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I.

Das »Herein« des Gastes, vor dem sich der Pikkolo sowieso schon ein wenig ängstigte, klang so laut und energisch, daß der Kleine fast ins Zimmer fiel.

Der Pikkolo sprach kein Deutsch, was ihn erst recht verlegen machte. Er stammelte unter vielen Gesten: » Gospoda, avtomobil tuka!«

» Dobré, dobré!« rief Friedrich Franz, zum Ausgehen bereit.

Der Pikkolo verschwand. Friedrich Franz warf durchs Fenster noch einen Blick auf den klaren, hellblauen Himmel, der einen guten Jagdtag verhieß, griff zur Büchse und lächelte in sich hinein.

Gestern abend nach dem Festessen hatte es ein gewaltiges Trinken gegeben. Die Mazedonier hatten dem Deutschen dadurch offenbar gefallen wollen. Infolge des Trinkens war es zu ungewöhnlichen Offenherzigkeiten gekommen. Peter Karakinow hatte ihn in eine Ecke gezogen und mit ein wenig schwerer Zunge zu erklären versucht, es sei doch noch nicht so ganz sicher, ob das Auto für den Jagdausflug heute zur Verfügung stehen würde. Es sei in der Nacht, so gegen Morgen, mit seiner Hilfe zuvor noch ein dringendes Geschäft zu erledigen, von dem man nicht voraussagen könne, wieviel Zeit es in Anspruch nähme. Auch handle es sich um eine nicht ganz einfache Arbeit, die den Chauffeur vielleicht etwas überanstrenge. Weitere Andeutungen, wenn sie auch mit einiger Zurückhaltung gemacht wurden, ließen Friedrich Franz vermuten, es handle sich darum, einen mazedonischen Feind noch in dieser Nacht zu beseitigen. Man wollte ihn vermutlich in dem Auto an irgendeinen entlegenen Ort bringen und den Mann dort stumm machen.

Nun war das Auto doch zur Stelle. Vielleicht hatte man die Beseitigung des Menschen verschoben? Friedrich Franz gestand sich, daß ihm das recht sympathisch gewesen wäre, obwohl man sich ja auf dem Balkan an einiges gewöhnen mußte, und er von Afrika her schon an einiges gewöhnt war.

Friedrich Franz von Kaufmann setzte seinen grünen Jagdhut auf und verließ das Zimmer.

Peter Karakinow kam ihm schon auf der halben Treppe entgegen. Die beiden begrüßten sich wie alte Freunde, obwohl sie sich noch nicht lange kannten. Sieht dieser Karakinow wirklich noch bleicher aus als gewöhnlich, ober bilde ich mir das nur ein? ging es Friedrich Franz durch den Kopf.

Sie traten zu dem geschlossenen Militärauto, dessen Wagenschlag der Chauffeur in der kleidsamen Tracht des bulgarischen Soldaten eilig aufriß.

Friedrich Franz kam es vor, als sähe der Chauffeur geradezu grüngelb aus. Auch schien der stramme junge Kerl etwas wackelig auf den Beinen zu sein.

»Er hat die Nacht durchgesoffen«, sagte Peter Karakinow ärgerlich. »Wir werden Geduld mit ihm haben müssen, bis er wieder ganz nüchtern ist.«

Soso, durchgesoffen nennt man das, dachte Friedrich Franz.

»Wir sind ja im allgemeinen wirklich ein nüchternes Volk«, meinte Peter Karakinow. »Um so schlimmer, wenn dann einer doch mal über die Stränge schlägt.«

Wie eindringlich dieser Mazedonier mit seinen scharfen schwarzen Augen das Gesicht des Deutschen absuchte.

»Ich bitte Sie, wir haben ja Zeit, das schadet doch nichts, er wird schon wieder nüchtern werden«, meinte Friedrich Franz, ohne eine Miene zu verziehen, und lehnte sich mit möglichst sichtbarem Behagen bequem zurück, obwohl es ihm schien, als befände sich gerade vor seinen Füßen ein Fleck, der sehr wohl von Blut herrühren konnte. Vielleicht hatte sich der Mann in der Nacht auf dem Transport in die Einsamkeit zur Wehr gesetzt, und man hatte sich genötigt gesehen, ihm die Fahrt ins Ungewisse durch einen kleinen Dolchstoß zu erleichtern, was ja nur selten ganz ohne Flecken abgeht, zumal in einem Auto, dessen Inneres erst kürzlich neu mit einem zarten grauen Stoff überzogen worden ist.

