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Alfred Wolfenstein

Der menschliche Kämpfer

Aus Enge schwebend zum Balkon hinaus,
Sein schwacher Tropfen hängt mit mir am Haus –:
Auf schwanken Wolken strahlen weiß wie Degen
Die Augen dunkler Geister mir entgegen.

O aufgewölbt ins dunkle Niederwölben
Die Erde weicht, Trompetenmund des gelben
Mondes gellt – und taumelnd Erde hängt
Am Rand der Welt, aus Sternenwelt verdrängt.

Doch hart umfängt den Ball am Horizont
Ein Reifen Qual, blutrot von Höll umsonnt,
Und hält ihn fest, und die verlöschten Lande
Stehn vor den Sternen arm in wilder Schande.

Nacht um uns Erde – Wie der Erde Glut
Erfriert im Innern, kalt wird unser Blut!
Wie Sturm bewußtlos schmettern unsre Kehlen
Einander hin mit finsteren Befehlen.

Starr stampft der Fuß im brüllenden Gewimmel,
Kein Schwung aus ihr, nur Leid hält sie im Himmel –
Bis durch des Sommers rot verdorrten Baum,
So lange sanglos, donnert Traum!

Unsicher stürmisch, ihre Frucht und Ehre,
Tret ich zu ihr hinaus bis an die Leere –:
Es schimmert meiner Brust entblößte Wacht
Entgegen unsichtbarer Übermacht.

Das böse Schweigen rings und himmelwärts
Soll immer schwerer werden als mein Herz,
Ich fühle rings den Traum den Schlaf bezwingen,
Tief Atmen saust aus Herzen mir in Schwingen.

Der Traum steht auf, aus Leides Innern bricht
Der Erde neues Sternenlicht!
Träumer der Welt! – da schrumpft die Nacht, fruchtlos geschwellt –
Arbeiter der Welt, die niemals war! Zeuger der Welt!

Aus uns die Schöpfung –! Menschenwelt –! Zum Rand
Des Abgrunds tret ich: Birst in jedem Band –
Kein Sturz zu Boden soll uns rückwärts biegen,
Uns Flatternde, uns Würdige zu fliegen!

*

Ein Stoß kam aus dem Dunkel, wie am Anfang der Welt – und ein hallender Ton klingt mit und sagt; – wie am Beginn einer Schöpfung!

Das erste Dunkel liegt uns wieder nahe, als sei nur Gott – und als sei er nichts, noch immer nichts. Die Erde ist wüst und leer, ein Geisterlaut schwebt darüber, es klingt aus ihm mit weiter selbstloser Stimme:

Erschafft ihr die neue Schöpfung. Macht Gott erst mächtig!

Wäre er schon, überflüssig wäre das Leben!

Der erste Ruf des neuen Lebens erhebt sich: Friede! Zugleich überfliegt ein Feuer die Leere zwischen den Fluten, eine glühende Scham. Denn es gibt in der Tat eine Schmach dieses Friedens: daß er nötig war, daß ein Anstoß den Menschen treffen und in den blutigen Kot schleudern mußte, damit sein Geist in Bewegung geriet. Zur Welt gekommen, um ihrem unförmigen tierischen Sieg zu dienen! Zerquetscht vom anschwellenden Außen und Äußersten, dem er sein Bestes zum Futter vorwarf. Abgehauen die Menschenhände, um als Pack, das sich schlägt und verträgt, einander die künstlichen Gliedmaßen des Friedens wieder zu reichen. Untertänige Geschöpfe des Daseins, fallend all seine trägen Fälle, – unbekannt der selbst bewegende Schöpfer!

*

Die alten Jahrtausende und all ihre Götter waren dem höheren stampfen Zwiegott Krieg und Frieden unterworfen. Da durfte die tiefe Bedeutung der menschlichen Vielheit auf der Erde immer von neuem getrübt werden. Daß nicht nur ein Mensch in der Welt ist, – der Sinn dieser schweren herrlichen, ungeheuren Tatsache wurde unaufhörlich zur Feindseligkeit erniedrigt oder zur Friedlichkeit entgeistigt. Wie betrog der Mensch sich selbst immer wieder um die lebendige Lösung. Zwei Wege zum Nichts! Sie führen in den Sumpf, worin die Menge friedlich seufzend in sich zusammensinkt, oder zum blutigen Abgrund, wenn ein einziger Mann oder ein Volk alles andere verschlingen will. Aber beide Begierden, in ihrem Wechsel, stehen im Grunde trübsinnig still und gleichen sich. Sie fälschen das ewige Ziel, nach dem unser schmerzlich zerspringendes Leben strebt: die himmlische Vereinigung der Menschen. Statt ihrer entsteht eine blutige Verzerrung, der Zusammenstoß aller Menschen, oder eine billige Karikatur, die beruhigte Verbürgerung. Aus den Mißerfolgen der Kriege und Frieden neigte sich immer wieder eine neu verkrüppelte Gestalt des Menschentums über den Rand des Chaos zurück.

