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I.
Der »Heilige« Krieg

Ja, dies konnte die Höhe eines menschlichen Lebens sein ... In göttlicher Helle lag nun vor mir der Weg: der Weg zu dem Sohne durch den Sohn: beginnend in Gottes Gesetz, endend in Gottes Gesetz: sei es durch Glück, sei es durch Leid, sei es durch beider Verkettung.

Als sich der Hof im September zur Fahrt nach Italien rüstete, wurde die Frage aufgeworfen, wem der Kronprinz in Obhut zu geben sei. Einige meinten, der Äbtissin Gerberga von Gandersheim, andere, der Herzogin Beatrix von Oberlothringen, wieder andere dem Erzbischof Willigis von Mainz. Ich hörte mir das Gerede eine Zeitlang an, um schließlich laut aufzulachen: »Ist denn wirklich niemand an dieser erlauchten Hofhaltung, der begreift, daß es nur eine einzige Obhut gibt, in welche dieses Kind gehört: die meine?« Entsetzen auf den Gesichtern: »Eure Majestät wollen den Kronprinzen den Gefahren einer so weiten Reise aussetzen?« – »Allerdings! Lieber als den Gefahren unberechenbarer Zwischenfälle, die sich in Deutschland während der Abwesenheit des Kaisers ereignen könnten. Ich gehöre nicht zu denen, die heute schon ihre Erfahrungen von gestern vergessen haben! Glaubt denn wirklich jemand, ich wolle meine Tage da unten im Süden in einer Ungewißheit hinbringen, welche mein Leben zur Hölle machen müßte? Nein! Ich will mich des Südens erfreuen mit meinem Sohn und für meinen Sohn! Ich beanspruche das Recht, als Mutter und als Kaiserin glücklich zu sein!« Ich weiß nicht, was sie hinter meinem Rücken murmelten. Es war mir gleichgültig: so wie mir dieser ganze Hofstaat seit dem 15. Juli 980 gleichgültig geworden war.

 

Die Reise ging, am 8. Oktober in Tribur beginnend, über Bruchsal und Konstanz nach Chur. Von dort aus aber nicht, wie im Jahre 972, über den San Bernardino, sondern über den Septimer nach Chiavenna. Ich wollte den Gutshof Trimadun sehen, den mir Glaukós geschenkt hatte. Ich blieb eine Woche in der Klarheit der Berge über dem Veltlin. Es schien mir, ich solle niemals mehr aus solchem Duft von Weidetriften in den Dunst der Städte niedersteigen. Ich ließ das Kind im Mittagsglanze auf dem warmen Grase liegen, ließ ihm die Enzianbläue des Äthers in die staunend aufgerissenen Augen scheinen, gab ihm die Milch der schwarzundweißgescheckten Kühe zu trinken und ließ es das Arom des letzten Heues einatmen, das auf den Halden zum Trocknen ausgebreitet lag. Wasser rieselten über hellbraunen Kieseln, die letzten Glockenblumen blühten, über den Lärchenwipfeln kreisten die Bussarde – und Glaukós summte die Lieder der Hirten, welche in diesen entlegenen Bergtälern wohnen: fern allem Zank der Könige um fragwürdigen und doch notwendigen Besitz.

Die langobardische Ebene lag noch in sommerlicher Glut: nur das frühe Dunkel und die häufigen Nebel am Morgen verkündeten die vorgerückte Jahreszeit. Ich dachte wenig an Deutschland zurück: an meine Töchter Adelheid und Sofia, welche auf der Oelsburg in Sachsen geblieben waren, an Willigis, dem die Sorge für das Reich oblag, an den Herzog Bernhard von Sachsen, der die Wacht gegen die Slawen im Norden hielt, und den Herzog Karl von Niederlothringen, dem man gewagt hatte, die Aufsicht über die Westgrenzen anzuvertrauen. Ich dachte immer nur an den Tag, der ablief, an den Sohn, der an meinen Brüsten gedieh und am Schlag meines Herzens reifte.

Die Städte und die Klöster ließen mich gleichgültig: ja, es ließ mich beinahe gleichgültig das »Ereignis«, dem der Hofstaat mit Ungeduld und Spannung entgegensah: die mühsam vorbereitete Versöhnung des Kaisers mit seiner Mutter. Sie fand auf der Landstraße von Mailand nach Pavia statt, nicht weit vor den Toren der Residenz. Ich hätte gerne dem heiligen Michaël einige von den schwarzen Perlen des Kaisers Tsimiskes geopfert, wenn man mir dieses Schauspiel erspart hätte. Ich mußte, während es sich vollzog, an die Worte denken, die der Erzbischof Willigis in Ingelheim zu mir gesagt hatte.

Mutter und Sohn lagen im Staub der Straße voreinander, baten sich gegenseitig ihre Sünden ab und weinten sich an wie Kinder, die den zürnenden Eltern versprechen: »Ich will es niemals wiedertun.« Aber auch die Männer greinten, und die Frauen schluchzten wie Klageweiber – die Bischöfe murmelten Gebete – und schließlich bliesen die Hörner den Schluß der Zeremonie. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte das Lachen, das mir in der Kehle saß, nicht mehr zurückdrängen können. Ein Abgrund hatte sich vor meinem Fühlen aufgetan: Ich schämte mich für den Purpur, der eine Demütigung erfuhr. Auch Glaukós schämte sich. Auch Hugo von der Wetterau. Nur Adelheid schien auf einer neuen Höhe ihres Matronendaseins angelangt. Als sie abends am Arme des Kaisers in den Bankettsaal rauschte, bekundete jeder ihrer Schritte: »Seht, die Byzantinerin hat es doch nicht fertiggebracht!« Denn sie wollte es – allen schönen Dingen zum Trotz, die sie mir im Herbste 978 gesagt hatte – niemals zugeben, daß ich nicht im geheimen zum Kriege gegen Lothar gehetzt habe. Ich bedurfte einer großen Selbstüberwindung, ihr mit Freundlichkeit zu begegnen, und ich dachte mit Unbehagen an die kommenden Monate, die uns in häufige Berührung bringen mußten. Ich sorgte mich vor allem darum, sie würde sich um die Erziehung meines Sohnes mehr bekümmern, als mir lieb war. Ich war entschlossen, jeder Einmischung entgegenzutreten. Ich wollte nichts wissen von Verwöhnung noch Verweichlichung. Es würde niemals Wickelbinden noch Steckkissen geben. Auch an kalten Abwaschungen würde nicht gespart werden. Und vor dem flammenden Kamin würde die Wiege dieses Kindes niemals stehen ... Aber es schien, daß der Kaiser seiner Mutter einen Wink gegeben hatte: Sie beobachtete eine Zurückhaltung, die mich aufatmen ließ. Der Enkel wurde ihr jeden Tag eine Stunde lang gebracht, und sie mußte feststellen, daß er ein gesundes und lebhaftes Kind war. »Ein Skleros«, sagte sie eines Tages. »Ein echter Skleros.« Worauf ich ihr erwiderte: »Sie wissen, daß viele Knaben, die in der Kindheit auf die Mutter hinauskommen, in späteren Jahren der väterlichen Familie nachschlagen. Wir wollen also hoffen, daß wir eines Tages den Großen Otto in ihm entdecken.« Sie nahm mir, fast ergriffen, die Hand, während sie mich aufseufzend ansah: »Das walte Gott, meine liebe Tochter. Das walte Gott.« Majolus, welcher der Unterhaltung beigewohnt hatte, nickte, griff in seinen weißen Bart und sagte: »Hoffen wir vor allem, daß er ein rechter Streiter für den Herrn werde und ein scharfes Schwert gegen die Ungläubigen führe! Seit mich die Sarazenen von Le Garde-Freynet drei Monate bei sich gefangenhielten, Anno 75, weiß ich, wessen die Kirche sich von diesen Piraten zu versehen hat. Die Nachrichten, welche uns in jüngster Zeit aus Sizilien und Apulien erreichen, sind nicht dazu angetan, uns zu erlauben, den Kopf unter die Achsel zu stecken.« – »Ich hoffe«, brach ich das Gespräch ab, »daß mein Sohn mit den Arabern ebensogut fertig werden wird wie sein verstorbener Großoheim Tsimiskes. Ich hoffe vor allem, daß ihm bei seinen Kämpfen mit den Ungläubigen niemand in den Rücken fällt, falls er zuschlagen müßte.« Da gerade der König Konrad und die Königin Mathilde von Burgund eintraten, hatte Majolus keine Gelegenheit mehr, zu antworten. Dieses Ehepaar war von angenehmer Bedeutungslosigkeit. Mathilde, die zweite Gattin Konrads und Schwester Lothars von Frankreich, hegte für ihren Gatten jene Dankbarkeit bescheidener Mädchen, welche sich gut untergebracht wissen. Sie sagte immer, was der fromme Konrad sagte, und weinte gerne. Da nun aber aus dem Munde dieses Gönners der Clunyschen Bewegung niemals welterschütternde Weisheiten kamen, war auch ihre Rede nur schlichter Art. Die Treue zum Reich war der bedeutendste Zug dieser lieben Anverwandten. Um diese Treue brauchte man sich nicht zu sorgen. Denn ohne die Stütze am Reich wäre das Königtum Burgund schon lange in alle Winde zerstoben. Mathilde befragte mich über alle Einzelheiten der Geburt, schilderte mit wahrer Wollust die eignen Wehen bei ihrer Niederkunft mit Bertha – der Gräfin Eudes de Chartres – und empfahl mir heiße Kleiebäder für den »Kleinen«. Sie hatte eine Ausstattung in burgundischem Leinen mitgebracht. Die O in den Ecken seien von ihr selbst eingenäht. Sie hatte immer eine Handarbeit bei sich, denn sie haßte »Zeitvergeudung«. Ihr Gatte meinte, bei der Frau dürften niemals die Finger, bei dem Manne niemals die Faust aus der Übung kommen.

