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III.
Erfahrung und Erfüllung

Der Neujahrsempfang des Jahres 976 fand ohne mich statt. Ich hatte dem Kaiser gesagt, daß er jetzt zwischen seiner Mutter und mir zu wählen habe. Solange diese Frau noch am Hofe sei, werde ich mich auf eines der mir geschenkten Güter zurückziehen. Das Jahr, das soeben begonnen habe, werde uns aller Wahrscheinlichkeit nach schwere Dinge bringen. Und doppelt schwere mir. Ich wolle meine Kräfte anwenden, aber nicht in der täglichen Überwindung überflüssiger Widerwärtigkeiten vergeuden. Ob er wisse, daß man anfange, über meine Kinderlosigkeit zu murmeln? Ob er wisse, daß seine eigne Mutter an solchem Geschwätz beteiligt sei? Man erfahre alles an einem Hofe, und erst recht, wenn man nichts erfahren wolle! Ich wünsche keinerlei Schonung, so schwer auch gerade in diesen Wochen der Ungewißheit das Leben auf mir laste: aber ich verlange das mir Gebührende. Ich sei die regierende Kaiserin.

Ich ahnte nicht, wie stark die Wirkung dieser Worte auf ihn war. Er bat mich, nichts auf die Spitze zu treiben, es zu keinem Bruch mit seiner Mutter kommen zu lassen, und Ostern in Stille abzuwarten. Bis dahin werde er, als regierender Kaiser, die Anwesenheit seiner Mutter in ihrer Residenz Pavia verlangen. Auch ihm werde dann ein Stein vom Herzen gefallen sein. Er sehe selber ein, daß diese Frau einer vergangenen Zeit angehöre, obwohl sie erst Mitte der Vierzig sei. So wurde also der Abgrund noch einmal überbrückt – Adelheid selbst gab sich Mühe, mich ihre böse Bemerkung vergessen zu lassen –, und der Januar verlief ruhiger, als ich je hätte erwarten können.

In den ersten Februartagen 976 erfuhren wir das Ereignis, welches die Geschehnisse der beiden kommenden Jahre heraufführte: Herzog Heinrich war von Parteigängern aus seiner Haft in Ingelheim befreit worden.

Nun war selbst Adelheid vor den Kopf geschlagen. Sie fühlte sich persönlich beleidigt und verbarg, ganz von ihren Regungen beherrscht, vor niemandem ihren Zorn. Und dies um so weniger, als sie natürlich längst schon wieder – die heimliche Vermittlerin zu spielen versucht hatte. Der Kaiser freute sich fast, denn er hatte nun eine gewichtige Karte in seinem Spiel. Ich selbst enthielt mich jeder Meinung. Ich wußte, daß sich der Regen bald in Hagelwetter verwandeln werde, und drängte den Kaiser, sich an die bayrische Grenze zu begeben. Die Sorge um das Nächste half mir, die Ungewißheit über das Schicksal des Kaisers Tsimiskes etwas leichter zu ertragen.

 

Endlich, in den letzten Tagen des Februar, als die militärischen Verhandlungen zwischen dem Kaiser, dem Herzog Otto von Schwaben und dem Grafen Berthold vom Nordgau schon in Gang waren, kam ein kurzer Bericht Hugos von der Wetterau, daß der Kaiser Tsimiskes, obwohl noch immer krank, einen glanzvollen Einzug in Byzanz gehalten habe und einen Triumph vorbereite, wie er lange nicht gesehen worden sei. Alle seine Freunde seien um ihn geschart. Mein Oheim Bardas und mein Vater Konstantin seien beauftragt, die Reichsgeschäfte »interimistisch« zu führen, falls sich der Zustand des Basileus verschlimmern und eine längere Schonung als nötig erweisen sollte ...

Und der Parakimuménos Basileios, der Großkanzler des Reiches bei vier Regierungen (des Konstantin Porphyrogénetos, des Romanos II., des Nikephoros Phokas II. und des Tsimiskes) – was ist mit ihm? fragte ich mich ... Hat er sich an die Wand drücken lassen? Ist er beseitigt worden? Hier wird mir abermals etwas verborgen ... Die Dinge können heute nicht mehr stehen, wie sie am 26. Dezember 975 standen, als der Eilbote Byzanz verließ ...

So war also meine Sorge nicht vermindert, sondern vermehrt worden, da die byzantinischen Ereignisse nun wieder mein Denken beherrschten und mich stundenlang in die dunkelsten Grübeleien zwangen.

Wir verließen die Pfalz von Geldersheim bei Schweinfurt erst im Vorfrühling, um Ostern in Allstedt zu begehen. Wir waren kaum dort angekommen, als die lange gefürchtete, ja fast erwartete Botschaft aus Schloß Amastris eintraf: ein langer Brief meines Vaters, der den Tod des Kaisers Tsimiskes (am 10. Januar 976) und den Ausbruch des Bürgerkrieges meldete. Ich brach nicht zusammen, ich fing auch nicht an zu weinen: Ich fühlte eine Hand, die mir an die Kehle griff, mich bis zum Ersticken würgte, wieder losließ, indessen das Herz mir bis in die Augäpfel hinauf tobte – und hörte dann eine eiserne Tür in ein Schloß fallen, für das es keinen Schlüssel gab ... Es dauerte zwei Tage, bis ich mich aus dieser Erstarrung zu lösen vermochte. In diesen achtundvierzig Stunden hatte sich das Gesicht meines Lebens verwandelt: Ich war aus der Vollstreckerin eines weltpolitischen Auftrages zur Verwalterin eines geheiligten Erbes geworden, das ich nun vielleicht sogar gegen mein eignes Vaterland verteidigen mußte. Ich war allein auf dem Plane geblieben. Der große Freund und Vertraute war mir genommen worden, vergiftet von den Handlangern des Parakimuménos, als es eben gerade noch Zeit gewesen war, ihn zu treffen. Man hatte geschlagen, ehe man – aber gewiß nicht durch Meuchelmord – geschlagen worden wäre.

Der Schmerz, der mich getroffen hatte, ging über das Herz hinaus. Er war ein Schmerz des Wesens, ein Schmerz des Seins. Er mußte – auch wenn ich ihn nicht am Werke fühlte – in mir weiterwirken, meine Entschlüsse bestimmen und meinen Handlungen sein geheimes Zeichen aufdrücken. Tsimiskes selbst war in mich zurückgetreten: der Stoff Tsimiskes, nicht die menschliche Einverleibung. Ich war um diesen ungeheuren Stoff erweitert und aus allen Landläufigkeiten enthoben worden. Ich wußte nun erst ganz, was es heißt, sein Leben als Bestimmung zu leben.

 

Als ich nach einigen Tagen wieder unter den Menschen des Hofes erschien, waren Jahre in mir abgerollt.

Am Karfreitag besuchte mich die Kaiserin Adelheid. Sah ich sie mit schon verwandelten Augen – oder war sie eine verwandelte Frau? Nicht ein einziger falscher Ton kam von ihren Lippen. Alles, was sie sagte, war einfach und wahrhaftig. Sie nahm mich in ihre Arme und fuhr mir mit ihren blassen Händen über die Schläfen, indessen sich ihre Augen mit Tränen füllten. Ich spürte plötzlich die ganze Unerfülltheit dieses kaiserlichen Lebens. Da war – von der kurzen Liebe zu Lothar von Italien abgesehen – nichts gewesen, das – als Wirklichkeit – den Wünschen des Blutes entsprochen hätte. Auch nichts, das man ein eignes Ziel hätte nennen können, sondern nur all jenes Mühsame, welches der »Thron« an Gepflogenheiten und Pflichten mit sich bringt. Dieses aber war auf hoher Stufe getan worden.

Sie blieb lange bei mir, viel länger, als sie gewollt hatte. Und ich war froh, daß sie blieb. Denn ich sah sie zum erstenmal von Frau zu Frau, nicht von Schwiegertochter zu Schwiegermutter, nicht von Rivalin zu Rivalin. Sie vermied es, von Byzanz zu sprechen. Das gab mir Gelegenheit, ihr mein Vertrauen zu beweisen, indem ich selbst das Gespräch auf den Brief meines Vaters brachte: »Man hat sofort nach dem Tode des Kaisers meinen Oheim Bardas Skleros vom Oberbefehl über die Armee abgesetzt. Ohne Erfolg. Die Armee hat ihn zum Kaiser ausgerufen. Die Familie Skleros ist also Kronprätendentin. Vielleicht wird sie tatsächlich zur herrschenden Dynastie werden. Jedenfalls wird es schwere Kämpfe geben. Die Phokas werden sich melden. Vor allem aber die Söhne des Romanos, die Prinzen Basileios und Konstantin, in deren Namen der Parakimuménos – um sich in ein schönes Licht zu setzen – den Umschwung herbeigeführt hat. Ich sehe kein rasches Ende dieser Kämpfe. Ich ereifere mich nicht für eine Dynastie Skleros. Wichtig ist, daß in Byzanz keine deutschfeindliche Regierung aufkomme, damit das Programm des Kaisers Tsimiskes durchgeführt werden könne. Es ist das einzige, das wirklich die Zukunft beschwört. Vor ihm tritt alles zurück. Auch die Ansprüche der eignen Familie, sofern sie ihm nicht beipflichten will: Deutschland und Byzanz müssen Verbündete sein im Kampf gegen den Islam. Welche Regierung immer in Byzanz ans Ruder komme: es wird unsere Aufgabe sein, sie dem Leitgedanken meines Freundes Tsimiskes zu gewinnen. Die Ereignisse haben uns um einen gewaltigen Schritt zurückgeworfen. Wir müssen wieder an den Ort gelangen, an dem wir schon einmal standen. Es scheint, daß die Geschichte sich oft in diesem Schritt der Bußprozessionen bewegt ... Mehr kann ich heute über den Stand der Dinge in Byzanz nicht sagen. Ich muß die Rückkehr Hugos von der Wetterau abwarten, um Einzelheiten zu hören. Vor allem, ob die Kaiserin Anastasia aus der Verbannung zurückgerufen und in eine Regentschaft für ihre Söhne eingesetzt wird. Sie wissen, welchen Ruf sie genießt. Ich sage Ihnen aber, daß das Palastgewäsch – sei es das der Fürstinnen oder der Köchinnen – von Byzanz genauso viel wert ist wie das der deutschen Pfalzen: Anastasia ist eine Frau von großen Maßen. Sie ist mir freundlich gesinnt, weil ich ihr in schweren Tagen einen Dienst getan habe. Ich ließ ihr auch in ihre Verbannung die neu erscheinenden Bücher senden, denn sie liest viel und mit hohem Verstand. Ich denke, daß Hugo seine Rückreise auf Umwegen machen muß. Sehr wahrscheinlich auf der Donau. Ich werde also warten müssen. Aber vielleicht wird uns allen ja hier die Zeit nicht lange werden. Nicht nur in Bayern, sondern auch in Niederlothringen bereitet sich wieder etwas vor – und wahrscheinlich dreht es sich da um Abmachungen. Ich weiß nicht, ob Sie das Neueste von heute schon gehört haben: Die Herren Reginar und Lantbert sind in Valenciennes gesichtet worden. Was also führen sie im Schilde?« Die Kaiserin stand auf. »Es ist hohe Zeit, daß ich in Italien nach dem Rechten sehe. Ich muß uns für alle Fälle den Herzog von Tuskien sichern ... Aber ich glaube nicht, daß es sehr schlimm wird. Bayern kann nicht gegen die Reichsarmee aufkommen. Heinrich wird sich den Kopf an der Wand einrennen, wenn er Torheiten macht.« Ist Rebellion eine Torheit, dachte ich, als die Kaiserin gegangen war, oder ist sie Hochverrat?

 

Nein, es wurde nicht sehr schlimm, aber schlimm genug, um uns zwei Sommer lang in Atem zu halten. Ich war vorbereitet und blieb ruhig. Ich dachte lange über mich nach, und es ward mir klar, daß ich zu jenen Naturen gehörte, welche weit mehr unter einem Vorgestellten als unter einem Tatsächlichen leiden. Es kam also vor allem darauf an, daß ich den bösen Geistern der Kombination den Krieg erklärte und mich durch das Warten auf das Eintreten eines Ereignisses nicht aus jenem notwendigen Gleichgewicht bringen ließ, das mir die Erfüllung meiner Pflichten ermöglichte. »Sich selbst oder auch die Dinge ausschalten können, ist das Geheimnis des Regierens«, hatte Willigis einmal zu mir gesagt, als ich die bayrische Frage in allen ihren möglichen Folgen mit ihm durchsprach ... »Es würde natürlich eine große Stärkung der Dynastie sein, wenn Eure Majestät bald einem Thronfolger das Leben schenken könnte.« ... Das sagten sie alle, nachdem die Ehe nun schon vier Jahre kinderlos geblieben war. Aber weder der Kaiser noch ich selbst sorgten uns um die Nachfolge. Wir waren sicher, daß sie uns nicht versagt bleiben würde – und wir wünschten sie lieber aus ausgereifteren als aus allzu jugendlichen Körpern.

Mitte April – wir feierten Ostern in Allstedt mit der Äbtissin Mathilde und Otto von Schwaben (der mehr denn je den Namen Glaukós verdiente) – kamen die ersten Sturmzeichen aus Niederlothringen. Die Grafen Reginar und Lantbert hatten Mons angegriffen. Und zwar – was dieser Fehde ihren besonderen Charakter gab – im Bunde mit dem Grafen Otto von Vermandois und dem französischen Prinzen Karl, dem Bruder des Königs Lothar. Lothar und der Herzog Hugo Kapet von Franzien hatten ihre Zustimmung zu diesem Einbruch auf deutsches Gebiet gegeben.

