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I.
Der Kampf gegen den Herzog Heinrich von Bayern

Sogleich nach der Beisetzung zog ich mich auf eine Woche in das Kloster Santa Prisca zurück. Ich hatte gefürchtet, daß das Nachlassen der seelischen Spannung einen Zusammenbruch meiner Kräfte nach sich ziehen würde, aber ich konnte feststellen, daß das Gegenteil der Fall war: Ich hatte alle Ängste, alle Verzweiflungen, allen Haß und alle Wut vorausgelitten. Die Sorge um das Vorgestellte hatte mir die Sorge um das Tatsächliche abgenommen. Ich wußte, daß alles auf dem Spiele stand. Mein eignes Leben war nur noch ein Fragezeichen. Es hing in der Luft. Es gab nur noch mein Schicksal und mein Ich. Es gab keinen Kaiser mehr, gegen den ich den stummen Kampf des revoltierenden Wesens zu kämpfen hatte. Es gab nur noch den Kampf für mich selbst: für den Sohn also, für das Reich also ... So unterzeichnete ich denn damals eine Urkunde, deren Ausstellung sich nicht hinausschieben ließ, mit den Worten: Theophano Imperator. Das Wort lief um wie ein Feuer im Winde: Man wußte nun in Rom, in welcher Weise ich regieren würde. Es hatte mich niemand weinen, niemand vor dem Bilde der Theotokos die Hände ringen, niemand im Lateran auf den Knien liegen und die Menge an meinem Schmerze teilnehmen sehen. Ich hatte nicht geweint. Ich hatte nicht mit der Theotokos gerechtet, noch um Erbarmen gewinselt, ich hatte die Menge so weit aus meinem Leben fortgewiesen wie noch nie! Nicht der Hauch eines Gefühles der »Pietät« verband mich mit der Vergangenheit: weder mit der kaiserlichen Überlieferung noch mit dem Kaiser selbst. Dieser Tote war mir auch als Toter gleichgültig geworden. Ich rechtete nicht mehr mit ihm, und die Zeiten, in denen ich ihn geliebt hatte, rief ich gewiß nicht wach. Diese Liebe war den Weg ihrer Bestimmung gegangen. Kein Gefühl reicht weiter als die Kräfte, aus denen es erblüht ist. Nur auf mich noch kam es an, denn nur ich war die Zukunft und ihre werdende Gestalt. Wenn ich nun betete, so griffen meine Hände über die Mittlerin Theotokos hinaus: Sie griffen in das Herz Gottes und zwangen es in meinen Willen: »Herr, ich lasse dich nicht, du segnetest mich denn!«

Die Äbtissin von Santa Prisca, eine Gräfin von Ronciglione, hatte versucht, mir mit dem landläufigen Salbader, der solchen Frauen aus dem Munde geht wie den Schnecken der Schleim aus dem Leib, den »himmlischen Trost« zu vermitteln. Sie bekreuzigte sich vor Entsetzen, als ich ihr sagte, ich haßte dieses Gift, das sich »Trost« nennt. Ich sei nicht nach Santa Prisca gekommen, um Trost zu suchen, sondern Sammlung und Klarheit. Mein Leben heiße fortan nur noch die »Tat«. Wer aber handle, der habe den einzigen Trost, den es gebe, nämlich: das Leben durch das Leben selbst zu überwinden. Sie verließ mich wie eine Verstörte. Vielleicht war sie davon überzeugt, daß ich mit dem Teufel im Bunde sei – wie es ja viele andere schon lange glaubten.

Acht Tage des Nachsinnens und der Zwiesprache mit Gott hatten genügt, mich für den großen Aufbruch der Seele zu rüsten. Ich kehrte am 16. Dezember in den Palast zurück: in violetten Trauerkleidern, wie es die Sitte verlangte, aber ohne Witwenschleier. Ich ließ den Hofstaat vor mich kommen und sagte: »Es ist nicht mein Wunsch, daß man mir hier mit Trauermienen begegne. Die Trauer ist eine Sache des Herzens und will Unsichtbarkeit. Das Andenken des verstorbenen Kaisers ehrt am meisten, wer seine Pflicht tut. Es wird hier keine Veränderungen geben. Alle Chargen bleiben in den Händen, in welchen sie heute ruhen. Truppenverstärkungen zum Schutze der Deutschen werden in Kürze durch den Herzog Hugo von Tuskien gesandt werden. Über die Dauer meines Aufenthaltes kann ich erst entscheiden, wenn ich die Meinung der Kaiserinmutter Adelheid kenne. Eine Weihnachtsfeier wird angesichts der Hoftrauer dieses Jahr nicht stattfinden. Die üblichen Geschenke werden selbstverständlich verteilt. Im Falle meiner Abreise nach Pavia wird die kaiserliche Gewalt in Rom durch den Grafen Gero von Walbeck ausgeübt. Bitten und Wünsche müssen mir vor dem 26. Dezember bekanntgegeben werden. Die Versammlung ist beendet.«

Am 18. Dezember ließ ich den Papst um seinen Besuch bitten und den Palastkommandanten, Grafen Adalbert von Salm, der Unterhaltung beiwohnen, obwohl ich eigentlich an ein Gespräch unter vier Augen gedacht hatte: »Bis Mitte des Monates Februar«, sagte ich dem Papst, »dürfte hier wohl Ruhe bleiben, sofern die Römer selbst nicht an Aufruhr denken. Es ist nicht ersichtlich, welche Gründe sie im Augenblick hätten, sich zu rühren. Aber da man ja bei diesem wetterwendischen Adel niemals weiß, was ihm gerade in den Sinn kommt, ist natürlich Vorsicht und Voraussicht geboten. Von Mitte Februar an rechne ich mit ernsthaften Schwierigkeiten. Byzanz wird sich melden und den Mörderpapst Bonifatius nach Rom zurücksenden, damit er der deutschen Partei Schwierigkeiten mache. Bonifatius verfügt noch über den geraubten Kirchenschatz und wird außerdem byzantinische Hilfsgelder mitbringen. Der Basileus Basileios II. hat die Zurückweisung seines Angebotes vom Januar 982, das dem Kaiser in Matera überreicht wurde, keinesfalls vergessen. Er wird zuerst versuchen, in Rom Fuß zu fassen und danach die süditalischen Fürstentümer bearbeiten. Ich glaube nicht, daß es ihm gelingen wird, Benevent, Capua und Spoleto dem oströmischen Reiche einzugliedern. Aber es ist besser, jeder Möglichkeit ins Auge zu schauen, als überrascht zu werden. Es wird also Ihre nächste Aufgabe sein, dafür Sorge zu tragen, daß die deutsche Partei in Rom gestärkt und an ihre Pflichten erinnert werde. Die geringste Lauheit kann auch für Sie die schlimmsten Folgen nach sich ziehen. Wir kennen Ihre Treue zum Reich, der Sie die Tiara verdanken, und wir rechnen auf Ihre Bereitschaft, sich bis zum Schwerte für das Reich einzusetzen. Bezüglich Tuskiens und der Lombardei sind wir sicher. Sie haben Ihr Amt in einem für das Reich gefährlichen Augenblick übernommen. Wir nehmen an, daß Ihre Kräfte an dem Maß der Schwierigkeiten wachsen, denen Sie vielleicht begegnen werden. Ich hätte gewünscht, daß Sie Ihre Herrschaft unter freundlicheren Sternen begännen, aber Gott fragt keinen Sterblichen, was ihm angenehm ist. Er teilt einem jeden seine Aufgabe zu. Wehe, wer auf dem ihm angewiesenen Platze versagt. Er enthebt sich selbst aus der göttlichen Gemeinschaft.«

Am Abend des gleichen Tages wurde mir Gerbert von Aurillac gemeldet. Ich war so überrascht, daß ich zunächst an einen Irrtum glaubte. Der Kaiser hatte ihm – auf mein Drängen hin – im Juni 982 das Kloster und die Grafschaft Bobbio verliehen. Gerbert war Ende 982 aus Reims angekommen und hatte sein neues Amt angetreten, sehr gegen den Willen der Kaiserin Adelheid, welche diese beiden reichen Herrschaften ihres Hoheitsgebietes gerne an einen »ihrer« Leute vergeben hätte. Es war, angesichts der großen Entfernung Bobbios von Rom, unmöglich, daß Gerbert auf die Nachricht vom Tode des Kaisers hin die Reise unternommen hatte. Er konnte diesen Tod allerfrühestens in Livorno erfahren haben. Es mußten also besondere und wahrscheinlich unerfreuliche Gründe sein, welche ihn zu mir führten ... Aber er kam mir zur rechten Stunde. Ich ließ ihm durch den Palastkommandanten seine Wohnung anweisen und ihn bitten, mit mir die Abendmahlzeit einzunehmen. Er schien sehr erstaunt, mich ruhig und gefaßt vorzufinden. Ich bat ihn, Gespräche über den Tod des Kaisers zu vermeiden und in medias res zu gehen. Er erklärte mir also, daß er sich in Bobbio nicht halten könne, da der frühere Abt Petroald die Mönche gegen ihn, den »Franzosen, den Verbündeten des Teufels« aufhetze und ihm jede geregelte Arbeit unmöglich mache. Er müsse das Amt des Abtes – wenigstens für den Augenblick – in meine Hände zurücklegen, hoffe aber, es in friedlicheren Zeiten zu meiner Zufriedenheit und zum Wohle des Reiches wieder übernehmen zu können. »Auf diese friedlicheren Zeiten«, sagte ich ihm, »werden wir allerdings voraussichtlich lange warten müssen. Doch das schadet nichts. Sie bleiben jedenfalls in Ihrer Würde und in Ihren Rechten. Ich sehe schon, woher der Wind weht, aber ich möchte mich nicht aussprechen, ehe ich Gewißheit habe. Bobbio ist heute Nebensache. Wichtig aber ist Ihre Person. Sie stehen, als ernannter Herr von Bobbio, in deutschen Diensten. Diese Dienste beanspruche ich. Sie sind Aquitanier und nicht Franzose, wie die Ignoranten glauben, weil Sie sich der französischen Sprache bedienen. Sie können also diese Dienste mit gutem Gewissen erfüllen.« Gerbert warf sich auf das Knie und küßte den Saum meines Kleides: »Ich wüßte nicht, was mich glücklicher machen könnte, als Eurer Majestät bis auf den letzten Tropfen meines Blutes zu dienen.« Ich bat ihn, aufzustehn. Die Szene war mir widerwärtig, und der Brand der aufgeschlagenen Augen ließ mich vor mir selbst erröten. Es waren nicht solche Blicke, die ich in dieser Stunde ertragen konnte, noch einen solchen, halbgeöffneten Mund, dessen hastiger Atem mich beleidigte ... »Lassen wir diesen ›letzten Tropfen Blut‹ beiseite«, erwiderte ich. »Er sagt sich leicht und gibt sich schwer. Es geht gar nicht um einen so hohen Einsatz. Ich brauche vor allen Dingen Ihren Verstand, Ihre Verschwiegenheit und Ihre Gerissenheit. Sie können, wenn Sie jetzt Ihre Chance erkennen und richtig ausnutzen, am Anfang einer außerordentlichen Laufbahn stehen. Einer ganz anderen als derjenigen, welche Ihnen Bobbio eröffnet. Sie müssen Rom schon morgen verlassen und auf kürzestem Weg nach Reims zurückkehren. Dort haben Sie zunächst weiter gar nichts zu tun, als einen Brief abzugeben, den ich noch heute nacht mit meinem Sekretär Leo Akritas für den Erzbischof Adalbero entwerfen werde. Sie haben mir den Eid zu leisten, daß Sie sowohl Pavia als Vienne vermeiden und auch Laon nicht betreten, ehe Sie sich Ihrer Aufgabe entledigt haben. Ich kann Ihnen den Inhalt dieses Briefes nicht mitteilen, da ich nicht weiß, ob Adalbero es tun wird. Einen zweiten Brief haben Sie an die Herzogin Beatrix von Oberlothringen mitzunehmen. Ihre eigentliche Aufgabe aber wird erst beginnen, wenn die beiden Briefempfänger meine Vorschläge angenommen haben. Ihre Reise wird über den Gotthard, Zürich, Säckingen, Breisach, Straßburg, Metz und Verdun gehen, unter Vermeidung burgundischen Gebietes. Sie werden von mir bis zur französischen Grenze ein kaiserliches Gefolge erhalten, das Sie vor allen unfreundlichen Zwischenfällen schützt. Nach Erledigung Ihrer Aufträge werden Sie sich mit den Antworten am kaiserlichen Hoflager in Deutschland einfinden. Und dort werde ich Ihnen dann – je nach den Mitteilungen der Herzogin und des Erzbischofs – das Weitere sagen. Ich werde von Rom nach Weihnachten – aber dies ist Geheimnis – zu der Kaiserin Adelheid reisen, nachdem ich einen kurzen Aufenthalt bei dem Herzog Hugo von Tuskien genommen habe, um mit ihr die Lage durchzusprechen. Spätestens im April gedenke ich über Burgund in Deutschland zu sein.« Gerbert hatte an meinen Lippen gehangen. Er war so glücklich, wie ein Mensch sein kann: Die Kaiserin des Abendlandes hatte ihm die Übermittlung eines Geheimauftrags anvertraut, welcher – sehr wahrscheinlich – Weltgeschichte bedeutete. Ich aber hatte, was ich brauchte: mir zu Diensten den bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit, der mir verfallen war ... »Ich hätte Sie gerne noch über Weihnachten hierbehalten«, sagte ich zu ihm, während ich ihm eine Schachtel getrockneter Datteln aus Mesopotamien hinhielt, »um mit Ihnen das Tedeum zu hören, das anläßlich der Aachener Königskrönung meines Sohnes vom Papste in Santa Maria Maggiore ad Nives zelebriert werden wird. Jedoch Ihr Auftrag ist zu dringend, als daß er auch nur einen Tag Aufschub ertrüge. Wären Sie nicht gekommen, so hätte ich den Abt Philagathós von Nonántola geschickt – aber es ist mir schon lieber, Sie reisen.«

Es war mir allerdings lieber, daß Gerbert reiste und mich von seiner Gegenwart befreite, da ich ja nichts so sehr herbeisehnte wie die Gegenwart des Philagathós. Ich hatte einen Eilboten zu ihm gesandt, er möge sich vom 5. Januar an in der Pfalz von Pisa zu meiner Verfügung halten und mich nach Pavia begleiten. Denn die Besprechungen mit Adelheid standen mir wie ein Schreckgespenst vor Augen, gerade weil sie unvermeidlich waren. Ich wußte, was – nicht für die Sache des Reiches, aber für die ungehinderte Durchsetzung meiner Politik – von ihnen abhing. Auch nun sann ich dieser Begegnung wieder nach. Ich vergaß, daß Gerbert noch bei mir am Tische saß, und erschrak, als plötzlich jemand hustete ... »Verzeihen Sie meine Zerstreutheit«, sagte ich, aufstehend. »Sie können sich denken, was mir jetzt alles im Kopf herumgeht ... Ich werde Ihnen noch etwas Wein mit Brot und die Lindentisane in Ihr Zimmer bringen lassen.« – »Und wann werde ich noch einmal die Gnade haben, Eure Majestät vor meiner Abreise zu sehen?« – »Für diesmal – leider – nicht mehr, Hochwürden. Leo Akritas wird Ihnen morgen vormittag die Briefe und fünftausend Byzantiner aushändigen. Sie verlassen mit dem kaiserlichen Gefolge, das von Herrn von Andechs geführt wird, um elf Uhr Rom. Einen Besuch beim Papst bitte ich Sie zu unterlassen. Leben Sie wohl, reisen Sie gut – und seien Sie fröhlicher Laune, wenn Sie mich im Frühling in Deutschland wiederfinden.«

Nachdem Gerbert gegangen war, ließ ich Leo Akritas in mein Arbeitszimmer bitten, um mit ihm die Briefe an Adalbero und Beatrix zu entwerfen.