Zum Glück kamen auch der Erzbischof Adalbero von Reims und sein Sekretär Gerbert von Aurillac, um den Kronprinzen zu sehen. So war doch endlich wieder Luft im Raum ... Adalbero, ein Mann von Welt und Wesen, betrachtete lange das wache Kind, das sich mit den Händen im Gesicht herumfuhr, und sagte, während er mich lange ansah: »Combien de couronnes portera-t-il, et lesquelles?« Ich erwiderte rasch, denn ich hatte Adelheids bestürztes Gesicht gesehen: »Celles qui lui reviennent.« Adalbero lächelte. Gerbert machte das Zeichen des Kreuzes über der Wiege: »Sit Fortuna dea vitae tuae.« – »Wir werden ihn in Ihre Lehre geben, Hochwürden«, sagte ich zu Gerbert. »Ganz Italien wartet auf die Disputation in Ravenna, wo Sie uns ja demnächst – gegen Ohtricht von Magdeburg – Ihre Einteilung der Wissenschaften erläutern sollen.« – »Dies vor Eurer Majestät tun zu dürfen wird das größte Glück meines bescheidenen Gelehrtenlebens sein.« – »Ich weiß gar nicht, ob Ihr Leben so bescheiden ist: Wer dem Geiste so unermüdlich dient wie Sie, ist ein Begnadeter. Vergessen Sie nicht, wie viele Menschen nur von der Faust und den Fingern leben.« – »Auch sie verdienen unsere Achtung, Majestät, und sie sind vielleicht glücklicher als wir.« – »Ich habe nicht das Gegenteil behauptet, Hochwürden. Ich danke Ihnen, daß Sie auch mich zu den ›Geistigen‹ zählen. Es ist das erstemal, daß mir eine so erhabene Einreihung zuteil wird.« – »Eure Majestät verwirren meinen Freund und Helfer«, lächelte Adalbero. »Ich weiß nicht, Eminenz, ob Gerbert von Aurillac so leicht zu verwirren ist.« – »Das werden wir in Ravenna sehen«, sagte Adalbero, schon zu Adelheid gewendet, welche ihn in eine Fensternische zog.

Da die Wärterin mich darauf hinwies, daß es Zeit sei, das Kind zu stillen, konnte ich mich zurückziehen.

 

Ich hatte niemals recht begriffen, was sich der Kaiser eigentlich von dieser »Disputation« in Ravenna versprach. Ich kannte – bis zum Überdruß – solche Veranstaltungen von Byzanz her, und ich wußte, daß bei ihnen gar nichts herauskommt, es sei denn Zank und Unbehagen. Ich hatte versucht, ihm sein Vorhaben auszureden, aber er wollte Ohtricht, den Leiter der Magdeburger Domschule, der mit uns nach Italien gereist war, »um diesem aufgeblasenen Franzosen, vor dessen Wissen die Welt im Staube liegt, heimzuleuchten«, nicht vor den Kopf stoßen. Ohtricht war einer jener »Gelehrten«, deren Hochmut keine Grenzen kennt. Ohne Ahnung von den Dingen der Welt, ohne Kenntnis der menschlichen Seele: ein Verbissener, über den sich schon der Fürst Woytech lustig gemacht hatte. Schwerfällig und rechthaberisch, vollgestopft mit einem Wust von Wissen, das in ihm keine Wurzel geschlagen hatte: also keineswegs ein Deutscher, mit dem man in fremden Ländern hätte Ehre einlegen können. Schon der Erzbischof Adalbert von Magdeburg hatte sich leidenschaftlich dagegen gewehrt, daß man ihn zu seinem Nachfolger designiere. Er wußte, warum: Auf den wichtigsten Bischofssitz des deutschen Ostens gehörte ein Weltmann, nicht aber ein verbohrter Schulmeister. Sehr wahrscheinlich legte Ohtricht Wert darauf, sich durch eine vor der gesamten Welt und unter dem Protektorate des deutsch-römischen Kaisers erwiesene Musterleistung für den Magdeburger Erzbischofssitz zu empfehlen, denn er hatte den verstockten Ehrgeiz jener Einseitigen, denen angeborene Beschränktheit Weg und Ziel bestimmt: »und bin ich gar nichts sonst, so bin ich doch der Erzbischof«.

Ich hätte mich gerne für diese Disputation entschuldigen lassen. Aber sogar Glaukós, dem es nicht minder vor ihr graute als mir, war der Ansicht, daß dies unmöglich sei. »Nehmen wir das Ganze als ein Schauspiel«, lachte er. »Vielleicht gibt es einiges zum Nachmachen. Sie wissen, daß einem eine harmlose Frechheit oftmals sehr guttut.« – »Nicht nur eine harmlose«, erwiderte ich, »sondern auch eine gottlose.« – »Ich bin einverstanden. Aber das mußten Sie aussprechen, nicht ich.« – »Seit wann sind Sie mir gegenüber so vorsichtig?« – »Seit Sie einen Sohn haben. Mütter eines Thronfolgers ...« Ich unterbrach ihn: »... werden manchmal pathetisch, meinen Sie? Nun: seien Sie sicher, daß bei mir das Gegenteil der Fall ist. Die mir angeborene Spottlust, welche sich in den ersten Jahren meiner Ehe nur in der Abgeschlossenheit meines byzantinischen Hofstaates Luft machen konnte, ist ins Kraut geschossen, seit ich mich im Schutze meines Sohnes an diesem Hofe bewege. Seelische Rückendeckung erhöht die Fähigkeit, als lächerlich zu empfinden, was man früher als gefährlich oder tragisch empfand. Auch bewahrt uns Glück vor Ekel.« – »Das ist hundertmal richtig!« – »Sind Sie glücklich, Glaukós?« Glaukós errötete heftig. Er war so schön, wenn ihm dieses Feuer unter die Haut flog, daß man sein ganzes Gesicht von den Haaren bis zum Kinn hätte küssen mögen ... »Und wenn ich es wäre?« sagte er lächelnd ... »Ein Bild? Ein neues Bild?« – »Nein, Theophano: ein Herz.« – »Hüten Sie es, Glaukós. Gott hat Ihnen sein größtes irdisches Geschenk verliehen.« Ich schaute lange durch das Fenster in die milde Dezembernacht, als Glaukós gegangen war. Der Duft der Pineta schlug im Meerwind herüber, die Wogen liefen gegen die Ufermauern an, die Feuer der Leuchttürme warfen sich unruhig in den Becken hin und her ... Ravenna ... Hier wurde das Schicksal einer großen Kaiserin besiegelt ... Galla Placidias ... Wir lernten ihren Namen in der Schule, und man erzählte uns von dem Mausoleum, das sie sich noch zu Lebzeiten errichten ließ. Es ist im Schutt der Erde verschwunden – vielleicht wird es eines Tages auferstehen ...

