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Frances Sargent Osgood.

An den Genius der Dichtung.

Verlaß mich nicht! Laß mich nicht kalt und einsam,
      Du Ideal, zu dem mein Sehnen flog!
Du bist der Freund, dem Lust und Leid gemeinsam,
      Den ich bewahrt, ob Alles mich betrog!
Du, der in Glanz das ärmste Blümchen hüllet,
      Der Wahrheit Geist, der Lieblichkeit, des Lichts!
Du, der mit Zukunftsmärchen schon erfüllet
      Die Jugend mir im Bild des Traumgesichts;
Du, der den Geist in eine Glorie kleidet,
      In welcher er beschützt vor Niederm ruht:
Nimm nicht zurück die Gaben, oft beneidet,
      Die ich von dir geerbt als höchstes Gut!
Verlaß mich nicht! Laß mich nicht kalt und einsam,
      Du Hoffnungsstrahl, zu dem mein Sehnen flog!
Du bist der Freund, dem Glück und Schmerz gemeinsam
      Verzweiflung wär's, wenn mich dein Wort betrog!

Du, der in Kindheitsträumen mich umschwebte,
      Aus Wolken Bilder schuf in blauen Höhn,
Der Berg und Thal und Wildniß rings belebte
      Mit luft'gen Wesen, bleich, doch seltsam schön;
Der mir erzählte, was die Winde rauschen,
      Wenn flüsternd sie das Blätterdach durchwehn;
Der mir gebot, des Regens Spiel zu lauschen,
      Als Lied sein heimlich Plätschern zu verstehn;
Du, der gestimmt des Stromes Wellenschlägen,
      Bis mir Gesänge sein Gebraus beschied,
Ein wehmuthfeuchtes Lied voll trüber Sagen,
      Von Lieb' und Ungemach ein Klagelied:
Verlaß mich nicht! Laß mich nicht kalt und einsam,
      Verheißungsstern auf meinem nächt'gen Pfad!
Flieh nicht hinweg! Ach, dir nur ist gemeinsam,
      Was dieses Herz an Wonn' und Schönheit hat!

Du, der, wenn Andre lieblos ich gefunden
      Und nie Erfüllung meinem Sehnen kam,
Mit deinen lichten Blumen mich umwunden,
      Mich kosend zu entschmeicheln meinem Gram: –
Bei allen heil'gen, gluthentfachten Träumen,
      Die mir der Liebe Wiegenlied gesandt;
Bei aller frommen Andacht in den Räumen
      Des Herzens, die ich je dir zugewandt;
Bei allen Weisen, die du meine Lieder
      Ersinnen lehrtest, – harre aus bei mir!
Einmal entflohn, ach! kehrst du nimmer wieder,
      Und rings im All der Zauber flieht mit dir!
Sag nicht, mir sei des Frühlings Blüth' entwichen,
      Weil auf die Stirn die Zeit mir Furchen zog –
Der Liebe Ros' ist heut noch unverblichen,
      Ob auch das Glück, die Hoffnung längst entflog!

Wohl drückt mich Schuld und sündiges Vergehen,
      Da unwerth deiner meine Gaben sind,
Und schamvoll stamml' ich dir mein brünstig Flehen:
      O, nicht verlaß mich – taub und stumm und blind!
Taub für die Musik, rings im All erklungen,
      Blind für die Pracht von Lenz und Sternenzelt;
Verlaß mich nicht, du Geist, von Gott entsprungen,
      Einsam verloren in der kalten Welt!
Der Himmel weiß: ich kann dich nicht entbehren,
      Süß zu berücken mich auf dunkler Bahn,
Zu lindern mir die Last der Pflicht, der schweren,
      Und Tags und Nachts mit lichtem Traum zu nahn.
O, laß bei dir mich Trost und Frieden trinken,
      Daß nicht mein Geist dem Nichtigen sich paart!
Laß im Gemeinen nicht mein Herz versinken,
      Dem stets ich Mitleid nur und Zorn bewahrt!
Verlaß mich nicht! Laß mich nicht kalt und sehnend,
      Du Vogel Edens, der mich aufwärts trug!
Flieh nicht, gen Himmel dein Gefieder dehnend,
      Ach – oder laß mich theilen deinen Flug!

 

*

 

Eurydike.

      Die Brust bewegt von jedem ernsten Wort,
Hatt' ich die alte Sage neu durchlesen,
      Worin der göttergleiche Jüngling dort,
Von aller Liebeskunst das Bild und Wesen,
      Der Sonne Kind, mit süßem Zaubersang
Um seine Liebe kühn in Pluto's Hallen drang.

      Und in der wilden, heil'gen Sage sieht
Mein Herz sein eigenes Geschick geschrieben.
      Verlorne du, von deines Dichters Lied
Gefeiert mit des Mannes höchstem Lieben,
      Verehrt zu glühend: – wenn dein Leib zerstiebt,
Wär' süß dir nicht der Tod, zu heiß von ihm geliebt?