Wir saßen gerade nach dem Mittagessen in der südlichen Vorhalle, um uns von der Sonne durchwärmen zu lassen, die nach einem schlimmen Winter endlich über den Hyazinthenbeeten leuchtete, als uns diese Nachricht durch einen Boten des Bischofs Notker von Lüttich überbracht wurde. Der Kaiser und Glaukós lachten. Ich sah sie verwundert an. Glaukós sprang auf, reckte die Arme ins Licht, warf den Kopf zurück und fuhr sich durch die hellen Haare: »Glauben Sie, liebe Theophano, daß man sich auch nur eine Minute lang diesen göttlichen Ostersonntag durch eine solche Mitteilung verderben lassen solle? Sie nehmen diese Dinge zu tragisch. Das verdienen sie nicht. Sie sehen einen sorgsam vorbedachten und großangelegten Plan, wo es sich um eine Räubergeschichte handelt. Sie wissen noch nicht, was diese französischen Ritter sind! Es mag Ausnahmen unter ihnen geben, und ich will mich ganz gewiß von jeder Überheblichkeit fernehalten, denn auch bei uns gibt es räudige Schafe, aber doch nur als Ausnahme. Die Herren aus der nordfranzösischen Feudalität sind Rüpel. Weiter nichts. Abenteurer, die eine gute Gelegenheit ergreifen, wo sie sie finden. Eine planmäßige Politik kennen sie nicht. Und die Macht des Königs über sie ist sehr gering. Wenn der König Lothar und der Herzog Hugo Kapet sich dieser Fehde nicht widersetzten, so ist es, weil sie es mit ihren Leuten nicht verderben dürfen, da sie sie morgen oder übermorgen für ihre Zwecke nötig haben. Sie handeln nach dem Grundsatze des ›Do ut des‹. Das ist alles. Es wäre durchaus verfehlt, wenn der Kaiser diese örtliche Fehde zu einer Staatsangelegenheit machte. Das wäre sie erst dann, wenn Lothar mit königlichen Truppen eingriffe. Daß er es nicht getan hat, beweist, daß er es nicht tun wollte. Also ist die deutsche Haltung in dieser Angelegenheit vorgezeichnet: und doppelt, wenn man in Betracht zieht, daß der Krieg gegen Bayern nur noch eine Frage von Wochen ist. Wir werden es natürlich vermeiden, gegen zwei Fronten zu kämpfen, solange dies nicht nötig ist. Daß sich auch der französische Prinz Karl in diese Kumpanei begeben hat, darf Sie nicht beunruhigen. Wir wissen, was wir von diesem Burschen zu halten haben. Er erträgt es nicht, an zweiter Stelle zu stehen und, ohne eignes Herrschaftsgebiet, von der Gnade seines königlichen Bruders abhängig zu sein. Das ist begreiflich, geht uns aber nichts an. Er sucht ganz einfach Gelegenheiten, um sich bemerkbar zu machen. Da er mit seinem Bruder, und besonders mit dessen Gattin Emma, wie Katz und Hund steht, kennt er auch keinerlei Rücksichten auf den königlichen Namen, sondern benimmt sich, wo immer es sei, wie ein Vagabund, der in seiner Abstammung die Rückendeckung für seine Streiche sieht. Hätte er morgen einen Rahmen, innerhalb dessen er seine beträchtlichen Energien austragen könnte, so würde er brauchbare Leistungen zustande bringen. Ja, er wäre vielleicht nicht einmal ein schlechter Fürst. Er hat eine eingeborene Neigung zum geringen Volk. Mit Dienstmannen und Reitknechten saufen, Würfel spielen und Zoten reißen, ist sein größtes Vergnügen. Diese kleinen Leute lieben ihn, weil sie die Verwandtheit der Instinkte fühlen. Er ist keineswegs böse. Eher das Gegenteil. Aber er ist vulgär in seinem Geschmack. Er ist ein glänzender Soldat. Das ist viel in diesen verworrenen Zeiten ...« – »Was haben Sie mit ihm vor?« unterbrach ich Glaukós. Er lachte wieder: »Ich? Gar nichts. Aber vielleicht andere.« Ich sah Otto an. Er spielte mit seinem Schäferhund, der auf die Bank gesprungen war: »Es ist noch zu früh, über die Verwendungsfähigkeit dieses französischen Seigneurs zu sprechen. Aber es könnte der Augenblick kommen, wo ich es für angebracht hielte, mich seiner zu entsinnen: selbst wenn ich meiner guten Mutter einen gewaltigen Schrecken einjagen müßte ... Ich enthalte Ihnen wirklich nichts vor, Theophano, aber es ist nicht angebracht, Sie mit allen Dingen zu belästigen, die mir durch den Kopf gehen! Sie haben im Augenblick genug mit sich selbst zu tun. Warten wir zunächst einmal ab, wie die bayrische Affäre ausgeht. Ich hoffe, mein Vetter Heinrich von Bayern tut mir den Gefallen, sich recht bald in die Nesseln zu setzen. Ich werde ihm diesmal keine Gelegenheit mehr geben, sich daraus zu erheben. Und Willigis auch nicht. Er ist bis hierhin geladen gegen diese Sippschaft von Verschwörern, welche ihre Zeit noch nicht begriffen haben und den deutschen Gedanken um ein paar Hufen Landes verraten. Wäre ich aller Dinge so gewiß wie unseres Sieges über diesen ewigen Zänker und Stänker, so wäre mir sündhaft wohl. Gewiß, vor drei Jahren in Rom war es schöner als heute – und dennoch möchte ich das Rad nicht mehr zurückdrehen. Das Leben hat uns früh, sehr früh in unsere Aufgaben gestellt. Ich glaube, wir dürfen alle drei von uns behaupten, daß wir an diesen Aufgaben gewachsen sind. Das genügt fürs erste ... Und jetzt möchte ich, daß wir in den Wald gehen, dort oben auf die Höhe, wo die Lärchen stehen und die Buchen schon ihre Knospen auftun.« – »Ja, das möchte ich auch«, sagte Glaukós. »Wer weiß, wann ein solcher Sonnentag wiederkommt.« Er hob die Hand vor die Augen und schaute über das Wiesental, das von Schlüsselblumen und Schaumkraut blühte. Er lächelte, wie wenn ein großes Glück sein Erinnern durchspielte. Ich nahm ihn am Arm: »An wen denken Sie, Glaukós?« – »Haben Sie gespürt, daß ich an jemanden denke?« – »Ja – und ich möchte wissen, an wen.« – »Es ist das Recht der Frauen, und also auch der Kaiserinnen, neugierig zu sein. Aber ich darf es Ihnen nicht sagen. Ich habe mein Wort gegeben ... Ich denke an einen Mund, der so schön ist, daß man ihn kaum zu berühren wagt, aus Furcht, er könne einen Hauch von seiner Form verlieren.« – »Aber so sagen Sie mir doch wenigstens, wie die Haare sind und wie die Augen.« – »Schwarz, sehr schwarz und glänzend.« – »Und darf man auch wissen, wo dieses Wunder atmet?« – »Weit, weit von hier ... Im äußersten Süden meines Herzogtumes, wo vor vielen Jahrhunderten die Etrusker wohnten, deren Sprache sich verloren hat.« Wir gingen gegen die Treppe ... Auch er lebt von einem Bilde, dachte ich ... Wer so spricht, hat nicht besessen ... Nur wer erwartet, kann so glücklich sein ...

Am gleichen Abend noch schrieb ich einen Brief an den Fürsten Woytech nach Magdeburg und bat ihn, uns am Ende der Woche auf einige Tage zu besuchen ... Denn ich hatte gehört, daß er vielleicht bald nach Prag zurückkehren werde.

Er begleitete uns nach Ingelheim. Auch Willigis hatte seinen Besuch in Mainz erbeten. Er hatte sich kaum verändert. Auch jetzt sprach er nur wenig. Aber er las uns abends oft so schön, wie ich noch niemals einen Menschen lesen gehört hatte, aus den ›Tristien‹ des Ovid vor. Er war nun zwanzig Jahre alt – ohne Alter. Glaukós, der ihn noch niemals gesehen hatte, erschrak fast, als er ihm in meinem Wohnzimmer begegnete: »Ist dies ein Mensch«, fragte er mich später, »oder eine Erscheinung?« – »Ein Bildnis, Glaukós«, erwiderte ich. »Es scheint mir, daß Sie wissen, was dies ist«. Er zog meine Hände an seinen Mund: »Auch Sie, Theophano, wissen es. Und ich wünsche Ihnen, daß Sie es bis in Ihre letzte Stunde wissen möchten. Wir alle leben mit den Menschen, aber von den Bildern.«

Von welchem Bilde, fragte ich mich oft seit jenem Tage, mag der Kaiser leben?

 

Am 8. Juni wurde das deutsche Kanzleramt ausgewechselt. Sein Inhaber, Folkmar, wurde zum Bischof von Utrecht bestellt und durch Egbert, den Sohn des Grafen Dietrich II. von Holland, ersetzt. Diese Wahl geschah schon mit Hinsicht auf Verwicklungen in Lothringen. Es war notwendig, die holländische Grafschaft so eng als möglich an das Reich zu binden, um einen Flankenangriff auf die französische Provinz Flandern vornehmen zu können. Am gleichen Tage traf die Nachricht ein, daß der bayrische Aufstand ausgebrochen sei. Wie die Agenten des Zänkers – der Herzog Heinrich wurde von uns nicht mehr anders genannt – gearbeitet hatten, ward aus dem Umstande ersichtlich, daß sich sogar zwei sächsische Große, der Markgraf Günther von Merseburg und Graf Ekbert der Einäugige, auf seine Seite geschlagen hatten. Nicht eine Beklemmung, sondern ein Aufatmen ging durch die Pfalz von Ingelheim: Endlich würde nun mit dem großen Aufräumen begonnen werden können.

Der Kaiser hatte mir vorgeschlagen, in Ingelheim zu bleiben. Aber ich bestand darauf, ihn nach Bayern zu begleiten, um in seiner Nähe zu sein und rasch über den Gang der Ereignisse unterrichtet zu werden. Diese Ereignisse verliefen zunächst sehr nach Wunsch. Militärisch war das Unternehmen des Zänkers nur mangelhaft vorbereitet. Schon am 21. Juli war der Kaiser Herr von Regensburg. Aber er war nicht Herr der Person des Verräters, der sich nach Böhmen zu Boleslaw II. geflüchtet hatte, nachdem er von den reichstreuen Bischöfen in den Kirchenbann getan worden war. Unmittelbar nach diesem ersten Erfolg wurden die neuen Verfügungen über das Herzogtum Bayern ausgefertigt. Man hatte Eile, ein Faktum zu schaffen, da die Kaiserin Adelheid abwesend war. Sie hatte in den ersten Julitagen die schon im März geplante Reise nach Italien angetreten, aber nur einen kurzen Aufenthalt in ihrem Lande vorgesehen. Von großen Verhandlungen über Bayern war keine Rede. Diese Angelegenheit war zwischen Kaiser und Willigis im voraus gründlich, klar und unwiderruflich geregelt worden. Gefühlsmäßige Rücksichten wurden nicht mehr genommen: weder auf die bayrische Vorliebe der Kaiserin Adelheid noch auf die Muttergefühle der Herzoginwitwe Judith, noch auf irgendwelche Gefühle der Dame auf dem Hohentwiel. Das Herzogtum wurde aufgeteilt, das heißt: aus seinen südlichsten deutschen und italischen Grenzländern wurde in Gemeinschaft mit der alten kärntischen Grenzmark und der Mark Verona ein neues Herzogtum Kärnten gegründet. Diese Maßnahme trug ganz den Stempel der Staatskunst des Erzkanzlers Willigis. Sie nahm Bayern jedes Übergewicht an der italischen Grenze, schuf die politische Einheit eines Reichslandes als Schutz gegen die ungarische Grenze, sicherte den wichtigen südöstlichen Zugang nach Italien unter Umgehung Bayerns und stellte ein machtpolitisches Gleichgewicht zwischen Schwaben, Bayern und Kärnten her. Was von Bayern noch übrigblieb, wurde an Otto von Schwaben gegeben. Die bayrische Ostmark mit Melk, Krems, Klosterneuburg und Wien, welche der bayrischen Oberhoheit unterstellt blieb, kam an den Grafen Liutpold von Babenberg. Die kaisertreue Geistlichkeit erhielt für ihre entschiedene Haltung, welche die Voraussetzung für einen so raschen Erfolg vor Regensburg gewesen war, große Vergabungen an Boden und Privilegien. Es gab keinen Grund, mit einem solchen Ergebnis unzufrieden zu sein. Aber es gab auch keinen Grund, schon zu jubeln, wie es einige taten. Denn solange Heinrich nicht der Gefangene des Kaisers war, mußte damit gerechnet werden, daß er neue Machenschaften gegen das Reich anzetteln werde. Dies war um so mehr zu befürchten, als es dem Kaiser nicht gelungen war, eine zweite Strafexpedition gegen Boleslaw von Böhmen mit Erfolg durchzuführen. Die deutschen Truppen mußten sich – nach einer Überrumpelung durch tschechische Abteilungen – auf Cham zurückziehen. Die endgültige Erleichterung, die man erhofft hatte, war also nicht eingetreten. Es blieb abzuwarten, was Heinrich tun würde, und auf der Hut zu sein. Willigis bedeutete mir, ich möge den Kaiser meine Enttäuschung nicht fühlen lassen. Auch ihm, dem Erzkanzler, komme der halbe Sieg in der bayrischen Frage sehr ungelegen, da das lothringische Problem einer raschen Lösung bedürfe. Es sei zu befürchten, daß Lothar sich mit Heinrich verbünde, wenn in Niederlothringen nicht so rasch als möglich Ordnung geschaffen werde.

 

Die Anwesenheit des Hofes in diesem Herzogtum wurde zur Notwendigkeit. Wir blieben einige Zeit in Nymwegen, das ich liebte. Wie weit waren diese Landschaften, wie königlich der Rhein in seinem breiten Strömen, wie ausruhend die aufgelichteten Horizonte unter silbern geschichteten Wolken, die vom friesischen Meere herüberzogen! Sie halfen mir oft, die Schwermut überwinden, die mich befallen hatte – jene unerklärliche Schwermut, die ein menschliches Wesen aus sich entrückt und als Vergessen seiner selbst im Raum verwehen läßt. Ich mußte viel an die Geschehnisse denken, die sich nun in Byzanz abspielten, und viel an ein Wort, das mir Woytech in seinem letzten Brief geschrieben hatte: »Alles menschliche Handeln hat nur dann einen Sinn, wenn es um jener Klarheit willen geschieht, die aus dem Dunkel Gottes fließt ... Das Gebet ist die einzige Kraft, die es auf Erden gibt ...«

Ich vertauschte ungern Nymwegen mit Köln, wo ich viel an Arbeit für St. Pantaleon vorfand. Ich ahnte nicht, daß mich Hugo von der Wetterau dort erwartete. Endlich, endlich Gewißheit wenigstens in den byzantinischen Dingen ...

Nein, man hatte ihm nichts getan. Aber auch er hatte nichts getan, das ihn in ein falsches Licht hätte setzen können. Er hatte nicht für die Familie Skleros Partei ergriffen, er war nach dem Tode des Kaisers Tsimiskes in Byzanz geblieben, hatte den Parakimuménos um Enthebung von seinen Pflichten ersucht, welche nicht an die Person des Tsimiskes, sondern an dessen Rang gebunden gewesen seien, hatte die gleiche Bitte auch den zu Kaisern ausgerufenen Prinzen Basileios II. und Konstantin VIII. vorgetragen und war gebeten worden, sich der neuen Regierung so lange zur Verfügung zu halten, bis man ihm ein Sendschreiben an das deutsche Kaiserpaar mitgeben könne. Auch die Kaiserinwitwe Theodora – die Tante der nun regierenden Basileis – hatte ihm nahegelegt, sie nicht zu verlassen, ehe die Lage etwas durchsichtiger sei. Und er war natürlich geblieben. Er hatte getan, was ihm sein gutes Gewissen erlaubte und sein ritterliches Gefühl befahl. Vor allem aber: Er hatte als Diplomat gehandelt und die Sache nicht der Theophano Skleros, sondern der deutsch-römischen Kaiserin vertreten, wie es ihm aufgetragen worden war. Er glaube nicht, sagte er, an die unmittelbare Schuld des Parakimuménos. Es sei in Byzanz um einen Kampf der Prinzipien gegangen. Die Synkletikoí teilten nicht die Ansicht, daß für den Staat etwas erreicht werde, wenn man das »Volk« begünstige. Dieses Volk werde bei jeder ihm passenden Gelegenheit seine Forderungen weiter hinaufschrauben. Auch die Skleros verträten diesen Standpunkt. Sie seien aus macht-, nicht aus sozialpolitischen Gründen die Parteigänger des Tsimiskes gewesen. Es komme ihm, Hugo, nicht zu, Stellung zu nehmen in Dingen der byzantinischen Innenpolitik. Frage man ihn aber, wie ich es getan habe, nach seiner Meinung, so müsse er sagen, daß er die Fortführung der Regierung durch die rechtmäßigen Erben der makedonischen Dynastie für die einzig befriedigende Lösung halte. Er habe viel gesehen, viel gehört, viel gelernt in diesen byzantinischen Jahren: Der oströmische Staat verkörpere eine kulturale Synthesis, deren Bedeutung man erst erfasse, wenn man lange in seiner Hauptstadt gelebt habe, aber auch seine anderen städtischen Mittelpunkte kenne. Er sei zurückgekommen als ein Mensch, dessen Erkenntnisse sich vervielfacht, dessen Urteilsfähigkeit sich verschärft und geklärt, dessen Lebensgefühl sich um das Doppelte geweitet habe. Alles dieses verdanke er dem Vertrauen, das ich in ihn gesetzt habe. Er wisse nicht, wie er mir dafür danken solle. Er hoffe, daß es ihm vergönnt sein werde, sich dieses Vertrauens würdig zu erweisen ... Ich ging auf ihn zu: »Bleiben Sie mein Freund, so wie Sie es heute sind. Ich habe Ihnen vertraut, weil ich wußte, daß Sie des Vertrauens würdig seien. Die Gewinne, die Sie aus Ihrer Reise gezogen haben, sind Ihr eignes Verdienst.« Am nächsten Morgen ernannte ihn der Kaiser zu seinem persönlichen Adjutanten.