 

Die Disputation zwischen Ohtricht und Gerbert war nicht einmal ein lustiges Schauspiel. Sie war ein endloses, langweiliges Geschwätz, nachdem die eigentliche Streitfrage schon nach einer halben Stunde zugunsten Gerberts entschieden war. Ohtricht hatte sich durch einen seiner Schüler in Reims das Schema verschafft, auf welchem die Lehre Gerberts über die Einteilung der Philosophie verzeichnet war. In diesem Schema war – irrtümlicherweise oder durch bewußte Fälschung – die Physik als ein Teil der Mathematik aufgeführt, obwohl Gerbert gelehrt hatte, daß diese beiden Wissenschaften als »coordinatae« – als gleichwertig und ebenbürtig – anzusprechen seien. Er lehnte die Verantwortung für das falsche Schema ab, bekannte sich zu der von ihm vertretenen Lehre, welche auf die Lehre des Boëthius zurückgehe, und erläuterte seine Auffassung über den Sinn der Philosophie als der Wissenschaft aller sinnlichen und übersinnlichen Dinge. Sie umschließe ein faktisches und ein theoretisches Gebiet. Zu dem ersten gehörten Morallehre, Wirtschaftslehre, Staatslehre, zum zweiten Mathematik, Physik und Theologie.

Soweit konnten wir alle folgen – und damit hätten wir alle genug gehabt. Aber dies war nicht die Meinung Ohtrichts. Er warf die Frage nach dem »Zweck« der Philosophie auf – ein Thema, das gar nicht zur Diskussion stand – und lenkte dadurch den Redefluß ins Uferlose. Gerbert, der längst in der Sache gesiegt hatte, mußte zu einem Triumphator werden, nachdem es nur noch auf Wortfechterei ankam. Er wand sich, eitel wie ein Pfau, im Geglitzer seiner Sätze, spielte sie mehr, als er sie sagte, und setzte den plumpen und persönlich gereizten Ohtricht derartig matt, daß der Kaiser, um den Leiter der berühmtesten deutschen Domschule vor einer unbedingten Niederlage zu bewahren, unter einem freundlichen Vorwand die Sitzung aufhob. Weder mir noch Glaukós, noch Hugo von der Wetterau war es zum Lachen, als wir den heißen Saal verließen. Wir hatten alle drei am Auftreten Ohtrichts viel gelernt – und nichts Erfreuliches. »Ne ursus credat, viribus suis mundum esse dominandum«, zitierte Hugo. Und Glaukós, auflachend: »Nec vulpis, non esse timendum ursum.« Und ich: »Ο μὴ δαρεὶς ἃνδρωπος οὐ παιδεύεται.«

 

Am Abend dieses denkwürdigen Tages gab der Kaiser einen Empfang im Palaste des Theoderich, der wieder aufgebaut worden war und für Veranstaltungen des Hofes benutzt wurde. Während ich gerade mit Gerbert über die Grafschaft Toulouse und die hohe Bildung des regierenden tolosanischen Hauses sprach, erschien der italische Kanzler Philagathós von Rossano, der soeben von einer Dienstreise aus den süditalischen Fürstentümern in Ravenna angekommen war. Ich erschrak so sehr über die plötzliche Anwesenheit dieses Mannes, den ich seit einem Jahre nicht mehr gesehen hatte, daß ich den Faden des Gespräches verlor ... »Wollen Sie mich in einer Stunde im weißen Saale beim Sorbet aufsuchen«, sagte ich nach der Begrüßung zu Philagathós. »Ich möchte mit Gerbert von Aurillac ein Gespräch zu Ende führen, an dem mir viel gelegen ist.« – »Ich bin glücklich, daß mir Eure Majestät mehr als diese kurze Minute gönnen«, erwiderte Philagathós, während er sich entfernte. Gerbert war verlegen geworden. Er schaute der hohen, im Gedränge des Saales verschwindenden Erscheinung mit seinen kurzsichtigen Augen nach – und der Ausdruck dieser Augen war Neid. Mitleiderregender Neid des körperlich Reizlosen auf den körperlich Sieghaften, der in jedem seiner Schritte schon die Beute nimmt, die ihm begehrenswert erscheint. Es war also angebracht, Gerbert mit doppelter Zuvorkommenheit zu behandeln. Die am Leibe Schwächlichen verwandeln ihren Dank in Leidenschaft, wenn man den Leib als nicht bestehend oder als überwindbar betrachtet. Als ich Gerbert einige Freundlichkeiten über seine sorgfältige Kleidung sagte, über die vollendete Form seiner wohlgepflegten Hände und den angenehmen Duft des Lobeliawassers, mit dem er seine Haut eingerieben hatte, war er glücklich. Er ließ sich zu einem äußerst reizvollen Bekenntnis über den Sinn der »correspondances«, der »geheimen Bezüglichkeiten« zwischen allen und allem hin, erklärte mir, daß er sich nicht ohne Unbehagen an seine erste Begegnung mit mir vor acht Jahren in Rom erinnere, und versicherte, daß er seitdem viel, ja vielleicht zu viel gelernt habe. Aber seine Erkenntnis, die er ja in der Art, wie er die Philosophie einteile, dargelegt habe, verbiete ihm, die äußeren Dinge der Welt zu verachten. Auch sie seien Geschenke Gottes, und der Annahme würdig. Nicht das Was entscheide, sondern das Wie ... »Das haben Sie heute nachmittag bei der Disputation bewiesen«, sagte ich. Er schaute mich betroffen an – wagte aber keinen Einwand. Er brachte es fertig, als Anerkennung zu buchen, was eine Ironie gewesen war. Ich wußte seit jener abendlichen Unterhaltung in Ravenna, woran ich mit diesem Manne war.

Philagathós erwartete mich vergebens im weißen Saale. Ich hatte die Herzogin Beatrix von Oberlothringen gebeten, mich für den Schluß des Abends zu vertreten, und mich eine Stunde vor Mitternacht zurückgezogen. Ich begegnete auf der Marmortreppe Glaukós und Hugo, welche ebenfalls, lachend und Bemerkungen über einige Gäste machend, den Palast verließen. »Wäre ich nicht zum Umfallen müde«, sagte ich ihnen, »so würde ich Sie bitten, noch zu einem Kawi, den man mir aus Jemen geschickt hat, herüberzukommen. Aber ich muß schlafen. Es waren der Dinge zu viel an diesem denkwürdigen Tag.« – »Wir wollen noch ans Meer hinausreiten«, sagte Glaukós. »Der Duft der Pineta macht uns Heimweh nach Schwaben und Franken.« Ich sah ihnen nach, wie sie am Strandweg im kaiserlichen Marstall verschwanden.

