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Vorspiel: Byzanz


I.
Brief des Kaisers Tsimiskes an die Prinzessin Theophano Skleros

Im Hauptquartier der kappadokischen Westarmee, am 15. Juni 971.

Nennen Sie mich nicht vermessen, geliebte Theophano, wenn ich Ihnen sage, daß ich Ihrer Antwort auf meine Anfrage beinahe sicher war. Ich weiß also nun, daß Sie meinen Vorschlag nicht nur in Erwägung ziehen, sondern annehmen werden, nachdem einige für Sie wichtige Punkte geklärt sind. Ich hoffe, daß gerade dieser Brief und die ihm beiliegenden »Anmerkungen zur byzantinischen Politik« Ihnen dazu verhelfen werden, sich einige Antworten selbst zu geben, die Sie eigentlich von mir erwarteten ... Lassen Sie sich viel Zeit zum Nachdenken. Je gewissenhafter Sie überprüfen, ob eine Vermählung mit dem jugendlichen deutschen Kaiser dem Sinn Ihres Lebens entspricht, um so beruhigter kann ich mich der Entscheidung anvertrauen, welche Sie schließlich fällen werden. Ich bin absichtlich noch nicht nach Schloß Amastris gekommen. Ich möchte Sie nicht beeinflussen ... Vor Anfang August brauche ich keine Antwort. Um diese Zeit aber sind Sie ja wieder in Doma Platanonos am Bosporus, wo ich Sie aufsuchen werde. (Muß ich Ihnen sagen, wie ich diesen Besuch herbeisehne?)

Lesen Sie aufmerksam und mehrere Male, was ich Ihnen mitteile. Die politischen »Anmerkungen« tragen staatsurkundlichen Charakter. Sie ermessen also, welches Vertrauen zu Ihnen ich hege und welchen Rang ich Ihnen zuerkenne. Ich schreibe diesen Brief fast ebensosehr an mich selbst wie an Sie. Er enthält alle Dinge, welche ich dem Kronrate in der Magnaura vortragen werde, sobald ich Ihre Zusage in Händen habe.

Ich will Ihnen zunächst mitteilen, wie die Dinge hier in Kappadokien stehen. Werden Sie nicht traurig, wenn ich Ihnen einiges Unerfreuliche über die Familie sagen muß, der Ihre eigene Mutter entstammt.

Als ich im Februar 970 – zwei Monate nach dem Tode des Kaisers Nikephoros Phokas – den Kampf gegen den Fürsten Swiatoslaw von Kiew aufnehmen mußte, der sich, wie Sie wissen, in Thrakien, also in nächster Nähe unserer Hauptstadt, festgesetzt hatte, gingen mir schon die heimlichen Berichte zu, Ihr Großvater, Ihre Oheime und Ihre Vettern bereiteten in ihrem Stammlande Kappadokien eine Revolte gegen mein Kaisertum vor. Es blieb mir, um den Feldzug gegen Swiatoslaw mit Erfolg durchführen zu können, gar nichts anderes übrig, als sämtliche Mitglieder des Hauses Phokas in ihren Stadtwohnungen verhaften zu lassen. Sie entkamen, trotz der scharfen Überwachung. Aber sie entkamen erst dann, als ich Swiatoslaw schon bis an die Donau zurückgejagt hatte. Die äußere Gefahr war, wenn nicht beseitigt, so doch beträchtlich vermindert – und ich konnte darangehen, im Inneren aufzuräumen, ehe ich an die Vernichtung der Russen denken durfte ... Auch die Vorbereitungen zu diesem Kriege sind Ihnen bekannt. Ihr Vater und Ihr Oheim waren meine treuesten Sachwalter. Da sich Bardas Phokas zum Gegenkaiser hatte ausrufen lassen, konnte die Revolte leicht zur Revolution ausarten. Es galt also, die Rebellen so gründlich zu treffen, daß sie die Lust zu weiteren Aufständen verloren. Ich kann Ihnen mitteilen, daß seit einigen Tagen das Ziel erreicht ist. Bardas Phokas ist des Purpurs entkleidet und als mein Gefangener (diesmal in Ketten) im Hauptquartier. Ihr Großvater Leo dagegen und Ihr Oheim Petros mußten zur Strafe der Blendung verurteilt werden. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß das Urteil nur symbolisch (in contumaciam) vollzogen werden wird. Ist dies geschehen, so wird die gesamte Familie in das Kastell von Chios verbannt: und zwar so lange, bis sie sich bereit erklärt, meine Herrschaft anzuerkennen und dem Reiche ihre Dienste zur Verfügung zu stellen. Weigert sie sich, so wird sie keine frohen Tage mehr erleben.

