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»Kiekt mal den! Det is woll so'n Beamterich! Oder eener aus Posemuckel!« Verschiedene Straßenjungen zeigten mit den Fingern auf einige Herren, die in der Nähe des Schlosses den vom Manöver heimkehrenden König grüßen wollten. Kaum machten sie aber Miene, den Hut abzunehmen, als eine Rotte fuselduftiger Pennbrüder im Sturmschritt anrückte: »Haut ihm! Wer so'n jemeener Kerl is, dat er vor den Tyrannerich seinen Filz runterdut, dem treibt een rechtschaffener Volksmann den Hut in! Unterstehe dir! Hier in det freijeistige Berlin rejiert die feine Fortschrittspartei, un' wer uns nich zu Willen is, kriegt Keile.«
Diese edlen Volksfreunde litten es nicht, sie konnten nicht mit ansehen, daß Leute sich anständig aufführen wollten. Ein besonders Erleuchteter gab dem zersprengten Häuflein, das seinem König die schuldige Achtung erweisen wollte, die Belehrung zur Wegzehrung mit: »So 'ne Jemeinheit! Unsere Brüder in Frankfurt a. O. sollen dir wohl beschämen, du Dummrian? 2000 Taler für Fisematenten beim Manöver hat die olle jute Stadt spendieren sollen, um diesenjenigten Verfassungsbrecher einzuladen. Is nich! Keinen Jroschen! So muß er nu jeden Morjen hin an de Oder un' jeden Abend retour nach Berlin, weil die jetreuen Frankfurter ihm eene Nase drehen, hehehe! Un' ihr faulen Köppe wollt hier Schmiere stehn für infamigte reakschonäre Jesinnung? Macht, dat ihr fortkommt zu eure Schlafmama, sonst setzt's Berliner Haue! Ei weih, au!«
Die Eingeschüchterten verflüchtigten sich. Ein Herr, der dies widerliche Treiben beobachtete, stieß mit einem General zusammen, der durch eine Querstraße von der Leipziger Straße in großer Uniform herkam. »Ah, Herr v. Bernhardi, Sie hier?« Theodor v. Bernhardi, ein bekannter Gelehrter, Hofmann und Politiker, der sich besonders mit militärischer Theorie befaßte und auch hierin als förmlicher Friedrichstheologe, d. h. Anschwärmer Friedrichs des Großen und Herabsetzer Napoleons, einem übertriebenen Borussentum huldigte, schüttelte dem Kriegsminister Roon die Hand.
»Kommen Sie von Ihrem Ministerium oder von der Redebude am Dönhofsplatz?«
»Von letzterer. Virchow war heute wieder groß. Ich bewundere Bismarcks ungetrübte Schnuppigkeit gegenüber so verdrehter Anmaßung. Er tut mir in der Seele leid, das Zeug anhören zu müssen, er, der den Kopf so voll hat mit auswärtigen Schwierigkeiten.«
»Nicht wahr, Napoleons Thronrede macht ihm Schmerzen? Einen Kongreß berufen, wo er als Schiedsrichter Europas alle schwebenden Verwicklungen lösen will! Wenn sich Bismarck nur ausbedingt, daß das Schleswig-Holsteiner Problem als reindeutsche interne Sache dort nicht verhandelt wird!«
»Oho, er sagt, es werde nie zu solchem Kongreß kommen, wir würden ihn nicht beschicken, Österreich auch nicht.«
»Geffcken ist anders unterrichtet.«
»Wer ist Geffcken!« stieß Roon verächtlich hervor. »Ein Hintertreppendiplomat bei Kronprinzens! Was hat der wieder zu stänkern?«
»Er behauptet, Bismarck habe die ganze Angelegenheit dem kleinen Kabinettsrat Abeken aufgehalst und ihn instruiert: ›Machen Sie mit Schleswig-Holstein, was Sie wollen, nur daß kein Krieg draus wird.‹«
Roon lachte herzlich. »Der kriegsscheue Bismarck! Lassen Sie sich doch keine Bären aufbinden! Die Mobilmachung ist in der Stille angeordnet. Wir dürfen uns nicht überrumpeln lassen, irgendeine neue Wendung könnte zu Verwicklungen führen. Unsereins kennt nur Macht-, nicht Rechtsfragen in solchen Fällen.«
