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Von Wilhelm Schmidtbonn
Ein Flieger, der mit seiner Maschine hoch durch die leere Luft lärmte, Wolken unter sich, so daß ihm die Erde versteckt war, sah einen riesenhaften Vogel auf sich zukommen.
Er wandte erschreckt die Maschine um. Die Hände gehorchten ihm kaum, steif, als ob sie gefroren wären. Obwohl er jetzt vor dem Vogel dahinflog, fiel dieser schnell zu ihm herab, war bald als ein Wesen von menschenähnlicher Gestalt zu erkennen und hing schon, erschöpft und angeklammert, im Eisenwerk der Maschine. Es war eine Frau von nie gesehener Schmalheit: der ganze Leib nicht breiter, als daß er nicht überall mit zwei Händen zuzudecken gewesen wäre, dabei von einer so gestreckten Anmut aller Glieder, daß dem Flieger das Herz in jäher Erregung zu schlagen anfing. Der Leib der Frau war mit dünnen, seidenen, lichtblauen Haaren ganz bedeckt. Zwischen Armen und Brust lagen die beiden jetzt zusammengefalteten Flügel. Auf der Stirn war ein einziges Auge eingeschnitten, das, nach einer Weile in Furcht und Flehen geöffnet, in eine kleine, runde, goldene Sonne sehen ließ, deren Strahlung der Flieger nur kurz aushielt.
Der Flieger war aber ein Mann, der durch seinen Beruf gewohnt war, nicht lange einem Schrecken hingegeben zu bleiben und schnell alle Umstände zu berechnen. Darum dachte er diesen seltenen Vogel oder Menschen, der von irgendeinem Stern zu ihm heruntergefallen war, so rasch als möglich zur Erde zu bringen, der Wissenschaft zu kaum ausdenkbarem Ereignis. Sein zweiter natürlicher Gedanke war, daß dabei auch für ihn selbst ein unberechenbarer Geldverdienst zu erwarten war. Er lenkte seine Maschine zur Erde und streckte zugleich eine Hand aus, um den Arm der Frau, der ihm zunächst war, mit einem Lederriemen an das Eisen zu binden. Als er die blauen Haare nur anrührte, sang ein elektrischer Strom in sein Blut hinein, von einer so unirdischen Süße, daß er nur, seine ganze Kraft spannend, die Hand zurückziehen konnte, während sein Gehirn im Taumel einer seligen Gefangenheit geschlagen blieb.
Aber unter dieser Lähmung dachte er schon, von Liebe ergriffen, der Wissenschaft und allen möglichen Verdienstes vergessend, das Rätselwesen, ohne einem Menschen davon zu sagen, in seinem Zimmer für sich versteckt zu halten. Ein Raubvogel mit seinem Fang, schoß er mit ungeheurer Geschwindigkeit, ohne länger zu kreisen, in schrägem Abflug durch die weißen Wolken zur grünen Erde hernieder.
Als er den Kopf wandte, um ein einsames Feld zu suchen, auf dem er ungesehen mit seiner Beute landen könnte, sah er, wie das blaue Wesen im Begriff war, schnell in sich zusammenzusinken, gleichsam von der heißen, giftigen Luft der Erdnähe aufgezehrt. Er ließ das Steuer los, griff aufschreiend nach der Gestalt, griff aber nur noch in ein Etwas, das ihm unter den Händen zerrann, als ob er nur in eine kleine glänzende Frühlingswolke gegriffen hätte.
Während seine Maschine hart auf die Erde anschlug, lag er über Eisen und Tuch hingeworfen, trank mit aufgerissenen Augen ein letztes blaues Leuchten, das wie der Staub von Schmetterlingsflügeln auf dem Gestänge zurückgeblieben war, in sich und empfand, wie ein Ertrinkender, der nach der Luft über dem Wasser giert, die letzte Abschwächung jenes Gefühls einer unbekannten Süße.