Es liegt nicht in meiner Natur, unnötige Grausamkeit walten zu lassen. Die Größe des Zieles jedoch, für das ich die Bürde des Kaisertumes auf mich genommen habe, die Notwendigkeit, dieses Ziel zu erreichen, sofern Byzanz nicht dem Untergange zutreiben soll, verbieten mir, persönliche Rücksichten zu nehmen, die sich schließlich gegen mich selbst und damit gegen den Staat wenden würden.

Ich lege Wert darauf, diesen Grundsatz vor Ihnen ausgesprochen zu haben. Denn Sie sollen nicht ein Werkzeug meiner Politik sein, sondern eine freiwillige Mitarbeiterin auf vorgeschobenstem Posten. Es ist also eine Selbstverständlichkeit, daß ich Ihnen diese Politik in allen ihren Zusammenhängen auseinandersetze, zumal Sie nach Anlage und Wissen zu der Aufgabe vorbestimmt sind, die ich Ihnen zugedacht habe.

Begabungen wie die Ihre erklären sich nicht. Sie sind Gnade. Was Sie von allen Frauen, die ich jemals gekannt habe, unterscheidet, ist Ihre fast dämonische Witterung für Zusammenhänge. Sie hat schon Ihre Lehrer in Erstaunen versetzt, als Sie noch die Palastschule besuchten. Ihr Verstand ist der eines Mannes, gedoppelt durch die Einfühlungsfähigkeit der Frau. Ihre eingeborenen Neigungen gelten fast ausschließlich der Hohen Politik. Das Wunder bleibt, daß Sie bei solcher Anlage den Bannkreis des Weiblichen nicht durchbrachen, sondern, ganz im Gegenteil, das Besondere Ihres Wesens in den Grenzen Ihres Frauentumes zu bergen, wenn nicht zu verbergen wissen. Eben diese ungewöhnliche Gabe der Beherrschung (oder Selbstzucht) hat mich erkennen lassen, daß von allen Prinzessinnen, welche für eine Heirat mit dem deutschen Kaisersohne hätten in Betracht kommen können, nur Sie die Fähigkeiten besitzen, eine solche Verbindung politisch auszumünzen. Sie hätten, bei Gott, ein leichteres Leben, wenn Sie einen der zahlreichen Söhne aus dem Hochadel heirateten, welche Sie umschwärmen und durch Ihre Kühle zu immer leidenschaftlicheren Werbungen angestachelt werden. Aber Sie haben mir ja schon vor einigen Monaten gesagt, daß die Losung Ihres Daseins laute: »groß zu leben und groß zu sterben«. Ein junges Mädchen, das mit einer solchen Gesinnung den Weg seiner Bestimmung beginnt, träumt nicht vom Glück des Alkovens. Es ist über die landläufigen Kurven eines Frauenlebens hinausgehoben. Es strebt in Möglichkeiten des Wirkens, welche nur durch die Hingabe des gesamten Wesens und – oft genug – durch das Opfer der teuersten Wünsche verwirklicht werden können. Sie wissen, Theophano, wie nahe Sie meinem Herzen sind. Und Sie wissen auch den geheimsten Grund dieser Zuneigung: Niemand wie Sie ruft mir das Bildnis der Frau wach, die ich von allen Frauen, welche meinen Weg kreuzten, am tiefsten geliebt habe: meiner ersten Gattin, jener unvergleichlichen Maria Skleros, welche die Schwester Ihres Vaters war. Sie werden ihr von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat ähnlicher, in solchem Maße ähnlicher, daß ich manchmal an mich halten muß, um Sie nicht in meine Arme zu schließen und an meine Lippen zu ziehen: als sei die lang Gestorbene zurückgekehrt. Sie haben Marias zarte, knabenhafte Gestalt, ihre Art des Schreitens und der Kopfhaltung, ihre schweren, aufgebogenen Wimpern, ihre goldlackbraunen Augen, ihre klaren Lippen und jene unaussprechlichen Linien, welche vom Nacken über die untere Wange bis zur Schläfe hinauflaufen. Nur eines allerdings ist ganz verschieden – und dieses Eine ruft mich immer wieder zur Besinnung, wenn mich Heimweh Traum und Wirklichkeit vergessen läßt: Die gleichen Kostbarkeiten ruhen in sehr verschiedener Fassung. Bei der Verstorbenen waren sie wie durch einen goldenen Hauch gehalten – bei Ihnen liegen sie in einem unverwundbar-zähen Band aus Stahl. Maria war Gelöstheit und Hingabe – Sie sind Gebundenheit und Willen. Maria war mein Kind – Sie sind meine Schwester. Maria war das Vergessen – Sie sind die Ermahnung.