»Aber haben wir die genügende Macht? England steht schon gegen uns. Dänemarck müsse in unangetastetem Besitz bleiben. Man wird wohl wieder so ein Londoner Protokoll zusammenkleistern und für immer den Brei verderben, denn viele Köche – man kennt das Sprichwort. Und wenn wir nicht dem Herzog Ernst nachfolgen, der sein Koburg, ferner Weimar, Baden, Bayern, Oldenburg zur Anerkennung des Augustenburgers bewog, so werden die Holsteiner ins dänische Lager übergehen, weil sie sich preisgegeben glauben. So denkt auch der Historiker Professor Droysen, den Sie ja wohl kennen.«
»O ja! Ich habe das Vergnügen in der Kammer,« machte Roon mißmutig. »Die Weisheit dieser Herren ist mir nicht maßgebend.«
»Er nennt Holstein das norddeutsche Elsaß und fürchtet auch für das norddeutsche Straßburg, Hamburg, das werde auch noch an Dänemarck fallen.«
Roon wurde dunkelrot. »Wenn ich das erlebte, schösse ich mir eine Kugel vor den Kopf. Doch was bilden Sie sich ein! Straßburg stahlen die Franzmänner sozusagen wie ein Dieb in der Nacht, als Deutschland völlig zerrissen war, und sie waren eine Großmacht, heute leben in Deutschland 35 Millionen Menschen, die sich von dem hochnäsigen Dänenzwerg nichts gefallen lassen. Und unter diesen Menschen bürge ich für einen, das ist der Ministerpräsident selber.«
»Ihr Freund, Exzellenz, ich weiß. Aber wie lange wird er denn bleiben? Er war schon zweimal auf der Wippe,« verbreitete Bernhardi schadenfroh, der zur liberalen Hofkamarilla gehörte. »Wären Herzog Ernst oder der Kronprinz oder Fürst Hohenzollern nach Berlin gekommen, so hätte ein leichter Druck genügt.«
»Ihn zu beseitigen? Gott verzeihe denen, die daran arbeiten!« Roon gab sich einen Ruck, daß sein Säbel rasselte. »Dann wären wir ganz aufgeschmissen. Übrigens gehört Fürst Hohenzollern zu seinen Gönnern, und der Koburger schweift nach Höherem als Ministerstürzen, er möchte deutscher Wahlkaiser werden durch Mandat sämtlicher Vereine, Schützengilden, Kegelklubs und Landtagszubehör. 0 Gott! Er möchte Wohl mit seiner Leibkompagnie und mit einem Wald von schwarzrotgoldenen Fahnen in Kiel einziehen. So denke ich mir Hermann den Cherusker. Wenn er nur eine Rolle spielt, dann mag uns alle der Teufel holen.«
»Ich habe nichts dagegen, daß Sie diesen hohen Herrn so schroff beurteilen. Aber das ändert nichts an Ihres Freundes erschütterter Stellung. Bernstorff schimpft in London mächtig, man habe sich vom Bundestage ins Schlepptau nehmen lassen, Goltz in Paris wütet über Heraufbeschwören von Gefahren.«
»Und beide haben, wie Bernstorffs Äußerung zeigt, keinen blauen Dunst davon, was Bismarck will.«
»Weiß er es selbst? Max Duncker sagte mir vorhin, in Berliner Kreisen betrachtet man die Mobilmachung als bloße Polizeimaßregel gegen die Schleswig-Holsteiner Begeisterung, die man bei uns ersticken wolle.«
»Die Wahnwitzigen!« murmelte Roon. »Adieu, Herr v. Bernhardi, ich muß zum Vortrag bei Majestät.« –
Inzwischen saß der bestgehaßte Mann in Preußen vor seinem Arbeitstische und hämmerte im Schweiße seines Angesichts am Fundamente großer Werke, während die Welt um ihn her klatschte und quatschte. Daß er so gut wie alle gegen sich hatte, beirrte ihn wenig, nachdem ihm der Meisterstreich gelang, Österreich als Karrengaul mit anzuspannen, um den verfahrenen Wagen aus dem Dreck zu ziehen. Er hatte Freund Rechberg, seinen alten Feind, richtig breitgeschlagen, mit Preußen gegen die Schreihälse bundestäglichen Deutschtums Hand in Hand zu gehen. Jetzt stellte er ihm wieder in eine Depesche eindringlich vor, daß den Bundesgliedern jede Einigkeit Preußens und Österreichs ein Horror sei. Hiernach würde bei jedem Kriege, in den ein deutscher Staat verwickelt wird, das ganze liebe Bundespalais einstürzen, und wen die Decke dann begräbt, läßt sich voraussehen: die Schwächeren, die Kleinstaaten. Nur durch gegenseitige Schonung kann es den beiden Großstaaten gelingen, Deutschland freundlich zu beherrschen, nur als primus inter pares, nicht wie ein Protektor des Rheinbundes.
