine Anwesenheit weckte. Man erzählte ihm von besonderen Heldentaten, sein Herz schwamm in freudiger Rührung.
»Der arme Raven!« Welch schönes Wort! »Es ist Zeit, daß wieder ein preußischer General auf dem Schlachtfelde stirbt!« Doch Otto dachte düster: Es müssen wohl noch viele sterben, ehe denn die Zeit erfüllet ist.
Wrangel, der sich ungeheuer wichtig tat, sollte gnädig beurlaubt und in den Grafenstand erhoben werden, damit die Entlassung nicht schmerze. Otto betrachtete beifällig den roten Prinzen in seiner Uniform der roten Zietenhusaren. Der ziemlich vierschrötige und untersetzte Herr zählte erst 36 Jahre, damals trug er noch nicht den breiten Vollbart, sein Gesicht hatte etwas Vornehm-Düsteres. Er war oft herrisch und kurz angebunden beim Kommando, sonst ungemein höflich und jedem Selbstlob fern. Obschon jetzt Höchstkommandierender auch über das Korps Gablentz, hielt er im Privatkreise nicht mit Geringschätzung der k. k. Offizier und Generale zurück. »Sabreurs, nichts weiter. Aus guter Familie, von guter Turnüre, bestechen sie den gemeinen Mann durch Bravour und Landsknechtart, rücksichtslos gegen das feindliche Land, ganz anders wie wir, die oft zu rücksichtsvoll. Die höheren Chargen sind nicht viel anders. Gablentz, Gondrecourt sind Hüteschwenker: Mir nach und vorwärts! Wie Reischach und seinesgleichen. Oft verstehen die Mannschaften nicht mal, was der Führer ruft, selbst die Offiziere beherrschen nicht alle die deutsche Kommandosprache, alles redet vielsprachig durcheinander, ohne sich zu verstehen. Ein Wunder, daß es bisher noch gut ging. Doch der grüne Federbusch eines k. k. hohen Generals scheint dazu bestimmt, unsanft zerpflückt zu werden. Wenn die Sturmkolonnen schon von den Dänen zusammengeschossen wurden, so könnten sie gegen französische Truppen Wunder erleben, ärger als bei Magenta.« Der Prinz meint gar nicht französische, sondern preußische Truppen! fuhr es Otto durch den Kopf, der in der Tür zuhörte, halb eingetreten. Friedrich Karl fuhr rasch herum, grüßte und brach in etwas schnarrendem Tone ab: »Meinen der Herr Ministerpräsident nicht auch, daß man Erfolge mit geringstmöglichen Opfern erringen muß? Mein Bestreben wird immer sein, so viel Menschen, als es irgend angeht, ihre gesunden Knochen zu erhalten.«
Dann rechne du darauf, daß man dich einen wüsten Draufgänger schimpft, der rücksichtslos Tausende zur Schlachtbank führt! dachte Otto. Denn man muß immer das Urteil der Welt auf den Kopf stellen, um die Wahrheit zu finden.
Eins verhehlte sich der Mann geheimer Entwürfe und Zukunftsschauungen nicht, wo immer er den weißen Glanzüberzug ungarischer Husarentschakos, die weißen Reitmäntel und die hechtgrauen oder braunen Offiziersüberröcke der Kaiserlichen sah: der Krieg hatte auch Erinnerungen alter Waffenbrüderschaft im preußischen Heere geweckt und so die alte Vorliebe für Österreich gesteigert. Das mußte jede antiösterreichische Politik lähmen. Die Mittelstaaten aber, ohnehin gegen den neuen Kurs Preußens eingenommen, waren weniger denn je gesonnen, zugunsten einer Führerrolle des verhaßten nordischen Großstaates aus ihrer Souveränität zurückzutreten, welche sie keineswegs im Geiste eines einstigen deutschen Herzoges gegenüber dem Reichsoberhaupt auffaßten. Sie hielten für ihr gutes Recht, sich nach Gutdünken auch mit dem Auslande zu verbünden, ohne deshalb den Vorwurf des Landesverrates auf sich zu laden. Wer sich über solche Schamlosigkeit ereifert, vergißt nur, daß einst die Herzoge von Lothringen, Champagne, Flandern auch sich nach Belieben als Vasallen Frankreichs oder des deutschen Kaisers wechselnd auf die eine oder die andere Seite schlugen. Denn wo man ihnen freie Hand läßt, treiben fast alle Fürsten nur dynastische, nie vaterländische Politik. An ihrem eigenen Thronrechte liegt ihnen hundertmal mehr als an allen Rechten deutscher Nation. So dachte Otto mit stillem Ingrimm. Doch wenn er auf seinen eigenen Herrscher blickte, kam ihm der Zweifel: solltest du dich nicht getäuscht haben? Gibt es unter den deutschen Fürsten nicht vielleicht noch andere deutsche Männer?
