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Karl Gerok

(1815-1890)

 

An den Freund

Komm, laß dir nun die Hand im Frieden reichen
Am Grab der Braut, um die wir beide rangen;
Ob du, ob ich den holden Preis empfangen? –
Sie gibt uns nun da drunten mehr kein Zeichen.

Um Liebe gibt's kein liebevoll Vergleichen;
Den Frauendank im Kampfspiel zu erlangen,
Aufs Herz des Bruders richtet man die Stangen;
Nun können wir dem Stärkern friedlich weichen.

Nicht teilen konnten wir das Los der Freude,
Doch gleich ist unser Recht am schwarzen Lose
Und Raum an diesem Grab ist für uns beide.

Da laß uns sitzen, hüben ich, du drüben.
Da laß uns pflanzen, du die rote Rose
Und ich die weiße auf das Herz der Lieben!

*

 

Briefe einer Verstorbenen

Süß Vermächtnis; das ich heut' gefunden,
Holdes Zeugnis längst entflohner Stunden:
Mit verblich'nem Atlasband umwunden,
Briefe deiner lieben Mädchenhand!

Jener Hand, die einst so mild gewaltet,
Dann im Tode viel zu früh erkaltet,
Dann im Sarge zum Gebet gefaltet,
Nun zu Staub im Grabe längst zerfiel.

Sieben Jahre sind's, daß gramdurchdrungen
Deine Mutter dieses Band geschlungen;
Nun auch sie hienieden ausgerungen:
Schaudernd lös' ich diesen Knoten auf.

Ach! aus diesen halbverblaßten Schriften
Weht mich's wie von fernen Frühlingstriften,
Haucht mich's wie mit sanften Rosendüften
Aus verlornen Paradiesen an!

Deiner Seele reine Jugendblüte,
Deines Herzens taubensanfte Güte,
Ach! dein engelfreundliches Gemüte
Duftet rosengleich auf jedem Blatt.

Leichte Freuden, längs im Wind verflogen,
Kleine Sorgen, längst wie Rauch verzogen,
Oh, wie rührend spricht aus diesen Bogen
Eines Mädchenherzens Lust und Leid!

Alle Wonnen, alle leisen Klagen
Fühl' ich nach aus jenen holden Tagen,
Aber über Erdenglück und Plagen
Hob sich selig dein verklärter Geist.

Deine schöne Hand, die dies geschrieben,
Mußt' in Staub und Asche längst zerstieben,
Doch dein schönes Herz ist uns geblieben,
Und die Liebe höret nimmer auf.

*

 

Herbstgefühl

1. Kor. 7, 31
Das Wesen dieser Welt vergehet

Müder Glanz der Sonne!
Blasses Himmelblau!
Von verklungner Wonne
Träumet still die Au.

An der letzten Rose
Löset lebenssatt
Sich das letzte, lose,
Bleiche Blumenblatt.

Goldenes Entfärben
Schleicht sich durch den Hain;
Auch Vergehn und Sterben
Deucht mir süß zu sein.

*

 

Spruch

Begrub im Schnee der Winterwind
Die Straßen weit und breit:
Nie wird der Weg, o Gotteskind,
Zum Vater dir verschneit!

*

 

Schneeweiß

Wie schön die Erde
Im weißen Kleid,
Da rings vom Winter
Die Welt verschneit!

In weichen Falten
Legt sich der Schnee
Um Tal und Hügel,
Auf Land und See.

So kirchenstille
Liegt Flur und Feld,
Und Geisterhauche
Durchwehn die Welt.

Schlaf sanft, o Erde,
In milder Ruh',
Du treue Mutter
Der Menschen du!

Warst schön im Lenze
Voll Blütenglanz,
Warst schön im Sommer
Im Früchtekranz.

Liegst nun im Winter
So heiligschön,
Mahnst mich ans Sterben
Und Auferstehn.

Der Erde Farben
Zergehn zu nichts
Im Demantglanze
Des ew'gen Lichts.

*

 

Die Rosse von Gravelotte

Heiß war der Tag und blutig die Schlacht,
Kühl wird der Abend und ruhig die Nacht.

Droben vom Waldsaum nieder ins Tal
Dreimal schmettert Trompetensignal;

Ladet so laut und schmettert so hell,
Ruft die Dragoner zurück zum Appell.

