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V.

Vierzehn Tage waren seit der Entführung Christo Serafinows im Iskertal vergangen. Für die Europäer war es ein Ereignis, das in den ersten Tagen eifrig glossiert wurde, während den Bulgaren dies Thema sichtlich unangenehm war. Nur wenn sie direkt danach gefragt wurden, ließen sie sich auf eine Erörterung ein, und auch dann nur in möglichst allgemein gehaltenen Redewendungen. Dann hatten die verbündeten Offiziere einen Wink bekommen von ihren Militärattachés, auch die Gesandten hatten einen entsprechenden Wunsch geäußert, und von dem Ereignis wurde nicht mehr gesprochen.

Eines Abends spät fuhr ein geschlossenes Auto vor dem Hause der Serafinows in der Schipkastraße vor, und ihm entstiegen Peter Karakinow und Christo Serafinow.

Das Auto fuhr möglichst geräuschlos wieder fort. Die Straße war dunkel und menschenleer.

Christo Serafinow musterte aufmerksam die Fenster seines Hauses. Bis auf eines waren sie dunkel. Leda schien noch auf zu sein. Aber sie schien das Vorfahren des Autos überhört zu haben.

Einen Augenblick lauschten die beiden Männer. Nichts regte sich im Haus.

»Um so besser«, meinte Christo Serafinow leise und schloß vorsichtig die Haustür auf.

Direkt von der Haustür gelangte man, wie in so vielen bulgarischen Häusern, durch eine besondere Tür in einen Raum, der sonst keinen Zugang zur Wohnung hatte, das Empfangszimmer des Hausherrn, das niemand im Hause kontrollieren konnte. In diesem Zimmer empfing der Hausherr seine Geschäfts- und Parteifreunde, ohne daß man Gefahr lief, belauscht zu werden, ohne daß man von der Wohnung aus sehen konnte, wer beim Hausherrn aus und ein ging.

Die Nöte früherer Zeiten hatten die Bulgaren dies Zimmer erfinden lassen. Christo Serafinow drehte das elektrische Licht an und setzte sich. Peter Karakinow nahm ebenfalls Platz.

Die Fenster des Zimmers hatten Scheiben aus Milchglas, so daß niemand von außen hineinsehen konnte.

»Die ganze Geschichte war recht ärgerlich, sie schadet unserem Prestige«, meinte Peter Karakinow. »Das darf nicht wieder vorkommen.«

Christo Serafinow, ein Hüne, Ende der Vierzig, strich sich den langen schwarzen Bart, aber erwiderte nichts.

Peter Karakinow griff in seine innere Rocktasche. »Hier ist wenigstens das Geld wieder.«

Der Hausherr zählte sorgfältig und genau die großen Lewascheine und schob das Bündel dann in seine Rocktasche.

Ein leichtes Surren kam vom Telephon, das auf dem Schreibtisch stand. Peter Karakinow sprang auf und nahm den Hörer ab.

»Gut, gut, sehr gut«, sagte er nach einer Weile und nickte energisch dazu. Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl. »Bis auf einen ist die Bande unschädlich gemacht. Einer ist leider entwischt. Lauter serbische Deserteure.«

»Man wird im Kriegsministerium ein ernstes Wort reden müssen«, sagte der Hausherr.

»Wenigstens die Parteigenossen müssen in Zukunft vor solchen Dingen sicher sein«, lautete die Entgegnung.

Der Hausherr erhob sich, holte aus einem Schränkchen zwei kleine Täßchen, einen elektrischen Kocher, Kaffee und Zucker.

Während er mit diesen Dingen hantierte, schwieg auch der andere. Als das Wasser zu kochen begann, fragte der Hausherr: »Was ist also mit Rußland? Schon unterwegs sprachst du davon, aber ich war etwas zerstreut.«

Peter Karakinow berichtete sehr ausführlich.

