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Die Luftschlacht am Niagara

Von Herbert George Wells

Eine Zeitlang noch, nachdem sie sich gegenseitig erblickt hatten, machte keine der Flotten den Versuch zum Angriff. Die Deutschen zählten siebenundsechzig große Luftschiffe und nahmen in einer Höhe von zwölfhundert Metern halbmondförmige Aufstellung. Sie hielten eine Entfernung von etwa anderthalb Längen ein, so daß die Hörner des Halbmonds fünfzig Kilometer auseinander waren. Dicht im Schlepptau der äußersten Geschwader jedes Flügels waren ungefähr dreißig bemannte Drachenflieger; doch waren diese zu klein und zu fern, als daß der Zuschauer sie hätte unterscheiden können.

Dieser Zuschauer war ein Mann namens Bert Smallways. Er stand auf der Niagarabrücke, an einem Punkte, der sonst von Touristen und Ausflüglern frequentiert wurde. Jetzt war er das einzige menschliche Wesen weit und breit. Unter ihm schäumte wie an einem Wehr der Strom dem amerikanischen Fall zu, über ihm, in höchster Höhe, stieß die Luftflotte der ostasiatischen Allianz auf die deutsche des Prinzen Karl Albert, der mit der Vernichtung der amerikanischen Panzerschiffe im Atlantik und dem Bombardement Neuyorks den Weltkrieg heraufbeschworen hatte.

Zuerst wurde für Bert nur die sogenannte Südflotte der Asiaten sichtbar. Sie bestand aus vierzig Luftschiffen, die fast vierhundert Flugmaschinen an ihren Seiten mit sich führten. Eine ganze Weile flog diese Flotte langsam und mit einem Mindestabstand von neunzehn Kilometern ostwärts an der Front der deutschen entlang. Anfangs konnte Bert nur die größeren Massen unterscheiden, dann bemerkte er die Ein-Mann-Maschinen, als eine Menge von sehr kleinen Gegenständen, die wie Stäubchen durch den Sonnenschein und unter den größeren Rümpfen dahintrieben.

Von der zweiten Flotte der Asiaten sah Bert damals noch nichts, obgleich sie wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt im Nordwesten in Sicht der deutschen kam.

Die Luft war sehr still, der Himmel fast ohne eine Wolke, und die deutsche Flotte hatte sich zu einer ungeheuren Höhe erhoben, so daß die Luftschiffe nicht mehr besonders groß erschienen. Beide Enden des Halbmonds hoben sich deutlich ab. Während sie südwärts zogen, kamen sie langsam zwischen Bert und die Sonne und wurden zu schwarzen Umrissen. Die Drachenflieger sahen aus wie kleine schwarze Flecken auf jedem Flügel dieser Luftarmada.

Die beiden Flotten schienen es mit dem Beginn des Kampfes nicht eilig zu haben. Die Asiaten flogen weit nach Osten, wobei sie ihre Geschwindigkeit erhöhten und zugleich stiegen, bildeten dann eine lange Kolonne und kamen zurück, indem sie gegen die deutsche linke Flanke aufstiegen. Die Geschwader der letzteren wendeten, um diesem seitlichen Vorrücken zu begegnen, und plötzlich zeigte da und dort ein kleines Funkengeflacker, ein knatterndes Geräusch an, daß das Feuer eröffnet war. Eine Weile bemerkte der Zuschauer auf der Niagarabrücke keinerlei Wirkung. Dann flogen, gleich einer Handvoll Schneeflocken, die Drachenflieger zum Angriff, und ein Gewirr roter Funken wirbelte aufwärts, ihnen entgegen. Für Berts Empfinden war das Ganze nicht nur unendlich fern, sondern auch ganz merkwürdig unirdisch. Die Luftschiffe erschienen ihm nicht als Gassäcke, die Menschen trugen, sondern wie seltsame, fühlende lebendige Geschöpfe, die sich aus eigenem Antrieb bewegten und handelten. Der Schwarm der asiatischen und deutschen Flugmaschinen stieß aufeinander und senkte sich erdwärts, ward gleich einer Handvoll roter und weißer Rosenblätter, die aus einem Fenster geworfen werden, wurde dann größer, bis Bert die gekenterten durch die Luft wirbeln sah, und verschwand schließlich in großen Wolken dunkeln Rauchs, der in der Richtung von Buffalo aufstieg. Eine Zeitlang waren alle verschwunden, dann erhoben sich zwei oder drei weiße und eine Anzahl von roten wieder in die Luft wie ein Schwarm großer Schmetterlinge, kreisten kämpfend umeinander und trieben dann wieder nach Osten davon.

