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II.
Der Kampf gegen die Karolinger

Der Herzog Bernhard von Sachsen hatte den Wunsch geäußert, ich möge doch sogleich in die ottonischen Stammlande übersiedeln. Ich bedeutete ihm, daß ich in der Nähe des Reichskanzlers, also in Ingelheim bleiben müsse, solange man nicht sicher sei, wie weit die Herzogin Beatrix in ihren Verhandlungen kommen werde. Ich gedächte, den Winter in Frose zuzubringen, zumal ich großes Verlangen nach verschneiten Tannenwäldern und dem Dufte der Fichtennadeln habe. Es sei jedoch angebracht, die sächsischen Stammländer schon jetzt darauf vorzubereiten, daß ich sehr wahrscheinlich in den kommenden Jahren meine Residenz im Westen nehmen werde. Den Notwendigkeiten des Reiches gebühre der Vorrang, und es stehe nicht bei mir, meine Aufenthalte nach meinen persönlichen Neigungen zu bemessen. »Sprechen wir wieder von diesen Dingen in vier bis fünf Monaten«, schloß ich meine Antwort ab. »Und sprechen wir dann auch von allen östlichen Fragen, welche einer Überprüfung bedürfen, vor allem diejenige des Magdeburger Erzbistums.« – »Ich möchte Eurer Majestät nahelegen, Gisiler nicht zu entfernen«, sagte der Herzog Bernhard. »Er ist ein hervorragender Soldat. Solche Leute brauchen wir. Er mag als Charakter minderwertig sein, aber er ist ein taktisches Genie. Sonst wäre er der Slawen nicht an der Tanger Herr geworden. Es wird im Osten nicht ruhig bleiben. In zwei, drei Jahren geht es dort wieder los.« – »Das ist auch meine Ansicht. Es wird im Westen ebenfalls wieder losgehen. Deshalb lautet die Lösung: Rüstung in ganz Deutschland.« – »Und im Süden, Majestät?« – »Den Süden werden uns diesmal die Römer selbst besorgen. Dieser Papst wird sich nicht halten. Die Crescentier heben den Kopf. Wir werden ihnen keineswegs eine drauf geben, sondern mit ihnen paktieren. Lassen Sie das meine Sache sein!« – »Und Byzanz?« – »Wird zur Vernunft kommen, sobald sein ›Emissär‹ Franco di Ferruccio erledigt ist. Ich wiederhole Ihnen: Lassen Sie das meine Sache sein!« – »Eure Majestät geben der deutschen Ostpolitik den Vorrang?« – »Ich gebe der West-Ost-Politik den Vorrang für die nächste Zeit. Ich setze auf die Linien Cambrai-Magdeburg, Verdun-Prag, Epinal-Wien, Lyon-Triest und alles, was über sie östlich und westlich hinausstrahlt. Diese Erklärung ist nur für Sie bestimmt. Sie sind der größte Schweiger im Reich.« – »Ich verstehe«, sagte Bernhard, vor sich hin starrend. »Große Ziele, große Einsätze. Anders gesagt: Wir werden jahrelang in Waffen sein.« – »Vielleicht. Vorläufig arbeitet die Diplomatie. Es kann sehr lange dauern, bis mein Plan reif ist! Sie wissen, daß ich kein Freund von Überstürzungen bin ... Dieser Sommer ist eine Atempause, an deren Ende, ohne unser Zutun, dasjenige Ereignis stehen wird, das uns den Weg auf lange Jahre weist.« Der Herzog von Sachsen schaute lange vor sich hin: »Es wäre für Deutschland zu wünschen, daß Heinrich in Bayern zur Ruhe käme.« – »Selbstverständlich wäre das zu wünschen. Ich widersetze mich nicht dieser Lösung. Aber ich gehe von meinen Bedingungen nicht herunter. Und nicht von meinem Zeitpunkt. Herzog Bernhard, ich weiß, was ich will! Ich mache mir diesen Mann mürbe! Und – wenn mir das Schicksal gnädig ist – einen anderen auch noch!«

Mathilde von Quedlinburg trat zu uns. Sie war eine schöne Frau geworden und sah ihrem Vater von Jahr zu Jahr ähnlicher. Der Herzog von Sachsen verabschiedete sich. »Haben Sie sich mit ihm gezankt?« fragte Mathilde. »Im Gegenteil!« – »Dann bin ich glücklich.« – »Es ist manchmal nicht ganz leicht, Mathilde, Menschen aus den sächsischen Stammländern klarzumachen, daß eine kaiserliche Residenz nach Notwendigkeiten gewählt werden muß und nicht nach dem ›Brauch‹. Ich brauche keinen Brauch. Ich tue das Unerläßliche ... Die Deutschen sind manchmal schwierige Menschen. Sie streben immer in eine – vorgestellte oder wirkliche – Größe. Aber sie bleiben mit einem Ärmel in einer ihnen liebgewordenen Enge hängen. Diese Enge nennen sie ihren Standpunkt oder ihr Recht – und lassen an ihr ungeheure Chancen scheitern. Sie vergessen zu leicht, daß neue Tatsachen durch sich selbst erweiterte Rechte schaffen, welche die Preisgabe überkommener Rechte wettmachen ... Außerdem aber ist ihnen der Sinn des ›Bösen‹ nicht klar. Sonst hätten sie nicht soviel falsches Mitleid. Sie können sich nicht damit abfinden, daß das Schlechte ›als solches‹ besteht und ›als solches‹ ausgenutzt werden kann. Man macht es nicht gut, indem man fordert, daß es gut sei! Man bedient sich seiner zu einem Guten, oder man rottet es aus, um einem Guten Platz zu schaffen. Dieses, genau dieses, ist für mich der ›Fall‹ Heinrich von Bayern! Wo wäre der Staatsmann, der eine Position aufgibt! Und wehe erst der regierenden Frau, die dies täte! Sie wäre verloren.«

Wir gingen aus dem Kreuzgang in den unteren Garten, wo eben die Ernte der roten Herzkirschen begonnen hatte.

»Was Sie im großen erleben und durchführen«, sagte Mathilde, »leiste ich Tag für Tag im kleinen. Ich bin zu den gleichen Ergebnissen gekommen wie Sie. Und eben deswegen kann ich mich zu Ihrer Politik bekennen. Schade genug, daß es meine Mutter nicht kann!« – »Ja, das ist schade!« Wir waren bis an das Rheinufer hinuntergegangen ... »Meine Mutter«, nahm Mathilde das Gespräch wieder auf, »begreift nicht, daß die Welt im Fließen ist. Sie kann und will nicht sehen, daß auch die sogenannten ›Standpunkte‹, von denen hierzulande soviel die Rede ist, diesem Fließen unterworfen sind. Die Wandelbarkeit des menschlichen Denkens ist ihr fremd, deswegen mußte sie in einem von ihr mißverstandenen – Cluny landen. Ich habe nichts gegen Cluny, sofern es eine Angelegenheit der einzelnen menschlichen Seele bleibt.« – »Ich auch nicht. Aber ich weiß, daß es nicht darauf ankommt, das ›Ewige‹ zu suchen, sondern zu sein

Mathilde hatte sich auf den Rand der Strandmauer gesetzt. Sie schaute lange in den Strom, der in grünen, glitzernden Wellen dahintrieb ... »Zählen Sie auf mich, Theophano«, sagte sie plötzlich. »Sie wissen, daß einer Tochter immer Grenzen gezogen sind. Ich möchte diese Grenzen nicht verletzen. Meine Mutter ist eine sehr einsame Frau geworden. Sie hängt am ›Erreichten‹. Sie begreift nicht, daß es kein Erreichtes gibt, obwohl ihr doch ihr eignes Leben gerade diese Wahrheit beinahe Jahr um Jahr bewiesen hat.« – »Es wäre mir lieb, wenn die Kaiserin bald nach Italien zurückkehrte. Denn sie wird in Deutschland wenig Freude erleben.« – »Sie hofft auf das gute Ergebnis der Verhandlungen, welche Beatrix mit Heinrich führt.« – »Lassen wir ihr diese Hoffnung, aber hüten wir uns, sie zu nähren.«

 

