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II.

Gospodin und Gospodscha Karakinow hatten wie jeden Donnerstag ihren Jour. Da Gospodscha Karakinow eine Rheinländerin war, die ihr Mann als junger Student der Medizin in Bonn kennengelernt hatte, wurde ihr Jour von den Deutschen besonders zahlreich besucht. Aber auch die österreichischen und ungarischen Herren, die nach Sofia abkommandiert waren, ließen es sich nicht nehmen, regelmäßig zu erscheinen, denn Peter Karakinows Haus war berühmt seiner vorzüglichen und reichhaltigen Küche wegen. Der Jour sollte zwar eigentlich nur in einem Tee mit Gebäck bestehen, aber meistens schloß sich noch ein Abendessen an; und der Tee war eigentlich nur für die Damen und die bulgarischen Herren da. Für die andern Gäste bildete er nur einen kurzen Übergang zu inhaltreicheren Getränken. Und gab es einmal kein warmes Abendessen, so stellten sich doch stets zahlreiche kalte Leckerbissen, wie geräucherter Bärenschinken aus dem Rilogebirge und eine umfangreiche, sehr zarte Lachsforelle aus dem Ochridasee ein. Die Mazedonier an der Front sorgten dafür, daß Peter Karakinow, der aus Ochrid stammte und ein führender Mann in den Freiheitsbewegungen gewesen war, immer zuerst das Beste erhielt, was in seiner alten Heimat zu haben war.

Am wenigsten zahlreich stellten sich im Hause dieses Mazedoniers altbulgarische Familien ein.

An diesem Donnerstag gegen fünf Uhr nachmittags rollten die deutschen und österreich-ungarischen Militärautos besonders zahlreich zu dem Hause in der 6. Septemberstraße, das von außen so unscheinbar und kleinbürgerlich aussah, in seinem Innern aber merkwürdig viele, große und nach neuestem Werkbundgeschmack eingerichtete Räume barg.

Als Friedrich Franz von Kaufmann dem Diener in Frack und weißen Handschuhen seinen Hut übergeben hatte, gelang es ihm nur mit Mühe, bis zur Hausfrau vorzubringen, um ihr die Hand zu küssen.

»Ist Ihnen die Heldentat von neulich gut bekommen?« fragte die Hausfrau leise und ein wenig forschend.

»Danke, vorzüglich, irgendwelche Schäden haben sich bis jetzt nicht bemerkbar gemacht, gnädige Frau.«

»Das freut mich sehr«, sagte die Hausfrau. Und auf einen fragenden Blick Friedrich Franzens fuhr sie noch leiser fort: »Es muß endlich doch auch einmal einen Mann geben, der sich an Leda Serafinow nicht das Herz verbrennt. Ich würde es vor allen ihr selbst wünschen, denn sie hat es bei ihrem auffallenden Äußeren nicht ganz leicht, ruhig durchs Leben zu kommen.«

»Mein Gott, ob das wirklich der Zweck des Lebens ist, gnädige Frau? ... Übrigens weiß man immer noch nichts Neues über die mutmaßlichen Räuber?«

»Nicht so ungeduldig, Herr von Kaufmann, hierzulande haben wir es nicht eilig in solchen Dingen. Mein Mann ist schon mit Eifer hinter der Sache her. Leda ist sein Patenkind, da weiß er sich besonders verpflichtet.« Die Hausfrau nickte ihm freundlich zu und wurde von andern Gästen in Anspruch genommen.

»Servus, Herr Baron, meine herzlichste Gratulation, das war fesch von Ihnen, meine Hochachtung!« wurde Friedrich Franz von einem Sekretär der österreichischen Gesandtschaft begrüßt. »Aber das Madel ist auch wert, daß man sich eine Hachsen um sie ausreißt.«

»Nein, was Sie ein Schwein haben! Rein zum Neidischwerden!« begrüßte ihn ein deutscher Leutnant.

»Das ist ja fürchterlich, so ein Nest!« wehrte Friedrich Franz heftig ab.