»Schöner Tag!« sagte Peter Karakinow und breitete eine Decke über des Gastes und seine Füße. Der Fleck war jetzt nicht mehr zu sehen.

Das Auto setzte sich in Bewegung, der Chauffeur riß es gleich zur höchsten Geschwindigkeit zusammen. Es fegte im Wettrenntempo über die Zar-Befreier-Straße am Ministerium des Äußeren, an der Sobranje vorbei dem Borispark zu. Es war noch früh am Tag, wenig Fuhrwerk, wenig Menschen auf der breiten Straße, der Prunkstraße Sofias.

»Ich freue mich, daß Ihnen der gestrige Abend gut bekommen ist,« sagte Peter Karakinow, »bei mir hat er einen leichten Kopfschmerz hinterlassen.«

»Da hätten wir den Ausflug vielleicht besser um einen Tag verschoben?«

»Aber durchaus nicht,« wehrte der Mazedonier, »nicht der Rede wert?«

»Mäßigen wir wenigstens das Tempo ein wenig. So eilig haben wir es wohl nicht.«

Sofort rief Peter Karakinow durch das Sprachrohr dem Chauffeur etwas zu. Dieser riß die Übersetzung zurück, daß der Wagen wie ein Strangulierter zusammenzuckte und dann langsamer fuhr.

»Es ist noch früh, ruhen wir noch ein wenig«, schlug Friedrich Franz vor. Worüber sollte man sich jetzt schon unterhalten? Peter Karakinow kam ihm plötzlich sehr fremd und fern vor.

Die beiden Herren machten es sich in ihren Ecken möglichst bequem und blinzelten zwischen halb geschlossenen Augen ein wenig übernächtig durch die geöffneten Fenster.

Die Luft war warm. Man befand sich zwar erst im März, aber es würde wohl ein recht heißer Tag werden. Die spärlichen Bäume zur Rechten schimmerten grün, auch das Ackerland zur Linken zeigte schon einen grünlichen Hauch.

Peter Karakinow fielen vollends die Augen zu. Der Mann hat sicherlich die ganze Nacht nicht geschlafen, dachte Friedrich Franz und schloß ebenfalls die Augen.

Nach einer Weile fuhr er auf. Er glaubte Schreie gehört zu haben.

»Fehlt Ihnen etwas?« fragte der Mazedonier, ohne seine Stellung zu verändern, und blinzelte den Genossen der Fahrt träge aus halbgeschlossenen Augen an.

»Ich habe geträumt, nichts weiter«, antwortete Friedrich Franz und sah eifrig zum Fenster hinaus.

Die Fahrt ging zwischen halbzerfallenen Lehmhütten dahin, vor denen halbnackte Kinder spielten.

»Gleich kommen wir ins Iskertal«, sagte Peter Karakinow und schloß die Augen wieder völlig.

Es ging bergan. Wie ein schmales kreideweißes Band schob sich die Straße zwischen die kahlen, hohen, grauen Berge, zwischen denen nur noch für den Isker Platz war, der seine kalten, klaren, schäumenden Gewässer zu Tal führte. Über dem Wasser flatterten kleine Krähenschwärme, deren Krächzen trotz des Autos zu hören war. Hoch oben im Himmelsblau spähte ein Geier. Recht wild, recht romantisch, sehr einsam, dachte Friedrich Franz und suchte mit den Blicken das niedrige dornige Gestrüpp ab, das den Weg zur Rechten einfaßte.

Wie eine Schlange begann das kreideweiße Band der Straße sich zwischen den Bergen nach rechts und links, auf und ab zu winden. Auf ihrem Rücken wand sich das Auto nach rechts und links, auf und ab. Es ächzte und stöhnte. Das Vorwärtskommen wurde ihm nicht leicht gemacht.

Plötzlich hielt der Wagen. Der Chauffeur sah seinen Herrn an. Peter Karakinow, der bis jetzt mit geschlossenen Augen in seiner Ecke gelegen hatte, fuhr auf und spähte nach rechts und links.

»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, wir sind gleich wieder da.«

Schon war er aus dem Wagen gesprungen und mit dem Chauffeur in einem Dornendickicht zur Linken, das herab zum Isker führte, verschwunden.