 

Als ich am 4. Januar in Pisa ankam, fand ich einen Eilboten des Philagathós: Er sei unglücklich, nicht zur Stelle sein zu können. Eine sehr wahrscheinlich durch die vielen Nebel dieses Winters hervorgerufene Erkältung feßle ihn an das Bett. Ich möge ihm mitteilen, ob er nach seiner Genesung auf dem nächsten Wege nach Pavia reisen solle. Das Scheitern eines mir lieb gewordenen Planes machte mich fast schwermütig. Aber ich sagte mir schließlich, es müsse einen Sinn haben, daß diese Begegnung jetzt nicht stattfinden könne. Ich schrieb ihm, er möge nach seiner Genesung nach Pavia aufbrechen und in der kaiserlichen Residenz Wohnung nehmen. Er solle sich für einen längeren Aufenthalt in Deutschland bereit halten. Ich wußte, daß der Kaiserinmutter meine Vorliebe für Philagathós schon lange ein Dorn im Auge war. Ich wußte auch, daß sie mich nun, nach Ottos Tode, beobachten würde wie nie zuvor. Ich verkörperte für sie nicht die »Würde« des Reiches, wie sie sie verstand. Aber dies war mir gleichgültig: Ich verkörperte jedenfalls das Reich selbst – und ich hoffte, die Macht zu verkörpern, sobald die Gefahren der nächsten Monate überwunden sein würden.

Die Besprechungen mit dem Herzog Hugo von Tuskien verliefen so, wie ich es erwartet hatte. Dieser ruhige und etwas langsame Mann war nur schwer aus der Fassung zu bringen. Er glaube nicht, daß ich in Deutschland auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen werde. Händel werde es geben – aber mit Händeln verstehe ja Willigis meisterhaft fertig zu werden. Was Rom und die Römer angehe, so möge ich mich auf ihn verlassen. Er werde ein deutschfeindliches Regiment in Rom niemals dulden. Und soweit er unterrichtet sei, bestehe auch bei den Crescentiern nicht die Absicht, sich aus dem Gefüge der Reichseinheit zu lösen. Er habe noch vor kurzem ein Gespräch mit der Kaiserin Adelheid gehabt, welche über die römischen Verhältnisse vorzüglich unterrichtet sei. Sie glaube nicht einmal, daß Byzanz sich rühren werde. Basileios habe wohl immer noch keine Zeit für Rom ... »Er hat es ihr wohl schriftlich bestätigt«, fuhr es mir heraus. Hugo schaute auf: »Unterschätzen Sie die Kaiserin Adelheid nicht«, sagte er ernst. »Ich gehöre, wie Sie wissen, auch nicht zu ihren bedingungslosen Bewunderern. Aber ihr Einfluß ist noch immer sehr groß.« – »Ich möchte Ihnen ein offenes Wort sagen, Herzog Hugo, damit Klarheit zwischen Ihnen und mir sei. Ich würde lieber morgen die Regierung aus der Hand geben, als sie auf die Einflüsse stützen, über welche die Kaiserin Adelheid noch verfügt. Ich bin eine junge Frau, mein Sohn ist dreiundeinhalb Jahre alt, die Welt geht vorwärts. Ich gedenke für die Jugend und mit der Jugend zu regieren. Ich werde der Kaiserin Adelheid niemals ins Gehege kommen, wenn sie mich in Frieden läßt. Meine besondere Aufmerksamkeit und Liebe gehören Deutschland. Man wird sich hier bestimmt nicht über kaiserliche Härten zu beklagen haben ... Ich wäre glücklich, wenn ich mich niemals um Adelheids Regiment bekümmern müßte. Wirken Sie dahin, Herzog Hugo, daß sie in ihren Grenzen bleibt. Ich dulde im Norden – im Norden, haben Sie verstanden? – keine Sippenpolitik. Ich weiß, daß mich die Konservativen hassen: Willigis aber und die Jugend begreifen mich. Mehr brauche ich nicht. Weder ›Einflüsse‹ noch ›Beliebtheit‹. Mein Ziel ist die Macht. Ich habe Zeit. Da ich den Weg weiß, spielt es keine Rolle, ob ich ein Jahr früher oder später ankomme.« Hugo schaute vor sich hin. Dann sagte er langsam: »Sie haben bis zur Großjährigkeit Ihres Sohnes zwölf Jahre Zeit, Majestät. Wenn Sie ihm das Reich so überlassen, wie es heute ist, sind Sie eine der größten Regentinnen aller Zeiten gewesen.« – »Und wenn es mir gelänge, das Reich vielleicht noch um einiges zu erweitern?« – »So müßte man Sie Ihrem Schwiegervater Otto I. an die Seite stellen.«

 

Ich kam am Nachmittag des 20. Januar nach Pavia und nahm in der kaiserlichen Residenz am Po Wohnung, obwohl mich Adelheid durch Boten, welche mich in Voghera erreichten, hatte bitten lassen, ich möge »angesichts ihres leidenden Zustandes« im königlichen Palaste bei ihr zu Gaste sein. Ich hätte beinahe gelacht, als ich ihr Schreiben las. Welche schlechte Menschenkennerin war diese Frau! Ich gab dem gleichen Boten, den ich vorausschickte, einen Antwortbrief mit, in dem ich sie bat, meine Ablehnung ihres Anerbietens nicht falsch zu deuten. Mich hätten ebenfalls, wenn ich dies auch nach außen nicht zeigte, die Ereignisse der letzten Wochen so angegriffen, daß ich für mich zu bleiben wünschte, zumal ich voraussichtlich Gäste haben würde, an denen ihr wenig gelegen sei ... Hatte sie wirklich geglaubt, ich durchschaute nicht ihre Absicht? Ihr Ansinnen war kein gutes Vorzeichen. Aber es hatte mir wenigstens einen Wink gegeben.

Als ich sie noch am Tage meiner Ankunft besuchte, empfing sie mich weinend in einem wahren Paradebett der Trauer und in Gegenwart des Abtes Majolus von Cluny. Ich blieb eine Minute lang auf der Schwelle des Schlafzimmers stehen: so sehr graute mir vor der Szene, die nun folgen mußte ... Ich dachte voll Schrecken an die Versöhnung auf der Landstraße von Pavia und sagte: »Majestät, ersparen Sie mir alle Worte und Gesten. Sie kennen meine Natur. Ich gebe zu, daß es für die Mutter qualvoller ist, den einzigen Sohn zu verlieren, als für die Gattin den Gatten. Es ist, will es mir scheinen, unsere Pflicht, uns unsere Aufgabe gegenseitig zu erleichtern, aber nicht zu erschweren. Die Gräfin Imiza wird Ihnen erzählen, wie die letzten Tage des Kaisers waren. Ich selbst kann es nicht und will es mir auch nicht zumuten.« – »Ich wußte im voraus«, klagte sie, »daß ich an Ihnen keine Stütze haben würde.« – »Wir müssen jetzt gemeinsam das Reich stützen«, sagte ich. »Und indem wir dies tun, werden wir einander am besten helfen.« – »Welche Härte, meine Tochter«, sagte der Abt Majolus, »welche unfaßliche Härte bei einer so jugendlichen Frau!« – »Das Alter einer Seele, Abt Majolus«, erwiderte ich, »bemißt sich nicht nach der Zahl der Jahre. Es können Stunden Monate, und Monate Jahre sein. Ich erwartete nicht, daß mich die Kaiserin unter geistlichem Beistand empfangen würde. Da sie es tat, darf ich annehmen, daß es ihr seit der Übermittlung der Trauerkunde nicht an erwünschtem Zuspruch gefehlt hat. Ich mußte allein in mir austragen, was mich bewegte. Vielleicht habe ich deswegen heute weder ein Bedürfnis noch eine Möglichkeit, ein Abgeschlossenes zu wiederholen.« – »Was hülfe es dem Menschen«, sagte der Abt Majolus, »so er die ganze Welt gewänne und nähme Schaden an seiner Seele?« – »Ich möchte weder die ganze Welt gewinnen«, sagte ich scharf, »noch kann ich finden, daß meine Seele Schaden leidet, indem sie sich beherrscht ... Ich bin im übrigen nach einer sehr mühsamen Reise durch Nebel und Regen viel zu müde, um heute abend noch Unterhaltungen über die Seele zu führen. Ich bitte also, mich zu entschuldigen und mir morgen mitteilen zu lassen, wann ich vorbringen kann, was ich vorzubringen habe. Mein heutiger Besuch ist nichts weiter als ein ›faire acte de présence‹, wie die Franzosen sagen. Ich hoffe aber trotzdem, daß er seinen Zweck erfüllt hat.« Ich küßte der Kaiserinmutter die Hand und verließ den Raum.

Ich lag lange schlaflos in dieser Nacht. Eine große Mutlosigkeit hatte mich befallen. Als ich aber am nächsten Morgen erwachte, hatte sich diese Schwäche in Trotz verwandelt. Gegen alle, sagte ich mir, wenn es durchaus sein muß! Auch gegen diese Frau, welche immer noch Zeit hat, sich in Positur zu setzen, wo es gilt, sich vorzubereiten ... Welches Glück, daß ich Hugo von der Wetterau nach Pavia gebeten hatte – welches Glück auch, daß ich auf Philagathós warten durfte! Philagathós! Ich lächelte plötzlich in das neblig-goldne Winterlicht, das durch den offnen Fensterbogen in das Zimmer drang ... Die Mägde hatten ein Feuer im Kamin angezündet, die Gräfin Imiza trug mir selbst das Frühstück ans Bett, und der Stadtkommandant von Pavia ließ mir einen Bastkorb voll weißer Veilchen aus seinen Treibhäusern senden ... Weiße Veilchen ... Ich mußte an die Kinder denken, die sie mir auf das Schiff gebracht hatten, vor elf Jahren, als ich von Byzanz nach Rom fuhr ...

Θάλαττα,
Οἴ νοπε Θάλαττα,
Θάλατταα ...

Die Kaiserin Adelheid hatte sich besonnen. Schon gegen elf ließ sie anfragen, ob sie mich gegen Abend besuchen dürfe. Es erwies sich also, daß mein Verhalten richtig gewesen war und jenes unvergeßliche »principiis obsta« des Kaisers Tsimiskes abermals seine Früchte getragen hatte. Ich schrieb ihr einige freundliche Worte und bat sie, so früh zu kommen, wie es ihr gutdünke, jedenfalls aber über Tisch zu bleiben, damit wir alle Fragen im Zusammenhang durchsprechen könnten. Sie sagte sich auf sechs Uhr an und schickte ebenfalls Blumen: violette Primeln. Die Farbe der Trauer mußte gewahrt bleiben.

 

Da mir Adelheid von ihrem »leidenden Zustand« gesprochen hatte, hatte ich ihr in meinem Wohnzimmer einen Diwan mit vielen Kissen und Decken richten lassen. Als sie aber im Rahmen der Tür erschien, hatte ich die Empfindung, daß es ihr viel besser gehe als mir selbst. Sie trug ein violettes Abendkleid von solcher Schönheit, daß ich zunächst nur dieses Kleid sah. Den Worten der Begrüßung folgten die der Bewunderung. »Ich habe es in meiner eignen Werkstatt machen lassen«, sagte sie glücklich. »Das Modell ist übrigens arabisch. Es stammt aus Palermo. Von dort kommt allerlei über Burgund nach Pavia.« Sie ging im Zimmer auf und ab ... »Wie haben Sie sich das schön eingerichtet – in einem einzigen Tag!« – Sie nahm vom Tisch einen Pergamentband und begann darin zu blättern ... »Die neuen Gedichte Michaëls von Massafra: ›Δῶμα Λήστεως‹, ›Das Haus des Vergessens‹, die er mir noch nach Rom gesandt hat.« – »Ist er wirklich Mönch geworden?« – »Nein. Ich habe es ihm ausgeredet. Aber er lebt in der Zurückgezogenheit von St. Pantaleon – so lange, bis ihn die Welt wieder locken wird. Und das wird wahrscheinlich rascher eintreten, als er selber denkt. Wie immer er sich entscheidet, ich werde, solange ich lebe, für ihn sorgen und auch noch über meinen Tod hinaus. Was wäre die Welt ohne die Dichter – die wirklichen, meine ich, nicht etwa die Versdreher wie Gerbert und ähnliche?« – »Schade, daß ich Griechisch nicht lesen kann.« – »Wenn Sie wollen, will ich Ihnen einige von diesen Strophen übertragen. Wir werden ja Zeit genug dazu haben, ehe wir Entschlüsse fassen können. Wir wollen abwarten, welche Nachrichten einlaufen und vor allem: was uns Hugo von der Wetterau erzählen wird.« – »Sie haben ihn hierhergebeten?« – »Ja, sofort nach dem Tode des Kaisers ... Ich habe noch jemanden hierhergebeten, dem ich eine große Rolle an meinem Hofe zudenke. Sie müssen nicht erschrecken, wenn Sie seinen Namen hören: Philagathós von Nonántola.« Adelheid verzog den Mund. »Ich weiß, daß Sie ihn nicht lieben. Über Gefühle anderer verfügt man nicht. Aber vielleicht werden Sie sich doch eine bessere Meinung von ihm bilden, wenn Sie Gelegenheit haben, sich des öfteren mit ihm zu unterhalten.« – »Wo soll er wohnen?« – »In der kaiserlichen Residenz natürlich, genau wie Hugo.« – »Aber Theophano! Sieben Wochen nach dem Tode des Kaisers! Denken Sie denn nicht an das Gerede?« – »Nein. Über wen redet man nicht? Es ist das Schicksal der Herzoginnen, der Königinnen und der Kaiserinnen, daß man ihnen Liebhaber andichtet. Denken Sie an Judith von Bayern, an Ihre Tochter Emma von Frankreich, an mich selbst und an andere aus früheren Jahren ... Wo sollte man hinkommen, wenn man solchem Gerede auch nur eine Sekunde lang Rechnung trüge?« Wieder durchmaß Adelheid das Zimmer. »Was haben Sie mit Philagathós vor?« – »Er soll zunächst der griechische Lehrer Ihres Enkels, meines Sohnes werden. Der Knabe muß mindestens vier Sprachen beherrschen. Und neben Deutsch vor allem Griechisch ... Haben Sie noch niemals daran gedacht, daß der Kaiser Basileios II. von der Ehe nichts wissen will und sein Bruder Konstantin nur Töchter hat? Weiß man, ob er jemals einen Sohn haben wird?« – »Sie denken sehr weit voraus, meine Tochter. Ich meine, wir haben zunächst an – Näheres zu denken?« – » Gewiß. Aber das eine schließt das andere nicht aus.« – »Hat Ihnen Philagathós schon zugesagt?« – »Ja.« – »Er wird also mit uns nach Deutschland kommen?« – »Für einige Jahre. Ich dachte, ihn später durch Michaël von Massafra zu ersetzen und ihm einen Bischofssitz zu geben. In Italien natürlich. Der Bischof von Piacenza ist sehr alt. Eben deswegen möchte ich, daß Sie Philagathós etwas näher kennenlernen.« – »Ich sehe, daß es Ihnen an Plänen nicht fehlt.« – »Gewiß nicht! Wir beide sind uns wohl darüber klar, daß wir nur noch Hand in Hand arbeiten können. Sie für Ihren Enkel, ich für meinen Sohn. Enkel und Sohn aber sind: das Reich.« – »Haben Sie auch Hugo von der Wetterau in Ihre Pläne einbezogen?« – »Und wie! Er wird mein persönlicher Adjutant und Sonderbevollmächtigter für alle französischen Fragen werden.« – »Französische Fragen? Gibt es denn solche wieder? Ich denke, es ist doch seit dem Vertrag von Margut-sur-Chiers alles in Ordnung?« – »Solange es Ihrem Schwiegersohn Lothar gefällt! Der Kaiser ist tot! Warten wir ab!« – »Um des Himmels willen! Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!« – »Ich tue das gewiß nicht, sofern es Lothar selbst nicht tut!« Adelheid war in eine Fensternische getreten und trommelte mit den Fingern gegen die Brüstung ... »Und was haben Sie mit Italien vor?« fragte sie dann laut, sich plötzlich umwendend. »Mit Italien? In Italien regieren Sie. Ich habe den einzigen Wunsch, daß ich dort nie zu regieren brauche. Deutschland genügt mir.« – »Ist das Ihr Ernst, Theophano?« – »Haben Sie schon ein einziges Mal feststellen können, daß ich in politischen Dingen nicht vertreten habe, was ich dachte?« – »Nein, Sie sind bis zur Grobheit ehrlich gewesen!« – »Ich danke Ihnen. Auf dieser Grundlage können wir zusammen arbeiten. Und ›Italia tota‹ ist wohl auch aus Ihren Plänen verschwunden?« – »Ja, das ist es. Für die Themen soll kein deutsches Blut mehr fließen!« – »Ich danke Ihnen abermals.«

