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Paul Zech

Empor

Ein dramatisches Gedicht
(1916)

 

Gestalten:

Der junge Offizier
Der Fahnenträger
Der Jäger
Der Fremde
Chor der Verwundeten
Chor der Gefallenen

( Nacht. Hügliger Saum eines Birkenwäldchens von dem ab- und zunehmenden Widerschein eines fernen Brandes rot beleuchtet. Im feuchten Kraut zerschmetterte Wagen, Waffen, Helme, Tornister, Kadaver, Verwundete.)

Der junge Offizier ( aus einer Halswunde leicht blutend, steift den Oberkörper an dem gelbweißen Stamm einer Birke empor. Stöhnt. Preßt beide Hände gegen die Stirn. Atmet tief. Läßt das Haupt nach hinten fallen, spricht):

Ist das noch Abend, was dort hoch in Wolken brennt?
Schlug die gewaltige Lohe, die mich heiß durchfuhr
und wie auf Flügeln trug, hinüber in das Firmament?
Wie heiliger Inbrunst hingedehnt schweigt die Natur.
Nicht atmet Baum. Nicht flüstern Ströme mehr,
nicht fährt ein Wagen feierabendlichen Trab.
Hier stürzen alle Straßen menschen- und laternenleer
und strotzend schwarz ins Wesenlose ab.
Wie über Treppen, höher schnellem Schritt gebauscht,
ein Teppich steigt, fließt fort des Waldes Saum.
Ich will wen rufen. Laut! Vielleicht wird Raum
für den der ruft, für den der lauscht ...

( Er ruft dreimal »Eli« und horcht hinaus)

Wer bin ich und wohin bin ich geschnellt,
daß mir das Wort, das meine Stimme tönt,
so fremd klingt wie aus einer anderen Welt
zurückgehöhnt?
Daß ich mich müde diesem purpurwarmen Baum
anlehne ... ist das wirklich Traum?
Ich will nicht träumen! Spuk, der mich umringt,
Goldmähnige, die du mit leisem Lied
mich kleinsingst, wie wenn das, was rundum kniet,
ein Schlaf ist, der gewichtlos weiterschwingt –:
entweiche! ... Nein, komm näher meiner Hand,
daß ich dich in dein Nichts zurück
zerstücke und zerdrück,
daß ich dich hinstreu Wind und blankem Sand.

( Er wälzt sich herum. Greift mit beiden Händen den Stamm und dehnt sich hinauf. Lehnt den Rücken breit gegen den Baum.)

Ich seh nur noch die Wolke groß und rot.
Sie schwebt mit mir hinauf, sie fällt mit mir hinab
wie in ein segelüberbauschtes Boot,
wie in ein klanglos finsteres Grab.

Chor der Verwundeten ( dumpf und grabtief):

In jeder Kreatur ist nur ein Trauern,
um jedes Herz, um jeder Kehle Laut
ist ein Gebirge bittrer Klage-Mauern
düster und unentrinnbar auferbaut ...
Wohin, wohin, Soldat, ist das entschwunden,
was dich an Dorf und Kindgemeinschaft band?
Wohin die runden, abendgoldnen Stunden,
Gefühle einer Frau im Sternen-Schwur der Hand?
Wohin der Gruß, der dir im fremdesten Begegnen
noch auf der Zunge schmolz wie Pfirsich-Frucht?
Wohin der Hund, der noch im Regnen
schwarzer Gewitter Wege wußte aus der Schlucht? ...
... Nicht eine Stunde kommt mehr uns zu lieben,
nicht eine Welle fließt, daß sie uns trägt!
Auf unseren Stirnen steht ein Mal geschrieben,
das noch den letzten Mörder blitzerschlägt.
Wir aber tragen das wie bunte Steine,
die aus den Kronen blühn auf hohem Thron
und schänden ein Jahrhundert, daß es weine
durch aller Götter eingeborenen Sohn!

( Ein kurzer Regenschauer trifft den Wald. Eulen brechen flügelrauschend in das Gehölz.)