Die Verhandlungen der Herzogin Beatrix führten im Oktober zu dem Frieden von Worms, der kein Frieden war. Ich hatte mich geweigert, Heinrich sein Herzogtum Bayern zurückzugeben. Ich hatte meine guten Gründe, die Dinge auf die Spitze zu treiben. Ich ernannte Adalbero, den ältesten Sohn der Herzogin Beatrix, zum Bischof von Metz, da Dietrich im September gestorben war, und ließ ihren Großneffen, den Sohn des Grafen Gottfried vom Hennegau, für den Bischofssitz von Verdun designieren. Das war der Lohn für ihre Bemühungen um das Reich. Sofort erhob Lothar von Frankreich Einspruch gegen diese Ernennungen. Was gingen ihn die deutschen Städte Verdun und Metz an? Anfang November erfuhren wir, daß sich Heinrich von Bayern an den französischen Königshof begeben hatte. Mitte Dezember meldeten Geheimberichte des Erzbischofs Adalbero von Reims, daß der gemeinsame Krieg Lothars und Heinrichs gegen mich beschlossen sei und die Heere sich am 1. Februar 985 in Breisach am Rhein treffen würden. Nun hatte ich, was ich wollte: den Beweis für den abermaligen Hochverratsversuch – den fünften – des Zänkers und die Falle, in die mir Lothar gehen sollte. Aber ich gedachte diesmal das Spiel anders zu spielen, als man es erwartete. Wer verrät, sagte ich mir, verrät jedermann. Wie schwach die Lage Heinrichs war, ging aus seinem Verzweiflungsschritt hervor. Ich ließ ihm also, abermals durch die Herzogin Beatrix, Verhandlungen anbieten, gab aber die Weisung, diese bis Ende Januar hinauszuziehen und große Versprechungen zu machen. Als Lothar mit dem neunzehnjährigen Kronprinzen Ludwig nach Breisach kam, fand er sich allein. Heinrich hatte es vorgezogen, nicht zu erscheinen. Nun konnte – wie verabredet worden war – der Herzog Konrad von Schwaben, zu dessen Hoheitsgebiet Breisach gehörte, gegen den französischen Friedensbrecher losschlagen. Lothars Heer wurde in der Schlucht von Gérardmer fast vernichtet, er selbst und sein Sohn vermochten sich unter Lebensgefahr eben noch über die französische Grenze zu retten. Es war mir gar nicht unerwünscht, daß er entkommen war, denn ich konnte nun meine französische Politik auf jene große Linie stellen, die mir zwar Geduld auferlegte, aber auch die Möglichkeit gab, Frankreich von innen aufzurollen, ohne deutsches Gold und deutsches Blut zu opfern. Ich konnte gegen die beiden letzten Karolinger den Herzog Hugo Kapet ausspielen, der schon lange nach dem französischen Thron schielte. Die geheimen Abmachungen, welche zwischen ihm und dem Kaiser Otto an Ostern 981 in Rom getroffen worden waren, bestanden ja noch zu Recht. Und den Zänker hatte ich vollends in der Hand. Ich ließ ihm sein verkleinertes Herzogtum – so wie es nach den Abtrennungen des Jahres 976 Glaukós übernommen hatte – durch Beatrix anbieten, nachdem ich mich mit Herzog Heinrich-Hezilo von Bayern und Herzog Otto von Kärnten dahin geeinigt hatte, daß dieser in seinem Stammland Franken entschädigt würde und jener seine ursprüngliche Herrschaft Kärnten wieder übernähme. Wollte der Zänker seine allerletzte Chance nicht verspielen, so blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzugreifen. Er tat es, schon Ende Februar, vier Monate vor der Unterzeichnung des Friedensvertrages, um seinem Sohne ein Erbe zu sichern, obwohl er wußte, daß Bayern nun für ihn zum Gefängnis werden müsse. Denn er war ringsum von Gegnern eingeschlossen, welche nicht gewillt waren, ihm auch nur die kleinsten Übergriffe zu erlauben: im Norden von dem Grafen Berthold vom Nordgau, im Osten von dem Markgrafen von Österreich, im Südosten und Süden von dem Herzog von Kärnten, im Westen von dem Herzog von Schwaben. Außerdem aber wußte er, daß er bei einem neuen Aufstandsversuch für vogelfrei erklärt werden würde.

Lothar, außer sich über den Verrat, den er mir in die Schuhe schob, und bis aufs Blut gereizt durch die Niederlage im Elsaß, hatte schon im März die zu Oberlothringen gehörende deutsche Stadt Verdun besetzt und sämtliche Verwandte des Herzogshauses, die er dort vorfand, ins Gefängnis geworfen, darunter den Grafen Gottfried vom Hennegau und dessen zum Bischof designierten Sohn Adalbero. Gegen den Erzbischof Adalbero von Reims aber hatte er – wegen Begünstigung des Reiches – den Hochverratsprozeß angestrengt. Der Krieg mit Frankreich war also abermals ausgebrochen.

 

Ich kehrte im April 985 nach Ingelheim zurück, nachdem ich – wie es mit dem Herzog Bernhard von Sachsen ausgemacht worden war – den Winter in den Stammländern zugebracht hatte. Gisiler von Magdeburg hatte sich unterworfen. Ich hatte ihm die Bedingung gestellt, daß er die doppelte Truppenmacht wie seither aufzustellen und jeder an ihn ergehenden Aufforderung des Herzogs von Sachsen Folge zu leisten habe. Vom Hofe hielt ich ihn fern. Er wußte, daß er fortan in jedem seiner Schritte überwacht sein würde. Das Erzbistum Köln war schon zu Ende des Jahres 984 an den Grafen Everger gegeben worden. Die Auseinandersetzung mit Ekbert von Trier stand noch bevor. Ich wartete auf den geeigneten Augenblick, um diesen hartnäckigen jungen Mann, für den ich niemals ein freundliches Gefühl aufgebracht hatte, meinen Absichten gefügig zu machen. Ich wartete vor allem auf die Klärung der Verhältnisse in Rom, wo immer noch der Doppelmörder Franco di Ferruccio als Bonifatius VII. die Tiara trug. Der Herzog Hugo von Tuskien hatte mich wissen lassen, daß ein Eingreifen unnötig sei, da die Römer selbst dieses Papstes überdrüssig geworden seien. Er hatte den rechtmäßigen Papst Johann XIV. in der Engelsburg verhungern lassen und sich dadurch einen tödlichen Haß, besonders bei der deutschgesinnten Faktion, zugezogen. Ich ließ schon damals dem Patricius Johannes Crescentius mitteilen, daß ich ihn anerkennen werde, wenn er Rom von dem Ungeheuer befreie, das die päpstliche Macht und die Ehre der Römer in der gesamten christlichen Welt in Verruf bringe. Der deutschen Faktion aber ließ ich nahelegen, sich mit Crescentius auf guten Fuß zu stellen, die Wahl eines neuen, dem Reich freundlich gesinnten Papstes in angemessener Zurückhaltung zu betreiben und sich auf Hugo von Tuskien zu stützen. Schon Ende März war es gelungen, Franco di Ferruccio zu beseitigen. Seine Leiche wurde von dem wütenden Pöbel durch die Straßen geschleift und schließlich an der Reiterstatue des Mark Aurel aufgehängt, wo sie der öffentlichen Schändung preisgegeben war. Am 10. Mai erreichte uns diese langerwartete Nachricht. Zu seinem Nachfolger war ausersehen der Sohn des Presbyters Leo, dessen Bestätigung Ende Mai Hugo von Tuskien bei mir befürwortete: An seiner kaiserlichen Gesinnung könne kein Zweifel bestehen. Um dieselbe Zeit teilte mir Gerbert von Aurillac mit, daß das durch König Lothar von Frankreich gegen den Erzbischof Adalbero von Reims anberaumte Hochverratskonzil von Hugo Kapet auseinandergesprengt worden sei, daß aber nach dieser Tat zwischen Lothar und Hugo eine Aussöhnung stattgefunden habe, da man über die bevorstehende Einigung des Reiches mit Heinrich von Bayern unterrichtet sei. Wir lachten, denn wir wußten, was wir von dieser »Aussöhnung« zu halten hatten ...

Es war Ende Juni geworden. Ich bestätigte den neuen Papst, welcher den Namen Johann XV. annahm, und ließ ihm – für den Kirchenschatz – einen Sack voll Byzantiner senden. Auch einige Stuten aus dem kaiserlichen Marstall, da er ein großer Pferdeliebhaber war ...

Der Vertrag mit Heinrich von Bayern wurde am 29. Juni in Frankfurt unterzeichnet. Ich hatte auf diesem Datum bestanden: Genau vor einem Jahr hatte mir der Zänker in Rara mein Kind zurückgeben müssen. Ich ersparte mir die Reise nach Frankfurt. Wer damit gerechnet hatte, ich würde nun auch zu einer persönlichen Versöhnung bereit sein, irrte sich. Ich ließ dem »von Reiches wegen« Wiedereingesetzten mitteilen, er müsse mir zehn Jahre in unverbrüchlicher Treue gedient haben, ehe ihm erlaubt würde, vor meinem Antlitz zu erscheinen. Er kehrte als müder, durch eigene Schuld gebrochener Mann in sein Herzogtum zurück, von dem ihm nach der Verschwörung des Jahres 976 zwei Drittel fortgenommen worden waren, und fiel in Vergessenheit.

Nun hatte ich die Hände frei. Nun konnte ich den gewaltigen Kampf beginnen, von dessen Notwendigkeit ich seit dem Einmarsch des Königs Lothar in Schwaben und Oberlothringen überzeugt war: den Kampf gegen Frankreich.

 

In den ersten Julitagen sandte ich Leo Akritas nach Byzanz. Die byzantinische Einmischung war durch das Ende des Franco di Ferruccio jammervoll gescheitert. Die oströmischen Emissäre hatten auf Verlangen des Papstes und des Patricius Crescentius innerhalb von achtundvierzig Stunden das Gebiet des Kirchenstaates verlassen müssen. Es war nicht anzunehmen, daß der vielbeschäftigte Basileios II. abermals Lust auf ein italisches Abenteuer verspüren würde. Ich hatte mit Willigis einen Nichtangriffs- und Nichteinmischungspakt entworfen, welcher, sofern ihn der Basileus annahm, die Fortsetzung der von dem Kaiser Tsimiskes festgelegten Politik erlaubte. Ich war sicher, daß Basileios mit Freuden zugreifen würde, da er Frieden mit dem Abendland brauchte. Ich hatte keinen unbedingten Verzicht auf die Themen ausgesprochen, ihm aber mit meinem Worte dafür gebürgt, daß während der Jahre meiner Regentschaft ein süditalischer Angriffskrieg niemals geführt werden würde.

