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XVI.

Eveline war fassungslos. Sie saß immer noch unbeweglich in ihrem Sessel. So etwas war ihr doch noch nicht vorgekommen. Was war denn das für ein Mensch? Sie seufzte und erhob sich. Ein Glück nur, daß Leda gar nichts wußte. Eveline hatte Frau Adda und Leda überredet, einen Tee zu besuchen, um mit Herrn von Kaufmann ungestört zu sein. Vorsehung spielen wollen, ist ein undankbares Geschäft. Eveline nahm sich vor, derlei nur noch für sich selbst zu versuchen, aber nie mehr für andere.

Nun aber wurde sie ärgerlich und stampfte mit dem Fuß auf. Unglaublich hatte er sich benommen, beleidigt hatte er sie. Das sollte er büßen, dafür würde sie sich rächen ... Arme Leda! ... Nun mußte sie schon sehen, wie sie allein damit fertig wurde. Sie konnte ihr nicht mehr helfen.

Am besten wäre es, sie reiste baldmöglichst wieder nach Hause, statt den Jammer hier noch länger mit anzusehen, ohne etwas ändern zu können. Aber da gab es leider noch ein Hindernis, das erst überwunden werden mußte.

Einen Augenblick überlegte sie, ob man Boris Makarow nicht wieder für Leda erwärmen könne. Vielleicht würde sie das von ihrem Kummer ablenken. Aber das war ein gefährliches Spiel. Wenn der leicht entzündliche Boris nun wieder ernsthaft Feuer fing, und wenn Leda aus irgendwelchen Gründen damit einverstanden war, was dann? Dann hatte sie das Nachsehen, dann war sie die endgültig Blamierte.

Eveline warf den Kopf zurück. Das ging denn doch zu weit. So entsagungsvoll war sie durchaus nicht gestimmt. Der Mann gefällt mir, er sieht gut aus, hat Temperament, Geld spielt keine Rolle, habe ich selbst genug, er ist nicht zu gescheit, um mir gefährlich zu werden, er ist gerade so klug, wie ich es brauchen kann, um nicht abhängig zu werden.

Nein, erst wollte sie die Angelegenheit mit Boris Makarow völlig ins reine bringen, und dann würde sie abreisen. Jeder ist sich selbst der Nächste, und Boris Makarow gefiel ihr nun einmal besser als die meisten andern jungen Leute, die sie kannte. Es war nun einmal so. Und die Petrowa mochte sich mit dem Leutnant Gonthard trösten. Jawohl, jeder ist sich selbst der Nächste.

Eveline begab sich in das Schlafzimmer, das sie mit Leda teilte. Sie musterte sich aufmerksam im Spiegel.

Ich werde doch noch zu dem Tee gehn, beschloß sie. Dann fragt mich Leda wenigstens nicht, was ich derweil getrieben habe.

Sie zog sich um und verschwand.

Christo Serafinow saß derweil wieder einmal mit Peter Karakinow in seinem Arbeitszimmer.

»Ich habe zufällig den Militärattaché auf der Straße getroffen. Er strahlte über das ganze Gesicht. Die Offensive gegen Italien hat erfolgreich begonnen, vertraute er mir an. Alles gehe glänzend. Wenn er es nicht genau wüßte, würde er es mir nicht sagen.«

Peter Karakinow nickte. »Die Deutschen schaffen es wieder, sie machen alles, ohne sie kommt überhaupt nichts vom Fleck. Es ist fabelhaft, es ist schon fast unheimlich.«

»Rußland wird in aller Kürze Frieden schließen müssen. Dann werden die Truppen für die Westfront frei, dann wird es auch da über kurz oder lang ein Ende nehmen, die Deutschen bleiben oben, kein Zweifel.«

Die beiden beobachteten eine Wette einander schweigend. Jeder wußte vom andern, was er dachte in diesem Augenblick.