*
Auf Rückreise nach Berlin machte der König auf dem Hamburger Bahnhof Station, um dort das Abendessen einzunehmen. Vor dem Bahnhofe hatte man den Platz festlich erleuchtet und die Hamburger Bürgerwehr marschierte dort auf mit Spielleuten und Fahne. Von allen Straßen wogte das Volk heran, konnte jedoch zum abgesperrten Perron nicht durchdringen. Aber eine eigentümliche Phalanx rückte an, lauter preußische verwundete Offiziere mit Binden, Bandagen, Stöcken und Krücken. An ihrer Spitze bat der Hauptmann v. Gerhard: »Wir ersuchen höflichst, uns durchzulassen. Wir sind der Gnade verlustig gegangen, von unserem obersten Kriegsherrn in Parade besichtigt zu werden, und möchten uns hier wenigstens ihm präsentieren.« »Passiert.« Die Bürgerwehr öffnete eine breite Gasse. Da hinkten und wankten die verwundeten Helden von Düppel die Treppe zum Bahnhof hinauf und stellten sich in Reih und Glied. Viele schnauften und zitterten, des Gehens seit lange ungewohnt.
In der Vorhalle tönte eine scharfe Stimme: »Was wollen die Herren hier? Was wünschen Sie?«
Es war Edwin Manteuffel, dicht im Mantel vermummt. Doch Gerhard, der durch seine Gemahlin Beziehung zum Hofe hatte, erkannte ihn und trat vor, Hand am Helme salutierend. »Exzellenz, wir Schwerverwundeten bitten um die Ehre einer Meldung bei Seiner Majestät.«
»Hauptmann v. Gerhard, nicht wahr? Ich bitte die Herren, mir ihre Namen zu nennen.« Er ging und kehrte hastig zurück: »Folgen Sie mir! Seine Majestät wird die Gnade haben, Ihre Meldung entgegenzunehmen.«
Des Königs blaue Augen blickten freudig und teilnehmend. »Ich danke Ihnen, meine Herren, daß Sie sich in Ihren Schmerzen aufgemacht haben, Ihren König zu grüßen. Das tut mir wohl.« Jeden fragte er nach seiner Verwundung und den Ort, wo sie geschah. Ein paar österreichische Offiziere hatten sich angeschlossen und gewannen einen Eindruck fürs Leben, tiefbewegt von der erhebenden Menschlichkeit des hohen Herrn.
»Welch ein Monarch!« rief ein Lichtenstein-Husar, als die huldvoll Entlassenen auf die Vorhalle hinaustraten. Da rief eine Stimme: »Hauptmann v. Gerhard!« Manteuffel kam hinter ihm her und flüsterte: »Sie müssen zu Seiner Majestät zurückkommen.«
Gerhard, später als Gerhard v. Amyntor sich als Schriftsteller versuchend, ein hochgebildeter Typ des echt preußischen Offiziers, hatte eine Natzmer geheiratet, eine gleichfalls hochgebildete Dame, und da ein Natzmer einst dem Prinzen von Preußen nahestand, so war das Paar bei Hofe wohlangesehen. Man beachte wohl, daß alle, die König Wilhelm und sein Sohn einer besonderen Gunst würdigten, geistig und moralisch hochstanden, mit sehr geringen Ausnahmen.