Er schloß: »Gestern kam der Doktor aus Kiew hier an. Er war sehr erregt, aber voller Hoffnung. Er meinte, wenn die Deutschen jetzt eine energische Offensive gegen Kerenski unternähmen, würde er Frieden schließen.«

»Hast du mit dem Alten darüber gesprochen?« fragte der Hausherr.

»Gestern abend noch. Er hält den Gedanken für gut«

»Was sagen die Deutschen?«

»Der Alte ist sich noch nicht recht klar darüber. Er fürchtet, sie schwanken.«

»Was wackelt, dem muß man noch einen Stoß geben, daß es wirklich umfällt. Sonst hält es wieder eine Weile«, meinte der Hausherr.

»Die Minister werden die Gesandten und die Militärattachés bearbeite«. Sie werden, denke ich, in diesem Sinne telegraphieren.«

»Und Herr von Kaufmann?« fragte Christo Serafinow.

Peter Karakinow lächelte. »Er hat schon telegraphiert.«

»Und was denkt Lissiza von der Geschichte?«

Wieder lächelte Peter Karakinow. »Der Zar hütet das Bett und schweigt sich aus, wie er das immer macht, bis die Lage etwas klarer ist.«

Nun lächelte auch Christo Serafinow behaglich, wie einer, der weiß, daß eine wichtige Angelegenheit in den richtigen Händen ist.

Man hörte draußen leise Schritte. Es klopfte dreimal.

Der Hausherr strahlte und rief: »Herein!«

Leda stürzte zu ihrem Vater, umarmte und küßte ihn.

»Ich wußte es, als ich das Auto hörte. Es dauerte mir zu lange, bis du mich riefst.« Immer wieder küßte sie ihn.

»Und Mama?«

»Sie liegt immer noch zu Bett und weiß von gar nichts. Nicht einen Menschen habe ich in der ganzen Zeit zu ihr gelassen. Auch in die Zeitungen durfte kein Wort davon. Du hast plötzlich nach Dedeagatsch gemußt, und nun bist du wieder da.«

Jetzt bekam auch Peter Karakinow einen Kuß.

Leda machte den Kaffee fertig, die beiden Herren zündeten sich neue Zigaretten an.

»Schade, daß Herr von Henningen fort mußte, das wäre jetzt wieder so eine Zeit für ihn«, meinte der Hausherr.

»Mit Herrn von Kaufmann können wir auch recht zufrieden sein«, erwiderte Peter Karakinow. »Diese früheren Afrikaner, das ist das richtige für uns.«

»Du meinst, man sollte ihn einladen?« fragte der Haus- Herr.

»Was hältst du davon, Leda?« fragte der Onkel.

»Wenn ihr es für zweckmäßig haltet, warum nicht?« erwiderte Leda kühl. Sie erhob sich, küßte den Vater auf beide Wangen, reichte dem Onkel die Hand, wünschte gute Nacht und ging.

Die beiden Männer sahen sich forschend an, sprachen aber beide nicht aus, was sie beide in diesem Augenblick dachten.

»Übrigens, das hätte ich fast vergessen,« sagte der Hausherr lebhaft, »Georgowitsch sollte doch damals ...« Er machte die Bewegung des Verschwindens.

»Ist geschehen.«

»Ohne daß es ein Geschrei gab?«

»Bis jetzt nicht.«

»Schade um den Kerl.«

»Es war aber höchste Zeit, sage ich dir. Er spionierte höchst ungeniert bei Bitolja herum. Wenn ihn die Unsern nicht aufgegriffen hätten, wer weiß, was passiert wäre. Sehr hübsche Papiere haben wir ihm abnehmen können.«

»Also hat Joseph seine Sache gut gemacht?«

»Wie immer, er ist aus Ochrid«, meinte Peter Karakinow nicht ohne Stolz

Am andern Morgen trat der Hausherr in das Schlafzimmer seiner Frau, als sei er eben von einer längeren Reise zurückgekehrt, erkundigte sich teilnehmend nach ihrem Befinden und entschuldigte sich, daß er sich nicht vor der Reise von ihr verabschiedet habe. Aber Leda habe ihr das ja schon erklärt.