»Gehn's, reden's nit so daher, wir sin alle narrisch wor'n vor Eifersucht, wie wir davon g'hört ham.«

Friedrich Franz flüchtete zu einer Gruppe älterer bulgarischer Damen, wo man sich französisch über die Aussichten einer neuen deutschen Offensive im Westen unterhielt. Da Frauen höherer bulgarischer Stabsoffiziere sich in dieser Gruppe befanden, interessierte sich Friedrich Franz für das Gespräch, aus dem man mit ziemlicher Sicherheit heraushören konnte, wie die Männer darüber dachten, die sich in Gegenwart von Deutschen über das Thema entweder äußerst enthusiastisch oder sehr zurückhaltend und gewunden ausdrückten, um sich nicht nach irgendeiner Richtung hin festzulegen.

Alle Damen waren jedenfalls der Ansicht, daß die Offensive bald käme, und daß die Deutschen kraft ihrer Disziplin und Organisation Sieger bleiben würden.

Friedrich Franz wandte sich ein wenig mißmutig ab. Die Worte Disziplin und Organisation konnte er kaum noch hören. Wir erscheinen nachgerade der ganzen Welt nur noch wie eine besonders gutgeölte Maschine, dachte er ärgerlich. Disziplin und Organisation, das sind kalte, unpersönliche Begriffe, die man bestenfalls respektiert, noch mehr vielleicht fürchtet, aber sie erzeugen keine Wärme, keine Begeisterung, keinen Enthusiasmus, worauf es schließlich doch ankommt.

Die Gespräche ringsum verstummten plötzlich. Alles blickte auf einen alten Herrn, der nach rechts und links grüßend und Hände schüttelnd sich einen Weg zur Hausfrau bahnte, die ihm ein wenig entgegenkam. Ihre Wangen röteten sich, sie fühlte sich durch das Erscheinen dieses Gastes offenbar besonders geehrt. Auf eine Frage erfuhr Friedrich Franz, der alte Herr sei der Führer einer Abordnung aus der Dobrudscha, die gestern in besonderer Mission beim Ministerpräsidenten vorgesprochen habe wegen Angliederung der ganzen Dobrudscha an das Zarentum Bulgarien.

Ich wußte es ja, dachte Friedrich Franz, mit dem Essen wächst der Appetit. Mazedonien haben sie, nun kommt die Dobrudscha an die Reihe.

Peter Karakinow trat in die Mitte des einen Zimmers und hielt eine kleine Ansprache an den alten Herrn; und zwar französisch, damit ihn jedermann verstehen könne.

Eigentlich etwas naiv, dachte Friedrich Franz, wie Peter Karakinow, der Mazedonier, der seine Sache im Trockenen weiß, nun dem Dobrudschaner die Hilfe der Mazedonier verspricht, um die solange geknechteten Söhne der Dobrudscha ihrem wahren Vaterlande Bulgarien wieder zuzuführen.

Die kleine Rede rief große Begeisterung hervor. Es wurde heftig Beifall geklatscht.

Der alte Herr erwiderte sofort in einer längeren Rede. Er bewies haarscharf, daß die ganze Dobrudscha von jeher rein bulgarisches Land gewesen sei, sozusagen die Wiege Bulgariens, daß diese treusten Heldensöhne Bulgariens ein natürliches Recht darauf hätten, wieder mit dem alten Vaterland vereinigt zu werden, ein Recht, das sogar den feierlich proklamierten Grundsätzen der Entente und Wilsons entspräche, und daß von irgendeinem Annexionsgedanken dabei nicht die Rede sein könne.

Aus dem harmlosen Fünfuhrtee wurde so für eine halbe Stunde ein politischer Salon mit politischer Propaganda.

So etwas möchte ich mal in Deutschland erleben, wenn auch nur ein einziges Mal, dachte Friedrich Franz. Wenn alles, was einmal im Laufe der Geschichte deutsch war, wieder deutsch werden soll, mir ist es gewiß recht, aber was setzte das für Proteste in Deutschland selbst?