»Nun, mein lieber Gerhard, Sie haben also für Preußens Ehre geblutet. Ich gratuliere Ihnen dazu. Dieser Krieg hat gezeigt, daß Preußen noch immer sich auf sein braves Heer verlassen kann. Wie waren Ihre Westfalen?«
»Herrlich, Majestät. Voll altpreußischem Patriotismus.«
»Es ist erhebend, das zu hören. Mein gutes, tapferes Volk! Ich verleihe Ihnen den Roten Adlerorden mit Schwertern. Haben Sie schon soupiert?«
»Noch nicht, Majestät.«
»Dann essen Sie mit uns! Legen Sie ab! Ein preußischer Offizier, der für das Vaterland sein Blut vergoß, ist immer an meiner Tafel willkommen.«
Das »legen Sie ab!« bezog sich auf die Krücken, an denen Gerhard humpelte. Er sagte nachher, daß der Donner der dänischen Geschütze ihn nicht betäubt habe, wohl aber diese herablassende Güte. Jetzt erst wagte er sich im Empfangszimmer des Bahnhofes, wo er stand, umzuschauen. Außer Manteuffel sah er nur noch einen Riesen in hohen Reiterstiefeln, dessen machtvolle Stirn und eisernes Gesicht sofort verrieten, wer er war.
»Was sagte Ihnen der König?« fragte Manteuffel leise. Gerhard nannte die Dekoration.
»Ich gratuliere.« Der Chef des Militärkabinetts nickte und notierte den Fall. Gerhard aber hatte nur Augen für den Koloß, der völlig unbewegt im Saale stand, und humpelte an ihn heran. »Melde gehorsamst, Hauptmann v. Gerhard, soeben von Seiner Majestät mit dem Roten Adlerorden dekoriert.«
»Meinen kameradschaftlichen Glückwunsch!« Die sanfte, helle Tenorstimme des Riesen drang Gerhard mitten ins Herz und der begleitende Händedruck dazu. War dies der Ungeheure, den Europa schon ahnte und von dessen Lippen man Donner zu hören glaubte? Mit einem unbeschreiblichen Lächeln tupfte Otto auf die linke Brustseite der Hauptmannsuniform. »Dort ist noch Platz für vieles ... geben Sie acht, es kommen noch bessere Zeiten.«
Gerhard sann über diese vielsagenden Worte nach, während das Souper mit Eile und Schweigsamkeit vorüberging und dem König Stangenspargel serviert wurde, wie keinem hanseatischen Patrizier. Der Stationsvorsteher meldete den Extrazug nach Berlin. Als der König über einen vorschriftsmäßigen Teppich in sein Abteil stieg, strich Otto mit dem gespornten Fuß eine Falte glatt. Es sah so aus, als ob er einen Kiesel, der ihm im Wege lag, fortschleudere.
»Kieck mal, dat is 'n preußischer Stiebel! Wo der hintritt, wächst kein Gras!«
»Wenn die preußischen Junker alle so aussehen wie der, kann sich der Preußenkönig auf Gott verlassen.«
Das waren zwei Hamburger Polizisten, die sich so unterhielten. Und als Gerhard den am Waggonfenster stehenden König salutierte, auf seine Krücken gelehnt, dachte er an den Riesen, der vor ihm auftauchte und nie seinem Gesichtsfeld entschwand.
