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XI.

Die ganze Stadt prangte in Flaggenschmuck. Kaum ein Haus, aus dem nicht mindestens eine Fahne hing. Die deutschen Farben und das bulgarische Weiß-grün-rot überwogen. Das Gebäude des bulgarischen Kriegsministeriums, das »Deutsche Haus« und das »Hotel Bulgarie« waren am reichsten mit allen Fahnen der verbündeten Mächte in allen Größen versehen. Aber auch das kleinste düstere Lädchen hatte mindestens eine kleine Papierfahne in den bulgarischen Farben herausgesteckt.

Ein leichter Wind wehte, so daß all das Bunte an den Häusern lustig hin und her flatterte.

Durch die Straßen zogen junge bulgarische Regimenter und sangen ihre schönen, frischen Lieder.

Es folgten Schüler in ihren grünen Mützen, nach Klassen geordnet, mit Fähnchen geschmückt. Alle Augenblicke schrien sie hurra und schwenkten die grünen Mützen.

Vereine zogen auf in Sonntagsröcken. Ihre Banner wehten stolz im Winde. Musikkapellen schritten voran und spielten die Nationalhymnen der Verbündeten, bulgarische und deutsche Volkslieder.

Alle Fußsteige waren schwarz von fröhlichen, lachenden Menschen. In Trupps zog man zum Ministerrat und brachte dem Ministerpräsidenten Ovationen dar. Er erschien am Fenster seines Arbeitszimmers, lehnte sich breit und behäbig in das Fenster, strich sich wohlgefällig den weißen Bart und hielt eine kleine Ansprache, die mit Hochrufen und Beifallsklatschen erwidert wurde.

Andere Trupps zogen vor das Kriegsministerium und brachten immer wieder mit Hurra ein Hoch auf die Armee aus.

Wieder andere ballten sich auf dem geräumigen Alexanderplatz vor dem »Deutschen Haus« zusammen und jubelten allem, das deutsche Uniform trug, begeistert zu.

Die sonst so ruhigen und gemessenen Bulgaren waren äußerst lebhaft und enthusiastisch gestimmt.

Immer größer, bunter wurde die Menge auf den Straßen. Von allen Seiten her hörte man singen und hurra rufen.

Plötzlich kam Ordnung in die Menge. Auf dem Alexanderplatz reihten sich die Menschen aneinander, und von allen Seitenstraßen strömten sie herbei, sich anzuschließen.

Vor dem Zarenschloß wurde die bulgarische National-Hymne gespielt und gesungen. Dann bog der Zug in die Zar-Befreier-Straße ein. Alles, was auf dem Fußsteig war, schloß sich an. Nun wußte auch schon jedermann, wohin der Zug sich wenden wollte: nach der deutschen Gesandtschaft. Tausende und aber Tausende schlossen sich zusammen und marschierten in langen Reihen an dem Denkmal des Zarbefreiers vorbei, ohne es zu beachten, um dem Deutschen Reich vor seiner Gesandtschaft für die Siege über Brussilow zu danken und zu huldigen.

Es herrschte ein Jubel und eine Begeisterung wie an dem Tage, da Nisch gefallen war.

Die Menge zog nach ihrer Huldigung vor der deutschen Gesandtschaft, einem größeren Privathaus, das recht bescheiden in seinem Gärtchen lag, zur österreichisch-ungarischen Gesandtschaft, einem recht stattlichen und imposanten Bau, um auch Österreich-Ungarn zu huldigen.

»Jetzt ist der Krieg für uns so gut wie zu Ende,« meinte einer, »nun können unsere Truppen bald wieder nach Hause gehn.«

»Und die Engländer und Franzosen bei Bitolja?« warf ein Skeptiker ein.