Ein schwerer dumpfer Knall lenkte Berts Augen zum Zenit zurück. Und siehe! Der große Halbmond hatte seine Form verloren und war zu einer ungeordneten, langen Wolke von Luftschiffen geworden. Eines war halbwegs in die Tiefe gesunken. Es brannte vorn und hinten, und während Bert noch zusah, überschlug es sich, sank, sich unablässig um sich selbst drehend, und verschwand im Rauch von Buffalo.

Berts Mund öffnete und schloß sich; er klammerte sich fester an das Brückengeländer. Ein paar Augenblicke – lange Augenblicke schienen es – verharrten die beiden Flotten ohne scheinbare Veränderung, indem sie schräg gegeneinander anflogen und, wie es für Berts Ohren klang, ein summendes Geräusch verführten. Dann begannen plötzlich auf beiden Seiten, von Geschossen getroffen, die er nicht zu sehen vermochte, Luftschiffe aus der Schlachtlinie zu sinken. Die Reihe der asiatischen Schiffe machte eine Schwenkung und stürzte sich in oder über (es war von unten aus schwer zu erkennen) die zersprengte Linie der Deutschen, die sich zu öffnen schien, um ihr Platz zu machen. Es begann eine Art Manövrieren; aber Bert verstand nicht, was es eigentlich bedeutete. Links wurde die Schlacht zu einem wirren Tanz von Luftschiffen. Einige Minuten lang sahen die beiden sich kreuzenden Linien von Schiffen von unten gesehen aus, als wären sie so dicht beieinander, daß das Ganze wie ein Handgemenge am Himmel erschien. Dann zerteilten sie sich zu Gruppen und Zweikämpfen. Der Abstieg der deutschen Luftschiffe nach den niederen Regionen nahm zu. Eins von ihnen flackerte brennend herab und verschwand fern im Norden; zwei sanken mit verzerrten und krüppelhaften Bewegungen; dann senkte sich eine feindliche Gruppe in wirbelndem Konflikt vom Zenit nieder – zwei Asiaten gegen einen Deutschen, dem sich bald ein zweiter anschloß – und alle trieben miteinander nach Osten, während aus der Linie der Deutschen da und dort ein Luftschiff sich ihnen zugesellte. Ein asiatischer Riese rammte einen noch riesigeren Deutschen oder kollidierte mit ihm, und alle beide stürzten, unablässig um sich selbst kreisend, der Vernichtung entgegen. Das nördliche Geschwader der Asiaten kam jetzt in Aktion, ohne daß Bert es bemerkte; nur daß ihm die Menge der Schiffe droben plötzlich noch viel größer erschien. In kurzer Zeit war der ganze Kampf eine einzige große Wirrnis, die in der Hauptsache südwestlich gegen den Wind trieb. Mehr und mehr ward alles zu einer Reihenfolge von Gruppenzusammenstößen. Hier flammte ein ungeheures deutsches Luftschiff erdwärts, umgeben von einem Dutzend flacher asiatischer Fahrzeuge, die jeden seiner Versuche, sich noch zu retten, vereitelten. Dort hing ein anderes, dessen Mannschaft sich gegen die Krieger eines ganzen Schwarms von japanischen Flugmaschinen verteidigte. Und hier wiederum sank ein asiatischer Riese, der von einem Ende zum andern in Flammen stand, aus der Schlacht. Berts Aufmerksamkeit wanderte von einem Geschehnis zum andern in der uferlosen Klarheit über ihm; diese besonders das Auge auf sich lenkenden Fälle von Vernichtung erregten und fesselten ihn; erst ganz nach und nach ward ihm überhaupt eine Art Zusammenhang zwischen diesen näheren und auffälligeren Episoden klar.