Zwei Tage später erhielten wir den geheimgehaltenen Besuch des französischen Kanzlers Ascelin. Dieser junge Mann aus einem vornehmen niederlothringischen Geschlechte, der als Anwärter auf den Bischofsstuhl von Laon galt, war uns von Adalbero von Reims geschickt worden. Wir sollten ihn persönlich kennen. Er war eitel, bösmäulig und von jener provinzhaften Überheblichkeit, welche jedes Vertrauen ausschloß. Seine hohe Bildung vermochte nicht, über die Minderwertigkeit seines Charakters hinwegzutäuschen. Es war gut, über ihn Bescheid zu wissen. Er verließ uns einige Tage vor Weihnachten, das er, wie er uns mitteilte, auf dem Schlosse seiner Eltern verbringen wollte. Die Goldschmiedewerkstätten des Klosters St. Pantaleon hatten ihn in Begeisterung versetzt. Er schien besonderen Wert darauf zu legen, mit dem deutschen Hofe in Verbindung zu bleiben. Aber der Kaiser ließ es bei einigen belanglosen Verbindlichkeiten bewenden. Wir waren nicht sicher, ob er nicht gekommen war, um etwas über die lothringischen Absichten des Erzkanzlers zu erfahren. Er hätte allerdings, wenn jemand von den wenigen Unterrichteten aus der Schule geplaudert hätte, Erstaunliches erfahren können.

 

Der Kaiser und der Erzkanzler Willigis waren entschlossen, die Frage des niederlothringischen Herzogtums zu erledigen, bevor der Krieg gegen Bayern wieder aufgenommen werden würde. Diese Erledigung mußte in solcher Weise geschehen, daß sie eine Warnung an Lothar von Frankreich und gleichzeitig eine Handhabe gegen ihn darstellte. Eines Abends, es war in der ersten Märzhälfte 977, als wir nach endlosem Hin und Her in Niederlothringen wieder in Nymwegen gelandet waren, rückte der Kaiser mit der Sprache heraus: Was ich davon halte, daß man den Prinzen Karl von Frankreich, den Bruder des Königs Lothar, mit dem Herzogtum belehne. Das Gespräch fand in meinem Schlafzimmer statt. Ich hatte mich an diesem Abend schon früh zu Bett gelegt. Ich fragte lächelnd, in wessen Kopf dieser Gedanke entsprungen sei. »Ich denke, in dem Ihren! Haben Sie nicht im Vorfrühling des vergangenen Jahres, als wir aus Franken nach Sachsen reisten, dem Erzbischof Willigis auseinandergesetzt, daß das Grundgesetz der byzantinischen Außenpolitik zu allen Zeiten das Gegeneinanderausspielen von Kräften sei, welche, miteinander verbunden, zu einer Gefahr werden könnten? Und entsinnen Sie sich nicht mehr, was ich und Glaukós Ihnen in Allstedt an Ostern sagten? Ich verneige mich vor Ihrer wahrhaft byzantinischen Verschlagenheit, Theophano! Sie kannten Ihre Leute! Sie wußten, daß Ihr Hinweis auf die oströmische Methode zünden werde! Sie haben bewußte Politik getrieben, ohne sich den Anschein zu geben, es zu tun. Sie sind später nicht mehr auf Ihre Äußerungen zurückgekommen, weil Sie längst verspürten, daß der Funke gezündet hatte. Diese Beherrschtheit einer Frau, welche so leidenschaftlich Stellung nehmen kann wie Sie, hat uns mit Bewunderung erfüllt, vielleicht sogar mit Angst. Wir haben uns gefragt, ob wir nicht viel öfter gerade da Ihrer geheimen Suggestion folgen, wo wir aus eigner Entscheidung heraus zu handeln glauben.« – »Und wenn es so wäre? Wäre das schlimm?« – »Nein, da Sie über eine außergewöhnliche politische Begabung verfügen. Aber es wäre beschämend.« – »Auch das wäre es nicht, Otto! Tragen Sie meiner Natur Rechnung, und entsinnen Sie sich immer eines Wortes, das mein Vater schon über mich geprägt hat, als ich zwölf Jahre alt war: ›Wenn ich nicht wüßte, daß dies ein Mädchen ist, würde ich sagen: Wie kann ein Knabe so sehr die Züge eines Mädchens tragen.‹ Ich glaube, daß Ihnen dieses Wort die Besorgnis nehmen kann, Sie seien das Werkzeug weiblicher List. Ich hatte ja lange genug Zeit, aus nächster Nähe zu sehen, wie am deutschen Hof Politik gemacht wird. Viel zu unelastisch und viel zu phantasielos. Die ›wohlanständig denkenden‹ Leute werden aufschreien, wenn sie von der vollzogenen Wahl des Prinzen Karl hören! Ihre Mutter wird in Weinkrämpfe fallen und dem Majolus in die Arme stürzen, die Königin Emma von Frankreich wird in Ohnmacht sinken und selbst von ihrem ›petit chou Ascelin‹ nur mit Mühe in die Wirklichkeit zurückgeführt werden können ... Aber was geht uns das alles an, wenn wir in Rechnung stellen, was die Verfeindung der beiden Karolinger als politisches Potential in unserer staatsmännischen Arbeit bedeutet? Ein Herzog kann heute eingesetzt und abgesetzt werden. Damit haben wir Karl in unserer Gewalt. Denn wenn er sich uns nicht fügt, kann er als Abenteurer in die Welt ziehen. Die Rückkehr nach Frankreich wäre ihm verschlossen, zumal ja ein Kronprinz vorhanden und für ›Verräter‹ dort drüben genausowenig Platz ist wie bei uns, wo er ja dann ebenfalls ›Verräter‹ wäre ... Also greife man zu, ehe es zu spät ist. Die Ernennung ist ein Schlag gegen Frankreich und Bayern zugleich. Dies ist das Allerwichtigste. Strategisch ist sie eine Rückendeckung, wenn in Bayern gekämpft werden wird.« Der Kaiser war im Zimmer auf und ab gegangen und hatte mir mit großer Nachdenklichkeit zugehört. Als ich zu Ende gesprochen hatte, setzte er sich auf den Rand meines Bettes und nahm meine Hand: »Mein Vetter Karl von Frankreich wird zum Herzog ernannt werden. Durch dick und dünn, und gegen alle. Willigis sagt das gleiche wie Sie. Nur auf seine Zustimmung lege ich Wert. Ich bin mir klar darüber, daß es noch rote Köpfe – und Weinbecher an der Wand geben wird. Aber die einzelnen Gaue sind gut bearbeitet, die Herren der kleineren Feudalität ohne Schwierigkeiten der kaiserlichen Entscheidung gewonnen worden, ›wie immer diese ausfalle‹. Darauf kommt es an. Denn es ist ausgeschlossen, daß wir den Namen unseres Kandidaten vor dem Zusammentritt der beratenden Versammlung preisgeben. Das Rätselraten ist groß, und viele sollen auf Gottfried, den Bruder Adalberos, wetten ... Sie können sich denken, was es an Arbeit in den nächsten Wochen noch zu tun geben wird, und sicherlich meinen Wunsch begreifen, Sie möchten uns durch Ihre hohe Kunst, Bittsteller und Anfrager mit einigen Liebenswürdigkeiten in gebührender Entfernung zu halten, zur Hand gehen. Wir wollen so wenig wie möglich Leute vor den Kopf stoßen und auch in den kleineren Fragen eine endgültige Lösung herbeiführen. Sodann ist es uns von Wichtigkeit, daß Sie den ganzen Zauber Ihrer Erlauchtheit spielen lassen ...« Ich verschloß mit der Hand dem Redenden den Mund, der sich schon zum Lachen verzogen hatte, und bog seinen Kopf zu mir nieder: »Zählen Sie auf mich in diesem lothringischen Osterspiel – und lassen Sie sich in seiner Durchführung durch das beflügeln, was ich Ihnen nun zu sagen habe: Der Arzt hat mir heute morgen mitgeteilt, daß ich guter Hoffnung sei.« Der Kaiser sprang von meinem Bette auf, lief an das Fenster, als ob es dort etwas zu sehen gäbe, kam wieder zurück, starrte mich an, als wüßte er selbst nicht, wen er betrachtete – und warf sich dann in meine Arme, um mich in seinen Liebkosungen zu begraben ...

Vergessen war das Herzogtum Niederlothringen, vergessen der bayrische Rebell. Gegenwärtig in dieser Nacht war nur die Freude darüber, daß uns Gott die Fortsetzung unserer selbst und der Dynastie durch Nachkommenschaft nicht verwehren würde ... Wir lagen lange schweigend im Halbdämmer des Zimmers, indessen der Gesang der Frühlingswinde vom Meere her um die Mauern wogte und das Gebälk der Türme durch den ungewissen Mondschimmer ächzte. »Nymwegen wird meinem Herzen nahe bleiben«, sagte der Kaiser, als er mich verließ. »Wir werden ihm die Freude vergelten, die es uns am 13. März 977 schenkte.«

Ende März reisten wir zu Schiff über Köln nach Mainz. Ingelheim stand in offner Pflaumenblüte. Die Reise in das Elsaß ging im Dufte der Kirschendolden und des goldbraunen Bienengesummes – in Lothringen aber standen die Gärten schon voll blauer Schwertlilien, und der Goldlack hing an den Mauern der hellgrünen Weinberge ... Am 6. Mai waren wir über Metz in Diedenhofen angelangt, wo die ausgeschriebene Tagung stattfand. Der gesamte Hochadel des Landes war anwesend. Die Kaiserin Adelheid war noch nicht aus Pavia zurückgekehrt. Die Bekanntgabe des neuen herzoglichen Namens durch den Erzkanzler Willigis fuhr wie ein Wetterleuchten über diese Versammlung. Selbst die Herzogin Beatrix von Oberlothringen war diesmal nicht zu den Besprechungen zwischen Kaiser und Kanzler zugelassen worden. Sie verbarg ihr Erschrecken in Kühle. Selbstverständlich hätte sie sich einen anderen Nachbarn gewünscht. Da jedoch Oberlothringen fast ein Musterland war, brauchte es in den kaiserlichen Erwägungen keine Rolle zu spielen. Dagegen hatten die Grafen Reginar und Lantbert durch Wiedereinsetzung in ihren väterlichen Besitz mit dem Reiche versöhnt werden müssen. Der Graf Gottfried, in dessen Hand ihre Länder gewesen waren, erhielt die Grafschaft Verdun und behielt die Festung Mons. Kurz vor unserer Abreise, die am 10. Mai erfolgte, ließ sich Beatrix bei mir melden: Ob ich mir alle Aspekte der Ernennung Karls habe durch den Kopf gehen lassen? Aus ihrer Frage sprach eine ungeheure Sorge, nicht für ihr eignes Herzogtum, sondern für das Reich. »Was wird, wenn dieser Strolch nun erst recht mit seinem Bruder Lothar paktiert?« – »Dann wird Ihr Gatte ihn so lange in Schach halten, bis wir ihn erledigen können. Ein Nachfolger wird ihm bald gefunden sein.« – »Gebe Gott, daß der Kaiser den Bayern jetzt zur Strecke bringt. Erst dann können wir hier im Westen wieder ruhig atmen ... Was immer komme: Zählen Sie auf den Herzog und auf mich, Majestät.«

Wäre Beatrix etwas weniger von ihrer politischen Bedeutung überzeugt gewesen, so hätte ich mich mit ihr befreunden können. Aber ich ertrug nur schwer ihre Art, sich mit ihrem politischen Wissen zu brüsten und Belangloses aufzubauschen, wenn ihr dies gerade paßte. Ihre Treue zum Reich war unanzweifelbar. Und die Lauterkeit ihrer Gesinnung ebenfalls. Daß sie aus jeder politischen Lage für ihre Kinder Vorteile herauszuschlagen verstand, durfte ihr niemand verargen. Wer hätte – bei gleichen Möglichkeiten – nicht das gleiche getan? Sie war eine ebenso ausgezeichnete Mutter wie Fürstin. Sie gab sich ohne Pose und ohne Bedürfnis, zu glänzen. Es kam ihr auf den Erfolg an. Ihr Gemahl war nichts neben ihr. Ascelin hatte von ihm gesagt, er sei zu dumm, um nicht »getreu« zu sein ...

Ich war froh, nach den sächsischen Pfalzen heimzukehren. Ich hatte eine Zeitlang daran gedacht, bis zu meiner Niederkunft in der Pfalz von Ingelheim zu bleiben, um in der Nähe des Erzkanzlers Willigis zu sein, aber ich ließ mich davon überzeugen, daß mir in diesem heißen Sommer die Tannenkühle des Harzes zuträglicher sein werde als die Glut der Weinberge und die Schwüle der Rheinufer.

Der Kaiser hatte mir das Versprechen abgenommen, mich um den Ausgang des neuen bayrischen Feldzuges nicht zu sorgen. Es könne nicht an einem Siege, und diesmal einem endgültigen, gezweifelt werden. Ich gab ihm natürlich das Versprechen – aber ich war nicht davon überzeugt, daß dieser neue Krieg ebenso leicht zu Ende gebracht werde wie der des vergangenen Jahres.

Es galt zunächst, den Herzog Boleslaw matt zu setzen. Der Angriff auf Böhmen sollte von zwei Seiten zugleich erfolgen: Der Kaiser würde von Norden einmarschieren, Herzog Otto, mit einem bayrisch-schwäbischen Heer, von Westen. Dieser Plan jedoch wurde vereitelt, da nicht nur Heinrich von Bayern, sondern auch der Herzog Heinrich von Kärnten, der Vetter der Herzoginwitwe Judith, und ihr Neffe, der Bischof Heinrich von Augsburg, zum Gegenschlage ausholten. Es hatten sich also der Verschwörung gerade diejenigen Männer angeschlossen, welche eben erst einem Übermaß kaiserlicher Gnade ihre Stellungen verdankten. Wer sich, wie der Augsburger, einen Bischofsstuhl durch Betrug erschleicht, von dem muß man auf jeden Verrat gefaßt sein. Aus welchen Gründen aber der Kärntner das schmutzige Spiel mitmachte, konnte sich niemand erklären. Hatte abermals der Dämon der Sippe diesen traurigen Bund gegen das Reich zustande gebracht? Es schien so ... War vielleicht Judith die Seele des Unternehmens? Oder, was ich für wahrscheinlicher gehalten hätte, Hadwig? Die Frage ist nie gelöst worden. Adelheid, welche nach Bekanntwerden der Diedenhofener Beschlüsse aus Pavia abgereist und, krank vor Erregung, bei Willigis von Mainz erschienen war, geriet in Empörung, wenn man die bayrischen Fürstinnen nur mit dem Hauche eines Verdachtes belastete ... Ich ließ mich auf keine langen Gespräche mit ihr ein. Meine Ärzte hatten ihr erklärt, daß mein Zustand Schonung verlange, zumal mir die militärische Lage, so wie sie sich im August darstellte, schon genug Anlaß zu Besorgnis gegeben habe ... Nein, es waren keine schönen Wochen, die ich in der Pfalz von Frose verbrachte. Und sie wären wahrscheinlich noch unerträglicher gewesen, wenn mich nicht schon die nahende Geburt in ihren Bann gezwungen hätte. Ich lebte im Gebete, gerüstet für Glück und Unglück ... Wenn ich einen Sohn in meinen Lenden trug – unter welchem Sternenstande der Dynastie würde er seinen Weg beginnen?

Erst im September kamen günstige Nachrichten. Der Kaiser hatte Boleslaw zur Unterwerfung gebracht, Otto von Schwaben aber den Zänker und den Kärntner in Passau blockiert. Da sich nach der Beendigung des böhmischen Krieges Kaiser und Herzog nun vereinigen konnten, war für die Rebellen Passau nicht mehr zu halten. Sie mußten die Flucht ergreifen und dem Kaiser am 1. Oktober den Einzug freigeben. Der Augsburger Bischof hatte, da ihm die Wege verlegt waren, keine Entsetzungstruppen senden können ...