Als sich eben gerade Leo Akritas verabschiedete, wurde die Kaiserin Adelheid gemeldet. Schon die Art, wie sie das Zimmer betrat, verriet, daß sie sehr erregt war. »Ist es wahr«, fragte sie hastig, »daß Sie das Hoflager vom 25. Juli an nach Chèvremont in Niederlothringen verlegen wollen?« – »Ja, Majestät, das ist wahr.« – »Wollen Sie etwa den Krieg gegen Lothar eröffnen?« – »Lothar hat den Krieg gegen mich eröffnet. Das werden Sie wohl nicht abstreiten können. Ich möchte Ihnen etwas sagen, das mir eine unerwünschte Unterhaltung erspart: Ich bitte Sie, sich innerhalb dieses Monates auf Ihren italischen Posten zu begeben, wo Sie jetzt nötig sind. Wenn Sie es aber vorziehen, in Deutschland oder Burgund zu bleiben, wenn Sie sich vielleicht sogar lieber bei Ihrem Schwiegersohne Lothar im französischen Laon aufzuhalten wünschen, so müßte ich – wenigstens vorübergehend – den Herzog von Tuskien zu Ihrem Nachfolger bestellen. Ich habe keine Lust mehr, mich mit Ihnen über Kompetenzfragen herumzuzanken. Ich bitte Sie hiermit zum letzten Male, sich ausschließlich mit italischen Fragen zu beschäftigen. Es ist wichtig, daß die Reichsverweserin in Pavia anwesend sei. Da Sie ja Heinrich von Bayern wieder unter Dach und Fach wissen, da Sie Zeit genug hatten, festzustellen, wes Geistes Kind Ihr Schwiegersohn Lothar ist, kann Sie doch ein Aufenthalt an meinem Hofe kaum noch locken. Der Erzkanzler hat bewiesen, daß er ausgezeichnete Politik zu machen versteht. Wollen wir also ihm alle weiteren Entscheidungen überlassen. Mich selbst müssen Sie für heute entschuldigen. Ich bin im Begriff, mit Hugo von der Wetterau auf das Jagdhaus Schlangenbad zu reiten. Die Fähre nach Eltville wartet schon. Ich habe Ihnen morgen einige wichtige Aufträge für den neuen Papst zu übermitteln. Lassen Sie mich bitte wissen, welche Stunde Ihnen angenehm ist. Am Abend bin ich nicht frei, da ich Michaël von Massafra und Anastasia Dalassena aus Köln erwarte.« Adelheid fing laut zu weinen an: »Mein Gott, noch einmal Krieg mit Frankreich!« – »Ich habe ihn nicht gewollt, Majestät. Und ich weiß auch gar nicht, ob er jemals geführt wird! Das steht bei Ihrem Schwiegersohn. Wenn er aus Verdun herausgeht, die Gefangenen freigibt, die geforderten Entschädigungen zahlt und dreißig Meilen von der deutschen Grenze entfernt keine Garnisonen mehr unterhält, will ich mich – bei Belassung einer Bewährungsfrist von zwanzig Jahren – zufrieden geben. Wenn nicht, werden die Dinge ihren Lauf nehmen, den ich nicht bestimmen kann. Ich habe an einen Sohn zu denken, den zukünftigen Kaiser!« – »Und ich an eine Tochter, die Königin von Frankreich!« – »Sie werden zugeben, daß da noch ein Unterschied ist! Ich begreife, daß Sie leiden. Es sei mir ferne, Ihr Leid zu vermehren! Aber erst kommt das Reich – und dann kommt Ihr Leid. Wenn Sie wieder in Ihrem Wirkungskreis stehen, werden Sie die Welt mit klareren Augen betrachten als jetzt. Also bis morgen ...«

 

Ich hatte der Kaiserin Adelheid mit Absicht verschwiegen, daß sich auch der Erzkanzler Willigis auf dem Jagdschloß Schlangenbad einfinden würde. Aber ich hatte den Ort genannt, um keiner Lüge überführt werden zu können. Es galt die Linien der deutsch-französischen Politik festzulegen, das heißt die Gesichtspunkte zu erwägen, nach denen westliche Politik überhaupt betrieben werden konnte.

Wir ritten durch funkelnde Bläue und jenen gelösten Tannenduft, der nach heftigem Regen die gewaschenen Lüfte erfüllt. Am späten Nachmittag kamen wir an. Es war beschlossen worden, erst in der Frühe des nächsten Tages zurückzukehren, damit die Abendstunden ausgenützt werden könnten. Wir speisten zeitig und saßen dann auf dem Holzbalkon des oberen Geschosses, der gegen Süden wies. Ich sprach als erste:

»Sie wissen, daß ich immer der Ansicht war, die deutsche Zukunft liege im Osten, und nicht im Süden. Man besitzt nur, was man sich erworben und geformt hat. Im Osten Deutschlands liegen dünn bevölkerte Länder, welche nur auf die erobernde und formende Hand warten. Sie sind von slawischen Stämmen bewohnt, welche unterworfen werden können, wenn eine geschickte Siedlungs-, Kolonisations- und Christianisierungspolitik getrieben wird. Die Stetigkeit dieser Politik ist wichtiger als ihre Heftigkeit. Sie kann nur durchgeführt werden von überzeugten Anhängern des östlichen Entwicklungsgedankens und kostet selbstverständlich Opfer. Aber was kostete nicht Opfer? Einem Reich, das sich nach Osten hin entfalten will, können nicht im Westen die Hände gebunden sein durch einen Nachbarn, der sich auf seine Kosten bereichern und stark machen möchte. Dieser Nachbar ist das französische Königtum, so wie es sich in den letzten Karolingern verkörpert. Es lebt aus Ansprüchen, deren Brüchigkeit es selbst vor der Macht der Wirklichkeit einsieht, deren Antriebskraft es jedoch richtig einschätzt. Die ottonische Dynastie hat merkwürdigerweise dem Westen zu wenig Beachtung geschenkt. Sie hat gegen ihn gekämpft, sie hat sogar – ich brauche nur an Brun von Köln zu denken – eine Art Vormundschaft über die französische Feudalität ausgeübt: aber sie hat niemals ernsthaft erwogen, ob denn dieser Westen nicht – mutatis mutandis – in das Reich einzubeziehen sei, welches im Jahr 962 wieder erstand. Ich erwäge diese Möglichkeit, weil mich die Wirklichkeiten zu dieser Erwägung gebracht haben: nicht eine vorgefaßte ›Idee‹. Es ist mir niemals der Gedanke gekommen, Frankreich zu ›zerstören‹. Man vernichtet vielleicht ein Barbarenvolk, aber man zerstört nicht ein Staatswesen, das zwar noch in sehr primitiven, ja rohen Formen lebt, aber Voraussetzungen zu einer hohen Entwicklung in sich trägt. Was mir vorschwebt, sind zwei Arten der deutsch-französischen Angleichung: Entweder Frankreich tritt zu Deutschland in das gleiche Verhältnis wie Italien oder, wenn dies nicht möglich wäre, wie Burgund. Im ersten Falle hätte das französische Königtum zu verschwinden, das heißt auf den deutschen Kaiser überzugehen, unter Belassung eines Reichsverwesers in Frankreich, welchem, wie in Italien, der Königstitel zugestanden werden könnte. Im zweiten Falle behielte Frankreich seinen ›angestammten‹ König, welcher jedoch unter keinen Umständen mehr ein karolingischer sein dürfte und sich so an das Reich anlehnen müßte wie der König von Burgund. Diese zweite Lösung wäre besser als gar keine. Aber ich würde sie als einen Notbehelf empfinden. Damit sage ich also, daß ich die erste anstrebe. Um zu ihr zu gelangen, muß das karolingische Erbkönigtum beseitigt werden. Ich bin entschlossen, die Karolinger zu beseitigen. Ihre Unterwerfung genügt mir nicht mehr. Lothar ist unser geschworener Feind. Er wird noch zehn Verträge unterzeichnen – und er wird deren elf brechen. Daß er der Schwiegersohn der Kaiserin Adelheid ist, geht mich gar nichts an. Ich habe oft genug ausgesprochen, daß ich mit jeder Sippenpolitik aufräume, nach innen und nach außen. Es kann einem, sofern man über ein ›absolutes‹ Staatsgefühl verfügt, übel werden, wenn man an die spermatischen Koagulationen des Abendlandes denkt. Man hat hier den ewig gleichen faden Blutgeruch in der Nase. Man kann keine Politik großen Stiles betreiben, weil man an allen Ecken und Enden auf Gevatterschaften stößt, welche ›berücksichtigt‹ werden wollen. Große Politik aber setzt Rücksichtslosigkeiten voraus. Ich bin bereit, rücksichtslos zu sein, wie ich es ja schon einige Male mit Erfolg gewesen bin. Wenn mir morgen Lothar Friedensvorschläge machte, würde ich ihm Bedingungen stellen, die er gar nicht annehmen könnte. Denn ich will keinen Frieden mit ihm. Ich will den Kriegszustand, an dem er sich aufreibt. Seine Gesundheit ist – Gott sei Dank – schlecht. Das viele Kopfweh, über das er klagt, läßt auf einen Tumor schließen. Da er schon lange an einem Tumor der Überheblichkeit leidet, wäre in ihm eine Art tumoroser Zusammenarbeit denkbar, welche ihn vielleicht zur Strecke brächte, ehe wir einen Pfeil abgeschossen oder einen Schwerthieb ausgeteilt hätten. Daß wir – seinen Tod vorausgesetzt – mit dem Kronprinzen Ludwig fertig werden, bedarf keiner Erwähnung. Dieser arme Kerl tut mir im Grunde leid. Ich werde ihm eine anständige Sinekure schenken, sobald er erst vom Schauplatz abgetreten ist. An seinem Vater hat er kein allzu rühmliches Vorbild, von seiner Mutter ist nicht viel mehr zu sagen, als daß sie wenigstens durch ihren nichtsnutzig-genialen und gut parfümierten Liebhaber Ascelin von Laon ein gewisses Relief erhält, seine Großmutter Adelheid schreibt ihm pastorale Erbauungsbriefe, und sein Oheim Karl von Niederlothringen wartet nur darauf, daß er mit Lothar in der gleichen Katastrophe auf Nimmerwiedersehn verschwinde. Die jungen Prinzen und Grafen, die mit ihm erzogen worden sind, machen sich über ihn lustig, weil er, dank allzu sparsamer Ausstattung, der Unersättlichkeit der alten Gévaudan nicht gerecht werden konnte, und fragen sich, ob solche Spärlichkeit jemals einen Thronfolger werde zustande bringen. Vielleicht halten sie sich zu entsprechender Hilfeleistung bereit, denn ob sie nun de Normandie, de Bourgogne, de France, de Vermandois, de Chartres, de Troyes heißen: sie haben alle einen Spritzer der gleichen Essenz in den Adern, und der Apfel würde nicht allzu weit vom Stamm fallen. Es ist keine Redensart, wenn ich sage, daß dieser Junge mir leid tut! Ich würde ihn, wäre morgen die karolingische Herrlichkeit zu Ende, sofort in Schutz nehmen gegen seinen Oheim Karl, welchem ich zwar – aus kältester Berechnung – zu seinem deutschen Herzogtum Niederlothringen verholfen habe, indem ich die Entschlüsse der Versammlung von Diedenhofen im April 977 beeinflußte, aber gewaltig ins Handwerk pfuschen würde, wenn er sich jemals einfallen lassen sollte, Ansprüche auf den französischen Thron zu erheben. Ein Karolinger ist den anderen wert. Will ich von Lothar nichts wissen, so will ich auch von Lothars Bruder Karl nichts wissen! Denn der könnte, als Herzog von Niederlothringen, ja noch gefährlicher werden als Lothar! Seine Ernennung erfolgte, damit man ihn gegen den französischen König ausspielen könne, nicht aber, damit er dessen Rolle mit erweiterten Ansprüchen übernehme. Er wird noch eine Aufgabe für das Reich zu erfüllen haben, wenn die Dinge den Lauf nehmen, den ich wünsche. Aber davon wird erst viel später zu sprechen sein. Sein Sohn aus erster, ebenbürtiger Ehe, Otto, ist ganz am deutschen Hofe und in deutschem Sinne erzogen worden. Er ist, wie Sie wissen, jetzt zehn Jahre alt und ein begabter Knabe. Karolingische Ansprüche kennt er nicht. Er weiß auch, daß die Franzosen seinem Vater kein Recht auf den Thron zusprechen würden, weil dieser Vater sich erstens: durch die Annahme einer deutschen Herzogswürde selbst aus dem französischen Staatsverbande gelöst und zweitens: durch seine unebenbürtige zweite Heirat mit der Tochter eines kapetingischen Vasallen aus seinen Königsrechten enthoben hat. Das Äußerste, das Otto also erhoffen kann, ist, daß man ihm das Herzogtum Niederlothringen anvertraue, sofern er sich eines Tages einer solchen Erbschaft würdig erwiese ... Der fünfte karolingische Verwandte, der heute noch lebt, ist jener Bastard Lothars, welcher den Namen Arnulf trägt und durch seinen Lebenswandel die Bewohner der Provinz Laon in Atem hält. Es ist kein Grund vorhanden, sich mit diesem zwanzigjährigen jungen Mann heute zu beschäftigen ... Aus meinen Darlegungen geht hervor, daß ich nicht die Absicht hege, jetzt in Frankreich einzumarschieren. Wenn ich das Hoflager nach Chèvremont verlegen lasse, so ist es einmal, um den Herzog Karl zu beobachten, sodann aber, um rascher über die Vorgänge in Oberlothringen und Frankreich unterrichtet werden zu können.

