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Gustav Schwab

(1792-1850)

Schwab, Gustav

 

Abendsegen

Dank, Vater! dir für Leid und Lust
Und was du mir gegeben.
Laß mich, wie dieses liebe Heut,
Mein Morgen auch erleben.
Erfüll' mir keinen tör'gen Wunsch,
Das Gute laß nicht säumen.
Und was du mir nicht geben kannst,
Oh, davon laß mich träumen!

*

 

An die Geliebte

Sie fassen nicht den ew'gen Schimmer
Der dir aus deinen Augen geht,
So wie des Mondes heil'gen Flimmer
Kein irdisches Gemüt versteht.
Hell muß es, wie die Sonne, blenden,
Was dieser Welt gefällt und lacht,
Muß alles mit dem Tage enden,
Denn für den Schlaf ist ihre Nacht.

Mir wird dein Leben erst entfaltet,
Wann alles rings in Schatten fällt;
Ich weiß, so lang die Sonne waltet,
Von dir kein Gleichnis auf der Welt.
Du gehst in unbemerkter Fülle
Einsam vorüber und verwirrt,
Ein Stern, der sich aus Nacht und Stille
In dieses fremde Licht verirrt.

O dann erst, wann der Abend dichter
Sich um die stille Erde schließt,
Und wann der Schein verwandter Lichter
Auf dich vom blauen Himmel fließt;
Dann erst, du namenloses Wesen,
Du Stern des Himmels, fass' ich dich,
Und mein' in deinem Blick zu lesen,
Beim Strahl des Monds, du liebest mich.

*

 

Vermächtnis

An die Freunde Durch einen Traum veranlaßt.

Es kommt die Zeit, da ich nicht mehr zu sagen,
Was dieses Lied euch deuten soll, vermag;
Da dieser Mund auf eure Grüß' und Fragen
Tief schweigen wird, und nun mein letzter Tag
Mir ohne Sang und Lust wird nächtlich tagen:
Drum eh' dies Leben hemmt der jähe Schlag,
So lang' es noch beim Frohen bleibt und Alten,
Hört, wie ich's ewig wissen will gehalten.

Soll ich der Erste sein, der von euch scheidet,
Sollt ihr mich starr und stille liegen sehn,
So soll der Anblick, dran der Schmerz sich weidet,
Vor eurer Seele schnell vorübergehn;
Nie soll das Bild des Freundes, wie er leidet,
Und wie er stumm im Tode muß vergehn,
Sein bleiches Antlitz nie, wann ihr in Freuden
Den Bund erneut, euch Wein und Lied verleiden.

Nein! wie ihm Lust und Liebe stets gelungen,
Wie er, lebendig steh'nd im Brüderkreis,
Hoch den Pokal in fester Hand geschwungen
Zu der versammelten Gemeine Preis;
Bei schönen Namen festlich angeklungen,
Die Wangen glühend und die Blicke heiß;
Und mit Gesang zur brüderlichen Flechte
Euch rings geboten seine deutsche Rechte:

So soll er allen vor der Seele stehen,
Als führt' er noch ein Leben unter euch,
Als könntet ihr ihn hören noch und sehen,
Als wär' er froh und allen andern gleich.
Ihr müßt nicht glauben, daß aus euren Nähen
Er lang entschwunden, fern vom Freudenreich,
Nur unterm Boden, den ihr fröhlich tretet,
Sein Lager tief und stille sich gebettet.

So bleibe denn bei euren Bundesfesten
Kein Sitz noch Glas zu seiner Ehre leer;
Noch eine Lück' auch in dem treuen, festen,
Verschlungnen Kranz der Brüderhände mehr.
Denkt nur, wie er den teuren Kreis am besten
Beherrschen kann vom blauen Himmel her,
Und wie er blickt auf die verbundnen Rechten,
Ein Bundesglied, aus sternenhellen Nächten.

*

 

Lied eines abziehenden Burschen

Bemooster Bursche zieh' ich aus,
Behüt dich Gott, Philisters Haus!
Zur alten Heimat geh' ich ein,
Muß selber nun Philister sein.

Fahrt wohl, ihr Straßen grad und krumm,
Ich zieh' nicht mehr in euch herum,
Durchtön' euch nicht mehr mit Gesang,
Mit Lärm nicht mehr und Sporenklang.

