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VIII.

Die Sonne stand prall und rund am Himmel. Eine heiße Glut ging von ihr aus wie von einem Backofen, nur zuweilen unterbrochen von einem kalten Wind, der von der Witoscha herüberblies, den Atem anhielt und dann wieder blies. In der Sonne wurde man gebraten, suchte man aber den Schatten auf, fror man. So blieb man in der Sonne und fröstelte, wenn der eisige Windhauch von der Witoscha kam. Die Sonne hatte viele Menschen auf die Straßen gelockt, aber die Einheimischen trugen alle Überzieher, trotzdem ihnen die Sonne, solange der Wind den Atem anhielt, die Schweißperlen auf die Stirn trieb.

Bald wurde man langsam geröstet, bald wieder eiskalt angeblasen und abgekühlt. Sofioter Vorsommertage!

Überall lagen die Straßenhunde in der Sonne, bis ihnen die Zunge zum Halse heraushing. Dann schlichen sie für wenige Minuten in den Schatten. Als sie sich hinreichend abgekühlt hatten, schlichen sie wieder in die Sonne. Die Bäume im Stadtgarten prangten schon über und über in Grün. Die ersten Blumen hoben ihre Köpfe aus den Beeten.

Friedrich Franz holte sich nun doch seinen Überzieher und schritt dann quer durch den Stadtgarten.

Auf allen Bänken saßen Menschen, den Kragen des Überziehers hochgeklappt, lasen Zeitungen oder träumten vor sich hin, arme Teufel in alten Lumpen, gutaussehende Herren mit bunten Krawatten und hellen Schuhen, Soldaten in recht mitgenommenen Uniformen, alte Mütterchen mit Körben, alles durcheinander. Die Kinder schrien und lärmten. Die Erwachsenen auf den Bänken schwiegen oder flüsterten kaum hörbar miteinander.

Friedrich Franz strebte der Clementinenstraße zu, einer breiten, aber kurzen Straße, an deren einem Ende hinter einer halbzerfallenen Mauer ein uraltes Kirchlein lag, das schon so tief in den Boden hineingesunken war, daß das morsche, altersschwache Dach kaum noch über die Mauer hinübersah.

In der Mauer befand sich eine Art Scheunentor, das Friedrich Franz öffnete. Unendlich verwahrlost sah es hinter dem Tore aus. Links ein Lehmhäuschen mit halberblindeten Fensterchen. Hier hauste ein Pope mit seiner Familie. Rechts ging es auf einigen Lehmstufen, die immer feucht waren, abwärts zum Eingang in das Kirchlein, der mannshoch unter der Erde lag.

Kein Mensch war in dem Hof. Auch das Lehmhäuschen lag in sich zusammengesunken, wie leblos, da.

Vorsichtig schritt Friedrich Franz die Lehmstufen zu dem Kirchlein hinunter, aus dem ihm ein feuchter Duft von Moder und Weihrauch entgegenschlug. Im Innern der Kirche herrschte Halbdunkel, denn ihre paar kleinen Fenster waren auch schon mit allem übrigen so tief in die Erde gesunken, daß das Tageslicht nur in wenigen Strahlen noch hindurch konnte.

Nur langsam gewöhnte er sich an das Dunkel. Er befand sich in einem Vorraum. Einige alte, halbmorsche Stühle standen herum. Ein uraltes Pult, auf dem ein dicker, halb verschimmelter Foliant in dickem Schweinsleder lag, das sich in der Feuchtigkeit der Luft verkrümmt und verzogen hatte. Über ihm hingen drei kleine Heiligenbilder in byzantinischem Geschmack. Die Gesichter waren rissig geworden. In den Rissen saß Staub. Der Goldgrund, in dem die Köpfe der Heiligen stehen sollten, war braun und speckig geworden. Der Fußboden, der aus großen, unregelmäßigen Steinplatten bestand, schwitzte vor Feuchtigkeit und war von einem dünnen Brei überzogen, dem Schmutz, den die Gläubigen an ihren Schuhen mit hereinbrachten.

Friedrich Franz warf einen schnellen Blick in den eigentlichen Kirchenraum, der noch einige Stufen tiefer lag als der Vorraum.