Ich hatte gewußt, daß ich in Ravenna oder in Rom Philagathós begegnen müsse. Ich war auf diese Begegnung vorbereitet, hatte mich geprüft und ohne Mühe meine Haltung festgelegt. Nun aber hatte eine Minute genügt, um mich abermals in eine Verwirrung zu versetzen, die mich quälte. Ich schickte die Gräfin Imiza zu Bett und begann eine endlose Wanderung durch die Zimmer meiner Wohnung. Ich zündete Kerzen an und blies sie wieder aus. Ich öffnete die Vorhänge an den Fenstern, ließ den Meerwind durch die Räume streichen, fröstelte – und zog die Vorhänge wieder zu. Ich fragte mich, was ich tun würde, wenn Philagathós plötzlich in das Zimmer träte: ohne mir eine Antwort geben zu können. Nur ein einziges wußte ich: daß meine Sinne diesem Manne zudrängten, wie niemals einem anderen zuvor, und daß dieses Drängen die Zeiten überdauert hatte, ohne den Gang meiner Tage aufzustören. Es hielt mich in einer Spannung, die ich Glück nennen mußte. Ich konnte, was mich bewegte, mit keiner anderen Ergriffenheit meines Lebens vergleichen: nicht mit meiner Liebe zu dem Kaiser, nicht mit meiner Zuneigung zu Glaukós, nicht mit meiner Freundschaft für Hugo. »Wie viele Male sind wir denn ›Ich‹?« fragte ich die Theotokos, als ich in dieser Nacht des Aufruhrs vor ihr hinkniete. Es schien mir, sie lächelte aus der Nacht ihrer unergründlichen Augen. Es schien mir, sie lächelte in den Mundwinkeln: nicht aus Erbarmen mit der Schwäche der menschlichen Kreatur, sondern in wissender Ermutigung, ich möge mich gedulden und nicht versuchen, mit Erwägungen des Geistes eine Regung meines Wesens zu erklären, welche mir eines Tages aus sich selbst heraus die Antwort auf mein besorgtes Fragen geben werde ... So hatte mir die Heilige Mutter selbst die Lehre erteilt, daß auch der unbeirrbarste Wille nicht Herr ist über den Ablauf eines menschlichen Daseins und daß es am Rande unseres Lebens Dinge gibt, welche ohne unser Zutun bis zu dem Orte vordringen, den ihnen Gott bestimmt hat. Ich wollte nicht – aber ich konnte auch nicht – jenes Dunkel in mir ausschalten, das Philagathós hieß. »Es kann sich keiner selbst entrinnen«, sagte plötzlich der Mund der Ikone, »mußte nicht auch ich mein Schicksal auf mich nehmen und zu Füßen des Gekreuzigten von Golgatha knien?«

Ich stand beruhigt von dem Schemel auf. Die Angst war aus dieser Nacht entwichen. Ich wußte: Der Weg, zu dem ich mich bekannte, war unentrinnbar – was immer er mir auferlegen mochte. Gott hatte zu entscheiden, ob er Philagathós am Rande dieses Weges stehenließe oder in den Takt meiner Schritte rückte.

Es war spät geworden. Mich verlangte nach Wind und Meergeruch. So zog ich den Vorhang wieder auf und lehnte am Fensterbogen. Die Wolken trieben zwischen Sternenbuchten wie im Vorfrühling. Ein ungewisses Licht sickerte über der Landschaft. Die Wachen gingen ihre Ronden auf den unteren Wällen ... Da tönte Hufschlag ... Dann wurden Stimmen erkennbar ... Pferd an Pferd, in ein ruhiges Gespräch verloren, ritten Glaukós und Hugo ihren Quartieren zu. Jedes ihrer Worte war in der Stille zu hören. Sie sprachen von Deutschland. Keiner von beiden war gerne nach Italien gegangen. Hugos Stimme verwehte im Winde: »Ich hoffe, der Kaiser läßt es bei Rom bewenden. In einem Jahre ...«

 

Ich hatte mich eben zu Bett gelegt, als der Kaiser eintrat. Er nahm mich in seine Arme: »Sie haben auf mich gewartet?« Ich log: »Ja.« Er knöpfte seine Jacke auf, tauchte die Hände in Wasser, kühlte sich die Stirn und setzte sich auf einen Schemel neben das Lager: »Gott sei Dank, daß dieser Tag überstanden ist. Die Gelehrten sind sich im weißen Saale noch in die Haare gekommen. Philagathós hat gesagt, man solle doch nicht in die Kinderkrankheiten von Athen oder Byzanz zurückfallen. Es springe nichts heraus bei diesen Diskussionen. Sie seien Verschwendung an Geist und Seele. Man solle arbeiten, gute Bücher schreiben und einen jeden in sich aufnehmen lassen, was er begreifen und gebrauchen könne. Er hat recht. Ohtricht ist ihm grob geworden: Wo die Diskussion aufhöre, höre das Leben selbst auf. Es komme darauf an, was man ›Leben‹ nenne, entgegnet Philagathós und läßt Ohtricht stehen ... Ich hütete mich, einzugreifen. Es hat mir genügt, heute nachmittag den Dickkopf aus der Klemme zu ziehen ... Nein, dieser Mann kommt mir niemals auf den Bischofsstuhl nach Magdeburg, und wenn seine Clique ihn zehnmal wählt. Ich habe sehr andere Pläne, falls der Erzbischof Adalbert wirklich dieses Jahr nicht mehr überleben sollte.« – »Was gedenken Sie mit Gerbert zu tun?« fragte ich. »Vorläufig nichts. Aber wir werden diesen Dialektiker im Auge behalten. Schon um Adalberos willen, der große Stücke auf ihn hält.« – »Sie sollten sich Gerbert so rasch wie möglich verpflichten. Dieser Mann hat ›Ambitionen‹. Auch liebt er das Gold mindestens ebensosehr wie die ›Philosophie‹. Geben Sie ihm eine Pfründe. Und zwar bei der nächsten Gelegenheit. Leute wie Gerbert zehren von den vermeintlichen Einflüssen, die sie ausüben oder auszuüben hoffen. Wir haben das oft genug in Byzanz erlebt.« – »Was halten Sie von Philagathós?« fragte unvermittelt der Kaiser. »Er wäre, was Gerbert ist, wenn er nicht die Macht seiner Schönheit in die Waagschale werfen könnte. Er fasziniert die Menschen durch sein Aussehen. Er weiß nicht ein Zehntel von dem, was Gerbert weiß. Aber ich glaube, daß er sein Wissen hundertmal besser anwendet. Er ist ein guter Kanzler und ein guter Verwaltungsbeamter.« – »Für seine Tasche, meint meine Mutter.« – »Ihre Mutter spricht immer von den Taschen derer, die sie nicht ausstehn kann. Von den Taschen ihres geliebten Dietrich von Metz und Majolus wird sie nie sprechen.« Der Kaiser sprang auf und ging im Zimmer umher. Schließlich blieb er am Kamin stehen, in dem die letzten Scheite verglühten: »Wir haben es nicht leicht, Theophano.« – »Nein, Otto, wir haben es nicht leicht. Also müssen wir darauf bedacht sein, es uns selbst nicht – aus Unüberlegtheit – noch schwerer zu machen.« – »Was meinen Sie?« – »Kommen Sie zu mir. Setzen Sie sich auf den Bettrand ... Ist es wahr, was man in der sächsischen Ritterschaft munkelt? Soll es wirklich gegen die byzantinischen Themen gehen?« – »Mit welchen Truppen? Bin ich mit oder ohne Heer gekommen?« – »Aufgebote, lieber Freund, können ja auch von Italien aus erlassen werden.« – »Allerdings. Aber wenn dies je geschehen sollte, so geht es gegen die Sarazenen, nicht aber gegen die Themen.« – »Sie versprechen mir dies?« – »Ich verspreche es Ihnen.« – »Ich danke Ihnen.« – »Ich bleibe?« ...