In der Masse der Luftschiffe, die hoch oben in der Ferne umherwirbelten, kam es mittlerweile weder zur Vernichtung noch zur Entscheidung. Der größte Teil schien sich in voller Geschwindigkeit und unter beständigem Kreisen aufwärts zu bewegen, um sich eine möglichst günstige Stellung zu sichern, wobei fortwährend wirkungslose Schüsse gewechselt wurden. Auch Rammversuche wurden nur wenige gemacht, nachdem die ersten Rammer und Gerammten so tragisch abgestürzt waren; und wenn Enterversuche gemacht wurden, so waren sie jedenfalls für Bert nicht erkennbar. Dagegen zeigte sich ein unablässiges Bemühen, den Gegner zu isolieren, ihn von seinen Kameraden abzuschneiden und nach unten zu drängen, was ein fortwährendes Rückwärtssegeln und Durcheinander der wirbelnden Gestalten verursachte. Die größere Anzahl der Asiaten und ihre rascheren Drehbewegungen machten den Eindruck, als griffen sie die Deutschen fortwährend an. Zu oberst, und augenscheinlich im Bemühen, mit den Elektrizitätswerken von Niagara in Berührung zu bleiben, zog sich ein Korps von deutschen Luftschiffen zu einer enggeschlossenen Phalanx zusammen, die die Asiaten immer eifriger zu sprengen versuchten. Bert erinnerte das Ganze in grotesker Weise an Fische in einem Fischteich, die um Brosamen kämpfen. Er sah schwache Rauchwölkchen und das Aufblitzen der Bomben; aber kein Laut drang zu ihm herab …

Ein flatternder Schatten drängte sich auf einen Augenblick zwischen ihn und die Sonne; ein zweiter folgte. Ein Surren von Motoren, klick – klack – klitter-klack – drang an sein Ohr. Und sofort vergaß er den Zenit.

Vielleicht hundert Meter über dem Wasser kam von Süden her, rasch wie Walküren durch die Luft reitend, auf den seltsamen Rossen, die die künstlerische Inspiration Japans von der Technik Europas empfangen hatte, eine lange Reihe asiatischer Krieger. Die Flügel flatterten ruckweise, klick-klack – klitter-klack – und die Maschinen flogen aufwärts; die Flügel breiteten sich aus und standen still, und der Apparat schwebte wagrecht durch die Luft. So stiegen sie und sanken und stiegen wieder. So dicht über seinem Kopf zogen sie dahin, daß Bert ihre Stimmen sich gegenseitig zurufen hörte. Sie flogen hinüber nach Niagara und landeten, einer hinter dem andern, in einer langen Reihe, auf dem freien Platz vor dem Hotel. Aber er blieb nicht stehen, um das mitanzusehen. Ein gelbes Gesicht hatte sich vornübergebeugt und ihn angestarrt, und fremde Augen waren eine rätselvolle Sekunde lang seinen Augen begegnet …

Und in diesem Augenblick durchzuckte Bert der Gedanke, daß er hier, in der Mitte der Brücke, doch gar zu deutlich sichtbar sei; er lief, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, nach der Ziegeninsel hinüber. Dort duckte er sich, vielleicht in einem übertriebenen Ichbewußtsein, unter die Bäume.

Als Berts Sicherheitsgefühl wieder so weit hergestellt war, daß er die Schlacht aufs neue beobachten konnte, bemerkte er, daß sich zwischen den asiatischen Fliegern und den deutschen Ingenieuren ein lebhaftes Scharmützel um den Besitz der Stadt Niagara entspann, deren industrielle Anlagen die Deutschen für die Zwecke ihres aeronautischen Parkes in Beschlag genommen hatten. Zum erstenmal im ganzen Verlauf des Krieges sah er etwas, das dem Kampf glich, so wie er ihn in den illustrierten Blättern seiner Jugend studiert hatte. Ihm war es, als käme nun endlich die gehörige Ordnung in die Geschichte. Er sah Männer, die Gewehre trugen und Deckungen suchten und rasch, in loser Angriffsform, von einem Punkt zum andern liefen. Die erste Abteilung von Fliegern hatte wahrscheinlich unter dem Eindruck gestanden, daß die Stadt verlassen sei. Sie waren auf einem offenen Platz in der Nähe des Prospect Park gelandet und näherten sich den Häusern in der Richtung der Elektrizitätswerke, als sie durch plötzliches Schießen aus ihrem Irrtum gerissen wurden. Sie hatten in der Nähe des Wassers hinter einer Erdwelle Deckung gesucht – ihre Flugzeuge waren zu weit entfernt, als daß sie sie hätten noch erreichen können; und jetzt lagen sie am Boden hinter ihrem Schutzwall und feuerten auf die Leute in den Hotels und Maschinenhäusern um die Elektrizitätswerke her.

