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Theodor Däubler

Die blaue Blume

 

 

Carl Schmitt zugeeignet

 

 

Ich baue meinen eigenen Nachen. In meinen Träumen sind Gewässer gläsern; drum soll er sichelblank, kristallhaft scharf und tanzbereit im Splittergischt sein. Mich selber fessle ich an eine Steuerruderbank. Der Abendhimmel schenkt mir Wolken, um zu segeln. Gesichte und Geträume setz ich in den Nachen: Vermutungen, vielleicht schon Halbgestaltungen: sie werden mir beim Segeln gern behilflich sein. Die Sonne ist bereits gesunken: wie ein Riesenvogel tauchte sie ins Meer. Schräg. Die Purpurspannen sind noch steif geblieben. Die eine ungeheure Schwinge ist verschwunden, die andre aber reicht noch hoch empor in einen wolkenlosen Himmel. Sie zuckt nicht. Ob aber trotzdem unsre Sonne stirbt? Dereinst. Sonst könnte sie auch nicht ein einzigmal vor unsern Augen untergehn. In solcher Stunde wartete ich oft am Meere auf den ersten Mond. Doch heute nimmer; mir genügt das feingesichelte und weiße Boot. Ich nehme es nun selber ein: die Mondheit meines Wesens führt mich still hinaus. Dafür erscheint der selten sichtbare Merkur: zart und bläulich in der Hut des großen Sonnenflügels. Ganz nah am Horizont. Er wird sofort vergehn. Zum erstenmal hab ich den Stern gesehn!

Die Straffheit dieser Abendspannen hat nun langsam nachgelassen. Schon ward es Nacht. Die vielen Sterne! Alle Sterne, die der Tag erschreckt hat, wimmeln wiederum hervor. Kindlich sind sie geblieben, Augen der Unschuld, großgläubig: einige scheinen mir verweint. Es war nur ein Schreck!

In meinem Nachen werden die Gespenster sichtbar. Vermummungen. Eine trägt schon eine Maske. Sie wird sprechen. Wie Quecksilber blauäugelt es auf Purpurwogen meiner Abendsee. Die meisten Sterne sind schon da. Ist der Tag noch immer nicht ganz fortgedämmert? Ich sehne mich nach meinem Eiland, zu seinen himmelragenden Zypressen. Da steht die Maske auf: steil über die andern Vermummten. Sie sagt zu mir: wir Masken sind die Boten einer formgewordnen Fremdwelt. Auf kurze Zeit nur sind wir unter euch. Wir sollten stumm bleiben bei den Menschen. Ihr konntet aber unser Wesen nicht verstehn. Da machten wir Gebärden. Ihr fandet sie bloß komisch. Um aber trotzdem fest bei euch weilen zu können, vermengten wir uns mit Satyren und den flinken Nymphen. Wahrhaftig aber steigen alle Masken aus dem Schattenreich empor. Da wir zu den Menschen kommen, bringt uns jetzt mein Karren und zugleich ein Schiff in eure Städte. Der schlankste Prinz eilt stets voran. Mit leichtem Schritt berührt er kaum die Erde. Und eine Narrenkappe hat er auf: beflügelt scheint sie mit grotesken Schellen. Und solche Schellen trägt er ebenfalls am Fuß. Anliegend, hellblau, fast wie eine Haut sind seine Kleider. Auch schwingt er einen Stab in rechter Hand. Als Knopf darauf trägt er den Maskenkopf, da seine Wesenheit Verhüllungen vor dem Gesicht verschmäht. Denn er ist nackt! Nur blau gewandelt. Ins Blaue eingehautet. Und, daß er mit dem Winde zu euch kommt, durch Windes Scherz und Lächeln, beweist, außer den Schellen, die er bringt, das bunte Bänderbündel vorn am Stab, das sich beim Laufen kraus verschlängelt. Der Prinz, der euch ein Götterbote ist, kommt fliegend in die Welt. In jedem Jahre weilt er flüchtig unter Menschen. Doch wer er wirklich sei, das habt ihr nie erraten! Kaum hat die Maske das gesagt, so beugte ihre wolkenbläuliche Gestalt sich vorn im Nachen, leicht gekrümmt, hinaus in meine Nacht. Und sie stand da, so wie ein offnes Seerosenblatt, kaum noch zugewandt den andern, sehr dicht vermummten Nachtentfaltungen, die eng beisammen, Blättern einer Blume glichen, deren keusche Knospenhaftigkeit noch nicht erschlossen war. So glitten wir, leicht windbewegt, über ganz dunkles quecksilbrig gesprenkeltes Gewoge.