Es wurde gemeldet, daß das Abendessen angerichtet sei.

 

Die Kaiserin Adelheid aß mit viel Freude die Leckerbissen, welche ich für sie hatte herrichten lassen. Von einem »leidenden Zustand« konnte ich nichts mehr entdecken. Aber ich wußte ja, daß die Zustände fünfzigjähriger Frauen des öfteren wechseln, und rechnete damit, sie vielleicht am nächsten Tage wieder zu Bett zu finden. Sie besaß eine ausgezeichnete Gesundheit. Dennoch hielt sie es für angebracht, sich nach Tisch von der Gräfin Imiza auf jenen Diwan betten zu lassen, den ich für sie hergerichtet hatte. Sie hatte ziemlich viel Wein getrunken und war guter Laune. »Es ist reizend bei Ihnen, Theophano«, sagte sie, als man ihr noch ein Kissen unter den schönen Kopf schob.« »Es ist alles so einfach und natürlich.« – »Schicken Sie Majolus ein wenig in die Weinberge des Herrn«, sagte ich. »Eine Trennung wird Ihnen und ihm guttun. Ich weiß, daß er ein halber Heiliger ist, aber er geht mir buchstäblich auf die Nerven. Außerdem ist er mit allen Wassern gewaschen. Ich werde ihm sehr auf die Finger sehen, dessen können Sie sicher sein. Es wäre mir lieb, wenn er sich für möglichst lange nach Frankreich zurückzöge ... Aber wir wollen ja nicht von ihm und nicht von Cluny sprechen. Es steht Wichtigeres auf der Tagesordnung ...«

Adelheid unterbrach mich: »Ich wäre Ihnen dankbar, Theophano, wenn Sie mir ein Bild der Lage entwürfen, so wie sie sich Ihnen darstellt. Ich bin sehr wach, sehr bereit, im Zusammenhang zu hören, was Sie über die kommenden Dinge denken.« – »Noch eine Frage«, sagte ich, »möchten Sie auch den Kawi versuchen, den ich zu nehmen pflege, wenn ich meine Gedanken anregen will? Wissen Sie: jenes arabische Getränk, das aus den zerriebenen gebrannten Früchten einer Pflanze bereitet wird, welche in Jemen wächst?« – »Gerne.« Man brachte die kleinen chinesischen Porzellanschalen und den schwarzen Kawi ... »Köstlich«, sagte Adelheid. »Kein Wunder, daß man Sie der Zauberei verdächtigt wie den Gerbert von Aurillac.«

»Im Reiche«, begann ich, »sind mit dem Tode des Kaisers alle Fragen wieder zu wirklichen Fragen geworden. Von besonderer Bedeutung erscheint mir das böhmische Problem. Ich habe es in Verona mit Woytech durchgesprochen, und er hat meine Ansicht richtig gefunden. Der Herzog Boleslaw ist der gefährlichste und verschlagenste Gegner, den Deutschland im Osten besitzt. Er versucht, uns Sand in die Augen zu streuen. Er spielt den Unterwürfigen, da er zur offnen Auflehnung noch nicht stark genug ist, erstrebt aber in Wirklichkeit die Gründung eines großen, selbständigen Tschechenstaates an der Flanke des Reiches. Daß er seine Schwester mit dem Herzog Miesko von Polen vermählt hat, beweist, wie er auch dieses Land in seine national-tschechische Politik ziehen will. Und daß er nur einen Tschechen – eben den Fürsten Woytech – auf dem Prager Bischofsstuhl duldet, zeigt den Weg, den er zu gehen gedenkt. Sie wissen, daß ich immer der Ansicht war, man lasse der Ostpolitik nicht die Bedeutung zukommen, die ihr gebührt. Das böhmische Problem beweist mir, wie recht ich habe. Ich beabsichtige, ihm meine besondere Aufmerksamkeit zu leihen.

Die slawischen Völker im Nordosten des Reiches – ich denke an die Obotriten, die Heveller, die Liutizen und die Wenden – stellen nach der furchtbaren Niederlage, welche ihnen Gisiler von Magdeburg in der Tanger beigebracht hat, keine augenblickliche Gefahr dar. Aber sie sind nicht minder im Auge zu behalten als die Tschechen und Polen. Ich würde, sobald es die Lage des Reiches erlaubt, dafür eintreten, sie durch einen Krieg auszurotten und ihr Land zu einem deutschen Siedlungsgebiet umzuwandeln. Die Vorgänge des vergangenen Jahres rechtfertigen eine solche Vernichtungspolitik. Sentimentalische Bedenken haben hier keine Rolle zu spielen. Das Geringere hat dem Höheren geopfert zu werden, wenn es dieses Höhere gefährdet. Deutschland hat keinen Grund, Räuber- und Mörderhorden über seine Grenzen fluten, seine Siedler töten und seine Kirchen verbrennen zu lassen.

Mit den Dänen – obwohl sie vielleicht auf etwas höherer Stufe stehen als diese Slawen – ist in gleicher Weise zu verfahren, falls sie das Reich belästigen und ihre Tribute nicht zahlen.

Die schwierigste innerdeutsche Frage könnte nach dem Tode des Kaisers – allen Regelungen zum Trotz – noch einmal die bayrische werden. Ich sehe dieser Möglichkeit mit großer Kaltblütigkeit entgegen, weil ich sie schon nächtelang mit mir selbst erwogen habe. Wäre nicht Willigis Erzkanzler, würde ich wahrscheinlich vor Sorge um das Reich und das Kind kein Auge mehr zutun. Wir müssen Daten nennen, um den Zeitpunkt zu errechnen, an dem Wirren ausbrechen könnten. Frühestens am 7. Januar kann die Nachricht vom Tode des Kaisers bei Willigis gewesen sein. Frühestens Ende Januar also in Deutschland allgemein verbreitet. Etwas früher, gegen Mitte Januar, kann der in Utrecht gefangene Zänker durch seine Emissäre von dem Ereignis Kenntnis gehabt haben. Anfang Februar könnte er also eine Aktion einleiten. Denn daß er, sofern er nicht mit Gewalt daran verhindert würde, Utrecht schon verlassen hat, ist für mich so klar, wie daß wir beide hier in Pavia sitzen. Er wäre, als der älteste deutsche Agnat des Kaisers nach dem deutschen Sippenbrauch – nicht nach dem Gesetz, denn es gibt ja leider in diesem Lande noch kein auf den Buchstaben festgelegtes Reichsrecht – der Vormund des jungen Königs. Da aber der sterbende Kaiser vor der Zeugenschaft des Papstes und des gesamten Hofstaates mich zur Vormünderin meines Sohnes und zur Reichsregentin ernannt hat, fällt jeder ›Sippenanspruch‹ des Zänkers fort. Denn der Wille des Herrschers steht über allem ›Brauch‹. Solange sich der Adel nicht von diesem dehnbarsten und gefährlichsten aller Begriffe in den Begriff des ›Rechtes‹ rettet, wird er seine fatale Unklarheit immer wieder mit Blut bezahlen. Der Deutsche muß weniger ›fühlen‹ und mehr ›denken‹. In dieser Ausgleichung seiner überreichen Natur liegt sein Schicksal beschlossen. Er muß weniger Achtung vor abgestorbener Überlieferung haben und mehr Mut zu neuen Lebensformen. Er muß unterscheiden lernen zwischen Überlieferungen, welche wirklich dem ›Volke‹ gehören – und solchen, von welchen sich vollgefressene Leute weitermästen. Was Tsimiskes für Byzanz erkannt hatte, erkenne ich, mutatis mutandis, für das Reich. Tritt also der Zänker mit ›Ansprüchen des Brauches‹ hervor, so werden sich wahrscheinlich zwei Gruppen bilden: diejenige, welche – weil dies ihr Vorteil ist – den Standpunkt des ›Brauches‹ vertritt, und diejenige, welche den kaiserlichen Willen als das Summum jus im Reiche bedingungslos anerkennt, weil sie begreift, daß nur die Überwindung des Feudalprinzipes dem Reiche seine Einheit und damit seine Zukunft sichert. Daß es der Zänker bis zur Usurpation kommen läßt, möchte ich kaum annehmen. Denn seine Aussichten wären doch wohl zu gering, selbst wenn es ihm gelänge, bei den sogenannten ›Großen‹ des Reiches den ganzen Haß zu entfesseln, den er gegen mich hegt. Zum Hassen sind sie ja immer bereit, wie das Beispiel jenes ›Herrn‹ beweist, welcher Dietrich von Metz heißt. Es ist mir berichtet worden, was dieser Schwestersproß der seligen Mathilde in Lothringen über mich und Philagathós verbreitet hat: Ich bin mir mit Beatrix über die Züchtigung einig, die er zu erwarten hat, sobald ich nach Deutschland komme. Auf seine Verwandtschaft zur Dynastie wird dabei keine Rücksicht mehr genommen. Auch in diesem Falle werde ich mit Sippengefühlen aufräumen. Und mehr als gründlich: endgültig! Hätte Otto Mut gehabt, so hätte er ihn 982 nach der Schlacht von Kap Kolonne beseitigt – und wäre dann wahrscheinlich noch am Leben! Es wäre zu keiner Entfremdung zwischen ihm, ich meine Otto, und mir gekommen, und ich hätte den Kranken anders überwachen können, als es mir noch möglich war, nachdem er Dietrich den Zutritt zum Hof wieder erlaubte ... Kleine Ursachen, große Wirkungen! Ich vergesse nichts, Majestät, und ich verfüge über jenes Maß von Grausamkeit, ohne welches in so verrotteten Zeiten eine Herrscherin keine Herrscherin ist! Ich sehe durchaus nicht ein, warum ich einen nichtsnutzigen Bischof nicht um einen Kopf kürzer machen soll, wenn er es nicht wert ist, diesen Kopf noch auf den Schultern zu tragen.«

Adelheid war aufgesprungen: »Wissen Sie noch, Theophano, was Sie sagen?« – »Jawohl, Majestät! Wenn ich alles so genau wüßte wie dieses, wäre mir wohler zumute, als mir ist! Sie müssen sich daran gewöhnen, daß die Halbheiten zu Ende sind! Das Reich ist wichtig – und nicht die Cliquen! Sie haben schon im Falle des Betrügers Burchard von Schwaben, Anno 73, gesehn, wessen ich fähig bin! Denn wenn ich damals nicht in die Zornesflamme des Kaisers aus beiden Lungen hineingeblasen hätte, wäre vielleicht noch der Wittib Hadwig das Herzogtum Schwaben belassen worden: dank obskurer – aber mir erkennbarer – Einflüsse, welche sich zu ihren Gunsten geltend machten!« – »Aber die Menschlichkeit, mein Kind, die Menschlichkeit!« – »Ich pfeife auf die einseitige Menschlichkeit! Ich halte nicht die linke Wange hin, wenn man mir auf die rechte eine Ohrfeige gibt! Wer mit mir nicht menschlich ist, mit dem bin ich es auch nicht! Als Otto den Grafen Gero vom Morzanigau hinrichten ließ, habe ich ihm mein Schlafzimmer verboten, weil er einen abscheulichen Akt der Willkür und Unmenschlichkeit begangen hatte. Ich kann also nicht gut verdächtigt werden, unmenschlich zu sein! Ich habe, solange ich regierende Kaiserin bin, zu viele Menschen gesehen, welche mir – das heißt: dem Kaiser – den Strick um den Hals legen wollten, als daß ich mich noch mit so vagen Begriffen herumschlüge wie ›Menschlichkeit‹! Menschlich waren die Sarazenen, als sie im Jahre 75 den Majolus aus der Gefangenschaft entließen! Unmenschlich aber war Majolus, als er im Jahre 82 die Trommel zum Heiligen Krieg gegen die Sarazenen rührte, obwohl ihn, als Franzosen, die deutsche Politik doch überhaupt nichts anging! Und unmenschlich war auch der Zänker, als er 976 und 977 das Reich in Todesgefahr brachte! Meinen Sie vielleicht, daß ich mit dem Kerl paktiere? Und wenn ich – durch die Vis major der Umstände – zum Wohle des Reiches und meines Sohnes dazu gezwungen würde, so wäre es nur, um ihm im rechten Augenblick für immer den Garaus zu machen! Hätte man mich im Jahre 77 gehört! Hätte man ihn hingerichtet! Welche Sorge weniger hätten wir heute zu tragen! Sie und ich! Denn ich nehme an, auch Ihnen ist Ihr Enkel wichtiger als Ihr Neffe, so groß Ihre Vorliebe für den Bruder Ihres Gatten auch gewesen sein mag! Ich sage Ihnen, daß, solange ich lebe, die bayrische Sekundogenitur nur als Vasallin des Reiches leben wird, wenn sie jemals überhaupt noch einmal als Sekundogenitur in Erscheinung tritt. Ich habe schon dafür gesorgt, daß sich Hadwig vom Hohentwiel nicht einmal bis nach der Reichenau herunter wagen kann. Es geht kein Brief aus ihrer Hand noch in ihre Hand, der nicht gelesen würde! Sie ist meine Gefangene so lange, als ich es für nötig befinde. Gegen den Zänker kann ich vorgehen, sobald ich Nachrichten habe. Aber – dessen seien Sie gewiß – vorgesorgt ist auch für den Fall seiner Erhebung. Und vorgesorgt ist auch für den Fall, daß der Metzer Reliquienschieber den Zänker stützen sollte. Er würde seinen Verrat keinesfalls überleben. Wer sich als Böser gegen mich stellt, entfesselt das Böse, welches in mir ist, wie in jedem starken Menschen. Es ist noch kein Reich aufrechterhalten worden durch Nachsicht an der unrechten Stelle ...

