Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Sofioter Sommer. Die Menschen halten tagsüber alle Fenster verschlossen und verriegelt, und die Vorhänge bleiben heruntergezogen. Wer nicht muß, geht vor Sonnenuntergang nicht auf die Straße. Wer sein Haus verlassen muß, späht erst vorsichtig aus, wo er ein wenig Schatten findet, und schleicht dann, möglichst langsam bei vierzig Grad im Schatten seines Weges.

Es ist in dieser Stadt durchaus nicht immer leicht und einfach, Schatten zu finden, denn neben großen modernen Häusern stehen winzige alte Spelunken, die überhaupt keinen Schatten gebot, und außerdem weisen viele Häuserreihen weite Lücken auf wie ein schlechtes Gebiß. Diese Lücken, deren spärliches Gras die Sonne längst verbrannt hat, sind zwar meist umsäumt, denn sonst könnte jedermann mit der Lücke anfangen, was ihm beliebt, aber der Zaun gibt keinen Schatten.

An Bäumen fehlt es auch nicht in der Stadt, aber die Blätter sind verwelkt und zum guten Teil schon abgefallen, denn zur Hitze gesellt sich die Dürre. Seit Wochen hat es nicht einen Tropfen Regen gegeben. Gegen Abend umzieht sich der Himmel zuweilen, aber der Wind treibt die Wolken immer wieder fort. Es ist gerade, als wäre der Himmel überhaupt nicht mehr imstande, noch regnen zu lassen. Die Luft steht grau-weiß vor Hitze und Staub in den Straßen. Saust ein Auto dahin, ballt sich der Staub zu gewaltigen Wolken, die leise über dem Boden durcheinanderwirbeln, aber kein Luftzug treibt sie auseinander oder in die Höhe. Bald stehen sie regungslos über der Straße und färben jeden grau, der über die Straße muß, und es dauert lange, bis der Staub vom Boden wieder eingesogen wird. Kaum aber hat er sich endlich wieder zur Erde gesenkt, wirbelt ihn ein Auto neu in die Höhe, denn jeder, der nur irgend kann, benutzt jetzt das Auto, um sich bei der Fahrt durch die Stadt ein wenig Luft zu verschaffen, wenn er auch schon nach wenigen Augenblicken weiß ist wie ein Müller. Von dem Staub, den das vorhergehende Auto aufgewühlt hat. Kein Wunder, daß niemand sein Haus verläßt, der nicht muß.

Glücklicherweise hatte es sich bis jetzt am Abend fast immer stark abgekühlt, so daß man die Nacht zum Tage machen konnte.

Seit einigen Tagen blieb nun aber auch die Abendkühlung aus. Eine dumpfe schwere Schwüle lag Tag und Nacht über der Stadt und drang auch immer mehr in die Häuser, wenn Tür und Tor und Fenster auch Tag und Nacht verriegelt und verschlossen blieben.

Sogar die Wasserleitung drohte zu versiegen, wenn das noch lange so weiterging.

Eine schwere dumpfe Schwüle breitete sich auch in den Herzen der Menschen aus.

Vom östlichem Kriegsschauplatz kamen beunruhigende Gerüchte. Niemand konnte sagen, wer sie aufbrachte, aber sie waren da und lasteten auf den Herzen. Warum hat Deutschland immer noch nicht die Offensive gegen Rußland wiederaufgenommen? fragten sich die einen, leise besorgt. Was hindert Rußland denn immer noch, Frieden zu schließen? fragten die andern. Und auf beide Fragen gab es abends im »Café Bulgarie« tausenderlei Antworten, eine oft törichter als die andere, ausgebrütet von der beklemmenden Schwüle, die auf den Menschen lag und in die Menschen eindrang.

Vom Rilogebirge her wetterleuchtete es, aber es kam kein Regen, keine Abkühlung.