Hier irgendwo haben sie den Feind in der Nacht stumm gemacht, schoß es Friedrich Franz durch den Kopf. Aber er blieb ruhig sitzen und beugte sich auch nicht zum Fenster hinaus, den beiden nachzublicken. Der Mazedonier wünschte nicht, an seine Offenherzigkeit von gestern erinnert zu werden. Er bereute sie offenbar. Also stellte sich Friedrich Franz auch weiterhin dumm und uninteressiert. Schließlich ging ihn die Geschichte ja auch direkt nichts an. Er wollte heute eine Gemse schießen oder einem Bären auf die Spur kommen, schlimmsten Falls begnügte er sich auch mit einem Wolf.

Der Isker rauschte, die Krähen krächzten. Sonst kein Laut ringsum. Um einen Feind beiseitezuschaffen, sicherlich ein recht geeigneter Ort. Und wenn man den Toten dann in den schnell dahinschießenden Isker warf, war alles geräuschlos und spurlos erledigt.

Nach kurzer Zeit kam Peter Karakinow mit dem Chauffeur zurück. Beide nahmen ihre Plätze wieder ein. Das Auto fuhr langsam weiter.

»Es war nichts,« sagte der Mazedonier, »Joseph ist immer noch nicht nüchtern, er behauptete steif und fest, zwei Serben seien durch die Büsche zum Isker geschlichen. Der Kerl halluziniert. Von Serben war keine Spur zu finden.«

»Wie sollten die auch hierherkommen?« meinte Friedrich Franz. Der Mazedonier lächelte. »Bei uns herrscht leider noch nicht die Ordnung und Disziplin wie in Deutschland. Bei Ihnen kommt es kaum vor, daß Kriegsgefangene entwischen, bei uns schon etwas häufiger, überall hier in den Bergen sollen sich Serben in kleinen Trupps herumtreiben, namentlich im Rilogebirge. Sogar Waffen haben sie.«

Friedrich Franz erwiderte nichts, dachte aber: von alledem glaube ich kein Wort. Die beiden haben nur nachsehen wollen, ob die Tat von gestern nacht nicht doch noch irgendeine Spur zurückgelassen hat.

Immer wilder, immer zerklüfteter wurden die Berge, immer schmaler und gewundener der Weg. Zwei Autos hätten kaum noch ohne Gefahr aneinander vorbeifahren können. Für Räuber eine sehr angenehme Gegend. Nur wenige Stunden von der Hauptstadt entfernt.

»Was macht man eigentlich, wenn ein Fuhrwerk entgegenkommt?« fragt Friedrich Franz interessiert.

»Ist es ein Bauer, muß er zurück bis zur nächsten, etwas breiteren Stelle. Ist es ein Auto, so kommt es darauf an, in welchem Wagen die entschlosseneren Leute sitzen.«

»Wenn nun aber gerade bei der Biegung da vorn in dem Augenblick, wo wir sie erreichen, ein Fuhrwerk uns entgegenkäme?«

»Das wäre eben Pech«, erwiderte der Mazedonier lakonisch. »Wär's ein Bauernfuhrwerk, müßte es die Böschung hinunter. Was von ihm dann noch übrigbliebe, ist nicht zweifelhaft. Wär's ein Auto, so käme es nur darauf an, welches von beiden der bessere Wagen ist. Die Insassen des andern hätten schwerlich viel zu lachen.«

Der Chauffeur hielt wieder an und lauschte. Der Mazedonier war schon wieder aus dem Wagen. Nun hörte auch Friedrich Franz den scharfen Knall von Schüssen. Immer wieder, immer schneller einander folgend.

Die beiden Jäger griffen zu den Büchsen. Das Gesicht des Mazedoniers strahlte. Der Chauffeur hatte plötzlich eine neue Mauserpistole in der Hand und schloß sich seinem Herrn an, der in Sprüngen vorwärts eilte.

Nach zwei Windungen der Straße erblickten die drei ein Auto. Der Fahrer, ein deutscher Soldat, saß seelenruhig auf seinem Sitz und rauchte eine Zigarre. Im Wagen selbst stand aufrecht eine Dame und blickte in die Richtung, von wo die Schüsse fielen. Sie kamen aus einem dichten Gestrüpp, aus dem man leichten Pulverrauch aufsteigen sah.