Nur Formen von Einsamkeit sind in der Tat diese scheinbaren Einheiten der friedlichen Idylle oder der Gewalt. Eine wahre menschliche Gemeinschaft verwirklichen sie nicht, – nur die natürlichen Einsamkeiten vermehren sie noch. Als immer neue Formen der Einsamkeit werden wir geboren, zerstoben in Einsamkeiten wirbelt von jeher das All. Explosion – nicht die Schöpfung war am Anfang, und mit der Geburt jedes Menschen, blind und wirr gleich dem Urzersprung der Welt, zerwühlt sich immer wieder das All und strudelt heftiger, mit mächtigeren Schmerzen, von ihm. Nicht das Leben von Anderen, von Eltern, – sein Leben mit Anderen erzeugt ihn, und lebte er auch scheinbar in der Wüste.

Die Fülle des Beisammenseins, die Wahrheit dieser Fülle, gilt es herrlich offenbar zu machen. Es gilt nicht, zu suchen; – grausam schnell gerät das Suchen in die verdiente Leere! In Realität verbohrt oder in seine Seele versenkt, nach allen Richtungen sieht der Ahnungslose an der Wirklichkeit vorbei – bis dorthin, wo ihre Sonne bald entkräftet wird. Die Wirklichkeit besteht für den Menschen nicht aus den äußeren oder inneren Sachen, sondern aus den Welten der anderen Menschen.

Mit diesen gleichen, ungleichen Sphären müßte er rechnen, – er kann damit nicht rechnen! Strahlend von ihren zahllosen Augen, – das Sternenkreuzen der menschlichen Willen ist keinem Himmelsglobus eingeschrieben. Selbstherrlicher Umschwung um einander! Überall tritt der Freie, Unbedingte entgegen dem frei Entgegentretenden: und Zerschmetterung oder charakterlose Vermischung käme – oder das Wunder: die menschliche Lösung, geboren aus dem ahnenden Gewissen: kein Zufall ist unsere Vielheit auf der Erde!

Die menschliche Lösung in der Fülle der Lebendigen vollbringt nicht der ehrgeizige Vernichter, der allen Raum für sich begehrt, noch der Unbewegte, der den Raum mit zahmer Herde füllt. Sondern der, dem Räumliches und Zeitliches kein Ziel ist – und das Ziel nicht alles. Das ist nicht der Gute; der Mensch ist nicht gut, er wird es. Auch nicht der Schlechte; endlos ist das Böse und doch nicht ewig. Der Schlechte verhindert die Welt, der Gute wäre ihr himmlisches Ende. Aber das unendliche Leben möglich macht nur der Erneuerer Mensch; der belebt statt zu töten oder friedselig abzusterben, und die Welt nicht erobert sondern erschafft; der Revolutionär, der menschliche Kämpfer.

Denn einander lieben bedeutet noch höheres als Liebe und Haß: lieben überhaupt, daß es Andere gibt; daß nicht nur ein Mensch auf der Welt ist. Wer dies fühlt, rührt an Gottes Wirklichkeit.

*

Mit den leeren Blicken, den bloßen gallertgefüllten Augenhöhlen sehen die Menschen der Zeit von der Erde zum Himmel, vom Himmel zur Erde. Endgültig hat ihr durchdringender Verstand entdeckt, daß beides beliebige Orte sind, schnell ihrer eisig heiligen Polarität entkleidet und gottlos bewohnt wie alles.