Der junge Offizier ( aufschreckend):

Verwesung weht mich an. Mit schwarzen Krallen
schauert ein Frösteln über meine Haut.
Ich spüre Schmerzen. Höre Tropfen fallen,
ganz nah ist nothaft dumpfes Röcheln laut ...

Der Fahnenträger hebt aus düsterem Strauch sein Haupt. Stöhnt. Stöhnt.

Der junge Offizier:

O diese Stimme ... nicht zum ersten Male
durchstöhnt die abgebrochene mein Ohr,
hebt sich das harte ackerfahle
Gesicht aus zackigem Gesträuch empor.
Und nicht dies eine –: hundert Augen suchen
mein Auge ... hundertfache Angst
durchbohrt mich. Du Verglaster, der du nach mir langst
mit einem letzten qualgehetzten Fluchen –:
Wer bist du? Welcher Schattenwelt entsprang
dein Dasein, dem der Kettenring unwirsch
noch nachklingt?

Der Fahnenträger ( fast singend):

Wie ein wundgehetzter Hirsch
nach frischem Wasser aufbrüllt, nächtelang,
schreit meine Seele auf zu dir, Herr Zebaoth!

Der junge Offizier ( keucht, kraucht wie ein Tier vor. Beugt sich über den Fahnenträger):

Was tat man dir? Dein Haar klebt feucht, und dunkelrot
betaut scheint dein Gesicht. Ich will dich heben,
dich stützen. Gib mir beide Hände her,
daß wir uns wie zwei Zweige dicht verweben ...

( Er hebt den Verwundeten auf die Schulter, schleppt ihn an den Waldrand. Jammert):

Wie bist du kalt, mein Bruder, steif und schwer.
Ich will dir gleich ein Feuer zünden.
Der Wald hat dürres Holz genug.
Die Wunden, die der braune Schuft dir schlug,
will ich verbinden, daß die heißen Tropfen,
die wie ein Juniregen niederklopfen,
zurück in die verkühlte Herz-Bucht münden.

( Er bettet den Fahnenträger auf den feuchten Waldboden. Rupft Kraut und Gras und schiebt es wie ein Kissen unter des Stöhnenden Haupt.)

Der Fahnenträger ( die Augen weit aufschlagend):

O Mutter ... Mutter, wieder fühl ich deiner Hände
heilige Zartheit hingehn durch mein Haar,
das Auge, das mir jäh entwandert war,
mit so viel stiller Güte zugewendet.

Der junge Offizier zündet ein Feuer an und verbindet mit einem Fetzen seines Hemdes des Fahnenträgers Wunden.)

Der Fahnenträger:

Jetzt würgt nicht mehr das qualgegallte Gieren
die Kehle mir hinauf. Ich spüre rosigen Schein,
als flutete von blühenden Spalieren
verklärter Mai mit einem Mal herein.
Wir wollen Hand in Hand durch die Alleen
hinwandern, Mutter. Horch: die Nachtigall beginnt!
Duftwolken galoppieren vor dem Wind,
und Sterne sticken Perlen in das Blau der Seen.
... Warum noch zögerst du? Ich find'
nicht deine Hand mehr, Mutter. Bin ich blind?
... Wo bist du, Mutter? ... Dein Gesicht –:
wer löschte wieder aus das viele Licht?!

( Er sinkt wieder in Bewußtlosigkeit zurück. Wundkrampf durchschüttert den Körper. Der junge Offizier legt ihm seinen Mantel über die Brust.)

Der Fahnenträger ( im Fieber lallend):

Wo bist du, Mutter ... Dein Gesicht –:
wer löschte wieder aus das viele Licht?!

Der junge Offizier ( klagend):

Ja Mutter ... Mutter ... nie war der erlauchte Laut
uns Bartverwilderten, uns Söhnen so vertraut
wie in den Mitternächten feindlicher Quartiere,
wo wir umfaucht wie eingefangene Tiere
uns schlaflos wälzten auf dem faulen Stroh,
nicht einer sicheren Minute froh,
die müden Stirnen auf das kalte Eisen drückten,
hinkniend und mit weitentrückten
Angstaugen weiße Scheitel suchten,
aufweinten, uns und das Geschick verfluchten –:
wenn die, die wir ganz nahe sahn,
vorbeiging wie ein Wahn.