»Ach was, die werden nun nach Frankreich zurück müssen, wenn die große deutsche Offensive im Westen kommt, die nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.«

Der Legationsrat schloß ein Fenster und wandte sich an einen jüngeren Kollegen: »Nun hat der Ministerpräsident wieder Oberwasser, jetzt kann ihm so leicht nichts mehr geschehen.«

Der jüngere Herr antwortete skeptisch: »Wer weiß, wie's übermorgen ist. Vielleicht geht ihnen da schon wieder was gegen den Strich. Es ist ja ein unberechenbares Volk hier.«

»Die Stimmung in Berlin wird mindestens so begeistert sein wie hier,« sagte Peter Karakinow zu Christo Serafinow, »mit dem nächsten Balkanzug reise ich nach Berlin. Man muß die günstige Stimmung ausnutzen.«

»Und wegen des Herrn von Kaufmann wirst du dich auch umtun?

»Selbstverständlich. Er ist uns nützlich gewesen, wir werden ihm auch nützlich sein, zumal Adda ja noch ein besonderes Interesse daran hat.«

»Ich eigentlich auch,« sagte Christo Serafinow, »mit Makarow ist es nicht mehr viel, er wird wohl demnächst völlig von der Bildfläche verschwinden.«

»Der Alte kann lachen«, meinte Peter, »er hat wirklich Glück, das muß ihm sehr gelegen kommen. Jetzt muß die Opposition für eine Weile wieder den Mund halten.«

»Er lacht auch, er schmunzelt über das ganze Gesicht«, sagte Christo und schmunzelte ebenfalls. »Er hat wirklich eine glückliche Hand.«

»Das hat er immer gehabt, und deshalb halten wir ja auch zu ihm. In ein größeres Geschäft nehme ich auch keinen Direktor, von dem die Sage geht, daß er ein Pechvogel ist, er mag sonst noch so tüchtig sein.«

Leutnant von Hungen, der sich den Straßenbetrieb von einem Fenster im »Deutschen Haus« mit ansah, sagte zu dem Kameraden Peters: »Heute ist es hier wirklich mal ein Vergnügen, Deutscher zu sein. Für gewöhnlich kann man das nicht behaupten.«

»Nur scheußlich, daß man nicht mit dabei ist im Osten«, lautete die Antwort. »Hier wird man der reine Schreiber.«

Nur in der kleinen Konditorei neben dem bulgarischen Offizierskasino herrschte kein Jubel, keine Begeisterung, sondern eine unbehagliche und gedrückte Stimmung.

Drei Sobranjemitglieder von der Opposition schlürften hier ihren türkischen Kaffee und steckten die Köpfe zusammen und tuschelten miteinander.

»Wenn das so weitergeht, sind wir verloren.«

»Sie werden zu mächtig, die Deutschen, viel zu mächtig.«

»Dann kommen wir vom Regen in die Traufe.«

»Es wird noch schlimmer werden als mit Rußland.«

»Die Russen waren wenigstens weitherzig, und mit dem Rubel war immer wieder was zu machen.«

»Das gibt es bei den Deutschen nicht.«

»Das ist ja das Unglück.«

»Und dann die deutsche Industrie, erdrücken wird sie uns, Hören und Sehen wird uns vergehen. Sie wird sich auf uns stürzen wie ein hungriger Wolf mit ihrer Riesenorganisation und ihren billigen Preisen.«

Boris Makarow trat in die Konditorei. Da saßen die drei, die er suchte. Er setzte sich zu ihnen.

»Das kann gut werden jetzt.«

»Es ist eine große Gefahr für uns.«

»Schon jetzt springen sie mit unseren Eisenbahnen um, als gehörten sie ihnen.«

»Der Alte gibt ihnen viel zu viel nach. Man muß ein Ende damit machen.«

»Wenn wir die Stambulowisten abspenstig machen können, hätte er nicht mehr die Mehrheit.«

»Die fürchten ja nur Rußland»«

»Aber jetzt ist es doch vorbei damit, jetzt braucht man doch Rußland nicht mehr zu fürchten, jetzt sollten wir ganz jemand andern fürchten und auf der Hut vor ihm sein.«

So tuschelten sie und schüttelten sorgenvoll die Köpfe und vergaßen ganz, in was für einer Lage sie sich befänden ohne die Deutschen, und wußten immer noch nicht, daß die Deutschen ja ein unpolitisches Volk sind, daß sie gar nicht daran denken, militärische Vorteile entsprechend auszunutzen. Freilich war ihnen das als Bulgaren so unverständlich, daß sie hinter diesen Mangel der Deutschen, der ihnen bekannt genug war, immer noch irgendeine ganz besondere List und Verschlagenheit witterten, der sie nur noch nicht auf die Spur gekommen waren.