»Fesch seins, was, die Brüder?« Der österreichische Gesandtschaftssekretär schob lachend einen Arm unter den Friedrich Franzens. »Eine Mordhetz wird das wieder geb'n mit di Dobrudschaner, a Mordshetz ... Ganz recht haben's, die Brüder, schrein muß mer, sonst gibt's nix, garnixen!«

Ein Sekretär der deutschen Gesandtschaft trat herzu und murmelte etwas von der wirklich erstaunlichen Vitalität und dem echt orientalischen Länderappetit, der soeben laut geworden. Starr und wie aus den Wolken gefallen blickte das rechte Auge durch das Einglas, während sich um das linke Auge viele satirische Fältchen legten.

»Ge' mer ein Haus weiter«, schlug der Österreicher dem deutschen Kollegen vor. »Hier wird's jetzt fad mit dera Politik.«

Die beiden Herren schlängelten sich vorsichtig dem Ausgang zu, wurden aber verschiedentlich aufgehalten, weil man gerade ihre Ansichten über die beiden Reden und die Zukunft der Dobrudscha hören wollte, während sie es doch für ihre wesentlichste Aufgabe hielten, über derlei weder eine Ansicht zu haben noch eine solche zu äußern.

Peter Karakinow trat zu Friedrich Franz, um ihn zu fragen, ob er Lust und Zeit zu einem Bridge ober einem Poker habe. Im oberen Stockwerk sei schon alles dafür hergerichtet.

Aber Friedrich Franz lehnte dankend ab, während schon eine ganze Anzahl von Herren die Treppe in das obere Stockwerk hinaufgestiegen.

Musik ertönte. Die Damen und einige jüngere Herren schoben die Stühle an die Wände, damit es mehr Platz zum Tanzen gäbe.

Ein bulgarischer Leutnant trat in die Mitte und gab einige Nationaltänze zum besten. Sie glichen einander sehr, mochten sie nun aus Altbulgarien oder aus Mazedonien oder vom Morawagebiet stammen.

Eigentlich verwunderlich, dachte Friedrich Franz, daß die bulgarische Politik daraus noch kein Kapital geschlagen hat. Alles, was solche und ähnliche Tänze tanzt, gehört zum großen bulgarischen Brudervolk, das unter einen Hut kommen muß, wenn der ganze Weltkrieg überhaupt einen Sinn haben soll.

Friedrich Franz war schlechter Laune, ohne dafür einen sachlichen Grund angeben zu können.

Er hätte schon längst die jungen Mädchen begrüßen sollen, Maria Petrowa sah immer wieder fragend zu ihm hinüber, aber er verspürte nicht die geringste Lust dazu.

Die Musik spielte einen Walzer von Strauß. Die Paare drehten sich im Kreise. Friedrich Franz sah heimlich nach der Uhr. Es war sechs, neue Gäste kamen wohl kaum noch.

Friedrich Franz lauschte nach dem Gang, wo jemand begrüßt wurde. Die Musik brach mitten im Walzer ab und begann einen Tango zu spielen. Der bulgarische Leutnant, der die Nationaltänze zum besten gegeben, stürzte zum Gang und erschien schon im nächsten Augenblick mit Leda Serafinow am Arm. Alle klatschten Beifall und traten zurück, um dem Paar Platz zu machen.

Ihr Vater sitzt irgendwo bei serbischen Räubern und sie tanzt, dachte Friedrich Franz. Merkwürdige Sitten. Schon neulich war ihm aufgefallen, als er darüber nachdachte, wie ungewöhnlich es eigentlich war, daß Leda Serafinow weder weinte noch jammerte, als der Chauffeur sie von den Fesseln befreite, ja überhaupt keine Gemütsbewegung zeigte, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, im einsamen Iskertal überfallen, gebunden und fortgeschleppt zu werden.

Aber tanzen konnte sie! Friedrich Franz wandte keinen Blick von ihr. Und ihr Partner tanzte ebenfalls vorzüglich. Er erkundigte sich nach ihm. Leutnant Boris Makarow von der Gardekavallerie, ein Sohn des bekannten Generals, der beim Zaren in besonderer Gunst stand. Wie Spötter behaupten, weil er trotz seiner Schönheit so beruhigend dumm sei.