Sogar die Mazedonier waren mißmutig, nervös, und sie wurden mißtrauisch, wie Friedrich Franz von Kaufmann beobachten konnte, der nicht sonderlich unter der Schwüle litt. –

Da kamen die ersten Nachrichten von der Brussilowoffensive. Also zu so etwas ist Rußland immer noch imstande! dachten gar viele enttäuscht. Es fehlte aber auch nicht an einzelnen Leuten, die dachten, ein republikanisches Heer, das ist das wahre, da können wir noch etwas erleben; und ihr republikanisches Herz wußte nicht recht, ob es sich freuen oder fürchten sollte, dem, Bulgarien stand ja auf der anderen Seite und hatte viel zu verlieren, und Bulgarien war ihnen zumeist doch noch mehr ans Herz gewachsen als die schönsten republikanischen Ideen.

Dann hieß es, den Österreichern ging es schlecht, Brussilow treibe sie zu Paaren, und da die Zensur im demokratischen Bulgarien sehr drakonisch waltete, wurden die Gerüchte immer wilder.

Man ging den Österreichern, die man sonst so gern mochte, etwas aus dem Wege. Wenn sie geschlagen wurden, war das ja auch ein Unglück für Bulgarien. Die Österreicher aber ließen die Ohren hängen. Ob wegen der Hitze oder wegen der Brussilowoffensive, war schwer zu entscheiden.

Auf den Straßen roch es Übel nach faulendem Obst und Fleisch, und sogar die Deutschen waren dankbar, wenn aus einem der ungezählten kleinen Rädchen statt dieser Fäulnisdüfte einmal der zähe süße Geruch von Knoblauch drang.

Die ganze Aufmerksamkeit war auf die Deutschen gerichtet. Was machten sie für Gesichter, was sagten sie? Der eine wollte dieses gehört haben, der andere jenes, jedenfalls schienen sie nach wie vor guten Mutes zu sein, und im »Deutschen Haus« wurde gearbeitet den ganzen Tag über, als gäb' es im Schatten nicht vierzig Grad Hitze; und auch bis tief in die Nacht hinein, als wäre die Nacht nicht genau so schwül wie der Tag. Niemals gaben sie Ruhe, diese Deutschen, fast unheimlich war es, aber Respekt mußte man davor haben. Die wohlhabenden bulgarischen Familien kehrten von ihren Landhäusern in die Stadt zurück, weil es in den Stadthäusern immer noch weniger heiß war als in den leicht und dünn gebauten kleinen Villen in den Dörfern.

Nach dem Abendessen stellten sich Leda und Eveline bei Maria Petrow ein, denn Petrows bewohnten zwar kein großes, aber ein verhältnismäßig kühles Haus. Es gab Tee und allerhand Süßigkeiten.

»Ich bin nur froh, daß ich noch nicht nach Konstantinopel zurück muß. Da ist es jetzt noch unerträglicher«, meinte Eveline und knabberte an einem Bonbon.

»Auf dem Lande war es jedenfalls schlimmer als hier«, sagte Leda und trank mit Behagen ihren Tee.

»Und Herren waren natürlich auch nicht draußen«, warf Maria etwas spöttisch ein.

»Müssen die armen Kerle schwitzen, wenn sie so laufen müssen«, sagte Eveline.

»Wer denn?« fragten die beiden andern erschrocken.

Eveline lachte. »Die Österreicher, wer denn sonst?«

»Ach so«, meinte Maria erleichtert.

»An wen dachtest du denn, Maria?« fragte Eveline lachend.

Marias Vater trat in das Zimmer und brachte Boris Makarow mit.

»Eine ausgezeichnete Witterung hast du, Boris«, sagte Leda spöttisch.

Maria und Eveline erröteten beide ein wenig.

»Darauf habe ich mir immer etwas zugute getan«, lautete die spöttische Antwort.

Die beiden Herren nahmen Platz und zündeten sich eine Zigarette an.

»Papa sagt, die Nachrichten sind nicht gut«, meinte Boris. »Er ist sogar direkt aufgeregt, also sind die Nachrichten schlecht, direkt schlecht.«

»Und Lissiza der Zar hat einen Gichtanfall und muß das Bett hüten«, sagte Stefan Petrow.

»Nun fehlt mit noch Mama mit einer schlechten Nachricht«, meinte Maria und griff nach einem Biskuit.

»Leider habe ich die auch«, klang es von der Tür her. »Der Zarin geht es sehr, sehr schlecht.«

Frau Petrow zog sich auch einen Stuhl cm den Tisch.