Adda Serafinow drückte ihrem Manne kräftig die Hand. »Nun werde ich wieder aufstehen, Christo. Gut, daß du wieder da bist. Die Reise dauerte lange. Ich wurde schon besorgt.«

Christo lachte behaglich. »Du machst es wie Lissiza, Adda, du legst dich zu Bett, wenn dir unbehaglich ist.«

»Es ist wirklich das beste, glaube mir, Christo, und Migräne habe ich dann auch leicht.«

»Lissiza hält es in solchen Fällen mit der Gicht«, scherzte Christo.

Sie nahm wieder seine Hand und fragte leise: »War es sehr schlimm, Christo?«

»Sehe ich so aus, als hätte ich sehr Schlimmes hinter mir, Adda?«

Er lachte breit und behaglich und reckte seine hünenhaften Glieder.

»Du wirst es mir ausführlich erzählen, Christo?«

Wieder lachte er. »Natürlich, Adda, denn wenn du wieder auf bist und ausgehst, hörst du ja doch davon.«

Adda sprang aus dem Bett und begann sich anzukleiden.

»Was sagst du denn zu Rußland?« fragte er.

Ihre Augen flammten, leidenschaftlich hob sie beide Arme: »Nun werden auch wir frei, endlich, endlich, Christo!«

Frau Adda stammte aus Kiew und war eine sehr patriotische Ukrainerin, seit jungen Jahren mit Leib und Seele der Politik ergeben.

»Endlich schlägt die Stunde der Erlösung auch für uns, Christo!«

Sie ist immer noch eine schöne Frau! dachte Christo Serafinow mit Befriedigung.

»Und weißt du, was ich möchte, Christo? Du gehst als Gesandter nach Kiew!«

»Halt, Adda, nicht so schnell«, lachte ihr Mann. »Das Temperament geht mit dir durch. Soweit ist es noch lange nicht.«

»Aber es wird dahin kommen, sage ich dir, bald, sehr bald ... Wir sind nicht so langsam wie ihr hier, so bedächtig und überlegend und erwägend.«

Er winkte ab. »Dafür ist Rußland auch groß und hat Zeit.«

»Es kommt dahin, bald kommt es dahin!«

»Hoffen wir es, Adda.«

Sie gingen miteinander in das Eßzimmer, wo Leda und Eveline schon warteten.

»Ich bin immer noch hier, Gospodin Serafinow«, rief Eveline.

Er küßte ihr galant die Hand. »Ich danke Ihnen dafür, Gospodschiza.«

»Wie wird sich meine Mutter freuen. Nun werde ich sie bald wiedersehen«, sagte Adda Serafinow.

Einen Augenblick sahen alle sie verwundert an. Dann verstanden sie. Leda schlang die Arme um ihre Mutter. »Gewiß, Mama, wir freuen uns alle so für dich, nun wird Kiew frei, und Großmutter kann bald zu uns kommen.«

Alle setzten sich und frühstückten. Der Samowar brodelte und brummelte behaglich.

»Ich denke, Papa wird Gesandter in Kiew«, meinte Frau Adda. »Mama ist zu alt, um noch hierher reisen zu können, da müssen wir schon zu ihr fahren.«

»Hast du es immer noch so eilig?« fragte ihr Mann.

»Mama ist achtzig Jahre alt, da kann ich nicht mehr lange warten.«

»Wir werden es Kerenski sagen lassen, Adda.«

Alle lachten.

Nach dem Frühstück blieben die beiden jungen Mädchen allein und ließen sich in der Nähe eines Fensters nieder, das nach der Schipkastraße ging.

Eveline kostete von einer Schachtel mit Pralinés. Leda zündete sich eine Zigarette an.