 

Als wir Ostern 981 in Rom verbrachten – der Hofstaat war noch um den Kaiser versammelt geblieben –, erlebten wir eine Überraschung: Wahrscheinlich auf einen geheimen Wink des Erzbischofs Adalbero von Reims hin war der Herzog Hugo Kapet von Franzien erschienen, der Bruder der Herzogin Beatrix von Oberlothringen und damals schon der heimliche Gegenspieler der Karolinger. Die Kaiserin Adelheid war außer sich: Was denn der am kaiserlichen Hof zu suchen habe? ... Das werde sich erweisen, sagte ich. Es sei kein Grund vorhanden, einem französischen Herzog einen Besuch bei dem deutschen Kaiser abzuschlagen. Es seien ja auch französische, ja sogar spanische Bischöfe und Äbte erschienen. Auch ihr Freund Majolus sei Franzose – und Gerbert sei Aquitanier.

Der Grund dieses Besuches lag auf der Hand: Der im Mai 980 zwischen König Lothar und dem Reich geschlossene Friede von Margut-sur-Chiers hatte in Herzog Hugo die Befürchtung erweckt, daß der Kaiser nun ganz auf die karolingische Karte setzen, also die heimlichen kapetingischen Thronansprüche bekämpfen werde. Hugo wollte sich der politischen Neutralität und des persönlichen Wohlwollens des Kaisers versichern. Er wollte wohl auch Gewißheit darüber haben, ob das Reich eine Aussöhnung zwischen den Brüdern Lothar von Frankreich und Karl von Niederlothringen vorbereite, was für ihn die schlimmsten Folgen hätte zeitigen können. Der Kaiser empfing ihn mit großer Zuvorkommenheit. Er gab ihm alle Zusicherungen, die er sich nur wünschen konnte, und ließ ihn sogar durch ein kaiserliches Geleit bis an die burgundische Grenze bringen. Wir erfuhren erst später, daß Hugo noch einen anderen Grund gehabt hatte, diese Reise zu unternehmen: Lothar von Frankreich hatte seinen einzigen Sohn, den erst fünfzehnjährigen Kronprinzen Ludwig, mit der alten Witwe des Grafen Gévaudan vermählt, wodurch Teile Aquitaniens an Frankreich fielen. Ein solcher Machtzuwachs der karolingischen Dynastie mußte allerdings den Kapetinger mit Besorgnis erfüllen ... Mir selbst war es wichtig, diesen Mann persönlich kennengelernt zu haben. Er machte mir einen schlechten Eindruck: Er war unsicher, verschlagen, kleinlich und unritterlich. Von seiner Schwester Beatrix hatte er nicht einen einzigen Zug. Es war offensichtlich, daß zwischen den Geschwistern kein freundliches Verhältnis bestand. Der Vorteil, den die deutsche Politik aus diesem Besuche zog, war bedeutend: Lothar konnte sich fortan nicht mehr in der falschen Hoffnung wiegen, das Reich räume den Kapetingern einen geringeren Rang ein, als ihnen ihre Machtstellung in Frankreich zuwies ... Welche Haltung der Erzbischof Adalbero in Wirklichkeit vertrat, ließ sich nicht ergründen. Ein böses Wort, das über ihn umlief, sagte: Solange er in Reims Kronen austeilen könne, seien ihm die Schädel und die Kapuzen (Capet) gleich. Und ein anderes, ebenso böses, lautete: Eine Tiara über allen Kronen und Kapuzen ... War dies die wahre Gesinnung Adalberos (also auch Gerberts), so konnte das Reich zufrieden sein. Denn die Tiara war das Reich.

Endlich, nachdem die vielen Ostergäste abgereist waren, kamen wieder ruhigere Tage. Wir blieben bis zum Ende des Juni in Rom. Anfang Juli nahmen wir einen Sommeraufenthalt auf Schloß Petronussa im Lirital, und Anfang August im Palaste von Rocca de Cedici bei Spoleto, um im September in der Hauptstadt zurück zu sein.

Dort war schon jene Angelegenheit in vollem Gang, welche so viel Staub aufwirbelte und fast einen neuen Bruch zwischen dem Kaiser und seiner Mutter herbeigeführt hätte: die Auflösung des von Otto I. errichteten Bistums Merseburg. Dieses Bistum war im Jahre 966 – nach unendlichen Bemühungen des Kaisers in Deutschland und bei dem Papste – zu Ehren des heiligen Laurentius gegründet worden, des Schutzherrn der Deutschen während der Schlacht auf dem Lechfeld. Es galt als sakrosankt, und es war verständlich, daß Adelheid in ihm das Sinnbild der deutschen Macht sah, welche durch jenen entscheidenden Sieg über die Ungarn gerettet wurde. Sie bestürmte mich, dem Kaiser klarzumachen, welches Unheil er im Begriffe sei, über Deutschland heraufzubeschwören, wenn er den Einflüsterungen gewissenloser Ratgeber Gehör schenke. Ich erklärte ihr, sie sei – in dieser Angelegenheit – berufener als ich, ihre Bedenken vorzubringen. Sie wisse, daß ich mich noch niemals in eine kirchliche Frage eingemischt habe. Ich habe nicht die Absicht, meine Haltung zu ändern ... Ihre Augen brannten in Haß zu mir auf. Dann könne sie nur sagen, daß ich mit den Rädelsführern im Bunde sei. Ich lachte, wodurch sie aus der Fassung geriet: Sie habe immer gewußt, daß aus Byzanz für Deutschland nichts Gutes kommen könne. Ich erwiderte ihr, soviel mir bekannt sei, liege Merseburg in Sachsen. Im übrigen sei diese Angelegenheit für mich abgeschlossen ... Sie war mir in der Tat widerwärtig, wie jeder Bischofszank ... Natürlich wußte ich, daß es in der Merseburger Frage um ein mit unerhörter Verschlagenheit von dem Bischof Gisiler angelegtes Intrigenspiel ging. Im Juni war in Magdeburg der Erzbischof Adalbert gestorben. Trotz seiner Warnungen hatte das Domkapitel Ohtricht zu seinem Nachfolger gewählt und eine Delegation an den Hof geschickt, um die kaiserliche Bestätigung einzuholen. Aber der Kaiser dachte nicht daran, sie zu geben. Er wollte, daß Gisiler Erzbischof von Magdeburg werde. Es konnte ihm also nur recht sein, wenn dessen seitheriges Bistum durch Aufteilung an Halberstadt, Zeitz und Meißen verschwand: zumal für diese Aufteilung, gegen alle Erwägungen der »Pietät«, eine Reihe von Gründen verwaltungsmäßiger Art sprach. Der Pietät konnte Genüge getan werden, wenn in Merseburg dem Schutzpatron Laurentius ein Kloster errichtet wurde ... Die Magdeburger Gesandten ließen sich umstimmen, erklärten die Wahl Ohtrichts für ungültig und wählten Gisiler. Die kaiserliche und päpstliche Bestätigung folgte der Wahl auf dem Fuß ...

Ich selbst zog aus allen diesen Vorgängen nur diejenigen Lehren, welche mir wichtig schienen: Ich wußte fortan, was von Gisiler zu halten war. Ich wußte außerdem, daß die geräuschvolle Versöhnung von Pavia der Kaiserin keinen Einfluß auf die Entscheidungen ihres Sohnes wiedergegeben hatte. Aber ich mußte auch erneut erkennen, wie wenig sich der Kaiser fremden Einflüssen zu entziehen vermochte, wenn es eine der seinen überlegene Willenskraft verstand, ihn zu gewinnen und gefügig zu machen. Er hatte immer eine Schwäche für den geschmeidigen Gisiler gehabt. Und Gisiler hatte alles getan, diese Vorliebe auszunützen. Glaukós hatte sich oft genug über diesen »ewigen Bewerber« lustig gemacht. Aber es hatte wenig geholfen. Da ich selbst an Gisilers bösem Mundwerk viel Gefallen fand, vor allem an seiner Gabe, die Hofleute nachzuahmen, kam ich in den Verdacht, ihn zu begünstigen, ja vielleicht sogar, Heimlichkeiten mit ihm zu haben. Er war ein Mann von ausgezeichnetem Aussehen und noch viel ausgezeichneteren Manieren. Die Frauen fielen ihm wie reife Früchte in den Schoß, und man sagte, daß er kein Verächter dieses Obstes sei. In Magdeburg war er am rechten Platze. Denn die weltliche Bedeutung dieser Stadt wuchs von Jahr zu Jahr und verlangte eine nicht minder glanzvolle »representatio« als die kirchliche. Feste zu geben und auf diesen Festen zu glänzen, verstand Gisiler meisterhaft – und ohne Zweifel tausendmal besser, als dem heiligen Laurentius die Orgel spielen und Dankesmessen lesen zu lassen.