Truppweis', in Rotten, zu dreien und zwei'n,
Stellen die tapferen Reiter sich ein.

Aber nicht alle kehren zurück,
Mancher liegt da mit gebrochenem Blick.

Kam zur Reveille frisch noch und rot,
Liegt beim Appell bleich, blutig und tot.

Ledige Rosse, den Sattel leer,
Irren verwaist auf der Walstatt umher.

Doch der Trompete schmetternd Signal
Ruft aus der Ferne zum drittenmal.

Schau, und der Rappe, dort spitzt er das Ohr,
Wiehernd wirft er die Nüstern empor.

Sieh, und der Braune gesellt sich ihm bei,
Trabt ihm zur Seite wie sonst in der Reih'.

Selber der blutige Schimmel, so müd',
Hinkt auf drei Beinen und reiht sich ins Glied.

Truppweis', in Rotten, zu dreien und zwei'n,
Stellen die ledigen Rosse sich ein.

Rosse wie Reiter verstehn den Appell,
Ruft die Trompete, so sind sie zur Stell'.

Über dreihundert hat man gezählt,
Rosse, zu denen der Reitersmann fehlt.

Über dreihundert, o blutige Schlacht,
Die soviel Sättel hat ledig gemacht!

Über dreihundert, o tapfere Schar,
Wo bei vier Mann ein Gefallener war!

Über dreihundert, o ritterlich Tier,
Ohne den Reiter noch treu dem Panier!

Wenn ihr die Braven von Gravelotte nennt,
Denkt auch der Rosse vom Leibregiment!

*

 

Des deutschen Knaben Tischgebet

Das war einmal ein Jubeltag!
Bei Sedan fiel der große Schlag:
Mac Mahon war ins Garn gegangen,
Der Kaiser und sein Heer gefangen,
Und blitzschnell flog die Siegespost
Am Draht nach Süd und Nord und Ost,
Da gab's ein Jubeln ohne Maßen,
Von Flaggen wogten alle Straßen,
Vieltausendstimmig scholl Hurra,
Und waren noch Kanonen da,
So schoß man auch Viktoria.
Doch jedenfalls die Wacht am Rhein
Ward angestimmt von groß und klein,
Denn auch durch der Unmünd'gen Mund
Wird Gottes Lob von alters kund.

Und einer von den kleinsten Jungen
Der hat am laut'sten mitgesungen:
Die bunte Mütze auf dem Ohr,
Die Höslein flott im Stiefelrohr,
Marschiert er wacker mit im Chor,
Beteiligt sich den Morgen lang
An jedem Schrei und jedem Sang;
So wichtig nahm's der kleine Wicht,
Als ging's ohn' ihn entschieden nicht,
War so mit Leib und Seel' dabei,
Als ob er selbst die Rheinwacht sei,
Hat drum den Glockenschlag vergessen
Und kommt zu spät zum Mittagessen.
Mit heißen Wangen, rotem Kopf,
Mit offner Brust, verwehtem Schopf
Erscheint er endlich siegesmatt –
Die andern waren halb schon satt –,
Grüßt obenhin, setzt sich zu Tisch
Und greift nach seinem Löffel frisch.

Jedoch der biedre Vater spricht:
»Fritz, ungebetet ißt man nicht!«
Worauf mein Fritz vom Stuhl ersteht,
Die Hände faltet zum Gebet,
Und weil sein Kopf noch stark zerstreut,
Gibt's wie der Geist im just gebeut,
Spricht:
»Lieber Gott, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein.
      Amen!«

*

 

Das letzte Stündlein

Offenb. 14, 13
Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben

In einer seltnen Kirche war ich heut',
Da sah ich bebend Gottes Herrlichkeit.

Von einer Andachtsstunde komm' ich her,
Mein Leben lang vergeß ich sie nicht mehr.

Die Kirche war kein hoher Säulendom,
Durchwogt von farbenreichem Menschenstrom.

Zur Andacht rief kein voller Glockenklang,
Nicht Orgelton erscholl, noch Chorgesang.

Die Kirche war ein schmucklos Kämmerlein,
Durch trübe Scheiben fiel der Abendschein.

Als betende Gemeinde standen wir
Geschart im Kreis zu dreien oder vier.