Sie wissen, daß die Herzogin Beatrix und ihr Neffe, der Erzbischof Adalbero von Reims, unsere zuverlässigsten Anhänger sind. Selbstverständlich werde ich in Niederlothringen beträchtliche Reichstruppen, Sachsen, Franken und Schwaben, zusammenziehen, welche dem Oberbefehl des Grafen Jozelin de Chèvremont, des Gatten meiner Jugendfreundin Anastasia Dallassena, unterstellt bleiben. Auch der Erzbischof Ekbert von Trier wird jetzt Gelegenheit bekommen, seine Gaunerei vom Februar 984 dadurch gutzumachen, daß er für ›Heereszwecke‹ bis auf den Grund seiner Privatschatulle greift. Weigert er sich, so wird der Papst Johann XV. eine Ernennung aufheben, die meinen politischen Zielen schädlich ist. Brauchbarer Ersatz wäre rasch aus St. Pantaleon beschafft. Es wird aber kaum so weit kommen. Gerade die hohen geistlichen Herren sind ausgezeichnete Rechenmeister. In zwei Worten zusammengefaßt, wird also unsere Haltung fürs erste sein müssen: unser eigentliches Ziel geheimzuhalten und die nächsten Schritte Lothars abzuwarten, ehe wir militärisch eingreifen. Eine Vermittlung der Kaiserin Adelheid habe ich abgelehnt. Sie wird sich – ich nehme an über Burgund und den Mont Cenis – noch vor unserer Abreise in ihre Residenz Pavia begeben.«

Der Erzkanzler Willigis, welcher mir mit angespanntester Aufmerksamkeit zugehört hatte, leerte seinen Becher und stützte dann den Kopf in die breite, bäurische Hand. »Ich möchte mich erst äußern«, sagte er, »wenn der Graf von der Wetterau gesprochen hat.« Hugo begann: »Wenn ich dem Plane der Kaiserin zustimme, so ist es, weil ich in der Renovatio Imperii Romanorum im karolingischen Sinne, aber unter ottonischem Siegel, die einzige Möglichkeit sehe, die Gesamtheit der europäischen Werte zu retten, welche mir am Herzen liegen. Die französische Absonderung aus der karolingischen Gemeinschaft des 9. Jahrhunderts, wie sie die barbarische Unsitte der Reichsteilungen nach sich zog, stellt eine große Gefahr für die abendländische Einheit dar. Ich hatte das Glück, jahrelang in Byzanz zu leben und dort zu spüren, was die Atmosphäre einer in sich selbst ruhenden und sich gleichzeitig aus sich selbst belebenden Kultur bedeutet. Der Versuch Karls des Großen, ein Ähnliches im Abendland zu schaffen, ist aus politischen Gründen, welche wiederum auf Gründe germanischer Überkommenheiten zurückgingen, gescheitert. Die christliche Durchdringungskraft des 8. und 9. Jahrhunderts genügte nicht, die Seelen umzuwandeln und für den Gedanken der abendländischen Gemeinschaft reif zu machen. Es fehlte vor allem das überzeugende Beispiel der Päpste selbst. Daß aber trotz dieses Scheiterns noch heute der karolingische Gedanke in einer Elite lebendig ist, beweist, daß er mit dem Zerfall der Form, in welcher er sich ausdrückte, nicht selbst zerfiel. Otto der Große hat durch seine politische Leistung den Beweis erbracht, daß wir schon wieder mitten in einer abendländischen Wiedergeburt begriffen sind. Es versteht sich also für mich von selbst, daß alle Elemente, welche sich dieser Wiedergeburt entgegenstellen, nicht nur bekämpft, sondern ausgeschaltet werden müssen. Es hätte durchaus sein können, daß diese Wiedergeburt von Frankreich ausgegangen wäre: wenn Frankreich in der Lage gewesen wäre, im Europa des 10. Jahrhunderts die politische Führung zu übernehmen. In dieser Lage war es nicht, weil es dem schlimmsten Feudalismus, wie er sich nach dem karolingischen Zusammenbruch herausbildete, verfallen blieb. Wo die feudale Willkür herrscht – denn Feudalität ist immer Willkür –, gibt es kein Gedeihen. Deutschland konnte die Führung übernehmen, erstens: weil es Heinrich I. gelang, ein ungefähr einheitliches Deutschland zu schaffen trotz Beibehaltung der Stammesgewalten, und zweitens: weil Otto I. in diesem so beschaffenen Deutschland die Stammesgewalten in Reichsämter umzugestalten verstand, welche dem Willen der königlich-kaiserlichen Oberherrschaft unterworfen blieben. Es ist heute gleichgültig, ob diese Entwicklung von der Feudalität gutgeheißen oder nicht gutgeheißen wird. Sie ist vollzogen. Wer sie verneint, verneint, ohne zu wissen, was er tut, die Vormachtstellung Deutschlands im Abendland und die Neugestaltung des Abendlandes selbst. Frankreich verneint diese Hegemonie Deutschlands, auch wenn es – je nach Bedarf – von Zeit zu Zeit so tut, als ob es sie anerkenne. Ich erwähne nur die Verträge von Visé und Margut-sur-Chiers! Frankreich lebt im Geiste des Feudalismus – die Könige können ein Lied davon singen – und wird sich, aus diesem Geiste heraus, immer gegen die ›Unterdrückerdynastie‹ der Ottonen stellen. Es ist bezeichnend für die Haltung des französischen Königtums, daß es immer den deutschen Rebellen Zuflucht und Unterstützung gewährt. Es genügt ja, an die Reginarsöhne und an Heinrich von Bayern zu denken. In keinem König aber hat sich der Haß gegen Deutschlands Übergewicht so unverhohlen offenbart wie in Lothar. Dieser Mann ist der geschworene Feind der abendländischen Wiedergeburt. Seine ›karolingischen‹ Ansprüche sind, ich möchte sagen, örtlicher Natur. Vom wahren karolingischen, weltverbindlichen, in die höhere Einheit drängenden Geiste lebt in ihm nicht ein Atom. Er ist ein zäher, in seiner Art nicht untüchtiger, aber vom Geiste der westlichen Wiedergeburt nicht einmal angehauchter ›Nominalkönig ‹: ein Hindernis auf einem großartig aufdämmernden Weg, das zu beseitigen ist. Aber ich gehe noch weiter: ich sage, daß es überhaupt kein französisches Königtum mehr geben darf. Ist die königliche und imperiale Führung an Deutschland übergegangen, so gibt es eben nur einen einzigen abendländischen König und Kaiser: den deutschen, welcher ›de se‹ König jedes einzelnen ihm zugehörenden Landes ist. Es muß also auch der König von Burgund verschwinden. Was ich hier vorbringe, ist die einheitliche Linie einer deutschen Reichspolitik auf lange Sicht und viele Jahrzehnte. Ein großes Reich kann nur bestehen, wenn es aus einer großen Idee heraus lebt und in ihr weiterschreitet – ungeachtet der Rückschläge, die es bei ihrer allmählichen Durchführung erleidet. Für die von mir verfochtene Idee bin ich bereit, mich einzusetzen und zu opfern. Sie hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. An eine abendländische ›Konföderation‹ glaube ich nicht. Wo keine Führung ist, ist auch keine Gemeinschaft. Daß Deutschland heute führt, ist die Gnade, die ihm das Schicksal zugewiesen hat. Wenn es diese Gnade verspielt, muß es die Folgen tragen.«