Die Stimme des noch unsichtbaren Fremden:

O Menschheit, such in diesem ausgerauchten Raum
die Mutter nicht! Millionen Mütter kauern
angstklein und überströmt von Tränenschauern
an leerer Betten mondbeschneitem Saum.
Mit hilflos stammelnden Gebeten heben
sie die durchbohrten Herzen in die Nacht empor
und bröckeln langsam von dem Turmbau Leben
wie morsche Ziegel ab. Denn nie verlor
ein Dasein so den Sinn zu sein, wie dieser Frauen
sohnloses Jahr. Ihr Himmel war gewölbt in dem Gebot:
alternden Vätern Söhne aufzubauen,
die Wachsenden, noch über den gemeinen Tod
der Zeuger, aus rohrschwanken Kinderzeiten
in ein umfriedetes Geborgensein zu leiten.
Ihr aber habt mit schmetterndem Gesang,
mit marschgeschwellten Schritten
das Band zerschnitten
von Herz zu Herz. Aus eurem Überschwang
gewitterte ein sonnenloser Norden.
Und so wie eine Rose, die ein Frost verdirbt –:
sind alle Mütter grau geworden,
und niemand weiß von euch wie mühsam jede stirbt.

( Der Widerschein des Brandes in den Birken erlischt. Mondlicht bescheint die Szene. Ferner Kanonendonner wird laut. Der Fahnenträger haucht):

Wasser ... Wasser ...

( Er versucht sich aufzurichten. Der junge Offizier stützt des Taumelnden Haupt.)

Der Fahnenträger:

Wo bin ich, du? Du bist die Mutter nicht,
auf meinem Haupt liegt deine Hand wie Schnee
so kalt ... Dein Zartsein tut mir weh!
Du hast ein Tiergesicht!
Aus deinen Augen
dampft Glut,
her langen Fühler, die mein Blut
aussaugen.

Der junge Offizier:

Mein armer Bruder ... wie kann anders ich
dich rufen. Immer nenn ich Bruder dich!«

Die Stimme des unsichtbaren Fremden:

Du rufst ihn recht, und rufst ihn wach. Von seinem
Bewußtsein brockt das Grauenhafte ab.
Noch ist sein Hirn zu groß fürs Grab,
die Seele aber schon entrückt Gemeinem,
entrückt dem Lärm der Schlacht. Durch Baum und Stein
hindurch fühl' ich sie atmen. Atmet sie für mich allein!

Der Fahnenträger:

Wo bin ich ... und ich fühle noch Gewalt
der Donnerbahnen ... bin ich nicht schon rot zerknallt?
Ja, jetzt erkenn ich wieder Zug für Zug
die gelbe Ebene, brausende Attacken,
der schwarzen Renner wolkenhaften Flug,
der Schwerter keulenhaftes Hacken ...

*

( Mit wachsender Stimme):

Wie eine Orgel braust die Fuge Sturm im Blauen.
Zehn Tage schon durchlärmt in wildem Krampf
die Schlacht das Land mit pflügendem Gestampf,
wo sich in Blut und Qualm die Regimenter stauen.
Siehst du die weißen Reiher der Schrapnelle fliegen?
... Wo bin ich, und ich höre immer noch den Fluch
zehn Tage schon durch Sturm und Blutgeruch:
»Wir müssen siegen!«
Und sind wir Sieger, die wir hier
wie Hinbesiegte kraftlos liegen?

Der junge Offizier:

Wie bist du zugebaut,
mein Bruder! Nie war ein Frohlocken
so ungeheuer laut
in Gottes goldenen Glocken.

Der Fahnenträger:

Ich weiß nur, daß die Heere grad zusammenprallten
als mich mit kalten
Froschfingern etwas umriß.
Des Kampfes Ausgang stand noch ungewiß.
Daß mich die feurige Ballade
des Glockensturms begnade –:
mein Bruder, sprich,
was übermannte dich?