»Ob er ein drittes Mal heiraten wird?« fragte Eveline.

»Wie häßlich von dir, pfui, schäme dich!« Maria war ernstlich böse.

Eveline schob sich ein Praliné in den Mund, ohne eine Miene zu verziehen. »Mein Gott, allzu lustig hat er es bis jetzt nicht gerade gehabt. Ich könnte mir so ein Leben schon lustiger denken.«

»Wie zum Beispiel?« fragte Boris.

»Zum Beispiel außerhalb Bulgariens.«

Alle lachten. Da wurde Eveline ärgerlich und sagte: »Ihr seid ein so ernstes, gräßlich strebsames, ewig politisierendes und krittelndes Volk, es macht nicht gerade Vergnügen, euer Zar zu sein.«

»Zum Vergnügen wird man das ja auch nicht«, sagte Vater Petrow ernst.

»In Ungarn hat er's lustiger, deshalb ist er auch so gern dort.« Eveline ließ sich so leicht nicht irremachen.

»Und wie steht es denn mit Deutschland?« fragte Boris.

»Da ist er auch nicht besonders gern, wie mir scheint. Kein Wunder, denn das ist ja auch ein so ernstes, strebsames Volk.«

»Sie sind doch selbst eine halbe Deutsche?«

»In dieser Hinsicht kaum.«

»Jedenfalls passen die Deutschen und Bulgaren gut zusammen«, erklärte Stefan Petrow befriedigt.

»Das möchte ich so ohne Einschränkung doch nicht behaupten«, erwiderte der Leutnant.

»Boris denkt dabei an einen bestimmten Bulgaren und einen ganz bestimmten Deutschen, Gospodin Petrow,« meinte Leda ironisch, »dieser bestimmte Bulgare kann jenen bestimmten Deutschen durchaus nicht leiden, wenn ich richtig zu urteilen vermag?«

»Das Urteil ist durchaus richtig.«

»So redet doch nicht länger in Rätseln«, bat Frau Petrow.

Ein greller Blitzschlag durchzuckte das Zimmer, das nur mäßig von abgedämpftem elektrischen Licht erhellt war.

Alle eilten an die Fenster.

»Es wird wieder nichts mit dem Regen,« meinte Frau Petrow verstimmt, »und wir hätten ihn doch so bitter nötig.«

Man setzte sich wieder um den Tisch, und Maria sagte: »In der Sweti Kral soll ein Heiligenbild Tränen vergießen.«

Boris lachte laut.

»Es beschäftigt die Leute sehr und beunruhigt sie. Schon gehen die Bauern aus den Dörfern heimlich dorthin wallfahrten.«

»Professor Filow hat das Bild untersucht. Es handelt sich nicht um Tränen, sondern um Ölfarbe, die das Holz infolge der Hitze ausschwitzt, das ist alles«, erklärte Boris spöttisch.

»Aber die Bauern lassen es sich nicht nehmen, daß der Heilige weint, weil Sofia ein Unglück bevorsteht«, sagte Maria.

»Die einen bringen es mit dem hoffnungslosen Zustand der Zarin in Zusammenhang,« erklärte Frau Petrow, »die andern mit politischen Ereignissen, die uns drohen.«

»Natürlich, selbstverständlich, es wäre doch auch geradezu unnatürlich für hier, wenn nicht sogar ein weinendes Heiligenbild mit Politik zu tun hätte«, sagte Eveline voller Genugtuung.

»Überall tun sich Wahrsagerinnen auf und prophezeien Unheil«, fuhr Maria fort.

»Zwei hat die Polizei schon erwischt und eingesperrt. Die Polizei ist der Ansicht, daß die Entente dahintersteckt, um das abergläubische Volk zu beunruhigen«, sagte Boris.

»Wenn nur die Deutschen den Österreichern zu Hilfe kommen möchten, dann wäre die Stimmung wieder besser«, erklärte Vater Petrow.

»Und wenn es regnen wollte«, sagte seine Frau.

»Und die Heiligenbilder nicht mehr weinen«, meinte Eveline.