Es bleibt in unserer Wahrscheinlichkeitsrechnung nun noch die große Unbekannte, welche Lothar von Frankreich heißt ...«

Die Kaiserin Adelheid, wie wenn sie einer Stütze für Leib und Seele bedürfe, hatte sich wieder auf den Diwan gelegt, und ich hatte ihr die Decken über die Knie gebreitet.

»Lothar von Frankreich«, fuhr ich fort mit dem Rücken gegen den Kamin lehnend, »ist genausogut der Vetter des verstorbenen Kaisers wie der Zänker. Er ist sogar um volle zehn Jahre älter, könnte also ebenfalls, auf Grund des ›Sippenbrauches‹, den Anspruch auf die Vormundschaft über Ihren Enkel, meinen Sohn, erheben. Sie sehen, wohin diese wunderbare Sippenwirtschaft führt! Der französische König – Vormund des deutschen Kaisers! Herrlich! Man könnte Lothar deutscherseits höchstens vorhalten, daß er als Ausländer nicht für ein solches Amt in Betracht komme. Er kann dies abstreiten – und Entschädigung für seinen Verzicht verlangen. Diese Entschädigung würde voraussichtlich – Niederlothringen sein! Wir hätten also den alten Kuhhandel und den neuen Krieg in einem denkbar ungünstigen Augenblick! Die Heiterkeit dieser Perspektive ist nicht abzuleugnen. Vielleicht allerdings könnten sich der Zänker und Lothar wegen der Vormundschaft in die Haare kommen ... Aber das wäre das erstemal, daß Frankreich und Bayern sich nicht auf dem Buckel des Reiches zu einigen wünschten. Ausnahmen bestätigen zwar die Regel: doch ich kann an diese Ausnahme nicht recht glauben. Ich könnte mir viel eher denken, daß der Zänker dem Franzosen Niederlothringen zusicherte, falls dieser sich für ein bayrisches Königtum über ganz Deutschland einsetzte, und zwar mit Waffengewalt.« – »Sie scheinen zu vergessen«, sagte Adelheid, ohne mich anzuschauen, »daß ich ja in diesen Fragen schließlich auch noch etwas zu sagen hätte.« – »Ich wüßte nicht, was.« – »Nun: ich bin mit meinem Schwiegersohne Lothar auf sehr gutem Fuß, und mein Neffe Heinrich von Bayern, den Sie nur noch den ›Zänker‹ nennen, hat sich auch noch niemals meinem Rate verschlossen.« – »Majestät, ich möchte wirklich nicht, daß wir hier unsere Zeit vergeuden! Trotz der Beliebtheit, deren Sie sich sowohl bei Ihrem schönen Schwiegersohne als auch bei dem Zänker erfreuen, haben sich beide nicht gescheut, dem Reiche hinterlistig in den Rücken zu fallen. Sie werden es mir nicht verargen, wenn ich den Wert Ihres persönlichen Einflusses bei Naturen wie Lothar und Heinrich sehr gering einschätze. Sie sagen ja und amen, um die Schwiegermutter und die Tante los zu sein – lachen sich in die Faust, wenn Sie ihnen den Rücken gedreht haben – und tun dann, was Sie wollen! Ich möchte Sie also sehr herzlich bitten, keinerlei Schritte im voraus zu unternehmen, die ich durch das Reich desavouieren lassen müßte. Ein Eingreifen Ihrer Person in die Reichspolitik ist erst dann erwünscht, wenn man Sie darum bittet. Es ist von Nutzen, diese Kompetenzfragen einmal klarzustellen. Ihr Wirkungsfeld ist Italien. Nichts anderes. Die Reichspolitik wird durch mich vertreten und von Willigis in Gemeinschaft mit mir gemacht. Ihre persönlichen Beziehungen zu Lothar und Heinrich gehen mich nichts an. Aber die Reichsbeziehungen zu beiden stehen jenseits Ihrer Wünsche. Ich fürchte, daß ich in den kommenden Jahren sehr gegen Ihre französischen und sekundogenituralen Wünsche Politik machen muß.« – »Soll das etwa heißen, daß ich anfangen muß, mich um meine Tochter Emma zu sorgen?« – »Eine Frau, Majestät, auch eine Königin, teilt das Schicksal ihres Mannes. Wenn also der König Lothar von Frankreich Dummheiten macht, so wird seine Gattin Emma sie mit ihm büßen müssen. Und wenn, auch ohne daß Lothar Dummheiten macht, die deutsche Politik aus triftigen Gründen einer antifranzösischen, ich meine einer antikarolingischen, Linie folgen muß, so wird auf die Abstammung Ihrer Tochter Emma aus erster Ehe keine Rücksicht mehr genommen werden können.« – »Ich ertrage dieses Gespräch nicht mehr«, rief Adelheid, die Decken von sich reißend und mit erregter Schleppe im Zimmer umherrennend. »Sie überschreiten in Ihrer Art, sich auszudrücken, jedes Maß des Respektes, den Sie mir schulden.« – »Keineswegs, Majestät. Ich habe niemals den Respekt verletzt, den ich Ihrer kaiserlichen und menschlichen Person schulde. Politische Rücksichten aber habe ich auf Sie, soweit es sich um die Zukunft handelt, keine zu nehmen. Sie gehören einer abgeklungenen Zeit an, in der Sie mit bewunderungswürdiger Kunst die Rolle gespielt haben, welche das Schicksal Ihnen zugewiesen hatte. Sie haben sich aus der zukünftigen Politik selbst ausgeschaltet, indem Sie sich erstens: aus Ihren Sippengefühlen nicht zu entheben wußten und zweitens: mit Haut und Haar dem gefährlichen Geiste von Cluny verschrieben. Wenn Sie diese Wahrheiten, die der Kaiser genau so richtig erkannt hatte wie ich und die ich hier vor Ihnen in der ehrlichsten Absicht ausspreche, nicht Wort haben wollen, so wäre das ein Beweis dafür, daß Sie auch Ihre italische Aufgabe nicht so zu erfüllen imstande sind, wie dies für das Reich nötig ist. Durch Sippenwirtschaft wird zwar in diesem Lande die Reichspolitik nicht unmittelbar gefährdet, zumal ja auf Hugo von Tuskien Verlaß ist, und die Clunyschen Bestrebungen, zumal wenn sie von der italischen Königingroßmutter vertreten werden, können bei den verrotteten langobardischen Pfaffen nur Gutes stiften: aber es soll den Italienern nicht der Glaube beigebracht werden, daß sie sich außerhalb der ›Totalitas Imperii‹ stellen dürfen, wie sie vom Reich verlangt und betrieben werden wird. Ich bin mir mit dem Kaiser auch über diesen Punkt einig gewesen. Er wollte, wie Sie wissen, sogar die Themen und Sizilien in diese ›Totalitas‹ einbeziehen. Ich wußte, daß dies unmöglich sei, weil es über die heutigen und wohl auch zukünftigen Kräfte des Reiches hinausgeht. Wenn Sie aber den Sarazenenkrieg befürworteten, so geschah es erstens: weil Sie – als italisch-langobardische Königin – im Sinne der langobardischen Tradition ›Italia tota‹ dachten, zweitens: weil Sie von den Clunyschen Gedankengängen des Kampfes der Christenheit gegen die Heiden beseelt waren, und drittens: weil es Ihnen angenehm war, Deutschland von einer allzu ernsthaften Beschäftigung mit den Vorgängen im Westen – abgelenkt zu sehen. Sie haben sich ja nicht einmal gegen die skandalöse Ehe ihres französischen Enkels Ludwig mit der alten Herzoginwitwe von Aquitanien-Gévaudan zur Wehr gesetzt, weil Ihnen die karolingisch-französische Machterweiterung erwünscht war: obwohl Sie ganz genau wissen mußten, daß der Erwerb Aquitaniens durch die französische Krone der sächsisch-ottonischen Dynastie, zu der Sie selbst als ehemalige Kaiserin gehören, sehr gegen den Strich ging! Sie werden also begreifen, daß das Reich – ich tue es hiermit in seinem Namen – einmal klipp und klar aussprechen muß, wo Ihre eigne Natur Ihnen die politischen Grenzen gesetzt hat. Dies ist nicht Mangel an Anerkennung, nicht Mangel an Respekt, noch weniger Vorwurf: dies ist eine jener grundsätzlichen Klarstellungen, ohne die es nun einmal nicht abgeht und nicht weitergeht. Sie sind in solchem Maße an Ihre Natur gebunden, daß Sie gar nicht anders können, als Sie müssen! Das ist gut so. Denn Sie sind auf Ihre Weise nicht minder ehrlich, als ich es auf die meine bin. Und eben deswegen bin ich der Meinung, daß wir vorzüglich zusammenarbeiten können. Sie sind in Italien so sehr an Ihrem Platze, wie es nur eine Reichsstatthalterin sein kann. Sie haben eine wundervolle und Ihnen gemäße Aufgabe zu erfüllen, für deren Bewältigung Ihnen das Reich seinen Dank nicht vorenthalten wird. Aber dieses Reich wird von Ihnen erwarten dürfen, daß Sie Person und Sache trennen: genauso wie es dies von mir verlangt. Solange der Kaiser Tsimiskes lebte, konnte ich eine byzantinische Linie einhalten, weil sie sich mit der deutschen deckte. Seit er tot ist, konnte ich nur darauf bedacht sein, einen Bruch mit dem Basileus Basileios II. zu vermeiden. Wenn es aber morgen Basileios einfallen sollte, dem Reich in Rom Schwierigkeiten zu bereiten, werde ich gegen Byzanz stehen: obwohl es mein Vaterland ist und meine gesamte Familie dort lebt. Ja, ich bin sogar gegen eine Dynastie Skleros, weil ich mir von einer solchen Dynastie für das Reich nichts verspreche! Ich kann immer nur das gleiche wiederholen: Mein Leben ist das Reich – und das Reich ist mein Sohn!« – Adelheid hatte mich stehend angehört, ohne eine Bewegung zu machen. Sie lehnte wie in einer Hypnose gegen den Pfeiler eines Wandschrankes. Als ich schwieg, war nur das Knacken des Holzes im Kamin zu hören und das Ächzen des Windes um das Gemäuer. Ich goß etwas Kawi in eine Porzellanschale und trug sie zu ihr hinüber. Sie trank langsam, während sich ihre Augen feuchteten ...

»Woher«, fragte sie leise, während sie mir die Schale zurückreichte, »woher, Theophano, kommt Ihnen diese unheimliche Kälte des Gedankens?« – »Aus der Notwendigkeit, Majestät. Auch diese Notwendigkeit heißt: der Sohn.«

 