Der junge Offizier ( mit heldischer Stimme):

Blutrot aufgeglühter Birkenwald
überflammte unsere Kolonnen ...
Jeder Schritt, der Waldung abgewonnen,
war von Donnerkeulen überballt.
Jeder Baum war Krater, der Granaten spie,
von durchschossener Brust noch aufgefangen,
bis wir nicht Gewehre mehr, nein, Beile schwangen,
Farrn und Wurzeln pflügend mit dem Knie.
Doch der eisengraue Ring,
den wir unter Wolkenbrüchen von Geschossen
um die waldumkrallten Schanzen schlossen –:
dreimal sprang der eisengraue Ring,
sprang zurück und dröhnte Sturm
in die tausendfachen Trommeln unserer Rache,
tanzte in den Fahnen vorne wie ein Drache
und zerbrach den Wipfelturm.
Und die Nacht grub Gräber im erloschenen Wald,
warf hinab den Kranz aus Mond und Stern geflochten
und der Wurzeln Runzelherzen pochten
wie der Salven hallende Gewalt.

Der Fahnenträger:

Sieger? Wir? Gehirne weckt es aus den Wänden!
In den Himmel greifen wir mit Schöpferhänden!
... Daß aber mich, o finsteres Geschick, dein Eisen traf,
mich aus der Reihe riß und hinzwang wachem Schlaf –:
ging mir verloren eines Sieges aufgehellte Spur,
bin ich verdammt zu ruhn, wo Kameraden
die Liebesbrust im Hagel der Geschosse baden,
und in die alte abgelaufene Sonnenuhr
ein junges Jahr die goldenen Zeiger setzt.
... Wie morsches Rohr bin ich zerschunden und zerfetzt.
Ich werde nie mehr mit der Fahne, mit dem Degen
mich vor die stürmenden Kolonnen legen.
Du wunder Arm und du durchstoßene Brust –:
Auf mein Gehirn drückt ihr wie harter Stein,
aus meines Blutes stockendem Umfrorensein
wird mir ein Siechtum in Spitälern klar bewußt.

Der junge Offizier:

Nicht in Spitälern, Bruder ... Du wirst leben,
wirst dich durch einen Tag
bewegen, der mit jedem Stundenschlag
dein Herz emporhebt in ein niegeahntes Schweben.
Was arm war, wird nicht wissen mehr, was arm
und ausgestoßen heißt,
von dem, was Hand in Hand um neue Mitten kreist,
um gleich zu sein, unendlich schwer und warm.
Kein Landen wird mehr sein; das Land, das schwimmt,
sind wir. Behäuft mit allen Menschenerden
und allen Wassern. Mit Milliarden Pferden
den Raum durchdampfend, der kein Ende nimmt.

( Aus einem Wachholdergebüsch von rechts her betritt ein Jäger die Szene. Den rechten Arm in durchbluteter Binde.)

Der junge Offizier:

Sein Auge glüht, wie wenn der Abendstern aus blauem Weiher taucht
und ungeheuer fern
schwebt sein Gesicht. Nur aus den Haaren raucht
Nähe der Erde, der Geruch
von Blut und schußverbranntem Tuch.

Der Jäger ( aufrecht im Vordergrund):

Unsicher tastend drückt Gefühl mich nieder,
mein Antlitz schwimmt wie über einen Schacht
und zwängt die Augen durch das blaugemaschte Netz der Nacht
und spürt ein Atemwehn im Haar der Lider.
Die schaurige Kulisse wälder-wolkenwärts
zerstäubt zu Asche, von dem wachsend Lichten,
das mich aus den entarteten Gewichten
des Abgrunds hochschwingt: Flaum und Vogelherz.
Schon wird Gewesenes schwerer als mein Schweben,
in luftknapp schnellem Karussell
dreht sich das windige Gestell
der Welt und stirbt: ein donnerdunkles Beben.

Der Fahnenträger ( wie aus tiefem Schlaf erwachend):

... daß mich, o finsteres Geschick, dein Eisen traf,
mich aus der Reihe riß und hinzwang wachem Schlaf –:
ging mir verloren eines Sieges aufgehellte Spur,
bin ich verdammt zu ruhn, wo Kameraden
die Liebesbrust im Hagel der Geschosse baden
und in die alte abgelaufene Sonnenuhr
ein junges Jahr die goldenen Zeiger setzt ...