*
Beim Bürgermeister Duncker, der in Fortschrittskreisen das größte Haus machte, besprach man eifrig die Lage. In dieser Gesellschaft hatte ein paarmal auch das enfant terrible, der Verfemte aller Parteien, Ferdinand Lassalle sich eingefunden. Der Verkehr endete aber bald, sogar melodramatisch, mit einer Straßenprügelei, wobei er und ein Assessor sich im Rinnstein der Potsdamer Straße wälzten. Die Gründe blieben unklar, es hieß Koketterien der Frau Duncker spukten im Hintergrund. Die Freigeistigkeit der Fortschrittler hinderte indessen nicht, daß ihre üppigen und eleganten Huldinnen den Bannfluch über besagten Lassalle aussprachen, weil er mit seiner einstigen Klientin Fürstin Hatzfeld in freier Ehe lebe. Bei einer Vorführung »lebender Bilder« aus den Befreiungskriegen, die auf Betreiben der Fortschrittspartei der junge Schlachtenmaler Bleibtreu im Viktoriatheater »stellte«, schrie das ganze Mode-Berlin den schönen Volkstribunen an, als er sich doch auch die Bilder seines Freundes ansehen wollte: »Lassalle raus!« Schon wieder Ohrfeigen und Rippenstöße. Es war eine große Zeit.
Auf dieser Abendsoiree bei Dunckers hielt besonders der Historiker Droysen einen Speech. »Es läßt sich nicht leugnen, daß Herr v. Bismarck manche bedeutenden Eigenschaften besitzt. Wie er so keck und dreist und gottesfürchtig dem Ausland eine Nase dreht, mag vielleicht richtig sein. Am kronprinzlichen Hofe und in Koburg ist man indigniert über den Ton, den er gegen England anschlägt.«
»Ich beklage tief, daß England, unser aller Vorbild, uns so entfremdet wird,« klagte der Oberbürgermeister Seidel, ein strammer Fortschrittsmann. »Er stößt das Wohlwollen dieser edelsten Nation vor den Kopf, bloß weil er es als Heimat des Liberalismus fürchtet.«
»Fürchten tut er's eben nicht«, berichtigte Dunker, »ich fürchte, der fürchtet sich überhaupt vor nichts. Und mit dem Wohlwollen ist's man soso. Überm Kanal wünscht man offenbar nicht, daß wir eine Seemacht werden, wenn wir Kiel kriegen.«
»Ja, ja, unsere Leute haben den Durst nach dem Meere bekommen,« ergänzte Droysen. »Der König hat auch schon eine stille Schwärmerei für die Marine. Einen Aufschwung werden wir ja nehmen, wenn uns nicht noch das Ausland Knüppel zwischen die Beine wirft.«
»Im Grunde können wir doch nicht Blut und Gut geopfert haben, um einen neuen Kleinstaat zu gründen,« gab Seidel zu. »Darin möchte ich dem Ministerpräsidenten recht geben – d. h. falls er wirklich so denkt, wie man ihm zuschiebt.«
Landwehrmajor Alexander Duncker, seines bürgerlichen Zeichens Verleger und Hofbuchhändler, überlegte, ob er nicht alle Anwesenden auffordern solle: Vereinen wir uns in dem Rufe, unser allergnädigsten Herr lebe hoch! besann sich aber lieber auf buchhändlerische Reklame für seinen Autor, den frommen Lübecker Emanuel Geibel. Diesen weihevollen Epigonen fanden die reifsten Matronen und unreifsten Backfische geradeso himmlisch wie seinen jüngeren Freund, den jungen Goethe – Pardon, Paul Heyse, den schönen Apollo, um den seine Vaterstadt Berlin das Isar-Athen beneidete, wo dieser Frauenlob prangte. Denn in den Geburtswehen der deutschen Nation hatte die Poesie nichts wichtigeres zu tun, als goethenidische Kunststücke zu pflegen und unter Formspielerei auch noch die schlechtesten Verse einzuschmuggeln. Emanuel hatte in diesem gastlichen Kreise einst sein Meisterwerk vorgetragen: »Es ist wohl vieles, was entzücket, es ist wohl vieles, was gefällt, der Mai, der sich mit Blumen schmücket, die goldene Sonn' am Himmelszelt, doch weiß ich eins, das schafft mehr Wonne,« darauf reimte sich natürlich Sonne, nämlich »eine keusche Minne, von der nur Gott im Himmel weiß.«