Diese verführerischen Lockungen fielen auf fruchtbaren Boden. Die deutschen Mittelstaaten zeigten sich nach Wiener Begriffen zu wenig unterwürfig, ließen die gewohnte Abhängigkeit vermissen und randalierten disziplinlos mit vaterländisch großdeutschen Gesinnungen. Ein solcher frevler Eigenwille mußte geahndet werden, und dazu kam der von Bismarck vorgeschlagene gemeinsame Waffengang gerade recht. Bald meldete Rechberg, 20 000 Österreicher unter Feldmarschall-Leutnant Gablentz würden sich 25 000 Preußen unter Feldmarschall Wrangel anschließen und unter dessen Oberbefehl die Eider überschreiten, falls Dänemark sich halsstarrig erweise.
Als Otto so in tiefen und erfreulichen Gedanken saß, sprach der französische außerordentliche Botschafter General Fleury vor, der soeben aus Kopenhagen über Berlin nach Paris heimkehrte. »Was soll nun eigentlich werden, Exzellenz? Der vom Kaiser vorgeschlagene Kongreß wartet.«
»Ich denke an die erhebenden Worte des Kaisers«, hauchte der Preuße träumerisch. »›Dieser Kongreß soll für die Gegenwart Ordnung, für die Zukunft Sicherheit schaffen.‹ Wie tief und richtig sagte er, das Gebäude Europas, wie es beim Wiener Kongreß 1815 erstand, bröckele in seinen Grundmauern.«
»Ja, aber um vom Abstrakten zum Konkreten zu kommen, die Elbherzogtümer –«
»Sind ein Schmerzenskind der großen Politik. Am liebsten ließe ich meine Hände davon.«
»Es ist uns nicht unbekannt, Herr Premierminister, daß Sie schon vor Jahr und Tag sich so ähnlich zu Ihrem Vertrauten, dem Herrn Kriegsminister, ausdrückten.«
»Woher wissen Sie das, mein General?« fragte Otto scheinbar verdrossen.
Der Franzose lächelte fein. »Die Wände haben Ohren, die Briefe nicht immer feste Siegel. Mein Gott, unter uns Auguren wollen wir uns doch nichts vormachen, das gehört zum Dienst, Ich bin überzeugt, daß Sie auch manches von Talleyrands Depeschen an Drouyn de l'Huys kennen.«
»Lassen wir das! Was hatte ich also damals gesagt?«
»Daß es kein preußisches Interesse sei, einen neuen Großherzog auf den Stuhl zu heben, der im Bunde nur gegen Sie stimmen werde, unbeschadet der Dankbarkeit, die er Preußen schulden würde. Tun Sie da nicht dem lieben Prätendenten ein Unrecht?«
»Bah, er ist ein Mensch, Dankbarkeit soll erst noch gefunden werden in dieser schlechten Welt.«
»Ach, Sie böse Exzellenz!« Fleury hob schelmisch den Zeigefinger. »Dann begreife ich nicht, warum Sie nicht einfach die Dinge beim alten ließen. Der Kongreß wird Dänemark schon den Kopf zurechtsetzen, daß es seine Übergriffe zurücknimmt.«
Otto lächelte in sich hinein. Er hatte absichtlich dem Franzosen obige Äußerung in die Hände gespielt, aber dabei die Fortsetzung unterdrückt. Jawohl, schon vor Jahr und Tag hatte er Roon anvertraut, nur Krieg könne die dänische Frage so lösen, daß Preußen auf seine Kosten komme. Den Anlaß dazu könne man in jeder Stunde finden, die zum Kriegführen günstig scheine. Auf die Würzburgerei und Bambergerei und die Zeitungen und die Kammern und die Vereine pfeife er was, nur die Stellung der Großmächte dazu habe Bedeutung. Nach außen, zum politischen Parkett hin, verlautbarte er aber jetzt mit dringlichem Ernst:
»Diese Frage kümmert uns in der Tat so gut wie gar nicht, und nur sie darf der Kongreß behandeln, nicht andere Nationalitätspunkte, wie wir befürchten, vor allem nicht das polnische Thema, das wie Ahasver umherschleicht und nicht sterben will. Preußen, Rußland, Österreich sind darin eins, und auch für England sind solche allgemeinen Fragen verfänglich. Es könnte ja jemand an Irland und Indien erinnern. Ihr erlauchter Gebieter, zu dessen glühendsten Bewunderern ich zähle und dem ich meine Huldigung zu Füßen zu legen bitte, verfolgt mit seinem philosophischen und humanitären Sinn einen Flug in höhere Regionen. Er will das Wohl der Menschheit, die Befreiung aller Unterdrückten. Doch wir können nicht mit. Lieber den Rhein abtreten, lieber sterben, als Diskussion über unseren Posener Besitz zulassen!« Fleury nahm natürlich die schreckliche Ironie obiger Phrasen für bare Münze und belustigte sich über Bismarcks eifrige Angst um Posen. Als ob man je wieder in dies Wespennest stechen würde! »Hingegen das bißchen Schleswig-Holstein – ja, da bring' ich alle Signatare des Londoner Protokolls nach Paris, um des Kaisers Wunsch zu erfüllen.« Weiter wollte er ja nichts, hochbefriedigt ging Fleury von dannen. Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte.