Auch hier kein Mensch, und doch hing der Weihrauchduft noch in der Luft, als sei eben erst Gottesdienst gehalten worden.

Schwere, plumpe Kirchenbänke sahen in zwei Reihen nach dem Ikonion. Rechts und links von ihm je ein runder Tisch aus Metall, besät mit abgebrannten Wachskerzen, zwischen denen hier und da eine noch ungebrauchte Kerze honiggelb, lang und mager in die Höhe schoß.

So wie hier mochten einst die ersten Christen gehaust haben. Aber hier war es unheimlicher als in den römischen Katakomben, weil der Weihrauchduft und die Kerzen zeigten, daß es auch heute noch Christen gab, die nicht viel anders hausten als die Christen vor nun bald zweitausend Jahren.

Der Fußboden war sauber, die Kirchenbänke fast spiegelblank gescheuert von den Gläubigen, die hier ihre Andacht verrichteten.

Friedrich Franz setzte sich. Für ein Stelldichein immerhin ein origineller Ort. Gestört wurde man hier, wie es schien, wirklich nicht. Und kam doch jemand, so waren es sicher arme Leute, die ihn und Leda nicht kannten. Auch brauchte man nur ein wenig voneinander abzurücken und den Kopf zu senken, so war man eben auch nichts anderes als irgendein anderer orthodoxer Christ, den es aus irgendeinem Grund in dies uralte Kirchlein zog.

Wer ihm noch vor acht Tagen gesagt hätte, daß er einen solchen Ort als Stelldichein benützen würde, den hätte er ausgelacht.

Er sah nach der Uhr. Er war reichlich früh gekommen. Aber er wollte sich vorher doch ein wenig orientieren, denn im Innern dieses Kirchleins war er noch nicht gewesen.

Totenstill war es. Stiller konnte es auch in einem Grab nicht sein. Nur mit dem Unterschied, daß wenige Schritte von hier das keineswegs geräuschlose Leben der Hauptstadt flutete.

Die Mauern des Kirchleins mußten sehr dick sein. Sonst könnte es ja wohl auch nicht so still immer tiefer in die Erde versinken, ohne auseinanderzufallen.

Wenn es nur nicht so süß und stark nach Weihrauch geduftet hätte. Das beklemmte ihn.

Er sah geradeaus auf das Riesenbild einer byzantinischen Mutter Gottes, die recht ausdruckslos, aber prunkvoll aus goldenem Grund vor sich hinblickte. Er sah rechts und links vor ihr sehr dick angezogene Heilige mit gewaltigen Bärten. Eine fremde, ferne Welt, zu der ihm jeder Übergang fehlte. Es gab nichts Gemeinsames zwischen ihm und ihr.

Er wandte sich um, denn er vernahm leise Schritte. Leda Serafinow erschien am Eingang zum Kirchenraum. Sie bekreuzigte sich, verneigte sich tief vor den Bildern und bekreuzigte sich wieder mit langsamen, stark stilisierten Bewegungen.

Eine fremde, ferne Welt, ging es ihm durch den Kopf.

Sie trat zu ihm und setzte sich neben ihn.

»Haben Sie sich alles schon gut angesehen? Das alles muß für Sie doch recht neu und eigenartig sein? War es nicht ein guter Gedanke, daß ich Ihnen diese Kirche zeigen wollte? Ohne mich wären Sie sicher nicht auf den Gedanken gekommen, hier hineinzugehen?«

»Sicherlich nicht. Schon weil mir der Geruch des Weihrauchs nicht angenehm ist.«

»Wie merkwürdig. Ich liebe ihn so sehr.« Mit leisem Beben sogen ihre Nasenflügel den Duft in sich ein.

Sie rückte von ihm ab. Eine alte Bäuerin erschien, bekreuzigte sich, verneigte sich dreimal vor jedem Heiligenbild, bekreuzigte sich und stellte eine honiggelbe, dürftige Kerze auf den einen Seitentisch, bekreuzigte sich, verneigte sich, bekreuzigte sich wieder und schlurfte langsam wieder aus dem Kirchlein.

Leda rückte ihm wieder näher.

»Hier ist es still und friedlich.« Begierig sog sie wieder den Weihrauchduft ein.