Wir nahmen an, die Kaiserin Adelheid werde nun nach Pavia zurückkehren und dort ihren Kummer ausklingen lassen. Aber wir hatten uns geirrt. Sie machte keinerlei Anstalten, uns von ihrer pompösen Gegenwart zu befreien. Sie schien ein ganz besonderes Vergnügen daran zu finden, uns mit ihren Witwenschleiern Kühle in die heißen Septembertage zu wedeln, und sie ließ sich auch an der Wiege ihres Enkels öfters blicken, als mir lieb war. Der Knabe hatte, da ich ihn selbst schon lange nicht mehr stillen konnte, eine deutsche Amme bekommen, die mir in großer Anhänglichkeit ergeben war. Als sie mir eines Tages erzählte, daß Adelheid ihr bald diesen, bald jenen Verweis gebe, setzte ich mich zur Wehr: Ich verbot jeglichen Zutritt in die Zimmer des Kindes, zu dem ich nicht eine persönliche Ermächtigung erteilt hatte. Aber auch daraufhin verließ die Reichsverweserin für Italien nicht den Hof. Ahnte sie, daß ihr eine große Genugtuung bevorstand?

 

Am 13. September traf Niketas Kurkuas aus Byzanz ein. Als man ihn, da ich gerade auf einen Tag an das Meer gefahren war, zu dem Kaiser führen wollte, erklärte er, daß er keine politischen Nachrichten bringe, sondern mir persönliche Bestellungen von meiner Familie zu machen habe. Ich kam erst spät am Abend zurück. Er wartete in meinem Vorzimmer. Also mußte er die schlimmsten Dinge zu melden haben.

Er war so erregt, wie ich ihn kaum jemals gesehen hatte. »Ich habe Ihnen niemals ernstere Mitteilungen zu machen gehabt als heute«, sagte er. »Sie müssen – vor allen anderen – wissen, was sich in Byzanz ereignet hat, und darüber entscheiden, wie Sie diese Kenntnis auswerten. Der Kaiser Basileios hat gegen den Rat des Parakimuménos die Bulgaren angegriffen und ist geschlagen worden. Es drohen erneut die schwersten inneren Unruhen. Ich will nicht sagen, daß der Bestand des Staates gefährdet sei, aber die außenpolitische Lage ist solcherart, daß sie gewisse Leute am deutschen Hofe zu Torheiten veranlassen könnte, welche schließlich zu Weltverwirrungen führen müßten.« – »Ich weiß, was Sie meinen, Niketas. Sie haben mich durch Ihre persönliche Reise an den Hof zu einem Danke verpflichtet, den ich Ihnen nur schwer werde abstatten können. Sie haben sich als wahrer Schüler des Kaisers Tsimiskes erwiesen, indem Sie auf lange Sicht rechneten und nicht, wie die ewig Unverbesserlichen, von Mondwechsel zu Mondwechsel. Ich danke Ihnen ganz besonders dafür, daß Sie dem Kaiser noch keinen Bescheid gegeben haben. Denn diese Nachricht muß fürs erste – verheimlicht werden. Ich weiß, daß ich ein gewagtes Spiel spiele: und Sie wissen, daß ich nichts ohne Gründe tue. Wir beide müssen uns dahin einigen, daß Sie mir Briefe meiner Eltern überbracht und mich über den Ausbruch des Bulgarenkrieges unterrichtet haben. Es wird noch drei bis vier Wochen dauern, ehe die Niederlage hier bekannt wird. In diesen Wochen hoffe ich, gute Arbeit leisten zu können. Sie wissen, daß Byzanz sich immer am raschesten aufrafft, wenn ihm ein wirkliches Unglück zugestoßen ist. Diese bulgarische Niederlage wird in spätestens einem Jahre nicht nur ausgemerzt, sondern in einen Sieg verwandelt sein. Die Schlagkraft Ostroms wird dann das Doppelte dessen sein, was sie heute ist. Jeder Mensch, der Byzanz kennt, wird meiner Rechnung zustimmen. Und jeder wird Unvorsichtige davor warnen, vorübergehenden Schwierigkeiten mehr Gewicht beizumessen, als sie verdienen. Wir müssen, koste es was es wolle, die große Linie der Politik des Tsimiskes gegen alle Zufallsentscheidungen retten: Byzanz und das deutsch-römische Reich müssen in freundschaftlichen Beziehungen bleiben. Der Status quo darf nicht verletzt werden, weil uns aus einer solchen Verletzung nur Nachteil, wenn nicht Unglück erwüchse. Erführe heute die Kaiserin Adelheid den bulgarischen Sieg, so würde sie morgen den ›Heiligen Krieg‹ predigen: nicht nur gegen die Araber, sondern gegen den Basileus. Sie würde erklären, der Augenblick sei gekommen, ›Groß-Italien‹, ›Italiam totam‹, wiederherzustellen, die Provinzen Kalabrien und Apulien in die langobardische, das heißt Reichseinheit, zurückzunehmen und damit dem von Gott erteilten Befehle Genüge zu leisten. Sie würde triumphieren, mich nun endlich matt zu setzen, und sich wieder mit dem ganzen Gewicht ihrer Matronenweisheit in die kaiserliche Politik einschalten. Sie würde nachweisen, daß ich byzantinisch, aber nicht deutsch denke, und natürlich alle jene Mißvergnügten auf ihrer Seite haben, die das Raufen noch nicht verlernt und weltpolitisches Denken noch nicht gelernt haben: auch alle jene fahrenden Ritter, Abenteurer, Beutemacher, Kämpen, Trossknechte, auf welche die Skylla ›Typhus‹ in Süditalien mit offnem Maule wartet. Sie begreifen, daß ich Grund zur Besorgnis habe. Nach einem Jahre der Milde, das ich fast schon vergessen habe, bin ich – ich weiß es selbst nicht wie – wieder in alle Sorgen zurückgeworfen worden, die mein Leben acht lange Jahre ausfüllten. Und daß ich heute die Mutter eines Sohnes bin, welcher eines Tages dieses Reich regieren wird, vermindert nicht diese Sorgen, sondern steigert sie oft bis zur Angst. Ich brauche Sie, Niketas, ich brauche Sie wie nie zuvor. Sie müssen selbstverständlich dem Kaiser Ihre Aufwartung machen. Aber dann sollen Sie den Hof sofort verlassen und einige Wochen in Tarent bleiben, wo Ihr Freund Sergios Glymenopulos Katapán geworden ist. Sie sollen mich von dort aus über den wahren Stand der Dinge unterrichten. Aber Sie sollen noch viel mehr: sie sollen versuchen, sich mit dem Emir Abul Kasim von Sizilien in Verbindung zu setzen und zu ergründen, was denn seine eigentlichen Absichten sind. Kommen Sie zu der Erkenntnis, daß er tatsächlich die süditalischen Fürstentümer – also deutsches Hoheitsgebiet – angreifen will, so teilen Sie es mir unumwunden mit. In einem solchen Falle müssen wir zuschlagen, ehe er zuschlägt: was natürlich keineswegs bedeutet, daß dieser Krieg in einen Eroberungskrieg gegen Byzanz ausarten müßte. Ich habe schon oft genug betont, daß ich nicht an Angriffsabsichten Abul Kasims glaube. Aber jeder kann irren. Und ich kann nicht Stellung nehmen, ehe ich Tatsachen weiß. Den Basileus aber lassen Sie in meinem Namen wissen, daß ich unbeirrt an der mit Tsimiskes vereinbarten Politik festhalte und ihn bitte, das gleiche zu tun, auch wenn einmal eine Lage bedrohlich erscheinen sollte.«