Es war so still in dem Raum, wo das Paar tanzte, daß man nur den Atem der Tanzenden hörte.

Aller Augen hingen an den Bewegungen der beiden. Jeder Frau, jedem Mädchen sah man an, wie es den Rhythmus der vollendeten Bewegungen genoß wie ein Kunstwerk. Darauf verstanden sich diese Bulgaren.

Nun trat Friedrich Franz doch zu Maria Petrowna, die ihm nur stumm die Hand drückte, so ganz war sie dem Tanz der beiden hingegeben.

Die Musik ging zu einem rasenden Galopp über. Leda Serafinow und Leutnant Makarow rasten über den Boden. Die Frauen und Mädchen ringsum atmeten schneller, ihre schwarzen Augen glänzten und glühten. Es hielt sie kaum noch auf ihren Stühlen und Sesseln.

Die Musik brach jäh ab. Ein Beifallklatschen, das nicht enden wollte, erhob sich. Leda Serafinow, die Hand auf dem Herzen, eilte zu den jungen Mädchen. Maria Petrowa sprang auf, zog Leda Serafinow auf den Sessel, umarmte sie und küßte sie leidenschaftlich.

Boris Makarow, dessen schwarze Augen wie Feuer brannten, ließ sich von den älteren Damen huldigen.

Alles erhob sich, schwatzte, lachte und machte den beiden Komplimente. Die Musik begann von neuem zu spielen, einen Walzer.

Ehe Friedrich Franz noch zu einem Entschluß gekommen war, hatte Leutnant Gonthard sich vor Fräulein Serafinow verneigt, und schon schwebten die beiden durch das Zimmer. Nicht einmal ein Wort der Begrüßung hatte Friedrich Franz anbringen können.

Mißmutig begab sich Friedrich Franz zu einigen jüngeren bulgarischen Herren, die sich in einem Nebenraum bei einer Havanna niedergelassen hatten. Auch hier sprach man von der Dobrudscha. Es waren junge Schriftsteller, Maler und Juristen, aber alle zuerst, mit gleicher Leidenschaft Politiker. Friedrich Franz hörte eine Weile zu und strebte dann ruhelos weiter. Am einfachsten wäre es, ich ginge, ich bin heute gar nicht bei Laune, dachte er und sah wieder auf die Uhr. Dann aber beschloß er, doch bis sieben Uhr zu bleiben.

Die Musik war verstummt ... Leda Serafinow saß in einer Sofaecke und ließ sich von zwei deutschen Leutnants den Hof machen.

»Bei uns Fliegern hat sowieso fast jeder 'nen Knacks«, hörte Friedrich Franz den Leutnant von Hungen sagen.

»Wie meinen Sie das?« fragte Leda teilnehmend.

»Gott, mein gnädiges Fräulein, sehr einfach. Entweder holt man sich in der Luft einen Herzknacks, oder man kommt mal unsanft auf die Erde zu sitzen, worauf die menschlichen Gliedmaßen noch nicht eingerichtet sind. Aber das macht nichts, dafür sind wir ja da.« Er wandte sich seinem Kameraden Peters zu. »Dumm ist nur, daß die Herren von der Infanterie, wenn sie schon ihren Knacks weghaben und durchaus nicht zu Muttern heim wollen, auch noch zu uns kommen. Mit der Zeit werden wir noch die reine Krüppelgarde.«

»Lassen Sie sich nichts vormachen, gnädiges Fräulein«, lachte Peters. »So schlimm ist es noch lange nicht. Die Herren Flieger sind nur wahnsinnig eifersüchtig und möchten am liebsten ganz unter sich bleiben. Deshalb geben sie nach allen Seiten Warnungsschüsse ab, von Knacks und so. Dabei war Hungen von Haus aus Pferdejäger, brach 'ne Rippe an den Masurischen Seen, ist jetzt knapp ein halbes Jahr bei der Fliegerei und schon so eingebildet wie ein Zeppeliner.«

»Verzeihung,« fiel Hungen ein, »das ist überhaupt kein Vergleich. Diese Gulaschkanonen fliegen überhaupt nicht, die fahren, verstehst du? Wie Droschkenkutscher zweiter Güte, verstehst de?«