( Starker Wind bewegt das Gesträuch. Blitze fallen aus den dunkleren Hintergründen des Waldes. Man hört den Ton von Eulen. In die dunkel verstreuten Leiber der Gefallenen kommt Bewegung.)

Der Chor der Toten ( wie aus meerweiter Ferne):

Zwölf Monde schon der gleiche Stand der Uhr,
wo ohne Jahreszeit ein Jahr beginnt und endet ...
Wann wieder, Gleichgewicht der Zeit, erwachen wir?

Die Stimme des unsichtbaren Fremden:

Besiegte oder Sieger: einerlei!
Das Höchste ist euch allen nicht gegeben,
so lange ihr um Fahnen euer Leben
hinwerft. Gewalt bricht viel entzwei,
schafft Raum für etwas, das sich bäumt und dehnt.
... Doch nie baut sich ein Haus auf aus Gewalten,
nicht Träume, die sich in die Sterne falten,
kein Reich, das sich an Gottes Schulter lehnt.
Warum noch Kriege? Laßt der Zeit ihr Recht!
Sie wird aus eurem Samen, euren Söhnen
den Tempel baun, nach dem Jahrtausende schon stöhnen.
Warum versucht ihr Gottes Langmut im Gefecht?
Die Erde ist nicht da, daß sie mißhandelt schwärt.
Nicht atmen Leiber, daß wir sie durchbohren.
Und noch wer »Rache!« schreit, ist schon verloren
für eine Zeit, die Mörder nicht mehr ehrt.

Der junge Offizier ( hochaufgerichtet):

So lange noch, nach unseren jungen Leibern toll
des Ostens bärtige Barbaren
sich um den weißen Stier der Meere scharen,
so lange noch des Westens alter Groll
nicht ausgeraucht ist –: darf dies Schwert nicht rosten,
wird Menschheit nicht vom Wein Versöhnung kosten.
Brech ab dein windiges, durchsichtiges Zelt,
Phantast; dein Reich paßt nicht für diese Welt!

Der Fremde ( betritt die Szene in Gestalt eines gottalten Greises. Mit erhobener Stimme):

Wenn auch der Tierheit Schilde noch zusammenschlagen,
unschuldiger Seelen Blut gen Himmel schreit
und das kaum Keimende zukünftiger Zeit
zerstampft wird von den großen Donner-Wagen –:
Aus den Zertrümmerungen werden Stimmen kommen,
die durch die Lande wie Posaunen gehn,
auf allen Märkten werden sie wie Türme stehn,
die neuen Starken und die neuen Frommen.

( Sanfter Glanz der Frühe bescheint den Wald. Vögel zwitschern. Im Osten wächst langsam eine Stadt mit rauchenden Industrien empor.)

Der Chor der Verwundeten:

Ohr und Augen sind uns nicht gegeben,
da Gewalt uns durch die Landschaft stiebt,
und es flieht vor unserem Schritt das Leben,
flüchten Menschen grau und ungeliebt.
Bis wir wieder weilen, wo wir waren,
wieder Brüder unter Brüdern sind:
muß den Reif aus unseren Haaren
schmelzen Gottes Wunder –: Osterwind!
Muß in weltgewaltigem Ertönen
die Posaune über Ninive,
müssen blutige Himmelsläufe stöhnen –:
alte Feindschaft dieser Erde, steh!

Der Jäger ( dem Fahnenträger sich nähernd):

Raum wird der Brust, die blank und muskelbloß
sich bäumt: bereit das große Sterben
zu dämmen; dich, Jesaias, zu beerben,
den Zorn: Gewissen meiner Kehle, hack Geläute los!

Chor der Gefallenen ( singend wie durch den Hochgesang einer Messe):

Zwölf Monde schon der gleiche harte Takt,
der uns zu spitzen Gitterstäben schmiedet,
wie Wände aufstellt, aufreißt und zerzackt
und noch das Grün, das unsere Stirn umfriedet –:
Gebet der Mütter, nebelhafte Spur
von Gottheit, auslöscht ... Kalt und weiß geblendet
stiert aus zwei Löchern des Gehirns ein Tier.