»Mit dem Baron ist nichts anzufangen«, sagte Peter. »Vielleicht entschließen wir uns doch zu einem neuen Vertrauensmann, ehe es zu spät ist. Aus wird der Krieg in diesem Jahre ja doch nicht ...«

»Erst müssen auch noch die Amerikaner versagen«, meinte Christo Serafinow. »Solange die Entente noch auf Amerika hoffen kann, gibt sie nicht nach.«

»Das ist auch meine Meinung. Wenn der Krieg also mindestens noch ein Jahr dauert, lohnt es sich am Ende doch noch, einen neuen Mann aus Berlin kommen und Herrn von Kaufmann schießen zu lassen. Der Mann ist zu eigensinnig und zu zugeknöpft für uns. Ich kann sein Spiel nicht mehr übersehen. Das geht auf die Dauer nicht. Ich fahre nach Berlin und suche mir selbst unsern neuen Mann. Was meinst du?«

Christo Serafinow schwieg nachdenklich. »Eine dumme Geschichte! Nun könnte wirklich einmal alles gehen, wie es sollte.«

Peter Karakinow unterbrach ihn. »Neulich habe ich mit dem Legationsrat gesprochen. Damals dachte ich noch, die Geschichte mit Leda würde wieder werden. Die Gesandtschaft kann dem Mann unmöglich besonders grün sein, schon deshalb nicht, weil er unser Vertrauensmann ist. Sie mögen nicht, daß ihnen jemand, der nicht von der Zunft ist, ins Handwerk pfuscht, und das ist von ihrem Standpunkt aus ja auch in der Ordnung. Der Graf fragte mich denn auch gleich nach Herrn von Kaufmann, er sprach wohl überhaupt nur deshalb mit mir. Ich tat, als ob uns nicht gerade viel an dem Mann läge, weil ich annahm, daß ihm dann daran liegt, daß er bleibt, denn er kann ja nicht wissen, ob nicht nach ihm jemand anders kommt, mit dem wir besser stehen, der ihnen noch mehr ins Handwerk pfuscht. Es wäre also nötig, daß du Herrn von Kaufmann in der Gesandtschaft ordentlich herausstreichst, so wie du Gelegenheit dazu hast. Dann werden sie schwerlich viel einzuwenden haben, wenn er geht.«

Christo Serafinow lächelte zustimmend. »Das werde ich besorgen. Ich muß sowieso demnächst mal hinüber.«

»Dann wäre die Sache damit wohl erledigt?«

»Ich sehe auch keinen anderen Weg mehr, und Leda scheint sich ja wirklich gar nichts mehr aus dem Manne zu machen. Weshalb soll man sie da noch beeinflussen?«

»Ganz mein Standpunkt.«

»Hast du schon von dem Gerücht gehört?«

Peter Karakinow blickte den andern fragend an.

»Die Wahrsagung von Sofias Untergang.«

»Ententemache!«

»Das glaube ich auch. Aber es gibt Menschen, die daran glauben, es gibt Menschen, die sich jetzt schon für Januar nach einer Wohnung in anderen Städten umtun.«

»Um so besser. Dann werden die Ernährungsschwierigkeiten hier wenigstens geringer. Möchte nur die halbe Stadt fortlaufen.«

»Lessiza soll auch recht nervös sein.«

»Wann wäre der Zar das nicht?«

»Auch der Alte hat eine Nacht im Auto auf der Chaussee geschlafen.«

»Wird ihm nichts geschadet haben, denke ich.«

»Und daß der Ministerski Savet so übel zugerichtet ist.«

»Dafür haben sie jetzt eine geräumigere Unterkunft.« Peter Karakinow lachte. »Nur sollten sie die roten Vorhänge von den Fenstern fortnehmen. Wenn sie da abends bei elektrischem Licht tagen, lachen alle Deutschen.«

»Warum denn?«

»Das rote Licht erinnert sie an rote Laternen, und rote Laternen sind ein sicheres Zeichen für etwas anrüchige Häuser, du verstehst.«

Christo Serafinow lachte laut und dröhnend. »Aber der müßte das doch wissen, er hat ja in Deutschland studiert.«

Peter Karakinow machte ein verschmitztes Gesicht. »Es ist schon gar so lange her, weißt du, der alte Herr, an so etwas denkt er schon lange nicht mehr.«

Die beiden Mazedonier amüsierten sich sehr, dann aber beschlossen sie doch, dem »Alten« einen Wink zu geben.

Als Frau Adda mit den beiden jungen Mädchen nach Hause kam, fand sie die beiden Herren in sehr aufgeräumter Stimmung.

»Worüber amüsiert ihr euch denn so?«

»Das ist nichts für Damenohren, Adda.«

Leda erklärte, sie sei todmüde, und begab sich sofort auf ihr Zimmer, während Frau Adda und Eveline bei den Herren blieben.

»Man soll einen Arzt für Leda holen lassen«, bemerkte Peter Karakinow.