Er nahm ihre Hand, zog ihr den Handschuh ab und legte ihre Hand zwischen seine beiden Hände.

Kühl und unbeweglich lag sie wie die Auster in ihrer Muschel, leicht zusammengekrümmt.

Nun reckte sie langsam den Mittelfinger wie einen Fühler. Als er an die Innenfläche seines Zeigefingers stieß, die brannte, krümmte sich der Mittelfinger wieder langsam zurück.

Wieder lag ihre Hand kühl und unbeweglich für eine Weile zwischen seinen Händen.

Er hob die eine Hand. Da reckte die ihre blitzschnell alle fünf Finger und legte sie zwischen die Finger seiner darunterliegenden Hand, die zusammenzuckte.

In Muße betrachtete er in der Dämmerung den seinen, kräftigen Handrücken, der sich leicht über seiner Hand wölbte. Wie ein müdes Tierchen, das im sicheren Nest eingeschlafen ist, dachte er.

Langsam wandte sie ihm ihr schönes Gesicht zu. Ihre schwarzen Augen weiteten sich. Unter dem Wangenrund spielten leise die Muskeln. Beider Gesichter befanden sich in fast gleicher Höhe. Nun hob sie den Kopf höher, bog ihn fast ein wenig nach rückwärts, daß Kinn und Hals sich spannten. Sein Kopf schoß vor und küßte ihre Kehle. Ihre Lippen öffneten sich ein wenig. Er zog ihr Gesicht dicht an das seine und küßte ihre Lippen. Seine Hand lag in ihrem Nacken. Fest schmiegte sie den Kopf in diese Hand wie in einen Sessel und senkte die Augen ein wenig. Seine Lippen liebkosten ihre Wangen und kehrten zu ihrem Mund zurück.

Immer noch lag ihre eine Hand kühl und unbeweglich auf der seinen und klammerte sich mit allen fünf Fingern um seine Finger.

Sie rückte sich den Kopf noch etwas bequemer in seiner anderen Hand zurecht und öffnete wieder weit die schwarzen Augen, die unverwandt in die seinen schauten. Er versuchte, hinter diese Augen zu blicken, die ihn so ruhig und unbeweglich ansahen, aber es gelang nicht, es war unmöglich, irgendwelche Gedanken oder Wünsche auf dem Grund dieser weit offenen Augen zu lesen. Sein Blick drohte sich zu verwirren, aber er bezwang sich und drang immer wieder mit seinen Blicken in ihre Augen, um auf ihren Grund zu dringen. Langsam stieg vom Halse her eine leise Röte auf und färbte ihre Wangen, bis sie leise glühten. Sie schlang beide Arme um ihn, küßte ihn heftig auf den Mund, sprang auf und sagte: »Kommen Sie und begleiten Sie mich noch ein Stück nach Hause.«

Ehe er etwas erwidern konnte, bekreuzigte sie sich, verneigte sich vor den Heiligenbildern, bekreuzigte sich wieder und wandte sich dem Ausgang zu. Er wollte sie zurückhalten, aber ein Pope schlurfte in die Kirche, grüßte die beiden durch ein leichtes Neigen des schwarzbebarteten Hauptes und schritt dem Altar zu.

Da mußte er ihr schon ohne Widerspruch folgen und mit ihr das Kirchlein verlassen.

Sie trat schnell durch das Scheunentor, und kaum stand sie wieder auf der Straße, war sie wie umgewandelt. Grade als hätte sie Friedrich Franz in diesem Augenblick zufällig getroffen. Sie streckte ihm die Hand hin, lachte und plauderte drauflos.

Friedrich Franz von Kaufmann kam sich ein wenig wie vor den Kopf geschlagen vor.

»So sagen Sie doch was!« flüsterte sie ärgerlich, »dort drüben steht ein Bekannter von uns, Boris Makarow. Blicken Sie nicht hin, aber sprechen Sie mit mir!«

Er tat es, so gut es ihm möglich war. Als er dann endlich vorsichtig sich umsah, bemerkte er gar niemanden.

»Er ist glücklicherweise schon fort.«

Er musterte sie argwöhnisch. »Sagen Sie, war er überhaupt da?«

Sie lachte und klatschte in die Hände wie ein Kind, dem ein Streich gelungen ist.