Im Angedenken solcher dichterischen Herrlichkeit deklamierte sein Verleger jetzt die wirklich männlichen Strophen, die sich Geibels süßliche Pathetik abrang: »Wir rufen nein und aber nein zu solchem Einverleiben, wir wollen keine Dänen sein, wir wollen Deutsche bleiben!« Doch Professor v. Sybel seufzte: »Wenn sie nur nicht singen: wir wollen keine Preußen sein, wir wollten Deutsche bleiben!«
So ging das Raten und Widerraten der Zweifler fort. Und der Wäger und Wager, der Geburtshelfer der schicksalsschwangeren Zeit, saß einsam und allein vor seiner nächtigen Lampe und sann auf immer neue Varianten des Geibelschen Spruches: Und wenn die Not nicht Eisen bricht, das Eisen bricht die Not. –
Bei Stahrs, wo die ästhetische Welt verkehrte, fand noch kein Umschwung zugunsten des Verhaßten statt. »Dem ist nie zu trauen!« trumpfte der Major Beitzke auf, der in reißendster Fortschrittsströmung schwamm. »Er schmiedet heimlich verworfene Pläne, weil er den Freiheitsgeist der Herzogtümer haßt. Was kümmert solch einen oberflächlichen Junker, daß es sich um die Urheimat unserer ruhmvollen Vorfahren handelt, der Teutonen, nach denen wir Teutsche heißen. So hat Jakob Grimm es öffentlich in der Paulskirche bestätigt. Nicht eine Scholle dieses heiligen Landes darf Fremdlingen abgetreten werden.« Und setzte nicht Waitz, der Kieler Historiker, damals bei der Nationalversammlung den Antrag durch, daß die Sache Schleswigs eine Sache der ganzen deutschen Nation sei? Und rief nicht der große Dahlmann, auch ein Bruder aus dem Norden, aus Wismar: der deutschen Sache werde das Haupt abgeschlagen, wenn man bei Schleswig versäume, was gut und recht ist?
»Wir Süddeutschen«, klagte Berthold Auerbach, »finden uns nicht darein, daß all der hohe Schwung zerstört ist, womit unsere edlen Freischaren kraft Vollmacht des Volkes den heiligen Krieg beginnen wollten. Jetzt verläuft alles so prosaisch schnöde, wie bei einem gewöhnlichen Kabinettskriege. Das Volk stand auf, der Sturm brach los, doch die königlich preußische Staatsräson will nichts davon wissen.«
In einer Ecke plauderte der Staatschef a. D. Otto Manteuffel mit dem Schlachtenmaler Bleibtreu, dessen Kunst er zu schätzen vorgab. Der noch junge Künstler ereiferte sich mit zürnender Heftigkeit. »Wir sind nicht mehr ein versunkenes Gemeinwesen, wir müssen dem Auslande den Fehdehandschuh hinwerfen, wenn es die Einheit stört.«
»Aber, verehrter Herr, dann wird das europäische Gleichgewicht verrückt.«
»Verrückt ist's schon genug, Exzellenz, oder zum Verrücktwerden. Und auf dieser Verrückung oder Verrücktheit wollen wir bestehen, bis der letzte Tropfen Blutes aus deutschen Adern floß. Der Minister Bismarck weiß, was er will, und wußte, was er sagte. Mit Blut und Eisen! Jetzt endlich wird die Schmach von Olmütz gesühnt!« Betroffen hielt er inne. Manteuffel benahm sich mit Selbstbeherrschung, erhob sich und machte Bleibtreu mit einem vorübergehenden Herrn bekannt, worauf er sich liebenswürdig empfahl. Er wußte recht gut, daß der Künstler einst in Düsseldorf getobt hatte, Manteuffel müsse als Landesverräter auf den Sandhaufen, und daß der dortige Polizeidirektor die Denunzierung glatt niederschlug, weil er als preußischer Offizier diese Denkart teilte. Wie hatten sich die Zeiten geändert! Bitter dachte Manteuffel: was solch ein ungeschliffener Patron, solch überspannter Malermeister von unsereins sich denkt! Otto der Andre wird's noch spüren, wie man ihn zu Falle bringt, auf ihn schimpft man noch ärger als je auf mich.