Das Volk auf der Straße aber jubelte und sang weiter, bis es dunkel wurde. Dann ging es nach Hause oder postierte sich in die Nähe des bulgarischen Offizierskasinos, wo ein Festessen stattfand zu Ehren der Siege, an dem die Spitzen sämtlicher verbündeter Behörden teilnahmen.

Auch im »Hotel Bulgarie« ging es lustig und lebhaft zu, und wer sich nicht einen Tisch vorausbestellt hatte oder nach halb acht Uhr abends erschien, fand keinen Platz mehr.

Wer nicht zu den Spitzen der Behörden gehörte, der feierte hier.

Auch Boris Makarow erschien mit zwei Herren und zwei Damen von der Opposition.

»Er ist wirklich ein dummer Kerl«, sagte Peter Karakinow zu Friedrich Franz von Kaufmann. »Er bildet sich ein, weil er sich mit der Opposition zusammensetzt, könne er die Regierung ärgern oder schrecken, daß sie vielleicht doch noch ein gutes Wort für seinen Vater einlegt Zu dumm!«

Friedrich Franz antwortete darauf nicht. Er war verstimmt, er hatte durchaus nicht die Einladung Peter Karakinows zu heute abend annehmen wollen. Aber dieser Mazedonier ließ, sich durch nichts abschrecken, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er hatte tausend Ausflüchte gemacht, aber es hatte ihm nichts geholfen. Nachgerade sprang Peter Karakinow etwas gar zu selbstherrisch und kordial mit ihm um. Aber er war ja nicht zu seinem Privatvergnügen hier, er mußte auf den für ihn so wichtigen Mann alle nur mögliche Rücksicht nehmen, was dieser allmählich doch etwas sehr auszubeuten begann.

Peter Karakinow hatte ihm in Aussicht gestellt, daß auch Eveline und Leda erscheinen würden. Die Mädchen kämen so selten hierher, daß ihnen eine kleine Abwechslung zu gönnen sei.

Nun hatte sich Friedrich Franz erst recht gesträubt und zur Wehr gesetzt. Dann aber war ihm eingefallen, daß Leda das auch falsch auslegen könne, daß sie sich womöglich einbilde, er leide unter dem Zerwürfnis. Das wollte er denn doch nicht; und außerdem ließ es sich in der kleinen Stadt überhaupt nicht vermeiden, daß er hier und da auf Gesellschaften und bei Tees mit ihr zusammentraf, solange ihn seine Mission noch an Sofia fesselte.

Der Saal füllte sich immer mehr mit verbündeten Offizieren, für die quer durch den ganzen Raum eine gemeinsame Tafel gedeckt war, auf der Fähnchen in den Farben der Verbündeten standen.

Auch Zivilisten fanden sich ein, ein paar Bankdirektoren, viele Tabakhändler und verschiedene Parlamentarier, aber nur wenige hatten ihre Damen mitgebracht. Dazu waren die meisten dieser Leute doch noch zu sehr an die orientalischen Sitten gewöhnt.

Endlich erschien auch Radschi Petrow mit seiner Schwester, mit Eveline und Leda. Man begrüßte sich und setzte sich. Leda und Friedrich Franz hatten es vermieden, sich die Hand zu geben. Kaum saßen sie, stürzten sie fast gleichzeitig ein Glas Sekt herunter.

Eveline lachte. »Das fängt ja gut an. Hast du es so eilig, in Stimmung zu kommen, Leda? Sind Sie sowenig in Stimmung, Herr von Kaufmann, daß Sie mit Sekt aufhelfen müssen?«

»Herr von Kaufmann fühlt sich nicht ganz wohl«, sagte Peter Karakinow. »Um so freundlicher von ihm, daß er doch erschienen ist.«

Die Musik, die in einem kleinen Nebenraum untergebracht war, intonierte die bulgarische Nationalhymne, alles erhob sich und sang mit: »Schäume Maritza!«

Mit ehrlicher Begeisterung wurde es an diesem Tag zu dieser Stunde von allen gesungen.