Dann kam eine zweite Reihe roter Flugmaschinen von Osten her ihnen zu Hilfe. Sie tauchten aus dem Dunst über den Häusern auf und näherten sich in weitem Bogen, als wollten sie die Situation unten erst überblicken. Das Feuer der Deutschen ward zu einem wahren Tumult, und eine der schwebenden Gestalten fiel mit einem plötzlichen Ruck hintenüber und verschwand zwischen den Häusern. Die andern senkten sich, ganz wie große Vögel, auf das Dach des Elektrizitätswerks nieder, klammerten sich dort fest, und von jeder sprang eine geschmeidige kleine Figur und lief auf die Brüstung zu. Weitere flatternde Vogelgestalten kamen; aber Bert hatte ihr Kommen nicht bemerkt. Ein Stakkato von Schüssen drang zu ihm hinüber und erinnerte ihn an Manöver, an Zeitungsbeschreibungen von Gefechten, an alles, was nach seinem Begriff von Krieg völlig korrekt war. Er sah eine ganze Anzahl von Deutschen von den entfernteren Häusern her nach den Elektrizitätswerken eilen. Zwei fielen. Der eine lag still; aber der andere zappelte noch eine Weile. Das Hotel, das in ein Lazarett umgewandelt worden war, hißte plötzlich die Genfer Flagge. In der Stadt, die so ruhig geschienen hatte, war augenscheinlich eine beträchtliche Anzahl von Deutschen versteckt gewesen, die sich nun alle sammelten, um das Hauptgebäude der Elektrizitätswerke zu verteidigen. Er fragte sich, was für Munition sie wohl haben mochten. Mehr und mehr asiatische Flugmaschinen mischten sich in den Konflikt. Sie hatten die unglücklichen deutschen Drachenflieger vernichtet und griffen nun den beginnenden aeronautischen Park, die elektrischen Gaserzeuger und Reparaturwerkstätten an, die den Stützpunkt der Deutschen bildeten. Einige landeten, und ihre Piloten suchten Deckung und wurden zu energischen Infanteristen. Andere schwebten über dem Kampf, wobei ihre Bemannung dann und wann auf irgendeinen exponierten Punkt unten feuerte. Die Schüsse kamen ruckweise; einmal herrschte beobachtende Stille; dann wieder knatterte ein Schnellfeuer von Schüssen, das sich fast bis zum Tumult steigerte. Ein- oder zweimal kamen Flugmaschinen bei ihrem vorsichtigen Kreisen unmittelbar über Bert, so daß eine Weile sein ganzes Sinnen und Trachten nur auf Ducken und Kauern gerichtet war …

Dann und wann mischte sich in das Geknatter ein rollender Donner und erinnerte ihn an das Handgemenge der fernen Luftschiffe in der Höhe; aber der Kampf in der Nähe fesselte seine ganze Aufmerksamkeit.

Plötzlich fiel etwas vom Zenit herab; etwas wie eine Tonne oder ein riesiger Fußball!

Krach! Mit einem ungeheuren Geräusch schmetterte es herab. Es war zwischen die gelandeten asiatischen Aeroplane gefallen, die auf Rasen und Blumenbeeten in der Nähe des Stroms lagen. Sie flogen in Fetzen und Trümmer; Rasen, Bäume und Kies wurden in die Luft geschleudert und fielen wieder zu Boden. Die Flieger, die noch immer am Kanalufer entlang lagen, wurden wie Säcke umhergeworfen; Windwirbel flogen über die schäumenden Wasser. Alle Fenster des Hotellazaretts, die noch einen Augenblick zuvor blinkend den blauen Himmel und die Luftschiffe widergespiegelt hatten, wurden zu ungeheuren, schwarzen Höhlen. Bum! Ein zweiter Krach. Bert blickte in die Höhe und hatte ein Gefühl, als ob eine Anzahl von Riesenkörpern sich wie ein Haufe sich bauschender Bettücher, wie eine Reihe riesenhafter Schüsseldeckel auf das Ganze herabsenkte. Das Hauptschlachtgewirr oben kreiste abwärts, als wolle es sich mit den um die Elektrizitätswerke Kämpfenden vereinigen. Bert hatte jetzt einen ganz neuen Eindruck von den Luftschiffen – er sah ungeheure Dinger, die auf ihn herabkamen, die rasch immer größer und überwältigender wurden, bis die Häuser drüben klein, die Stromschnellen schmal, die Brücke schwächlich, die Kämpfenden winzig erschienen. Und während sie sich so herabsenkten, wurden sie auch vernehmbar – ein Gemisch von Geschrei und Gestöhn, von Krachen und Pochen und Pulsieren, von Ausrufen und Schüssen. Die verkürzten schwarzen Adler an den Vorderteilen der deutschen Luftschiffe machten tatsächlich den Eindruck, als kämpften sie mit, als flögen ihre Federn …