Doch aus der Blume trat ein zweites Blatt, und da es sprach, ward es Gestalt. »Von einer andern Maske will ich dir verkünden, die auch den gleichen Gott vertritt, wie jener Prinz, von dem du hörtest!« hub sie an. Der Gott, ein Bote selbst, kann listig täuschend sich, wenn er zu den erkornen Seelen dringen mag, verkleiden. Im Karneval ist er ein Prinz, der uns befiehlt nur diebisch, kurz die Last der Leiber zu genießen. Bloß eine Nacht! Mit seinem Flugschuh streift er das Emporium. Die Venus sendet ihn; und zu Gelagen um Bacchus ist er für den Augenblick gebeten. Viel Jammer, Krankheit bringt er unter Sterbliche. Doch auch zum Arzte, dem Erfinder richtet er den Schritt. Den Flugschritt: silbern, leise! Ein Gott ist die Idee. Er selber ganz die Heilung durch die Götter. Seltsam sind die Lieder seiner Sänger um das Weib. Die schlanken Jünglinge, die freudvoll diesem Gotte gleichen, die Erben reicher Kaufmannshäuser, bringen solches Singen ihrer Schönen dar. Auch diese Maske (oder Gespenst?) ließ sich nunmehr in leichtgeschweifte Lage sinken und ward somit, ganz deutlich vor den Sinnen mir, ein offnes Blatt der zartverschlossnen Wunderblume. Noch immer flog sie hin, als sollt ich sie erreichen. Kein Mond war da, und von den Mondmasken: Pierrots, Pierrettes, die stumm verblieben, ward von niemandem gesprochen. Doch Silberlichter, wie Aale, ganz aus Quecksilber, erhaschten sich, uns hold umschwimmend, auf dem Nachtmeer.

Da trat die dritte Maske vor, gar leise kam sie an und sprach: »Auch ich bin die Verhüllung meines Gottes. Mit jenen Dichtern tret ich auf, die Meer und Boden, die das Weib im Geiste lieben. Hier bin ich hehr und heilig. Ins Himmelblaue trage ich die Seele!« Wie ich die Worte hörte, da erschien mir vorn so alt wie Dante die Gestalt. Kristallhart war die Maske. Im Hauch der Ewigkeit verklärt. Doch klar vernahm ich: »Die Liebe, die sich nicht im Weltenstaub berauscht, die euch nur auffordert, im Atem des Allmächtigen, die eigne Reinheit zu gewahren, ist meine Botschaft durch den Sang! Ist mehr noch: Himmlisches Geschenk.« Auch dieser hohe Schatten blaute wie die andern beiden stolz zurück. Nunmehr war die große Blume schon beinahe halb geöffnet.