Diese letzten Nachrichten wurden mir durch Hugo von der Wetterau aus dem Hauptquartier überbracht, als ich eben aus den Wehen aufgestanden war und die ersten Schritte in der milden Herbstsonne machte. Ich hatte einer Tochter das Leben geschenkt, welche nach ihrer Großmutter Adelheid genannt wurde. Diese Geburt hatte mich mehr in der Seele als am Leibe ermüdet. Ich wagte mir nicht einzugestehen, was ich erkannt hatte: Nur wenn ich Söhne gebären könne, würde Mutterschaft für mich einen Sinn haben. Ich liebte dieses stille, schmale Kind, das da neben mir in der Wiege lag, aber ich wurde nicht fröhlich, wenn ich es ansah: Ich wurde fast traurig und fühlte mich im voraus schuldig an allem, was ihm das Leben vielleicht an Dunkel aufbürden würde ... Erst als der Kaiser kam und sich vor Freude nicht fassen konnte, löste sich die Erstarrung, die mich befallen hatte. Ich begriff, daß ich viele Gründe hatte, zufrieden zu sein. Es genügte ja, zu überlegen, was wohl eingetreten wäre, wenn die drei Rebellen gesiegt hätten ... Unergründliches Leben: Wer füllt uns mit Dunkel, wo wir eben aus dem Fiebergrau der Ungewißheit in das Licht des beginnenden Tages getreten sind? Aber war es wirklich der Tag, der begonnen hatte? O Schatten: Tsimiskes: Welche Wunde hat dein Tod in mir gelassen, dein unbegreiflich weher Tod ... Welche Heimat hast du meinem Herzen fortgenommen ... Wie bitter ist es, nur eines Freundes Erbe zu verwalten ...

 

Erst um Ostern 978 fand die bayrische Tragödie ihr Ende. Ich verbot mir, zukünftig an die Geschehnisse zu denken, die sich in der Karwoche abspielten. Gedemütigte zu sehen hat mich immer vor mir selbst gedemütigt. Die beiden Herzöge, Heinrich von Bayern und Heinrich von Kärnten, wurden enteignet, der Bischof von Augsburg wurde seines Amtes entkleidet und bei dem Abt von Werden in Haft gehalten. Den Zänker nahm der Bischof Folkmar von Utrecht in Gewahrsam, den Kärntner ein kaiserlicher Burgvogt. Das Herzogtum Kärnten wurde dem Vetter Ottos von Schwaben anvertraut, dem Sohne seiner Tante Liutgard und des Herzogs Konrad des Roten. Nun war gelungen, was niemand zu hoffen gewagt hatte: Dank den unerrechenbaren Umständen waren sämtliche süddeutschen Herzogtümer in der Hand der Primogenitur. Für wie lange? fragte ich mich, als der Kaiser allzu deutlich diesen Sieg der Dynastie unterstrich ... Ich hatte in Deutschland gelernt, daß Wechsel das Gesetz des Daseins ist ...

 

Aber mein Denken zielte damals schon auf sehr andere Dinge. Niketas Kurkuas hatte mich in einem Schreiben, das kurz vor Ostern eintraf, auf die gefährliche Entwicklung der Lage in Süditalien hingewiesen. Die Sarazenen waren in Bewegung geraten. Sie hatten sich die Wirren in Byzanz zunutze gemacht und in Apulien die Offensive ergriffen. Es war also ein triftiger Grund vorhanden, mit der neuen byzantinischen Regierung die Weiterführung der Politik des Kaisers Tsimiskes zu betreiben. Niketas hatte sich der Partei der makedonischen Legitimisten angeschlossen: Tsimiskes selber, sagte er, habe ja die rechtmäßigen Ansprüche der jungen Kaiser Basileios und Konstantin niemals geleugnet. Ohne legitime Dynastie könnten Ordnung und geregeltes Leben nicht wiederhergestellt werden. Ich möge Hugo von der Wetterau zu ihm senden. Der Augenblick sei günstig. Auch gewinne man den Eindruck, daß sich Basileios II. zu einem Herrscher von hoher Begabung entwickle, der sich weder von seiner zurückgekehrten Mutter noch von dem allmächtigen Parakimuménos beeinflussen lasse. Mit diesem jungen Basileus müsse sehr bald gesprochen werden ...

Ich sah ein, daß Niketas recht hatte. Was galten meine Wünsche vor den Notwendigkeiten? Ich hatte mich auf einen ruhigen Sommer und viele Gespräche mit Hugo von der Wetterau gefreut. Und nun sollte er abermals auf Monate dem Hofe fern sein? Der Kaiser sträubte sich zunächst gegen die Reise Hugos, der ihm unentbehrlich geworden war. So mußte ich es sein, die ihn schließlich bestimmte, das zu tun, was mir am meisten Schmerz bereitete: Er erteilte Hugo den Auftrag, noch einmal nach Byzanz zu gehen. Ich gab ihm Geschenke für die beiden jugendlichen Kaiser mit. Sie hatten als Kinder oft mit mir gespielt. Basileios hatte damals nur von »Eroberungen« gesprochen. Er wollte das Land der Petschenegen für Byzanz gewinnen, damit es keine Hungersnöte mehr gäbe ...

 

Kurz nach Ostern kam es zu einem neuen Zwischenfall mit der Kaiserin Adelheid. Der Abt Johannes von Pavia, die Bischöfe Benedikt von Acqui und Ulrich von Cremona, welche aus Italien an die Hofhaltung nach Magdeburg gekommen waren, baten mich um Vermittlung in ihren Angelegenheiten. Sie übergingen also ihre nächste Herrin, trotzdem es sich um rein italische Fragen handelte. Obwohl ich durchaus unschuldig an dieser politischen Taktlosigkeit war, überschüttete mich Adelheid mit Vorwürfen: Ob es mir denn nicht genüge, gegen Frankreich zu hetzen? Was mich Italien angehe, wo sie die Regentschaft führe? Ich erwiderte ihr ohne jede Schärfe, sie möge sich die Antwort bei ihren Italienern holen. Es hätte nicht viel gefehlt, und der Kaiser hätte ihr die langobardische Statthalterschaft entzogen. Er war damals besonders schlecht auf seine Mutter zu sprechen, weil sie ihm die harte Bestrafung – ich hielt sie für sträflich mild – der bayrischen Rebellen zum Vorwurf machte und die Ernennung des Prinzen Karl zum Herzog von Niederlothringen öffentlich als einen »Skandal« bezeichnete. Nun bat ich ihn, sich zu mäßigen und auf den Vorteil des Reiches bedacht zu sein. Adelheid habe, was die Bittsteller betreffe, recht. Daß sie sich im Ton vergreife, sei man gewohnt. Er sah mich böse an: Ob auch ich noch dieser Frau Wasser auf die Mühle geben wolle? ... Nein, aber ihm. Denn es dünke mich, daß die seine nicht ganz so laufe, wie es nötig sei. Die Zeiten schienen mir nicht dazu angetan, sich um Lappalien böses Blut zu machen. Er möge daran denken, was in Süditalien vorgehe und sehr wahrscheinlich in Frankreich vorgehen werde, wenn der todkranke Herzog Friedrich von Oberlothringen morgen die Augen schließe. Er wurde feuerrot und bat mich um Verzeihung für seine Ungereimtheiten. Er ahnte, welche Sorge mir die Unausgeglichenheit seines Wesens machte. Sie verriet mir von Tag zu Tag deutlicher, wie sehr er der Sohn seiner Mutter war ...

Im Mai reisten wir in den Westen des Reiches. Im Juni starb Herzog Friedrich. Auch trafen Nachrichten ein, daß Truppenbewegungen des Königs Lothar an der Grenze der Grafschaft Hennegau beobachtet worden seien. Ich warnte davor, ohne genügende militärische Deckung einen Aufenthalt in Aachen zu nehmen. Ich erwartete in drei Monaten mein zweites Kind und verspürte wenig Lust, mich unnötigen Gefahren auszusetzen. Was mir geschwant hatte, traf ein. Die Überrumpelung war Lothar so gut gelungen, daß wir uns vom Mittagstisch fort gegen Köln flüchten mußten. Die Schadenfreude der Franzosen mag groß gewesen sein. Aber das gewünschte Ziel wurde nicht erreicht. Es war klar, was man angestrebt hatte: sich zunächst des deutschen Kaiserpaares zu bemächtigen und danach seine Forderungen zu stellen: Befreiung der Rebellen, Absetzung Karls und Herausgabe der beiden lothringischen Herzogtümer – also Sieg auf der ganzen Linie ohne Schwertstreich.

Der Kaiser kehrte sofort nach Sachsen zurück, um den Revanchekrieg gegen Frankreich vorzubereiten. Es war unmöglich, mit ihm Aussichten und Ziele dieses Krieges in Ruhe zu erwägen. Er war so empört über Lothars Hinterhältigkeit, welche sein ritterliches Gefühl verletzte, daß er immer nur schrie: »Zuerst der Krieg und dann die Aussichten! Ich will diesem Gauner zeigen, was unsere Brandfackeln wert sind!« Je eindringlicher wir ihn baten, uns doch das machtpolitische Ziel zu nennen, für das dieser kostspielige Krieg geführt werden sollte, um so hartnäckiger wurde er: »Dieser Krieg wird geführt für die kaiserliche Ehre. Das genügt!« Nun brauste ich auf: »Das versteht sich von selbst! Aber das genügt nicht! Dieser Krieg, an den ungeheuren Rüstungen gemessen, die für ihn vorgesehen sind, hat nur dann einen Sinn, wenn sein Ziel die Zerstörung der karolingischen Dynastie in Frankreich ist. Es ist durch Lothars Streich gegen Aachen erwiesen, daß wir in Deutschland keine Ruhe bekommen werden, ehe nicht mit Frankreich aufgeräumt ist. Der Augenblick ist günstig. Byzanz ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß es sich jetzt in westliche Angelegenheiten einmischen könnte. In Bayern und Böhmen herrscht Ruhe. Die Brandstifter sind hinter Schloß und Riegel. Judith und ihr Freund Abraham von Freising würden keine Hundertschaft auf die Beine bringen, wenn sie einen Aufruhr planten. An einem deutschen Siege kann nicht gezweifelt werden, sofern die strategische Vorbereitung des Feldzugs mit der nötigen Sorgfältigkeit und Umsicht betrieben wird. Sie ist natürlich die Conditio sine qua non! Hätte ich zu bestimmen, so würde das Losungswort lauten: ›Schluß mit Lothar!‹ Das begreift der simpelste Soldat. Und dafür legt er sich ins Zeug!«

Adelheid rannte vor meinen Stuhl. Die Witwenschleier wallten ihr wie Fahnen nach: »Sie haben den Verstand verloren, Basilissa! Wollen Sie denn vielleicht den gesamten Westen wieder in Flammen aufgehen sehen? Glauben Sie, daß Sie durchsetzen werden, was sogar der große Kaiser nicht gewagt hat?« – »Die Zeiten und die Machtverhältnisse sind verändert, Majestät. Es weiß heute jedes Kind, daß es auf die tüchtigen Menschen, aber nicht auf die Gevatterschaften ankommt. Es fehlt uns nicht an ausgezeichneten Offizieren. Der beste General aber ist, was man in meinem Lande den ›KAIΡÓΣ‹ nennt: die heilige Minute. Ich spüre sie und würde mich ihr anvertrauen. Die französischen Herzöge werden sich für Lothar nicht die Beine ausreißen, und vor allem nicht Hugo Kapet! Sie werden allerdings einen Teil der Beute haben wollen. Darüber ließe sich ja reden.« – »Aber so sagen Sie doch wenigstens, was Sie mit der Vernichtung Lothars bezwecken!« – »Wenn Sie das noch fragen, Majestät, so lohnt es sich nicht mehr zu reden. Ich gebe zu, daß ich als nicht durch Blut Gebundene spreche, als Unbeteiligte. Aber gerade deshalb glaube ich ja, daß ich recht habe.« – »Eure Majestät sehen recht«, sagte Willigis. »Aber ich halte dafür, daß dieses Gesicht noch nicht Wirklichkeit werden kann. Die französischen Herzöge bleiben ruhig unter einem schwachen französischen König. Unter einem – sagen wir ganz allgemein: anderen Herrscher – würden sie, wenigstens heute noch, zu Rebellen. Deren aber hat das Reich genug gehabt. Die Frage Frankreich muß von innen für uns reifen. Der kommende Krieg muß unsere Macht beweisen und uns fürchten lehren. Damit hat er seinen Zweck erfüllt. Er ist ein Schritt auf dem Wege.« Ich war keineswegs der Ansicht des Kanzlers. Aber ich antwortete nicht mehr. Es wäre unklug gewesen, sich in eine noch so richtige politische Erkenntnis zu verbeißen, solange die Schlagkraft des Heeres nicht erwiesen war.

Schon kurz nach dieser Debatte setzte die Kaiserin Himmel und Hölle in Bewegung, um Otto von seinem Kriegsplane abzubringen, während der Bischof Dietrich von Metz – unter den unverantwortlichsten Versprechungen – den Herzog Karl von Niederlothringen gegen seinen Bruder Lothar aufhetzte. Ich machte den Kaiser auf die Gefahr dieser Gegenströmungen aufmerksam, wies ihn auf die bekannte Käuflichkeit des Metzers hin und flehte ihn an, auch den leisesten Versuch zu einer Proklamation Karls als des zukünftigen Königs von Frankreich mit rücksichtsloser Strenge zu unterbinden ... Gelinge es, Lothar zu beseitigen, so habe ein dem Reiche genehmer Kandidat »provisorisch« den französischen Thron zu besteigen, jedoch nicht abermals ein karolingischer Prinz, unter dessen Regierung das alte Spiel von neuem beginnen werde. Aber Otto blieb taub. Er ließ den Fuchs von Metz seine geheimen Machenschaften weiterbetreiben, und widmete sich, auch die Bemühungen seiner Mutter beiseite schiebend, nur der Zusammenstellung und Ausbildung der Armee.

Die Kaiserin Adelheid kam zu mir: Da der Kaiser weder meinen noch ihren Bemühungen folgen wolle – so entgegengesetzt diese auch seien, denn ich sage: Alles, und sie sage: Nichts –: ob wir nicht gemeinsam gegen eine Sache angehen wollten, die sich heute schon als Halbheit, und zwar als sehr gefährliche, kennzeichne? Ich erwiderte ihr, daß ich nicht den Nenner sähe, auf den wir unsere gemeinsame Aktion schreiben könnten. Sie meinte, der sei doch sehr einfach zu sehen. Lieber gar nichts als das Unzulängliche. Ich sah sie lange an. Sie wurde verlegen. »Es ist nicht meine Schuld, Majestät«, sagte ich schließlich, »wenn der Kaiser allzu häufig auf halbem Wege stehenbleibt. Denken Sie nur daran, wie schlecht die böhmisch-bayrischen Feldzüge vorbereitet waren ... und wie man ihn seinerzeit in der Augsburger Bischofswahl für Zugeständnisse breitgeschlagen hat, die ihm beinahe zum Verhängnis geworden wären. Man hat ihm zuviel Halbheiten anerzogen. Er hat ja immer nur in Oheimen und Tanten, Vettern und Basen denken gelernt! Seitdem sein erster Zorn gegen den ›König‹ Lothar verraucht ist, wird dieser Krieg wahrscheinlich zu einem Bravourstück gegen den ›Vetter‹ Lothar werden. Die Mahnung des Überfalles auf Aachen wird rasch vergessen sein über einem geräuschvollen Turnier ... Ich muß Ihnen sagen, daß ich da nicht mehr mitspiele. Ich werde mich in den nächsten Tagen nach Frose zurückziehen, genau wie im letzten Jahr. Damals mußte ich das Kind, das ich in mir trug, mit der Sorge um den Ausgang des bayrischen Krieges nähren. Diesmal ist es die Angst um die französische Affäre. Denn anders kann ich diese Sache schon nicht mehr nennen.« Adelheid weinte: »Ich gehe noch zugrunde an dieser deutsch-französischen Frage!« – »Wenn Sie so sehr an ihr leiden, sollten Sie gerade meinen Standpunkt verstehen! Und selbst wenn Ihnen Ihre französische Tochter Emma mehr am Herzen läge als Ihr Sohn, der Kaiser, sollten Sie doch nicht zögern, die größere Sache der geringeren vorzuziehen. Der Königin Emma würde kein Haar gekrümmt, und Lothar könnte als reichentschädigter Grandseigneur auf einer seiner Burgen ein herrliches Leben führen. Ich sage Ihnen, daß es keine Ruhe in Europa gibt, ehe Frankreich nicht, wie zu Zeiten des Großen Karl, im Gefüge des Reiches lebt. Und ich begreife nicht, daß dieser sehr plausible Gedanke immer wieder an dem Fluch der Sippen- und Familienpolitik scheitern muß ... Sehen Sie bei Ihrem Sohne [Zeile fehlt im Druck] erreichen, und seien Sie sicher, daß ich Ihre Bemühungen nicht durchkreuzen werde. Ich begreife Ihren Kummer. Begreifen Sie meinen Schmerz.« – »Ich werde zu meinem Bruder nach Burgund gehen«, sagte Adelheid im Aufstehen. »Ich kann nicht mehr mit ansehen, wie hier Politik gemacht wird. Ich stamme aus einer anderen Zeit.« – »Ich werde vielleicht das gleiche sagen müssen, Majestät, wenn ich erlebt habe, was Sie erlebt haben.« – »Dessen seien Sie sicher, Theophano. Unsere Augen werden nicht fröhlicher im Anblick des ›Neuen‹. Es ist schon ein großes Glück, wenn sie nicht daran erblinden.«

 

Im September wurde in Frose meine zweite Tochter, Sofia, geboren. Dieses Kind, nach meiner Mutter benannt, war sehr lebhaft und entschiedenen Blickes. Es schien aus herrischerem Blut geformt als die ältere Schwester.