Philagathós, den ich von Tag zu Tag erwartete, ließ mich am 30. Januar wissen, daß er kränker geworden sei und seine Reise noch aufschieben müsse. Ich möge ihm mitteilen, wie lange ich noch in Pavia zu bleiben gedächte. Ich gab dem Boten sofort die Antwort mit: Ich könne kein Datum festsetzen, da meine Entscheidungen von den Nachrichten aus Deutschland abhingen, welche immer noch nicht eingetroffen seien. Es sei jedoch kaum anzunehmen, daß ich vor Anfang März aufbräche. So bestehe also noch eine Hoffnung, ihn zu sehen. Finde er mich in Pavia nicht mehr vor, so möge er mir an das Hoflager nach Deutschland nachfolgen ... Der neue Aufschub dieser ersehnten Begegnung versetzte mich in eine qualvolle Unruhe. Ich hatte Mühe, vor Adelheid meine Traurigkeit zu verbergen – und war glücklich, als am gleichen Abend ein Eilbote des Erzkanzlers Willigis eintraf, der unter gefährlichen Schneestürmen den Gotthard überschritten und zwei Pferde auf der Strecke gelassen hatte. Sein Begleiter, sagte er, sei vor Erschöpfung in Maccagno liegengelieben. Das Schreiben des Kanzlers war am 24. Dezember abgefertigt und schilderte die Königskrönung Ottos in Aachen, welche unter der Anwesenheit sämtlicher Herzöge und der höchsten Geistlichkeit stattgefunden habe. Auch Mathilde sei von Quedlinburg herübergekommen und rüste sich, das Kind bei sich in Obhut zu nehmen, sobald das Nachlassen einer außergewöhnlichen Kälte die weite Reise ermögliche. Zunächst werde sie noch mit dem Knaben bei dem Erzbischof Warin in Köln bleiben, da sie dort einige Angelegenheiten für ihr Stift erledigen wolle. Der Brief war an den Kaiser gerichtet. Man konnte um Weihnachten noch nichts von seinem Tode geahnt haben. Als ich den Boten – einen Grafen Hoiko von Eupen – fragte, wo er selbst die Nachricht erfahren habe, sagte er mir, in Basel. Aber er habe sie nicht glauben wollen ... Wir saßen lange mit ihm zusammen. Er hatte eine kühle, überlegte Art, die Dinge zu schildern. Er glaubte nicht an Unruhen in Deutschland. Die bayrischen Kriege und der französische Feldzug lägen noch jedermann in den Knochen, das Volk wolle seiner Arbeit nachgehen und von Händeln nichts wissen. Es sei froh, einen König und Thronerben aus der ottonischen Dynastie zu haben, und bete Tag um Tag für ihn bis in die kleinsten Dorfkirchen. Es war beruhigend, dies zu hören, und doppelt, weil es mit großer Schlichtheit gesagt war. In Mailand, erzählte er weiter, habe er meine Anwesenheit in Pavia erfahren. Die Leute meinten, Rom sei mir nicht mehr sicher genug erschienen. Auf die Römer sei niemals Verlaß ... Ich fragte ihn, ob er Rom gerne sehen wolle ... Er wurde verlegen. Ich lächelte: Ich werde ihm eine Reise nach Rom schenken und einen Brief an den deutschen Platzkommandanten mitgeben. Auch an den Grafen von Salm, dem die kaiserliche Residenz unterstellt sei ... Aber zunächst solle er eine Woche ausruhen und seinen Begleiter aus Maccagno erwarten. Auch in Pavia werde er sich nicht langweilen ... Ich war so unruhig in mir, daß ich schon die Anwesenheit dieses fremden Offiziers als eine Wohltat empfand. Die Kaiserin Adelheid schaute mich kopfschüttelnd an: »Sind Sie immer so freundlich gegen junge Leute?« – »Gegen solche wie Graf Hoiko immer. Dieser junge Mensch ist weder besonders hübsch noch besonders geistreich. Aber er ist unendlich angenehm.« Als es sich erwies, daß Graf Hoiko ein guter Schachspieler war, wußte ich, wie ich meine Abende ohne Adelheid und Majolus zu verbringen hatte – und da er ausgezeichnet zu Pferde saß, waren auch meine Nachmittage ausgefüllt. Es fing schon an, Frühling zu werden. Die Haselsträucher blühten, und die ersten Schneeglocken kamen aus dem Boden. Die Himmel standen in apfelgrünem Abendlichte, und der Duft erwachender Erde drang durch die offnen Fensterbögen ... »Wie lange bleibt der Graf Hoiko noch in Pavia?« fragte Adelheid am dritten Tage nach seiner Ankunft ... »Solange er will. Er scheint nicht die geringste Lust zu verspüren, nach Rom zu reisen. Es ist mir recht, daß er bleibt. Ich habe seit langem keinen männlicheren Menschen gesehen. Seine Gegenwart ist ein körperliches Vergnügen. Man ruht aus bei seinem Anblick. Es wird Sie freuen, zu hören, daß seine Mutter Burgunderin ist, eine Gräfin von Valence.« – »Wie kommt er dann dazu, Kurierdienste zu tun?« – »Sie erstaunen mich durch Ihre Auffassung ritterlicher Pflichten! Auch der Fürst Niketas ist in meinem Auftrag gereist, der Graf Hugo von der Wetterau ebenfalls ... Ich denke übrigens ernsthaft daran, den Grafen Hoiko in meinen persönlichen Diensten zu behalten. Ich habe ihm noch keine Vorschläge gemacht. Aber dies kann zu jeder Minute geschehen.« – »Haben Sie noch niemals daran gedacht, einen geistlichen Herrn vornehmen Standes in Ihren engeren Hofstaat zu nehmen?« – »Nein. Meine Zwiegespräche mit Gott geschehen unmittelbar oder durch die Theotokos. Und in meinen weltlichen Angelegenheiten haben Kleriker nichts zu suchen. Ich verstehe nicht, warum Sie mir immer mit Vorschlägen kommen ... Stören Sie doch nicht unseren Pakt der politischen Zusammenarbeit. Ich tue das, was ich will. Ich bekümmere mich ja auch nicht um die Schwärme von Geistlichen, welche Ihre Vorzimmer belagern und an Ihre Geldtasche appellieren. Ich mache Ihnen auch keine Bemerkungen darüber, daß Sie in den Kleidern einer Dienstmagd auf den Kirchentreppen des Landes Almosen verteilen. Solche Dinge sind Geschmacksachen. Ich reite lieber mit einem hübschen jungen Mann spazieren. Ich kann den toten Kaiser nicht auferwecken – und meine Freude an den freundlichen Dingen des unfreundlichen Lebens nicht ersticken. Wollen wir also jetzt einen neuen Pakt schließen: daß wir uns – gegenseitig – um unser persönliches Leben nicht mehr kümmern.« – »Wie Sie meinen, Theophano ... Ich hatte die besten Absichten.« – »Das weiß ich. Aber ich kann von ihnen keinen Gebrauch machen.«

 

Endlich, am 8. Februar, kam der Brief, den Willigis nach dem Eintreffen der Todesnachricht geschrieben hatte. Diese Nachricht war am 3. Januar in seine Hände gelangt. Die Kuriere, welche von Leo Akritas in meinem Auftrag gesandt worden waren, hatten sich selbst übertroffen. Sie konnten ihrer verdienten Belohnungen sicher sein. Willigis schrieb, daß er den Tod des Kaisers mindestens eine Woche geheimhalten werde, um Vorkehrungen »für alle Fälle« treffen zu können. Er rechne mit Störungen, aber er sei sicher, die Ordnung aufrechtzuerhalten, da für mindestens drei Viertel aller Deutschen die ottonische Dynastie das Sinnbild der Macht bedeute. Er warne vor Gerüchtemachern und Schwarzsehern, welche fast immer im Auftrag der Gegner handelten. Der junge König sei mit seiner Tante Mathilde von Quedlinburg in Köln eingetroffen und habe vielleicht sogar schon die Reise nach Sachsen angetreten. Er wohne mit seiner Garde im erzbischöflichen Palais und sei in vorzüglicher Gesundheit, sehr erfüllt von seiner Königswürde und voll Verlangen nach seiner »schönen« Mutter. Es seien Eilboten an die Herzöge unterwegs, ein Reichstag werde einberufen werden, sobald über die Haltung des Zänkers Klarheit herrsche. Wie immer diese auch sei: es bestehe für die Dynastie keine Gefahr: Er werde durch den Grafen Hugo von der Wetterau, den er nach Köln geschickt habe, in zwei Wochen weiteren Bescheid geben. Er bitte die beiden Kaiserinnen, sich zur Abreise nach Deutschland bereit zu halten.

Der Brief war in so zuversichtlichem Ton gehalten, daß ich aufatmete ... Ich machte mit dem Grafen Hoiko einen langen Ritt an den Ufern des Po. Die Sonne schien von einem leicht durchdunsteten Himmel, Pferde weideten in den kaiserlichen Gestüten, in den Bauerngärten blühten die gelben und violetten Krokus. Hoiko trabte langsam vor mir her. Ich freute mich an seiner knappen, geschmeidigen Gestalt, die wie auf den Schimmel gegossen schien, und an dem kräftigen Schnitt seiner Züge ... Plötzlich dachte ich an Philagathós. Wie seltsam, sagte ich mir, daß ich gar kein Verlangen mehr nach ihm habe. Vergißt sich ein Mann so rasch über einem anderen? Setzte ich ihn denn dem Grafen Hoiko gleich? Ihn, Philagathós, der mir wie das Ebenbild eines antikischen Gottes erschienen war? Hoiko hielt seine Stute an und schaute zu Boden. Dann sprang er ab und ging auf eine Schlehenhecke zu, die noch mit toten Reisern stand. Er bückte sich und pflückte eine blaue Hyazinthe, die sich dort schon hervorgewagt hatte. Er reichte sie mir auf das Pferd hinauf. Seine dunkelgrauen Augen hingen an meinen ... Wären die Reitknechte nicht hinter uns gewesen, so hätte ich mich niedergeneigt und diese Augen geküßt ... Noch in der gleichen Nacht wurde Hoiko mein Geliebter. Ich erfuhr zum erstenmal in meinem Leben, was der Körper eines Mannes und was das Lieben eines solchen Körpers ist. Ich hatte siebenundzwanzig Jahre alt werden müssen, um es zu erfahren. Als ich mich aus seinen Armen löste, war ich Frau geworden. Dieser Mensch, der eben die Dreiundzwanzig überschritten hatte, hatte sich nicht – wie der Kaiser – in meinen Schutz geflüchtet, sich nicht von mir mit tausend Zärtlichkeiten verwöhnen lassen: er hatte mich genommen von Geschlecht zu Geschlecht, ganz besessen von dem Glück, mich nehmen zu dürfen, und mich erschöpft bis in den Grund meines Wesens ... Sein Mund war hart gewesen, rücksichtslos, grausam fast im Zugreifen, seine Hände hatten nicht darnach gefragt, ob ihre Umklammerung mich in den Hüften schmerzte, seine Leidenschaft sich nicht darum gekümmert, ob sie mir die Besinnung nahm ... Es war ihm gleichgültig gewesen, ob ihm eine Kaiserin erlag: er hatte die Frau gewollt – und die Frau gefunden ... Er hatte mir die Erfüllung geschenkt – und jenes Äußerste an Kraft, das mich rüstete für den Weg, der mir bestimmt war. Neunzehn lange Monate hatte mein Körper brachgelegen, um erst im zwanzigsten mein Besitz zu werden ... Als mich Hoiko verlassen hatte, ging ich zu dem Bilde der Theotokos, vor dem die blaue Hyazinthe weiterblühte ... Die Strophen Michaëls von Massafra an die »Große Mütterliche« kamen mir in den Sinn, und ich sprach sie zu dem dämmernden Antlitz:

»Du Übersinnliche, die ihre Gnaden
Ganz nach dem eignen Stundenschlag verteilt,
An welchen unergründlichen Gestaden
Der Vor-Geburt hast du geweilt,

Um unsre enge Stunde zu ermessen
Im Wogen aller Nacht, die dich durchfloß:
Wie viele Meilen mußtest du vergessen,
Eh deine Glut auch uns umschloß?

Nun spüren wir verstört: wir stehn im Scheine:
Gewähre, daß der Geist uns nicht versagt,
Und morgen unsre Armut nicht beweine,
Was heute du für uns gewagt.«

Philagathós? Die Gärten der Hesperiden? Entrückt an unbegreiflich ferne Horizonte ... verschwimmend in Abendwolken, am verlöschenden Meer ... Hier neben, um wenige Zimmer von dem meinen getrennt, ruhte im Schatten jugendlichen Schlafes das Wunder, an dem ich wachsen konnte. Und dieses Wunder war: die Wirklichkeit.

 

Ich bat Philagathós in einem Briefe, seine Reise erst dann anzutreten, wenn der Hof in Deutschland angelangt sei. Er möge sich im Hochsommer dort einfinden. Ich werde, wenn es die Lage erlaube, in Ingelheim residieren. Es sei mir wichtig, daß er mich über die Vorgänge in Rom auf dem laufenden halte. Der Kurierdienst mit dieser Stadt werde von Ende Februar an verdoppelt ...

Am 20. Februar traf ein langes Schreiben der Äbtissin Mathilde ein. Es war am 10. Januar in Köln ausgefertigt und meldete ihre bevorstehende Abreise mit dem Kinde nach Quedlinburg. Der Tod des Kaisers sei am Rheine bekannt. Das Land verhalte sich ruhig. Aber der Erzbischof Warin von Köln sei darüber erbost, daß man ihm eine so wichtige Nachricht auf dem Umweg über Willigis übermittelt habe. Köln sei nicht weniger wichtig als Mainz. Ich lachte: »Warin wird sich zu einer anderen Auffassung bekehren müssen.« Adelheid zog die Stirn in Falten: »Es ist nicht gut, meine Tochter, Köln und Mainz zu entzweien. Vergessen Sie nicht, daß wir Warin sehr nötig haben werden, wenn der Herzog Karl von Niederlothringen ...«

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als Hugo von der Wetterau gemeldet wurde. Ich sprang von meinem Stuhle auf. Hugo trat in das Zimmer. Er sah erschreckend bleich aus ... Er bestätigte die Nachrichten Mathildes, welche unterwegs sein müsse, teilte aber gleichzeitig mit, daß der Zänker seinen Haftort Utrecht verlassen habe. Man habe in Köln, am 18. Januar, noch nichts darüber erfahren können, wohin er sich gewendet habe ... »Sind Sie sicher, daß der König Köln verlassen hat?« fragte ich ihn, während mir die Stimme fast versagte ... »Eure Majestät begreifen, daß ich dies nicht beschwören könnte. Aber es ist meine Ansicht, daß der König mit der Prinzessin Mathilde Köln verlassen hat.« – »Halten Sie Warin für zuverlässig?« – »Ich habe keine Ursache, ihm zu mißtrauen. Es ist mir nicht bekannt, daß er jemals Beziehungen zu dem Herzog von Bayern gehabt hat.« Ich fühlte, daß mir schwindelte ... Hugo fing mich auf ... »Es ist kein Grund vorhanden, Majestät, sich so zu ängstigen.« Ich hörte kaum noch die Worte. In meinem Kopfe wirbelte nur ein einziges Wort auf und nieder wie ein Blatt im Sturme: »Das Kind – das Kind.« Wenn Mathilde nicht rechtzeitig abgereist ist ... Wenn man sie an der Abreise verhindert hat ... Wenn man ihr den Weg verlegt hat ... Aber es gelang Hugo, mich zu beruhigen, als er am Abend allein bei mir saß und mir das Schreiben des Erzkanzlers übergab. Willigis rechnete mit dem Versuch einer neuen bayrischen Revolte. Aber er versicherte mir abermals, daß sie scheitern müsse, und bat mich, die Fassung zu bewahren ... Er werde nun jede Woche Kuriere senden, vier zu gleicher Zeit, damit sich nie eine Nachricht verlieren könne ...

An diesem trüben, bangen Abend lernte ich den Menschen kennen, der sich Graf Hoiko von Eupen nannte. Als ich, von Hugo von der Wetterau begleitet, aus dem königlichen Schlosse zurückkam, wo wir mit Adelheid alle Einzelheiten unserer Reise durch Burgund besprochen hatten, fand ich ein Wort von Hoiko vor, welches lautete: »Ich bitte Eure Majestät, mir Ihre Befehle zu übermitteln, für den Fall, daß solche heute noch ausgeführt werden sollen. Ich bin bis Mitternacht bei den Offizieren der Palastgarde.« Ich sah lange auf die Worte, welche in regelmäßigen, breiten Zügen auf das Pergament geschrieben waren. »In diesem kurzen Satze ist der ganze Mensch«, sagte ich mir. »Auch in der Form dieser Buchstaben, welche in sich selber ruhen. Es scheint mir, daß ich bei Hoiko von Eupen gut aufgehoben bin.«

Ich verabschiedete mich von Hugo, der mich von der Seite betrachtete. Ich wußte, daß er für mich litt, ja vielleicht mehr litt als ich selbst. Aber es war dieser verhaltenen Natur nicht gegeben, das Fragezeichen zu überwinden, weil sie noch nicht in ihre eigentliche Aufgabe gerückt worden war. Ahnte er, daß in meinem Leben ein Entscheidendes geschehen war? Ich legte ihm die Arme auf die Schultern und sah ihm in das unruhige Gesicht: »Was gibt es, Hugo?« – »Was Sie selber wissen, Majestät. Ich bin unglücklich, daß ich Ihnen so wenig helfen kann. Ich habe das Jahr 982 noch nicht überwunden. Die Welt scheint mir ein großes Narrenhaus und alles menschliche Beginnen ohne inneren Sinn. Nur seine ›Pflicht‹ zu tun, reicht nicht aus, ein Leben zu füllen. Denn die Pflicht erschöpft die Kräfte, aber sie erneuert sie nicht. Nur der Einsatz gewährt die Blüte.« – »Gedulden Sie sich noch ein wenig«, sagte ich, mich zu einem Lächeln zwingend. »Ich werde Ihnen bald Gelegenheit geben können, sich aus der Pflichterfüllung Ihres Herzens in den Einsatz Ihres Lebens erheben zu können.« Er küßte mir lange die Hand und ging gesenkten Kopfes die Treppe in das obere Geschoß empor.