Der Fremde:

Das wilde Auge, das euch traf,
fährt auf aus rotbelaubtem Schlaf
und rüttelt an dem Zwinger
und sucht die Fahne, die ihr sucht,
und flucht das Fluchen, das ihr flucht
und krümmt wie ihr die Finger –:
daß einmal heller Sonntag war
mit Frau und weißer Kinderschar,
und Blumenspiel auf Wiesen-Bühnen ...
Wer noch in dieser Wirrnis fühlt
das Schauern, das euch nun umspült,
durch Gräber, Höllen fortgedreht, zu sühnen?!

Der Jäger:

Kreuzfahrer wir und neues Golgatha:
und immer dieses noch –: ich, Staub, bin da!
Gerichtet, goldnen Rädern nachzurennen.
Wann kommt für uns Betäubung wieder, wo
wir, keiner blauen Sternenstunde froh,
am Amboß, vor den Schmiedefeuern brennen?

Der junge Offizier:

Wirf dich in die brausenden Orkane
der Trompeten. Reiß den weißen Degen,
reiß ihn aus der Scheide und durchbohre!
Noch stehn Mauerflanken, Gittertore,
noch gehn Wolken, die dich hoch bewegen,
geht dein Herz noch im Gefühl der Fahne!

Der Fremde:

Finstrer Schrei aus Augen, die gebrochen
in das Pfühl der Äcker sich verkrallen,
trifft dich erst in kalten Biwakstunden,
wenn die Eisen-Rufe, – – Wächter-Runden
im Choral von Strom und Wald verhallen
und dein Herz da aufhört laut zu pochen.

Chor der Verwundeten:

Du wunder Arm und du Gehirn verstimmt –
da unser Herz nicht diese Welt durchschwimmt,
in Spiegeln finstere Brauen uns verdammen:
warum schlugt ihr im eisenweißen Kampf
mit Pferden, Erde, Ruhm und Salvendampf
nicht grufthoch über uns zusammen?

Der Fahnenträger ( immer noch im Fieber):

Deine Stimme, deine Stimme, Jesus Christus,
tief aus rotem Eis: Du bist gelandet!
Und es zwitschern Tiere, fruchtbar biegt sich Landschaft,
die du aus dem Riesen-Regenbogen
in dem Endakkord von Harfen fingst,
da wir lebten tief zu dir hinüber ...

Der Fremde:

Nacht für Nacht quillt quer aus kalten Ackerfalten,
quillt das Blut herfür der Abel-Millionen.
Finstere Gehirne haben wieder Hellheit: Erden zu bewohnen,
und Gefühle: Sturm der Tiere aufzuhalten.
Nacht für Nacht braust her in breiten Pilgerscharen
Zug der Kinder ... der gefallenen Väter
ungeborene Kinder: Dornen in den Haaren.
Nacht für Nacht gehn alle Kinder ein in dem Gotteinen,
das die Welt verwarf ... und zwei Jahrtausend später
auferweinen will aus weißen Steinen.

Der Jäger:

Zweitausend Jahre schon: der hohe Blasse.
Von seinem Blut ist diese Welt
und der Bewohner Mund noch immer so entstellt.
Zweitausend Jahre: klaffende Grimasse.
Und immer bist du ER, wartendes Draußen,
Hand, die du nach mir langst,
du Angst,
hindrängend mich nach außen.

Chor der Verwundeten:

Du Angst
hindrängend uns nach außen –:
neige deine Himmel, Bruder Christ,
auf uns nieder, die wir fernverlaufen
wie die Würfler unterm Kreuz uns raufen
um ein Zartes, Mildes, das tief in uns ist.
Das tief in uns ist von Kindesbeinen an,
groß war, da wir noch nicht mündig waren,
wie ein Rieseln von hellgoldnen Haaren
Knabenstirnen unbekümmert niederrann.
Wer umzäunt jetzt unsre Herzen mit den kalten
boshaft harten Wänden von Metall?