Frau Adda machte eine wegwerfende Bewegung. »Was die schon verstehen.«

»Einen deutschen Arzt«, sagte Peter Karakinow.

»Er verschreibt ihr auch nur ein Pülverchen.«

»Vielleicht darf ich sie mit nach Konstantinopel nehmen? Das wäre mal wieder etwas anderes, eine Zerstreuung, eine Abwechslung. Wie sehr würden wir uns freuen!«

»Warten wir erst einmal Katharina ab, Eveline.«

»Katharina kommt?« fragte der Vater verwundert.

»Ich habe ihr geschrieben, Christo.«

Christo Serafinow schüttelte etwas bedenklich den Kopf. »Wenn das nur gut geht.«

Eveline empfahl sich.

»Wie meinst du das?« fragte Frau Adda erstaunt, als Eveline das Zimmer verlassen hatte.

»Seit der ekelhaften Geschichte von damals hat sie einen Horror vor Sofia, du weißt doch. Joseph hat sich doch Mühe genug gegeben, sie davon abzubringen. Du weißt selbst, bisher ohne Erfolg.«

»Wenn es sich um Leda handelt, kommt sie, darauf kannst du dich verlassen, Christo. Es ist auch höchste Zeit, daß diese Dummheiten endlich aufhören. Wenn sie erst hier ist, wird der ganze Spuk von ihr abfallen, und sie wird sich selbst auslachen.«

»Du hast ihr Temperament immer falsch eingeschätzt, Adda.«

»Es muß aber einmal mit dem Getue ein Ende nehmen. Sie kann doch nicht ewig in Plovdiw bleiben. Josefs Geduld dürfte nachgerade ein Ende haben. Er muß hierher, man vergißt ihn sonst. Und sie muß mit hierher. Wofür ist sie seine Frau? Sie ist nun bald ein Jahr verheiratet, sie muß endlich Vernunft annehmen. Eine bessere Gelegenheit, sie wieder hierher zu gewöhnen, finden wir gar nicht.«

Leda saß am Fenster und blickte auf die Straße. Eveline setzte sich zu ihr.

»Vorhin war Herr von Kaufmann hier?«

Leda fuhr hastig herum. »Wollte er uns Besuch machen?«

Eveline nickte.

»Hast du ihn angenommen?«

»Er saß eine Weile bei mir«, erwiderte Eveline. »Er wollte sich erkundigen, wie dir das Erdbeben bekommen ist.«

»Was hast du gesagt?«

»Gut, habe ich gesagt. Er bedauerte, dich nicht getroffen zu haben, und ging dann bald wieder, so daß ich Zeit hatte, euch in den Tee nachzukommen.«

»Warum kam er nicht auch dahin?«

»Ich habe einfach vergessen, zu sagen, wo du bist, Leda. Daran habe ich gar nicht gedacht.«

Leda sah wieder zum Fenster hinaus, wo es schon dunkelte.

»Soll ich nicht Licht machen, Leda?«

»Lieber nicht, Eveline, es ist mir gerade recht so. Meine Augen schmerzen mich.«

»Du solltest mit mir nach Konstantinopel kommen, Leda. Ich reise demnächst und nehme dich gleich mit. Was meinst du?«

»Ich? Jetzt in Konstantinopel?« Leda war ganz erschrocken.

»Du versauerst hier nachgerade, scheint mir. Immer und ewig kann man es hier auch nicht aushalten. Man muß auch mal wieder was anderes sehen.«

»Ich fühle mich ganz wohl hier.«

Eveline lachte spöttisch. »So sieht es mir nicht gerade aus.«

»Doch, Eveline, sicherlich, du kannst mir glauben. Habe nun doch ein klein wenig Geduld.«

Eveline drang nicht weiter in die Freundin, aber sie beschloß, die Sache mit Boris Makarow so bald als möglich in Ordnung zu bringen.

Die Mädchen wurden zum Abendessen gerufen. Man aß recht schweigsam seinen Reis mit Hammelfleisch und trank seinen Tee dazu.

Nach dem Abendessen zog sich jeder in sein Zimmer zurück. Christo hatte seiner Frau einen Wink gegeben. Sie folgte ihm bald in sein Kabinett.