»Ich nehme Sie beim Wort, Graf Hugo«, sagte der Erzkanzler, »und ich mache Ihren letzten Satz zum Ausgangspunkt meiner Erörterungen. Was Sie uns vorgetragen haben, begreift sich, wenn man es, wie Sie selbst sagten, als ein politisches Programm auf ›lange Sicht und viele Jahrzehnte‹ ansieht. Mit dieser Einschränkung ersparen Sie sich den Vorwurf, im Theoretischen steckenzubleiben. Es ist auch sehr lobenswert, daß Sie es vermieden haben, einer Propagierung des von Ihnen Angestrebten das Wort zu reden. Sie haben zu lange Zeit als Adjutant des verstorbenen Kaisers praktische politische Arbeit geleistet, als daß Sie jenen Maulhelden zustimmen könnten, welche einen brauchbaren Gedanken im Schwall ihrer Worte schon ersticken, ehe er in den Herzen der Menschen Wurzel geschlagen hat. Da wir nicht hier zusammengekommen sind, um uns Weihrauch zu streuen, sondern staatsmännische Vorarbeit zu leisten, werde ich mit jener Offenheit sprechen, welche mir mein Amt zur Pflicht macht. Sowohl Ihre Majestät als auch Sie selbst, Graf Hugo, haben in Ihren [Ausführungen] ein sehr Wesentliches vergessen: Eine Rückgliederung Frankreichs an das Reich ist den Deutschen nicht nur fremd, sondern unerwünscht. Es denkt heute niemand mehr – im Sinne des 8. und 9. Jahrhunderts – karolingisch. Die Renovatio Imperii Romanorum, wie sie Otto der Große angestrebt und erreicht hat, ist niemals als Teil einer faktischen karolingischen Wiederherstellung gedacht gewesen, sondern als eine Art Angleichung an das imperiale karolingische Prinzip, Ostrom eine Art ebenbürtigen Westroms als politisches Gegengewicht an die Seite zu stellen. Wenn Otto I. auf die Ein- oder Angliederung Frankreichs verzichtete, so wußte er, warum. Er konnte sich in seinem eignen Land nur mit größter Mühe der herzoglichen Stammesgewalten entledigen, aber es wäre ihm unmöglich gewesen, der westfränkischen Herzöge Herr zu werden. Und hätte er diesen ihre Rechte, vor allem ihre vom Königtum verbürgten Erbrechte, belassen: so wäre in Deutschland die feudale Revolution ausgebrochen. Die Deutschen hätten – mit vollem Recht – gesagt: was den französischen Herzögen recht ist, ist den deutschen billig – und wahrscheinlich mit ihren westlichen ›Kollegen‹, wenn ich so sagen darf, gemeinsame Sache gegen die übergeordnete Gewalt des Königtums gemacht. Das Chaos wäre ausgebrochen und Europa vielleicht einem neuen sarazenischen Überfall von Spanien her ausgesetzt gewesen wie im Jahre 732. Es kam dem Kaiser Otto nur darauf an, Frankreich in einer Art Oberaufsicht zu halten, die Stammesgewalten gegeneinander auszuspielen und das Königtum nicht stärker werden zu lassen, als es die Sicherheit der deutschen Westgrenzen verlangte. Ich glaube, daß wir uns darauf beschränken müssen, das gleiche zu tun. Denn die Macht der französischen Stammesherzöge ist nicht gesunken, sondern gewachsen, und einem ›erledigten‹ karolingischen Königtum würde auf dem Fuße ein kapetingisches folgen. Dessen können Sie ganz sicher sein. Denn über diese Frage bin ich durch meine eignen Agenten sehr genau unterrichtet. Ich möchte Eure Majestät bitten, sich nicht unbedingt auf den Erzbischof Adalbero von Reims und seinen Handlanger, Gerbert von Aurillac, zu verlassen. Adalbero handelt gegen seinen König genauso wie die feudalen Stammesgewalten. Denn was ist er denn schließlich anderes als ein Feudaler, der aus dem Sippendenken nicht herauskommt und gar nicht herauswill, weil er darin seinen Vorteil findet? Er bedient sich, in sehr geschickter, wenn auch etwas allzu durchsichtiger Weise, des Reiches, wo dies sein persönlicher Vorteil verlangt. Er hat sich nicht gegen Lothar erhoben, weil dieser das ›Reich‹ angriff – dann hätte er schon im Februar 85 bei dem Marsch auf Breisach Einspruch erheben müssen –, sondern weil die von Lothar im März 85 besetzte Festung Verdun zu Oberlothringen gehört! Dort aber regiert Adalberos Familie! Er konnte allerdings seiner Auflehnung – als Kirchenfürst – eine sittliche Begründung geben: Er konnte ›im Namen Gottes‹ den Bruch des ›feierlich beschworenen ‹ Vertrages von Margut-sur-Chiers brandmarken. Er hat es getan, aber ich nehme an, es ist ihm infolge christlicher Gewissenserregung kein Zahn aus dem Kiefer gefallen! Adalbero schmeichelt dem Reich, weil der Vorteil seiner Familie beim Reiche liegt und weil die der kaiserlichen Suprematie unterstellte deutsche Geistlichkeit einen viel höheren Rang einnimmt als die von der Gnade der Stammesherzöge abhängende französische. Daß er ernsthaft die Vernichtung des französischen Königtums wünscht, glaube ich nicht. Er ist zu gescheit, um nicht die Gefahren eines Unterfangens zu erkennen, das ihm den Kopf kosten könnte. Dagegen halte ich ihn für einen geschworenen Feind der Karolinger und – im Bunde mit seiner jugendlichen Tante Beatrix von Oberlothringen – für den geheimen Schrittmacher einer zukünftigen kapetingischen Dynastie. Wir haben also die Aufgabe, auch die kapetingischen Machenschaften heute schon zu beobachten. Wenn ich jemandem mißtraue, so ist es Hugo Kapet. Er ist der Schleicher in den Kulissen der Politik, ein unfürstlicher und schmieriger Mann. Auch seine Freundschaft mit dem separatistischen Bischof Arnulf von Orléans ist gefährlich. Man weiß, daß in dessen Kopf der Gedanke der Errichtung einer von Rom losgelösten französischen Nationalkirche spukt, weswegen ihm Adalbero von Reims so aufsässig ist. Ich kann mich also durchaus nicht ohne weiteres für die ›Beseitigung‹ der karolingischen Dynastie in Frankreich einsetzen. Ich kann – mit gutem Gewissen – nur eine dauernde Schwächung Frankreichs betreiben, erstens: durch Niederhaltung der Karolinger, zweitens: durch Anzettelung von Händeln, welche Hugo Kapet nicht zu Atem kommen lassen, drittens: durch Stärkung der imperial-kurial gesinnten Geistlichkeit, viertens: durch Begünstigung des Königreichs Burgund, der Grafschaft Toulouse und des Herzogtums Bretagne, welche alle drei dem französischen Königtum feindlich gesinnt sind. Das ist positive Politik, welche sich in den Grenzen des Möglichen hält, das heißt das kaum gefügte Reich nicht gefährdet. Das Hemd, Majestät, ist dem Leib näher als der Rock. Ich muß, als deutscher Erzkanzler, zuerst an das Hemd denken. Der Rock, also, um mit dem Grafen Hugo zu sprechen: die ›abendländische Einheit‹, kommt nachher. Nichts für ungut, Graf Hugo, wir kennen uns und Sie wissen, daß es ohne eine Pflaume bei mir nicht abgeht. Über die ›abendländische Kultur‹ wollen wir nachher ein Wort sagen. Vielleicht erlaubt es die Kaiserin, daß wir uns ein wenig Bewegung machen – ohne politisches Gespräch. Ich bin nun halt einmal ein gefühlvoller Deutscher, und ich erbaue mich immer noch, wie als Knabe, an den Himmeln nach Sonnenuntergang. Es wird mir dabei nach Unendlichkeit zumute – und ich finde mich nach einer solchen Dehnung doppelt leicht in meine Pflichten zurück ... Was meinen Eure Majestät, wenn wir bis zu dem Tannensaum an der Elmrod gingen und die Sterne aufgehen sähen?«

 

Der Abend war weit und lau, ganz ohne Wind, eine goldne Glocke, deren Licht sich allmählich in Aprikosenröte verwandelte. Ich nahm Hugos Arm. Wir gingen schweigend, an die Gedanken verloren, welche die Worte des Kanzlers in uns ausgelöst hatten. Sie hatten mich nicht fröhlich gemacht. Denn sie zeigten mir die Schwere des Weges, den ich zu gehen gedachte. Wir kamen nach einer halben Stunde Wanderns an eine Waldwiese, die von Eichen umstanden war. Wir setzten uns auf einen Stamm, den Holzfäller noch nicht fortgetragen hatten. Eine leichte Kühle duftete aus dem betauten Gras. Über uns zog, in grünem Funkeln, die Kassiopeia herauf. Mein Stern, den ich schon als Kind vor allen anderen geliebt hatte. Ich dachte an Hoiko, der schon nach Chèvremont vorausgereist war. Ich griff in die Luft, als ob ich seiner Hand begegnen müsse ... Aber Hoiko ging unter anderen, fernen Himmeln. Vielleicht saß er mit Jozelin de Chèvremont im Schloßgarten und sprach über die Quartiere der Truppen, die in den ersten Augusttagen ankommen mußten. Vielleicht auch war er in die Einsamkeit des Hohen Venn hinauf geritten, um von weitem die Zinnen seines Schlosses im Abend zu sehen ...