*
Herzog Friedrich von Holstein-Augustenburg, Sohn und Erbe des früheren Verzichtleisters, vertrat zwar persönlich vor dem preußischen Staatsmann seine Ansprüche, erweckte aber keine Gegenliebe, höflich, aber bestimmt lehnte letzterer jedes Versprechen für künftige Gestaltung der Dinge ab. Die Weltlage gebiete andere Kombinationen. Obschon der Herzog nachher brieflich in Abrede stellte, einem Abgeordneten anvertraut zu haben, Herr v. Bismarck sei sein Feind, schied er jedenfalls von ihm mit unfreundlichen Gefühlen. Da er sich hinter den Kronprinzen steckte und die regierenden Damen eine sentimentale Bemutterung für einen Fürsten ohne Land sich nicht entgehen ließen, so erwuchs für Otto hier ein neues Hindernis. Der Kronprinzessin ergab sich dabei ein peinliches Dilemma, insofern von England her eine andere sentimentale Gefühlspolitik das Recht der edlen Danske feierte, so viel Deutsche zu quälen als sie wollten. Bei der ungeheueren Unwissenheit der Briten in allen kontinentalen Dingen hatte das Inselvolk einen höchst nebelhaften Begriff davon, daß die Inseldänen mit seltener Unverschämtheit die Festlanddeutschen der Halbinsel knechteten und ihrer großen deutschen Kultur und Sprache entkleiden wollten, zugunsten eines minderwertigen Nebenzweiges germanischer Sprache und Gesittung. Die nämliche Unwissenheit erinnerte sich auch nicht, daß die Schleswig-Holsteiner selber jene Angelsachsen waren, von denen abzustammen die englischredende Menschheit sich rühmt. Die englische Presse, loyal entzückt von der dänischen Prinzessin Alexandra von Wales, ihrer künftigen Königin, schwadronierte von schnöder Gewalttat wider ein kleines Seekönigsvolk, das zwei habgierige deutsche Raubstaaten ohne jeden ersichtlichen Grund seines Eigentums berauben wollten. Dieselbe halb kindische, halb nichtsnutzige Presse hielt natürlich auch den Elsaß für altfranzösisches Gebiet. Großbritannien und Rußland, die sich vom kleinen England über alle Küsten und von Wolga zu Düna, Weichsel, Dnjepr, Pruth, Finnland und Krim ausdehnten. Räuber ohne Ende, konnten sich bald über deutsche Ländergier entrüsten. Unlauteren Wettbewerb! Der Dieb schreit: haltet den Dieb! –
Staatsratssitzung im Dezember. Otto war in vollem Zuge, Licht zu verbreiten: »Am 29. September hat England unerbeten und unerwünscht Vermittlung angeboten, und Sir Malet reichte die Note des Earl Russel am 1. Oktober ein, als der Bund schon Exekution gegen Dänemark beschloß. Am 23. mußte Malet nach London notifizieren, daß der Bund jede Vermittelung in rein deutschen Affären ablehne und keinerlei Einmischung des Auslandes gestatte. So weit gut. England perfide wie immer, der Bund ausnahmsweise einmütig und mutig. Daß aber Herzog Friedrich von Augustenburg sich als rechtmäßiger Erbe gegen dänische Usurpation proklamiert, war mindestens verfrüht. Noch sind wir an den Londoner Traktat gebunden wie Österreich. Wenn der Bund ihn damals nicht sanktionierte, so ist das seine Sache. Die zwei deutschen Großmächte stehen zu ihrem Sonderabkommen und ihnen allein steht Exekution zu. Dänemark brach den Vertrag, das werden wir redressieren. Doch wenn wir die Augustenburger Sache zu unserer eigenen machten, so würden auch Dänemark und die anderen Signatarmächte vom Vertrage entbunden sein, wir würden uns ins Unrecht setzen. Das habe ich unserer törichten Kammer vorgehalten, als sie den Majoritätsbeschluß zugunsten des Herzogs Friedrich faßte.«
»Das ist's ja eben«, warf der König ein. »Die ganze deutsche Nation ist für den Herzog, und jetzt thront er nächstens schon mit 12 000 Sachsen und Hannoveranern in Kiel. Ihn dort zu delogieren, hieße unsere Popularität aufs Spiel setzen, soviel davon noch übrig ist und die wir in letzter Zeit nach Ablehnung des Fürstentages so sauer zurückgewannen.«