»Wenn eben alles ganz anders wäre, als es ist«, sagte Boris und sah Leda herausfordernd an.

»Wir sind eben verwöhnt«, erwiderte Leda anzüglich und blickte Boris kampflustig in die Augen.

Von draußen wurde an das Fenster geklopft. Die Damen fuhren zusammen und erblaßten.

Stefan Petrow riß das Fenster auf.

»Habe ich euch erschreckt?« fragte Radschi Petrow von draußen.

»Das war wirklich überflüssig, Radschi«, rief Maria ärgerlich.

Radschi lachte. »Wir leben doch in einem wohlgeordneten Staatswesen nach westeuropäischen Mustern.«

»Daran denkt man nicht in jedem Augenblick«, rief Leda.

»Und außerdem ist Krieg!« rief Eveline.

»Ach nein, was Sie nicht sagen, gnädiges Fräulein, denken Sie, das habe ich fast schon vergessen.«

Der Vater schloß das Fenster wieder. Frau Petrow meinte etwas besorgt: »Hat er getrunken?«

»Das lernen wir nachgerade von den Deutschen«, behauptete Boris.

»Das hat man, wenn man wollte, von den Russen noch viel besser und gründlicher lernen können«, sagte Stefan Petrow trocken.

Radschi Petrow erschien, küßte der Mutter und den Damen die Hand und sagte: »Ich habe eine gute Neuigkeit.«

Alle sahen ihn gespannt an.

»Was kriege ich zur Belohnung?«

»Einen Kuß!« rief Maria.

Radschi sah Eveline an.

»Von mir nicht, und wenn die britischen Inseln im Meer versunken wären.«

»In den nächsten Tagen beginnt die deutsche Gegenoffensive gegen Brussilow.«

»Gott sei Dank«, sagte Stefan Petrow. Alle atmeten auf. Nur Boris meinte skeptisch: »Woher weißt du das so bestimmt?«

Radschi lachte. »Umsonst habe ich doch nicht Freundschaft mit den deutschen Funkern geschlossen, umsonst trinke ich doch nicht einen Abendschoppen im deutschen Offiziersheim. Da erfährt man durchaus zuverlässig, was vorgeht.«

»Da ist es wohl immer sehr voll?« fragte Boris.

»Voll und gemütlich«, lautete die Antwort.

»Auch deutsche Zivilisten verkehren dort?«

»Nicht gerade viele, nicht allzuhäufig«, meinte Radschi zerstreut.

Leda blitzte Boris an und fragte: »Aber Herr von Kaufmann wird doch dort verkehren?«

»Ich treffe ihn häufiger dort«, erwiderte Radschi.

»Was treibt der eigentlich hier? Ich kann mir darüber durchaus nicht klar werden«, sagte Boris. »Daß er mal preußischer Offizier war, sieht man ihm auf drei Meilen an. Warum läuft er aber in Zivil herum? Was will der Mann überhaupt bei ums?«

Leda lächelte.

Boris fuhr sie an: »Du machst ja ein Gesicht, als wüßtest du ganz genau Bescheid darüber.«

Leda strahlte. »Mich interessiert mehr der Mensch als sein Geschäft.«

»Leda hat sich ein bißchen in ihn verliebt, ich auch«, sagte Eveline lustig.

»Kinder, Kinder!« Frau Petrow schüttelte den Kopf.

Boris wandte sich wieder mit einiger Heftigkeit an Leda:

»Jedenfalls steht er mit euch Mazedoniern in Verbindung?«

Leda sah ihn erschrocken an. »Davon weiß ich nichts.«

»Derlei pflegt man jungen Damen ja nicht so ohne weiteres zu sagen. Nach meiner Ansicht ist er nichts anderes und nichts weiter als ein deutscher Spion.«

»Unter Verbündeten gibt es keine Spione«, sagte Stefan Petrow ruhig.

»Wie nennt man diese Tätigkeit bei Verbündeten, die man bei Feinden Spionage nennt?« fragte Boris hitzig.