»Sie waren so weit fort von hier, da mußte ich Sie schleunigst wieder auf diese Erde, nach Sofia zurückbringen.«

Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. »Sie spielen mit mir.«

»Mir scheint, daß das Spiel Ihnen einigen Spaß macht?«

»Und Ihnen?«

»Ich würde es sonst gewiß nicht spielen«, erwiderte sie und schritt schneller aus. »Ich muß nach Hause.« Sie sah auf die Uhr. »Ich habe mich schon ein wenig verspätet. Wir wollen etwas schneller gehen.«

Die Sonne stand immer noch prall und rund am Himmel. Eine heiße Glut ging von ihr aus wie von einem Backofen, nur zuweilen unterbrochen von einem kalten Wind, der von der Witoscha herüberblies.

»Sie sind leichtsinnig, ohne Mantel auszugehen«, sagte er, um überhaupt etwas zu sagen.

»Wir sind an dieses Klima gewöhnt.«

»Wer's aushält, das gibt eine harte, feste Rasse, die was vertragen kann.«

»Das sind wir auch.«

Man wurde gegrüßt und grüßte wieder. Aber man sprach die beiden nicht an. Das fiel Friedrich Franz auf. Sollten sie schon in der Leute Mäuler sein? Glaubte man zu stören, wenn man sie ansprach?

»So, nun sagen wir uns adieu. Machen Sie ein freundliches Gesicht, küssen Sie mir respektvoll die Hand, wie es sich gehört, und ziehen Sie feierlich den Hut. Da vorn kommt Gonthard, der mich bis zur Tür bringen soll. Wir haben wohl beide nicht das Bedürfnis, ins Gerede zu kommen.«

»Wann sehe ich Sie wieder?« fragte er leise, indem er respektvoll ihre Hand küßte.

»Morgen ist unser Jour, den Sie hoffentlich nicht vergessen haben.«

»Ich meine, wann sehen wir uns allein?«

Er hielt den Hut in der Hand. Sie nickte ihm freundlich zu und sagte: »Ich werde schon von mir hören lassen, wenn Sie wünschen.« Sie ging weiter, er machte kehrt

»Einfach scheußlich!« fluchte er und machte ein wütendes Gesicht. Aber es half ihm nichts, er mußte schon wieder eine freundliche Miene zeigen, denn quer über die Straße kam Peter Karakinow auf ihn zu.

Schon von weitem drohte er mit dem Finger. »Schon zweimal habe ich im Hotel nach Ihnen telefoniert. Jedesmal hieß es, Sie seien nicht da. Seien Sie vorsichtig, Baron. Nur keine Weibergeschichten.«

»Ich komme gerade aus dem Hotel und habe nur Fräulein Serafinow ein paar Schritte begleitet. Die Leute im Hotel sind ja so bequem und um Ausreden nie verlegen, wenn sie sich dadurch die Mühe ersparen können, eine Treppe zu steigen, um nachzusehen, ob man da ist oder nicht. Was gibt es denn schon wieder?«

»Haben Sie sich mit der Serafinow gezankt, daß Sie so schlechter Laune sind?«

»Keine Spur!«

Peter Karakinow nahm seinen Arm und setzte ihm auseinander, daß ihm die augenblickliche politische Situation gar nicht recht gefallen wolle. Die Deutschen schienen zu glauben, Rußland würde um so eher in sich zusammenfallen, je weniger man sich um es kümmere, und deshalb scheine von einer neuen Offensive gegen Rußland gar nicht die Rede zu sein. Eine solche Anschauung von der Lage in Rußland sei aber falsch, grundfalsch, man müsse dem Koloß noch einen festen Tritt in Gestalt einer neuen Offensive geben, sonst breche er immer noch nicht zusammen. Das sei um so notwendiger, weil sonst die revolutionäre Propaganda von Rußland aus in den Vierbund eindringe und Unheil anrichte. Besonders für Osterreich-Ungarn und Bulgarien könne das bedenklich werden.