Was wollt ihr Kneipen all' von mir?
Mein Bleiben ist nicht mehr allhier,
Winkt nicht mit eurem langen Arm,
Macht mir mein durstig Herz nicht warm.

Ei grüß' euch Gott, Collegia!
Wie steht ihr in Parade da.
Ihr dumpfen Säle groß und klein,
Jetzt kriegt ihr mich nicht mehr herein.

Auch du von deinem Giebeldach
Siehst mir umsonst, o Karzer, nach.
Für schlechte Herberg, Tag und Nacht,
Sei dir ein Pereat gebracht!

Du aber blüh' und schalle noch,
Leb', alter Waffenboden, hoch!
Es stärkt den Geist die Wissenschaft,
So stärke du des Armes Kraft.

Da komm' ich, ach, an Liebchens Haus:
O Kind, schau noch einmal heraus!
Heraus mit deinen Äuglein klar,
Mit deinem dunkeln Lockenhaar!

Und hast du mich vergessen schon,
So wünsch' ich dir nicht bösen Lohn;
Such' dir nur einen Buhlen neu,
Doch sei er flott gleich mir und treu!

Und weiter, weiter geht mein Lauf,
Tut euch, ihr alten Tore, auf!
Leicht ist mein Sinn, und frei mein Pfad,
Gehab dich wohl, du Musenstadt!

Ihr Freunde, drängt euch um mich her,
Macht mir mein leichtes Herz nicht schwer,
Auf frischem Roß, mit frohem Sang
Geleitet mich den Weg entlang.

Im nächsten Dorfe kehret ein,
Trinkt noch mit mir von einem Wein. –
Und nun denn, Brüder, sei's, weil's muß!
Das letzte Glas, den letzten Kuß!

*

 

Heimkunft

Jetzo steh' ich vor dem Tale,
Das der Dunst nicht mehr verhüllt,
Das sich, eine blanke Schale,
Bis zum Rand mit Sonne füllt.

Bin aus ihm gleich einem Diebe
Durch der Nebel Nacht entflohn;
Komme jetzt voll Heimatliebe
Her, wie der verlorne Sohn.

Und dort winkt's aus hellen Fenstern,
Arme, Köpfe kreuzen sich.
Keine Schar von Nachtgespenstern!
Traute Blicke grüßen mich.

Mutter, Kinder! was sind Blüten
Gegen euch, was Berg und Wald?
Schätze gibt es hier zu hüten;
Wieder wandr' ich nicht so bald.

Jüngster Knabe, komm und funkle
Mich mit schwarzen Augen an:
Wie das Erdenleben dunkle,
So ein Strahl macht sich noch Bahn.

Alle künftigen Geschicke
Des bewegten Vaterlands
Les' ich hier in diesem Blicke,
Dieser Kinderaugen Glanz.

Wachse rüstig, lieber Knabe!
Vieles wartet wohl auf dich.
Doch als Greis am Wanderstabe
Siehst du Schöneres, denn ich!

*

 

Der Sänger und die Fremden

Ein Harfner sitzt auf moos'gen Steinen,
Er läßt das Volk des Weges ziehn,
Er spielt und kümmert sich um keinen,
Und keiner kümmert sich um ihn.

Zuweilen schielet wohl den Sänger
Ein Weidmann oder Pflüger an
Und denkt: Wer ist der Müßiggänger,
Der nur zum Liede klimpern kann?

Man sieht, es mag ihn niemand hören,
Er fährt, in sich versunken, fort,
Als spielt' und säng' er Geisterchören,
So in der Wolke lauschen dort.

Jetzt nimmt der Wind auf seinen Flügel
Den Ton, der in den Lüften schwamm;
Und trägt ihn über grüne Hügel
Ins Tal, zu einem frohen Stamm.

Da spielt ums Ohr der Hirtensöhne
Der ferne, wunderbare Klang,
Die Frauen horchen auf die Töne,
Und mancher pilgert nach dem Sang.

Sie steigen von dem Berge nieder,
Sie reihn sich um den Mann im Kreis
Und trinken seine süßen Lieder,
Indes er nichts von ihnen weiß.

Die Mütter mit den Töchtern lauschen,
Sie senken hold ihr Lockenhaupt,
Des Harfners Töne mächtig rauschen,
Der immer noch sich einsam glaubt.