Einige der kämpfenden Luftschiffe kamen der Erde bis auf hundertundfünfzig Meter nahe. Bert sah auf den unteren Galerien der deutschen Fahrzeuge Leute, die ihre Gewehre abschossen; sah Asiaten, die sich an ihre Taue festklammerten; sah einen Mann im Aluminiumtaucheranzug blitzend kopfüber in die Wasser über der Ziegeninsel stürzen. Zum erstenmal sah er die asiatischen Luftschiffe aus der Nähe. Und sie erinnerten ihn in der Hauptsache an kolossale Schneeschuhe. Sie zeigten seltsame Muster in Schwarz und Weiß und in Formen, die an den inneren Deckel einer Uhr erinnerten. Hängegalerien hatten sie nicht; aber aus kleinen Öffnungen längs der Mittellinie guckten Männer und Gewehrläufe hervor. In langen, steigenden und fallenden Wellenlinien dahintreibend, fochten und kämpften die Ungetüme. Sie waren wie Wolken, die kämpften, wie Puddings, die sich gegenseitig zu morden versuchten. Sie wirbelten und kreisten umeinander und hüllten die Ziegeninsel und Niagara eine Zeitlang in ein rauchiges Dämmerlicht, durch das die Sonne in Strahlen und Pfeilen brach. Sie zerstreuten sich und sammelten sich und zerstreuten sich wieder, sie fochten und kreisten über den Stromschnellen und zwei Meilen und weiter nach Kanada hinein und wieder über die Fälle zurück. Ein deutsches Luftschiff fing an zu brennen, und die ganze Masse entfernte sich von ihm, stieg in die Höhe, zerteilte sich und ließ es einsam in der Richtung nach Kanada zu sinken und im Sinken explodieren. Dann sammelten sich die andern wieder unter erneutem Tumult. Einmal erklang von den Leuten in der Stadt unten etwas, wie ein Hurrageschrei in einem Ameisenhaufen. Ein zweites deutsches Luftschiff verbrannte, und ein drittes, das der Feind durch einen Rammstoß zertrümmert hatte, trieb in südlicher Richtung aus dem Gefecht.

Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Deutschen in dem ungleichen Kampf den kürzeren zogen. Immer beharrlicher wurden sie verfolgt. Immer augenscheinlicher kämpften sie nur noch in dem Bestreben, sich die Flucht zu ermöglichen. Die Asiaten hefteten sich an ihre Seite, stürzten sich über sie, schlitzten ihre Gaskammern auf, steckten sie in Brand, vernichteten ihre wie durch einen Nebel sichtbare Bemannung, die in Taucherkleidung mit Feuerlöschapparaten und seidenen Lappen im Innennetz gegen Flammen und Risse ankämpfte. Ihre einzige Antwort waren wirkungslose Schüsse. Die Schlacht kreiste wieder zurück über Niagara; und plötzlich, wie auf ein verabredetes Zeichen, stoben die Deutschen auseinander und zerstreuten sich nach Osten, Westen, Süden und Norden, in offener und ungeordneter Flucht. Die Asiaten, als sie dies erkannten, stiegen auf, um über und hinter ihnen her zu fliegen. Nur ein kleiner Knäuel von vier Deutschen und vielleicht einem Dutzend Asiaten blieb zurück und kämpfte, um die »Hohenzollern« und den Prinzen Karl Albert geschart, der noch immer über Niagara kreiste, in einem letzten Versuch, die Stadt zu retten.

Rundherum kreisten sie, über den Kanadischen Fall, über die Wassermasse im Osten, bis sie ganz fern und klein waren, dann wieder zurück, eilends, ruckweise, geradeswegs auf den einen erstarrten Zuschauer zu.