Der Fremde:

Wer nicht seine Lider jetzt wie Läden schließt,
wer nicht im Zusammenprall der Schilde
schmerzdurchschauert aufschreit, daß der milde
Engel Wahnsinn über ihn zusammenschießt –:
wird die triefend roten Nachtgesichte nie mehr los;
dem kommt nichts mehr, das ihn zärtlich bindet,
alles was den Weg zu ihm hin findet,
klagt ihn an und legt sein schuldiges Gewissen bloß.

Der junge Offizier:

In mir selber steh ich mit dem Schwerte.
Seine Breite haue weg den andern,
der die Farben aller Wünsche flüstert.
Krümm dich klein in deine letzte Ecke!
Wunden schlag ich nicht. Dein Blut ist meins.

( Unter der zunehmenden Bläue des Tages werden alle Gestalten deutbarer im Raum. Der Fahnenträger ganz im Vordergrund, gestützt von dem jungen Offizier und dem Jäger. Überirdisch groß hinter ihm der Fremde.)

Der Fahnenträger ( visionär):

Auf weißen Wolken schwebe ich aus diesen Räumen.
Stern-Trauben platzen, gießen Süße auf mein Haupt ...
Gott aber hat die Feuer noch nicht klein geschraubt,
die von den Bergen schlachtend in die Täler schäumen.
Noch bin ich, schräg vom Mund herab bis zu den Sohlen,
durchsägt von Schmerz. Welt weint und triumphiert aus mir.
Die Herzuhr schlägt. Noch bin ich Teil von ihr
und fühle Frauen um mich her wie den Geruch von Fohlen,
Trostspruch und Blumen noch vor alten Hintergründen ...
Wie hält das alles Atem und Gesichter an,
wenn mir die Fernen lockend durch die Haare sausen
und meine hellen Pulse augenblickskurz pausen!
Wer spricht dem Winselnden im Raum das »Ja« und wann
wird die Legende Krieg in meinen Tod hinübermünden?

Der Jäger ( mit beschatteten Augen):

Traumwärts erscheinen wie auf einer Kinowand
stumme Gestalten, die sich lieben lassen,
aus düsterem Strauch mit sternumspülter Hand
nach meiner erdegrauen Stirne fassen ...
Mutter war lauter Licht ... nun ist sie Stein.
In Schwermut endet: fern geliebt zu sein.

Der junge Offizier ( mit verwandelter Stimme):

Wie bin ich unvollendet noch und schwer von Spiel,
wie zuckte ich, wenn über mich die Wölbung jetzt zerfiel,
Milde erflehend auf bei jedem Schlage!

Der Fahnenträger ( schon über den Sternen):

Wie brach mit einem Mal
das viele Licht herein?
Wie Dorf und grünes Tal
umfriedet mich der Schein.
Frostwind und Wolkentier
blähn sich nicht zottig-grau.
Sieh, wie der Himmel mir
entgegenschwillt sein Blau.

( Stirbt. Ein Schatten dunkelt das Blau.)

Der Chor der Verwundeten:

Wir fühlen nicht, wir wissen nicht mehr, daß wir sind,
nicht, daß wir Pfeifchen rauchend vor Staketen standen.
Wir weinen nicht mehr, wenn ein Leben rot verrinnt,
das abendlange nahe unserer Schulter lag ...
Wir heben, wenn die roten Wolken in den Abend branden,
die Hand: sanft zu verlächeln wie der abgebrochene Tag.

Der Jäger ( über den Toten geworfen mit tränenerschütterter Stimme):

Kleine Wunde, bitter dich umhalsend –:
sieh, es strömt aus ihr jetzt in das Grün des Tags
sonnengroß der rote Kelch des Grales,
daß wir Volk erlöst daran genesen,
das verlorne Paradies – o euch:
wiederfinden noch in unseren Kindern.

Der Fremde ( mit ausgereckten Armen):

Ihr Spruch heißt Liebe und verzweigt sich nach vier Seiten,
besonnt die fahle Dämmerung
und sucht sich Leiber zur Verwirklichung
aus ganz verschollener Völker Müdigkeiten,
um sie wie Landschaft weithin auszubreiten.
Wo jedes Ding, dem Ringe eingebunden,
wie Glied in Glied sich unzertrennbar hält,
mit ihm erblüht und duftet und zerfällt
am Ende aller Mond- und Sonnenstunden.