Und auch das vierte Blatt bewegte sich zu mir und sprach: »Ich bringe Nachricht von den Dichtern, die unsre Erde kaum berühren. In andern Sphären leben sie: ihr Fuß bleibt silbern, unberührt auf diesem Stern. Epipsychidion heißt das Wolkeneiland, das über Albion der Olympier Sendling hold verdichtet hat. Bloß er fliegt hin, Hermes und wen er eingeweiht. Ein Hellas, stolz und gut im Geist hat sich Hyperion, sonnenüberzeltet, steil emporgewolkt. Zu Silvien spricht von dem verschwundenen Arkadien still Hesperiens Seher. Dem Ginster hat er sein Geheimnis anvertraut. Mit Schwermut überwuchtet und umwolkt er seinen Apennin. Mit leichtem Fuße aber schwebt sein Wesen selbst dahin: der furchtbare Vesuv kann es zu keinem Absturz bringen. Ihm schwindelt nicht, sein Singen geht den freien Schritt des Boten neuer Dinge, eigner Rhythmen: Hermes. Der selten reimt. Und seltsam, höchstens so wie er sich paart. Den Rhythmus doch, der klassisch oder durch den Reim verbunden bleibt, ersingt sich stets Apollos himmlische Berührung mit der Seele. Childe Harold auch hat über Rom und bei Athen den Tempel seiner Klänge in den Geist gestürzt. Doch den verlangte auch, nach alter Heidenart, sich weiter in die Erde einzuwühlen. Auch er kam hergesandt, doch wünscht er sich und uns die Freude dieses Sternes: und war es kurz!« Wie das gesagt war, schwankte auch die vierte Maske in der Nacht zurück, in die nun mehr als halbgeöffnete und blaue Blume.

Schon stand das fünfte Blatt, sehr sanft geschwellt, so schlank beinah, nein schlanker noch als früher jener Prinz der Faschingslust, doch jünger auch und herrlicher, ganz ernst vor mir. Nur mit den Spitzen rührte er ans Boot: »Euphorion bin ich,« sprach der Knabe wundersam. »Von der Erde zu den Göttern flieg ich auf. Bote wurde ich von diesem heiligen Stern, auf dem das Wort zu Fleisch geworden. Lebe wohl, ich fliege auf! Der Logos ist erstanden. Folg mir, Faust. Du kommst, und du kommst, Mutter, über den ergründeten, im Geist erforschten Müttern: Helena.« Auch die blauste Maske ist verschwunden, und die sechste spricht zu mir. Etwas rötlicher. Wie von Fliederschimmer überschillert. Sie sagt: »Ich verkünde euch den Vorläufer. Johannes, der Täufer, brachte die Botschaft vom Sohn. Er wurde enthauptet. Doch das geschah, damit das entblutete Haupt zum Planeten werden könne. Und Salome tanzte. Sie war der Wirbel der Welten. Doch auch der melodische Gang der Sphären. Sie ergriff des Gesendeten Haupt und erhob ihn zum Stern. Nun kreist er für ewig mit Christus dahin. Er steht ihm am nächsten. Christus der Sonne im Geist.« Auch diese erhabne Maske wankte zurück. Die Blume vor mir war beinah geöffnet. Da trat aus dem letzten, dem siebenten Blatt, eine hehre Erscheinung und sagte: »Erkenne mich jetzt: ich bin euer Herold. Der Herr der Hermetik: Johannes der Liebling. Der Wahrer vom alten Geheimnis in Hermes: Hermes! Hermes Trismegista. Nur einzelnen bin ich beschieden. Selten könnt ihr mich sehn. Im Gestirne erblickte mich niemals Kopernikus. Man sucht meinen Aufenthalt unter euch zu verdecken. Man vertauschte mich als Stern. Die silbrige Spur wird getilgt. Man hat mir den Tag in der Woche geraubt: nun nennt ihr ihn Mittwoch! Ich brachte die List, ich brachte die Klugheit, ich wurde das Wissen Ägyptens. Athena endlich meine Leuchte! Sie wurde die stille Laterne.« Kaum war das gesprochen, so erschloß sich die Blume mir ganz, in einer blauen leicht leuchtenden Pracht. Das Boot war verschwunden. Es trugen mich die Wellen mit quecksilbernen Zerrgesichtern und silberblättrigen Masken dahin. Ich griff nach der Blume, doch gelang mir es nicht, ihren Kreis zu erreichen. Da sah ich hinein. Das vermochte ich. Die Blume neigte sich selber mir zu. Schon reifte ihr Kern: der Hermaphrodit hat im Schlummer darin gelegen. Hermes Berührung der Seelen der Erde war durch die Götter der Liebe geschehn. Die Leuchte der Klugheit ist plötzlich zum Wesen geworden: Homunculus schritt auf mich zu. Antäus und Proteus, zwei alte hermetische Masken, durchschwammen die Flut.


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