Die drei waren nur noch wenige Schritte von dem Auto entfernt, da stürzte aus dem Gebüsch ein deutscher Leutnant, immer noch nach einer bestimmten Stelle in dem Gestrüpp feuernd, und brüllte, als er den seelenruhig rauchenden Soldaten sah: »Du Heuochse, weshalb hast du denn immer noch nicht gewendet?«

Ehe der Soldat erwidern konnte, sprangen zwei weitere Leutnants aus dem Gestrüpp und eilten auf die Dame zu, die immer noch aufrecht im Wagen stand.

»Sind Sie nun zufriedengestellt, gnädiges Fräulein?« rief der eine.

»Ja, vollkommen«, lautete die Antwort.

Da sprangen die beiden Leutnants in den Wagen und begannen zu lachen, daß ihnen die Tränen über die gebräunten Wangen liefen. Auch das Gesicht des Soldaten verzog sich zu einem breiten Grinsen.

»Was soll denn das heißen?« rief der erste Leutnant verdutzt und hörte endlich auf, in das Gebüsch zu feuern.

Die beiden Kameraden konnten ihm vor Lachen immer noch keine Antwort geben.

Da verließ die junge Dame das Auto, trat zu dem Verdutzten und sagte: »Seien Sie mir nicht gar zu böse, ich will ihnen alles erklären.«

Auf einen Wink der jungen Dame folgte ihr der Leutnant. Sie schritt eilig aus, um außer Hörweite zu kommen.

Der eine der beiden Leutnants im Wagen hatte sich soweit wieder von seinem Lachen erholt, daß er rufen konnte: »Grüß Gott, Herr von Kaufmann, und Gospodin Karakinow, machen Sie nicht ein so blutgieriges Gesicht, es handelt sich nur um einen Scherz.«

Peter Karakinow rief seinem Chauffeur zu, er solle zu dem Auto zurückkehren. Die Herren schüttelten einander die Hand.

»Sehen Sie, der kleine Gonthard, unser Jüngster, schießt etwas zu üppig ins Kraut, seitdem ihm drei Rippen fehlen und er nolens volens Etappenschwein hat werden müssen. Nun macht er auch noch Fräulein Petrow die Kur und kommt gar nicht mehr los von all seinen Heldentaten, die er verübt, als er noch um drei Rippen reicher in Frankreich stand. Da wollten wir seine Tapferkeit mal auf die Probe stellen und luden Fräulein Petrow als Zeugin ein. Wir sattelten also unser Auto zur wildromantischen Fahrt ins Iskertal, allwo ja Serbenbanden rudelweise hausen sollen. Wir haben dem Kleinen mit Räubergeschichten auf der Fahrt nicht schlecht eingeheizt. Es dauerte gar nicht lange, da war er soweit, hinter jedem Strauch einen mordgierigen Serben zu wittern. Es war oft nicht leicht, ernst zu bleiben, wenn er alle paar Augenblicke mutige Augen kriegte. Es stand ihm gut, dem hübschen Jungen, und die Petrowa schien das auch zu finden, was durchaus nicht so ohne weiteres unseren Wünschen entsprach ... Na, vielleicht fiel dem Kleinen das Herzchen doch noch in die Hosen, wenn die Sache sich etwas ernster anließ. Wir also rein ins Gestrüpp, angeblich hinter mordgierigen Serben her, und damit die Sache ein ernsthafteres Gesicht bekam, lief der Kamerad voraus und markierte unter einem fernen Strauch, wo es am dunkelsten war, mit viel Gebrüll und Schießerei eine Serbenbande. Unser Kleiner ging wie der Teufel los, galt es doch auch die Petrowa zu schützen. Es entwickelte sich eine so üppige Schießerei, daß sie sogar Gospodin Karakinow herlockte.«

»Wird Leutnant Gonthard die Sache nicht gewaltig übelnehmen, wenn er die Wahrheit erfährt?« meinte Friedrich Franz ein wenig bedenklich.

»Ach was, so zimperlich sind wir nicht mehr. Außerdem haben wir ihm ja gegen unsern Willen zu einem wahren Triumph bei der Petrowa verholfen.«

Die junge Dame kam langsam wieder näher, Leutnant Gonthard ein wenig zögernd hinterdrein. Sein hübsches Knabengesicht war ein wenig blaß. Er biß sich die Lippen, und seine blauen Augen warfen stahlharte Blicke nach den Kameraden, die ihm schnell entgegengingen.