Ich schickte Kammerfrau und Zofe schlafen, nachdem man mich entkleidet hatte, und ging durch den inneren Korridor in Hoikos Zimmer hinüber. Es war lange nach Mitternacht. Hoiko saß an seinem Tisch und schrieb einen Brief an seine Eltern ... »Ich danke für Ihre Worte«, sagte ich. »Es tut mir leid, daß ich nicht früher kommen konnte. Aber es gab vieles mit Hugo und der Kaiserin Adelheid zu besprechen.« – »Welcher wundervolle Mensch ist dieser Graf von der Wetterau«, sagte Hoiko. »Aber warum ist so viel Traurigkeit um einen so jugendlichen Mann?« – »Das werden Sie erkennen, wenn Sie sehr oft mit ihm gesprochen haben. Es gibt eine Trauer des Wesens, welche mit der Betrübtheit über die Ereignisse nichts zu tun hat. Diese Trauer ist Ihnen fremd. Sie sind unter dem Horoskop der ›conformitas‹ geboren. Sie müssen Gott für dieses ungeheure Geschenk danken. Es hat Ihnen den Weg zu mir erschlossen. Und mir den Weg zu Ihnen.«

Wir gingen in mein Zimmer hinüber. Hoiko legte das Wehrgehenk auf einen Sessel, aber er rührte nicht an den Gürtel seiner Tunika. Ich sah ihn fragend an. Er sagte: »Ich habe heute lange über Sie und alle Ereignisse nachgedacht, welche sich in Deutschland vorbereiten. Wir müssen darüber sprechen. Jetzt, in dieser Stunde. Sie wissen, daß ich das leichtfertige Wort hasse. Um so mehr können Sie sich dem meinen anvertrauen. Selbst wenn das Alleräußerste geschähe, ich meine: selbst wenn der Herzog Heinrich von Bayern den jungen König in Gewahrsam nähme, um ihn als Pfand für seine Ansprüche ausspielen zu können, würde dies noch immer keinen Grund darstellen, das Schlimmste zu befürchten. Es ist nicht ein einziger Akt persönlicher Grausamkeit von Herzog Heinrich bekannt. Seine Kämpfe sind politische Kämpfe. Was hätte er dabei zu gewinnen, wenn er dem Kinde ein Leid antäte? Das Gegenteil dessen, was er anstrebt! Ganz Deutschland würde gegen ihn aufstehn – er hätte nicht nur jede Hoffnung auf die Wiedergewinnung seines Herzogtumes verloren, sondern er selbst und seine Familie wären der Verdammung, der Ächtung, vielleicht dem Tode preisgegeben. Die Sekundogenitur hat alle Gründe, sich die Hände sauber zu halten. Sonst spielt sie überhaupt ihr letztes Spiel. Also fürchten Sie von Heinrich kein Unwiderrufliches: das heißt keine Gefahr für Ihren Sohn. Aber seien Sie gerüstet auf Erpressungs- und Umsturzversuche, ohne auch diese – in ihren Folgen – ernster zu nehmen, als sie werden können. Für heute aber rufen Sie sich ins Gedächtnis, daß wir, was den jungen König betrifft, nur von einer Möglichkeit gesprochen haben, deren Eintritt unwahrscheinlich ist.« Ich hatte mich aus den Kissen aufgerichtet: »Wie ist es möglich, Hoiko«, sagte ich, »daß ein dreiundzwanzigjähriger Mensch wie Sie, welcher dem politischen Leben immer fernegestanden hat, zu einer so klaren und unanfechtbaren Erkenntnis einer Lage kommen kann? Warum haben mich weder die Kaiserin noch Hugo von der Wetterau mit den gleichen Erwägungen beruhigen können? Warum habe ich es selber nicht vermocht?« – »Weil Sie alle viel zu sehr in den Dingen befangen und mit Ihrem Gefühl an ihnen beteiligt sind. Ihr Gedanke hat sich an der Sorge abgewetzt. Nur der unverwundete Gedanke sieht, was ist.« Ich warf meine Arme um Hoikos Hals und zog ihn gegen mich nieder. Aber er entwand sich meinen Armen: »Nein, Theophano ... Heute müssen Sie mir gehorchen. Heute bedürfen Sie der Ruhe: im Körper und in der Seele. Es genügt mir, die Schatten unter Ihren Augen zu sehen, um zu begreifen, wie erschöpft Sie sind. Sie müssen schlafen. Ich werde, wenn Sie es wollen, bei Ihnen bleiben. Ich werde meine müde Basilissa in die Arme nehmen wie ein Kind und ganz langsam in ihren Schlummer streicheln ... Und wenn sie eingeschlafen ist, werde ich ihren Schlaf der Theotokos ans Herz legen und auf den Zehenspitzen in mein Zimmer hinübergehen. Dort werde ich dann auch schlafen: so wie Hoiko von Eupen schläft, der glücklichste Mensch, den es auf der Erde gibt.«

 

Am 28. Februar traf jener Brief der Prinzessin Mathilde ein, welcher den dunkelsten Tag meines Lebens heraufbeschwor. Er war in Mainz am 28. Januar geschrieben und durch zwei Offiziere der königlichen Garde überbracht worden, welche nach den Gewaltritten durch Burgund – die Alpenpässe konnten wegen Vereisung nicht mehr benutzt werden – so erschöpft waren, daß wir sie im Krankenhaus der Benediktinischen Brüder unterbringen mußten. Nun wußten wir die volle Wahrheit, und diese Wahrheit übertraf alles, was unsre Phantasie sich hätte ausdenken können: Mathilde hatte, durch die Schneestürme dieses bitteren Winters in Köln zurückgehalten, ihre Abreise mit dem König bis zum 19. Januar verschieben müssen. Sie konnte das Kind, auf dessen Leben die ottonische Dynastie ruhte, nicht der Gefahr einer tödlichen Erkrankung aussetzen, obwohl er das nördliche Klima besser vertrug als das südliche. Die Fahrt sollte in Schlitten unternommen werden. Als sie einen Tag vor dem Aufbruch den Knaben nach St. Pantaleon hinübernehmen wollte, wurde ihr bedeutet, daß er mit dem Erzbischof Warin eine Ausfahrt gemacht habe. Von dieser »Ausfahrt« kehrten weder der König noch seine Wärterin Barbara, noch die beiden Leibwächter zurück. Denn der Erzbischof Warin selbst hatte ihn an einem verabredeten Ort dem Herzog Heinrich von Bayern ausgeliefert und dessen Partei ergriffen. Als auch Warin nicht zurückkam, war Mathilde noch in der Nacht rheinaufwärts gereist, um sich in Mainz mit Willigis zu besprechen. Willigis selbst teilte uns in einem kurzen, beigelegten Schreiben mit, daß mit diesem Akte Heinrichs die Revolution ausgebrochen sei, welche sich nicht auf die Fürsten, sondern nur auf den Klerus stütze: Außer Warin selbst seien die Erzbischöfe Ekbert von Trier und Gisiler von Magdeburg, sowie die bayrischen Bischöfe und der Bischof Dietrich von Metz auf der Seite des Rebellen. Die bedeutenden weltlichen Fürsten dagegen und der weitaus größte Teil der Geistlichkeit stünden auf Seiten der Dynastie.

Ich schrie vor Scham und Wut auf, als Hugo die Briefe verlesen hatte. Ich riß mein Kleid von oben bis unten auseinander und wäre vielleicht von einem Herzschlag getroffen worden, wenn mir nicht Hoiko, den ich in die königliche Residenz mitgenommen hatte, Baldrian durch die Lippen gezwängt hätte. Ich schrie und schrie, schlug mit den Fäusten in einen venezianischen Spiegel, riß die Kerzen aus einem Leuchter und warf sie in die Vorhänge – ich sah Blut vor meinen Augen wogen, Blut aus allen Wänden sickern – und fiel schließlich zu Boden ... Adelheid weinte auf, Hoiko und Hugo knieten neben mir nieder, und Majolus beugte sich über mich, Hände und Blicke gegen die Decke erhebend, als ob er beten wolle. Diese Geste brachte mich zur Besinnung. Sie trieb das Blut in meine Adern zurück, gab den eiskalten Händen wieder Leben und dem Bewußtsein eine Kraft der Durchleuchtung, die mich vor mir selbst in Schrecken versetzte. Ich ließ mich von Hoiko aufrichten, faßte Hugos Arm, da meine Knie noch wie erstarrt waren, und ging vor Majolus: »Nun? Wie ist Ihnen zumute, Seigneur Majeul? Der Erzbischof Warin verrät – und der Erzbischof Ekbert unterstützt ihn? Wer ist Warin und wer ist Ekbert? Was? Der Vertreter der Clunyschen Reformen in dem deutschen Herzogtum Niederlothringen! Die Hasser der weltlichen Oberherrschaft im Reich! Schweinehunde, durch die Gnade des Reiches groß geworden, gemästet mit dem Golde des Reiches – und nun im Begriff, diesem Reich, dem sie alles und jedes verdanken in den Rücken zu fallen! Pfaffen, welche, von einem allzu gutgläubigen Kaiser in den Rang der Feudalität erhoben, den Feudalgedanken gegen den übergeordneten Staatsgedanken vertreten, weil sie glauben, eine siebenundzwanzigjährige Kaiserin, eine ›Landfremde‹, eine Ausländerin, eine Byzantinerin, kann das Reich nicht in seinen Fugen halten! Kann der feudalen Zersetzung nicht wehren, weil ihr die sittlichen und politischen Kräfte der Synthese fehlen! Ich werde beweisen, über welche Kräfte ich verfüge! Und ich sage Ihnen: Es ist mir vor Gott und dem Teufel gleichgültig, ob die Glieder eines verruchten Bischofsleibes auf dem Rad gebrochen werden oder auf dem Roste dörren! Ich bin es jedem armen Schlucker, der vor meiner Tür um eine Brotkruste bettelt, schuldig, daß ich den Verrat der ›Hohen Herren‹ und Nutznießer grauenhaft bestrafe! Warin – Warin – Warin! Ich verlange, daß dieser Name von allen Kanzeln herunter gebrandmarkt werde, daß er angespien werde bis in die Dirnenhäuser! Ein Erzbischof liefert einen König aus, den ihm das Reich anvertraut hat! Er hätte sich, falls man ihn zur Herausgabe zwingen wollte, lieber den Dolch in die Brust jagen sollen, ehe er ein solches Verbrechen auf sich nahm! Es ist mir lieber, die Mönche huren und saufen, als daß von verlogenen Schülern Clunys der gefährliche Inkubus des Aufruhrs in die Herzen gesenkt wird! Und zwar mit der Geste der Gottwohlgefälligkeit! Willigis weiß, warum er über Cluny die Achseln zuckt! Und ich bin nun auch von Grund aus geheilt! Ist vielleicht Herr Dietrich von Metz nicht ebenfalls einer der Ihren! Schämen Sie sich nicht, diesen lumpigsten aller Lumpen immer noch unter Ihren Fittichen zu halten? Ich rieche bis nach Pavia das Gold, womit ihn der Zänker geschmiert hat! Pfui! Der Ekel steht mir so hoch, daß ich mich eine Stunde lang erbrechen könnte! Was ich Ihnen hier sage, geht nicht gegen Ihre Person. Es geht gegen den Vertreter einer geistlichen ›Unternehmung‹, der ich den Krieg erkläre, wo immer sie meiner Politik in die Quere kommt! Ich mache deutsche Politik! Nichts anderes! Damit Sie es wissen. Und wenn ich mehr als laut spreche, so ist es, weil Sie nicht nur in den Ohren, sondern auch in der Seele taub sind! Der Weg ist jetzt vorgezeichnet. Es gibt für mich nur noch einen einzigen zu gehen. Und der wird gegangen: mit dem Sohn, oder auch – ohne den Sohn! Wenn aber dieses Entsetzensvollste geschehen sollte, daß der Verrat des Warin dem Kinde das Leben kostet: so wird die Meute, Abt Majolus, erleben, daß ich sein kann, als was sie mich unter der Einflüsterung von allerhand Beichtstuhlgaunern bezeichnet: eine Teufelin! Gleichgültig, wie dann alles noch endet: jedenfalls in Blut und nochmals Blut! – Ich befehle den Aufbruch nach Deutschland für den 5. März, und zwar über Burgund. Denn ich habe dem König Konrad noch einige wichtige Dinge zu sagen. Er ist ein anständiger Mann und wird mich, obwohl auch er für Cluny betet, sehr gut verstehen. Meine heftige Sprache ist mein Temperament. Der Sinn meiner Worte aber ist meine Gesinnung. Es gibt also nichts daran herumzudeuteln. Graf Hugo, wollen Sie Leo Akritas in mein Arbeitszimmer bitten. Graf Hoiko, ich erwarte Sie heute nacht um zwei. Sie reisen noch vor Tagesanbruch mit Briefen, die ich Ihnen mitgebe, aus Pavia ab. Gute Nacht.«

 

Jede unerwartete Wirklichkeit, welcher wir standhalten müssen, gibt uns Aufschlüsse über die Kräfte unserer Seele. Sie lehrt uns, daß diese Kräfte nicht errechenbar sind, weder im Guten noch im Bösen. Ich glaubte, unterzugehen: und ich hatte mich – in einem Ausbruch meines Wesens, in einer Auflehnung gegen das Niedrige, welche an die Grenzen der Hölle rührte – von den Dämonen befreit, ich hatte den Dunst aus den Horizonten meines Daseins gejagt und die neue Sicht in die Lüfte der Klarheit gestellt. Ich wußte, daß ich mein Schicksal spielte: und ich fand es natürlich, daß dies so sei. Ich hatte mich noch in der Nacht vor der Abreise auf den Knien gewunden um den Beistand der Theotokos: und sie hatte ihn mir gewährt ... Ich merkte nicht, wie ich reiste und wie die Meilen unter den Hufen der Pferde schwanden. Ich sah kaum die verschneiten Straßen des Mont Cenis, die sich öffnenden Täler der Isère, die beginnende Mandelblüte an den Ufern der Rhône. In Vienne war das burgundische Königspaar schon bereit, uns nach Deutschland zu begleiten: Der von Graf Hoiko überbrachte Brief hatte große Besprechungen überflüssig gemacht. Die Gräfin Imiza war glücklich, daß ihren beiden Söhnen erlaubt wurde, uns zu begleiten. Hoiko blieb zwei Tage bei mir, ehe er bis zur nächsten Etappe vorausritt. In Luxeuil, dicht an der oberlothringischen Grenze, erhielt ich von dem Erzbischof Adalbero von Reims die vertrauliche Nachricht, daß er dem König Lothar von Frankreich schon im Februar nahegelegt habe, seine Vormundschaftsrechte auf den deutschen König geltend zu machen, um ihn in Konflikt mit Heinrich von Bayern zu bringen und dessen Aktion zu schwächen. Lothar sei tatsächlich in die Falle gegangen, wodurch – wenigstens fürs erste – eine bayrisch-karolingische Zusammenarbeit gegen die ottonische Dynastie verhindert werde. Wie lange allerdings ein solches Komplott hinausgeschoben werden könne, stehe dahin und hänge von dem Gang der deutschen Ereignisse ab. Ich möge auf seine unbedingte Hilfsbereitschaft zählen. Er vertrete – nicht als nächster Verwandter des deutschen oberlothringischen Herrscherhauses, sondern als vom Papste bestätigter Erzbischof von Reims – die kaiserliche Sache, weil nur die enge Koalition Kurie und Reich die Rechte des hohen Klerus im Abendland vertreten und gegen die Übergriffe der Stammesgewalten schützen könne. Ich möge also auch in der Bestrafung der abtrünnigen Erzbischöfe Maß walten lassen, um Störungen zwischen Reich und Lateran zu vermeiden. Er habe einen so unsichtbaren, aber sicher arbeitenden Nachrichtendienst eingerichtet, daß er in der Lage sei, mich über alle französischen Vorgänge auf dem laufenden zu halten. Es gelte nur, so lange Zeit zu gewinnen, bis die Macht wieder ganz in meinen Händen sei ... Gerbert hatte also gute Arbeit geleistet.