»Die Popularität in Deutschland ist noch wertloser als die in Preußen. Sie besteht in Zeitungsartikeln und Kammerreden, nicht ein einziges Gewehr knallt dahinter. Der große Haufe folgt der Gewalt und dem Erfolg, findet sich leicht in ein verhaßtes Müssen. Und diesmal wird sich die Nationalstimmung zu uns bekehren. Denn der Bund weigert sich ja, seine Exekution aus Holstein auch auf Schleswig auszudehnen, er habe dort keine Jurisdiktion. Darauf kommt es hier gerade an, auf solche professoralen Bedenklichkeiten! Es ist nationale Ehrenpflicht, die unterdrückten Stammesbrüder in Schleswig zu befreien.«
»Das soll geschehen«, sagte der König ernst. »Doch wäre gut, vorher festzulegen, was mit den befreiten Landen werden soll.«
»Ich nehme an, daß dies ein geheimer Konseil ist und Verschwiegenheit unter Amtseid gelobt wird?« Der König nickte .. »Dann sage ich offen heraus, daß ich unsere Annexion der Herzogtümer ins Auge fasse.«
Allgemeine Bewegung. Der Kronprinz, der diesmal am Konseil teilnahm, hob theatralisch die Hände gen Himmel, als wolle er andeuten: Der ist nicht bei Sinnen – oder, da er so gern Berlinisch sich ausdrückte, nich bei Troste! Die anderen Minister schwiegen zu solcher offenbaren Entgleisung ihres vorgesetzten Kollegen. Dieser fuhr jedoch fort: »Euer Majestät erinnern sich, daß jeder Ihrer Vorfahren, vom Großen König gar nicht zu reden, einen größeren oder kleineren Machtzuwachs gewann. Als Ihr verantwortlicher Minister darf ich wohl anheimstellen, ein Gleiches zu tun.«
Der Geheimrat Costenoble als Protokollführer legte die Feder hin auf einen Blick des Königs, den er verstand. Dieser sagte ernst:
»Ich bin konsterniert, dies so kühn von Ihnen geäußert zu hören.« Des Königs peinlich strenges Rechtsgefühl geriet in Harnisch. »Herzog Friedrichs Regierungsantritt ist vom badischen Gesandten am Bundestag, Robert v. Mohl, unserem ersten Staatsrechtslehrer, offiziell dem Bundestag angezeigt worden. Das bedeutet offizielle Anerkennung.«
»Vom Bundestag. Was interessiert das die deutschen Großmächte? Seine Durchlaucht der Herzog, preußischer Major a. D., saß bisher still auf Gut Dolzig in der Niederlausitz und jetzt nennt er sich über Nacht Friedrich VIII. Das Londoner Protokoll, das wir unterzeichneten, ist doch kein Wisch, den man über Nacht zerreißen darf. Preußen und Österreich sind vorerst durch ihre Ehre gebunden, zu halten, was sie vertragsmäßig versprachen.«
»Das ist zweifellos richtig«, billigte der König. »Auch ich finde das Auftreten des Herzogs sozusagen revolutionär.«
»Aber Eure Majestät sehen doch«, bemerkte Graf Eulenburg, »daß Deutschland das Londoner Protokoll einfach als Luft betrachtet. Man sagt, es sei eine Unverschämtheit vom Ausland, über deutsche Landesteile zu disponieren.«
»Ist es auch,« murmelte der König. »Und ich glaube, der Ministerpräsident ist gleicher Meinung.«
»Unbedingt. Nur sehe ich nicht ein, daß man eine Unbilligkeit durch Wort- und Rechtsbruch auslöschen kann.«
»Immerhin möchte ich dem Herrn Ministerpräsidenten unterbreiten, daß er, der so hoch die Realitäten einschätzt, dem allgemeinen Aufflammen Deutschlands Rechnung tragen möge,« fuhr Eulenburg fort. »Überall, in Frankfurt, Darmstadt, Stuttgart, München, von Berlin gar nicht zu reden, die gleichen stürmischen Volksversammlungen, die gleiche Entschlossenheit der Landtage. Sogar in Wien der gleiche Sturm. Der Gemeinderat wandte sich an Seine Apostolische Majestät und ging ihn an, die nationaldeutsche Sache in die Hand zu nehmen.«