Fanny Lewald zitierte die Wutschreie ihres Rassengenossen L. Simon in der Paulskirche, wie Deutschland vor dem kleinen Dänemark in den Staub getreten werde. Auerbach wiederholte die Phrasen der Frankfurter Pfingstweide, Preußen und die von ihm terrorisierte Nationalversammlung hätten sich an Freiheit und Ehre versündigt. Man gedachte der Beschimpfung, unter der die Nation ihr Haupt beugte, des lächerlichen Übermuts der Inseldänen, die sogar Hamburger Zeitungen das freie Wort verboten und jede Meinung knebelten, dafür aber das Ausland mit verlogenen Fälschungsartikeln überschwemmten, so daß man dort die schamlosesten Rechtsverdrehungen für das gute Recht eines heldenhalften Kleinstaates gegen Neutralitätsbruch und räuberischen Überfall hielt. Dabei hatten die Dänen sich damals miserabel geschlagen sowohl gegen die Holsteiner Freischaren als gegen Wrangels Regimenter. »Preußenhunde bellen, doch beißen nicht, hat die Bande gehöhnt. Vier Preußen gegen einen Dänen sei schon dänische Übermacht! Da soll man nicht rasend werden.«
»Und da soll man nicht freudig werden, daß der starke Bismarck den alten Schimpf tilgt!« ergänzte Bleibtreu mit lauter Stimme und verabschiedete sich. Einige tippten mit dem Finger an die Stirn, und Adolf Stahr begütigte seufzend: »Unser guter Bleibtreu ist auf diesen Punkt unzurechnungsfähig.« Beitzke rannte ihm nach und holte ihn auf der Straße ein. »Verehrter alter, Freund, Sie nehmen vorweg, worum ich Sie im Namen der Partei um Auskunft bitten wollte. Man ist bei Dunckers erstaunt, in anderen Kreisen außer sich: Sie sollen geradeso wie der schändliche Lassalle sich äußerst anerkennend über den verruchten Bismarck geäußert haben.«
»Das ist der rechte Mann zur rechten Stunde, habe ich gesagt. Mein Freund Lassalle und mein Freund Maßmann, der greise Turnvater, sagen das gleiche.« Beitzke trauerte, daß sogar ein verhätscheltes Schoßkind der Fortschrittler zum Feinde überlief. So bildete sich eine heimliche geistige Leibgarde für den einsamen Ringer.
*
Düster starrte Otto vor sich hin und zerknüllte eine Depesche in der Hand. Sie kam von Fürst Metternich, dem österreichischen Botschafter in Paris. Er hatte schon früher alarmiert und vor den Umtrieben Napoleons gewarnt, der sich den Sachsen Beust als Handlanger dingte. Dieser sollte sofort die Thronerhöhung des Augustenburgers vorschlagen, worauf Napoleon a tempo einschlagen und seinen Willen bekunden sollte. Diesen Vortritt ihm zu überlassen wäre ein falscher Schritt. Ich muß ihm zuvorkommen, werde also im Staatsrat erklären, jetzt sei die große Stunde da, um das wahre Endziel meiner Politik zu entlarven, d. h. den gottgesalbten Augustenburger zum Großherzog auszurufen. Meine Kollegen werden dazu Gesichter schneiden, die ich nicht gern photographiert sehen möchte. In London werde ich notifizieren, daß alle Bundesstaaten die Gründung eines neuen Holsteiner Staates wünschen.
Beides geschehen am 24., 28. Mai. Am ersten Junitag aber erschien bei ihm in seiner Wohnung der Prätendent selber. Otto sah auf die Uhr im Billardzimmer, wo er ziemlich unzeremoniös den Lästigen empfing; die neunte Abendstunde brach an, als Herzog Friedrich seinen Standpunkt wie sein eigener Erzkanzler vertrat. Der preußische Staatsmann verbreitete sofort eine gewisse Kühle, die den von Gottesgnadenrecht durchdrungenen Erbprinzen peinlich berührte und heimlich aufbrachte.