      Ich schau' die Scene. – Thronend in der Nacht,
Wie auf des Aetna Kamm ein Blümlein blühet,
      Ruht beim Gemahl Proserpina voll Pracht,
Und nah ihr du, für welche Orpheus glühet.
      Für dich sein Saitenspiel ein Lied erhebt,
Indeß im Dunkel fahl dein Schatten ihn umschwebt.

      Ich seh' den Jüngling – dunkle Locken fluthen
Um sein verhärmtes, geisterbleiches Haupt;
       Es haucht sein Mund der Töne heil'ge Fluthen,
Sein Auge spricht von Lieb', ihm nun geraubt.
      Es ruht auf dir sein Blick, von Trauer weich,
Indeß sein Lied bezwingt des Hades Schreckensreich.

      Ich schau' sein Antlitz, göttergleich erstrahlend,
Wie er die Töne durch den Orkus schickt,
      Und, eine heil'ge Liebesschuld bezahlend,
Unwandelbar auf Pluto's Stirne blickt.
      Ihn schreckt kein Grauen, das sein Aug' ermißt,
Da du, Eurydike, sein Leben, nah ihm bist!

      Ein Vorspiel zittert durch die finstern Hallen,
Wie wenn ein Engel, der gefesselt dort,
      Um Lieb' und Leben fleht, dem Tod verfallen,
Und seine Seel' ergießt im Klagewort;
      Ein wilder Schrei – ein Tun, von Schmerz durchwallt,
Bis er, ein Siegeslied, der Hölle Graun durchschallt!

      Und du, die bleichen Hände sanft gefaltet,
Durch seinen Blick ins Leben neu geweckt;
      Das Haar ums Haupt der Krone gleich gestaltet,
Die deinen Hals mit goldner Fluth bedeckt –
      So stehst du da, in Schweigen starrt dein Mund,
Doch Antwort spricht die Lieb' aus deiner Seele Grund:

      »Sing fort, mein Orpheus! Während Alle schweigen,
In Marmorbilder durch dein Spiel verkehrt,
      Wird mir allein durch deiner Töne Reigen,
Durch deine Macht das Leben neu bescheert;
      Denn jeder Ton, der in mein Herz sich schleicht,
Weckt seiner Pulse Kraft – des Todes Sieg entweicht!

      »Sing fort, mein Orpheus! Während dein Gesang
Dies Schreckensreich mit Götterlust erfüllet,
      Hat, o Geliebter, deiner Töne Klang
Mit Zauberfesseln jeden Geist umhüllet.
      Der Tod sogar liegt hilflos neben mir,
Und bannt umsonst mein Herz ins kalte Frostrevier!

      »O theurer Orpheus, rühr dein Saitenspiel!
Schau, wie Proserpina auf goldnem Thron,
      Als ob ein Strahl des Lichts ins Aug' ihr fiel,
Durch Thränen lächelt, halb bezwungen schon;
      Sie lehnt ihr Haupt auf ihres Gatten Brust,
Dem müden Kinde gleich gelullt in Schlummerlust!

      »Spiel fort, mein Sänger! Noch ein wildes Lied!
Triumph! es krönt der Sieg dein herrlich Wort!
      Schau, machtlos Pluto zu dir niedersieht –
Sein Spruch erschallt – er winkt uns eilig fort!
      Hinweg, glorreicher Held! doch Geist und Leib
Der süßen Harfe leih, daß nicht entschweb' dein Weib!

      »Denk nicht an mich! Denk lieber an die Zeit,
Wo, bebend unter ehrner Krieger Tritt,
      Durch deiner Lieder mächt'gen Bann gefeit,
Die Argo durch die salz'gen Wogen glitt,
      Und, durch Athene's Götterhuld gelenkt,
Den schlanken Kiel mit Lust ins Wellengleis gesenkt!

      »Auch denken magst du im Erinnrungstraum,
Wie Thrakiens Wälder dir das Haupt geneigt;
      Schau, wie den Klängen horchend Baum an Baum
Von Neuem dem erstaunten Grund entsteigt,
      Wie Hain auf Hain vom Berge niederwallt,
Und dir im Reigentanz sein fröhlich Rauschen schallt!

      »Denk nicht an mich! Ha, bei des Orkus Nacht,
Mein Herr und König, denk an das Gebot!
      Wend nicht zurück der Augen Flammenpracht! ...
Verloren – ach, für ewig! – 's ist der Tod! –
      Die Schlange stach aufs Neu – zum Orkus treibt
Es mich hinab! Das Leben flieht, die Liebe bleibt!«

 

*

 

Lied.

Wenn Alle, die vor mir das Knie
Gebeugt mit Sang und Liebesscherz,
Sich nur zum Schein der Tugend weihn:
Doch beugte nie sich dir mein Herz!

Die Lippe, die mir Treue schwört,
Muß unbefleckt von Lüge sein;
Das Herz, dem meins dereinst gehört,
Muß sich, vor mir, der Ehre weihn.

Und wärest du ein Fürst der Welt,
Und ich ein Sklav in Kettenerz: –
Ob mein Gebein am Fels zerschellt',
Ich beugte nimmer dir mein Herz!