»Darf ich hier sprechen?« fragte plötzlich Willigis. Ich war fast froh, daß mich diese Stimme in die Wirklichkeit zurückrief. »Gerne«, erwiderte ich. »Es wäre schade, schon zurückzukehren.« – »Wenn Sie von ›abendländischer Kultur‹ reden«, wandte sich Willigis an Hugo, »so sprechen Sie einen Begriff aus, den es im westlichen Bewußtsein nicht gibt, zum mindesten nicht in solcher Deutlichkeit, daß er als Richtlinie für eine Politik dienen könnte. Was in einem Menschen Ihrer Art als Quelle geistiger Bewegung und Erhebung lebt, ist neun Zehnteln der abendländischen Menschen fremd. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß auch Sie erst ein ›geistiges Abendland‹ entdeckt haben, seitdem Sie mit einem geistigen Morgenland, nämlich mit Byzanz, in enge Berührung kamen. Es gibt heute im Westen nur eine allgemeine christliche Bewußtheit, in welcher einige antikische und viele germanische Werte einbezogen sind. Wollte ich heute eine von Deutschland befürwortete abendländische Kulturpolitik – als Mittel deutscher Machtpolitik – in die Wege leiten, so würde man mich für einen Phantasten halten. Für eine solche Aufgabe ist weder Deutschland reif noch die anderen europäischen Staaten. Vergessen Sie nicht, daß Deutschland erst seit 962, also seit dreiundzwanzig Jahren, wieder die politische Führung im Abendlande übernommen hat: und zwar in engster, ja in unlöslicher Verbindung mit der Kurie. Nur über die Kurie, das heißt nun einmal – mag man über die Päpste denken, wie man will – über die christliche Weltmitte, kann die Entfaltung eines abendländischen Bewußtseins gefördert werden. Nicht aber über den imperialen Gedanken selbst, sei er nun karolingisch oder ottonisch. Auch die karolingische Kultur – sofern man sich eines solchen Ausdrucks überhaupt bedienen kann – ruhte ganz auf Rom, wie viele germanische Bestandteile sie auch einbegriff. Es ist unmöglich, gegen Frankreich anzugehen, indem man fordert, daß es sich im Sinne der deutschen Hegemoniepolitik abendländisch ›einstelle‹. Genau das gleiche gilt von Italien, von England, von Irland. Alle diese Staaten haben den gleichen Brennpunkt: Rom: das heißt die symbolische Kraft der Nachfolgerschaft Christi. Byzanz aber ist, auf Grund seiner besonderen Geschichte und seiner sprachlichen Verbundenheit mit der hellenischen Antike, eine Welt für sich geworden. In Byzanz lebt die Vergangenheit als bewußt oder unterbewußt treibende Kraft in allen Menschen: im Abendland bahnt sich eben erst der Gedanke geistiger Zusammengehörigkeit mühsam, ja qualvoll, über die vermittelnde Kraft der Kurie den Weg. In der Politik nun ist nichts schlimmer als das verfrühte Hervortreten mit einem Programm, für welches diejenigen Menschen, die man zu seiner Verwirklichung braucht, noch nicht reif geworden sind. Graf Hugo, sehen Sie sich doch einmal bei Ihren Standesgenossen um: Wer versteht denn Sie? Keiner! Eben darum sind Sie doch so glücklich über Ihre Freundschaft mit dem Byzantiner Michaël von Massafra, waren Sie so glücklich über Ihre Freundschaft mit dem einzigen deutschen Fürsten, der Ihnen folgen konnte und wollte: mit dem ewig zu beklagenden Herzog Otto-Glaukós von Schwaben! Der deutsche Hochadel – ganz zu schweigen von der Ritterschaft – hat vorläufig noch andere als geistige – oder kulturale – Arbeit zu leisten. Er muß, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, zunächst ›seinen Kram in Ordnung bringen‹, um dadurch die Erhaltung der deutschen Macht zu sichern! Es wäre sehr falsch, ihn deswegen über die Achsel anzuschauen! Sie tun es nicht, denn in Ihnen lebt ein viel zu fein entwickelter Geist der Gerechtigkeit und der Sachlichkeit! Nun aber denken Sie erst einmal an die Stufe, auf der sich die französische Feudalität dieser Zeit bewegt! Sie ist so tief, daß einen das Grauen anfassen kann! Wenn Sie sogar an Leute denken wie die Grafen Foulques Nerra de Chartres, Eudes de Blois und Herbert de Troyes – so haben Sie vor Augen, was heute da drüben gang und gäbe ist! Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich sage bei Gott nichts gegen die Erhabenheit Ihrer Gedanken und Ziele; ich sage nur: Ich kann von so hoher Warte aus keine Reichspolitik machen, welche auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg hätte. Ich kann eine ›abendländische Bewußtheit‹ erst dann politisch in Rechnung stellen, wenn sie tatsächlich vorhanden ist! Ich weiß nicht, wann dies – und ob je – der Fall sein wird. Ich glaube aber, erst in einer Zeit, die wir alle nicht mehr erleben werden. Man hat in Frankreich sehr richtig erkannt, daß das geistig-seelische Zentrum der Welt heute ein religiöses ist! Und eben weil man einen wahren Abscheu vor dem Gebaren einiger Päpste dieses Jahrhunderts hegt, ist ja der Bischof Arnulf von Orléans auf den Gedanken gekommen, sich von Rom zu trennen! Päpste, welche keine Vorbilder mehr sind, sondern das Gegenteil, können – wie Sie ganz richtig sagten – keine die Seelen läuternde und erhebende Wirkung mehr ausstrahlen! Bei uns in Deutschland werden selbstverständlich die gleichen Erwägungen angestellt: aber sie sind für uns politisch unbrauchbar. Was der Erz bischof Willigis denkt, darf der Erz kanzler Willigis nicht denken! Die Macht des Reiches ruht auf der Stützung des universalen Papsttums, mögen die Päpste sein, wie sie wollen, und doppelt, seitdem der ›Heilige Vater‹ sozusagen der oberste Befürworter des Kaisertums ist. Unsere französische Politik muß also, wenn sie nicht ins Leere zielen soll, immer über die Kurie gehen! Religiös lassen sich primitive und rebellierende Seelen, wie diese französischen Feudalen, packen! Kultural – oder durch Appelle an ein ›abendländisches‹ Bewußtsein – niemals! Cluny, mit seinen Reformgedanken, liegt ja schon auf der Lauer gegen Deutschland! Stellen Sie sich doch einmal vor, was es bedeutete, wenn sich die französische Kirche von Rom löste mit der Begründung, daß sie nur ohne die Belastung durch päpstliche Minderwertigkeit Feudalität und Volk auf eine höhere religiöse, das heißt sittliche, das heißt, zu guter Letzt, kulturale Stufe heben könne! Sie sehen, wie schwierig die Lösung der französischen Frage ist und wie vorsichtig zu Werke gegangen werden muß, wenn Unheil für das Reich vermieden werden soll! Unsere erste und wichtigste Aufgabe ist, Frankreich im Banne von Rom zu halten, nicht aber, die Karolinger zu ›erledigen‹ oder das französische Königtum überhaupt zu ›beseitigen‹. Dank unserer Vormachtstellung in Rom können wir Frankreich mit Hilfe des Papstes niederhalten, zumal noch ein großer Teil des französischen Klerus römisch-imperial gesinnt ist. Bringt es die Entwicklung der Dinge mit sich, daß das karolingische Königtum durch sich selbst versagt, so wird der nächstweitere Schritt zu erwägen sein. Ich bin der Ansicht, daß uns Lothar nicht gefährlich werden kann, selbst wenn er Niederlothringen angreift. Ehe er dies tut, müssen wir – wie die Kaiserin sagte – zwar gerüstet sein, aber ruhig bleiben und mit der Kurie auf bestem Fuße stehen. Das ›abendländische‹ – oder ›neukarolingische‹ Bewußtsein wird sich, sofern es sich überhaupt noch einmal entwickelt, aus der Macht der Gegebenheiten heraus entwickeln, gewissermaßen als ›autonome Emanation‹ dieser Gegebenheiten, und dann auch in Frankreich Lebenskraft erhalten, nicht aber durch seine ideologische Progagierung. Die oberste aller Gegebenheiten aber ist: die ungeschmälerte und durch keinerlei falsches Wagnis gefährdete Macht des Reiches, zu deren Wächter mich Eure Majestät und der verstorbene Kaiser bestellt haben. Ich hätte mich einer schweren Pflichtverletzung schuldig gemacht, wenn ich nicht mit rücksichtsloser Offenheit gesprochen hätte. Was ich heute sage, kann in einigen Jahren überholt sein. Dann wird man sich wieder auseinandersetzen. Graf Hugo, leben Sie für Ihre Person Ihrer großen Idee, so leidenschaftlich Sie es vermögen: die Vorläufer – und vielleicht sind Sie einer – sind genauso wichtig wie die Erfüller! Aber versprechen Sie mir hier, im Angesicht der Kaiserin, daß Sie in der französischen Frage niemals etwas unternehmen, das Sie nicht zuvor mit mir beraten hätten.«