»Die Konstituierung meiner Stammlande als selbständiger Bundesstaat unter meiner Souveränität dürfte ja selbst wohl allseitig beschlossene Sache sein.«
»Eure Hoheit greifen etwas vor. Ob ich Vertretung Ihrer Kandidatur empfehlen kann, dürfte vielmehr vom Ergebnis dieser Unterredung abhängen.«
»Ich weiß, wohin Sie steuern. Indessen –«
»Seine königliche Hoheit der Kronprinz sind überzeugt, daß Eure Hoheit auf höchstdessen Bedingungen eingehen werden, die er am 26. Februar in einer vortrefflichen Denkschrift entwarf.«
»Ich weiß nicht recht – der Kronprinz mißverstand vielleicht.« Der Herzog wurde sehr unruhig.
»Das will ich nicht hoffen«, versetzte Otto in fast strengem Ton bei aller Höflichkeit der Formen. »Eure Hoheit haben gewiß die Gnade gehabt, die einzelnen Punkte zu prüfen: Militärkonvention, Freihaltung Kiels als Hafen für unsere Marine, Anlage von Grenzbefestigungen, Bau eines Nordostseekanals. Auf letzteres lege ich Gewicht aus strategischen Gründen der Küstenverteidigung und Einbeziehung Hamburgs in unsere Sphäre.«
»Das wird den Hamburger Senat ebenso begeistern wie mich!« betonte der Herzog bissig. »Nach alledem bleibt von meiner Unabhängigkeit nichts mehr übrig. Die holsteinischen Stände würden mich schön anschauen, wenn ich von ihnen Ratifikation solcher Klauseln verlangte.«
»Sie sind wohl froh genug, vom dänischen Joch befreit zu sein, um nicht an Vorsichtsmaßregeln Anstoß zu nehmen, die nur den Schutz unserer deutschen Nordgrenze bezwecken.«
»Vor den Dänen? Es sieht beinah so aus, als wollten Sie sich gegen mich selber schützen.« Otto verneinte mit keiner Silbe. »Militärkonvention – die Holsteiner werden preußisches Militärsystem ablehnen. Ihre mit Koburg geschlossene ist in manchen Punkten zu weitgehend. Überhaupt sollte man lieber mein Herz gewinnen, statt mich zu binden.« Er verbreitete sich endlos über alle streitigen Punkte. Es schlug zehn und wurde noch später. Otto erwiderte fast nichts. »Wahrlich, man hätte mein Land von seiten des Bundestages wohl unter minder lästigen Abmachungen und Zumutungen befreit. Ganz besonders mißfällt mir die Landabtretung für Anlage von Festungswerken. Das ist so dehnbar, daß wohl gar eine ganze Quadratmeile daraus werden könnte. Dagegen lehne ich mich entschieden auf, meine Stände würden es mir verübeln.« Wenn er dachte, Otto werde mit ihm um eine armselige Meile schachern, so irrte er. Schweigend hörte dieser zu. Sein Besucher perorierte immer noch, nachdem es längst elf schlug. Es wurde immer nächtlicher, die Kerzen im Armleuchter des Ministertisches brannten herab. Zuletzt geriet der Fürst-ohn'-Land in gelinden Zorn: »Habe ich die Preußen gerufen? Für mich wäre es besser, wenn sie sich gar nicht einmischten.«
Otto stand ruhig auf. »Es geht auf Mitternacht, Durchlaucht. Wir brechen am besten diese fruchtlose Unterredung ab, die Erwartung Seiner königlichen Hoheit, Eure Durchlaucht würden bereitwillig auf unsere Bedingungen eingehen, war also irrig.«
»Adieu. Wir sehen uns wohl noch.« Es schlug Mitternacht ... auch für ihn und sein Hoffen. – –