Doch wie er nun sein Lied geendet,
Schlägt er die Augen auf, erschrickt –
Er spricht: »Wer hat mir euch gesendet,
Euch, so in Wolken ich erblickt?«

Und voller schlägt er in die Saiten:
»Nimm an, o Muse, mein Gebet!
Du trägst mein Lied in alle Weiten,
Wenn es die Nähe nicht versteht!

Du hütest deines Sängers Ehre,
Nie bleibt um ihn die Stätte leer;
Du brächtest ihm selbst über Meere
Das Ohr, das ihn vernommen, her.«

*

 

Das Mahl zu Heidelberg

Von Württemberg und Baden
Die Herren zogen aus,
Von Metz des Bischofs Gnaden
Vergaß das Gotteshaus;
Sie zogen aus zu kriegen
Wohl in die Pfalz am Rhein,
Sie sahen da sie liegen
Im Sommersonnenschein.

Umsonst die Rebenblüte
Sie tränkt mit mildem Duft,
Umsonst des Himmels Güte
Aus Ährenfeldern ruft:
Sie brannten Hof und Scheuer,
Daß heulte groß und klein;
Da leuchtete vom Feuer
Der Neckar und der Rhein.

Mit Gram von seinem Schlosse
Sieht es der Pfälzer Fritz;
Heißt springen auf die Rosse
Zwei Mann auf einen Sitz.
Mit enggedrängtem Volke
Sprengt er durch Feld und Wald,
Doch ward die kleine Wolke
Zum Wetterhimmel bald.

Sie wollen seiner spotten,
Da sind sie schon umringt,
Und über ihren Rotten
Sein Schwert der Sieger schwingt.
Vom Hügel sieht man prangen
Das Heidelberger Schloß,
Dorthin führt er gefangen
Die Fürsten samt dem Troß.

Zu hinterst an der Mauer,
Da ragt ein Turm so fest,
Das ist ein Sitz der Trauer,
Der Schlang' und Eule Nest:
Dort sollen sie ihm büßen
Im Kerker trüb und kalt,
Es gähnt zu ihren Füßen
Ein Schlund und finstrer Wald.

Hier lernt vom Grimme rasten
Der Württemberger Utz,
Der Bischof hält ein Fasten,
Der Markgraf läßt vom Trutz.
Sie mochten schon in Sorgen
Um Leib und Leben sein,
Da trat am andern Morgen
Der stolze Pfälzer ein.

»Herauf, ihr Herrn, gestiegen
In meinen hellen Saal!
Ihr sollt nicht fürder liegen
In Finsternis und Qual.
Ein Mahl ist euch gerüstet,
Die Tafel ist gedeckt,
Drum, wenn es euch gelüstet,
Versucht, ob es euch schmeckt!«

Sie lauschen mit Gefallen,
Wie er so lächelnd spricht,
Sie wandeln durch die Hallen
Ans goldne Tageslicht.
Und in dem Saale winket
Ein herrliches Gelag,
Es dampfet und es blinket,
Was nur das Land vermag.

Es atzten sich die Fürsten;
Da mocht' es seltsam sein!
Sie hungern und sie dürsten
Beim Braten und beim Wein;
»Nun, will's euch nicht behagen?
Es fehlt doch, deucht mir, nichts?
Worüber ist zu klagen?
An was, ihr Herrn, gebricht's?

Es schickt zu meinem Tische
Der Odenwald das Schwein,
Der Neckar seine Fische,
Den frommen Trank der Rhein!
Ihr habt ja sonst erfahren,
Was meine Pfalz beschert!
Was wollt ihr heute sparen,
Wo keiner es euch wehrt?«

Die Fürsten sahn verlegen
Den andern jeder an.
Am Ende doch verwegen
Der Ulrich da begann:
»Herr, fürstlich ist dein Bissen,
Doch eines tut ihm not,
Das mag kein Knecht vermissen:
Wo ließest du das Brot

»Wo ich das Brot gelassen?«
Sprach da der Pfälzer Fritz,
Er traf, die bei ihm saßen,
Mit seiner Augen Blitz;
Er tat die Fensterpforten
Weit auf im hohen Saal,
Da sah man allerorten
Ins offne Neckartal.

Sie sprangen von den Stühlen
Und blickten in das Land,
Da rauchten alle Mühlen
Rings von des Krieges Brand;
Kein Hof ist da zu schauen,
Wo nicht die Scheune dampft,
Von Rosses Huf und Klauen
Ist alles Feld zerstampft.