Genau wie im letzten Jahre, traf Hugo von der Wetterau im Hoflager ein, als ich eben wieder aufgestanden war. Er hatte seinen Aufenthalt in Byzanz auf einen knappen Monat beschränkt, da ihm die Möglichkeit gegeben worden war, die Heimreise auf Umwegen über die süditalischen Themen und Rom zu unternehmen ... Unvergeßliche Gespräche, welche nun die milden Nachmittage vor den Salvienbeeten füllten. Gespräche voll Klarheit und Anmut, das Schwerste ohne Gewicht sagend, und dem Leichten seine Bedeutung lassend. Wieder mußte ich denken, während ich in Hugos umhüllende Stimme horchte: Welche Vollendung erreicht deutsches Wesen in deutschen Menschen, denen es vergönnt war, sich an der Welt zu weiten ... Sie erfüllen alle Möglichkeiten ihres Volkes ...

In der Frage der deutsch-byzantinischen Beziehungen brachte Hugo günstige Nachrichten. Der Parakimuménos und der Kaiser Basileios II. hatten ihm die Versicherung gegeben, daß an die von Tsimiskes aufgestellten Richtlinien so lange nicht gerührt werde, als sich der deutsche Kaiser nicht in die süditalische Politik Ostroms einmische. Mehr an Zusicherung konnte nicht verlangt werden. Niketas Kurkuas ließ mich in einem durch Hugo überbrachten Briefe bitten, bei der deutschen Regierung darauf hinzuarbeiten, daß nicht etwa der falsche Glaube entstehe, die oströmische Außenpolitik in Süditalien könne durch die Schwankungen der anatolischen Feudalkriege beeinflußt werden. Die makedonische Dynastie ruhe fester, als man im Ausland glaube, und die Feudalkriege hätten weniger Bedeutung, als man ihnen zuschreibe. Weder die Skleros noch die Phokas würden triumphieren. Dieser Meinung sei auch meine Mutter, welche bekümmert, aber ungestört auf Schloß Amastris residiere und nicht den geringsten Wunsch verspüre, noch einmal Mitglied eines regierenden Kaiserhauses zu werden. Die Erhebung der Skleros richte sich weit mehr gegen den verhaßten Parakimuménos als gegen die jungen Kaiser, denen unbedingt die Liebe des Volkes gehöre ... Diese Mitteilungen wurden mir Wort für Wort durch Hugo bestätigt.

Große Sorgen verursachten mir seine Schilderungen aus den Themen. »Es ist eine Schande«, sagte er, »welche Luderwirtschaft dort Byzanz hat einreißen lassen! Die Verwahrlosung in den größeren und kleineren Städten läßt die Araber manchmal geradezu als Retter vor schamloser Ausbeutung und Unterdrückung erscheinen! Würden sie es auf eine dauernde Eroberung der Themen absehen: ich bin überzeugt, daß man sich ohne Widerspruch ihrer Herrschaft fügte. Man weiß ja, welches Wunder sie aus ihrer sizilischen Hauptstadt Palermo gemacht haben – und man weiß auch, daß Byzanz nichts, weniger als nichts, für die Städte der Themen tut. Aber die Araber wollen sich anscheinend auf dem apulisch-kalabrischen Gebiet nicht festsetzen. Es genügt ihnen, Beutezüge zu veranstalten und Byzanz in Atem zu halten. Sehr wahrscheinlich auch wollen sie den deutschen Kaiser nicht reizen, um ein unmittelbares Bündnis Deutschland-Ostrom zu vermeiden. Es wäre ihnen ein leichtes gewesen, die Grenzen der süditalisch-deutschen Fürstentümer zu überschreiten. Aber sie haben dies niemals getan. Sie scheinen die gleiche Politik zu betreiben wie die byzantinische Regierung: Solange Deutschland nicht angreift, bleiben sie friedlich. Dies entspräche ja auch den Abmachungen, welche die fatimidischen Gesandten auf dem Reichstag von Quedlinburg im März 973 mit uns getroffen haben. Möge also ein guter Geist verhüten, daß eines Tages ein paar deutsche Hitzköpfe unter dem Vorwande, die ›Ungläubigen‹ zu bekämpfen, die byzantinischen Themen erobern wollen! Sie würden den Kalifen und den Basileus gegen uns auf die Beine bringen und dies wofür? Für ein ausgesogenes, verarmtes Land, das uns Geld kostet, ohne uns einen Heller einzubringen. Nur wenn deutsches Hoheitsgebiet angegriffen würde, ließe sich ein Krieg rechtfertigen.«

Die Sonne war hinter eine Buchengruppe getreten. Ich nahm Hugos Arm und bog gegen den höheren Teil des Parkes. Wir begannen von dem bevorstehenden Krieg in Frankreich zu sprechen. Aber ich merkte, daß Hugo dieses Thema vermeiden wollte. Ich verstand. Er war der Adjutant Ottos. Es widerstrebte ihm, selbst mir gegenüber ein Urteil über ein Unternehmen zu fällen, das er – sehr wahrscheinlich – gerne in härteren Händen gewußt hätte ... »Wo werden wir im nächsten Jahre um die gleiche Zeit sein?« sagte ich plötzlich. »Werde ich bis dahin meinen Sohn haben?«

 

Nein, ich war nicht Mutter des ersehnten Sohnes im September des Jahres 979. Ich war auch nicht Mutter einer dritten Tochter und nicht guter Hoffnung. Böse Mäuler redeten von einer Entfremdung zwischen dem Kaiser und mir. Dies war falsch. Das Wort »Ermüdung« wäre richtig gewesen. Der Kaiser hatte es mir verargt, daß ich an seinem Revanchekrieg gegen Lothar nur mit halbem Herzen, aber mit sehr wachem Geiste Anteil nahm. Ich hatte ihm erwidert, er möge von mir verlangen, was er wolle, niemals aber, daß ich einen Fehlschlag einen Erfolg nenne ... Denn dieser ganze Feldzug, der am 1. Oktober 978 begonnen hatte, war ein Fehlschlag gewesen. In seiner ersten Hälfte ein Verwüstungskrieg, in seiner zweiten ein erzwungener Rückzug. Attigny, die alte Pfalz des Großen Karl, und Compiègne wurden zerstört, Soissons und Laon besetzt, Paris etwa Ende Oktober erreicht, um belagert zu werden. Lothar war in einer schlimmen Lage. Seine Armee hatte nur wenig getaugt. Was also hätte man politisch erreichen können, wenn man diesen Krieg politisch vorbereitet hätte! ... Lothar floh zu Hugo Kapet nach Etampes. Hugo aber schuf sich den Ruhm, Frankreichs Retter geworden zu sein. Er dachte gar nicht daran, »seinem« König mit Truppen zu Hilfe zu kommen – welche Bestätigung meiner Voraussicht! –: er trieb Hauspolitik als kalter Rechner des Unabwendbaren. Er wußte, daß der Augenblick kommen müsse, wo die Deutschen nichts mehr zu essen haben würden. Woher sollten sie – bei einbrechendem Winter – etwas nehmen, da sie ja nicht genügend Lebensmittel mit sich führten? Die Gemüsefelder hatten sie selbst vernichtet, das Vieh schon aufgezehrt, das Obst am Boden verfaulen lassen. Paris erwies sich als uneinnehmbar, solange das kaiserliche Heer das linke Seineufer nicht zu besetzen vermochte. Dies eben gelang ihm nicht. Hugo konnte seiner Hauptstadt alle Zufuhren sichern, deren sie bedurfte, und abwarten ... Ende November, als eine große Kälte einsetzte, mußten die Deutschen die Belagerung aufgeben und den Rückzug antreten ... Natürlich waren mit der Nässe Krankheiten im Heere ausgebrochen ... An der Aisne, deren Flußlauf infolge gewaltiger Wolkenbrüche das Land auf weite Strecken hin überschwemmt hatte, hätte der deutschen Armee die Vernichtung gedroht, wenn die Umsicht des Grafen Gottfried von Oberlothringen nicht im letzten Augenblick den Übergang ermöglicht hätte. Diese zweite Hälfte des Feldzugs war also, da es weder gelang, Paris zu erobern, noch eine einzige der besetzten Städte zu halten, eine politische Niederlage. Ich konnte vor meinem Gewissen das Ergebnis nicht anders nennen, und ich konnte dem Kaiser nicht verbergen, daß ich es so nannte. Er sah mich aus entsetzten Augen an: »Und die Tapferkeit der Truppen?« – »Wird von niemanden angezweifelt. Wir sprechen hier von dem politischen Erfolg. Er ist nicht vorhanden. Das Prestige des Karolingers ist gesunken, dasjenige des Kapetingers ist gestiegen. Das gibt die ganz entfernte Hoffnung, daß eines Tages Frankreich durch innere Rivalitäten zu Fall kommen werde: wie ja auch Willigis meinte. Wann dies ›eines Tages‹ sein wird, und ob jemals, das steht bei Gott. Für die deutsche Politik ist die einzige wirkliche ›Gelegenheit‹, die es gab, verspielt. Dieser Krieg war – wie Ihre besten Feldherrn bestätigen – weder vorbereitet noch geführt. Ich sage Ihnen, wie schon einmal: Et in malo bonum. Auch aus diesem Waffengang wird eine Lehre zu ziehen sein.«

 

Dieses kurze Gespräch war in Frankfurt geführt worden, wo wir Weihnachten 978 feierten. Frankfurt! Ort meiner ersten deutschen Weihnacht – vor sechs Jahren. Sechs Jahre nur? Ich konnte es, rückblickend, nicht begreifen. Welche Strecken hatte mein Leben durchmessen – in welche Notwendigkeit war es gerückt worden ... Auch diesmal war der Winter blau und klar. Aber ich verspürte keine Lust, in das verschneite Land hinauszufahren. Ich war ermüdet wie ein Mensch, dessen Kräfte sich zu neuem Aufbruch sammeln. Ich wollte, daß das neue Jahr mir ein Jahr der Ruhe und der Besinnung sei. Es gab so viel zu überdenken und so viel in mir zu ordnen. So entschied ich, daß ich an keiner der kaiserlichen Reisen teilnehmen, sondern in der Pfalz von Ingelheim bleiben werde. Ich zog mich zurück an den Fluß, wie sich die Kaiserin Adelheid an den Hof ihres Bruders nach Burgund zurückgezogen hatte. Auch Otto von Schwaben war der Ansicht, daß es dem Kaiser guttun werde, ganz auf sich selbst gestellt zu sein ... Glaukós stand jetzt im fünfundzwanzigsten Jahr, und er war schöner als je. Ich pflegte damals ganze Tage im Bett zu verbringen. Nicht, daß ich krank gewesen wäre: aber ich wollte mir selbst gehören, mich in der gleichmäßigen Wärme der Decken dehnen wie im Bad, unbehelligt bleiben, lesen und nachdenken. Glaukós hatte darum gebeten, manchmal eine Stunde bei mir sitzen zu dürfen. Er suchte meine Nähe. Ich wüßte nicht, wem ich lieber Schwester gewesen wäre als ihm ... Eines Abends – der Schnee verdämmerte schon in Bläue, und eine ungewisse Helle wob durch die noch offnen Fensterbögen – fragte er unvermittelt: »Was sollen wir tun, Theophano, wenn die Bilder in uns sterben?« – »Den Bildern dankbar bleiben. Für die Dauer ihres Verweilens in unserem Leben. Sonst nichts.« – »Und wenn wir die Leere in uns nicht ertragen?« – »Diese Frage gibt es nicht, und am wenigsten aus dem Munde eines Mannes. Ich glaube, daß jegliches überwunden werden kann ... Vielleicht auch hilft uns Gott, wo wir es niemals erwarteten. Er sendet uns ein neues Bild.« – »Ich warte darauf, daß er es tue ... Denn ich bin sehr allein. Es scheint, daß mein Vater, obwohl er nur Bewegung war, an den gleichen Einsamkeiten litt.« – »Was ist aus dem englischen Heiratsplan geworden?« – »Nichts. Ich kann mich nicht entschließen. Ich hänge nicht am ›Besitz‹. Wollen Sie mir sagen, was für ein Mensch ich bin? Vielleicht hätte ich in den geistlichen Stand eintreten sollen. Aber ich liebe ja die schönen Dinge des Lebens – und ich hasse die Pfaffen.« – »Ich weiß nicht, wer Sie sind, Glaukós. Ich weiß nur, daß Sie sind: Verstehen Sie, was ich meine?« – »Ja, ich verstehe es. Auch ich weiß, daß ich leidenschaftlich bin. Doch eben dieses Sein ist es, was mich von allen unterscheidet, die ich kenne. Es macht mich fremd ... Und dennoch spüre ich den Zauber dieser Fremdheit und möchte ihn nicht missen.« – »Haben Sie niemals mit Hugo von der Wetterau über diese Dinge gesprochen? Ich glaube, daß er Sie verstehen würde.« – »Vielleicht. Aber es würde ihn langweilen, mich anzuhören. Er ist zu klug und zu kühl, um sich auf einen Menschen einzulassen. Der Kaiser sagte mir, er sei erschreckend unbeteiligt.« – »Es fragt sich, was man unter Beteiligung versteht. Wenn der Kaiser darunter versteht, daß man eine jede seiner Launen gutheiße, so darf er sich natürlich nicht wundern, wenn Hugo ihm nicht folgt. Ich wünsche, daß sich Otto einige Monate lang mit sich selbst herumquält. Die deutsche Außenpolitik muß auf eine höhere Stufe gehoben und in eine kältere Luft versetzt werden, auch wenn dies einigen ungeduldigen ›Rittern‹ alten Stiles nicht paßt. Ich höre von den seltsamsten italischen Phantasien munkeln ... Eroberung der Themen, Ausnutzung der ›verzweifelten‹ Lage in Byzanz ... Ich weiß nicht, im Hirne welcher Narren solche Pläne entspringen. Sie haben da eine Aufgabe zu erfüllen, Glaukós! Ehe eine neue Dummheit gemacht wird, muß zunächst der ›Sieg in Frankreich‹, wie man erstaunlich gewandt in usum populi den Mißerfolg nennt, verdaut werden. Ich zähle auf Ihre Hilfe, Glaukós. Deutschland hat nichts zu suchen da unten. Die sogenannten ›Abrunder‹ soll der Teufel holen! Nicht auf Abrundung im Süden, sondern auf das zum Leben der Nation Notwendige kommt es an: also auf den Osten. Dort ist etwas zu holen: Raum und fruchtbares Ackerland. Ich, die Fremde, erkenne, was der ewige Schwärmer, welcher Deutscher heißt, nicht erkennt!« – »Die Bilder, Theophano, die Bilder! Der Fluch der Deutschen!« – »Keineswegs, Glaukós! Sie begehen einen großen Irrtum! Die Träume, müssen Sie sagen, die gedankenlosen Sehnsuchten! Die Bilder ruhn in uns und wirken lautlos! Die Träume aber schweifen – und verlegen den Weg!« Glaukós, der am Fenster gestanden hatte, kam dicht an mein Bett und nahm die Hände, die ich ihm hinhielt, an seinen Mund ... Wie dieser starke, klare Mund zu streicheln verstand ... »Immer verlasse ich Sie als ein Beschenkter, Theophano ... Was habe ich Ihnen zu schenken?« – »Das Bildnis, Glaukós, das bald wieder in Sie treten soll, ich meine: die Auferstehung, die es Ihnen geben wird.«