Friedrich Franz wehrte sich gegen das politische Gespräch, das ihn in diesem Augenblick langweilte, da er ganz andere Gedanken im Kopfe hatte. Er könne doch nicht mehr tun, als nach Berlin berichten, wie man sich hier die Lage vorstelle, und wenn Berlin nicht darauf reagiere, dann habe es eben eine andere Ansicht. Da könne er nichts machen.

»Wir haben heute nachmittag eine Sitzung, zu der ich Sie hiermit auch einlade«, sagte Peter Karakinow. »Da wollen wir uns noch einmal aussprechen, und ich würde eventuell vorschlagen, daß einer von uns nach Berlin fährt und noch einmal mündlich unsere Anschauung an den entscheidenden Stellen auseinandersetzt.«

Friedrich Franz erschrak ein wenig. Dies ewige Gereise nach Berlin ging den Berliner Herren nachgerade auf die Nerven. Diese bulgarischen Herren beanspruchten sehr viel Zeit für sich, da sie ja in Berlin Zeit hatten, und gingen in den Ämtern recht ungeniert ein und aus, wie es ihnen gerade paßte. Auch kümmerten sie sich in ihrer demokratischen Naivität, in ihrem bulgarischen Selbstbewußtsein nicht allzusehr um die Formen, die nun einmal in Berlin gang und gäbe waren, wenn man einen der entscheidenden Männer sprechen wollte. Sie rückten ihm einfach in die Amtsstube oder, wenn er sich da verleugnen ließ, sogar in die Privatwohnung; und man konnte sie doch nicht, da es sich um Bundesgenossen handelte, geradezu darauf aufmerksam machen, daß man auch noch einiges andere zu tun habe, was leider ebenfalls beträchtlich viel Zeit in Anspruch nähme.

»Versprechen Sie sich davon etwas?« fragte Friedrich Franz.

Peter Karakinow lächelte. »Bis jetzt hat eine mündliche Aussprache noch immer gewirkt, wenn auch nicht sofort. Darin sind die Deutschen ja wirklich merkwürdig. Zuerst und vor allen Dingen sagen sie: nein, unmöglich, undenkbar, das geht unter gar keinen Umständen! Wenn man aber nicht locker läßt und immer wiederkommt, dann geht es schließlich und endlich doch, und man erreicht mehr, als man erwartet hat, zuweilen sogar mehr, als man wollte. Wir sind nun einmal auch in der Politik auf die orientalischen Formen eingerichtet. Wir fordern zunächst einmal das Doppelte von dem, was wir eigentlich wollen, in der Erwartung, daß wir dann wenigstens die Hälfte kriegen, die wir nötig haben. Aber der Deutsche handelt nicht, er sagt: nein, nein, und schließlich gibt er dann doch das Ganze, woran wir kaum in unseren kühnsten Träumen gedacht haben.«

»Dann möchten Sie also nach Berlin fahren?« unterbrach ihn Friedrich Franz, dem das Gespräch unangenehm war.

»Ich denke, es wird am besten sein.«

»Dann handle ich in Ihrem Interesse, wenn ich mich für heute nachmittag entschuldige, Gospodin Karakinow, ich würde nämlich dagegen sein, daß jemand fährt, weil man zurzeit den Kopf in Berlin besonders voll hat, und es mir besser erscheint, jetzt nicht zu stören.«

Das war doch deutlich genug, aber Peter Karakinow störte das nicht im geringsten.

»Ganz, wie Sie wollen, Baron.«

Friedrich Franz dachte, nun würde er den Mann los, aber er irrte sich. Peter Karakinow wich ihm nicht von der Seite.

»Werden Sie morgen bei der Serafinowa sein?«

»Ich weiß noch nicht recht, es kommt darauf an. Legen Sie Wert darauf?«

»Ich würde dann auch hinkommen, um Sie zu sprechen.«

»Sehr leicht möglich, daß ich hingehe«, meinte Friedrich Franz.

»Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich meine, Sie sollten sich jetzt überhaupt etwas mehr bei den Leuten zeigen. Wir Bulgaren sind sehr empfänglich dafür. Die Österreicher pflegen das mehr als die deutschen Herren. Das nimmt für sie ein, die Deutschen hält man, weil sie das weniger tun, für zu stolz.«

»Die deutschen Herren haben eben ein bißchen mehr zu tun«, warf Friedrich Franz ein.