»Sie waren bei den Masurischen Seen?« fragte Maria Petrow, »bitte erzählen Sie!«

»Gott, gnädiges Fräulein, was sieht ein simpler Leutnant von so einer Schlacht. Einen Gaul hatte ich schon lange nicht mehr. Immer zu Fuß wie die Kartoffelhopser. Der Major war gefallen. Nur noch Reserveonkels außer mir. Tüchtige Kerle, aber mit dem Kommiß für den Hausgebrauch doch nicht immer gut zuwege ... Wir saßen also mit unsern paar Männekens zwischen zwei Moorlöchern und hatten Befehl, die Stellung bis zum letzten Mann zu halten. Mit solchen Befehlen ist man bei uns sparsam. Wie mit'n Sonntagskuchen. Da hieß es höllisch aufpassen, wenn auch niemand wußte, worauf eigentlich ... Patrouillen kommen und melden, die Russen rücken vor in hellen Haufen. Ich sage: ›Ihr habt wohl den Drehwurm, euch piekt er wohl? Helle Haufen, das gibt's ja gar nicht. Die Russen kommen in Kolonnen, so und so tief, aber nicht in hellen Haufen, denn sie sind doch nicht blödsinnig, verstanden?‹ Ich schicke neue Patrouillen aus, und die Reserveonkels machen lange Gesichter. Wir werfen Stellungen aus für die Maschinengewehre, was hast de, was kannst de, denn auch mir kam die Geschichte mulmig vor. Wir mit unsern paar Männekens, todmüde, zum Umfallen, und Russen in hellen Haufen, das konnte gut werden. Da kommen die Leute schon wieder mit derselben Meinung. Ich brülle: ›Was heißt denn helle Haufen? erklärt mir das doch mal, wenn ich höflichst bitten darf, ihr Heupferde, ja? ...‹ ›Sie kommen eben zu Tausenden, in hellen Haufen zum Sturmangriff auf uns los. Dagegen hilft alles Schimpfen nichts ...‹ Ich nehme mir den ältesten Unteroffizier beiseite, einen verständigen Mann, und sage: ›Unteroffizier, nu zotteln Sie man los. Die Kerle haben den Verstand verloren mit ihren hellen Haufen.‹ Der Unteroffizier zottelt los, und wir bauen unsere Stellungen weiter aus. Die Reserveonkels vorneweg, alles, was recht ist. Wir arbeiten im Schweiße unseres Angesichts, es war wohl auch ein bißchen Angstschweiß dabei ... Der Unteroffizier kommt zurück und bringt mit etwas wackeliger Kinnlade dieselbe verdammte Meldung ... ›In spätestens einer Stunde sind sie da‹, sagt der Unteroffizier und schweigt. Und rennen uns über den Haufen, und fertig ist die Laube, denke ich seinen Satz zu Ende ... Ein Bayerischer Kamerad, der im Zivilverhältnis Rechtsanwalt ist, denkt laut und sagt: ›Aus is, gar is! ... Aber das hilft nu alles nischt, Befehl is Befehl ... Es war doch schön auf dieser Welt, und wie es auf der andern aussieht, hat noch niemand verraten. Adjöh, Berlin! ...‹ Wir schuften weiter, was die morschen Knochen nur hergeben wollen. Rechts und links Maschinengewehre, was sich nur in Stellung bringen läßt ... Von den Flanken müssen wir sie zu fassen kriegen, dann verkaufen wir unser Leben wenigstens so teuer wie nur irgend möglich ... ›Kerls,‹ sage ich, ›keinen Schuß, bevor ich das Kommando gebe, sonst holt uns der Teufel nur eine halbe Stunde früher. Gebe ich aber das Kommando, dann 'raus aus dem Rohr, was es nur hergeben kann ...‹ Mein Bayer wirft sich auf die Erde und sagt: ›Sie kommen ...‹ Ich glaube, wir sahen alle aus wie schlechter Käse. Jeder duckt sich in seine Stellung ... Wahrhaftig, sie kommen in hellen Haufen, nun sehe ich es mit meinen eigenen Augen. Sie kommen in großen Sätzen, die Knarre hoch über den Köpfen, ohne einen Laut von sich zu geben ... ›Es wird Zeit,‹ flüstert ein Reserveonkel, dem die Nerven locker werden, ›denn die Kerle müssen noch viel näher ran, sollen wir sie richtig fassen. Das sieht doch ein neugeborenes Kind ...‹ Die Russen springen wie die Flöhe ... Jetzt wird's Zeit, denke ich, ade, du schöne Welt, und gebe das Kommando zum Feuern ... Herrgott, das flutscht nur so, es geht wie auf dem Exerzierplatz, die Rohre geben her, was nur in ihnen steckt ... Die hellen Haufen geraten ins Wanken. Aber es hilft nichts, sie müssen weiter vor, die dahinter drängen, wollen auch noch ihr Teil kriegen ... Wie lange das dauert, wissen wir nicht. Uns erschien es wie eine Ewigkeit, es war aber wohl nur knapp ein halbes Stündchen. Da wissen die Russen endlich, daß sie in eine Falle gegangen sind, aber wie wenige wir sind, das wissen sie glücklicherweise nicht ... Ein Durcheinander, ein Gebrüll! Alles drängt nach rückwärts, um aus unserem Feuer zu kommen. Alles schlägt, sticht, schießt in die eigenen Haufen, die Hölle ist los. Nach beiden Seiten suchen sie zu entkommen und drängen sich gegenseitig in die Moorlöcher. Die Pferde müssen mit in die Sümpfe, auch die Geschütze. Am fürchterlichsten sind die Schreie der ertrinkenden Pferde. Der bayerische Kamerad hält sich die Ohren zu, aber die Tränen laufen ihm über die Backen. Uns allen stehn vor Graus die Haare zu Berg ...«