Als die Kaiserin Adelheid erfahren hatte, daß Niketas zwei Tage in Rom gewesen war – er hatte im »Lombardischen Hof« und nicht im Palast gewohnt –, ohne sie zu besuchen, begann das Gemurmel ... Und als am 18. September der Kurier einer deutschen Handelsdelegation am Hofe des Zaren Boris den gewaltigen bulgarischen Sieg über Basileios II. meldete, brach das Gewitter los. Ich hatte es verlernt, mich über solche Wetterstürze in Palästen aufzuregen. Als der Kaiser ungezogen wurde, erinnerte ich ihn an die Hinrichtung des Grafen Gero und ihre Folgen auf sein Gemütsleben. Dann sagte ich ihm in der schärfsten Schärfe auf griechisch, wenn er mich diesmal nicht mit dem ganzen Gewichte seiner kaiserlichen Majestät stütze, werde ich mich auf eines meiner Güter in Deutschland zurückziehen und ihn den göttlichen Eingebungen seiner Mutter »Hab' ich es nicht gesagt?« überlassen. Ein zweites Pavia werde es dann allerdings nicht geben. Er möge in seiner Politik tun, was er nicht lassen könne. Ich werde es genauso halten. Ich verlange die sofortige Beseitigung der Kaiserin Adelheid vom Hof und die Befragung des Kanzlers Willigis in der süditalischen Angelegenheit. Es sei ein nationales Unglück, daß dieser Mann gerade in einem solchen Augenblick dem Hofe ferne sei ...

Der Kaiser trat dicht vor mich und packte mich am Handgelenk: »Hat Ihnen Niketas die Niederlage des Basileios schon mitgeteilt? Haben Sie diese Nachricht – sogar vor mir – geheimgehalten?« Ich riß mich aus der Umklammerung seiner glühenden Finger: »Was fällt Ihnen ein? Sind Sie von Sinnen? Da liegen die Briefe meiner Eltern und Freunde, die er mir auf seiner Reise in die Themen gebracht hat. Sie wissen doch, daß er auf der Donau und dem Landwege gereist ist. Rom liegt vor Tarent.« – »Ich will wissen, was Sie mit ihm gesprochen haben!« – »Horchen Sie die Wände ab. Vielleicht wissen die es noch Wort um Wort! Ich habe ihm gesagt, daß ich mit Ihnen so glücklich bin wie noch nie und daß Sie noch niemals so selbständig und allen Einflüssen fern eine Frage beurteilt haben wie die süditalische. Ich habe ihm gesagt, daß Sie niemals die Themen angreifen werden, daß ich ihr Versprechen in die Hand habe und daß Sie noch niemals ein mir gegebenes Wort gebrochen haben. Ich habe ihn sodann gebeten, mir einen genauen Bericht über die Lage in den Themen zu geben und Abul Kasims Absichten auszukundschaften, da keine Zeit zu verlieren sei.« – »Und warum, Theophano, erfahre ich dies alles heute erst?« – »Weil ich Sie nicht in Ihren scheinbar sehr wichtigen und zeitraubenden Besprechungen mit der Kriegspartei stören wollte.« – »So ... Dies hätte allerdings auch wenig Sinn gehabt. Der Krieg ist beschlossen.« – »Welcher?« – »Der gegen die Sarazenen.« – »Und Willigis?« – »Meinen Sie, daß in Deutschland nur der Erzkanzler entscheidet?« – »Leider tut er dies nicht.« – »Halten Sie seine Entscheidungen für wichtiger als die meinen?« – »Für klüger.« – »Danke schön!« – »Ich kann diesen Dank für meine Offenheit mit gutem Gewissen annehmen.«

Der Kaiser griff nach einer eingemachten Pistazie, die in der Schale lag, und begann an ihr zu kauen. »Die Aufrufe zur Heeresfolge sind schon ausgefertigt und werden bald abgehen. Sie werden nicht abstreiten wollen, daß man angesichts der byzantinischen Lage für alle Möglichkeiten gerüstet sein muß. Ich werde für Mitte November einen Kronrat einberufen. Bis dahin werden wir einiges mehr über die Lage in Byzanz wissen und endgültige Entschlüsse fassen können. Ich kann meine Mutter nicht zwingen, vor diesem Zeitpunkt den Hof zu verlassen. Nicht ein einziger der sächsischen Herren würde verstehen, daß man die Kaiserinwitwe und Regentin für Italien bei so wichtigen Beschlüssen übergeht oder gar ausschaltet. Auch dies werden Sie wohl begreifen.« – »Ich begreife alles, was Sie sagen. Ich wäre nur viel glücklicher, wenn ich es nicht zu begreifen brauchte.« – »Ich vielleicht auch, Theophano, obwohl vielleicht auf andere Weise.« Nun war die Brücke geschlagen, auf der man hätte zueinander gehen können. Aber ich wollte sie nicht betreten. Ich wollte dem Kaiser in den kommenden Wochen fern sein. Ich hatte nicht das geringste Verlangen nach seiner Gegenwart. Ich hatte nach nichts Verlangen, außer nach Einsamkeit. Nicht einmal nach Gesprächen mit Glaukós und Hugo, welche in diesen Spätsommertagen keinen leichten Stand gegen die »Draufgänger« am Hofe hatten. Ich war am liebsten in der Gesellschaft der Gräfin Imiza.

 

Ich siedelte mit dem Kinde nach Rocca di Papa über, in die klare und belebende Luft über herbstlichen Wiesen und Kastanienwäldern. Ich überließ Adelheid das Feld der hohen Politik, welche eine niedrige war: nicht einmal, sondern dreimal gewiß, daß der Kaiser im Begriffe stand – diesmal im Bunde mit seiner Mutter –, sich dieselbe Lehre heimzuholen wie im französischen Kriege. Nur daß das Spiel noch gefährlicher war und der Einsatz noch größer. Dort oben nun, in der Stille der kleinen Burg, erschloß sich mir das Herz der unvergleichlichen Frau, welche von einem guten Stern auf meinen Weg gelenkt worden war. Das »Mütterliche« umwob mich wieder wie in den fernsten Tagen meiner Kindheit und legte sich als Beruhigung auf mein allzu wollendes Herz ... Wozu, fragte ich mich manchmal, wozu eigentlich bemühe ich mich so sehr? Aber ich wußte, daß die Macht dieser Erwägung über mich gering war. Denn auch die Kraft unseres Wollens ist uns von Gott bestimmt, und ein jeder muß im Maße der Schritte schreiten, das ihm gesetzt ist. Aus dem Läufer wird kein Schreiter werden, und aus dem Schreiter kein Schleicher. Imiza hatte zwei Söhne, welche als Offiziere am Hofe des Königs von Burgund Dienst taten. Die Güter von Rodersdorf und Leymen wurden von einem Verwandten verwaltet, bis sich die jungen Leute einen Hausstand gegründet hatten und ihre Herrschaft selbst übernehmen konnten. Sie schickten der Mutter regelmäßig Briefe und besuchten sie Jahr um Jahr. »Ich hoffe«, sagte Imiza eines Abends, »sie werden niemals dem Dämon eines falschen Ehrgeizes verfallen. Sie sind von mittlerer Begabung und da an ihrem Platze, wo der Herr sie hingestellt hat. Die Gnade Gottes ist eine innere Stufe, nicht eine äußere.«