»Nicht die alte Jungfer spielen und beleidigt tun, Gonthard. Das steht Ihnen gar nicht.«

»Seien Sie brav, Gonthard, und gescheit. Es war nicht bös gemeint. Wenn Sie Wert darauf legen, entschuldige ich mich hiermit sogar in aller Form und Feierlichkeit, daß ich Sie aufs Glatteis locken wollte, und nun bin ich eigentlich selber der Blamierte, nicht wahr, mein gnädiges Fräulein?«

Maria Petrowa lächelte dem jüngsten Leutnant bittend zu.

»Sie sind ein ganzer Kerl, Gonthard, das haben wir immer gewußt, und fortan sollen Sie auch aus Ihrer Heldenbrust auskramen dürfen, was immer Ihnen Spaß macht, ohne daß ich ein schiefes Gesicht ziehe, was Sie immer so ärgert, namentlich wenn Maria Petrowa in der Nähe ist.«

»Also, Gonthard, her mit dem samtweichen Heldenpfötchen von knapp zwanzig Jahren, und darum keine Feindschaft nicht.«

»Tun Sie mir den Gefallen«, flüsterte Maria Petrowa dem jungen Menschen ins Ohr, daß es sofort rot wurde.

Das Knabengesicht heiterte sich auf. Er ließ sich die Rechte schütteln.

»Hoffentlich nehmen Sie mich in Zukunft etwas ernster«, sagte der junge Leutnant feierlich.

»Todernst, schauderhaft ernst, ganz wie Sie befehlen, Gonthard! Verlassen Sie sich darauf.«

Nun war der Friede wiederhergestellt. Das Auto Krakinows näherte sich. Man plauderte noch einen Augenblick und verabschiedete sich dann voneinander.

Etwas mehr kann man in der nächsten Nähe Sofias schon erleben als etwa in der Nähe Berlins, dachte Friedrich Franz, und in diesem weltverlassenen Iskertal scheint es mehr Autos zu geben als in der immer noch recht bevölkerten Hauptstadt des Deutschen Reiches.

»Das gefällt mir sehr an den deutschen Herren«, meinte Peter Karakinow. »Immer vergnügt, immer zu einem Scherz aufgelegt, ohne Spur von Angst, und diese Offenheit zueinander, und sie nehmen es einander nicht ernstlich übel, weil es ja nie übel gemeint ist. Oder haben Sie andere Beobachtungen gemacht, Herr von Kaufmann?«

»Durchaus nicht, Herr Karakinow, immer dieselben, genau wie Sie.« Ich werde mich hüten und ihm den Gefallen tun und kritisieren und nörgeln, wie es gute deutsche Art ist, dachte Friedrich Franz. Nein, mein Junge, so töricht bin ich schon lange nicht mehr. Und wenn ihr mal über Bulgarien schimpft, wollt ihr von uns ja auch keine Zustimmung, sondern das Gegenteil. Wir sollen Bulgarien noch viel vollkommener finden als ihr selbst. Das wollt ihr hören, dann gefallen wir euch, solche Bundesgenossen mögt ihr leiden.

Peter Karakinow sah nach der Uhr. »Frühstücken wir ein wenig. Wir haben jetzt ungefähr die Hälfte des Weges. Noch anderthalb Stunden Fahrt, dann eine Stunde zu Fuß, und wir sind bei meiner Waldhütte. Ich habe übrigens eine böhmische Köchin dort, und wir können ganz gut über Nacht bleiben.«

Der Wagen hielt, der Chauffeur schnallte einen Korb mit Eßwaren los, breitete den Herren ein weißes Tuch über die Knie, entkorkte eine Flasche Sekt und servierte Brot, Butter, kaltes Fleisch und Käse.

Es schmeckte den beiden nach den Anstrengungen der Nacht vortrefflich. Sogar der französische Sekt war trotz der Wärme des Morgens noch trinkbar, da die Flasche, in nasse Tücher eingehüllt, neben dem Chauffeur im Wind gehängt hatte.

Plötzlich hörte man in weiter Ferne wieder einen Schuß.

»Ein Jäger?« fragte Friedrich Franz.

»Bestenfalls ein Wilddieb«, erwiderte der Mazedonier und lauschte.

Wieder fiel ein Schuß. Dann zwei, drei kurz hintereinander.