Wir waren aber kaum auf oberlothringischem Boden angelangt und eben im Begriff, in Epinal an der Mosel Quartier zu beziehen, als uns eine schlimme Botschaft des deutschen Platzkommandanten von Rom, Grafen Gero von Walbeck, erreichte: Unter byzantinischem Schutz war Ende März der Mörder des Papstes Benedikt VI., Franco di Ferruccio, zurückgekehrt und hatte – wie im Jahre 974 – unter dem Namen Bonifatius VII. seine Rechte auf den päpstlichen Stuhl geltend gemacht. Da er von einem griechischen Gefolge begleitet war, lag es auf der Hand, daß ihn der Basileus Basileios II. als seinen Handlanger betrachtete, das heißt: einen Verbrecher die oströmische Einmischungspolitik in die italischen Angelegenheiten wiederaufnehmen ließ. Nochmals rächte sich – wie ich es vorausgesehen hatte – der apulisch-kalabrische Feldzug. Die Schlacht von Kap Kolonne war immer noch nicht zu Ende. Der Papst Johann XIV. – der ehemalige Bischof von Pavia und italische Erzkanzler – hatte sich nicht halten können. Er war von Franco di Ferruccio abgesetzt und in die Verliese der Engelsburg geworfen worden. Obwohl die Haltung des Adels dem Usurpatorpapste feindlich, ja zum Teil Deutschland freundlich war, hatte es Graf Gero vorgezogen, sich nach Rieti, auf das Gebiet des Herzogs von Spoleto, zurückzuziehen, um im gegebenen Augenblick mit seinen Truppen wieder gegen Rom vorstoßen zu können. Auch der Herzog von Tuskien, schrieb Gero, halte diese Politik des Zuwartens ohne unnützes Blutvergießen für die richtige: Man möge die Römer ruhig ein paar Monate lang das Experiment mit dieser byzantinischen Papstkreatur machen lassen. Sie würden sich ihrer von selbst entledigen, sie würden begreifen, daß die deutsche Herrschaft doch um einiges erträglicher sei, und sich bei einer neuen Papsternennung – falls der alte Johann XIV. seiner Gefangenschaft erliege – den deutschen Forderungen auch dann fügen müssen, wenn einem Römer die Tiara aufs Haupt gesetzt würde. Er werde Truppen an der Nordgrenze des Kirchenstaates aufmarschieren lassen. Deutschland möge aus der Mark Verona und Kärnten Verstärkungen für das Heer des römischen Platzkommandanten heranziehen – die Herrscher der Fürstentümer würden die Abwehr eines byzantinischen Angriffs auf sich nehmen, wenn ein solcher erfolgen sollte – und man brauche sich keine allzu großen Sorgen zu machen. Daß ein so ausgezeichneter Mann wie der Papst Johannes XIV. vielleicht bei diesem Gaunerstück des byzantinischen Kaisers sein Leben lassen müsse, sei sehr schmerzlich. Aber was ihm geschehe, könne jeden Tag einem jeden geschehen, der an politisch sichtbarer Stelle stehe. Ich möge Philagathós von Nonántola nach Deutschland befehlen. Er traue diesem Manne nicht. Er habe zuviel Zutritt und Einfluß bei den Damen der hohen langobardischen Gesellschaft, und man wisse nicht, was er anstrebe. Am deutschen Hofe könne sein Tun und Lassen überwacht werden, in der Abtei Nonántola nicht ...

Es war allerdings ein unverzeihliches Gaunerstück, das sich Basileios da geleistet hatte. Aber die römischen Nachrichten berührten mich nur wenig in dem Augenblick, wo sie mich erreichten. Ich hatte an anderes zu denken als an Rom und an Basileios.

 

In Metz, wo sich die Herzogin Beatrix unserem Zuge anschloß, erfuhren wir, daß der Zänker am 16. März versucht hatte, sich im Dome von Quedlinburg als deutscher König aufzuspielen. Das war Usurpation. Hochverrat. Der Versuch mißlang. Nicht ein einziger der Bischöfe, welche sich aus Haß gegen mich für die Vormundschaft Heinrichs erklärt hatten, gab sich zu einem solchen Verbrechen her. Der junge König wurde mit seinen beiden älteren Schwestern Adelheid und Sofia auf der Oelsburg in Gewahrsam gehalten: so wie es einem König geziemt. Es war also klar, daß er, nachdem die Usurpation mißlungen war, das Pfand für die Rückgabe des bayrischen Herzogtums an den Zänker sein sollte.

Aber Willigis hatte rascher gearbeitet als der Zänker und seine Leute: Als ich im Mai in Ingelheim Residenz nahm, stand ganz Deutschland gegen den Usurpator. Sogar die Erzbischöfe und der bayrische Klerus hatten ihn verlassen: »sie hätten ihren Beistand dem von ihnen gewünschten Vormund, nicht aber dem Thronräuber gegeben«. Ich ließ es bei der Formel bewenden, ohne auf die Briefe eine Antwort zu erteilen. Nur Warin von Köln wurde sofort in Haft genommen und in den Kellern von St. Martin eingesperrt. Die Stunde Gisilers und Ekberts würde schlagen. Dietrich von Metz übergab ich Beatrix von Oberlothringen mit der Weisung, daß er seine Wohnung nicht verlassen dürfe. Sie solle im übrigen mit ihm tun, was sie wolle. Da er den Zerknirschten spielte, tat sie ihm nichts. Aber das war vielleicht für den verkommenen Mann das schlimmste: Er durfte nicht wagen, sich bei Hof sehen zu lassen, auf seine Briefe erhielt er keine Antwort, und in seiner Diözese verfiel er der Verachtung.

Anfang Juni mußte sich der Zänker zur abermaligen – nun vierten – Unterwerfung bereit erklären. Willigis hatte im Namen des Reiches, das hieß diesmal im Namen sämtlicher Reichsfürsten, verlangt, daß die bedingungslose Freigabe des jungen Königs die Voraussetzung, aber nicht der Preis für Verhandlungen über die Rückgabe des Herzogtums Bayern an den Zänker sei. Ich selbst – so hatte ich es mit Willigis abgesprochen – war ganz aus dem Spiele geblieben, um später desto schärfer zuschlagen zu können.

Am 29. Juni fand jene Reichsversammlung in dem Gelände von Rara bei Worms statt, welche für die Rückgabe des Königs an seine Mutter festgesetzt worden war. Nach einem Jahre Trennung sah ich meinen Sohn wieder. Er flog mir in die Arme, als er – so war die Zeremonie festgesetzt worden – von dem Zänker selbst vor mich geführt wurde. Ich hob ihn auf die Estrade, wo der Königssessel stand. Es wäre nun, nach dem vorgesehenen Plan, der Augenblick gekommen gewesen, die Entschuldigungsrede des Usurpators anzuhören und auf sie zu erwidern, aber dies ging über meine Kraft. Ich wendete, ehe noch der Zänker den Mund auftun konnte, den Kopf zu Willigis, der neben mir stand, und sagte so laut, daß es die Versammlung hören könnte: »Erzkanzler, wollen Sie diesen Mann abfertigen und mich von seinem Anblick befreien.« Wäre das Mitleid einiger Teilnehmer der Versammlung mit dem Gezüchtigten nicht allzu offensichtlich gewesen, so hätte man sich vielleicht jetzt seiner für immer entledigen können. Aber es gelang ihm, sich während des beginnenden Tumultes in den Schutz seiner Garde zu flüchten und die Ebene von Rara zu verlassen. Willigis war nicht einverstanden mit meinem Vorgehen, aber ich bedeutete ihm, ich werde ihm später erklären, warum ich so gehandelt habe und nicht anders. Ich wisse seit einigen Stunden Dinge aus Frankreich, die ich noch keine Zeit gehabt habe, ihm mitzuteilen.

Es war nämlich in den frühesten Morgenstunden Gerbert von Aurillac erschienen, der mich in Ingelheim gesucht und wegen des Umweges nun erst erreicht hatte. Er brachte die wichtigste Nachricht, die ich seit langem erhalten hatte: Zwischen dem König Lothar von Frankreich und dem Herzog Heinrich war seit Anfang Juni ein Geheimbündnis dahin abgeschlossen worden, daß sie sich – ohne zunächst ihre eigentlichen Ziele genau zu umschreiben – »gegen die Byzantinerin« gegenseitige militärische Hilfe zusicherten. »Das könnte«, sagte Gerbert, »Zweifrontenkrieg für Eure Majestät bedeuten. Diesen Krieg vorzubereiten ist also Gebot der Reichspolitik, sofern eine Einigung mit Heinrich von Bayern nicht gelingt. Der Erzbischof Adalbero läßt Eurer Majestät aber mitteilen, daß er sich offen gegen den karolingischen König Lothar zugunsten des kapetingischen Herzogs Hugo erklären werde, sobald jener auch nur den Versuch eines Angriffs auf Ober- oder Niederlothringen mache. Es sei von Wichtigkeit, die Kaiserin Adelheid im dunkeln zu lassen, da man befürchten müsse, daß sie durch verfrühtes persönliches Eingreifen eine unschätzbare Gelegenheit zerstören werde, sich des ewigen Ruhestörers Lothar zu entledigen.« Ich sah Gerbert in die Augen, bis er sie zu Boden senkte. »Und glauben Sie«, fragte ich dann, »daß Hugo Kapet Ruhe halten wird?« – »Ja, Majestät. Der karolingische Nimbus wäre verschwunden, denn Hugo wäre Wahlkönig, durch die französischen Großen ernannt. Er wäre ›primus inter pares‹ – eifersüchtig von den Stammesherzögen in seiner Machtentfaltung überwacht –, und außerdem könnten Sie gegen ihn ja immer den deutschen Karolinger, Herzog Karl von Niederlothringen, ausspielen, was Sie gegen Lothar nicht können, da er legitimer Erbkönig ist.« – »Und der Kronprinz Ludwig?« Gerbert lächelte ... »Eure Majestät wissen doch, daß der arme Kerl zu kurz gekommen ist! Mit dem Vater fiele auch der Sohn.« – »Ich danke Ihnen, Hochwürden. Sie haben mir wichtige Winke gegeben, welche mir erlauben, mich mit Heinrich von Bayern nicht zu beeilen. Ich bitte Sie, heute abend an der Hoftafel teilzunehmen. Wenn Sie sich vor Ihrer Rückreise ein paar Tage in Ingelheim ausruhen wollen, werde ich mich freuen, mit Ihnen über eine Reihe von Dingen zu plaudern, die mir am Herzen liegen.« – »Ich nehme mit Dank und Freuden an. Eure Majestät wissen, daß ich die Etappen meines einsamen Lebens nach den Begegnungen rechne, die mir Ihre Güte gewährt.« – »Kommen Sie heute abend vor Tisch in mein Wohnzimmer. Ich möchte Sie mit den Herzögen bekannt machen.« – »Eure Majestät wissen«, sagte Gerbert, sich noch einmal zu mir wendend, »daß der Bischof Dietrich von Metz an Magenkrebs erkrankt ist?« – »Ich wußte es noch nicht. Es erstaunt mich nicht. Seine Mutter und seine Tante Mathilde sind dem gleichen Leiden erlegen. Hoffen wir, daß ihm der liebe Gott allzu qualvolle Schmerzen erspart.«

 

Die Hoftafel war wegen der sommerlichen Länge der Tage erst auf neun Uhr abends angesetzt. Die Kaiserin Adelheid hatte gewünscht, daß der König wenigstens eine Stunde anwesend sei, aber ich hatte die Erfüllung dieses Wunsches verweigert: »Ich denke nicht daran, Majestät, die Eitelkeit dieses Kindes dadurch zu steigern, daß ich es noch einmal zum Mittelpunkt mache. Ich habe, wie Sie wissen, nicht allzuviel Sinn für solche Paraden. Der Knabe hat die Königskrönung in Aachen hinter sich, die ihm sehr in den Kopf gestiegen ist, und außerdem die Zeremonie von heute mittag. Er gehört jetzt ins Bett. Sie kennen seine Erregbarkeit. Es wird meine Aufgabe sein, sie zu dämpfen, nicht aber, sie zu steigern. Außerdem wäre das, was Sie sich ausgedacht haben, die Unterstreichung eines Selbstverständlichen, also von Übel. Man weiß ja, daß er der König ist.« Adelheid seufzte: »Es ist mir bekannt, daß Ihnen der Sinn für symbolische Wirkungen abgeht.« – »Sie irren sich, wie so oft! Ich wünsche heute abend keine symbolischen Wirkungen. Ich habe einige Realitäten zu sagen, welche wichtiger sind.« – »Sie wollen sprechen?« – »Wenn Sie nicht einsehen, daß dies notwendig ist, so muß ich feststellen, daß Ihnen der Sinn für den politischen Augenblick abgeht. Ich weiß nicht, wann ich wieder die Reichsfürsten um mich versammelt sehen werde. Da ich, solange ich die Regentschaft führe, so wenig Hoftage wie möglich einberufen werde, möchte ich die Gelegenheit, welche sich heute bietet, wahrnehmen, um das Nötige zu sagen.« – »Man wird also jedenfalls den Purpur tragen?« – »Das können Sie halten, wie Sie wollen. Mir genügt es, heute mittag im Staatskleid erschienen zu sein. Ich werde heute abend das weißgoldne Kleid anziehen, das ich in Ihrer Paveser Werkstatt anfertigen ließ.« – »Sie wollen das Trauerzeremoniell durchbrechen?« – »Wie Sie sehen, ja. Ich will deutlich machen, daß der 29. Juni für ganz Deutschland ein Tag der Freude ist.« – »Dann werden Sie mich um meiner Trauer willen wohl entschuldigen müssen.« – »Auch das steht bei Ihnen.« Adelheid kam auf mich zu: »Übersehen Sie, daß meine Abwesenheit eine öffentliche Desavouierung Ihrer Person wäre?« Ich lachte: »Sie überschätzen Ihre Bedeutung in Deutschland, Majestät. Ich kann mit einem einzigen Satz, den ich meiner Rede beifüge, Ihr Gebaren – an einem solchen Tag – der Lächerlichkeit preisgeben. Und ich erkläre Ihnen, daß ich dies tun werde, wenn Sie dem Reiche den Schimpf zufügen sollten, nicht zu erscheinen. Ich weiß schon, woher Ihr Ärger kommt! Aber davon wird – ohne Bezug auf Sie – heute abend gesprochen werden! Willigis hat mein Verhalten gegen den Zänker gebilligt, seitdem ich ihm meine Gründe dargelegt habe!« – »Das heißt also, daß ich entscheidende Dinge nicht weiß?« – »Möglich! Ich bin die Regentin, Majestät, nicht Sie! Sie gehören nach Italien, und es ist mein Wunsch, daß Sie dorthin zurückkehren, sobald ich Sie darum bitte. Das wird vielleicht noch gar nicht so rasch sein. Denn die bayrische Affäre ist ja noch nicht erledigt.« Adelheid verließ mich. Ich wußte, daß sie kommen würde ... »Unerträgliche Frau«, sagte ich laut vor mich hin, als ich in mein Wohnzimmer hinüberging.