Leda saß an der einen Schmalseite des Tisches, zu ihrer Linken Onkel Peter, neben diesem Eveline. Leda gegenüber saß Radschi Petrow, ihr zur Rechten Maria und neben ihr Friedrich Franz, so daß Leda und Friedrich Franz wenigstens aneinander vorbeisehen konnten.

Eigentlich hatte Peter Karakinow Leda und Herrn von Kaufmann nebeneinandersetzen wollen, aber jetzt mochte er die improvisierte Tischordnung nicht wieder umändern, zumal die beiden böse miteinander zu sein schienen, denn sie sahen sich nicht an und sprachen auch nicht direkt miteinander. Nicht einmal die Hand hatten sie sich vorhin gereicht Vermutlich hatten sie sich über irgend etwas gezankt. Man sah darüber hinweg, dann verging es am schnellsten wieder.

Was der brave Onkel wohl für ein Gesicht machen würde, wenn ich ihm jetzt erzählte, wie seine Nichte versucht hat, mich auszuholen? Lieber nicht, die Sache ist erledigt und abgetan.

»Leda, schau, da sitzt ja auch Boris und macht sein finsterstes Gesicht«, flüsterte Eveline lächelnd.

Maria sah unter sich, Friedrich Franz glaubte zu bemerken, daß Leda diesem Boris einen freundlichen Blick zuwarf. Nun war er wohl wieder gut genug für sie; aber wenn sie glauben sollte, daß ihn das ärgerte, irrte sie sich.

»Erheben wir unsere Gläser und trinken wir auf Hindenburg!« sagte Peter Karakinow.

Wie geschmacklos, dachte Friedrich Franz, wir haben hier leicht Sekt trinken und Hindenburg leben lassen. Man stieß an, und Friedrich Franz konnte sich dem nicht entziehen, sogar mit Leda stieß er an, wenn er auch eine Leichenbittermiene dazu machte.

Eveline sah verwundert von Leda zu Friedrich Franz. Was hatten die beiden?

»Da ist ja auch der kleine hübsche Gonthard, Maria. Was er ein Gesicht macht, daß er nicht bei dir sitzen darf.« Leda nickte dem Leutnant zu, der aufsprang, die Hacken zusammenschlug und sein Glas leerte, als habe ihm ein Vorgesetzter zugetrunken.

»Soviel hübsche junge Leutnants habe ich lange nicht mehr auf einem Haufen zusammen gesehen«, stellte Eveline mit Vergnügen und Genugtuung fest.

»Schade, daß wir nach dem Essen nicht tanzen können.«

»Das ist eine Idee,« meinte Radschi, »darüber wird sich nachher noch reden lassen.«

Die Suppe wurde gereicht. Leda nahm nur einen Löffel voll. Friedrich Franz leerte schon um deswillen den ganzen Teller. Sie sollte nur nicht glauben, daß ihm der Appetit vergangen wäre.

Niemand sprach in dem ganzen Saal. Man hörte nur das Klappern der Löffel.

Peter Karakinow wischte sich den Mund und sagte: »Im Frieden war es auch besser hier.«

»Das dürfte wohl auf der ganzen Welt jetzt so sein«, meinte Radschi.

»Man hungert sich gegenseitig aus«, sagte Friedrich Franz.

Donaustör wurde serviert.

Eveline lachte. »Zum Verhungern ist es noch lange nicht, wie ich sehe.«

»Wenn man so denkt, wir essen und trinken, was mögen die Soldaten jetzt anfangen?«

»Nur nicht sentimental, Maria,« erwiderte ihr Bruder, »ich will dir ganz genau sagen, was die jetzt machen: sie essen und trinken nämlich auch.«

»Gar mancher von ihnen nicht mehr.«

»Mein Gott, Maria, verdirb uns nicht den Appetit«, sagte Eveline.