»Glaubst du an die Sache mit Kiew, Leda?«

»Warum nicht?«

»Dann würden wir in der Türkei am Ende auch die Russen los?«

»Sehr wohl möglich, sehr wahrscheinlich sogar.«

»Da wäre ein Alp von uns allen genommen«, meinte Eveline. »Werden die Eltern froh sein, wenn sie davon hören.«

Die beiden Mädchen reckten die Hälse nach dem Fenster.

»Gospodin Makarow macht dir seine Morgenvisite«, meinte Eveline. »Er sitzt sehr gut zu Pferd.«

»Mir scheint eher, die Visite gilt jetzt dir«, erwiderte Leda trocken.

»Wie er sich die Augen nach uns ausschaut«, sagte Eveline und rückte ein wenig ab vom Fenster.

Leda neigte sich näher zum Fenster und sagte: »Er kann uns nicht sehen. Die Sonne spiegelt sich im Glas.«

»Da kommt ja auch Radschi Petrow hoch zu Roß.«

»Die Reitschule ist ganz in der Nähe. Warum sollen sie einen Umweg machen und die Schipkastraße nicht benutzen.«

»Das haben deine Eltern sehr angenehm für uns eingerichtet«, meinte Eveline lächelnd.

»Ich glaube kaum, daß sie dabei an uns gedacht haben.«

»Herrgott, Leda, du bist nicht grade glänzender Laune!«

Beide neigten sich wieder näher zum Fenster.

Eveline kicherte. »Wie er ausschaut!!«

»Respekt, bitte, ein Gesandtschaftssekretär!«

»Es geht mir hier genau wie in Konstantinopel, wenn ich so einen sehe, weiß ich im ersten Augenblick nie, gehört er zu einer Gesandtschaft oder zu einem Zirkus.«

»Aber, Eveline!«

»Zuweilen sieht so einer auch aus wie ein erstklassiger Herrschaftsdiener. Noch neulich ist mir's in Gospoli bei einer Gesellschaft passiert, daß ich nicht wußte, wünscht der Mann meinen Mantel oder meine Hand zum Handkuß. Ich entschied mich, ihm die Hand hinzuhalten, er wollte aber meinen Mantel.«

Leda lachte.

»Und das Komische ist, daß die Boys von der amerikanischen Botschaft genau so sind. Unter den Gesandten und Botschaftern gibt es noch Unterschiede, sogar für meine Augen, aber unter den jüngeren Herren sieht einer aus wie der andere, alle wie aus demselben Laden gekauft. Nur ist der eine ein bißchen größer, der andere noch ein bißchen schlanker ...«

»Nun hör' aber auf, Eveline!«

»Das muß doch wohl irgendwie mit ihrem Geschäft zusammenhängen«, meinte Eveline nachdenklich.

Sie sprang auf und knickste. »Habe die Ehre! Kiß die Hand!«

Ein österreichischer Leutnant ging draußen vorbei.

»Mir san doch die feschesten, fesch san mir beinand.«

Leda gab ihr einen Klaps.

»Wie hieß doch der kleine deutsche Leutnant im Modernen Theater?« fragte Eveline.

»Gonthard heißt der.«

»So ein Bub! Als hätte er lange in süßem Rahm gelegen. Zu lieb!«

»Erklärter Kavalier der Petrowa«, sagte Leda.

»Aber ein sehr weites Herzchen hat er, scheint mir. Wie er mir in die Augen sah! Süß wie Zucker! Und wie er dir in die Augen sah! Wehmütig wie eine Weide am Bach. Und was er für dummes Zeug durcheinanderredete in seinem holperigen Französisch. Der Junge ist sicher direkt von der Schulbank in den Krieg gelaufen ... Hallo, da kommt er ja selbst!«

Ehe Leda es verhindern konnte, riß Eveline das Fenster auf. »Guten Morgen, Herr Leutnant, schon ausgeschlafen?«

»Guten Morgen, meine Gnädigste. Ein prachtvoller Tag heute!«

»Ganz passabel, Herr Leutnant!«

»Aber, Gnädigste, da ich Sie sehe, einfach prachtvoller Tag heute.«

Eveline griff nach Leda und zog sie neben sich ans Fenster.