»Das sage ich ja auch immer, aber das verstehen die Bulgaren nicht recht. Die jüngeren Offiziere sollten sich wirklich viel häufiger in bulgarischen Häusern zeigen, und Sie auch, Baron. Es gibt ja doch auch eine ganze Anzahl hübscher Mädchen, mit denen sich schon ein kleiner Flirt lohnt. Das schmeichelt den Bulgaren, wenn sie es auch nicht zugeben würden.«

Friedrich Franz lächelte. »Waren Sie es nicht, der noch vor einer Minute gesagt hat: ›Nur keine Weibergeschichten‹?«

»Ich bitte Sie, das ist ganz etwas anderes!«

Peter Karakinow sah ihn von der Seite an. »Wissen Sie, manchmal frage ich mich ganz im Ernst: Haben Sie wirklich Fischblut in den Adern, oder tun Sie nur so? Was für eine Chance hat Ihnen das Schicksal selbst damals im Iskertal bei Leda Serafinow geboten. Das ist so was für junge Mädchen mit Phantasie.«

»So ein abgebrühter Afrikaner wie ich!« warf Friedrich Franz ein. Peter Karakinow schüttelte den Kopf und verabschiedete sich. Na endlich! dachte Friedrich Franz erleichtert, dem Mann kann ich schon gar nicht mehr entgehn, auf Schritt und Tritt läuft er mir über den Weg.

Er ging in den Stadtgarten und setzte sich auf eine Bank, die frei war, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie sauber war.

Die Kinder lärmten immer noch auf den Wegen, und auf den Bänken ringsum saßen mit aufgeschlagenen Rockkragen Erwachsene, lasen Zeitung oder duselten vor sich hin.

Wie sollte das nun eigentlich mit Leda Serafinow weitergehn? Das war ihm durchaus unklar. Das Wander- und Junggesellenleben aufgeben und einen Heiratsantrag machen? Das kam ihm doch immer noch sehr unbehaglich vor. Auch war er sich durchaus nicht klar darüber: Handelte es sich bei Leda Serafinow nicht doch nur um ein Spiel, einen Flirt, eine Koketterie, oder handelte es sich um mehr?

Und wie stand es mit ihm selbst? Sprachen da nur seine Sinne? Bestach ihn die Schönheit und nichts weiter? Reizte ihn die fremde Rasse, die er noch nicht kannte?

Es war wirklich nicht so ganz einfach, in diesen fortgeschrittenen und komplizierten Zeiten sich darüber klar zu werden.

Damals auf der Fahrt zum vierten Kilometer konnten sie sich fast wie ein Brautpaar vorkommen. Man saß brav nebeneinander, denn von rechts und links fielen die Blicke aller Spaziergänger ungehemmt in den offenen Wagen. Man hatte sich des Staubes wegen eine Decke übergelegt und lehnte sich bequem zurück. Köpfe und Schultern möglichst entfernt voneinander, aber Hüfte an Hüfte, Bein an Bein.

Sie hatte ihm von zu Hause erzählt und namentlich von ihrer Schwester, die viel schöner sei als sie und doch so unglücklich verheiratet, weil sie einen Politiker heiraten mußte und einen Schriftsteller geliebt hatte.

Dann war auch er ein wenig aus sich herausgegangen und hatte von sich erzählt, von seiner Heimat Ostfriesland, von seinen Eltern, die nun längst tot waren, und von seinem Leben in Afrika.

Dann waren sie ausgestiegen beim vierten Kilometer und hatten Kaffee getrunken, alles ganz brav und sittsam und gut bürgerlich. Ringsum hatten noch andere Leute gesessen und ebenfalls Kaffee getrunken, brav und sittsam und gut bürgerlich.

Die Sonne neigte sich zum Untergang. Die Dämmerung hierzulande war kurz, es würde sehr schnell finster werden.

Er wartete darauf, daß Leda aufbrechen werde, aber sie tat es nicht. Ihm war es gewiß recht, denn wenn es finster war auf der Heimfahrt, konnte er ihr schon etwas näher rücken, und man brauchte nicht mehr gar so brav, sittsam und gut bürgerlich zu sein.