»Wir könnten es vielleicht Hilfsdienst nennen«, meinte Stefan Petrow lächelnd, »und den Mann, der ihn leistet, nicht Spion, sondern Helfer.«

Boris wollte aufbrausen, aber Stefan hielt ihn zurück. »Wir haben mindestens ein Dutzend solcher Helfer in Berlin, weshalb sollen die Deutschen nicht auch einige Leute dieser Art bei uns haben? Unsere Helfer unterrichten uns über Deutschland, die deutschen Helfer unterrichten Berlin über Bulgarien. Das alles ist doch nur gut und nötig und eigentlich auch ganz selbstverständlich.«

»Ich glaube nicht, daß sich Herr von Kaufmann besonders für Politik interessiert!« rief Leda.

»Mit jungen Damen wird er sich wohl über andere Dinge unterhalten«, erwiderte Boris gereizt.

»Das sagen Sie nicht«, fiel Eveline ein. »Wenn er die Bulgaren nur ein wenig kennt und sich wirklich für Politik interessiert, wird er sich auch mit Bulgarinnen darüber unterhalten, denn die Bulgaren tun das doch auch.«

»Aber ich will davon nichts wissen und nichts hören!« sagte Leda erregt.

»Das wird er gemerkt haben«, meinte Boris, »und sich mit dir nicht darüber unterhalten. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß er sich nicht mit Politik beschäftigt, vielleicht sogar berufsmäßig, gewerbsmäßig.«

Leda wollte heftig antworten, aber Eveline hinderte sie. »Ich bitte dich, Leda, merkst du denn nicht, daß Gospodin Makarow dich nur ärgern will? Falle ihm doch nicht darauf herein.«

Leda schwieg und machte ein finsteres Gesicht. Sie nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit Herrn von Kaufmann darüber auszuforschen. Vielleicht verkehrte er nur deshalb jetzt häufiger in ihrem Haus, vielleicht waren die Eltern nur deshalb so entgegenkommend zu ihm, vielleicht ... Mein Gott, vielleicht war sie bisher wirklich dumm und blind gewesen. Nur mit Mühe konnte sie einen schweren Seufzer unterdrücken. Sie sah auf, erhob sich und wollte nach Hause gehen. Sofort erhob sich auch Eveline.

Boris erbot sich, die Damen nach Hause zu bringen, aber Leda lehnte das ab.

»Ich werde Sie begleiten,« sagte Stefan Petrow, »es ist ja nicht weit.«

Damit war Leda einverstanden.

Boris war blaß geworden und blieb noch für eine Weile bei den Geschwistern, während Frau Petrow ihr Schlafzimmer aufsuchte.

»Was sich liebt, das neckt sich«, meinte Radschi lächelnd.

Maria errötete, wollte etwas sagen, schwieg aber, weil sie sich plötzlich befangen fühlte und unfähig, ein Wort zu sagen, ohne in Tränen auszubrechen.

»Er soll sich in acht nehmen!« knirschte Boris leise in sich hinein.

»Diese Abneigung Ledas ist schon mehr krankhaft«, meinte Radschi.

Maria hatte sich wieder in der Gewalt und erwiderte: »Du vergißt, was ihre Schwester durchgemacht hat, und warum sie das hat durchmachen müssen.«

»Adda Serafinow ist eine energische Frau.«

»Als der Battenberger ins Land kam, hat einmal einer geschrieben: In jener Zeit gab es nur einen Mann in Bulgarien, und das war die Serafinowa«, sagte Maria.

»Du sagst das nicht gerade sehr begeistert«, meinte ihr Bruder.

»Weil zu einer solchen Mutter Söhne gehören und nicht Töchter, und deshalb tut mir Leda leid, wie mir auch Katharina von jeher leid tat.«

Boris meinte: »Dobri Pejew war ja gewiß ein talentvoller Schriftsteller, aber er war doch sonst nichts, er hatte doch nichts.«

Maria lachte höhnisch auf. »Damit hatte sich doch Katharina abzufinden, aber nicht ihre Mutter.«

Wieder zuckte ein Blitz grell durchs Zimmer. Man hörte auch einen fernen Donner, und ein wenig Wind kam auf.

Alle drei sahen sich an. Wenn nur Regen käme. Darin waren sie sich einig. Und das war ihnen sofort das wichtigste. Sie gehörten ja alle drei einem Bauernvolk an.