Hätte ich Sie doch hier, Theophano, am Ufer des Tattasees, wo mir nun ein paar Tage der Selbstbesinnung gegönnt sind! Sie kennen von Ihren Reisen durch Anatolien die Einsamkeit der Landschaft. Sie kennen den Stand der rosa-silbernen Berggrate im Flimmern des Mittags und die beklemmende Weite des nächtlichen Firmamentes über den malvengrauen Halden ... Niemand ist jetzt bei mir außer meinem Vetter Niketas Kurkuas. Er versteht zu schweigen. Verlangt es mich aber zu sprechen, so ist er der einzige, dessen Gespräch sich nicht im Nächsten bewegt. Er hat die einundzwanzig Jahre seines Lebens gut genützt. Er besitzt die Schläue jener Lebendigen, die sich nicht immer regen müssen, und die Klugheit jener Beobachtenden, denen die Kunst des Vergleichens die eigenen Vorgefaßtheiten austreibt. Seine Bildung ist so vollkommen, wie sie in seinem Alter sein kann. Wüßte er, daß ich an Sie schreibe, so würde er mich bestürmen, dem Boten einen Brief an Sie mitgeben zu dürfen ... Ich habe schon oft in Erwägung gezogen, ihn zu Ihrem Adjutanten in Deutschland zu ernennen. Überlegen Sie, ob Ihnen das recht wäre, und sagen Sie mir Ihre Meinung.

Ja, Theophano, könnte ich doch mit Ihnen durch das Atmen der weißen Kleefelder wandern, am Wasser entlang, wenn das Gestein die Glut der wolkenlosen Tage aushaucht und die Brise der Juninächte den reglosen Spiegel zu kräuseln beginnt. Könnte ich Ihnen sagen, was ich nun mit mir allein berede – könnte ich im Zauber Ihrer Gegenwart nur für die Länge eines einzigen Abends alle Schwere der Entschlüsse von mir tun, die ich zu fällen habe.

Schon muß ich über mich selber lächeln: weil ich mit der Leidenschaftlichkeit eines Knaben das im Augenblick Unmögliche anrufe – und als ob ich nicht wüßte, daß schon mein Verlangen nach Ihnen die Befreiung von allen auferlegten Gewichten sei. – Ich werde schon in den nächsten Tagen die Aufstellung neuer Heere gegen die Russen ausschreiben lassen, welche aus den ostbulgarischen Gebieten – also den der byzantinischen Oberhoheit unterstellten – verjagt werden müssen. Dieser Krieg wird hart und blutig werden. Aber er ist unerläßlich, wenn ich meine Pläne im Osten durchführen will. Ich muß in Europa den Rücken frei haben, wenn ich in Asien kämpfen soll.

Sodann ist da die Frage meiner zweiten Heirat. Sollte das Gerücht über sie schon bis in die Entlegenheit des bithynischen Pontos gedrungen sein: nun, so glauben Sie ihm, aber bestätigen Sie nicht seine Richtigkeit vor Dritten. Also ich werde Theodora, die Schwester des verstorbenen Kaisers Romanos II., noch im Laufe dieses Herbstes zur Gattin nehmen. Ich will Ihnen auseinandersetzen, warum: damit Sie Schwätzer Lügen strafen können, die sich vielleicht an Sie heranmachen ... Sie wissen, daß ich bei der Übernahme der Regierung, in der Nacht vom 10. auf 11. Dezember 969 (unmittelbar nach dem Tode des Kaisers Nikephoros), die beiden Söhne des Romanos, Basileios und Konstantin, als rechtmäßige Thronerben anerkannt und in meinen Schutz genommen habe. An dieser Tatsache ist bis zum heutigen Tag kein Deut geändert worden. Da die Mutter der beiden Prinzen, die Kaiserinwitwe Anastasia (ich vermeide vor Ihnen den ihr am Tage der Hochzeit verliehenen Namen Theophano), nach dem Tode ihres zweiten Gatten Nikephoros Phokas aus Gründen der Staatssicherheit nach Armenien verbannt werden mußte, konnte sie eine Regentschaft nicht ausüben. Daß sie mich gerne als ihren dritten Gemahl gesehen hätte, mag möglich sein. Ich selbst habe eine solche Ehe niemals in Erwägung gezogen, was immer meine Feinde auch über diese Angelegenheit erzählt haben mögen.