»Jawohl«, berichtigte Otto trocken, »der Kaiser befahl soeben am 7. Dezember sehr ungnädig dieser Deputation, sich nicht um Politik zu kümmern. Der unrechtmäßigen Ständeversammlung in Kiel möchte ich das gleiche raten, und die deutschen Regierungen, die so fröhlich für den ›angestammten Herzog‹ erglühen, rebellieren einfach gegen die Stellung Österreichs und Preußens zu diesem Problem, das sie als europäische Großmächte, nicht als Bundesstaaten zu behandeln haben.«
»Und unsere eigene Kammersitzung vom 23. November?« erhob der Kronprinz die warnende Stimme. »Die Abgeordneten Virchow und Stavenhagen machten doch aus dem Entschluß der Majorität kein Hehl, für den Herzog einzutreten.«
»Die Herren Professoren der Kammer«, versetzte Otto kühl, »betreiben auswärtige Politik, wie sie selber so hübsch bekennen, ›zur Erholung‹ von ihren weltbewegenden wissenschaftlichen Arbeiten. Ich beuge mich ehrfürchtig den Lehrern der Physiologie, muß sie aber leider aus einem ihnen fremden Gebiete als blutige Dilettanten ausweisen. Ich erinnere Eure Majestät an den früheren Dänenkrieg, wo unsere Uneigennützigkeit lächerlich, unser mutloses Zurückzucken vor europäischen Drohungen ein Vorgeschmack von Olmütz war.« Der König zuckte. »Für mich ist maßgebend, daß ich der Kammer vorhalten konnte, wie durchaus die k. k. Regierung meinen Standpunkt teile. Am 28. hat sie, wie Eure Majestät wissen, eine gleichlautende Erklärung mit uns am Bundestage abgegeben.«
» Timeo Danaos et dona ferentes«, murmelte Eulenburg. Otto lächelte überlegen. »Sie irren. Die Süddeutschen brüllen: ›Auf, tapferes Österreich laß deine Banner fliegen!‹ Das wird auch so kommen, aber anders als sie denken. Wir haben am 4. Dezember gleichlautend dem Bundestage die Warnung notifiziert, die Exekution nicht in Okkupation zu verwandeln und die Sukzessionsfrage auf sich beruhen zu lassen. Wir hätten uns völlig geeinigt, allein zu handeln und bäten unsere teueren Bundesgenossen, sich unserer Abmachung zu fügen. Es freut mich, mitzuteilen, daß der löbliche Bundestag sich löblich unterwarf und uns neben Sachsen und Hannover die Exekution übertrug ohne Präjudiz für die Erbfolgefrage.«
»Aber v. d. Pforten beantragt, sie ohne Verzug zu prüfen,« wandte Eulenburg ein.
»Sehr schön! Ohne Verzug meinte beim Regensburger Reichstage des weiland römisches Reiches am Nimmermehrstag, beim Bundestage an irgendeinem entfernten Zeitpunkt. Inzwischen gaben Eure Majestät Befehl, in Lübeck einzurücken und von dort den Vormarsch zu beginnen. Die Österreicher sind schon in Hamburg. Der sächsische General Hake kam auch schon an, Holstein wird von den Dänen geräumt, sie weichen nach Norden hinter die Danewarke.«
»Ja, aber es läßt sich nicht hindern,« nahm Roon das Wort, der bisher schwieg, »daß die Bevölkerung überall den Augustenburger ausruft. Siehe die riesige Volksversammlung in Elmshorn!«
»Siehe gar die Parlamentarierversammlung in Frankfurt nach Aufforderung des National- und des Reformvereins! 491 Schwätzer, fast alles Süddeutsche, nur 47 unserer Fortschrittler scheuten die weite Reise nicht, um antipreußische Politik zu machen. Was sie dekretierten, ›mit allen gesetzlich zulässigen Mitteln‹, ist leerer Wind. Wir werden mit allen militärischen Mitteln, zulässig oder nicht, den kleinen Raubstaat an der See unsere deutsche Macht fühlen lassen. Die Schleswig-Holstein-Bunde von den Alpen bis zum Belt werden inzwischen heroische Beschlüsse fassen.«