Am andern Morgen goß es in Strömen, aber die Bulgaren waren doch nicht zufrieden. Sie sagten, der Boden sei zu hart und ausgedörrt, dieser Regen dringe in den harten Boden nicht ein, sondern fließe nur darüber hin. Viel nütze er deshalb nicht. Ein langsamer, stiller Landregen müsse kommen, der wenigstens einige Tage anhalte und langsam und gründlich in die Erde eindringe.

Nicht einmal der liebe Gott kann es den Bulgaren recht machen, dachte Leutnant Gonthard, der bei Petrows Tee trank.

»Ich weiß, was sie denken«, sagte Maria. »Kommen Sie für einen Augenblick mit in den Garten.«

Der Leutnant war sofort dazu bereit.

Maria ergriff einen Spaten und grub. Die Schollen waren auf der unteren Seite strohtrocken.

»Da sehen Sie es selbst«, sagte Maria, »ein andermal schimpfen Sie nicht auf uns, wenn Sie von solchen Dingen nichts verstehen.«

Der Leutnant lachte und führte Maria in das Haus zurück.

»Kennen Sie diesen Herrn von Kaufmann eigentlich näher?«

»Keine Ahnung, mein gnädiges Fräulein. Aber wenn Sie befehlen, kann ich ja mal herumhorchen und an verschiedenen Türen, hinter denen man Bescheid wissen muß, anklopfen.«

»Was sollten denn das für Tüten sein?«

»Nun, zum Beispiel unsere Nachrichtenabteilung, die weiß alles.«

Maria lachte. »Um Gottes willen, tun Sie das lieber nicht, Herr Leutnant, so wichtig ist mir die Sache nicht. Ich dachte nur, wem Sie den Herrn zufällig näher kennen würden ...«

»Bedaure lebhaft, gnädiges Fräulein, hätte ich das gewußt, wäre ich ihm natürlich längst persönlich nähergetreten, aber ich ahnte das natürlich nicht, da hält man sich ein bißchen zurück. ES laufen hier ja jetzt so viele merkwürdige Leute herum ... von Kaufmann, preußischer Uradel ist es jedenfalls nicht, das steht fest ...«

»Hören Sie auf, Herr Leutnant, hören Sie auf, gar nichts will ich wissen, die Sache ist erledigt.«

Aber im stillen nahm sie sich vor, da sie einigt Herren von der Nachrichtenabteilung gut kannte, selbst bei Gelegenheit sich zu erkundigen. Sie hing sehr an Leda Serafinow, und diese schien sich ja wirklich für Herrn von Kaufmann zu interessieren. Eigentlich hatte alle Welt angenommen, Leda würde sich in Bälde mit Boris Makarow verloben. Frau Adda hatte es nicht an Andeutungen fehlen lassen. Aber nun schien das doch nicht der Fall zu sein, und sogar Frau Adda schien sich damit abgefunden zu haben, seitdem Herr von Kaufmann häufiger bei ihr ein und aus ging. Sollte sie vielleicht nach dieser Richtung hin Absichten mit Leda haben? Möglich war das immerhin, zumal die Mazedonier und die Deutschen sich ganz besonders gut standen.

Auch mußte Frau Adda als leidenschaftliche Ukrainerin den Deutschen ja besonders wohlgesinnt sein, denn wenn sie den Russen den Garaus machten, halfen sie dadurch den Ukrainern. Und in Ermanglung von Söhnen trieb die Frau mit ihren Töchtern Politik ... Boris würde sich dann damit abfinden müssen, und allzu schwer würde es ihn nicht treffen, den leichtsinnigen Schmetterling, der von Blume zu Blume gaukelte ...

»Darf ich mir eine Frage erlauben, mein gnädiges Fräulein?« sagte Gonthard.