Meine neue Stellung – ich war der gekrönte Kaiser – ertrug keinerlei Belastung. Ich mußte nach allen Seiten hin frei sein, wenn ich die ungeheuren Aufgaben bewältigen wollte, die auf mich warteten. Nur Narren konnten annehmen, ich werde mich jemals in eine Zwangslage begeben. Solange ich nicht der Stiefvater der Kaisersöhne war, blieb es meinem Gutdünken überlassen, welchen Platz ich ihnen in späteren Jahren bei meiner Regierung einräumen würde. Nichts hindert mich, sie – aus freien Stücken und ohne Verpflichtung gegen ihre Mutter – als »Mitregenten« anzuerkennen, sobald sie sich des Regierens fähig erweisen und das nötige Verantwortungsgefühl aufbringen. Ob sie mir als Freunde oder als Feinde größere Dienste leisten: das läßt sich heute nicht voraussagen – und spielt keine Rolle vor den Aufgaben der Stunde.

Es muß Ihnen also klar sein, daß meine Heirat mit der Prinzessin Theodora, welche derselben makedonischen Dynastie angehört wie die Prinzen, nicht den Zweck verfolgen kann, meine Herrschaft mit der Aureole der Legitimität zu umkleiden – und einem möglichen Erben aus dieser Ehe die Nachfolge in der Herrschaft zuzuschieben. Meine Thronbesteigung am 11. Dezember 969 »legitimiert« sich aus meiner Erkenntnis des Notwendigen, aus meiner Kraft zur entscheidenden Tat und aus meiner unanzweifelbaren Bereitschaft, den gefährdeten Staat durch Hintenansetzen aller persönlichen Vorteile in bessere Zeiten hinüberzuretten.

Der Plan meiner zweiten Ehe gefällt dem Volke. Theodora ist im Purpur geboren und um ihrer Wohltätigkeit willen wie eine Heilige verehrt. Sie ist klug, zurückhaltend und lautlos. Sie hat eine hohe Vorstellung von den Verantwortungen der Herrscher und eine noch höhere von den Verpflichtungen des Menschen gegen Gott. Daß es ihr an äußerer Schönheit fehlt, ist ohne Bedeutung für den Platz, den sie einnehmen wird. Sie wird das Muster einer Basilissa sein. Eine solche Gattin nun aus der makedonischen Dynastie kann sehr wohl ihre Neffen, die jungen Prinzen, an mich binden und dazu beitragen, einen Block zu bilden, an dem der böse Wille der Gegner zerbricht: zumal wenn sich diesem Block die großen Feudalfamilien der Skleros – also der Ihren – und der Kurkuas – also der meinen – anschließen. Dann wird der Einfluß der Phokas nicht mehr gefährlich werden – und der niedrigste Nutznießer aller seitherigen Dynastiewechsel, jener sich ewig anpassende Gegenspieler aller, der Parakimuménos Basileios, wird endlich ausgespielt haben.

Die Heirat mit Theodora ist für den Herbst des Jahres vorgesehen. Ich möchte den Tag erst festsetzen, nachdem die Frage Ihrer Vermählung geregelt ist. Denn ich sähe es nicht ungern, wenn die deutschen Bevollmächtigten, welche Sie hier abholen werden, den Hochzeitsfeierlichkeiten beiwohnen könnten. Ich möchte die Anwesenheit der kaiserlichen Gesandten an unserem Hofe gerne zu einer großen politischen Kundgebung gegen meine Feinde gestalten. Ich möchte zeigen, daß die Politik des Nikephoros Phokas endgültig begraben ist und eine andere Zeit mit mir heraufzieht. Mit mir? Verzeihen Sie, Theophano: mit Ihnen, sollte ich sagen. Denn in Ihrer Hand liegt die Entscheidung. Sie sind – als Byzantinerin auf dem deutschen Kaiserthron – die Verkörperung dessen, was ich für Jahrhunderte anstrebe.

Tsimiskes


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