»Nun sprecht, von wessen Schulden
Ist so mein Mahl bestellt?
Ihr müßt euch wohl gedulden,
Bis ihr besät mein Feld,
Bis in des Sommers Schwüle
Mir reifet eure Saat,
Und bis mir in der Mühle
Sich wieder dreht ein Rad.

Ihr seht, der Westwind fächelt
In Stoppeln und Gesträuch;
Ihr seht, die Sonne lächelt,
Sie wartet nur auf euch!
Drum sendet flugs die Schlüssel
Und öffnet euren Schatz,
So findet bei der Schüssel
Das Brot den rechten Platz!«

*

 

Johannes Kant

Den kategorischen Imperativus fand,
Das weiß ein jedes Kind, Immanuel Kant.
Dem kategorischen Imperativus treu,
Zwang durch ihn wilde Seelen zu frommer Scheu
Lang vor Immanuel Herr Johannes Kant,
Und wenige wissen's, wie die Sache bewandt.
Derselb' ein Doktor Theologiä war,
In schwarzer Kutte, mit langem Bart und Haar,
So saß er zu Krakau auf dem Lehrersitz,
So ging er einher gegürtet, in Kält' und Hitz',
Ein rein Gemüt, ein immer gleicher Sinn,
Dem Unrecht dulden, nicht tun, stets däuchte Gewinn.
Im grauen Alter zog ein Sehnen den Kant
Gen Schlesien, in sein altes Vaterland.
Er schloß die Bücher in'n Schrein, bestellt' sein Haus,
Den Säckel nahm er, und zog in die Fern' hinaus.
Gemächlich ritt in der schweren, schwarzen Tracht
Der Doktor durch der polnischen Wälder Nacht,
Doch in der Seele, da wohnt ihm lichter Schein,
Die goldnen Sprüche zogen aus und ein,
Ins Herz schoß Strahlen ihm das göttliche Wort,
Voll innern Sonnenlichtes, so ritt er fort.
Auch merkt er nicht, wie das Tier in finstrer Schlucht
Den Weg durch Abenddunkel und Dickicht sucht,
Er hört nicht vor und hinter sich Tritt und Trott,
Er ist noch immer allein mit seinem Gott.
Da wimmelt's plötzlich um ihn zu Roß, zu Fuß,
Da flucht ins Ohr ihm der Wegelagerer Gruß;
Es stürmen auf den heiligen Mann sie ein,
Es blinken Messer und Schwert im Mondenschein.
Er weiß nicht, wie ihm geschieht, er steigt vom Roß,
Und eh' sie's fordern, teilt er sein Gut dem Troß;
Den vollen Reisebeutel streckt er dar,
Darin beim Groschen manch blanker Taler war,
Vom Halse löst er ab die güldne Kett',
Er reißt die schmucken Borten vom Barett;
Den Ring vom Finger und aus der Tasche zieht
Das Meßbuch er mit Silberbeschläg und Niet;
Daß sie das Pferd abführen mit Sattel und Zaum,
Der arm' erschrockne Mann, er sieht es kaum;
Erst wie er alles Schmuckes und Gutes bar,
Da flehet er um sein Leben zu der Schar.
Der bärtige Hauptmann faßt ihn an der Brust,
Und schüttelt sie mit derber Räuberlust.
»Gabst du auch alles?« brüllt's um ihn und murrt,
»Trägst nichts versteckt im Stiefel oder Gurt?«
Die Todesangst schwört aus dem Doktor: »Nein!«
Und aber »Nein!« Es zittert ihm Fleisch und Bein.
Da stoßen sie fort ihn in den schwarzen Wald;
Er eilt, als wär' er zu Roß noch, ohne Halt;
Doch fährt die Hand im Gehen ihm wie im Traum
Hinab an der langen Kutte vorderm Saum,
Mit Angst fühlt sie herum an allem Wulst,
Und endlich findet sie da die rechte Schwulst,
Wo eingenäht, geborgen und unentdeckt
Der güldene Sparpfennig sich versteckt.
Nun will dem Mann es werden recht sanft und leicht,
Mit all dem Gold er die Heimat wohl erreicht,
Er mag mit Gottes Hilfe vom Schrecken ruhn,
Mit Freunden und Vettern sich recht gütlich tun.
Da stand er plötzlich still, denn in ihm rief
Mit lauter Stimme der heilige Imperativ:
»Leug' nicht! leug' nicht! du hast gelogen, Kant!«
Das einzige Wort ihm auf der Seele brannt',
Vergessen war der Heimat fröhliche Lust,
Er war allein der Lüge sich bewußt.
Und schneller, als ihn getrieben der Freiheit Glück,
Trieb ihn der Sünde Pein nun zurück, zurück.
Schon winkt von ferne der unglücksel'ge Platz,
Die Räuber teilen dort noch immer den Schatz,
Am Mondlicht prüfen sie sich das Allerlei,
Die Pferde weiden zwischen den Büschen frei.
Und wie sie lagern im Gras und tauschen, tritt
In ihre Mitte der Kant mit hastigem Schritt.
Er stellt demütig sich vor die Räuber hin,
Er sprach: »O wisset, daß ich ein Lügner bin!
Doch log der Schrecken aus mir, darum verzeiht!«
Mit diesen Worten riß er den Saum vom Kleid,
In hohler Land beut er ein Häuflein Gold,
Darüber des Mondscheins blinkende Welle rollt;
Weil keiner zugreift, bittet er ganz beschämt:
»Das hab' ich böslich vor euch verleugnet, nehmt!«
Den Räubern aber wird's wunderlich im Kopf,
Sie möchten lachen und spotten ob dem Tropf;
Und ihre Lippe findet doch keinen Laut,
Und ihr vertrocknetes, starres Auge taut.
Und in dem bleiernen Schlummer, den er schlief,
Regt sich in ihnen plötzlich der Imp'rativ,
Der wunderbare, das heil'ge Gebot: »Du sollt –
Du sollt nicht stehlen!« und vor der Hand voll Gold
Aufspringen sie, dann werfen sich all' aufs Knie,
Ein tiefes Schweigen waltet; denn Gott ist hie.