Glaukós und Hugo, welche sich bei dem Kaiser in Benevent aufhielten, schrieben mir einige Briefe – und einmal auch erhielt ich einen Besuch, der zu einem Ereignis wurde: Mathilde, die Äbtissin von Quedlinburg, kam Anfang November für ein paar Tage nach Rocca hinauf. Die Sorge hatte sie zu mir getrieben: die Sorge um den Kaiser und das Reich. Diese bedeutende Frau, vor welcher Adelheid zu einem verstaubten Prunkstück wurde, war in Einsamkeit und Selbstzucht ihren Weg gegangen. Sie war langsam im Denken, aber von zwingender Gründlichkeit und Klarheit. Als ich sie fragte, wodurch ich denn ihr Herz und ihr Vertrauen gewonnen habe, sagte sie: »Durch Ihre Unerbittlichkeit. Es tut mir leid, daß Sie mit meiner Mutter nicht zurechtkommen. Aber es wäre schlimm, wenn Sie mit ihr zurechtkämen. Dann könnten Sie dem Reiche nicht sein, was Sie ihm sind.« – »Das Reich will mich ja gar nicht«, erwiderte ich. »Sie irren. Es sind heute schon viele im Reich, welche begriffen haben, daß Sie wie ein Mann, nicht wie eine Frau, auf Ihrem Posten stehen. Haben Sie Geduld. Vielleicht werden Ihnen noch große Aufgaben zufallen. Der Kaiser ist heute in keinen guten Händen. Er hat das Augenmaß verloren.« – »Da wir einig sind«, sagte ich, »lesen Sie den Brief, den mir heute Niketas Kurkuas geschickt hat: Die Araber denken nicht daran, deutsches Hoheitsgebiet anzugreifen – und die Byzantiner wünschen nicht, die deutschen Truppen in den Themen zu sehen, solange die Araber sich nicht regen. Tun sie dies, so genügen zur ersten Abwehr die Truppen des Herzogs von Benevent, Capua und Spoleto ... Was also soll der geplante Krieg?« – »Totam Italiam. Das ist alles.« – »Und wie kommt Ihre Mutter dazu, einen solchen Wahnsinn gutzuheißen?« – »Sie hat welfisch-schwäbisches Blut und ist eine Dienerin Clunys. Sarazenen und Byzantiner sind beide des Teufels. Das genügt, um einen ›Heiligen Krieg‹ zu befürworten: bei einem nicht sehr ehrgeizigen Sohn.«

 

Als ich am 10. November nach Rom zurückkehrte, um von dort dem Kaiser nach Neapel entgegenzureisen, fand ich einen neuen Brief des Niketas aus Tarent. Er teilte mir seine Rückreise nach Byzanz mit. Die Niederlage des Basileus sei weit weniger schlimm in ihren Folgen, als man am Anfang geglaubt habe. Von einer Staatskrise könne keine Rede sein. Byzanz sei durch den bulgarischen Sieg nicht aus dem Gleichgewicht geraten, was schon aus der Tatsache hervorgehe, daß man bereits Ende Oktober – in Voraussicht eines deutschen Angriffes – sämtliche Garnisonen der Themen auf den doppelten Bestand gebracht habe. Er müsse noch einmal zur Vorsicht raten. Byzanz sei unnachgiebig in der süditalischen Frage und werde jedes Bündnis gutheißen, das eine deutsche Eroberung des Landes zum Scheitern bringe. Deutlicher konnte Niketas nicht mehr werden, sofern er nicht byzantinische Staatsgeheimnisse preisgeben wollte. Ich hatte nun in der Hand, was ich brauchte, und war entschlossen, alle meine Karten auszuspielen, obwohl ich von der Nutzlosigkeit meines Versuches überzeugt war. Aber es gab ja auch noch ein »Nachher«! Für dieses wollte ich mich mit allen inneren Kräften der rechtzeitigen Warnerin gerüstet wissen: und sei es nur, um endlich Adelheid aus der deutschen Außenpolitik auszuschalten.

Diese Frau hatte nichts unterlassen, um sich ihren Triumph zu sichern. Sie hatte meine Abwesenheit vom Hofe dazu benutzt, um Anhänger für ihren Gedanken des »Heiligen Krieges« zu gewinnen, war dem Kaiser nach Benevent gefolgt, wo er die sehr verwickelten Fragen der süditalischen Fürstentümer so gut als möglich regelte, und wartete nun, ihres Sieges sicher, in Capua auf meine und des Kronprinzen Ankunft. Denn es war, auf meine besonderen Vorstellungen beim Kaiser hin, beschlossen worden, den anberaumten Kronrat noch vor Überschreiten der byzantinischen Grenze auf deutschem Hoheitsgebiet abzuhalten. Glaukós war mir bis Monte Cassino entgegengereist. »Wie haben Sie das fertiggebracht?« fragte ich ihn. »Hat Sie der Kaiser freigegeben?« – »Man kann einem Herzog von Schwaben und Bayern, auf den man angewiesen ist, nicht gut die Bitte abschlagen, seiner kaiserlichen Herrin das Geleit bis in das Hauptquartier zu geben.« – »Ist es schon so weit?« – »Ja, Theophano. Fühlte ich mich Otto nicht verpflichtet, so wüßte ich, was ich zu tun hätte. Aber davon kann keine Rede sein. Es gibt eine Pflichterfüllung, welche über alle Bedenken hinausgeht, obwohl es natürlich nicht diejenige ist, die ich mir gewünscht hätte. Es scheint mir, Sie und ich sind in der gleichen Lage.« – »Nicht ganz, mein guter Glaukós. Die Ihre ist – wenigstens jetzt noch – schwieriger.« Glaukós wandte den Kopf zur Seite. »Wie war der Kaiser, als Sie ihn verließen?« – »Mißmutig, unlustig. Einige Herren in Deutschland nehmen von dem Heeresaufgebot Kenntnis, senden aber keine Truppen. Auch in den Fürstentümern herrscht keine Begeisterung für das Unternehmen.« – »Das war vorauszusehen. Diese Leute haben genug mit sich selbst zu tun ... Ist der eine oder andere von ihnen zu dem Kronrat eingeladen worden?« – »Nein. Am Kronrat werden nur Deutsche und der Herzog von Tuskien teilnehmen.« – »Und was sagt der?« – »Seine Haltung ist die gleiche wie die meine – mit einem sehr wichtigen Unterschiede allerdings: Er wird persönlich dem Kampfe fernbleiben. Seine Truppen sind meinem Oberbefehl unterstellt. Es sind nicht allzu viele.« – »Und was macht die Kaiserin Adelheid?« – »Sie strahlt. Sie hat die Bischöfe bearbeitet. Der größte Teil des Heeres besteht aus den Truppen der hohen Geistlichkeit, wie es sich für einen ›Heiligen‹ Krieg ja auch geziemt.« – »Wie will man den Byzantinern das Betreten ihres Gebietes annehmbar machen, ohne sie zum Widerstand zu reizen?« – »Notwendiger Durchmarsch mit nachfolgender Entschädigung.« – »Und was haben sie geantwortet?« – »Nichts. Sergios Glymenopulos, der Katapán von Tarent, wartet auf Bescheid aus Byzanz.« – »So ... Und läßt mittlerweile Stadt und Hafen befestigen?« – »Was sollte er anderes tun?« – »Und wie verhält sich Hugo von der Wetterau?« – »Er tut seine Pflicht wie jemand, der an den Sinn dieser Pflichterfüllung nicht recht glaubt.« – »Das war vorauszusehen ... Und wer ist der wirkliche Kriegshetzer?« – »Dietrich von Metz.« – »Diese Kanaille hofft wohl in den ›befreiten‹ oder besser: ›zu befreienden‹ Gebieten allerhand echte und unechte Heiligengebeine zu finden, mit denen man Geschäfte machen kann.« – »Das sollte man annehmen.« – »Schöne Vorzeichen ... Sind schon Krankheiten im Heer? Sind schon Brunnen vergiftet?« – »Bis jetzt ist nichts bekannt.« – »Und Gisiler von Magdeburg?« – »Ist unterwegs nach Deutschland in sein neues Erzbistum.« – »Glauben Sie, daß er rechtzeitig zurückkommt?« – »Ich hoffe es.«


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