»Mit der Zeit verroht so ein Krieg doch furchtbar«, meinte Leda.

»Und ein langer Friede?« warf Peter Karakinow ein.

»Wir hierzulande können das doch gar nicht beurteilen,« erwiderte Leda, »wir haben ja eigentlich immer Krieg.«

»Ganz merkwürdig werdet ihr euch vorkommen,« sagte Eveline, »wenn dieser Krieg mal zu Ende ist und ihr alles habt, was ihr wollt. Was werdet ihr dann anfangen?«

»Erstens haben wir noch gar nicht alles, was wir wollen«, bemerkte Peter.

»Und zweitens werden wir es auch gar nicht kriegen«, sagte Radschi.

»Wie kommst du darauf?« fragte Maria verwundert.

»Weil sonst unsere Nachbarn bei nächster Gelegenheit wieder Krieg anfangen würden.«

»Und wenn ihr wirklich nicht alles bekommt?« fragte Eveline.

»Dann fangen wir wieder bei nächster Gelegenheit Krieg an«, bemerkte Peter Karakinow trocken.

»Also, die Schlange, die sich in den Schwanz beißt«, meinte Friedrich Franz.

»Wissen Sie einen Ausweg? Ich nicht«, sagte Peter.

»Aber einmal muß das doch aufhören!« rief Eveline.

»Solange die Menschen nicht anders werden, wird es nie aufhören«, bemerkte Radschi mit weisem Gesicht.

»Wozu denn aber das alles, der Mord, der Totschlag, der Jammer?« rief Leda.

»Wenn wir das wüßten!« Peter Karakinow nahm sich noch ein saftiges Stück von dem Stör. »Er ist wirklich delikat.«

»Höre auf!« rief Leda und legte ihre Serviette mit einem Ausdruck des Widerwillens beiseite.

»Kind, seit wann hast du Nerven?« fragte der Onkel verwundert.

Nun nahm sich auch Friedrich Franz noch ein großes Stück Fisch. An dem Tisch der Offiziere wurde an ein Glas geklopft. Alles sah hin. Ein bulgarischer Oberst erhob sich und brachte einen Toast auf die heldenhafte verbündete deutsche Armee aus in allen Wendungen, wie sie nun schon bei jeder solchen Gelegenheit gang und gäbe waren. Er sprach französisch, damit ihn alle verstehen konnten.

Ein dreimaliges schneidiges Hurra kam aus vielen Soldatenkehlen, die Gläser klangen aneinander, die Deutschen schüttelten dem Obersten die Hand, und neue Teller wurden gereicht für den folgenden Gang.

Leda seufzte. »Es ist immer dasselbe. Wenn man nur endlich einmal andere Worte zu hören bekäme.«

»So reich ist keine Sprache, um das nach einem dreijährigen Krieg noch zustande zu bringen«, meinte Friedrich Franz spöttisch.

»Dann wäre es besser, man hielte überhaupt den Mund.«

»Bringen Sie das mal den Menschen bei, schweigen lernen! Das geht über die Kraft, besonders wenn es ist wie hier, wo man hübsch im trockenen sitzt und sich feiern läßt für Taten, die andere getan haben.«

»So geht das aber nicht weiter, wir verderben uns den ganzen schönen Abend«, protestierte Peter Karakinow und sah nach der Speisenfolge. »Zum Hammelbraten bitte ich um ein anderes Gespräch.«

Alle lachten, nur Leda und Friedrich Franz verzogen keine Miene. Der Hammel wurde herumgereicht. Kaum war er verzehrt, so toastete ein deutscher Offizier auf die heldenhafte verbündete bulgarische Armee. Ein dreimaliges schneidiges Hurra kam aus vielen Soldatenkehlen, die Gläser klangen aneinander, die Bulgaren schüttelten dem deutschen Offizier die Hand, und neue Teller wurden gereicht für die gebratenen jungen Hühner, die jetzt folgten. Eveline flüsterte: »Schaut euch die österreichischen Offiziere an, was sie für Gesichter machen.«

»Nur keine Angst, die bekommen auch noch ihren Toast«, sagte Radschi.