»Was sagen Sie jetzt, Herr Leutnant?«

»Einfach kolossal!«

Die Mädchen lachten.

»Nun dichten Sie mal los, Herr Leutnant. Rabenschwarz und aschblond nebeneinander in demselben Fenster, zwei schwarze Augen und zwei blaue Augen und so ... Also weiter, Herr Leutnant!«

»Einfach unmöglich, ganz unmöglich momentan, meine Damen!«

»Warum denn, Herr Leutnant?«

Leutnant Gonthard legte beide Hände auf das Herz. »Ich genieße!«

»Adieu, Herr Leutnant, und grüßen Sie die Petrowa von uns.« Eveline hatte das Fenster wieder geschlossen, tanzte mit Leda durchs Zimmer und lachte. »Einfach Zucker!«

Sie nahm wieder ein Praliné. Leda zündete sich eine neue Zigarette an.

»Da kommt schon wieder einer«, sagte Eveline.

»Herr von Kaufmann«, erwiderte Leda.

»Warum kam er neulich nach der Vorstellung eigentlich nicht mit ins Hotel?«

»Interessierst du dich für ihn, Eveline?«

»Ich interessiere mich doch für alles hier. Es ist hier alles so hübsch nah beieinander, viel näher als in Gospoli.«

»Ich meine, ob du dich speziell für ihn interessierst, Eveline?«

»Das weiß ich noch nicht so recht, offen gestanden. Er sieht übrigens gut aus. Wie ein angenehmes Zwischending zwischen Offizier und Gesandtschaft.«

»Er war lange in Afrika.«

»Also doch mehr Offizier?«

»Das weiß ich wirklich nicht, Eveline.«

»Er sucht übrigens sehr eifrig unsere Fenster ab. Bedaure sehr, Herr Baron, für heute vormittag gibt's nichts mehr zu sehen.«

Eveline drehte dem Fenster den Rücken zu.

»Sag' mal, ist dieser Makarow vielleicht heimlich mit der Petrowa verlobt?«

»Wie kommst du darauf?«

»Sie schnitt so ein Gesicht, als er mir den Hof machte.«

»Das weiß ich wirklich nicht, glaube es aber nicht.«

Eveline setzte sich auf Ledas Schoß. »Hast du etwas mit ihm?«

»Wie kommst du auf solchen Unsinn?«

»Du sahst auch nicht gerade beglückt drein, als er mir die Kur schnitt.«

Leda küßte sie. »Du bist wirklich unglaublich!«

»Das vergeht wieder, Leda. In Gospoli muß ich so viel lügen, den ganzen Tag, sage ich dir, daß ich einen wahren Wahrheitsfanatismus entwickle, wenn ich mal fortkomme von dort. Aber mit der Zeit legt es sich wieder. Wenn ich noch vierzehn Tage bei euch bin, ist es vorbei damit, und ich bin wieder genießbarer.«

Leda schwieg.

»Sei nicht so stumm, Leda, sag was!«

»Ich weiß nichts.«

»Wie ist das also mit diesem Makarow?«

»Erst mochte ich ihn ganz gern. Aber dann schienen das die Eltern gern zu haben, und da mochte ich ihn nicht mehr.«

Eveline machte plötzlich ein sehr ernstes Gesicht. »Hängt das wieder mit der Politik zusammen?«

Leda nickte. »Du weißt doch, wie Mama ist.«

»Das ist gräßlich hier bei euch.«

»Es ist nun einmal so, und Mama behauptet immer noch, daß Katharina so unglücklich ist, bilde sie sich nur ein. Man kann doch gar nicht unglücklich sein, denkt Mama, wenn man einen Mann hat, der eine Rolle in der Partei spielt und sicher mal Minister wird.«