Ehe noch Hugo antworten konnte, trat ich vor Willigis: »Ich selbst verspreche Ihnen dies im Namen des Grafen Hugo. Unsere Aussprache hat Ihren Zweck erfüllt. Sie hat Meinungsverschiedenheiten offenbart, welche ausgeglichen werden müssen. Die außenpolitische Taktik, Erzkanzler, ist Ihre Sache. Sie bestimmen die Wege, welche beschritten werden müssen. Mein Ziel jedoch bleibt bestehen. Ich weiß nicht, ob ich es jemals verwirklichen kann. Aber es zeigt mir die Richtung. Vielleicht ist, was wir mit unserem Wollen erreichen, überhaupt nur ein Atom. Doch um dieses einen Atomes willen, das Millionen fruchtbarer Atome erzeugen kann, muß das Äußerste an Kampfwillen aufgebracht werden. Das ist Leben, und das ist politischer Glaube! Ihre Stärke, Ihre ungeheure Stärke, Erzkanzler, ist die staatsmännische Einsicht. Die Stärke des Grafen Hugo ist seine außergewöhnliche Intuition. Sie handeln richtig – aber er hat recht! Es wird also darauf ankommen, durch richtiges Handeln von Fall zu Fall den großen Gedanken auf die Beine zu bringen und schließlich zu verwirklichen. Niemand kann mit dem Kopf durch die Wand. Aber man kann, wenn man will, durch das Beispiel die Seelen für sein Ziel begeistern und mitreißen. Dazu gehört Geduld. Es ist niemand von uns ungeduldig. Wir sind alle drei voll des besten Willens und ohne falschen persönlichen Ehrgeiz. Wir dienen dem gleichen Ziel: Deutschland! ... Kommen Sie, meine Herren. Ich habe Markobrunner kühlen lassen.«

Die Sterne glänzten so hell, daß wir den schmalen Pfad am Saum des Tannenwaldes fast wie am Tage sahen. Die Kassiopeia schien mit blauen Nägeln in die Nacht geschlagen. Eine Geißblattranke duftete.

 

Der Spätsommer und der Herbst verliefen, ohne daß sich besondere Ereignisse vollzogen hätten. Im Dezember erfuhr ich durch den Erzbischof von Reims, daß Lothar sich zum Angriff auf Niederlothringen rüste. Ich ließ die Truppen verstärken und Stellung in Oberlothringen nehmen, damit sie durch eine Gegenoffensive dem Angreifer in den Rücken fallen könnten ... Aber das Schicksal hatte eine andere Lösung beschlossen. Am 2. März erlag König Lothar seinem Leiden, als er eben bereit war, gegen Namur loszuschlagen. Die Gerüchte schossen wie das Unkraut auf: Das Reich (und die französischen Helfer des Reiches) habe ihn um die Ecke gebracht. Der stärkste Verdacht fiel auf die Königin Emma (und ihren »Freund« Ascelin von Laon), als sie nach dem Tode ihres Gatten die kaiserliche Partei ergriff. Ich fürchtete, daß man mit Friedensvorschlägen an mich herantreten würde, aber Gott sei Dank war die Kaiserin Adelheid in Pavia. Ich wollte keinen Frieden in diesem Augenblick. Auch der König Ludwig wollte ihn nicht. »Eure Majestät sehen«, sagte Willigis, »wie stark schon das französische Nationalbewußtsein ist! Sämtliche Herzöge stützen ihren König aus Furcht vor einer deutschen Hegemonie. Sogar der Kapetinger Hugo von Franzien! Ein Krieg gegen Frankreich würde also keine einfache Sache sein!« Ich lächelte: »Sind Sie sicher, daß die Herzöge diesen jungen Menschen stützen – und zwar aus ›nationalen‹ Gründen?« – »Ich wüßte nicht, wer ihn sonst stützen sollte.« – »Aber ich!« Willigis starrte mich an. Ich mußte lachen: »Sie sind ein großer Staatsmann, Erzkanzler! Kein Zweifel daran! Aber diesmal haben Sie falsch gerechnet! Der Herzog Karl von Niederlothringen stützt seinen Neffen, den letzten König karolingischen Geblütes, der ihm im Wege ist. Er spornt ihn zum Widerstand, ja zum Angriff an, um ihn in die Falle zu locken! Wundert Sie das? Bei einem so gewissenlosen Abenteurer?« – »Eure Majestät wissen also um diesen Plan, dessen Genialität ich anerkennen muß?« – »Ich? Ich, Willigis, weiß gar nichts ... gar – nichts.« – »Ich danke Eurer Majestät für diese Auskunft ... Und was geschähe, wenn der König Ludwig – sagen wir – verschwände?« – »Dann müßten wir wieder eine Besprechung auf dem Schlangenbader Jagdhaus abhalten – oder vielleicht auch auf Schloß Chèvremont.« Als mich Willigis verließ, schien er mir sehr besorgt und fast verstört. Aber das war mir gar nicht unlieb. Es gibt keine Frau auf Erden, der es nicht Freude machte, einem bedeutenden Manne seine Grenzen zu zeigen ...

Der junge König sagte sich von seiner Mutter los, verbat sich jede Einmischung seiner Großmutter Adelheid, behandelte den Bischof Ascelin wie Luft und kündigte dem Erzbischof Adalbero die Belagerung von Reims an, nachdem er sich für diese Unternehmung sogar Hugo Kapets Beistand gesichert hatte. Wie sollte Hugo Kapet – ohne sich selbst verdächtig zu machen – diesen Beistand verwehren? »Wir wollen abwarten, wie viele Belagerungsmaschinen und wie viele Soldaten er seinem König zur Verfügung stellen wird«, sagte ich zu Hoiko, als wir die Chancen des Unternehmens durchsprachen. »Vielleicht läßt er sie eines Tages nach Laon hinüberschaffen.«

Abermals wurde es Winter, und es war keine militärische Aktion erfolgt. Die französischen Herzöge schienen es gar nicht eilig zu haben. Nur die Wiederaufnahme des Hochverratsprozesses gegen Adalbero wurde angekündigt und mit allzu sichtlichem Eifer betrieben. Gerbert von Aurillac übermittelte mir durch Hugo von der Wetterau, der sich bis nach Reims gewagt hatte, die Nachricht, daß die Stadt befestigt und auf eine lange Belagerung hergerichtet würde. Ich ließ ihm Gold senden und verlieh ihm zum zweiten Male die Abtei und die Grafschaft Bobbio, um Anspruch auf seine Anwesenheit am deutschen Hofe zu haben. Man konnte einem deutschen Reichsgrafen nicht verwehren, bei seiner Herrin zu erscheinen, zumal er Aquitanier, also nicht Franzose war. Hugo hatte feststellen können, daß von nennenswerten Rüstungen der Stammesherzöge für ihren jungen König keine Rede war. In Reims sei man guter Dinge. Er war mit einem byzantinischen Passe und ein paar Ziegenknochen gereist, die er als Reliquie eines von den Sarazenen ermordeten Chorknaben auf der Hinreise angeblich von Tarent nach Winchester, auf der Rückreise von Pamplona nach Byzanz bringen sollte. Das erlaubte ihm die Einreise über Cambrai und die Ausreise über Langres. Er konnte also wirklich auskundschaften, wie es in Frankreich aussah. Wir schüttelten uns vor Lachen, als er uns an Weihnachten, das wir in Chèvremont feierten, einige seiner Abenteuer zum besten gab. Aber wir gerieten in große Verlegenheit, als der sechsjährige König, welcher die kleinste Bemerkung aufschnappte, an den Knochenkasten geraten war und fragte, ob alle Chorknaben so dünne Beine hätten. Hoiko, dem die Tränen über das Gesicht liefen, erklärte schließlich, Reliquien seien meistens nur Teile von Knochen, oft nur Splitter ... Aber der Knabe beruhigte sich nicht bei diesem Bescheid. Er nahm den Kasten unter den Arm und sagte, da stimme etwas nicht. Er wolle Barbara fragen. Barbara habe sich als Kind auf dem Eis beim Schleifen das Schienbein gebrochen, und dann sei ihr ein Stück davon »herausgemacht« worden. Ich nahm ihm den Kasten ab: Wenn ihm sein Lehrer eine Antwort gebe, so genüge das. Er sah mich beinahe böse aus seinen schwarzfunkelnden Augen an: Aber deswegen brauche er noch lange nichts zu glauben. »Das ist dein eigner Schaden«, erwiderte ich. »So werde ich den Erzkanzler fragen. Der muß dem König Rede und Antwort stehen, sonst kann er entlassen werden.« – »Also frage den Erzkanzler. Er wird dir das gleiche sagen wie wir.« – »Dann ist es ja gut, ich weiß gern alle Dinge sehr genau.« – »Das erwarte ich auch von dir. Übrigens muß ich dir etwas mitteilen: Du wirst im nächsten Jahre zwei neue Lehrer bekommen: Philagathós von Rossano, den du schon kennst, für das Griechische, Bernward von Hildesheim für das Deutsche und Lateinische.« – »Und Graf Hoiko?« – »Du brauchst gar nicht so zu erschrecken. Graf Hoiko wird bei dir bleiben. Aber er wird sich bald verheiraten. Mit einer schönen jungen Dame, die du sehr liebgewinnen wirst, mit der Gräfin von Malmedy. Du wirst sie am Neujahrstag kennenlernen. Sie ist genauso schön wie die Fee Paribanu, von der du dir so gerne erzählen läßt, wenn du sonntagmorgens zu mir ins Bett kommst.« – »Kann sie auch auf einem Teppich über die Erde reisen?« – »Nein, das kann sie nicht, denn sie ist ja keine Fee.« – »Ich werde sie ebenfalls nach den Knochen fragen.« – Anastasia sah mich an ... »Geh jetzt mit Folko und Konstantinos spielen, sie warten schon auf dich«, sagte sie. Otto lachte: »Ihr wollt mich ja doch nur los sein!« und sprang aus dem Zimmer, denn er liebte diese beiden ältesten Söhne Anastasias sehr. »Gehn Sie rasch, Graf Hoiko«, sagte ich, »und bereiten Sie den Erzkanzler und Barbara auf die Knochen vor! Sonst können wir in den nächsten Tagen etwas erleben! Schaffen Sie auch den Kasten fort. Er hat ja seinen Zweck erfüllt ... Sagen wir, er sei mit dem Kurier nach Byzanz geschickt worden. Sergios reist ja zufällig heute abend mit dem Vertragstext für den Kaiser Basileios.« – »Gott, könnte ich doch reisen«, rief Anastasia. »Ich habe manchmal großes Heimweh nach dem Bosporus.« – »Warten Sie noch ein paar Jahre, bis die Feudalkriege da drüben beendet sind ... Vielleicht komme ich mit Ihnen. Nicht, daß ich Heimweh hätte, aber ich habe Neugier ... Ich möchte sehen, was Basileios alles zustande gebracht hat. Leo Akritas meinte bei seiner Rückkehr, die Tage des Parakimuménos seien gezählt. Basileios lenke ganz in die Bahnen des Kaisers Tsimiskes ... Nicht auszudenken, daß man doch noch einmal die Linie einer gemeinsamen Politik aufnehmen könnte!« – »Hugo Kapet soll byzantinische Pläne haben«, sagte Hugo von der Wetterau. »Was?« – »Adalbero von Reims berichtete es mir ... Für den Fall natürlich, daß er König der Franzosen würde.« – »So. Das ist ja sehr lehrreich. Dann könnte ich dem Kurier noch ein persönliches Schreiben mitgeben ... Hugo Kapet sucht wohl eine Frau für seinen Sohn Robert? Na ja, es wird Zeit. Der Erbprinz von Franzien ist fünfzehn Jahre alt ... Aber die Prinzessin Anna ist schon dreiundzwanzig – und die Töchter Konstantins stecken noch in den Kinderschuhen ... Immerhin: der Plan sieht ganz nach Hugo Kapet aus. Man wird Basileios ein paar Lichter aufstecken müssen – und das will ich doch lieber heute noch tun.«