»Verachtung für edle Wallung der deutschen Volksseele ist nicht am Platze«, versetzte der Kronprinz scharf. »Meinem Taktgefühl entspricht die herbeigeführte Entscheidung nicht, daß wir Österreich zu Hilfe nehmen, statt uns allein als der Nächstbeteiligte an die Spitze Deutschlands für Befreiung der Bruderlande zu stellen. Wenn ich nur begreifen könnte, warum der Herr Ministerpräsident so fest darauf bestand? Früher war er, das wissen wir alle, antiösterreichisch bis in die Knochen, er hat sogar, hab' ich mir sagen lassen, Rache für ›Olmütz‹ geschworen, das er einst verteidigte. In dem allen sehe ich Inkonsequenz.«
Otto hielt mit Mühe an sich. Er durfte sich nicht verplappern und auch nur im entferntesten seine geheimen Ziele bekennen, aber sein trauriges Los als Untergebener zwang ihn, sich jedermann so weit warm zu halten, daß man wenigstens nicht an seine Zerfahrenheit glaubte. »Königl. Hoheit verkennen meine Motive. Sofern der Kaiserstaat uns frei Luft gönnt, bin ich ihm nichts weniger als feindlich gesinnt. Diesmal erweist er uns einen Dienst, denn nur im Bunde mit ihm können wir dem Auslande ein Händeweg zurufen, das gar zu gern seinen Finger in der Pastete haben möchte. Wenn wir mit Zeitungen, Schützenvereinen, Freischaren und den militärisch ohnmächtigen Bundesstaaten ins Feld ziehen, würden wir bei allen Großmächten abblitzen und ein neues Olmütz wäre das Ende.« Der König zuckte wieder unwillig und nickte dann beifällig. »Wir hätten nicht mal die Sicherheit, ob so fragwürdige Bundesbrüder wie Sachsen und Hannover bei uns durchhalten würden. Mit Österreich sind wir vor allem gefeit, auch vor dem Wohlwollen Englands.«
»Was wissen Sie von Englands Intentionen!« rief der Kronprinz entrüstet. »Bleiben wir redlich auf dem Pfade des Rechtes, so wird man uns freundlich beistehen, soweit wir wollen.«
»O, bis in die Sterne weit! Was ich von England weiß? Seine politische Geschichte lehrt, daß es jede Machtvermehrung anderer mißgünstig anschaut und unterbindet, dabei aber regelmäßig hohe Grundsätze der Moral proklamiert. Damit blendet es den gutherzigen deutschen Michel. Selbst bei unseren Konservativen, wie dem sonst nicht gerade englandfreundlichen Gerlach, finde ich den kindlichen Wahn verbreitet, England protegiere die deutschnationale Bewegung. Nichts weniger als das! Wir werden es zu unserem Schaden lernen.«
»Da Herr v. Bismarck klüger als alle ist«, der Kronprinz wurde spitz und grob, »so stelle ich jedenfalls fest, daß Seine Majestät über die Zukunft von Schleswig-Holstein noch nichts irgendwie Bindendes beschloß.«
Da der König seinem Sohn zunickte, lenkte Otto ein: »Es gibt natürlich Abstufungen. Wir könnten uns auf Garantien einlassen, wie Militärkonvention mit Kiel als Bundeshafen, so wäre Gründung eines neuen Mittelstaates nicht allzu gefährlich. Nie und nimmer aber dürfen wir ohne solche Vorsichtsmaßregeln ein neues Großherzogtum dulden, das als Geschöpf des Bundestages und der Bierbankdemagogen uns von vornherein mit Furcht und Argwohn betrachten und sich zu unserem Gegner schlagen würde. Der ist ein Schwindler und Landesverräter, wer solches für Preußen empfiehlt.« –
Als der Staatsrat aufbrach, trat der Kronprinz an den König heran und flüsterte: »Bemerke seine gerötete Gesichtsfarbe, Bismarck kommt offenbar von einem Champagnerfrühstück. Das vorhin mit der Annexion –«
»Hm, ich dachte mir schon, er führe so was im Schilde. Ich werde Costenoble befehlen, daß die bewußte Äußerung nicht amtlich zu Protokoll genommen wird. Vielleicht ist er später selber froh, nichts mehr von solchem Lapsus zu hören. Es mag ja sein, daß er bacchischen Einflüssen nicht unzugänglich war, als er sich so verschwatzte und die Zunge mit ihm durchging. Das kann dem Besten passieren.« Nachdem alle gingen, winkte der König Otto, zu bleiben. »Sind Sie Österreichs wirklich sicher?« fragte er besorgt.