Doch ein neuer Weltteil stieg wie zum Ersatz – wie zum Hohn empor: Über dem blutigen Meer, auf das sie sich mit den flatternden Aberglauben all ihrer Länder hinauswagten, wimmelt das neue Ufer von Wilden, von Seelenloseren als es jemals gab: von ihnen selbst. Sie bekannten sich freilich nie ganz dazu und erklärten es für eine unwirkliche vorübergehende Spiegelung. Sie nannten sich weiter Menschen, – könnten ja jederzeit nachhaus segeln – und was dort tanzte, sich marterte und sich verschlang, sei schon nicht mehr zu sehen –

Aber die Donnerstimme der Wahrheit ruft: Halt! Seid mutig und nicht immer nur tapfer. Gebt den Rest eurer Seele endlich daran, – den ihr zur Ausflucht immer krampfhaft zurückhieltet, wenn euch vor dem Morden schauerte, – als wäret ihr nicht ganz daran beteiligt: Dieser Seelenrest gerade ist am schuldigsten, denn er hätte gegen das Verbrechen aufstehen müssen! Bekennt euch zu eurer Wüste, hinaufgetreten! Überall selbstgefällige Spiegelung – nur dies gerade ist festes Land – eures Innern. Elender noch als Götzen anzubeten ist es, den Staub rasch abzuklopfen und auf die Knie des neuen Vergessens zu sinken.

Denn der Friede, wird schnell zum Vergessen, Vergessen aber ist auch das Grab der Zukunft. Kann sich für die Ewigkeit der Zukunft ändern, wer sich anders macht als er ist? Gegen das Vergessen sollen sie sich versammeln, andere Feste müssen gefeiert werden, als es jemals gab. Feste der Erinnerung: an sie selbst. Sedantage müssen zu umflorten Feiern umgekehrt werden, an denen sie bedenken, was hinter ihrer Friedensliebe noch immer lauert – in ihnen. Jean Paul macht für sie den Vorschlag politischer Trauerfeste. Sich versammelt ins Gesicht sehen und einander redlich und unermüdlich die verräterischen Spuren der Bestie weisen! Das Lauernde in Ketten legen, in Ketten des immer erneuten, laut erklingenden Gedenkens, das lange in ihr Wesen einschneidend den Krieg endlich töten kann! Sonst leben sie trotz alledem im Frieden wie im Krieg geistvergessen vor sich hin – und wollen die große Zeit nur zu einer langen dehnen.

*

Die Zeit kann aber nicht durch Zeit erlöst werden, der Krieg nicht durch den Frieden. Beide hängen im gleichen engen Gehirn des selben Götzen miteinander zusammen. Sie sind zwei Hälften des Janus, gelenkt vom gleichen Willenszentrum in seinem doppelzüngigen Haupte. Das eine Antlitz zeigt die Zähne, das andere verbirgt sie.

Unsere Zeit war nicht mehr wie eine frühere »die furchtbare kalte seelenmörderische Zeit«. Denn sie war nicht einmal mehr wahrhaft kalt sondern lau, und längst abgestorbene Seelen nur wurden noch gemordet. Ihr Mensch war auch nicht der Verzweifelte, »der keinen Haß, keine Liebe, keine Hoffnung hat, nur eine folternde Unruhe, die schreckliche Leere auszufüllen« (Lenz). Nicht einmal dies Leiden an der Entgötterung lag noch in ihm, dies letzte rettende Sprungbrett. Nach der langen Bürozeit des Jahrhunderts fühlte er sich nicht leer sondern war es.

So konnte er den Krieg seinen Nerven wohl anvertrauen, durch den Frieden für jede Gleichgültigkeit reif. Oft hörte man ihn allerdings zu einem imaginären Gewissen beiseite sprechen: Eigentlich bekriegen wir uns gar nicht, eigentlich können wir keinen Menschen töten, der Krieg ist nur ein Mittel, die dicken Wände zwischen uns wieder durchzuschlagen.

Es wäre besser, sie wüßten, daß sie wirklich Menschen getötet haben. Noch mehr: daß sogar töten darf, wer ein Mensch ist, zuweilen aus den letzten Tiefen. Aber der Krieg macht feige. Trotz Feldern voll Opfer tritt kein Mörder auf, und auch kein in seiner Tat Überzeugter. Sie glauben, du sollst nicht töten, auch nicht im Zweikampf, – und den Widerspruch löst ihre Massenschlacht und ihr Fernkrieg. Denn dort sehen sie nicht, was sie tun, und schießen nur ins Leere, gleichsam nicht auf den Menschen.