Eveline machte eine abwehrende Handbewegung. »Na, weißt du, das imponiert mir schon lange nicht mehr. Jeder Bulgare, den ich noch kennengelernt habe, war mal Minister oder wird demnächst Minister oder ist gerade Minister ... Wenn schon, sagen sie da in Berlin.«

Leda lächelte. »Trotzdem ruht keiner, bis er es nicht einmal gewesen ist.«

»Oder mindestens einen Vetter hat, der es war oder ist oder demnächst sein wird«, fiel Eveline ein. »Ist dein Schwager wenigstens bald soweit?«

»Darum kümmere ich mich nicht.«

»Und was macht deine Schwester derweil?«

»Sie sitzt in Plowdiw und grämt sich. Seitdem der Schriftsteller, den sie liebte, sich an ihrem Hochzeitstag erschossen hat, ist sie kein Mensch mehr.«

»Warum kommt sie nicht wenigstens hierher und zerstreut sich ein bißchen?«

»Er hat sich doch damals hier erschossen. Seitdem setzt sie den Fuß nicht mehr nach Sofia.«

»Und deine Mama hat an dem Unglück immer noch nicht genug?«

»Ich bitte dich, Eveline, sie sieht es ja gar nicht, sie kann das einfach nicht verstehen.«

»Und Gospodin Makarow?«

»Nun ja, Mama möchte ihn zu uns herüberziehen. Sein Vater ist zwar dumm, aber nicht ohne Einfluß. Auch erfährt er sehr viel durch seine Beziehungen zum Hof. Das kann uns noch sehr nützlich sein, denkt Mama.«

»Und deshalb sollst du ihn heiraten?«

»Möglich, Eveline. Ganz genau weiß ich es noch nicht. Mama ist etwas vorsichtiger geworden als früher, seit dem Unglück mit Katharina ... Jedenfalls lasse ich mich nicht auch noch verkaufen, weder für Geld noch für Politik. Das habe ich Katharina fest versprochen und mir selbst auch.«

Beide schwiegen eine Weile.

Dann sagte Eveline forschend: »Wenn du ihn aber liebst, was dann? Es braucht ja nicht gerade Makarow zu sein, es kann ja auch ein anderer in ähnlicher Situation sein. Bei euch ist ja schließlich jeder, der auf sich hält, Politiker.«

Leda reckte sich. »Ich werde nie einen Politiker heiraten, niemals. Eher reiße ich mir selbst das Herz aus dem Leibe!«

»Erlaube mal,« beschwichtigte Eveline, »kriege nicht gleich wieder deinen heroischen Tag. Vorläufig ist es ja wohl noch nicht soweit.«

Derweil die Mädchen sich so unterhielten, saßen die Eltern im Zimmer des Hausherrn, und Christo erzählte seiner Frau in aller Ausführlichkeit den Unfall im Iskertal.

»Schämen muß man sich, daß so etwas immer noch bei uns möglich ist. Was sollen die Deutschen davon denken!« rief Frau Adda entrüstet. »Und wofür sind wir denn am Ruder, wenn das sogar uns passieren kann!«

»Dem Alten ist es peinlich genug, Adda, verlaß dich drauf. Es wird schon nicht mehr vorkommen.«

»Aber daß es überhaupt vorkommen konnte ...«

»Beruhige dich, Adda, es gibt wichtigere Dinge für uns.«

»Wie meinst du das?«

Christo zögerte einen Augenblick. »Seit Herr von Henningen fort ist, stimmt das nicht mehr so ganz zwischen uns und Berlin. Der Alte intriguiert dort gegen uns durch seinen Schwiegersohn.«