Ich ließ mich gegen sieben Uhr umkleiden. Ich hatte Hoiko versprochen, vor dem kurzen Empfang, welchen ich den Herzögen und einigen Bischöfen um halb neun bei mir zugesagt hatte, mit ihm den König zu besuchen. Barbara war gerade damit beschäftigt, den Knaben zu waschen, als wir in das Zimmer traten. Er stand in der Wanne und schrie vor Vergnügen, als er mich in dem weißen Abendkleide erscheinen sah. »Wie schön du bist!« rief er. »Du hast noch nie ein so schönes Kleid getragen!« Ich küßte ihn. »Ist er nicht ein kräftiger Junge?« sagte ich zu Hoiko, »würde man ihm nicht fünf Jahre und mehr geben?« – »Wer ist dieser Herr?« fragte Otto, »er hat ja auch einen weißen Anzug an!« – »Gib ihm die Hand! Dieser Herr ist Graf Hoiko von Eupen. Er wird dein Erzieher werden, wenn du noch etwas älter bist. Gefällt er dir?« – »Er gefällt mir gut. Warum hat er goldne Knöpfe und einen goldnen Gürtel?« – »Weil ich ihn heute abend an die Hoftafel eingeladen habe.« Barbara rieb den schlanken, bräunlichen Körper mit Rosmarinwasser ein ... »Bist du froh, nun wieder bei deiner Mutter zu sein?« fragte Hoiko. »Natürlich bin ich das. Aber auf der Oelsburg war es auch ganz schön. Tammo von Cham, der immer bei mir war, Tag und Nacht, ist sehr gut zu mir gewesen.« Ich sah Barbara fragend an, aber sie gab mir ein Zeichen, nicht weiter zu fragen. »Tammo von Cham«, fuhr Otto fort, »ist viel mit mir durch die Wälder geritten. Er hat mir auch viele schöne Geschichten erzählt – und einmal, als es schon dunkel war, hat er plötzlich zu mir gesagt: ›Wenn ich dich heute nacht wecke und in einen Mantel wickle, mußt du ganz ruhig sein, solange wir über die Zugbrücken reiten. Du darfst nicht husten und dich nicht rühren, auch wenn dir die Glieder weh tun. Denn ich muß dich dann heimlich zu deiner Mutter bringen, nach der du so großes Verlangen hast.‹« Ich fühlte ein Stechen in der Herzgrube, wie wenn mich ein Dolch berührt hätte. »Aber Tammo hat mich dann doch nicht geweckt, und ich mußte noch viele Wochen warten, bis mich der Oheim Heinrich von Bayern selbst abholte und nach Worms brachte.« – »Wie war der Oheim Heinrich zu dir?« – »Er war sehr freundlich. Er sagte, ich müsse bald nach Bayern kommen und mit seinem Sohne spielen, der aber sieben Jahre älter sei als ich. ›Dann will er doch nicht mehr mit mir spielen‹, sagte ich und lachte.« – »Und wann war das, als dich Tammo in einen Mantel wickeln wollte?« – »Es war wenige Tage nach dem Vorfall im Dom von Quedlinburg«, erklärte Barbara, »etwa am 18. März.« – »Laß mich doch erzählen ...«, rief der Knabe. »Wenn Barbara spricht, hast du zu schweigen«, ermahnte ich. »Und wo ist Tammo jetzt?« – »Ich nehme an, er ist noch hier«, sagte Barbara. »Vielleicht aber auch hat er mit seinem Herren Rara verlassen.« – »Merken wir uns diesen Namen«, wandte ich mich an Hoiko, »und gehen wir jetzt. Es ist Zeit.« Barbara hatte dem Knaben eine leichte Nachtkutte angezogen und ihn zu Bett gelegt. Er faltete die Hände und betete:

»Nichts ist auf Erden gut,
Das nicht in Gott beruht. Amen.«

»Betest du immer nur diese beiden Zeilen?« fragte ich ... »Nein, Mutter, ich bete erst richtig, wenn ich ganz allein bin.« Er zog mich an seinen beiden Armen nieder und flüsterte mir ins Ohr: »Der Graf Hoiko soll mir auch gute Nacht sagen wie du ...« Hoiko beugte sich auf das schmale Gesicht mit den übergroßen Augen.

 

Bevor die Früchte und der Sorbet aufgetragen wurden, erhob ich mich: »Kaiserliche Majestät, Kaiserliche Hoheit, Königliche Majestäten von Burgund, Erlauchte Herzöge und Herzoginnen, Grafen und Gräfinnen, Erzbischöfe und Bischöfe, hohe Damen und Herren der Tafelrunde: Die Freude, welche uns an diesem Tage erfüllt, darf uns nicht abhalten, an die Aufgaben zu denken, welche wir in den kommenden Monaten zu vollbringen haben. Ehe ich aber von der Zukunft spreche, muß ich ein paar Worte über die Vergangenheit und Gegenwart sagen. Sie alle, welche hier versammelt sind, haben dem Reich, das heißt dem König und der Kaiserin, die Treue bewahrt. Ihnen dafür zu danken wäre eine Beleidigung für Sie. Denn es setzte voraus, daß ich jemals einen Zweifel an Ihrer Haltung gehegt hätte. Daß sich drei Erzbischöfe von dem Thronräuber haben umgarnen lassen, gehört zu den traurigsten Ereignissen der zeitgenössischen Geschichte. Wie ich mit dem Verräter Warin von Köln abgerechnet habe, wissen Sie. Er mag da verkommen, wo er hingehört. Mitleid mit einer solchen Kreatur wäre Versündigung gegen alle, welche wirklich des Mitleids bedürftig sind. Ekbert von Trier und Gisiler von Magdeburg werden sich vor einer Synode zu verantworten haben. Sie haben eine politische Entschuldigung vorgebracht, welche geprüft werden wird. Wie ich über sie entscheide, steht dahin. Sie haben sich keiner verbrecherischen Handlungen schuldig gemacht. Sie haben – und dies ist ein Glück – den Grad ihrer Zuverlässigkeit bewiesen! Begabung hin, Begabung her: ich weiß, woran ich mit diesen Herren bin. Von dem Bischof Dietrich von Metz möchte ich schweigen. Er ist, wie man mir mitteilt, auf der letzten Reise begriffen, die ein Mensch antritt. Wir wollen ihn auf dieser Reise nicht stören. Das wäre Eingriff in die Vorrechte des Teufels. Über die bayrischen Bischöfe wird der jetzige Herzog von Bayern, Heinrich-Hezilo, urteilen und entscheiden. Für sie sind mildernde Gründe vorhanden, welche ich in die Waagschale werfen werde.

Meine erlauchten Damen und Herren: ich habe nun einen Dank abzustatten, und alle, die hier an dieser Tafel vereinigt sind, ebenfalls: den unermeßlichen und mit keinem Beiwort zu umschreibenden Dank an den Erzbischof-Erzkanzler Willigis von Mainz. Ohne die unerschütterliche Treue dieses Mannes zur Dynastie und zum Reich, ohne seine Umsicht, seine Tatkraft und die Raschheit seines Handelns säßen wir heute nicht in der Festhalle von Rara. Er ist der Retter des Reiches. Ich bitte Sie, sich zu erheben und Ihren Becher auf das Wohl dieses größten Staatsmannes zu leeren, den das deutsche Reich seit dem Bestehen der ottonischen Dynastie gehabt hat ... Erzkanzler Willigis: ich weiß, daß es Laffen gegeben hat und gibt, welche Ihnen Ihre bäurische Herkunft zum Vorwurf machen, ich weiß auch, daß ein paar Lausbuben die Wände Ihres Palais mit allerhand Anzüglichkeiten über Ihre Abstammung beschmiert haben: Rechnen Sie sich beide Eseleien als die höchste Ehre an, welche Ihnen widerfahren konnte, und hören Sie, was ich, die Kaiserin des deutsch-römischen Reiches, aus den erlauchten Geschlechtern der Fürsten Skleros und Phokas, zu solchen Zeugnissen der Dummheit zu sagen habe: Solange die Regierung in meinen Händen liegt, gelten Charakter und Leistung, nicht aber die unverdienten Vorrechte der Geburt! Ich sehe den Mann, der vollbringt, nicht aber den Erben, der beansprucht! Ich rühre nicht an die hohen Verdienste der Feudalität, aber ich kenne keine feudalen Ansprüche, welche sich nicht durch Leistung legitimieren! Und eben deshalb auch habe ich es von mir gewiesen, die Angelegenheit des Bayernherzoges aus einer Art gefühlhafter Umnebelung heraus zu erledigen, anstatt sie erneut der schärfsten verstandesmäßigen Prüfung zu unterziehen. Sie wissen, daß ich mich Ende 977 für die härteste Bestrafung ausgesprochen hatte. Ich konnte mich damals gegen das allzu gütige Herz des verstorbenen Kaisers Otto II. und gegen die mächtige Stimme des Mitleides, welche sich in der Seele der illustren Kaiserinmutter Adelheid regte, nicht durchsetzen. Es wird aber niemand von mir erwarten können, daß ich heute Gnade vor Recht ergehen lasse, nachdem mir – nun zum vierten Male – der Beweis erbracht worden ist, wessen sich das Reich von seiten dieses geborenen Verräters und Rebellen zu versehen hat. Ich spreche nicht von mir und dem Kummer, den ich durch diesen Mann erfahren habe: ich spreche nur von dem Reich! Meine Damen und Herren: es ist an mich von einigen jener fatalen ›Ausgleicher und Abrunder zur unrechten Zeit‹ das groteske Ansinnen gestellt worden, ich möge – um des ›endgültigen Friedens‹ willen dem Zänker Bayern zurückgeben, so wie er es im Jahre 976 besessen habe: also einschließlich Kärntens, der Nordmark, Krains, Istriens und der Mark Verona! Denn so wünschte dieser Thronräuber sein Herzogtum wieder in Besitz zu nehmen! Sie werden begreifen, daß ich laut auflachte und die Bittsteller – deren Namen ich verschweigen möchte – in ihre Schranken zurückwies. Nein: nicht einmal das Herzogtum Bayern, so wie es unser unvergeßlicher verewigter Freund Otto-Glaukós gleichzeitig mit dem Herzogtum Schwaben innehatte, würde ich dem Zänker zurückerstattet haben, wenn er mich in angebrachter Form darum gebeten hätte! In Kärnten und seinen zugehörenden Marken regiert zu unserer Zufriedenheit der hochverdiente Herzog Otto, in Bayern Herzog Heinrich-Hezilo, der seinen Irrtum aus dem Jahre 977 durch tapfere und zuverlässige Haltung längst wiedergutgemacht hat. Mit welchem Rechte sollte ich diese Herren ihrer hohen Reichsämter entheben, nur weil einem verräterischen Rebellen, der zufällig ein Vetter des verstorbenen Kaisers war, sein übles Handwerk gelegt werden konnte? Wo bliebe da das oberste Gesetz der Gesittung, die Gerechtigkeit? Nein, meine Herren, so billig, wie der Zänker sich das denkt, ist die kaiserliche Gnade nicht! Erst kommen in meinen Erwägungen diejenigen an die Reihe, welche mir und dem Reich in Bewährung und Treue dienen. Und an die Gewährung einer Verzeihung an einen zehnmal Schuldigen denke ich vielleicht – ich sage: vielleicht – erst dann, wenn ich mich mit meinen Getreuen gründlich ausgesprochen habe und feststellen konnte, ob irgendwelche Garantien dafür bestehen, daß sich gewährte Gunst nicht abermals gegen den Gewährer wendet. Mit anderen Worten: Ich habe Zeit, und die Reichsherzöge, welche alle mit mir einig sind, ebenfalls. Wollen wir einmal mit der Seelenruhe, welche wir nun haben dürfen, abwarten, was der Zänker in den nächsten Monaten tun wird. Vielleicht gehen manchen, welche nicht recht zu begreifen vermögen, weil sie noch in den fünfziger oder sechziger Jahren leben, schließlich doch die Augen auf ... Ich habe der Herzogin Beatrix von Oberlothringen – um ihrer außergewöhnlichen diplomatischen Begabung willen – im Einverständnis mit dem Erzkanzler Willigis die Führung aller vielleicht notwendigen Gespräche mit Herzog Heinrich von Bayern anvertraut. Es versteht sich von selbst, daß diese Gespräche ohne Verbindlichkeit seitens des Reiches geführt werden. Ich habe Ihnen noch zwei andere Beauftragungen bekanntzugeben: Der Graf Hoiko von Eupen ist von mir zum körperlichen, später militärischen, Erzieher des jungen Königs bestellt worden, der Graf Hugo von der Wetterau, mein und des verewigten Kaisers langjähriger Freund, wird mein Generaladjutant und Sonderbevollmächtigter für alle französischen Fragen ... Ich sehe Erstaunen auf Ihren Gesichtern. Das freut mich. Aber ich kann Ihnen heute keine näheren Kommentare geben. Wir müssen die kommenden Monate abwarten und gerüstet sein! Die dunkelste, die tragischste Epoche der ottonischen Dynastie, diejenige von der verlorenen Schlacht bei Kap Kolonne bis zum Königsraub, ist überwunden. Ausruhen – das wissen Sie alle so gut wie ich – gibt es nicht in einem menschlichen Leben. Es gibt nur die Arbeit und den Einsatz. Also arbeiten wir und setzen wir uns ein. Aber vergessen wir niemals, uns allen zur Bestätigung und zum Ansporn: Wer sich einsetzt, setzt sich aus!«


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