 

Zu Anfang des Jahres 987 wurde es klar, daß der König Ludwig keinen Angriffskrieg gegen Deutschland führen würde. Die Stammesherzöge – so schien es, und so war die allgemeine Ansicht – hatten ihm offenbar bedeutet, er solle zunächst die innere Lage Frankreichs klären, indem er den Deutschenfreund Adalbero von Reims mitsamt seinem Anhang zur Strecke bringe.

Im Februar verjagte Ludwig seine Mutter Emma und den Bischof Ascelin aus Laon. Er schuf sich dadurch einen Todfeind. Die beiden Vertriebenen fanden Zuflucht bei Hugo Kapet in Senlis und die Unterstützung der mit den Karolingern verwandten Grafen Eudes de Chartres und Herbert de Troyes. Gerbert teilte mir mit, daß sich die reichsfreundliche Strömung bei der französischen Feudalität Bahn breche. Ich nahm die Nachricht zur Kenntnis, ohne ihr allzuviel Wert beizumessen ... Der Hochverratsprozeß gegen den Erzbischof Adalbero von Reims wurde auf den 27. März in Compiègne angesetzt. Aber nun schaltete sich die Herzogin Beatrix von Oberlothringen als Vermittlerin ein. Sie erschien persönlich in Compiègne und erreichte, daß die Tagung bis zum Mai verschoben wurde. In der Zwischenzeit hoffte man einen Ausgleich zustande zu bringen. Aber er sollte – ohne mich – durch die Kaiserinwitwe Adelheid erwirkt werden. Die Herzogin Beatrix lehnte – als deutsche Reichsfürstin und als geborene Diplomatin – ein so unverschämtes Ansinnen ab. Sie wußte, was für sie auf dem Spiele stand. Sie erreichte jedoch, daß ihr der König Ludwig die noch immer besetzte Stadt Verdun zurückgab, während er Adalberos gefangengehaltenen Verwandten die Freilassung verweigerte. War die Räumung der oberlothringisch-deutschen Stadt Verdun als erster Schritt zum Frieden mit dem Reich gedacht, so kam es nun wohl darauf an, welche Friedensbedingungen ich selbst stellen würde. Der König konnte sich kaum einbilden, daß sie milde sein würden. Ehe die Verwandten Adalberos nicht befreit und entschädigt waren, konnte von einem Gespräch überhaupt keine Rede sein. Und daß ich bedingungslose Unterwerfung des Königs verlangen würde, war mir – trotz der zögernden Haltung des Erzkanzlers – ganz klar. Niemals durfte dieser Prozeß gegen einen Freund des Reiches stattfinden.

Ich hatte schon Mitte April Magdeburg verlassen und wieder in Chèvremont Wohnung genommen. Ludwig drängte darauf, den Prozeß am 18. Mai in Compiègne zu führen. Er war bis zur Raserei gegen mich aufgebracht, weil ich die Rückgabe von Verdun nicht als Verhandlungsbasis gelten ließ, und wollte mit der Verurteilung Adalberos das Reich und mich treffen, um sein zerrüttetes Prestige aufzubessern. Er wollte, wie er sich ausgedrückt haben soll, der Byzantinerin zeigen, was ein »gaillard de France« ist. Pauvre petit gaillard sans gaillardise! Am 16. Mai, zwei Tage vor dem herbeigesehnten Skandal, stürzte er so »unglücklich« beim Reiten, daß er am 22. Mai kein Strafgericht mehr abzuhalten brauchte, weil er, wie ein bösmäuliger Pfaffe sagte, »mittlerweile selbst vor seinen obersten Richter getreten war«. Dieser Tod erschütterte mich dermaßen, daß ich einen Tag ohne Speise und Trank blieb. Er konnte kein natürlicher Tod sein. Ich wagte nicht, heimlich mit Schuld zu belasten ... Und dennoch, wenn ich Karl von Niederlothringen ansah, der ebenfalls nach Chèvremont gekommen war, überfiel mich mit dämonischem Zwang der Gedanke, daß er bei diesem »Reitunfall« die Hände im Spiele gehabt habe. Hielt er seine Stunde für gekommen? Schienen ihm Adalbero und Hugo Kapet durch ihre guten Beziehungen zum Reich zu sehr belastet, um nun die Führung des französischen Staates übernehmen zu können? Würde er nun seine Ansprüche als legitimer Erbe des karolingischen Thrones geltend machen? Er mußte wissen, daß ihn die Erhebung solcher Ansprüche in Krieg mit Frankreich und vielleicht mit Deutschland bringen würde. Wer war für ihn? Ein paar französische Legitimisten und – vielleicht – ein Zehntel seines niederlothringischen Heeres. Wollte er wirklich ein so gefährliche Spiel wagen? – Und wenn Hugo Kapet den Tod des Königs auf dem Gewissen hatte? Kannte man jemals die Seele dieses in sich selbst unsicheren, unaufrichtigen, sein Ziel umschleichenden Menschen? Hatte er gefürchtet, ich werde den unerfahrenen, von Haß zerfressenen jungen König in eine so unhaltbare politische und militärische Lage bringen, daß das französische Königtum überhaupt zu Falle käme? Witterte er meinen Plan? Er war durchtrieben, dieser niemals die Stimme erhebende Kapetinger, und mit allen Wassern gewaschen ... Wehe, wer auf ihn rechnete! Wehe auch, wer ohne ihn rechnete ... Und was blieb mir nun übrig? Eingreifen, einmarschieren? Ein »fait accompli« schaffen? Eine Nacht lang saß ich mit Willigis und Hugo von der Wetterau im Gespräch. Hugo wollte den Einmarsch: »Jetzt oder nie«, sagte er. »Das Schicksal gibt nur einmal die großen Augenblicke.« Aber ich erwiderte ihm mit einer Entschiedenheit, wie sie nur aus der äußersten Erleuchtung kommen kann, welche Gott uns gewährt: »Nein! Dies ist nicht, dies ist noch nicht der große Augenblick! Ich fühle nicht, was ich fühlen müßte, wenn er es wäre! Wir müssen Adalbero stützen – und ihm die Arbeit der inneren Auflösung Frankreichs überlassen. Der andere Teil der Arbeit wird uns von Karl von Niederlothringen besorgt werden. Es müssen Lebensbedingungen des Reiches verletzt werden, ehe wir zuschlagen. Das ist bis heute nicht der Fall! Das deutsche Heer muß überzeugt sein, daß es für eine sakrosankte Sache kämpft. Dann ist ihm der Sieg gewiß und uns das Ziel. Noch sind wir nicht so weit!«

Der Erzkanzler Willigis ließ sich ins Knie sinken und küßte mir beide Hände: »Majestät, ich neige mich vor Gott, der als das heilige Maß in Ihnen wirkt. Sie stehen in der Gnade: im größten irdischen Glück.«

 

Ich befahl am nächsten Tage, daß am Sarge des toten Königs eine Garbe von weißen Kaiserlilien niedergelegt werde. Auf die Schleife aus hellblauem Atlas ließ ich mit Goldfäden die Worte einsticken:

Infelicem juventutem tuam amavi·
et pugnans contra juventutis tuae errores
Theophano Imperatrix


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