»Du willst mich sprechen, Christo?«

»Ja, komm, setze dich.«

Er zündete sich eine Zigarette an. »Wie steht denn nun eigentlich die Sache mit Leda und Herrn von Kaufmann nach deiner Meinung?«

»Ich bin mir immer noch nicht recht klar darüber, Christo. Eveline leugnet, daß Leda sich in ihn verliebt hat, und ich selbst bin auch unsicher geworden.«

Christo nickte befriedigt »Das vereinfacht die Sache wesentlich. Ich habe mit Peter gesprochen. Wir sind damit einverstanden, daß Herr von Kaufmann wieder geht.«

»Mein Gott, Christo, warum auf einmal?«

»Er ist doch wohl nicht der richtige Mann für uns, etwas zu kompliziert, zu undurchsichtig. Auch Peter findet das.«

»Und was wollt ihr tun?«

»Ihm behilflich sein, daß er wegkommt. Er will es ja selbst. Peter fährt nach Berlin und sucht uns einen andern Mann, einen, der etwas zugänglicher ist, etwas weicher und knetbarer.«

»Habt ihr euch das auch reiflich überlegt?«

»Der Krieg dauert doch noch eine ganze Weile. Noch ist es also Zeit, einen Ersatzmann zu suchen. Je länger wir es hinausschieben, um so schwieriger wird es.«

»Denkt denn Peter schon an jemand Bestimmtes?«

»Wir werden uns diesmal nicht auf Herrn von Henningen verlassen, sondern uns selbst umtun. Wir haben jetzt auch so viel Beziehungen nach Berlin, daß es Peter nicht schwer werden wird, den geeigneten Mann zu finden. Früher war das nicht so leicht für uns, aber jetzt geht es ... Du könntest also Katharina unter diesen Umständen wieder abschreiben, scheint mir.«

»Nein, Christo, das werde ich nicht tun. Sie soll hierher, sie soll wieder vernünftig werden, und ich will auch durch sie erfahren, was mit Leda eigentlich los ist. Wenn ihr euch nur nicht verrechnet, Christo.«

Ihr Mann lächelte verschmitzt. »So schnell geht das ja doch nicht mit Herrn von Kaufmann. Man hat immer noch Zeit, wenn die Umstände sich ändern, seine Ansicht ebenfalls zu ändern.«

»Nur keine Brüskierung, Christo!«

»Aber Adda! Wenn er geht, bekommt er sein feierliches Abschiedsessen, seinen Orden, und außerdem ernennen wir ihn noch zum Leutnant bei der Mazedonischen Division. Mit dem General habe ich schon gesprochen. Mehr kann er wirklich nicht verlangen.«

Frau Adda war beruhigt. »Inzwischen können wir ja Boris für alle Fälle wieder ein wenig mehr heranziehen, wenn ich auch nach wie vor der Ansicht bin, die Deutschen müssen uns wichtiger sein, und sie sind auch wertvoller für uns.«

»Derselben Ansicht sind wir ebenfalls, Adda. Wir stimmen also völlig überein.«

»Dann bin ich beruhigt, Christo.«

Eine Weile schwiegen die beiden, dann sagte Christo Serafinow fragend: »Eveline bleibt diesmal etwas reichlich lange, findest du nicht auch?«

»Sie wird bald wieder abreisen.«

»Steckt etwas Besonderes dahinter, daß sie diesmal so lange blieb?«

»Ich glaube nicht, Christo, wenigstens habe ich nichts bemerkt.«

Am andern Morgen verließ Eveline schon vor elf Uhr das Haus und ging der Stadt zu. Als sie Boris Makarow in der Ferne erkannte, womit sie gerechnet hatte, drehte sie sich um und schritt langsam in der Richtung des Borisgartens. Mit der Zeit würde er sie schon bemerken und ihr nachkommen. Darauf verließ sie sich. Sie konnte sich wohl auch darauf verlassen, denn in der Hauptsache war für die jungen Mädchen und die jungen Herren die Straße ja dazu da, um sich zu sprechen.

Ganz langsam pendelte sie dem Borisgarten zu. Deutschen Offizieren begegnete man um diese Zeit nicht. Sie waren noch in ihren verschiedenen Bureaus beschäftigt. Wollte man einen deutschen Offizier treffen, so ging man zwischen 12 und 1 spazieren. Auch nach 5 Uhr nachmittags war die Gelegenheit günstig, wenn auch nicht so sicher wie zwischen 12 und 1.

Eveline sah sich vorsichtig um. Es befanden sich nur wenige Menschen auf der Straße. Wenn Boris nur ein wenig die Augen aufmachte, mußte er sie erkennen.