Der junge Offizier ( vor den Fremden tretend mit sich anklagender Bewegung):

Als mich das jauchzende Ergrimmen süß betäubte,
sein keulenhafter Schwung Erwehren überwand
und mein Gefühl vergiftete, mein Ich zerstäubte –:
wie war ich Schreitender zum Schwert der Zeit entbrannt,
wie hab ich aus dem Finstern böser Augenbrauen
die Mauerflanken Jerichos berannt.
In Wäldern, schlachtend bis zum Abendgrauen,
keuchte ich Unersättlicher: ihr Uhren alle, steht!
Durchweinten diese Blutnacht nicht Millionen Frauen?
Stand nicht am Firmament wie ein Komet
unschuldiger Seelen hartes Golgatha?
Daß ich von dem nichts sah, was hinter den verfahrenen Wagen
der Hospitäler Schreckliches geschah,
daß ich Entmenschlichter mich da nicht sah,
die Hände nothaft heiß vor das Gesicht geschlagen –:
wohin ward mir der Spiegel Herz gedreht?

Der Jäger ( in des jungen Offiziers Arm sich einhakend):

Kreuz-Zug schwarzverwaister Kinderklagen,
schlafwandelnder Frauen haltlos Fassen
trifft dich erst, wenn aus den Feuerschlünden
Kälteflammen in dein Innen münden,
wenn die Notalarme roter Gassen
über deine Fieberstirn zusammenschlagen.
O, dann tastest du mit angsthaft blinden,
hohlen Händen Wände auf und nieder,
Füße des Gekreuzigten zu finden.
Doch ein Fluch-Jerusalem von Steinen
donnert über deine frostigen Lider,
stürzt sich in dein ungelöstes Weinen.

Der junge Offizier ( sich an die Brust des Fremden werfend):

Herr, nur du vermagst, daß sich das Joch,
schwer auf meiner Schulter, umgestaltet,
daß es Kreuzstamm wird, um den sich noch,
ehe Erde ruft, mein Dasein faltet.
Daß ich Wurm
aufersteh –: Vulkan und Sturm!

Der Jäger ( grübelt, währenddessen die Stadt im Osten ungeheuer aufglüht und der Wald zurückfließt. Mild und zart zum jungen Offizier):

Jetzt wölbt sich über uns der gleiche hohe Raum
und deine wehe Hand hat meine Hand gefunden.
Doch sprich: wie kam dir aus den haßbewölkten Stunden
mit einem Mal das Lächeln auf den Lippensaum?
Gewaltiges befahl und dich umgürtete der Stahl;
doch dunkel blieb dir Ursach', dunkel Horn und Fahne.
Dein Schuß war Schuß wie hundert andre im Orkane.
Was wußtest du von dir, von mir, von unser aller Qual?!
Zerhämmere jetzt deine Stirne. Segne oder fluch',
reiße dir beide Augen aus, das Herz, die Galle –:
ewig verschlossen bleibt der Weltgeschichte Schicksalsbuch.
Unwissend in ein Tier Gefahrene sind wir alle,
einmal vielleicht stürzt das aus dir, aus mir heraus;
dann bist du ich, und ich: bin du. Sind wir in uns zuhaus!

Der Fremde:

O erster dumpfer Laut heraufgedröhnt aus Menschenmund!
Herr Gott: wir haben Lieder noch dir Dank zu singen!
Wir fassen uns mit Händen und die Lippen springen
wie Kinderbeinchen reigenrund.
Schon tropft der Brüder Blut herab: ein Morgenrot,
steilt aus der Tiefe Leitern auf zu Sternen
und bald wird uns der Donner Welt entkernen
aus dieser Not wie aus verhundertfachtem Tod!

Sie wenden sich alle drei, der Fremde in der Mitte, Arm in Arm der Stadt zu. Ungeheurer Glanz liegt über den Türmen und Gasometern. Die Fabriken rauchen ungestüm, das Brausen der Bahnen und Donnern der Räder ist hörbar.


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