Das ist also der Krieg als Friede verkleidet. Andere erklärten ihn für eine Weltrevolution, – und entkommen ihr doch nicht!! die nun mit ihrer Wirklichkeit über alle Beschöniger hereinbricht. Fruchtbarkeit in ihrer Menschen zerquetschenden Umwälzung! Aber nicht immer ist sie bis in die Tötung revolutionär. Die Menschentötung selbst kann auch hier wie im Kriege hohler, zufallsschwerer, tatloser Lawinenschlag sein. Dann enthält sie die überirdisch erinnernde, überirdisch umwälzende Wirkung nicht, die schon oft in der Geschichte aus der Tat des einzelnen Revolutionärs ausstrahlte. Jener Vergessene, der im ersten Jahre des Krieges auf den Kriegshändler Morgan schoß! Im einzelnen Menschen hat es bisweilen mit höchster Notwendigkeit gesprochen: Du sollst töten. Handelnd aus seinem leidenschaftlich freien Innern, aus seiner Freiheit von den Andern, und doch der Andern so tief wie seines Selbst bewußt, kann seine Tat bis in die Tötung wahrhaft revolutionär sein. Das heißt: bewegend über sich hinaus. Der Schuß, wie das bloße körperliche Mittel, kann im lang zuvor schon überhallenden Geist dieser Tat lautlos verwehen – und nur dieses Hallen ist zu hören. Der Geist hat getötet.

Aber das höchste Mittel der Erneuerung ist dennoch ein anderes.

 

Niederdämmerung aller mordenden Götzen, Aufdämmerung des menschlichen Kämpfers!

Er ist der Einzelne, – aber das sollen ALLE wieder werden! Denn er ist nicht der Ichmensch, der Feind der Masse, sondern der aus der Liebe Aller Entspringende. Kein anderer Weg führt zur wahrhaften Verbrüderung.

Also erkennen wir ihn an jener Einsamkeit, die nicht sie selbst bleiben will. Unter seinem Gang wird der Boden zur menschlichen Straße, wenn auch jeder Schritt von fernen Felsen herabkommt. Seine Tat ist nicht Krieg oder Friede, die nur starre oder weiche Reaktionen auf die allzunahe Umwelt sind.

Wir erkennen ihn auch an seinen Bewegungen. Der Krieg, der Zwiespalt unter den Sklaven des Gegebenen, ist die gebannteste Untätigkeit. Nicht vom Fleck rührt sich das von einer Erdrichtung zur anderen rasende Kriegerische. Sein gespenstischer Sieg will nur die gleichen Einen an die Stelle der gleichen Anderen setzen. Über beide aber, die Füße in beiden Lagern, erhebt das Haupt in den Himmel der Geist, der unaufhaltsam über das Gleiche hinweggeht. Der Krieg ist leidend wie der Vulkan. Der Kampf um den Geist aber ist die volle glühende Aktivität. Der Krieg, starr an den Boden geheftet, erreicht nichts anderes als den Frieden, wie der zäh und schuldhaft mit ihm zusammenhängende Friede nur wieder den Krieg. Dies spielt sich immer auf der gleichen gemessenen Erde ab. Derjenige aber, der nicht das vorhandene Land sieht, sondern die Schöpfung, die noch niemals da war, und der sich die Schöpfung von keinem Gott abnehmen läßt: schreitet weit aus im Unendlichen und hat keine Grenzen zu fürchten.

Wir erkennen ihn auch an seiner Ruhelosigkeit; daran, daß seine Bewegungen selbst in der ewigen Bewegung sind: An seinem Durst, den keine Revolution endet.

Rings sehen wir die alten ragenden Gipfel abgetragen, das ist gut und gewaltig, sie sind durch neue Spitzen ersetzt, – doch der riesige Leib des alten Menschentums darunter – wer wandelt ihn? Christus trägt nicht nur die Spitzen ab, sondern erschüttert von oben bis unten. Er lehrt ein revolutionäres Leben. Diese Revolution, wenn sie ihren notwendigen Unterschied gegen frühere erkennt und nicht eine kriegerische oder eine friedliche Revolution ist, muß Erneuerung des Menschen sein: Wille, im Menschen das Revolutionäre zu verewigen.

Das Menschliche sieht sich nun voll Mut ungeheuer allein auf der Erde. Es wendet seinen Blick. Soweit, – umfassend alle Inhalte des Menschlichen, – hätte der Plan einer wahrhaft expressionistischen Anschauung sein müssen. Vom Schein biblischer Schöpfung angefangen setzte der Mensch immer wieder eine Scheinwirklichkeit über sich. Das Zerstobene, den Staub der Umwelt nannte er in angeborener oder angeflogener Täuschung allzu rasch Landschaft, Musik, Einheit. Die Eindrücke alles Vorhandenen überwogen in ihm, schnell erstarrend. Er neigte allzu sehr zum Warten auf das Wesentliche. Ob er die ersehnte Hilfe Gott oder Glück nannte, – sie war ein Götze, aus irgend äußerem Material. Denn mehr als sein Geist fragte und zweifelte noch sein Körper, darum brauchte er einen Halt aus Metall, Holz, Stein.