 

In diesen Tagen um die Jahreswende verließ mich Anastasia Dalassena, um sich mit dem Grafen Jozelin de Chèvremont zu verheiraten, den sie auf der Diedenhofener Tagung kennengelernt hatte. Das Abschiedsfest, das ich ihr gab, war ein Abschiedsfest für mich selbst. Da Niketas gegangen war, da nun Anastasia ging, Leo Akritas immer unterwegs sein mußte und ich in sechs Jahren die deutsche Sprache beherrschen gelernt hatte, entschloß ich mich, meinen byzantinischen Hofstaat aufzugeben, um den kaiserlichen erweitern zu können. Die Verwaltung meiner vielen Güter und Herrschaften verlangte einige neue Beamte, und die »Heimat« wurde mir nicht mehr durch byzantinische Lebensart verkörpert. Anastasia hatte mir versprochen, zu mir zu kommen, sooft ich ihrer bedürfe. Meine armenische Zofe behielt ich, weil sie um alle Geheimnisse der orientalischen Kosmetik Bescheid wußte und sich auf die Pflege des Körpers verstand wie keine zweite. An Stelle von Anastasia trat Imiza von Rodersdorf und Leymen, die Witwe eines burgundischen Grafen, der am Hofe König Konrads Dienst getan hatte. Sie hatte in der ersten Zeit meiner Ehe des öfteren zwischen Adelheid und mir als Vermittlerin gedient, mich in diese oder jene Sitte des deutschen Hofes eingeführt und meine Zuneigung durch ihre Umsicht und Zurückhaltung gewonnen. Natürlich konnte sie mir Anastasia, die vertrauteste Freundin seit den Jahren der Kindheit, nicht ersetzen. Aber es war ja gut, aus allzu häufiger Rückerinnerung enthoben zu werden. Mein Leben drängte vorwärts in Aufgaben, deren Größe ich vorausfühlte, deren Bewältigung aber erst dann ihre wahre Bedeutung erhielt, wenn sie für einen Sohn, einen Erben, einen Thronfolger geschehen konnte. Mein ganzes Wesen war nur noch ein einziger Wunsch nach diesem Sohn. Alles, was ich gelebt und gelitten hatte, schien mir die Vorbereitung für diese Erfüllung zu sein, und es wurde mir beinahe zur Gewißheit, daß sich in diesem stillen Jahre meine Kräfte, die der Seele und des Leibes, sammelten, um die einzige Geburt zu vollbringen, die ich vor mir selbst eine Geburt nennen konnte.

Zu den bedeutsamsten Dingen dieses Jahres gehörten die Gespräche mit dem Erzkanzler Willigis. Dieser Mann war mir zum Freund geworden. So sehr zum Freund, daß ich ihm sogar die Sorgen anvertrauen konnte, die mir der Kaiser verursachte. Mein Gefühl für Otto hatte sich nicht vermindert, aber ich lebte in der beständigen Angst, ich müsse vielleicht eines Tages eine solche Verminderung feststellen. Die Unausgeglichenheit seines Wesens wuchs mit dem Wachsen der Jahre. Zwanzig politische Pläne wirbelten in seinem Geiste durcheinander – nicht ein einziger wurde folgerichtig zu Ende gedacht, geschweige denn so in Angriff genommen, daß man an eine erfolgreiche Durchführung hätte denken können. Bald war von der Wiederaufnahme einer »schöpferischen« Ostpolitik die Rede, bald von der Notwendigkeit, in Italien ein strafferes Regiment zu führen, bald von »umfassenden« Missionsplänen in Ungarn, bald von einer stärkeren »Beeinflussung« Böhmens und Polens. Ja sogar innere »Zersetzungsversuche« in Frankreich, mit dem wir noch im Kriegszustande waren, wurden in Erwägung gezogen. Alle diese Dinge gelangten nur durch Willigis an mein Ohr. Die Ruhe, mit welcher er diesem kaiserlichen Zickzack begegnete, bewies mir, daß das Reich bei ihm in guten Händen war. Das einzige, was er fürchtete, war, daß sich um den Kaiser ein Klüngel junger Heißsporne bilden könnte, welche blindes Draufgängertum mit machtvollem Handeln verwechselten. Im Herzogtum Sachsen und in der Markgrafschaft Meißen gab es eine adlige Jugend, welche in mißverständlicher Erinnerung an die Kriege Ottos I. zum Handeln um des Handelns willen drängte, während Otto von Schwaben und Bayern sowie der gesamte süddeutsche Adel jeder Abenteurerpolitik abgeneigt waren. In diesen Menschen wirkte ein hoher Sinn für das Nützliche. Auch waren sie der Ansicht, es gäbe so wichtige Aufgaben erzieherischer und wirtschaftlicher Art zu lösen, daß man dem Reiche vorläufig gar nichts anderes wünschen solle als den langen Frieden, den es zu ihrer Bewältigung brauche. Der Kaiser dachte im Grunde genau wie sie, aber er war in solchem Maße allen Einflüssen ausgesetzt, daß man niemals wissen konnte, zu welchen Torheiten er sich hinreißen ließ. Es ärgerte ihn, daß man ihm manchmal zu verstehen gab, er sei ja ein halber Italiener, da er die sechs entscheidenden Jahre seiner Jugend – von zwölf bis achtzehn – zwischen Ravenna und Bari zugebracht habe. Anstatt den Schwätzern den Mund zu stopfen und sie aus seiner Nähe zu verbannen, glaubte er ihnen beweisen zu müssen, daß sie sich irrten. Dies war sehr unkaiserlich. Denn ein Kaiser handelt, aber er beweist nichts. Es fehlte ihm da jene Souveränität seines großen Vaters, welche eine Welt in Schach gehalten hatte. Und es offenbarte sich da eine Unsicherheit, welche die Grenze zwischen Kaisertum und Rittertum nicht mit unfehlbarer Witterung abzustecken wußte. Der deutsch-römische Kaiser war unter gar keinen Umständen mehr ein »primus inter pares«. Er war der Herrscher, dem man sich entweder – wenn man die Folgen tragen wollte – widersetzte oder bedingungslos fügte. Eben deswegen auch war die milde Bestrafung der bayrischen Rebellen ein unverzeihlicher Fehler. Wenn man sie nicht hinrichten wollte, so mußte man sie in ein Verlies werfen: nicht aber in »ritterliche Haft« geben. War man jedoch gar der Ansicht, daß man »ihren Standpunkt« begreifen könne: nun, so mußte man ihre Forderungen erfüllen und wieder, wie zu Heinrichs I. Zeiten, Bundespolitik treiben.

Willigis war der Überzeugung, daß der Kaiser, wie er sich ausdrückte, noch »in seine Haut« wachsen werde. Ich könne von ihm nicht verlangen, daß er die gleiche Härte hierarchischen Denkens aufbringe wie ich. Ich sei – schon durch das Blut meiner Ahnen – ganz genährt worden in diesem Geist: Otto aber beginne eben erst, ihn zu lernen. Er besitze nicht jene Kraft der Einsamkeit, aus der ich selber lebe. Man habe ihn niemals stundenlang allein im Gebet oder in der Meditation oder über einem Buche gesehen: obwohl er fromm sei, über die Dinge nachdenke und alle geistigen Werte liebe. Ich wisse doch, von wem ihm diese Unruhe in das Blut gekommen sei ... Sie lasse sich nicht in sieben Jahren Ehe bannen. Ich müsse mich darauf gefaßt machen, daß sie noch gefährliche Handlungen zeitigen werde. Aber ich dürfe niemals locker lassen in meinen Bemühungen, sie zu bannen und in die Bahnen des Gleichgewichtes zu lenken. Vielleicht werde dies in dem Maße schwieriger, wie ich die Erfolglosigkeit meiner Bemühungen sähe.

Ich erwiderte Willigis, daß ich niemals aufhören werde, meine Pflicht zu tun, daß ich aber nicht Herr über die Spannkraft meiner Seele sei. Nicht der »Wille« entscheide, sondern die Grundkraft, aus welcher er entfließe: Sei sie nun »Liebe« oder Pflichtgefühl ... »Habe ich aber morgen einen Sohn«, fuhr ich fort, »in dem ich mich selbst erneuere, so geschieht dem Vater in dem Sohne, was ihm vielleicht ohne den Sohn eines Tages nicht mehr geschehen könnte.«

Wir sprachen am gleichen Tage noch lange über den Fürsten Woytech, der Ende 978 nach Böhmen zurückgekehrt war. Willigis wollte wenig wissen von der Möglichkeit, ihm eines Tages den Bischofssitz von Prag anzuvertrauen. »Dieser junge Mensch«, sagte er, »ist weder ein Fürst noch ein Bischof, noch ein Mönch. Ich weiß nicht, was er ist. Vielleicht ein Heiliger – vielleicht eines Tages ein Märtyrer. Erscheinungen wie die seine ängstigen mich, weil sie nicht zu umreißen sind. Man verstummt vor ihnen. Sie können sehr gefährlich werden, da sie immer faszinieren.« Der sächsische Bauernsohn, dessen Lieblingsspeisen ostfälischer Speck, weiße Bohnen, Schwarzbrot, Wacholder und böhmischer Met waren, hatte den Nagel auf den Kopf getroffen – und mir abermals bestätigt, wie sehr man sich auf sein Urteil verlassen konnte.

 

Der stille Fluß der Ingelheimer Tage wurde Anfang August unterbrochen, als mich der Kaiser zu sich bat: Es galt, unsere Tochter Sofia in das Kloster Gandersheim zu bringen und die Äbtissin Gerberga mit der Sorge um ihre Erziehung zu betreuen. Ich hätte nicht sagen können, daß mir diese Reise – nach der Erledigung der bayrischen Rebellen – sehr viel Freude machte. Die Begegnung mit der ältesten Schwester des Zänkers mußte peinlich werden. Ich war froh, Glaukós am Hoflager des Kaisers zu wissen ... Ich ahnte nicht, in welchen Aufruhr der Gemüter ich reiste: Einen Tag vor meiner Ankunft hatte der Kaiser – auf Grund haltlosester Verleumdungen – den ihm treu ergebenen Grafen Gero von Morzani, nachdem das Gottesurteil schon für ihn entschieden hatte, enthaupten lassen. Mathilde von Quedlinburg, welche gerade aus Burgund zurückgekehrt war, Glaukós und Graf Berthold vom Nordgau, die mit mir eingetroffen waren, und Hugo von der Wetterau, der uns empfing, waren von solchem Entsetzen befallen, daß sie kaum eine Silbe hervorbringen konnten. Ich fand den Kaiser in einer Raserei. Er fuhr mich an, was auch ich noch hier wolle – wer mich gerufen habe – ich solle machen, daß ich in mein Ingelheimer Idyll zurückkomme, wo ich lange gut aufgehoben sei ... Ich sah, daß er krank war. Und ich wußte, was ich zu tun hatte. Ich sah ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken, drei, fünf Minuten lang ... Nicht eine Silbe war gewechselt worden ... Dann sank er an die Schulter des Grafen Berthold, der unbemerkt durch eine Seitentür in das Zimmer eingetreten war, als er gehört hatte, wie der Kaiser mich anschrie ... Noch in der gleichen Nacht brach er in Weinkrämpfen zusammen, die sich erst am nächsten Tage beruhigten. Nun erst konnten wir daran denken, ihn zu pflegen und sich selbst wiederzugeben. Er verlangte, daß ich Tag und Nacht in seiner Nähe bliebe. Ich tat es, solange meine Kräfte durchhielten. Als ich schließlich selbst zusammenbrach, löste mich Mathilde ab. Da begriff er. Er erhob sich und verließ nicht den Schemel neben meinem Bett. Aber er blieb mir fremd, als ob ich ihn nie gesehen hätte, so groß auch mein Mitleid mit seinem Elend war ... Am Ende des Monats, nachdem wir Sofia nach Gandersheim gebracht hatten, kehrte ich nach Ingelheim zurück. Ich hatte verlangt, daß mir Hugo von der Wetterau mitgegeben werde. Als ich mich von dem Kaiser verabschiedete, fragte er mit einem Blick, wie ich ihn noch niemals an einem menschlichen Wesen gesehen hatte: »Werden Sie wiederkommen?« Wäre ich jetzt schwach gewesen, wäre ich dem Brande des Mitgefühls gefolgt, der mich durchflog, hätte ich mich in seine Arme geworfen und wäre als die Liebe über ihn gekommen: so hätte ich die Heilung unterbunden, die sich stumm in ihm vollzog. Ich mußte unerreichbar sein. So sagte ich: »Vielleicht ... Sie haben Glaukós und Mathilde bei sich. Wo ich zu finden bin, wissen Sie. Daß ich nun Frieden brauche, ebenfalls. Mehr kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Auch meinen Kräften sind Grenzen gesetzt.«

Schon unterwegs erreichten mich Eilboten mit rührenden, ergreifenden Briefen. Ich antwortete in einigen Zeilen, bat ihn, mir täglich zu schreiben, auch wenn ich ihm nicht antworte, und den Tag in Ruhe zu erwarten, wo ich ihn zu mir rufen werde ... Es war eine der friedlichsten Reisen meines Lebens, die ich nun mit Hugo von der Wetterau durch Thüringen und Franken, auf häufigen Umwegen, gegen den Rhein machte. Der September brachte Tage von brennender Bläue. Aber die immer streichenden Ostwinde gaben der Luft eine Leichtigkeit, daß man auf den Pferden eher zu schweben als zu reiten schien. Sogar die Gräfin Imiza konnte sich der Heiterkeit dieser Reise nicht entziehen. Sie hielt oft ihre Stute an und schaute, die Augen mit der Hand schattend, auf Waldsäume, die sich verfärbten, auf Wiesenhänge, die zu rinnenden Bächen niederstiegen, auf Höhen, die in den goldnen Wassern des Abends schwammen ... Sie konnte sich nicht trennen von diesen Bildern ... »So«, sagte sie eines Tages, »so sind die Berge und die Täler von Leymen. Die Abenddämmerung über den Hügeln von Pfirt und die Mittagsstunde in den Feldern zwischen Neuweiler und Schönenbuch haben die Kraft, eine Seele zu prägen. Sie nehmen uns gefangen und lassen uns nie mehr los.« Ich sah sie erstaunt an. Ich hätte niemals geglaubt, daß ihr das Leben aus so geheimen Quellen fließe.

Als wir durch die einsamen Weidetriften der Rhön ritten, in einem Schimmern und Glühen und Flittern aller Nähen und Fernen, als seien die Umrisse aufgelöst und die Dinge selbst das Licht, kam mir plötzlich ein verwegener Gedanke: »Was würden Sie sagen, Graf Hugo, wenn ich Ihnen vorschlüge, vor der Rückkehr nach Ingelheim auf ein paar Tage in Ihre Burg zu kommen? Ich möchte Ihre Mutter und Ihre Heimat kennen. Von beiden haben Sie mir viel gesprochen.« Hugo hob den Kopf, als ob er nicht recht verstanden habe. Schließlich sagte er, wie aus einem Traume heraus: »Eure Majestät möchten meine Mutter und die Wetterau sehen? Möchten Burg Usa kennenlernen?« – »Ja, das möchte ich. Möchten Sie es denn nicht?« – »Ich hätte kaum gewagt, es zu wünschen. Ich werde Boten senden, damit die Zimmer der Ostfront gerichtet werden. Denn dort, im Osten, ist die Wetterau. Gegen Westen aber – und diese Landschaft werden Sie nicht minder lieben – sind die Ausläufer des Taunus mit ihren Eichen- und Buchenwäldern. Auch da gibt es ein Abendgrauen, in dem der Atem stillesteht – und ein Rieseln des Mittagslichtes, wie ich es nur noch in Byzanz über den Gärten des Goldnen Hornes gesehen habe.« – »Ich habe das Licht von Byzanz ein wenig vergessen«, sagte ich. »Das Licht über den deutschen Ländern ist mir seit langem heimatlich geworden.«

Ich ließ den Kaiser davon unterrichten, daß ich eine Woche auf Burg Usa zubringen werde ... Am Abend des 25. September kam ich dort an, nur begleitet von der Gräfin Imiza, meiner Zofe und den Reitknechten. Hugo war uns um einen Tag vorausgeritten. Wie war es schön, endlich einmal frei zu sein von allem äußeren Zwang des Kaisertums! So war ich in Amastris, am Ufer des bithynischen Pontos, durch das Land geritten, oder in Armenien, wenn wir unsere Güter besuchten ...

