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Ernst Toller

Totentanz

Transportzüge
Vergittertes Holzabteil eines fahrenden Zuges, Ölfunze tränt flackerndes Licht. Zusammengepfercht hocken schlafende Soldaten.

Erster Soldat:

Wie lange rattert schon der Zug.
O dieses ewge knirschende Stampfen
Gepeitschter Maschine.

Zweiter Soldat:

Wir irren durch endlose Räume.
Tage, Wochen, ich weiß es kaum mehr.
Wollt, ich schlief im Schoß meiner Mutter.

Dritter Soldat:

Wollt, das Haus wär zusammengestürzt,
Als der Vater die Mutter umarmte.

Vierter Soldat:

Wollt, vom Himmel wärn feurige Dolche geschnellt,
Die den fremden Mann erschlagen,
Da er die Frau im Walde sich nahm.

Fünfter Soldat:

Unnütze Worte. Lange schon
Klemmt uns verruchter Sarg.
Lange schon modern wir,
Stinkend verfaulendes Menschenfleisch ...

Sechster Soldat:

Ziellos irren wir, furchtsame Kinder
Preisgegeben sinnloser Willkür.
Morden, hungern, vollbringen
Gewaltige Taten.
Bleiben doch furchtsame Kinder,
Schrecküberfallen von lichtloser Nacht.

Siebenter Soldat:

Könnt ich noch beten!
Alle die süßen, kosenden Worte,
Die meine Mutter mir mild verhieß,
Zerspellen zu irrem gebrochenem Lallen.

Erster Soldat:

Ewig fahren wir.

Zweiter Soldat:

Ewig stampft die Maschine.

Dritter Soldat:

Ewig gatten sich Menschen.
Aus gieriger Lust wächst ewig Fluch.

Vierter Soldat:

Ewig gebärt Urschoß Gestirne.
Ewig zerstört sich der göttliche Schoß.

Fünfter Soldat:

Ewig verwesen wir.

Sechster Soldat:

Ewig Kinder vom Vater geängstigt.

Siebenter Soldat:

Von Müttern preisgegeben
Frierender Not.

Alle:

Ewig fahren wir.

Alle:

Ewig ...

Zwischen den Drahtverhauen

Wolken peitschen dunkel um den Mond. Rechts und links Drahtverhaue, in denen kalkbespritzte Skelette hängen. – Zwischen den Drahtverhauen von Granattrichtern aufgewühlte Erde. Aus dem linken Drahtverhau räkelt sich ein Skelett.

Skelett:

Wie bin ich doch allein.
Die andern schlafen alle.
Jedoch ... Mich friert nicht mehr
Wie damals, als ich zwischen Feind und Freund
Verenden mußte.
Der Kalk ätzt gut, die Fetzen
Blutger Haut sind schnell geschrumpft.
Haha, nun kann ich mit den Händen klappern.

Zweites Skelett im rechten Drahtverhau richtet sich empor:

Schon wieder regt sich drüben der Halunke ...
Daß ich mich immer ducken muß!
Jedoch ... Mich hungert nicht. –
Wer packt mich? Kalte Knochenhand ...
Laß los, sag ich dir,
Laß mich los.
Sonst ... Ich vergeß mich ...
Es war die eigne Hand, die sich
Der Schwester kalt verkrampfte.

Erstes Skelett:

Spiel weiter nur Komödie, alter Freund.
Ich klappere mit schlottrigen Gelenken
Dazu erlesenen Niggertanz.
Nun sind wir nicht mehr Feind und Freund,
Nun sind wir gleich.
Die bunten Fetzen fraßen Würmer!
Nun sind wir alle gleich.
Mein Herr ... Wir wollen tanzen.

Skelette zwischen den Drahtverhauen, die Erde von ihren Knochen abschüttelnd.

Skelette:

Nun sind wir alle gleich.
Mein Herr ... wir wollen tanzen.

Erstes Skelett:

Das bunte Ordenszeug ist längst verfault.
Der Titel stiert im Zeitungsinserat
Von schwarzen Rändern eingezäunt.
Haha – wir wollen tanzen!

Zweites Skelett:

Da drüben ihr, die ohne Beine,
Ergreift sie! Klappert!
Klappert auf zum Tanz!

Alle Skelette lachen:

Da drüben ihr, die ohne Beine,
Ergreift sie! Klappert!
Klappert auf zum Tanz!

Die ohne Beine ergreifen die Beinknochen und klappern. Die anderen tanzen.

Erstes Skelett:

Hoho, was ist denn das?
Du drüben, warum tanzt du nicht?

Alle:

Mein Herr ... wir wollen tanzen!

Skelett im Winkel:

Schäme mich so!

Zweites Skelett:

Schämst dich?
Meine Herren ... Scham.

Bedeckt mit Händen den Ort der Geschlechtsblöße.

Ich glaub, das gabs einmal.

Alle bedecken sich schleunigst.

Erstes Skelett:

Die Wüste trieb die Scham zum Teufel.
Wer wird sich jetzt noch schämen?
Dumme Narren!
Wir sind ja alle nackt!
Und hinter nackten Knochen
Gähnt der hohle Sumpf.

Skelett im Winkel:

Nein, nicht Sumpf.

Erstes Skelett:

Wer?

Skelett im Winkel:

Lebt Maria ...

Alle:

Hihi! Hoho!
Hihi! Hoho!

Erstes Skelett:

Mein Herr, Sie sind nicht ganz gesund.
Mein Herr, wir wollen tanzen!

Alle:

Ja, tanzen! Ja, tanzen!

Skelett im Winkel:

Bin kein Herr ...

Zweites Skelett:

Was denn?

Skelett im Winkel:

Ein ... Mädchen ...

Erstes Skelett:

Wie?

Skelett im Winkel:

Ein ... Mädchen ...

Erstes Skelett:

Meine Herren! Bedecken wir unsre Blöße!

Skelett im Winkel:

Dreizehn Jahre bin ich erst,
Aber ...
Warum starrt ihr mich alle so an?

Zweites Skelett:

Mein Fräulein, Sie stehen in meinem Schutz.

Skelett im Winkel:

So brauch ich mich nicht zu fürchten?
Es waren nämlich damals auch so viel.

Erstes Skelett:

Wann?

Skelett im Winkel:

In jener Nacht.
Ich weiß noch heute nicht,
Warum sie's taten.
Mußt es denn sein, mein Herr?
Kaum hatte der eine mich gelassen,
War schon der andere in meinem Bett.

Zweites Skelett:

Und dann?

Skelett im Winkel:

Dann ...
Ich starb daran.

Erstes Skelett:

Sie starb daran!
Ein schönes Wort! Ein feines Wort!
Sie starb daran!
Meine Herren! Sie sind vertattert
Und haben die Hände ... hoho ...
Und haben die Hände immer noch ...

Alle lassen die Hände fallen.

Erstes Skelett:

Mein Fräulein, aus ist's mit der Scham!
Wozu? ... Siehst du den Unterschied?
Du hast ihn, glaub ich, niemals recht gesehn!
Doch heut ... Auf eines Kalkbespritzten Ehre
Doch heute sind wir alle gleich.
Drum Fräulein in die Mitte,
Wenn ich bitten darf;
Sie sind geschändet?
Das will so wenig heute sagen,
Ist kaum der Rede wert.
Recht so! Sie sind gescheit!
Dorthin gesetzt!

Alle bilden einen Kreis um das Skelett im Winkel und tanzen stürmischen Ringelreihn.


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