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Zweiter Teil.
Die Prüfung


Der blaue Damast über der Tür zum Vorraum wurde zurückgeschlagen. Ein Knabe, groß gewachsen, schlank in den Hüften, herrisch-dunklen Gesichtes, war lautlos in das Schlafzimmer getreten: Otto, der deutsche König. Willigis stand hinter ihm. Aber der König bedeutete dem Erzkanzler mit einem Blick, gegen den es keinen Widerspruch gab, daß er allein zu bleiben wünsche. Willigis zog sich zurück.

Otto wagte nicht, sich dem Lager seiner Mutter zu nähern. Er sah, daß sich die Brust der Schlummernden in gleichmäßigen Atemzügen hob. Er konnte nicht wissen, daß dieses Atmen seit einer halben Stunde etwas kürzer und rascher geworden war. Auch daß sich die Gesichtszüge gespannt hatten, mußte ihm entgehen.

»Sie schläft«, sagte er sich beruhigt. »Sie schläft in ihre Genesung. Vielleicht träumt sie ein wenig. Wie schön sie ist.«

Und er setzte sich in einen Sessel, im Schatten der Fensterecke, während er die Augen gegen die Abendstrahlen wendete, die aus den Lindenkronen fortgegangen waren und nur noch die Terrassenmauer streiften.

Das Antlitz der Kaiserin hatte sich soeben auf die Wiege aus vergoldetem Weidengeflecht geneigt, in welcher Otto im November 980 über den Septimerpaß nach Italien hinuntergetragen worden war ...


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