Der Leutnant schwieg. Alle schwiegen.

Nach einer Weile sagte von Hungen: »Das war unser Anteil an der Riesenschlacht. Die hellen Haufen wollten keinen Sturmangriff, sie waren schon auf der Flucht. Derweil wir Angst schwitzten wie sie, war der Sieg sozusagen schon fertig.«

Wieder schwieg der Leutnant eine Weile. Dann fuhr er fort: »Am andern Morgen ritt ich auf einem Russenpferd zwischen den Sümpfen herum, um mir den Schaden bei Licht zu besehen. Erst glaubte ich, ich träumte, und rieb mir die Augen, um wach zu werden. Die ganzen Moore waren mit russischen Soldatenmützen bedeckt wie ein reifendes Ährenfeld mit Blumenköpfen. Unter den Mützen ragten die bleichen Russenschädel bis zum Mund aus dem Sumpf. Die Arme lagen ausgebreitet auf dem Moor wie bei Gekreuzigten ... Arme Kerle, jeder hätte ihnen einen anständigen Soldatentod gegönnt ...«

Leda Serafinow und Maria Petrow sahen blaß und ein wenig zitterig drein. Peters machte dem Kameraden Vorwürfe. Er hätte doch Rücksicht nehmen müssen auf die Damen.

Aber Hungen wehrte sich und meinte, es schade niemandem, wenn er einmal höre, wie der Krieg in Wirklichkeit sei.

Ein befrackter Diener erschien und reichte Sekt.

Die Musik spielte, so gut sie konnte, Wagners Einzug der Götter in Walhall. Friedrich Franz fand nun endlich Gelegenheit, Leda Serafinow zu begrüßen. Wieder tauchten ihre schwarzen Augen tief unter in den seinen, was in ihm ein leichtes Schwindelgefühl hervorrief, das nicht unangenehm war.

Plötzlich stand Boris Makarow zwischen ihm und Leda Serafinow und erkundigte sich eifrig, wieweit die Sache mit Gospodin Serafinow denn eigentlich gediehen sei. Wenn sie befehle, würde er mit einer Schwadron losrücken und das ganze Serbennest ausheben.

Aber die junge Dame wehrte lebhaft ab. Es seien nur noch einige Formalitäten zu erledigen zwischen den Serben und Peter Karakinow, der die Angelegenheit in die Hand genommen habe.