Empor nun auf den freien Gipfel, der uns hoch im Himmlischen erst recht nicht von einander trennt! Diese neue Menschlichkeit, der es nicht schmeichelt, das Göttliche zu sein, weil es ihr gar nichts anderes schenkt als seine ewige Aufgabe, – diese Menschen, die demütig sind und doch vor dem Göttlichen nicht niederfallen können, weil sie es in sich fühlen: sie, die zersprengten Inhalte Gottes, betreten nun den Weg zu einer großen Vereinigung.

Denn solchem Alleinsein der Menschen kann mehr Liebe entwachsen, als unter dem äußeren Segen. Die Arme, die leidenschaftlich die Bewegung des Kampfes kennen, sind auch der Freundschaft offener und breiten sich weiter aus, als nur leidend ans Kreuz geheftete. In einem magischen Kreise berühren einander die vereinzelnde Distanz des Streites und die Innigkeit der brüderlichen Nähe. Ist es wahr, daß nur der Hasser gut lieben kann, – der Kämpfer kann in Wahrheit am besten lieben, er, der Lebendige, der Feind der Gewöhnlichkeit, der keinen Augenblick der Abstumpfung des Lebens duldet.

*

Seine Liebe ist nicht von dieser Welt, aber sie geht zu ihr. Zum Zusammenprall mit den Welten der Anderen führt er das Jenseits seines Geistes. Seine Füße schweben in jenem Draußen des Archimedes, um von dort die Kugel zu bewegen.

Darum gehört zu seinesgleichen besonders rein der Künstler, und vor allem derjenige, dem nur die tonlosere Musik der Sprache gegeben ist, dafür jedoch der direktere lebensnähere Ausdruck, die Hand des Wortes: der Dichter.

Sein Werk ist das Gegenteil der Gewalt. Zur Kunst kann man niemand zwingen, dennoch übt sie ihre Macht, ein großes Werkzeug der Erneuerung. Herrliche Kämpfer, Menschbegründer, Dichter und Verwirklicher, die offenbarten, daß die Kunst alles vermag. Mit bloßer wildschöner Worthandlung entreißt Aischylos den Menschen der Gewalt und schmiedet sie selbst an den Felsen. Durch tiefhohen Wortbau der Hölle zum Himmel drängt Dante den Menschen. Aus bloßem Stein und Bild der Schöpferstirn zuckt Michelangelos Menschenschöpfung in das Nichts. Mit heiterem A-Dur-Ernst atmet Beethoven mächtigeren Seelenklang gegen den Sturm des Schicksals. Hölderlins Geist biegt die Zartheit der Sprache, suchend die Mitte des Schwunges, um den Lichtpfeil anklagend ins stumpfe Schweigen zu senden. Tolstoj läßt das Werk aufflammen in der Inbrunst des Gewissens. Dostojewski vertieft die Tiefe mit heiligem kühnem Menschenschritt und flüstert donnernd: Nicht Gott sondern die Welt nehme ich nicht an!

*

Der erneute Mensch wird diejenige Kunst lieben, von der er selbst sich gezeugt fühlt. Eine neue Einheit von Leben und Kunst kann triumphieren. Diese Einheit wird nicht wie in vergangener Epoche dadurch entstehen, daß Natur die Kunst bestimmt: Sondern die Schöpfung der Kunst soll zur Schöpfung des Lebens werden.

In der neuen Einheit soll auch der Dichter selbst stehen. Zur Hölle mit den verruchten, endlos lange wuchernden Menschengattungen, die ihr Sein von ihrem Tun unterschieden! Die Gehälfteten der Zivilisation, die verräterischen Jünger des neunzehnten Jahrhunderts, deren Reich nur von dieser Welt der Berechnung war, überschwemmten das reine Leben von allen Seiten. Ausgestoßen von Pflanzen- und Tierwelt, von aller Natur, die aus einem Gusse ist, trübten sie die Menschenwelt. Auch die Kunst brachten sie in die Gewalt ihrer überallhin mitlaufenden Intelligenz, die alles konnte, nämlich alles mit dem Spiel ihres nichtigen Schattens abfangen konnte. Blickte man das Menschentum hinter solcher Intelligenz an, – blaß und giftig zerfiel da ihre Gestalt wie ein Primus außerhalb der Schule. Mit ihren Worten entbanden sie sich von ihrem Leben! und in Wahrheit ging Tod und Verwesung von ihnen aus.