Sie warf ihm einen heißen Blick zu, sie schien dasselbe zu denken wie er. Gerade hatte er bezahlt, gerade wollte man aufbrechen, da erschien dieser widerliche Boris Makarow hoch zu Roß und begrüßte Leda.

Es war schon ein Verhängnis mit dem Menschen. Er konnte zufällig von Spaziergängern erfahren haben, daß sie hier waren, es konnte überhaupt ein Zufall sein, daß er sich hier einfand, denn der Ausflug zum vierten Kilometer war ja sehr beliebt, aber warum kam er so spät, erst, als es dunkel war? Oder hatte ihm Leda gar einen Wink gegeben, daß sie hier zu finden sein würde?

In seinem Ärger hielt er auch das für möglich.

Nun hieß es gute Miene zum bösen Spiel machen.

Die beiden stiegen ein, der Leutnant trabte nebenher. Auf der Seite, wo Friedrich Franz saß.

Finster genug war es derweil ja geworden, aber bald schnaufte der Pferdekopf ihm über die Schulter und besprengte seinen Überzieher mit Schaumflocken, bald schaute des Leutnants Kopf direkt in den Wagen und unterhielt sich mit ihm und Leda.

In dieser Lage war Friedrich Franz drauf und dran, Leda Serafinow einen Heiratsantrag zu machen, so wütend war er und so eifersüchtig.

Aber plötzlich hatte sie verstohlen, beschwichtigend ihren Fuß auf den seinen gesetzt und unter der Decke verstohlen seine Hand gefaßt. Da hatte er es wieder gelassen mit dem Antrag und sich nur darüber amüsiert, wie eng der Leutnant seinen Gaul am Wagen hielt, und wie des Leutnants Augen funkelten und sich bemühten, das Dunkel zu durchdringen, um zu erfahren, ob die beiden sehr dicht beieinandersaßen.

Leda, die vorhin, als der Leutnant dazu kam, auch ein wenig verstimmt gewesen war, wie Friedrich Franz scheinen wollte, wurde nun sehr guter Laune, lachte und scherzte mit ihm, mit dem Leutnant und drückte ihrem Nachbar im Wagen immer wieder leise unter der schützenden Decke die Hand.

Der Gaul schnaufte und warf Schaumflocken um sich, und der Leutnant atmete immer erregter und warf mißtrauische Blicke um sich. Er ließ sogar plötzlich seine elektrische Taschenlaterne aufleuchten, um, wie er kühn behauptete, sich eine Zigarette anzuzünden, was doch mit elektrischem Licht beim besten Willen nicht geht, während er in Wirklichkeit ja auch nur das elektrische Licht über die Decke blitzen ließ, unter der nun Ledas Hand ganz still und unbeweglich in der seinen lag.

Der Leutnant steckte die Taschenlaterne wieder zu sich, und Friedrich Franz fühlte, wie Leda sich leise schüttelte vor Lachen.

Solche Situationen schienen ihr großes Vergnügen zu bereiten. Endlich waren sie wieder in der Schipkastraße. Friedrich Franz half Leda beim Aussteigen und läutete für sie am Haustor. Der Leutnant drängte seinen Gaul zwischen sie, wünschte guten Abend und rief wütend: »Meinen Handkuß an Eveline!«

Leda dankte lächelnd, drückte Friedrich Franz noch einmal die Hand und eilte ins Haus.

Der Leutnant war im Galopp von dannen gesprengt.

»Ich beobachte Sie nun schon eine ganze Weile, mein verehrter Herr von Kaufmann. Sagen Sie, sind Sie trübsinnig geworden, oder was hecken Sie sonst aus? Vielleicht eine kleine Verschwörung oder so was?«

Friedrich Franz fuhr von seiner Bank in die Höhe und schüttelte dem Oberstleutnant, der lachend vor ihm stand, die Hand.

»Ich war wahrhaftig nahe daran, melancholisch zu werden, Herr Oberstleutnant, Sie haben mich gerettet.«

»Wissen Sie was, kommen Sie mit, trinken wir 'ne Flasche Rotspon zusammen, das vertreibt am besten alle Mucken.«

»Durchaus einverstanden, Herr Oberstleutnant.«

Die beiden Herren wandten sich dem Unionklub zu, der ganz in der Nähe lag.


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