Ein schlecht gezimmert Bettgestelle war
Im engen Kirchlein Kanzel und Altar.

Ein sterbend Mütterlein war Priesterin,
Die feierte ihr letztes Stündlein drin.

Seit siebzig Jahren trug sie ihre Last,
Nun kam der Tag der längst ersehnten Rast.

Durch manches Weltgedränge schlug sie sich;
Den letzten Kampf nun stritt sie ritterlich.

Sie sprach: »Mein Gott, im Frieden fahr' ich hin,
Christ ist mein Leben, Sterben mein Gewinn.«

Dann lag sie da in seligmatter Ruh'
Und nickte leis noch unsrem Beten zu.

Wir lauschten still dem schweren Atemzug,
Dem seltnen Pulse, der schon stockend schlug.

Jetzt kam des Todes ernste Majestät,
Wir schauderten, von seinem Hauch umweht.

Sein Schatten traf entstellend ihr Gesicht,
Ihr Mund ward fremd und groß der Augen Licht.

Ein Seufzer noch, ein letzter Herzensstoß:
Nun war's vollbracht, der bange Geist war los.

Durchs offne Fenster säuselte gelind
Gleich Engelsfittichen der Abendwind.

Ins Stüblein floß der Sonne letzter Glanz,
Da ward ihr Anblick wieder Friede ganz.

Wie Wachs die Stirn, das volle Haar ergraut:
So lag sie schön wie eine Himmelsbraut.

Ihr Herz gebrochen, ihre Kraft dahin:
Doch lag sie stolz, wie eine Siegerin.

Wir standen da, vom Preise Gottes voll,
Und sprachen leis: Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Dann deckten wir ihr Haupt mit Linnen zu
Und wünschten ihr die ew'ge Himmelsruh'.

Ins Gäßlein steig ich nieder, heimzugehn,
Da trieb's die Welt, als wäre nichts geschehn.

Der Nachbar spaltete sein Restlein Holz,
Der Sperling lärmt im Glanz des Abendgolds;

Die Kinder warfen lustig ihren Ball,
Von ferne rasselte der Räder Schall;

Hier unten ging der laute Strom der Zeit,
Und oben floß die stille Ewigkeit.

*

 

Ich möchte heim

Hebr. 13; 14
Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern
die zukünftige suchen wir

Ich möchte heim, mich zieht's dem Vaterhause,
Dem Vaterherzen zu;
Fort aus der Welt verworrenem Gebrause
Zur stillen, tiefen Ruh';
Mit tausend Wünschen bin ich ausgegangen,
Heim kehr' ich mit bescheidenem Verlangen,
Noch hegt mein Herz nur einer Hoffnung Keim:
Ich möchte heim.

Ich möchte heim, bin müd' von deinem Leide,
Du arge, falsche Welt;
Ich möchte heim, bin satt von deiner Freude,
Glück zu, wem sie gefällt!
Weil Gott es will, will ich mein Kreuz noch tragen,
Will ritterlich durch diese Welt mich schlagen,
Doch tief im Busen seufz' ich insgeheim:
Ich möchte heim.

Ich möchte heim, ich sah in sel'gen Träumen
Ein bess'res Vaterland;
Dort ist mein Teil in ewig lichten Räumen,
Hier hab' ich keinen Stand:
Der Lenz ist hin, die Schwalbe schwingt die Flügel
Der Heimat zu, weit über Tal und Hügel,
Sie hält kein Jägergarn, kein Vogelleim –
Ich möchte heim.

Ich möchte heim; trug man als kleines Kindlein
Mich einst zu Spiel und Schmaus:
Ich freute mich ein leichtes, kurzes Stündlein,
Dann war der Jubel aus;
Wenn sternhell noch der Brüder Auge blitzte,
In Spiel und Lust sich erst ihr Herz erhitzte
Trotz Purpuräpfeln, goldnem Honigseim:
Ich wollte heim.

Ich möchte heim; das Schifflein sucht den Hafen,
Das Bächlein läuft ins Meer,
Das Kindlein legt im Mutterarm sich schlafen,
Und ich will auch nicht mehr;
Manch Lied hab' ich in Lust und Leid gesungen,
Wie ein Geschwätz ist Lust und Leid verklungen,
Im Herzen blieb mir noch der letzte Reim:
Ich möchte heim.

*

 


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