Die Dichtung des neuen Dichters aber sei wieder er selbst. Der Mensch darf auf sie hoffen, denn ihre Einheit ist seinem Chaos Hilfe. Der dem Gegebenen folgende Künstler dagegen verirrt sich vom wirkenden Geist, und es ist fast gleichgültig, ob er dabei ins äußere oder ins innere Chaos gerät. Auch die expressionistischen Scharen wußten kaum, wie wenig sie sich von Naturalisten unterschieden. Sie waren Naturalisten des Innern, und da die Seele nicht fest wie die Natur ist, mußte ihre bloße Beschreibung in Gedichten oder Bildern – unsichtbar bleiben. Zolas Romanwort ist überhart wie die Erde, die Form des falschen Expressionisten, sein Ausdrucksmittel selbst, ertrinkt im unfaßbaren, im ungefaßten Seelischen. Vor Seele und Natur aber und vor dem Ausdruck muß kommen: wer ausdrückt!

Durch einen Ozean von Lebendigkeit soll die neue Dichtung auch von jener geschieden sein, die ein Kunstreich für sich zu bilden beanspruchte. Die Kunst ist für die Kunst ebensowenig wie für die Realität. Der Mensch aber darf auf sie hoffen, – auf die Kunst, die ihre Natur verwirklichen will, – den Himmel verlassende, in die Zeit herabstoßende, adlerhaft wieder ins Ewige erhebende empörerische Dichtung.

Der Mensch kann auf sie hoffen, weil ihr Geist auch nicht Romantik ist. Die romantische und diese Kunst sind feindliche Brüder. Beide vergleichen sich nicht dem Gegebenen sondern dem Geistigen. Aber die eine drängt hinweg in die Zaubernacht, höchste Unwirklichkeit ist ihre Sehnsucht, befremdender oberster Aufstieg ist ihr Plan, bis die Welt zu einem Spielball wird. Sie will das Glück; den für sich selbst glänzenden Künstler; das Entzücken des Seins, nicht des Handelns, die Verklärung. Das Gewesene ist ihr Ort, und sie wählt das einmalige Geschehnis, das überrascht und den Geist an sich erregt, daß er immer höher in eigenes Licht, in eigene tatlose Wolkenbewegtheit, in Genuß seiner Selbstgesetze entschwindet. Romantik ist nicht Kampf, vermeidet das Widerstehende, das Schwere, das Unten.

Die andere Kunst aber, so hoch hinaus sie auch will, wird sich keiner Pflicht der Tiefe entziehen. Die Freiheit ihrer Welt ist nicht von vornherein da, als willkürliches Spiel in sich: sie soll erst durch ihre nichts Menschliches umgehende Schöpfung erstehn. Nicht auf das Einmalige sondern auf das Ganze, auf das Einheitliche ist sie gestellt, nicht auf das Wunderbare sondern auf wirkliche Erfüllung.

Dies kann unmittelbarer als je der künftige Charakter der Kunst sein: lauter, lauterer Erinnerungsruf, daß Leben das Tätige sei. Gegenüber den vergangenen Künsten ist das eigene jubelnde Ja dieser bis in ihre Form hinein von ihrem Ethos durchklungenen Kunst: Menschen hervorzurufen; – zu wirken, daß die menschliche Tat die trägen Umdrehungen des Gegebenen rings herrlich überwiege. Ihr Klang ist Welt, – nichts festeres ist sie! Diese niemals Erstarrung duldende Welt reißt die Wirklichkeit sich nach. Sie ist über den Ländern und Bürgern die Utopie des unendlichen Menschen.

Das Leben des Dichters aber, das sei im Getümmel des Schicksals und der kämpfenden Gestalten. Er halte sein Herz nicht in seinem Haupte gefangen. Er fürchte nicht für sein Werk, wenn er sich der Lebendigkeit hingibt, sondern wenn er sich fürchtet! Im grenzenlosen Leben gestalte er zuerst sich selbst, – dann kann sein Werk seine wahrste Gestalt empfangen.

Denn nur der dem Kampfe Hingegebene kann Welt erzeugen. Und es geht nicht dem endlichem Paradiese sondern der unendlichen Steigerung des Menschlichen zu.


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