Sie blieb an dem Denkmal für den ermordeten Minister stehen, tat, als wenn sie an der bulgarischen Aufschrift herumstudierte, und blickte immer wieder vorsichtig nach der Stadt zu, ob die Entfernung zwischen ihr und Boris Makarow kleiner würde, ob er nicht in eine Seitenstraße abbog, ob er sie nicht endlich bemerkte.

Sie ging langsam quer über die Straße. Wenn er überhaupt Augen im Kopf hatte, mußte er sie jetzt erkennen.

Für einen Augenblick sah sie über den Zaun auf das Gelände, auf dem einmal das neue Schloß des Zaren erstehen sollte.

»Also endlich!« seufzte sie erleichtert und schritt etwas eiliger aus.

Bald vernahm sie Sporenklirren hinter sich. Sie ging schneller, immer schneller. Es war besser, er traf sie erst im Borisgarten und nicht schon vorher.

»Guten Morgen, Eveline!«

»Guten Morgen, Boris«, sagte sie ein wenig spöttisch. »Wenn Sie mich so ohne weiteres beim Vornamen nennen, müssen Sie schon erlauben, daß ich dasselbe tue.«

»Sie sind heute wenigstens besserer Laune als neulich?«

»Neulich? Was war denn da?«

»Da haben Sie mir arg den Kopf gewaschen.«

»Heute habe ich keine Lust dazu.«

»Das ist nett von Ihnen.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich hoffe es wenigstens.«

Eveline seufzte. »Heute bin ich elegisch gestimmt.«

»Sie?« Boris machte ein erstauntes Gesicht.

»Jawohl, elegisch, fast tragisch, könnte ich sogar sagen.«

Er sah sie unruhig, fragend an.

»Das ist sozusagen mein letzter Spaziergang hier, ich nehme Abschied von Sofia.«

»Sie wollen schon wieder abreisen?« fragte er erschrocken.

»Schon? Wiederholen Sie das Wörtchen noch einmal, das tut mir gut. Die meisten Leute werden endlich sagen.«

»Das kann Ihr Ernst nicht sein.«

»Was kann mein Ernst nicht sein?«

»Daß Sie Sofia schon wieder verlassen wollen.«

»Meine Eltern schreiben Brandbriefe. Sie behaupten, es nicht länger ohne ihre Älteste aushalten zu können.«

»Das ist doch kein Grund.«

Boris Makarow war immer noch ehrlich erschrocken.

»Jawohl, vielleicht schon in ein, zwei Tagen fliege ich aus, fort, auf Nimmerwiedersehen oder so. Es war doch ganz nett hier.«

»Das erlaube ich einfach nicht, Eveline!« sagte er erregt.

»Fangen Sie schon wieder an, Gospodin, wollen Sie mich schon wieder in Harnisch bringen, wo ich doch heute so milde gestimmt bin und so weich wie Butter?«

»Sie dürfen jetzt noch nicht reisen, Eveline.«

Sie warf den Kopf zurück. »Ich möchte wissen, wer mir das verbieten könnte.«

Er wollte ihr antworten, er selbst würde es ihr verbieten, aber er hatte doch nicht recht den Mut dazu. Das Mädchen war unberechenbar. Auch das reizte ihn maßlos, nicht nur ihre blonde eigenartige Schönheit.

»Ich bitte Sie, reisen Sie jetzt noch nicht ab«, sagte er ganz kleinlaut.

»Es gibt doch auch ohne mich genug junge Damen zum Flirten, warum kaprizieren Sie sich plötzlich auf mich? Schenken Sie zum Beispiel Leda wieder etwas mehr Aufmerksamkeit. Sie werden sehen, wie bald ich vergessen bin.«

»Ich kann das nicht mehr, Eveline, ich liebe Sie!«

»So plötzlich?«

»Sie wissen ganz gut, daß es sich anders verhält.«

»Ich fürchte, Gospodin, Sie verwechseln immer noch Flirt und Liebe. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich beides trenne.«

»Ich auch, Eveline!«

Sie waren bis jetzt beide sehr schnell gegangen. Nun verlangsamten sie ihre Schritte, denn sie hatten den Borisgarten schon durchquert. Sie bogen nach links ab zu der Landstraße.

»Sie haben mich rasend gemacht in der letzten Zeit, Eveline«, stammelte Boris.