»Und die Türken?« warf Eveline ein, »gehen die leer aus?«

»Mit diesem Sieg haben sie nun wirklich nichts zu tun, gnädiges Fräulein«, meinte Radschi lächelnd.

»Aber ohne die Türken wären die Russen schon seit einem Jahr in Bulgarien.«

»Und ohne die Bulgaren die Engländer längst in Konstantinopel«, sagte Radschi.

»Nun, und ohne die Deutschen?« fragte Maria.

Alle lachten.

Nach dem Huhn bekamen auch die Österreicher ihren Toast und wurden wieder lustig und guter Dinge, zumal die Musik jetzt fröhliche Wiener Walzer zu spielen begann.

Häufiger klangen die Gläser zusammen, das Stimmengewirr wurde lauter, hie und da zündete man sich eine Zigarette an, obwohl der Nachtisch noch nicht serviert war; und einige Herren hatten schon recht rote Köpfe, teils vom Wein, teils von der Wärme, die sich im ganzen Saal immer mehr bemerkbar machte.

Boris Makarow scheint Leda immer noch anzustieren, dachte Friedrich Franz, der zwar mit dem Rücken zu ihm saß, aber das Gefühl hatte, weil Ledas Blicke immer wieder zu jenem Tisch in seinem Rücken gezogen wurden, an dem Boris saß.

Peter Karakinow bot Friedrich Franz und Radschi Zigarren an. Radschi nahm eine von den dicken Upmanns, mit denen Peter gern ein wenig prahlte, denn außer ihm besaß wohl schwerlich noch ein Mensch in Sofia solche Zigarren, ein Geschenk aus Berlin.

Friedrich Franz dankte und zog sein Zigarettenetui. Er bot Maria und Eveline an und mußte nun auch Leda anbieten. Maria und Eveline griffen zu, Leda dankte.

»Aber du rauchst doch sonst so gern?«

»Ich habe im Augenblick noch keine Lust, Eveline.«

»Sonderbar, wir rauchen jetzt mit Vorliebe Zigarren und Sie Zigaretten«, wandte sich Radschi an Friedrich Franz. »Früher gab es unter uns fast gar seine Zigarrenraucher.«

»Den deutschfreundlichen Bulgaren erkennt man jetzt schon sicherer als an deutschfreundlichen Worten daran, daß er Zigarren bevorzugt«, meinte Peter Karakonow lächelnd.

»Und bei den Deutschen verhält es sich mit der Zigarette fast ebenso«, sagte Radschi.

»Bei mit stimmt es leider nicht ganz, denn ich war von jeher ein leidenschaftlicher Zigarettenraucher«, erwiderte Friedrich Franz.

»Immer noch Kopfschmerzen?« fragte Maria teilnehmend.

»Mein Gott, warum soll ich in diesem Falle nicht die Wahrheit sagen, mein gnädiges Fräulein.«

»Das bezieht sich wohl nur auf Zigarren und Zigaretten?« fragte Leda spitz.

Es war das erstemal, daß sie sich direkt an Friedrich Franz wandte.

»Nicht daß ich wüßte, mein gnädiges Fräulein, es bezieht sich auf gar viele Dinge. Oder haben Sie, was die Wahrheit anlangt, bei mir schon schlechte Erfahrungen gemacht, außer wenn es sich um Zigarren und Zigaretten handelt?«

Sie warf ihm einen zornigen Blick zu, schwieg aber. Ihre Augen waren Friedrich Franz noch nie so schwarz vorgekommen.

Eveline rief: »Herrschaften, seht euch um, alles lacht und scherzt und trinkt und amüsiert sich. Das wollen wir doch endlich auch tun.«

Boris Makarow ging vorbei, Eveline hielt ihn an, nach wenigen Augenblicken saß er an Peter Karakinows Tisch, Eveline hatte ihn einfach aufgefordert, Platz zu nehmen.

Nun hielt es auch Leutnant Gonthard nicht mehr länger aus. Sobald es sich irgend machen ließ, als die Kameraden beim Café turque saßen, erhob er sich, die Damen zu begrüßen.