»Vollkommen. Ich weiß wohl, daß Prokesch jammert: ›Der Bismarck führt uns halt am Bandel‹, doch Rechberg ist ganz befriedigt, und der eigentliche Ministerpräsident Schmerling hat ihm nichts dreinzureden, denn der Kaiser teilt Rechbergs Auffassung.«
»Und die wäre? Welche Motive bestimmen, mit uns durch dick und dünn zu gehen?«
»Zunächst der brennende Ehrgeiz des k. k. Heeres, die Solferinoscharten auszuwetzen. Sodann der Abscheu vor der zentralnationalen Bewegung in Deutschland. Eine solche Aufregung schmeckt nach Revolutionärem, und ich kann Eurer Majestät nicht verhehlen, daß auch ich eine Durchsetzung dieses Nationalismus mit subversiven Tendenzen entdeckte.« Er wußte, daß dies auf den König einigen Eindruck machte, der natürlich zwischen dem gemäßigten Hofliberalismus und dem Republikanertum eine Grenze zog. »Drittens scheint unser Standpunkt der sicherere gegenüber europäischer Einmischung. Er verlangt auch nicht gleich verzweifelte Raschheit, man läßt Dänemark den Weg zu Konzessionen offen, während Anerkennung des Augustenburger Herrn jeden Vergleich abschneidet.«
»Doch stellte sich Österreich an die Spitze der nationalen Bewegung, so würde es uns den Rang ablaufen, wenn wir bei teilweiser Anerkennung des Londoner Traktates verharren.«
»Nationale Bewegung – schon der Name ist dem k. k. Kabinett verhaßt. Natürlich wird man so in Deutschland die künstlich genährte Popularität verlieren, aber da wir das gleiche Los teilen, macht man sich nichts daraus und denkt an die übliche Erfahrung. Uns nämlich verzeiht man nichts, Österreich alles. Diesmal schneiden sie sich aber. Die Nation wird Österreich nicht verzeihen, die Regierungen freilich. Für uns aber bleibt die Hauptsache, daß Österreichs Ansehen bei den liberalen Ideologen geradeso in die Brüche geht. Von da ab wird es weit mehr abhängig von uns als wir vor ihm. Seine eigene Eifersucht treibt es in unsere Arme. Indem es an unserer Seite ficht, hindert es uns, allein die Ehre und vielleicht den Gewinn eines siegreichen Krieges zu pflücken. Ausschlag gibt die Demokratie in Schleswig-Holstein. Da habe ich den Nagel eingeschlagen. Was soll aus Österreich werden, wenn das Nationalitätsprinzip erlauben soll, sich selbst seine Fürsten zu wählen nach Laune der Bevölkerung?«
Der König nickte beifällig, schwieg dann eine Weile. »Ich verstehe, wo Sie hinaus wollen. Übrigens halte ich für meine Pflicht, Ihnen eine Eingabe von Robert Goltz einzuhändigen, der bei mir gegen Sie zu wühlen sucht. Ich muß es so nennen. Lesen Sie!«
Otto ergrimmte. Er las mit düster zusammengezogenen Brauen heillosen Unsinn. »Ich bemerke Eurer Majestät, daß dieser begabte, aber allzu eigenwillige Mann mich brieflich fragte: Wann sollen wir den Krieg führen, wozu also die Armeereform?« Der König horchte unwillig auf. »Das sagt derselbe Mann, der daneben Frankreichs Kriegsbedürfnis schildert, worin er vielleicht Recht hat, und eine neue polnische Revolution in Aussicht stellt, worin er töricht phantasiert. Goltz hat in Kissingen, wie ich weiß, entsetzlich auf unsere Politik geschimpft. Auch er verfängt sich in dem Wahn, wir müßten die deutsche Vereinsmeierei mitmachen. Heute sollen wir wohl mit Augustenburg, Koburg, v. d. Pforten alle Großmächte herausfordern und tun, was die national-liberalen Schwätzer nicht lassen können. Er mißtraut Österreich, glaubt aber doch, es werde zu uns halten, wenn wir gegen Europa den Augustenburger stützen. Der Unglückliche! Als ob die 20 Prozent Deutsche je Österreichs Politik beeinflussen könnten! Was Sie von Goltz' Vorschlägen zu halten haben, werden Eure Majestät schon daraus erkennen, daß sie mit Beust, Dalwigk, Pforten konform laufen. Eins aber sage ich: ein Gesandter hat nicht selbständige Politik zu treiben.«
»Wollen Sie, daß er geht?«
»Keineswegs. Der königliche Dienst geht voran, wir können keine Kapazität wie ihn missen. Aber er darf nicht Umtriebe stiften.«
»Ganz meine Meinung. Ich ermächtigte Sie, ihm – wie sagt man doch – einen Rüffel zu geben.«