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Sie haben mit Herrn von Kaufmann geflirtet.«

»Wollen Sie mir das verbieten?«

»Ich kann es leider nicht.«

»Also sehen Sie!«

»Aber ich kann es nicht verhindern, daß ich rasend darüber bin.«

»Gekränkte Eitelkeit, nichts weiter.«

»Es ist nicht wahr, Sie verhöhnen mich.«

»Mit Absicht gewiß nicht. Wenn Sie es so empfinden, Gospodin, dann beweist es nur, daß Sie selbst ein schlechtes Gewissen haben.«

»Das habe ich auch, Eveline, weil ich ein Bruder Leichtfuß war, so daß Sie mich einfach nicht ernst nehmen. Das ist die Strafe dafür, eine wohlverdiente Strafe dafür, das muß ich zugeben.«

Eveline lächelte. »Der erste Schritt zur Besserung.«

»Ich bereue es, Eveline, ich werde es nicht mehr tun, Sie dürfen sich darauf verlassen.«

Im Augenblick ist er wirklich um den Finger zu wickeln, dachte sie befriedigt

»Wenn Sie mir nur ein klein wenig wohlgesinnt wären«, stammelte er.

»Warum soll ich das nicht sein einem reuigen Sünder gegenüber, das ist sogar der liebe Gott.«

Sie wandte sich um nach der Stadt.

»Könnten wir nicht noch ein bißchen weitergehen? Ich bitte Sie darum.«

»Ich denke, wir sind schon weit genug gegangen, und wenn Sie noch mehr zu sagen haben, es ist ja noch ein ganzes Stück Weges, bis ich wieder in der Schipkastraße bin.«

»Ich habe Ihnen soviel zu sagen!«

Eveline lächelte. »Ich höre.«

»Wir leben leider nicht in so glänzenden Vermögensverhältnissen, wie es den Außenstehenden vielleicht scheint.«

»Das interessiert mich nicht.«

»Was interessiert Sie denn?« brauste er auf.

Sie schwieg.

»Verzeihen Sie, das Temperament geht immer wieder mit mir durch. Wenn ich heftig werde, werden Sie spöttisch, und dann kommen wir nicht weiter.«

»Das ist sehr richtig beobachtet, Gospodin.«

Er trat dicht an sie heran und wollte sie an sich ziehen.

»Halt, Gospodin, das gibt es nicht, am wenigsten auf offener Landstraße. Was unterstehen Sie sich?«

Er ging wieder kleinlaut neben ihr her.

»Darf ich Sie nach Konstantinopel begleiten, Eveline?«

Sie schwieg.

»Ich führe so gern mit Ihnen, wenn Sie mir die Erlaubnis gäben.«

»Diese Erlaubnis gebe ich Ihnen nicht«, sagte sie energisch.

»Ich kann doch zufällig mit demselben Balkanzug nach Konstantinopel reisen.«

»Solche Zufälle mag ich nicht, Gospodin.«

»Dann erlauben Sie wenigstens, daß ich in aller Kürze nach Konstantinopel fahre.«

Sie sah ihn schalkhaft an. »Was hab' ich da zu erlauben, ich habe keinen Einfluß auf die Benutzung der Eisenbahn.«

»Erlauben Sie, daß ich in Konstantinopel Ihren Eltern meine Aufwartung mache?«

Sie gab ihm die Hand und drückte sie fest und ehrlich. »Das will ich Ihnen gern erlauben, Boris.«

»Eveline!«

Er hätte sie am liebsten in die Arme geschlossen, aber sie waren ja schon dicht bei der Brücke mit dem Gendarmen, der nach ihnen sah. Da ging es nicht.

Als sie die Brücke passiert hatten, bettelte er: »Einen Kuß, einen einzigen Kuß!«

»Aber Boris! Sind Sie nicht ganz gescheit, hier auf offener Straße? Gehen Sie jetzt, Boris, und wenn Sie wirklich nach Konstantinopel kommen, wollen wir weiter sehen.« Sie hielt ihm ihre Hand hin, die er küßte, heiß und leidenschaftlich.

»Trennen Sie sich, Boris, es hilft alles nichts!«

»Auf Wiedersehen!«

Er stürzte fort.

Er ist wirklich ehrlich verliebt in mich, dachte Eveline, winkte ihm zu, und eine wohlige Wärme legte sich um ihr Herz.


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