Auch ihn forderte Eveline auf, Platz zu nehmen, was er sich nicht zweimal sagen ließ.

»Rücken wir noch unseren Tisch heran«, schlug Boris vor, denn die beiden Herren von der Opposition mit ihren Damen hatten sich inzwischen zu anderen Bekannten gesetzt.

Gonthard und Boris schoben den Nachbartisch herbei, und nun ergab es sich ganz zufällig, daß Friedrich Franz neben Leda zu sitzen kam. Eveline und Maria hatten es so arrangiert. Wenn die beiden schlechter Laune bleiben wollten, mochten sie das miteinander ausmachen.

Auch Oberleutnant von Hungen und Leutnant Peters begrüßten die Damen. Da die meisten Leute im Saal einander kannten und sich sowieso jede Woche immer wieder bei Tees oder Gesellschaften trafen, saß man bald auch hier im Hotel zusammen wie in einer Gesellschaft oder bei einem Tee.

»Tanzen wollen wir«, schlug Eveline von neuem vor.

»Aber um halb eins ist Polizeistunde«, warf Maria ein.

»Ach was, darum werden wir uns heute nicht kümmern«, meinte Radschi.

Radschi Petrow sprach mit dem bulgarischen Oberst, der einverstanden war. Nun mußte natürlich auch der älteste der anwesenden deutschen Offiziere sich einverstanden erklären. Die österreichischen Herren fragte man gar nicht erst lange, denn sie waren ja stets für derlei zu haben.

Die Herren, die nicht tanzen wollten, zogen sich an einige Tische an den Wänden zurück, die Kellner beseitigten die lange Tafel, die mitten durch den Saal ging, nun war Platz zum Tanzen, und die Musik stellte sich in der Tür auf und spielte einen Walzer.

»So ein improvisiertes Tanzvergnügen ist doch das schönste«, strahlte Leutnant Gonthard und bot Maria den Arm. Boris wählte Eveline. Sogar die Damen von der Opposition ließen sich nicht lange bitten und tanzten mit.

»Und ihr zwei beide?« fragte Peter Karakinow und sah Leda und Friedrich Franz an.

Friedrich Franz erhob sich, aber Leda sagte: »Danke, ich habe noch keine Lust zu tanzen.«

Da setzte sich Friedrich Franz wieder und schwor sich, nie wieder nachgiebig zu sein.

Jeder war mit sich selbst beschäftigt, niemand achtete weiter auf die zwei, die am Tisch sitzenblieben.

»Du bist direkt unhöflich«, flüsterte Peter Karakinow ärgerlich seiner Nichte zu.

Leda tat, als hörte sie das gar nicht.

Beider Füße unter dem Tisch warteten, ob sie nicht einander näher kämen.

Aber sie warteten vergeblich.

Friedrich Franz erhob sich, dankte Peter Karakinow für den schönen Abend, entschuldigte sich mit Kopfschmerzen, die ihn so heftig plagten, daß er das Vergnügen nur stören würde, und empfahl sich.

»Was fällt dir eigentlich ein?« sagte der Onkel heftig, als Friedrich Franz den Saal verlassen hatte.

»Wieso?« fragte sie kühl.

»Dein unartiges Betragen hat ihn gekränkt.«

»Ich brauche doch nicht zu tanzen, wenn ich keine Lust habe. Ich bin von dir zum Abendessen gebeten worden, aber nicht zu einem Tanzvergnügen.«

»Du hast ihn beleidigt!«

»Bah!« sagte Leda, nichts weiter.

»Er fordert dich auf ...«

»Das war gar nicht ernst gemeint«, fiel Leda ein.

Der Onkel sah sie verblüfft an. »Das verstehe ich nicht.«

»Was bleibt ihm denn anders übrig, wenn ich allein noch am Tisch sitze?« erklärte Leda heftig. »Wenn er mich zuerst aufgefordert hätte, gut, aber wenn er bis zuletzt wartet, bis es gar nicht mehr anders geht, als daß er mich auffordert, ich danke!«

»Jedenfalls bitte ich mir ein für allemal mehr Rücksicht auf meine Gäste aus«, erklärte der Onkel energisch.