Jetzt aber regt sich emsig die ganze Schar:
Der reicht den Beutel und der die Kette dar,
Ein dritter bringt das Pferd gesattelt, gerüst't,
Das Meßbuch reicht der Hauptmann – er hat's geküßt,
Dann helfen sie ihm zu Roß mit willigem Dienst,
Nichts bleibt zurück vom neuen Räubergewinst;
Ja, mußte Herr Kant nur sein auf seiner Hut,
Daß sie ihm nicht auch schenkten gestohlen Gut.

Er scheidet, er teilt den Segen aus vom Pferd,
Wünscht ihnen gründliche Reu', die sie bekehrt.
Nur dacht' er traurig, als um die Eck' er bog:
»Ihr armen Schelmen, ihr stehlet – und ich log!«
Doch als er kam zum finstern Walde hinaus,
Da war verschwunden der Sünde ganzer Graus,
Da stand der Morgenhimmel in roter Glut,
Da ward dem frommen Wandrer froh zumut.
»Dein Wille gescheh' im Himmel und auf der Erd'!«
So betet der Kant, und gibt die Sporen dem Pferd.

*

 

Das Gewitter

Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
In dumpfer Stube beisammen sind;
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl –
Wie wehen die Lüfte so schwül!

Das Kind spricht: »Morgen ist's Feiertag,
Wie will ich spielen im grünen Hag,
Wie will ich springen durch Tal und Höh'n,
Wie will ich pflücken viel Blumen schön;
Dem Anger, dem bin ich hold!« –
Hört ihr's, wie der Donner grollt?

Die Mutter spricht: »Morgen ist's Feiertag,
Da halten wir alle fröhlich Gelag,
Ich selber, ich rüste mein Feierkleid;
Das Leben, es hat auch Lust nach Leid,
Dann scheint die Sonne wie Gold!« –
Hört ihr's, wie der Donner grollt?

Großmutter spricht: »Morgen ist's Feiertag,
Großmutter hat keinen Feiertag,
Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid,
Das Leben ist Sorg' und viel Arbeit;
Wohl dem, der tat, was er sollt'!« –
Hört ihr's, wie der Donner grollt?

Urahne spricht: »Morgen ist's Feiertag,
Am liebsten morgen ich sterben mag:
Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
Was tu' ich noch auf der Welt?« –
Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?

Sie hören's nicht, sie sehen's nicht,
Es flammet die Stube wie lauter Licht:
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind,
Vier Leben endet ein Schlag –
Und morgen ist's Feiertag.

*

 

Der Reiter und der Bodensee

Der Reiter reitet durchs helle Tal,
Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.

Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee,
Er will noch heut an den Bodensee;

Noch heut mit dem Pferd in den sichern Kahn,
Will drüben landen vor Nacht noch an.

Auf schlimmem Weg, über Dorn und Stein,
Er braust auf rüstigem Roß feldein.

Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,
Da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.

Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,
Der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.

In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,
Die Bäume gingen, die Felsen aus;

So flieget er hin eine Meil', und zwei,
Er hört in den Lüften der Schneegans Schrei;

Es flattert das Wasserhuhn empor,
Nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr;

Keinen Wandersmann sein Auge schaut,
Der ihm den rechten Pfad vertraut.

Fort geht's, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee,
Wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?

Da bricht der Abend, der frühe, herein:
Von Lichtern blinket ein ferner Schein.

Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,
Und Hügel schließen den weiten Raum.

Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,
Dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.

Und Hunde bellen empor am Pferd,
Und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.

»Willkommen am Fenster, Mägdelein,
An den See, an den See, wie weit mag's sein?«

Die Maid, sie staunet den Reiter an:
»Der See liegt hinter dir und der Kahn.

Und deckt' ihn die Rinde von Eis nicht zu,
Ich spräch', aus dem Nachen stiegest du.«

Der Fremde schaudert, er atmet schwer:
»Dort hinten die Ebne, die ritt ich her!«

Da recket die Magd die Arm' in die Höh':
»Herr Gott! so rittest du über den See!

An den Schlund, an die Tiefe bodenlos
Hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!

Und unter dir zürnten die Wasser nicht?
Nicht krachte hinunter die Rinde dicht?

Und du wardst nicht die Speise der stummen Brut?
Der hungrigen Hecht' in der kalten Flut?«

Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär',
Es stellen die Knaben sich um ihn her;

Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:
»Glückseliger Mann, ja, segne du dich!

Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch,
Brich mit uns das Brot und iß vom Fisch!«

Der Reiter erstarret auf seinem Pferd,
Er hat nur das erste Wort gehört.

Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,
Dicht hinter ihm grins't noch die grause Gefahr.

Es siehet sein Blick nur den gräßlichen Schlund,
Sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.

Im Ohr ihm donnert's, wie krachend Eis,
Wie die Well' umrieselt ihn kalter Schweiß.

Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab,
Da ward ihm am Ufer ein trocken Grab.

*

 

Die Glocke vom Wunnenstein

Es steigt ein schöner Hügel, er steht voll Wald und Wein;
Dort weht der Lüfte Flügel so kühlend und so rein.
Er trägt umsonst von Wonne den alten Namen nicht,
Es glänzt sein Haupt voll Sonne bis spät zum Abendlicht.

Und wenn ihr stehet droben und seht die goldne Flur,
Wenn es euch drängt, zu loben die herrliche Natur;
Wollt ihr im Lied euch laben, durch drei der Lande hallt's:
Durch Franken und durch Schwaben und in die blaue Pfalz.

Wohl lauschte heil'gen Klängen die graue Vorzeit schon:
Eine Glocke sah man hängen, die gab so hellen Ton.
Sie glänzte goldig im Blauen, wenn sie geschwungen ward,
Von frommen Klosterfrauen Geschenk von seltner Art.

Wenn man sie hörte nieden im Dorf und nahen Tal,
Da legten sich im Frieden die Menschen nach dem Mahl.
Sie schliefen bei dem Klange, nach heißem Sommertag,
Und ihnen war nicht bange vor Blitz und Wetterschlag.

In ihrem Erz da lebte so segenvolle Macht,
Als wenn ein Herz drin bebte, laut schlüg' auf hoher Wacht.
Wenn die Gewitter dräuten, hört' man aus hohem Sitz
Sie durch die Donner läuten, und sah sie glühn im Blitz.

Und auf die fromme Stimme horcht' aller Wolken Schar,
Daß sie in scheuem Grimme zerstäubten wunderbar.
Da fuhren links die Wetter zum Albgebirge bald,
Und rechts ab mit Geschmetter zum fernen Odenwald.

Und weh den schönen Fluren, durch die sie zogen hin,
Wo auf die grausen Spuren die Morgensonne schien!
Doch an des Berges Fuße das Dörflein sicher lag,
Da schaute mit heitrem Gruße herein der junge Tag.