Rasch näherte sich die ganze kämpfende Masse, ward größer und größer, hob sich schwarz und ausdruckslos gegen die Abendsonne und über den blinkenden Strudel der oberen Stromschnellen ab. Wie eine Wetterwolke schwoll sie an, bis sie aufs neue den Himmel verdunkelte. Die flachen asiatischen Luftschiffe hielten sich hoch über den deutschen oder hinter ihnen und feuerten unerwiderte Schüsse auf ihre Gaskammern und Flanken ab; die Flugmaschinen schwärmten um sie herum wie ein Volk wütender Bienen. Näher kamen sie und immer näher. Sie füllten den unteren Himmel. Zwei der deutschen sanken und erhoben sich wieder. Aber die »Hohenzollern« hatte zu sehr gelitten. Sie erhob sich matt, wandte scharf um, als wolle sie sich aus der Schlacht verziehen, fing plötzlich vorn und hinten zu brennen an, sank aufs Wasser hinab, fiel schräg in den Strom, trieb, sich wälzend und windend wie etwas Lebendiges, abwärts, blieb hängen und trieb dann wieder weiter. Ihr zerbrochener und verbogener Propeller schlug noch immer die Luft. Die hervorbrechenden Flammen erstickten in Wolken und Dampf. Es war eine in ihren Dimensionen gigantische Katastrophe. Die »Hohenzollern« lag über den Stromschnellen gleich einer Insel, gleich großen Klippen, Klippen, die rauchend, sich wälzend, übereinanderstürzend und zusammenfallend mit einer Art schwankender Geschwindigkeit auf Bert zutrieben. Ein asiatisches Luftschiff – Bert erschien es von unten wie etwa dreihundert Quadratmeter Straßenpflaster – wirbelte zurück und kreiste zwei- oder dreimal über dem großen Zusammenbruch, und ein halb Dutzend roter Flugzeuge tanzte einen Augenblick lang gleich großen Schnaken im Sonnenschein, ehe sie hinter ihren Kameraden hereilten. Der Rest des Kampfes war schon als ein wildes Crescendo von Schüssen und Geschrei und verheerendem Tumult über die Insel weggezogen. Jetzt verdeckten die Bäume alles, und Bert vergaß es auch über dem näherliegenden Schauspiel des riesenhaften, vernichteten deutschen Luftschiffs, das da auf ihn zukam. Etwas fiel unter einem gewaltigen Krachen und Splittern von Zweigen unbeachtet hinter ihm zu Boden.

Eine Zeitlang schien es, als müsse die »Hohenzollern« bei der Teilung der Wasser das Rückgrat brechen; dann arbeitete und schäumte ihr Propeller eine Weile im Strom und warf die ganze zerfetzte, verbogene Trümmermasse gegen das amerikanische Ufer. Aber die Strömung, die zum Amerikanischen Fall hinabschäumte, packte sie, und in der nächsten Minute ward das ungeheure Wrack, aus dem an drei neuen Stellen die Flammen hervorbrachen, gegen die Brücke geschleudert, die die Ziegeninsel und die Stadt Niagara verbindet, und reckte gleichsam einen langen Arm aus einem wogenden Gewirr unter dem mittleren Brückenbogen. Die Mittelkammern explodierten mit einem lauten Knall, und im nächsten Moment war die Brücke zusammengestürzt, und die Hauptmasse des Luftschiffs schwankte gleich einem grotesken zerlumpten Krüppel, flatternd und Fackeln schwenkend, zum oberen Ende des Falls, zögerte einen Moment und verschwand dann mit einem verzweifelten, selbstmörderischen Satz.

Das abgerissene Vorderteil blieb gegen die kleine Insel gequetscht, die man die grüne Insel zu nennen pflegte, und die die Schwelle vom Festland zu der Baumgruppe der Ziegeninsel bildet.

Bert verfolgte die Katastrophe von der Teilung der Wasser an bis zum Brückenpfeiler. Dann stürzte er, unbekümmert um das asiatische Luftschiff, das wie ein riesiges Hausdach ohne Wände über der Hängebrücke schwebte, nach Norden und gelangte zum erstenmal auf die Felsspitze bei der Lunainsel, die direkt in den Amerikanischen Fall niederblickt. Da stand er, mitten im ewigen Tosen des Lärms, atemlos, mit starren Augen …

Weit unten, rasch durch die Schlucht eilend, wirbelte etwas wie ein riesiger, leerer Sack. Für ihn bedeutete es, – ja, was bedeutete es nicht! – die deutsche Luftflotte, kurz, den Prinzen, Europa, alles, was feststehend und vertraut war, die Mächte, die ihn getragen hatten, die Mächte, die ihm so unbestreitbar sieghaft erschienen waren. Und da trieb es die Stromschnellen hinunter, wie ein leerer Sack, und überließ die ganze sichtbare Welt Asien, gelben Menschen ohne Christentum, allem, was schrecklich und fremd war …

Fern über Kanada entschwebte der Rest des Konflikts und entschwand aus seinem Gesichtskreis.


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