Die Gräfin Athela von der Wetterau nahm mich als Kaiserin und Tochter auf. Nicht ein Hauch von Unterwürfigkeit – und doch ein Abstand, der mich beschämte. Sie hatte am Hofe des verstorbenen Kaisers gelebt und war auf Reisen in Italien gewesen. Aber sie war die deutsche Landedelfrau geblieben. »Was will ich mehr«, sagte sie zu mir, während wir eines Mittags im östlichen Säulengang des Palas auf und nieder gingen, »als den Blick in ein solches Land? Dies ist ganz Deutschland: die unerschöpflich-fruchtbare Ebene, zwischen blauen Höhen und kühlen Bergwäldern ...« – »Ja«, ergänzte ich, »dies scheint mir das deutscheste Deutschland zu sein, das ich bis jetzt gesehen habe: beherrschend, weit, und ohne Überschwang. Ich fange an, zu verstehen, warum Ihr Sohn so werden mußte, wie er ist.« – »Wenn Eure Majestät dies erkannt haben, so bleibt mir nichts mehr zu sagen übrig.« – »Schauen wir, Gräfin, und seien wir im Schauen glücklich! Wer weiß, wie lange uns die Händel der Welt Zeit dazu lassen.« Glückliche Tage in der Wetterau ... Rotes Weinlaub zwischen dem Efeu grauer Burgmauern, Baldrian und Spireen in den taufeuchten Gartenwinkeln, goldne Lindenblätter auf den Brunnenbecken, späte Wicken um dorrende Spaliere – Dahlien- und Asternbeete auf der Südterrasse des Burghofs, Herbstzeitlosen in den Wiesengründen, Marienfäden in den hellblauen Lüften – o Welt der Sammlung, ergriffenes Lauschen in das eigne Blut, Segnung des Wesens durch den Gott der Stille ... »Ich höre mich reifen«, sagte ich zu Hugo, als wir eines Mittags nach dem Hofe Haselheck hinüberritten. »Wie ist es möglich, daß man so sich selber hört?« Die Äpfel fielen von den Bäumen in das warme Gras, die wilden Birnen lagen zu Hunderten am Boden, von Wespen angesogen, und dufteten in das Flimmern. Wir waren allein an jenem Tag. »Diesem Menschen«, sagte ich mir, als wir uns unter einem Vogelbeerbaum an der Wegeböschung hingesetzt hatten, »diesem und keinem anderen möchte ich mein Leben vereinigt wissen, wenn ich nicht Kaiserin wäre. Und in dieser Landschaft möchte ich mit ihm leben, wenn mir der Traum gestattet wäre.« – »Die Wetterau«, sagte Hugo, ist karolingische Landschaft. Hier weht noch der Geist, der wiederkommen muß. Über den Pfalzen von Attigny und Ingelheim müssen die gleichen Banner wehen ... Denn sie sind das gleiche!« – »Vielleicht sehen wir noch diesen Tag«, erwiderte ich. »Helfen Sie mir, daß er komme.«

Als wir nach Ingelheim weiterreisten, begleitete mich eine Wetterauer Kammerfrau: Barbara, die ich im Hofgut Ilbenstadt gefunden hatte. Sie war die Tochter eines freien Bauern, ganz ein Kind der Erde, die sie geboren hatte. Sie war unentwurzelbar. Sie buk sich in Rom ihr Brot, wie man es zu Hause buk, und kelterte selbst ihren Apfelwein, wenn die Sendung ihres Vaters ausblieb.

 

Wenige Tage später verließ ich Ingelheim, um über Mainfranken dem Kaiser nach Thüringen entgegenzureisen. Ich wollte ihn überraschen. Und die Überraschung gelang. In Saalfeld stand ich plötzlich in seinem Zimmer ... Er riß mich an sich, preßte seine Hände auf meine Schläfen, trank meine Augen ...

Wir reisten langsam nach Allstedt. So war ich in die nördlichen Tannenwälder zurückgekehrt, und ich konnte mir wieder den Morgentau von den duftenden Nadeln abstreifen lassen, um beim Erwachen mein Gesicht in ihm zu baden.

Am 6. November brach der Kaiser zu einem Zuge gegen die Slawen auf, nachdem er am Tage vorher Gerbert, den Kanzler für Italien, zum Bischof von Tortona ernannt und das freigewordene Amt Philagathós von Rossano übertragen hatte.

So blieb ich allein in der Pfalz, indessen sich der Winter mit Sturm und Regen nahte. Abermals hatte ich Zeit, nachzusinnen ... Wieder kreiste dieses Denken um den Kaiser. Die letzten drei Wochen, die ich vor seinem Ausrücken gegen die Liutizen mit ihm verbracht hatte, waren ein Glück gewesen. Und doch war es ihm nicht gelungen, meinen Glauben an ihn auch nur um einen Grad über die Linie hinaufzuheben, auf die er seit einem Jahr heruntergesunken war. Dieser Mann war nicht, was ich einen Mann nannte. Er war reizvoll, er war leidenschaftlich, er war durchaus ehrlich in jeder Äußerung seines Wesens: Warum aber war er dies alles erst dann, wenn er sich mit einem Kummer der Seele in den Schutz der Gattin flüchtete? Warum konnte er nicht, nachdem er sich selbst von solchem Kummer gereinigt, sein befreites Wesen zu mir tragen? Warum mußte ich immer die Empfindung haben, daß ich, selbst in der leidenschaftlichsten Hingabe, nur die Entlasterin seiner ungeordneten Seele sei? Was – fragte ich mich oft – was würde denn werden, wenn mir, von irgendwelchen Winden hergeweht, der große Erreger meines Wesens begegnete und – erreichbar wäre? Ich ahnte nicht, daß er schon unterwegs zu mir war: ich ahnte nicht, daß Gott schon über mich entschieden hatte, indessen ich noch Fragen an ihn richtete ...

Unerwartet traf am 20. November Niketas Kurkuas am Hofe ein. Ich erschrak, denn dieses plötzliche Erscheinen konnte nichts Gutes bedeuten ... Er brachte die Nachricht, daß mein Oheim Bardas Skleros von dem Kalifen von Bagdad, den er um Hilfe gegen den Parakimuménos angegangen war, in Gewahrsam genommen worden sei, mein Vater jedoch an der mesopotamischen Grenze den Oberbefehl über die ihm unterstellte Armee weiterführe. Auch die Familie Phokas habe sich gegen die beiden jungen Makedonenkaiser erhoben, aber es sei jedem Einsichtigen klar, daß die Rebellion scheitern werde. Das Volk sei des inneren Zankes müde, müde auch, für feudale Sonderansprüche zu bluten. Die Bulgarenfrage tauche erneut in ihrer ganzen Schwere am Horizont auf, auch die Russen würden sich wieder melden, und aus Sizilien berichteten die Geheimagenten, daß die Araber zu einem großen Schlage gegen die Themen rüsteten. Aber auch Deutschland rüste, um in Apulien und Kalabrien einzugreifen. Er habe dies abgestritten, sei aber ausgelacht worden. Er habe nicht schreiben wollen, da die Überwachung aller Boten mit rücksichtsloser Strenge gehandhabt werde ... Ich konnte ihm mit gutem Gewissen antworten, daß zwar mit einer Reise des deutschen Hofes nach Italien im Laufe des kommenden Jahres gerechnet werden müsse, aber von einem militärischen Eingreifen im Süden keine Rede sei. Mit Frankreich herrsche immer noch Kriegszustand. Ehe nicht der König Lothar den Vertrag von Visé erneut bestätigt, das heißt, wie sein Vater, auf Lothringen verzichtet habe, könne der Kaiser nicht einmal eine kurze Reise über die Alpen in Erwägung ziehen. Es harrten seiner dort allerdings wichtige Aufgaben – aber vor allen Problemen der kirchlichen und weltlichen Verwaltung in Italien stehe die Sicherheit des Reiches. Eine Versöhnung zwischen dem Kaiser und seiner Mutter sei zwar angebahnt, der Bischof Gisiler von Merseburg, einer unserer besten Diplomaten, sei in dieser Angelegenheit schon nach Burgund unterwegs, aber niemand könne errechnen, was er erreichen werde ... Niketas eröffnete mir nach dieser Erklärung, der Basileus Basileios II. verlange, daß das mit Tsimiskes getroffene »ritterliche Abkommen« in einen förmlichen Staatsvertrag verwandelt werde. »Sagen Sie Basileios«, erwiderte ich scharf, »daß diese Forderung unbegründet ist. Nicht nur dies, sondern töricht und herausfordernd. Sie wird die Hetzer auf die Beine bringen und das Gegenteil von dem erreichen, was sie bezweckt. Solange er keine Beweise für eine feindliche Haltung des Reiches hat – greifbare Beweise, nicht aber Scheinbeweise, welche ihm die deutschfeindliche Clique in Rom einflüsterte –, hat er sich, eben auf Grund des Abkommens aus dem Jahre 971, etwas bescheidener zu verhalten. Wenn er aber – aus mir undurchsichtigen Gründen – Zank sucht, so soll er angreifen. Das Reich wird ihm dann die Lehre erteilen, die er verdient!« Niketas schaute mich aus erstaunten Augen an: »Träume ich, Majestät – oder haben Sie wirklich gesprochen?« – »Jawohl, ich habe gesprochen. Vergessen Sie doch nicht – wie sehr Sie auch wieder Byzantiner geworden sein mögen –, daß ich die deutsche Kaiserin bin und nicht die Handlangerin für Basileios! Niemals hätte sich Tsimiskes herausgenommen, was dieser sich herausnimmt. Hier muß von allem Anfang an deutlich gesprochen werden, um jeden Irrtum auszuschalten. Wenn Sie bei mir nur vorfühlen sollten, so wissen Sie nun Bescheid. Wenn Sie aber im Auftrage der Regierung kommen, so muß ich Sie – in Abwesenheit des Kaisers – an den Erzkanzler Willigis in Mainz verweisen. Ich hoffe, daß dies überflüssig sein wird.« Niketas konnte seiner Verwirrung nicht Herr werden. Er ging erregt im Zimmer auf und ab und spielte, wie es seine Art war, mit der linken Hand am Knauf des Wehrgehenkes. »Aber es dreht sich doch nur um eine Formfrage!« – »Keineswegs! Es dreht sich um eine Machtfrage allerersten Ranges! Das westliche Imperium ist dem östlichen gleichgeordnet. Mißtrauen seitens des Basileus bedeutet eine Störung des herrschenden Gleichgewichtes, und zwar eine höchst gefährliche. Zu ›verlangen‹, wie Sie sagten, hat der Basileus überhaupt nichts. Genausowenig wie wir. Er hat, wenn er Änderungen des ›ritterlichen Abkommens‹ wünscht, um solche zu bitten und Verhandlungen vorzuschlagen. Dann wird sich das Weitere finden. Dies ist mein letztes Wort in dieser läppischen Angelegenheit. Und das letzte Wort des Kanzlers wird das gleiche sein. Das sollten Sie wissen, da Sie ihn ja kennen.« – »Ich habe keine Weisung an den Kanzler.« – »Dann desto besser. Ich fange an zu glauben, daß es um die Makedonendynastie weniger gut bestellt ist, als Sie vorgeben, wenn ich mir auch nicht denken kann, daß Sie mir die Wahrheit vorenthalten möchten. Sagen Sie Basileios, daß ich mich so lange gegen jede Verletzung des ›ritterlichen Abkommens‹ durch Deutschland stemmen werde, solange er in seinen Grenzen bleibt, daß ich aber gegen ihn Partei ergreife, wenn er diese Grenze überschreitet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er in seiner augenblicklichen Lage Deutschland zum Feinde haben möchte. Ich habe manches zu sagen am deutschen Hof, aber bei weitem nicht alles! Es wäre dumm, mich des Einflusses zu berauben, den ich besitze.«

Als mir Niketas erklärte, daß er es mit der Rückreise nicht eilig habe, erkannte ich, daß er nur geschickt worden war, um die Fühler auszustrecken. Und daß auch Leo Akritas sich ganz auf meinen Standpunkt stellte, bewies mir, daß es keinen anderen geben konnte ... Nein, es war keine »heimatliche« Luft mehr, die mir Niketas gebracht hatte: es war der überhebliche Geist der byzantinischen Kanzleien, der mit ihm in die Räume der Pfalz hatte eindringen wollen.

 

Eine Woche später, am 27. November, wurde mir der neu ernannte Kanzler für Italien, Philagathós von Rossano, gemeldet. Er kam von Mainz und war unterwegs in das kaiserliche Hauptquartier. Ich hatte – ohne zu wissen, warum – einen jener Menschen erwartet, die vom vielen Niedergebücktsein auf die Folianten wie in sich selbst verkrochen daherkommen: einen Juristen mit gelblicher Hautfarbe und schwächlichen Händen. Nun aber stand vor mir in aufrechter Haltung, sehr groß und dunkelbraun, ein junger Mann, der ein Herzog hätte sein können oder ein Feldherr. Ich sah die goldne Uniform der byzantinischen Gardeoffiziere unter seinem violetten Priestergewand und unter der Uniform den Körper eines Apoxyómenos oder Diskóbolos. Ich sah sodann einen schmalen Kopf, in dem die Augen eines Mosaikbildes brannten, übergroß und wie vom eignen Lichte aufgezehrt. Ich sah Hände, welche mehr gewohnt schienen, die Schultern einer Frau zu umschließen als die silbernen Deckel der Bibel – und ich atmete einen Duft gepflegter Haut, so fremd und fern und wie durchsetzt vom Hauch des Sandelholzes, daß ich einen Augenblick lang glaubte, in einer kaiserlichen Loge des Hippodromes in Byzanz zu sein. Dieser kalabrische Priester wagte es, mich genau so zu messen, wie ich ihn maß: Pore um Pore des ganzen Leibes und so das ganze Bild begehrend, als ob Besitz ihm schon Gewißheit wäre. Aber ich war machtlos gegen dieses Anmichdrängen einer reifen, selbstsicheren Männlichkeit. Er wußte, daß ich machtlos war – und dies empörte mich am meisten. Vielleicht auch wußte er, daß ich ihm verfiele, sobald er erst die Stimme erhöbe. Nun sprach er – und ich war verfallen: eine Stimme, die auf dem dunkelsten Kupfer der Harfe ging, erschreckend ruhig, fast monoton, gefüllt mit herrischer Zärtlichkeit, schmeichelnd und werbend, ohne es zu wollen: eine Stimme, in ihrem Stoff allein – die Liebe ...

Die Bilder trieben durch mein Blut in dieser Nacht: Bilder, die sich der Geist verbot und im Verbieten schon zurückrief – Bilder der Lust, die nie in mir erblüht waren – Bilder der Qual, weil ewig unerfüllbar. Unerfüllbar? klang es von den Wänden ... Wieder lag ich auf den Knien vor der Ikone, die teilnahmslos im roten Ampeldämmer glühte. O welche Nacht – und welcher graue, nasse, rieselnde Novembermorgen! Ich sah mich im Spiegel – und prallte zurück: Wie kannst du, Herr, deine eignen Geschöpfe so verwüsten im Aufstand einer einzigen Nacht! Den nie zuvor gekannten Namen eines Menschen zur Geißel einer solchen Kasteiung werden lassen! Ich schreie zu dir auf, Herr: Zu allen anderen Lasten füge nicht auch noch diese! Gib mir Vergessenheit – lasse mich nicht wissen, daß neben mir lebt und atmet, unerreichbar, was mich vor mir selber auslöschen könnte, indem es mich erfüllte ... Unerreichbar? lächelte die Ikone ... Unerreichbar – demütigte sich mein Stolz. Grenze des Kaisertums. Grenze der Macht.