Den dichten Blumenlauben kein Blättlein war gekränkt,
Die Pfirschen hatte, die Trauben ein süßer Tau getränkt.
Es wogten froh die Ähren, und wie vom Regen die Flur,
So glänzte von Freudezähren der Menschen Antlitz nur.

Da sah mit stillem Neide Heilbronn, die reiche Stadt,
Daß solche Wetterscheide das arme Dörflein hat.
Es muß sie wohl gelüsten, der Klang tönt gar so hold;
Wozu liegt in den Kisten das Silber und das Gold?

Des Schatzes Augen lauern mit tückisch rotem Schein;
Sie bieten ihn den Bauern, er lacht aus offnem Schrein,
Sie sind bereit zu legen ihr Gold den Weg entlang,
Sobald der Glocke Segen von ihrem Turme klang.

Bald hat die schwachen Herzen der eitle Glanz betört:
»Es läßt sich ja verschmerzen, daß man sie nicht mehr hört!
Was kann ein Erz, das blinde? hell blickt des Goldes Strahl!
Auch haben wir Berg' und Winde, die schützen unser Tal!« –

Und unter dumpfem Dröhnen die Glocke steigt vom Turm,
Es tönt, wie banges Stöhnen, zerrissner Klang im Sturm.
Auf einen stolzen Wagen lädt sie das Stadtvolk auf;
Er kann die Wucht kaum tragen, oft stockt der Rosse Lauf.

Und wie sie langsam führten durchs Tal den Trauerzug,
Die Wind' und Wolken sich rührten, sich senkte der Vögel Flug;
Und brütend lag die Hitze auf Feld und Wald ringsum,
Es leckten scheue Blitze den Boden bleich und stumm.

Und als sie vor den Toren abluden ihren Hort,
Da sprach in ihre Ohren der Donner ein zornig Wort;
Und als man hub die Glocken mit Eile den Turm hinan,
Sie kam hinauf nicht trocken, zu traufen es begann.

Jetzt ist es Zeit zu läuten, der Türmer faßt den Strang.
Doch wehe, was will's bedeuten? die Glocke gibt keinen Klang!
Da draußen aber stürmet der Hagel und zuckt der Blitz,
Und Wolk' auf Wolke türmet des Himmels finstrer Sitz.

Wie bang sie horchen alle zum Glockenturm empor,
Nicht tönt von andrem Schalle denn schwerem Donner das Ohr.
Es winkt des Himmels Feuern das glühende Metall,
Und Häuser und volle Scheuern ergreift der Flamme Schwall.

Die Felder sind zerschlagen, die Bäume sind zerschellt,
Von Beten und von Klagen erschallen Stadt und Feld:
»Die Luft läßt nicht vom Sturme, der Himmel hängt voll Nacht,
Seit wir nach unsrem Turme den stummen Fluch gebracht!«

So lösen sie mit Zittern die Glock' im hohen Haus,
Da hallt von den Gewittern der Donner mählich aus.
Mit Macht und Müh' gehoben, steigt sie zum Wagen empor;
Der blaue Himmel droben tut auf das schwarze Tor.

Zwölf starke Rosse ziehen am Wagen schnaubend fort;
Doch fehlt die Kraft den Knieen, sie kommen kaum vom Ort;
Eilt, eilet, seid nicht träge, fort mit dem schlimmen Gast! –
Doch auf dem halben Wege erliegen sie der Last.

Es hatten groß Betrüben die Bürger bei dem Zug;
Da kommt vom Dorfe drüben ein Bäuerlein am Pflug.
Wie der die Glock' erblicket, so weint er wie ein Kind,
Hat schnell sich angeschicket, lös't seine Stiere geschwind.

Er spannt sie vor den Wagen und schickt die Rosse fort,
Die Bürger stehn und zagen – denn auf sein Schmeichelwort
Ermannen sich die Tiere, sie ziehen rüstig, leicht,
Am Dorfe sind die Stiere, bevor der Tag erbleicht.

O herzlicher Willkommen mit Liedern und Gebet!
Wie, aller Angst entnommen, das Dörflein aufersteht!
Denn auf den Knien gelegen war es in Wettersnacht,
Weil draußen stand sein Segen verwais't und unbewacht.

Es stand der Berg im Flimmern des letzten Sonnenstrahls,
Und wieder sah man schimmern die Wächterin des Tals;
Und als des Abends Dunkel verhüllend niedersank,
Ertönt' im Sterngefunkel von selbst der fromme Klang.

*

 


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