»Weder ein Jäger noch ein Wilddieb«, sagte Peter Karakinow, griff zur Büchse und verließ das Auto. Der Chauffeur mit der Mauserpistole trat wieder hinter ihn.

»Vermutlich wieder ein Scherz?« meinte Friedrich Franz, griff ebenfalls zur Büchse und kletterte aus dem Auto.

Die drei standen eine Weile unschlüssig und lauschten.

Da kletterte der Chauffeur mit großer Gewandtheit auf eine alte Kiefer, die einsam in der Nähe stand. Nach einer Weile rief er seinem Herrn etwas zu.

»Joseph behauptet, Hilferufe zu hören. Wenn er diesmal wieder phantasiert, gibt es Prügel.«

Der Chauffeur sprang wieder zur Erde und blieb dabei, er habe Hilferufe gehört.

Friedrich Franz wollte vorwärts stürmen, aber der Mazedonier hielt ihn zurück. »Fahren wir noch eine Weile weiter. Wir kommen schneller vorwärts und sparen unsere Kräfte.«

Man fuhr schleunigst weiter, hielt, lauschte und fuhr wieder weiter.

»Es scheint nichts von Belang zu sein«, meinte Friedrich Franz und legte die Büchse wieder beiseite. Nachgerade kamen ihm die Ereignisse dieses Morgens etwas komisch vor.

Peter Karakinow zischte durch das Sprachrohr dem Chauffeur etwas zu. »Wenn es diesmal wieder nichts ist, setzt es wirklich Hiebe!«

Der Wagen stürmte vorwärts um eine Wegbiegung herum, tat einen wilden Satz und blieb zitternd stehen.

Nur wenige Schritte wegaufwärts lag ein Auto, das sich fast überschlagen hatte und jeden Augenblick über die Böschung stürzen konnte.

Mit äußerster Anstrengung gelang es den dreien, den Wagen davor zu bewahren. Die Fenster waren zertrümmert, das ganze Untergestell verbogen, das Innere des Wagens war leer.

»Ein regelrechter Überfall,« meinte der Mazedonier, »mit den altgewohnten Mitteln. Sehn Sie hier den dicken Baumstamm, geknickt wie ein Streichholz? Man hat ihn quer über den Weg gelegt, wahrscheinlich etwas erhöht, vor diese beiden Felsspitzen. Eine richtige Autofalle!«

»Keine Menschen, keine Blutspur, nichts dergleichen!« stieß Friedrich Franz hervor.

Der Mazedonier lächelte dünn. »Die Räuber hierzulande sind weniger mord- als geldgierig. Man wird die Insassen des Wagens fortgeschleppt haben und versuchen, von den Angehörigen eine möglichst runde Summe für die Freigabe der Gefangenen als Lösegeld zu erlangen.«

»Sehr weit können die Räuber mit ihrer Beute noch nicht sein«, meinte Friedrich Franz und suchte den Boden und die nächste Umgebung nach Fußspuren ab. Der Chauffeur tat einen leisen Pfiff und deutete auf ein gelbes Stückchen Seide, das an einem Dornenstrauch hing.

»Ein Stückchen von einem Schal, wie ihn Damen gern bei einer Autofahrt tragen«, sagte Peter Karakinow und prüfte die Seide zwischen den Fingern. »Wohlhabende Leute«, meinte er dann.

Der Chauffeur zwängte sich durch das Dornengestrüpp und hielt es mit seinen harten Händen so gut auseinander, als es irgend ging, damit die Herren bequem folgen konnten.

Die drei arbeiteten sich mühsam durch ein dichtes Gestrüpp bergaufwärts. Für die Jägeraugen war es ganz klar, daß hier vor noch nicht allzulanger Zeit Menschen sich durchgeschlagen hatten. Kleine geknickte Dornenzweige verrieten es. Wild war nicht so dumm, einen solchen Weg zur Flucht zu wählen.

Das Gestrüpp wurde immer dichter. Einen Augenblick hielten die drei an, holten tief Atem und lauschten.

Krähen krächzten vom Isker her, der harte häßliche Schrei eines Geiers. Sonst war nichts zu vernehmen. Der Chauffeur stampfte mit seinen schweren Soldatenstiefeln das Gestrüpp nieder, so gut es ging, und hielt das Ohr an den Boden. Er schüttelte den Kopf, es war nichts zu hören.

Die Augen des Mazedoniers funkelten nach allen Seiten.