Maria sah auf. »Bitte.«

»Ich gäbe etwas drum, wenn ich erfahren dürfte, was Sie eben gedacht haben. Sie lächelten so eigen.«

»So, tat ich das? Davon weiß ich nichts, Herr Leutnant.« Sie erhob sich und trat ans Fenster. »Bei dem Regen wird wohl niemand mehr kommen. Es gehört schon Ihr Mut dazu, Gospodin Gonthard, trotzdem den Weg zu uns zu finden.«

»Das bißchen Wasser. Durchs Feuer würde ich gehen ...«

»Um Himmels willen, machen Sie nicht gar so feurige Augen!«

Verstimmt meinte der Leutnant: »Auch Sie nehmen mich nicht ernst, ich denke, das habe ich wirklich nicht verdient.«

Sie streckte ihm die Hand hin. »Seien Sie mir nicht böse.«

Gonthard seufzte, »Leider vermag ich das überhaupt nicht.«

Maria Petrow war zerstreut. Einen Augenblick zögerte der Leutnant noch, dann seufzte er elegisch und empfahl sich. Schade um die neuen Lackschuhe, die er für diesen Besuch angezogen hatte. Der Regen würde sie gänzlich ruinieren, ohne daß er viel davon gehabt hätte.

Ein schon mehr tropischer Regen. Dick, unaufhaltsam strömte er aus dem Himmel, und wenn er nach bulgarischer Auffassung dem Land auch wenig nützte, so verwandelte er die staubigen Straßen, die ja nur teilweise gepflastert waren, um so gründlicher zu schmierigen Tümpeln und Pfützen. Nach wenigen Minuten sah man aus, als wäre man viele Stunden über Land gewesen.

Am »Deutschen Haus« drängten sich trotz des Regens die Menschen und warteten ungeduldig auf den deutschen Heeresbericht, der hier zuerst ausgehängt wurde. Wie ein Lauffeuer war es durch die Stadt gegangen, die Deutschen hätten zusammen mit den Österreichern eine Gegenoffensive gegen Brussilow unternommen. Den meisten war es bei diesem Gerücht, von dem niemand wußte, woher es kam, als würde ihnen ein Stein vom Herzen genommen. Nach den üblen Erfahrungen im zweiten Balkankrieg wurden die meisten Bulgaren sofort mißtrauisch und ängstlich, wenn auf den Kriegsschauplätzen einmal nicht alles genau so ging, wie sie es sich für Bulgarien wünschten.

Man sah den kleinen Leutnant Gonthard fast ehrerbietig an, als er in das »Deutsche Haus« trat. Er wußte sicher mehr von der Sache. Aber warum machte er ein so nachdenkliches Gesicht? Waren die Deutschen ihrer Sache doch nicht so ganz sicher?

Endlich trat gemächlich ein deutscher Landsturmmann aus der Tür, eine Zigarette im Mund, einen Bogen Papier zwischen den gebräunten Fäusten. Er lachte behaglich, als er die vielen Leute im Regen stehen sah, deren Blicke gespannt an dem Bogen Papier in seinen Fäusten hingen.

In aller Ruhe und langsam öffnete er das Gitter, hinter dem der Bericht von gestern hing, nahm ihn heraus und heftete den neuen Bericht umständlich an die Stelle des alten.

»Vorlesen!« tief einer, als der Soldat wieder im Hause verschwunden war. Mit lauter Stimme las ein jüngerer Herr den Bericht Satz für Satz vor, erst deutsch, dann bulgarisch.

Allgemeine Enttäuschung malte sich auf den Gesichtern, denn der Bericht enthielt nichts von alledem, was man erhofft hatte, er war ganz allgemein und recht kurz gehalten.

Sofort bildeten sich ringsum kleine Gruppen. Um den Regen kümmerte sich niemand, an ihn dachte niemand.

Man gestikulierte lebhaft und sprach eifrig und laut aufeinander ein. Schließlich tröstete man sich mit der Bemerkung eines älteren Mannes, wenn der deutsche Bericht so wortkarg sei, bedeute das immer, daß größere Kampfhandlungen in Gang kämen, über die man aber noch nicht berichten wolle, bevor ihr Erfolg zu übersehen sei. Die Deutschen wären eben vorsichtige Leute.

Jetzt merkten die Menschen auch wieder, daß es regnete, schüttelten sich wie nasse Pudel und spotteten ein wenig über sich selbst, daß sie immer noch hier im Regen umherstanden.


 << zurück weiter >>