»Was könnte das für einen Grund haben?«

»Wir sind nicht mehr abhängig genug von ihm, das ist's. Er fühlt sich wohl überhaupt nicht mehr allzu sicher in seiner Position. Da schaut er sich nach verläßlichen Leuten um und findet, daß wir nicht mehr so verläßlich sind wie vor einem Jahr. Dumm ist er nicht, der Alte. Am wenigsten, wenn es sich um seine eigene Stellung handelt ... Die russischen Affären vereinfachen sie auch nicht.«

»Hat er Grund zum Mißtrauen, Christo?«

»Natürlich hat er Grund. Wir haben mit seiner Hilfe unsere Sache in Ordnung gebracht. Da kann er uns nichts mehr nützen, und er sagt sich: Wenn ich nichts mehr nützen kann, wenn sie mich nicht mehr brauchen – du verstehst?«

Frau Adda nickte.

»Lissiza sind wir natürlich auch unbequem, weil wir ihm zu einflußreich geworden sind. Ich weiß sogar, er vermutet, daß wir uns eventuell auch über seinen Kopf hinweg mit den Deutschen verständigen würden. Wir passen ihm nicht mehr ganz in sein Spiel. Deshalb hat er es auch zugelassen, daß unser General Lebensmitteldirektor wurde. Er soll sich da blamieren und uns dadurch kompromittieren. Die beste Tätigkeit, die es dafür gibt. Die Altbulgaren sind uns schon längst nicht mehr grün. Es sitzen zu viele von den Unsern in wichtigen Stellungen und Ämtern. Mit Vergnügen würden sie uns einen Streich spielen, zumal wenn er zugleich den Alten trifft, der den meisten schon viel zu lange an der Krippe sitzt. Sogar die Stambulowisten halten nicht mehr so recht zum Alten. Sie denken auch, er kann doch nicht ewig bleiben. Andere wollen auch mal an die Krippe, solange es da noch was zu holen gibt.«

»Und die Demokraten?« fragte Frau Adda.

Christo Serafinow lächelte verschmitzt. »Sie haben sich da jetzt einen deutschfreundlichen Flügel geschaffen und warten. Sie müssen den Übergang zur auswärtigen Politik finden, die im Augenblick die einzig mögliche ist. Sie lernen langsam, aber mit Eifer und Geschick, um, und sie wären vielleicht schon am Ruder, wenn die Deutschen ihnen trauten. Lissiza bemüht sich ab und zu sogar schon höchst persönlich nach dieser Richtung.«

»Sollten wir die Sache mit Boris Makarow nicht vielleicht energischer betreiben?«

»Leute vom Hof haben wir genug an der Hand, mehr als wir brauchen. Auch scheint Leda ...«

»Bah,« unterbrach Frau Adda, »das laß nur meine Sorge sein, das verstehe ich besser als ein Mann.«

»Jedenfalls hat es damit keine Eile. Erst muß die Lage klarer werden. Bis dahin wollen wir diese Geschichte ruhen lassen. Vielleicht sollten wir aber Herrn von Kaufmann etwas mehr heranziehen. Peter traut ihm, und einen deutschen Vertrauensmann brauchen wir.«

»Ich werde ihn einladen, Christo.«

»Ich meine auch, das sollten wir tun. Ich möchte ihn etwas näher kennenlernen. Für alle Fälle. Als er das letztemal in Berlin war, hat er sich gut benommen. Ich schickte ihm einen Vertrauensmann in den Kaiserhof, den er schon von der Gesandtschaft her kannte. Er mußte ein wenig auf den Gesandten schimpfen. Aber der Baron stellte sich dumm. Er hat es dann mit dem Kriegsminister versucht. Aber Herr von Kaufmann ging auch darauf nicht ein. Das gefällt mir von ihm. Er scheint vorsichtig und klug zu sein, ein Afrikaner. Das sind für solche Sachen immer noch die Besten. Was sagt man hier von ihm?«

»Gar nichts, man weiß überhaupt nicht recht, was er hier eigentlich treibt.«

Christo Serafinow lächelte beifällig. »So ist es recht.«

»Man scheint nicht einmal zu wissen, daß er Henningens Nachfolger ist.«

Der Hausherr lachte. »Und außer uns weiß niemand, wer Henningen eigentlich war. Nicht einmal die Deutschen hier wußten das so recht.«

»Mit Herrn von Kaufmann geht es ihnen augenscheinlich nicht viel anders«, meinte Frau Adda.