»Hier sind sie weiter«, flüsterte er und deutete auf einen kleinen Seidenfetzen, der merkwürdig hoch an einem Strauch hing. »Jedenfalls ist ein weibliches Wesen dabei gewesen, und man hat sie auf dem Stücken oder auf den Schultern getragen.«

Die drei bohrten sich weiter durch das Gestrüpp.

Da hörten sie deutlich Hilferufe ... Eine weibliche Stimme ... Eiliger bahnten sie sich einen Weg durch das Gestrüpp und achteten nicht darauf, daß die Büsche sie wie mit Ruten peitschten, daß die Dornen ihnen Gesicht und Hände aufrissen.

Sie gelangten an eine kleine Lichtung, in deren Hintergrund etwas Weißes auf dem Boden lag.

Mit drei langen Sätzen sprang Friedrich Franz hinzu.

Ein junges Mädchen, an Armen und Füßen gefesselt, schien gerade wieder aus einer Ohnmacht zu erwachen und schlug die Augen auf, große, schwarze Augen, die wie aus einer fremden Welt auftauchten gleich zwei dunklen Segeln, die von fernen Meeren kommen.

Die schwarzen Augen tauchten in den blauen Friedrich Franzens unter, ein goldener Glanz trat aus ihnen, und von diesem Glanz breitete sich ein leises Lächeln aus und glitt über das schöne blasse Gesicht ... Zwei dunkle Segel, die von fernen Meeren kommen, wissen sich im sicheren Hafen und freuen sich.

Das dauerte mir wenige Sekunden, die Friedrich Franz sehr lange vorkamen.

Der Chauffeur sprang vor und schnitt die Stricke durch.

Peter Karakinow sagte verwundert: »Leda Serafinow, was ist geschehen?«

Leda Serafinow lächelte immer noch, öffnete langsam die befreiten Arme und richtete sich langsam, wie verwundert auf.

Wie merkwürdig getragene Bewegungen sie hat, ging es Friedrich Franz durch den Kopf, der die Augen nicht von ihr ließ, fast etwas Heroisches.

Leda Serafinow lehnte sich an einen schwächlichen Baum und berichtete Peter Karakinow. Ihre schwarzen Augen tauchten dabei immer wieder in den blauen unter, tauchten wieder auf und sahen weit und frei um sich wie geübte Schwimmer.

Friedrich Franz sah und lauschte nur.

Peter Karakinow lachte böse. »Nicht einmal bulgarische Räuber waren es, sondern serbische Banditen. Nun wird es aber wirklich Zeit, daß man das Pack ringsum einfängt und aufhängt!«

Leda Serafinow hatte mit ihrem Vater zusammen gestern ihr Landgut in der Nähe von Samakow besichtigt. Sie waren dort über Nacht geblieben, um heute morgen nach Sofia zurückzukehren. Unterwegs war ihnen die Autofalle gestellt worden. Ein wahres Wunder, daß sie mit heilen Gliedern davongekommen waren. Den Vater und den Chauffeur hatten die Banditen verschleppt, sie selbst gefesselt und an diese schwer zugängliche Stelle gelegt, damit man ihnen nicht allzubald auf die Spur kam.

Leda Serafinow zog einen Zettel aus der Tasche, auf dem die Höhe des Lösegeldes angegeben war und der Ort, wo es niederzulegen sei.

Peter Karakinow las den Zettel und fluchte in sich hinein. Die Summe war hoch und der Ort, wo sie niedergelegt werden sollte, gut gewählt.

»Aber ich und mein Mazedonier werden sie doch erwischen«, knirschte er.

»Wollen wir diesen unfreundlichen Ort nicht lieber verlassen?« fragte Leda lächelnd auf französisch Friedrich Franz von Kaufmann.

Unwillkürlich reichte er ihr den Arm. Sie nahm ihn auch.

Aber nur für wenige Schritte. Des dichten Gestrüppes wegen ging es nicht länger. Der Chauffeur und Peter Karakinow schritten voran und ebneten den Weg, so gut es sich machen ließ.

Ich bin verliebt, dachte Friedrich Franz. Kein Wunder, denn ich habe lange nicht mehr so etwas Schönes gesehen wie dieses Mädchen. Was sie für einen Gang hat! Schön und furchtlos wie eine Königin. Ich kann mir nicht helfen, es ist so, wenn ich sonst auch ein Feind von dicken Worten bin.


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