»Du brauchst mich ja nicht mehr einzuladen, wenn du diesen Gast hast.«

»Aber Herr von Kaufmann bedeutet für uns doch mehr als irgendein x-beliebiger Gast!« fuhr der Onkel auf. »Das weißt du so gut wie ich.«

»Davon weiß ich gar nichts, und wenn ich etwas davon weiß, so geht es mich nichts an, gar nichts geht es mich an.«

Die beiden redeten sich immer mehr in Zorn.

»Wir sind Mazedonier, du bist Mazedonierin, wir haben alles Interesse daran, Herrn von Kaufmann nicht unnütz zu brüskieren.«

Leda lachte spöttisch. »Weil ihr ihm auch ohnedies das Leben schon sauer genug gemacht, nicht wahr?«

»Was ist denn heute in dich gefahren?« entfuhr es dem Onkel.

»Ich will mit all euern Geschichten nichts mehr zu tun haben. Eure Politik interessiert mich nicht, gar nicht, es ist mir ganz egal, ganz gleichgültig ist es mir, was ihr mit Herrn von Kaufmann vorhabt. Mich laßt wenigstens aus dem Spiel!«

Peter Karakinow war einen Augenblick sprachlos vor Verwunderung. Was war denn plötzlich in das Mädchen gefahren? Das wäre ja noch schöner, wenn sie seine und ihrer Eltern Pläne stören wollte.

»Wissen deine Eltern von dieser neuen Auffassung?« fragte er nach einer Weile.

»Du kannst es ihnen ja sagen, wenn dir soviel daran liegt, Onkel.«

»Das werde ich auch, darauf kannst du dich verlassen, und ich glaube nicht, daß sie sehr erfreut sein werden, aber ich hoffe, du hast auch nur Kopfschmerzen, und morgen bist du wieder vernünftig genug, um einzusehen, daß es sich für dich nicht gehört, unsere Pläne zu stören.«

»Was für Pläne?« Zornbebend sah sie ihm in die Augen. Er sollte es nur wagen, noch ein Wort weiter zu sagen.

Aber der Onkel tat das nicht, er zuckte die Achseln. »Du bist schlechter Laune heute, ein andermal mehr davon ...«

Friedrich Franz war auf sein Zimmer gegangen und lief erregt auf und ab.

»Diese verdammte Musik! Sogar hier höre ich sie noch!«

Er ballte die Fäuste und schüttelte sie gegen den Saal in ohnmächtigem Zorn.

Aber lange litt es ihn nicht in seinem Zimmer bei den einschmeichelnden Tanzmelodien, gegen die er sein Ohr nicht verstopfen konnte.

Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf.

Leise schlich er sich eine Hintertreppe hinunter, die zu einer Tür mit Glasscheiben führte, durch die er unauffällig in den Saal blicken konnte.

Vorsichtig sah er in den Saal. Leda tanzte mit Boris. Sie lachte sogar und war fröhlich und guter Dinge. Sie war froh, ihn los zu sein. Was sollte er ihr auch noch. Sie hatte ihn falsch eingeschätzt, er war für ihre Zwecke nicht mehr zu brauchen, also fort mit Schaden!

Leise schlich er die Hintertreppe wieder hinauf und verließ durch den Vordereingang das Hotel.

Ich werde in Berlin um eine anderweitige Verwendung bitten, und zwar sofort, dachte er. Hier bleibe ich nicht einen Tag länger, als ich muß. Ich werde es denen in Berlin suggerieren, daß ich irgendwo in Asien besser zu brauchen bin, notwendiger bin als hier. Hier ist sowieso nichts mehr los, und die Mazedonier bei guter Laune erhalten, das kann ein anderer gerade so gut wie ich, wahrscheinlich viel besser.

Er kehrte ins Hotel zurück und setzte sofort einen Brief nach Berlin auf. Nur ab und zu griff er sich an die Brust, nach dem unruhig pochenden Herzen. Diese verdammte Musik, die immer noch von unten zu hören war. Wollte sie denn überhaupt nicht aufhören?


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