»Man handelt wohl noch um das Lösegeld?« fragte der bulgarische Leutnant lächelnd.

Leda nickte zustimmend.

»Auch darin ist Peter Karakinow Meister«, meinte der Leutnant etwas spöttisch. »Da bleibt für mich nichts mehr zu tun übrig.«

»Ich denke, auf dreißigtausend Lewa wird man sich einigen«, sagte die junge Dame.

»Und der Hausherr wird versuchen, sie ihnen hinterdrein wieder abzujagen?«

Leda nickte. »Onkels Plan ist gut, und ich denke, er wird gelingen.«

»Dann ist ja alles in schönster Ordnung«, erwiderte der junge Leutnant und wandte sich Maria Petrow zu, ohne aber den Platz zu verlassen, durch den er Leda Serafinow und Friedrich Franz von Kaufmann trennte.

Eigentlich benimmt sich dieser Leutnant etwas dreist, dachte Friedrich Franz.

Leda Serafinow nickte dem Leutnant zu, winkte Friedrich Franz herbei und ließ sich mit ihm im Nebenzimmer nieder.

Boris Makarows Augen folgten den beiden ärgerlich, aber Maria Petrow hielt ihn fest.

»Benimm dich etwas manierlicher, Boris,« flüsterte Maria, »nimm gefälligst etwas Rücksicht auf den Bundesgenossen.«

Boris Makarow zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen, unterhielt sich noch kurze Zeit mit Maria Petrow und eilte dann in das obere Stockwerk, um sein Glück im Poker zu versuchen.

Leda unterhielt sich in englischer Sprache mit Herrn von Kaufmann, denn sie hatte erst angefangen, Deutsch zu lernen. Sie war wie so viele junge Bulgarinnen aus wohlhabendem Haus im Robert College in Konstantinopel erzogen worden, nachdem sie der russischen Mode entsprechend zunächst einige Jahre auf einem Gymnasium in Sofia verbracht hatte.

Es wurde zu Tisch gebeten. An den Tee schloß sich wieder einmal ein üppiges Abendessen, während den Herrschaften im ersten Stock, die sich vom Spiel nicht trennen mochten, kalte Schüsseln gereicht wurden.

Friedrich Franz saß neben Leda Serafinow. Die Stimmung bei Tisch wurde immer fröhlicher und ausgelassener. Der französische Sekt, der immer wieder die Gläser füllte, war nicht unschuldig daran.

Bald wurde wieder getanzt, und als gegen Mitternacht Leda sich von Friedrich Franz trennte, weil ihr Auto auf sie wartete, hatte er Leda Serafinow eine Loge für die nächste Wohltätigkeitsvorstellung im Modernen Theater abgenommen, weil sie ihm versprach, ebenfalls in dieser Loge zu sein.

Peter Karakinow wollte durchaus nichts davon wissen, daß Friedrich Franz sich auch schon verabschiedete, er müsse noch einen kleinen Poker mitspielen. Friedrich Franz, der sehr aufgeräumt war und doch noch nicht schlafen konnte, ließ sich überreden und begab sich mit dem Hausherrn nun auch in den ersten Stock.

Peter Karakinow hatte wohl wieder ein wenig zu tief ins Sektglas gesehen, denn er spielte sehr leichtsinnig und redete sehr offenherzig darauflos. Erst gegen vier Uhr morgens trennte man sich, Friedrich Franz als der letzte. Als der Hausherr hinter ihm die Haustür schloß, deutete er mit der rechten Hand nach unten, wo sich wohl die Kellerräume befanden und flüsterte mit einem breiten Lachen: »Erinnern Sie sich noch an neulich? ... Da unten hielt ich ihn gefangen, etwa vierzehn Tage lang, keine Kleinigkeit bei dem Verkehr bei uns, was? Jetzt hat er endgültig Ruhe und wir vor ihm auch. Gute Nacht, wünsche wohl zu schlafen.«

»Danke schön, ebenfalls«, erwiderte Friedrich Franz und beeilte sich, aus der Nähe des Hauses in sein Hotel zu kommen.


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