 

Als wir Weihnacht in der Pfalz von Pöhlde begingen, konnte ich dem Kaiser mitteilen, daß die Herbsttage von Allstedt mir eine dritte Mutterschaft gegeben hatten. Im ganzen Reiche wurde für den Sohn gebetet. Und ich ging wieder mit dem beginnenden Vorfrühling des Jahres 980 nach Ingelheim.

Schon am ersten Tage nach meiner Ankunft besuchte mich der Erzkanzler Willigis. Jedesmal wenn er ungerufen kam, brachte er gute Nachrichten. Es ging schon auf den Abend zu. Die Amseln schrien im Garten. Gegen Osten standen dunkelrote Wolken. In ihrem Widerschein lehnte Willigis am offnen Fensterbogen und sagte, während er in die Flammen des Kamins schaute, deren Spiel seine Gedanken zu sammeln schien: »Wir müssen vor Gott demütig bleiben, Majestät. Dieses Jahr hat unter ungewöhnlichen Sternen begonnen. Ich komme, um Ihnen mitzuteilen, was sogar der Kaiser noch nicht weiß, da meine Boten an ihn noch unterwegs sind: König Lothar hat uns ein Friedensangebot geschickt und um rasche Annahme gebeten. Das beweist, daß die französische Politik, welche ich schon während des Feldzuges im Spätherbst 978 eingeleitet habe, ihr Früchte zu tragen beginnt. Sie gibt uns außerdem die Möglichkeit, den ewigen Tadlern und Mißvergnügten die Größe unserer Staatskunst unter die Nase zu reiben, indem wir tatsächliche militärische Mißerfolge als bewußte diplomatische Verzögerungsmanöver hinstellen können. Ich habe – ganz im stillen – Hugo Kapet gegen Lothar ausgespielt. Meine zuverlässigste Stütze in diesem Spiel war der Erzbischof Adalbero von Reims, welcher schon lange nicht mehr auf die Karte der karolingischen Dynastie setzt. Der dreizehnjährige Kronprinz Ludwig, welcher – wie Sie wissen – im Juni des vergangenen Jahres zum Mitkönig seines Vaters gekrönt worden ist, scheint wenig Hoffnungen zu erwecken, und das Prestige, das dem kapetingischen Hause durch die Verteidigung von Paris zuteil wurde, rechtfertigt eine besondere Rücksicht auf den Herzog Hugo. Wir können heute jedem Menschen begreiflich machen, daß wir – um Lothar zu schwächen – Hugo vor Paris geschont haben. Wir können den verlustreichen Rückzug über die Aisne sogar als eine Musterleistung hinstellen, indem wir sagen, daß Hochwasser ein Vis major sei, die wir durch übermenschliche Kraftentfaltung überwunden hätten. Wir werden in wenig Wochen darauf hinweisen können, daß das Friedensangebot Lothars die augenfälligste Bestätigung für die Weitsichtigkeit unserer Politik darstellt. Eure Majestät sehen also, daß denen, die Gott lieben, wirklich – alle Dinge zum besten dienen. Ich weiß durch heimliche Berichte des Seigneur Ascelin de Laon – sie haben mich etwas gekostet –, daß der König Lothar vor dem Gedanken zittert, wir könnten uns vielleicht für die Erhebung einer kapetingischen Dynastie ins Zeug legen. Was, Majestät, wollen wir uns Besseres wünschen? Ich habe dem Kaiser vorgeschlagen, von Lothar weiter gar nichts zu verlangen als die bedingungslose Erneuerung des Vertrages von Visé – und ihn für die kommenden Jahre durch die Undurchsichtigkeit unserer ›wahren‹ Absichten in Schach zu halten. Ich hoffe, daß Seine Majestät meine Vorschläge annimmt und auf Annexionen verzichtet, welche alle Franzosen gegen uns aufbringen würden. Wir müssen Ruhe im Westen haben, wenn wir uns der italischen Angelegenheiten mit jener Gründlichkeit annehmen wollen, die sie beanspruchen. In den Fürstentümern muß nach dem Rechten gesehen werden. Aber auch die lombardischen Probleme verlangen, trotz der hervorragenden Regierung der Kaiserin Adelheid, eine Überprüfung. Ganz zu schweigen von Rom, das seinen kaiserlichen Herrn – nach achtjähriger Abwesenheit – wieder zu Gesicht bekommen muß. Der Papst Benedikt VII. ist uns bestimmt ein guter Sachwalter, aber es kommt darauf an, den Crescentiern auf die Finger zu sehen. Der Herzog Hugo von Tuskien hat uns schon zum zweitenmal darauf hingewiesen, daß sich seit dem Tode des Kaisers Tsimiskes wieder byzantinische Agenten in Rom sehen lassen. Und der geraubte Kirchenschatz ist noch immer am Bosporos.« Willigis streichelte meine graue Angorakatze, welche zu ihm auf das Fensterbrett gesprungen war, und fuhr fort: »Es ist sodann da noch die Frage der Aussöhnung des Kaisers mit seiner Mutter. Sie ist aus Gründen einer einheitlichen Führung der Reichspolitik unerläßlich, aber es muß von der Kaiserinwitwe verlangt werden, daß sie sich jeder Einmischung in die deutsch-französischen Beziehungen enthält, weder ihrer Tochter Emma noch ihrem Schwiegersohn Lothar ihr Ohr leiht und – vor allem – jeden Einfluß ihres Bruders, des Königs von Burgund, an dem Hofe von Pavia ausschaltet. Die Clunyschen Vorlieben des Burgunders gehen mich nichts an. Daß aber auf dem Umweg über Cluny politische Unterströmungen geschaffen werden, welche für uns unüberschaubar bleiben: das kann ich nicht dulden. Die allzulange Anwesenheit der Kaiserinmutter am deutschen Hof ist nicht erwünscht. Da sich bei dem Kaiser mit steigendem Alter die Erregbarkeit steigert, können in jedem Augenblick neue Zwiste entstehen. Abgesehen davon, daß so etwas – nach außen und nach innen – gerade keinen sehr guten Eindruck hinterläßt, bedeutet es eine Vergeudung von Kräften, welche sinnvoller verwendet werden können. Ich werde mich immer dafür einsetzen, daß die Kaiserin Adelheid ihre italische Statthalterschaft an Ort und Stelle ausübe, in Pavia, daß aber die Kurierdienste zwischen ihrem Hof und dem des Kaisers verdreifacht werden. Ich nehme an, ihr Bedürfnis, unterwegs zu sein, wird sich legen. Auch sie wird ja nicht jünger, und die letzten Erfahrungen mit ihrem Sohne mögen sie einiges gelehrt haben ... Daß der Kaiser den Bischof Gisiler von Merseburg nach Burgund geschickt hat, beweist, daß er mit Schwierigkeiten in den Verhandlungen rechnet. Ich habe Seiner Majestät gesagt, daß wir nicht eine einzige Forderung der Kaiserinmutter annehmen werden, welche das Ansehen des kaiserlichen Namens schädigen könnte, aber natürlich auch keine Bedingung zu stellen gedenken, welche von ihr als Demütigung empfunden werden müßte. Will man durchaus auf einem öffentlichen Versöhnungsakt bestehen, so dürfte ein solcher nur in symbolischer Form vollzogen werden, ohne jede Deprecatio noch Revocatio. Ich kann mich nicht gegen die Gebräuche der Zeit stellen: aber mich widert jede öffentliche Regelung einer persönlichen Angelegenheit an. Es scheint jedoch, daß die Kaiserinmutter selbst die öffentliche Prozedur verlangt. Es ist nicht immer leicht, Frauen, auch wenn sie Kaiserinnen sind, zu verstehen.« – »Es ist auch nicht immer leicht, Eminenz, Männer zu verstehen: selbst wenn sie Kaiser sind!« – »Gewiß nicht, Majestät. Das ist sogar am allerschwersten.« Nun lachten wir beide ... »Ich habe Kaviar aus Akkerman bekommen«, sagte ich. »Wollen wir nicht diesen schönen Vorfrühlingstag östlich begehen? Ich hätte heute Lust, sehr gut zu essen, noch besser zu trinken und mich mit Ihnen über die Politik der Fatimiden zu unterhalten, die mir wieder auf den vordersten Plan zu rücken scheint. Auch wüßte ich gerne einiges Nähere über die Tagesordnung der Bischofssynode, die auf den 11. April nach Ingelheim angesagt ist. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Herrn Dietrich von Metz einmal auf den Zahn fühlten, ob er immer noch dynastische Pläne in Frankreich hat. Ich selbst werde ihm keine Unterredung gewähren. Diese Verwandtschaft ist mir etwas zu weit, als daß sie verpflichtet.« – »Mir ist sie, was den Kaiser anbelangt, noch viel zu nah. Es ist schade, daß man diesen Pfründner nicht zu den Petschenegen verfrachten kann ... Ich wüßte schon, wem ich Metz zu geben hätte.« – »Ich auch. Und wahrscheinlich meinen wir den gleichen, obwohl er noch sehr jung ist: Adalbero, den reizenden Sohn der Herzogin Beatrix.« – »Ja, Majestät. Diesen meinte ich.« – »Nun, Dietrich ist nicht unsterblich.« – »Bei Gott nicht. Aber zäh wie ein Ziegenbalg.«

 

Die Friedensverhandlungen mit den Gesandten Lothars wurden nach der Synode in Ingelheim geführt und rasch zum Abschluß gebracht. Der neue Vertrag sollte im Mai durch eine persönliche Begegnung zwischen dem französischen König und dem deutschen Kaiser in Margut-sur-Chiers abgeschlossen werden. Ich nahm an der Reise nicht teil, da mein Zustand Ruhe verlangte. Die Geburt konnte nicht mehr länger als zwei Monate auf sich warten lassen. Ich hätte gerne den »Schönen Lothar« gesehen und seinen seltsamen Sohn – aber meine Neugierde mußte zurückstehen vor dem Gebote der Pflicht: und doppelt, da mir ja noch eine Fahrt nach Niederlothringen bevorstand, die ich allerdings zu Schiff auf dem Rhein unternehmen konnte. Denn der Kaiser wollte mich in seiner Nähe haben. Er war sicher, daß ich ihm diesmal den ersehnten Kronprinzen schenken werde. Ich sehe ganz anders aus, als während der beiden letzten Schwangerschaften, habe viel weniger an Unbehagen gelitten und den Sohn gerade in den Tagen der Empfängnis so leidenschaftlich herbeigewünscht, daß dieser Sohn kommen müsse ... Müsse ...

So fuhr ich am 12. Juli zu Schiff über Köln an die Landungsstelle für Kleve, von wo aus ich auf einer kurzen Reise durch den »Reichswald« Nymwegen erreichen konnte. Da ich eine Niederkunft erst für die letzten Julitage voraussah, mußte ein solcher Reiseplan mit Leichtigkeit durchgeführt werden können: zumal die Ärzte und Wärterinnen immer bei mir waren. Es war sehr heiß. Die Sonne kochte in den Weinbergen. Aber ein kräftiger Wind strich um das Deck, wo ich hingebettet lag. Hugo von der Wetterau begleitete mich. Es war der Wunsch des Kaisers gewesen, daß er um mich sei. Er überließ mich meinen Träumen, sprach nur, wenn ich selber zu ihm sprach, und machte sich unsichtbar, obwohl er immer ganz in meiner Nähe blieb. Er wußte, daß ich nur der Frucht in meinen Lenden gehörte ... Und wenn es abermals eine Tochter würde? schoß es mir plötzlich durch den Sinn, während das Blut in meine Ohren drängte und ein graues Wogen vor den Augen begann ... Mein Gott, wenn mir auch diesmal der Sohn versagt bliebe? Ich fühlte, wie ich wider meinen Willen zu weinen begann. Hugo setzte sich neben mich, ohne eine Silbe zu sagen. Die Gräfin Imiza verschwand auf dem Hinterdeck des Schiffes. Als wir am Nachmittag des zweiten Tages an dem Orte ankamen, wo mich die Pferde erwarteten, hatte ich die Angst überwunden. Es war vorgesehen, ganz langsam bis zu dem Kesseler Jagdhaus zu reiten, wo Nachtquartiere bereitet waren. Wir sollten dort um Sonnenuntergang eintreffen. Aber um sieben Uhr überfielen mich plötzlich die Wehen. Ich schrie vor Schmerzen auf ... Eine halbe Stunde später lag ich in das Zelt gebettet, den neuen Anfall erwartend. Ich hatte mich verrechnet ... Es gab keinen Zweifel, daß die Geburt begonnen hatte. Sie war qualvoll, aber ohne übermäßige Dauer wie bei Adelheid. Um die zweite Morgenstunde hielt mir die Gräfin Imiza auf blauem Seidenkissen den Sohn entgegen: ein starkes, dunkles Kind mit Augen ganz aus Nacht und Gold ... Augen des Ostens, unergründlich hinter ihren Gründen ... Ich legte ihm die Ikone an der dünnen Goldschnur um den Hals, streifte den ruhigen Mund mit einem Hauche des meinen, und tauchte unter in der Schwäche, die ich hatte kommen fühlen ...

Als ich erwachte, war es Tag. Ich brauchte lange, bis ich mich besinnen konnte, wo ich war ... Da war der Sohn, da waren die Ärzte, die Pflegerinnen. Da waren Hugo und Imiza, da war ich selbst ... Aber da war noch ein Anderes, das wie vom Saume eines nie geahnten Lebens zu mir herüberlächelte: Da war – in der Öffnung des weit zurückgeschlagenen Zeltvorhanges – die Frühe eines deutschen Sommertages: eine Waldlichtung, fließende Himmelsbläue zwischen brausenden Eichenkronen, aus denen der Wind den Tau in die Gräser blies. Auch an diesen Gräsern hingen die Tropfen in Rispen und sprühten auf, ehe sie in die Erde sanken. Ein Flittern von Grün lief über den sonnengesprenkelten Boden, manchmal angehalten von Büscheln blauer Glockenblumen, die es weitergaben an ein kupfernes Weben zwischen moosgrauen Stämmen. Ein Holunderstrauch stand mit gesenkten Dolden. Der Gesang einer fernen Sense ging gleichmäßig durch das ruhelose Gefunkel – ein Duft von Pilzen drang mit dem Ausatmen eines Lohschlages bis an mein Bett. Die ersten Zitronenfalter tanzten in der Helle. Ein Specht hämmerte in immer gleichen Schlägen gegen einen Ast ... »Halten Sie meinen Sohn in dieses Licht«, sagte ich zu Hugo. »Heben Sie ihn hoch hinauf. Der Wald soll ihn segnen – ehe ihn der Rhein segnen wird, wenn wir seine Wiege an die Terrassenmauer von Nymwegen rücken.«

Dann verlangte ich, allein zu bleiben. Ich dachte an nichts, ich sann nicht nach. Ich versank. Schon flogen Bienen. Ein Heckenrosenbusch öffnete seine Blüten. Königskerzen folgten ihm nach. Im Dorfe Kessel wurde zur Messe geläutet ... Ein Ruf von Hörnern tönte durch das Raunen und Summen ... Pferde hielten ... Der Kaiser stürzte vor dem Rande meines Bettes in die Knie, küßte meine Hände, meine Schläfen, meine Augen, küßte die Decke, wo sie über meinem Schoß lag – ehe er sich im Anblick seines Sohnes verlor ... Später kam Willigis und sprach die Dankgebete ... Die Holunderdolden hatten sich aufgerichtet, nachdem die Feuchte der Nacht verdunstet war, und leuchteten gegen das Zelt. Schon hing ihre Süße in der wachsenden Wärme, lösend und schläfernd zugleich ... Ein Nelkenstrauß wurde an mein Bett getragen. Der Kaiser hatte eine Schnur von rosa Perlen zehnmal um mein Handgelenk geschlungen. Glaukós schenkte mir ein Berggut bei Chiavenna ... Als ich aus neuem Schlaf erwachte, war die Sonne schon gesunken. Nachleuchtend stand das Gold des Abendhimmels, das ungeheure Gold, die Dinge dunkelnd, die auf seinem Grunde ruhten ... Byzanz, dämmerte es durch mein Erinnern ... Byzanz grüßt meinen deutschen Sohn ...


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