»Dann scheint es wirklich der richtige Mann zu sein. Ich muß sagen, das gibt mir neues Vertrauen zu Berlin. Es ist übrigens viel besser, die andern halten die in Berlin für dümmer, als sie sind.«

Die beiden lächelten zufrieden.

»Dann ist da noch die Dobrudschasache«, begann Christo Serafinow von neuem. »Der Alte und Lissiza legen sich mächtig ins Zeug. Lissizas Gründe sind sehr klar und einfach. Daß der Alte es tut, kann ja auch sehr gut den Grund haben, daß er seine Position neu befestigt, wenn er auch das noch zustande bringt. Aber vielleicht hat er einen Hintergedanken, und der ist ihm doch wichtiger, vielleicht entscheidend sogar. Er lenkt dadurch die Aufmerksamkeit von uns ab, er gewinnt dadurch eine neue Karte im Spiel, die er auch gegen uns ausspielen kann, wenn ihm das paßt, wenn er den Augenblick für gekommen hält.«

»Was sagen die Deutschen dazu?«

»Ich glaube, sie durchschauen das Spiel noch nicht. Jedenfalls ist ihnen nicht recht behaglich dabei ... Besonders beliebt macht sich der Alte damit bei ihnen schwerlich. Sie haben ja auch noch an Rumänien und die Türken zu denken. Daß sich der Alte auf so ein riskantes Spiel einläßt, zeigt mir am deutlichsten, wie unsicher er sich im Grunde fühlt, denn wenn er das einmal angefangene Spiel fortsetzt, muß er es auch gewinnen, oder er ist verloren. Im Augenblick geht natürlich alles mit dem Alten, Peter hat ihm auch unsere Unterstützung zugesagt. Das ist soweit auch ganz gut, denn man darf die Altbulgaren nicht allein lassen, und man muß auch Lissiza in solchen Dingen keinen unnötigen Vorsprung geben. Aber wir müssen die Augen offen behalten und ruhig bleiben. Sehen wir, daß die Deutschen in diesem Fall nicht bis zum letzten mittun, können wir immer noch abschwenken, was uns die Deutschen dann sicherlich danken werden, die Deutschen sind für uns das Wichtigste bei der ganzen Geschichte. Gewinnt der Alte aber auch noch das Spiel, was Lissiza am Ende gar nicht mal so ernstlich wünscht, dann fragt es sich immer noch, bleiben wir beim Alten oder helfen wir Lissiza, dem der Alte dann viel zu mächtig wird.«

»Jedenfalls ist es gut, daß du wieder hier bist, Christo.«

»Es war hoch an der Zeit, Adda!«

»Sei vorsichtiger in Zukunft, Christo.«

Der Hausherr lachte breit und behaglich. »Nur keine Sorge, Adda. Vorläufig haben sie alle miteinander noch Angst vor uns, und solange sie uns fürchten, können sie uns nichts anhaben ... Ich glaube sogar, wenn die Banditen vom Isker gewußt hätten, wem ihre Autofalle galt, sie hätten sie noch rechtzeitig vorher wieder beseitigt.«

»Du glaubst nicht, daß sie es gerade auf dich abgesehen hatten?«

»Sicherlich nicht, Adda, denn sie wußten, daß sie es würden büßen müssen, wie es ja auch gekommen ist ... Sie fürchten uns alle, Adda, das ist die Hauptsache.«


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