Bis seine Schicksalsstunde schlug,
Will ich es wahren stolz und rein;
Ob ihm Verderben bringt dein Trug:
Es breche eh'r, als daß es dein!

 

*

 

Mein Traumbild.

Mein Traumbild, das hehre – ich sucht' es in dir;
Gleich Sternen im Meere, zerronnen ist's mir.

Und soll ich, vernichtend den göttlichen Trieb,
Durch Lüge verzichtend auf heilige Lieb', –

Soll fort ich nun senden das himmlische Bild,
Vom Lichte mich wenden aus Edens Gefild?

O Schuld, die mir bliebe, könnt' treulos ich sein
Mir selbst und der Liebe, dir folgend allein!

Wie einsam auch immer mein Leben verstreicht:
Ich trag' es, wenn nimmer die Hoffnung erweicht –

Die Hoffnung, daß, nährend in heiliger Gluth
Die Liebe, die während im Herzen mir ruht,

In besseren Landen sie einstmals erwacht,
Erlöst von den Banden der irdischen Nacht.

 

*

 

Stumme Liebe.

      Geschloßner Rosenknospe gleich im Hag
Sei unsre Lieb', erröthend, sich zu zeigen,
      Verschleiernd Duft und Glanz bis an den Tag,
Wo Seel' und Seel' der Staubeshüll' entsteigen.

      Laß keinen Hauch der Leidenschaft die Hut
Der scheuen Blätter zur Entfaltung schrecken;
      Laß nicht des Sonnenstrahls zu heiße Gluth
Die thau'ge Frische ihres Kelchs beflecken!

      Verschlossen wahr' sie wie ein Heiligthum –
Mit Thränen magst du sie, mit Lächeln nähren;
      Doch hüte stets den lichten Schleier drum,
Laß kein Berühren ihre Pracht entehren!

      Sei du begnügt, zu wissen, nicht zu sehn
Die Gluth, den reichen Schatz in ihrer Seele,
      Zu fühlen ihres Blumengeistes Wehn, –
Und halt ihr Lächeln rein von Sünd' und Fehle!

      O, wahr' sie heilig! Zwingst du sie zum Blühn: –
Gen Himmel wird sie ihren Duft entschicken,
      Wie einst mit Trauer floh und Zornesglühn
Der aufgeschreckte Gott vor Psyche's Blicken.

 

*

 

An den Schlaf.

Komm zu mir, Engel der beladnen Seelen!
      Da meine Lieben, angehaucht von dir,
In deinem Reich nun Leid und Freude hehlen,
      Laß mir auch Ruhe nahn – o komm zu mir!

Ich darf um sein willkommneres Erscheinen
      Nicht deinen finstern, kalten Bruder flehn;
Denn morgen würd' um seine Mutter weinen
      Das Kind, das Keiner liebt nach meinem Gehn.

Bring keinen Traum mir, Schlaf! ob süße Labe
      Auch dein Phantom den Müden lächle zu!
Von dir erbitt' ich keine hehre Gabe,
      Als nur die wahrste, schönste: – tiefe Ruh.

Ich hab' kein Herz, die Dichtung zu begleiten
      Bei Elfenruf ins lichte Feenrevier;
Ich bin zu elend, krank und müd vom Streiten –
      Gieb mir nur Ruh, denn Ruh ist Alles mir!

Auch male nicht der Zukunft Glanz und Frieden,
      Mag sternbesät mit Ruhm ihr Dunkel sein;
Denn kein Geschenk, Unsterblichen beschieden,
      Weckt diesem kalten Aug' der Hoffnung Schein.

Und die Vergangenheit, die grause,– nimmer
      Sei der Erinnrung Labyrinth durchirrt!
O, brächtest du Vergessenheit auf immer
      Von Dem, was ist, und war, und werden wird!

 

*

 

Ein Unkraut.

Wenn, aus den Nordlandswäldern trüb entweichen!
      Des Sommers letzter Seufzerhauch verklingt,
Indeß der Blumen mildes Aug' erbleichend
      Sein Lebewohl in jeder Bergschlucht singt:

Dann wird ein Herz, zu treu der Lieb' ergeben,
      Allendlich brechen, und auf stiller Gruft
Ihr, die zu laut man pries, ein Stein sich heben –
      Den Frieden fand sie dort, nach dem sie ruft.

Nicht klagend werdet ihr sie dann verlassen,
      Ihr wißt, daß ihr willkommen tiefe Ruh;
Der Zephyr flüstert Nichts von Lieb' und Hassen,
      Kein Wehlied rauscht ihr dort das Bächlein zu.

Bestattet sie, wo ihren Schlaf erschrecken
      Kein Tritt des Heuchlers darf in Ewigkeit;
Der Lieb' und Trauer mögt ihr nur entdecken
      Ihr Grab, daß sie verweinen dort ihr Leid.

Und Mancher – denn ob sie in blindem Träumen
      Auch oft geirrt, war sie doch warm geliebt –
Ja, Mancher wird an ihrem Hügel säumen,
      Und Blumen pflanzen, die sie einst geliebt.

Ich weiß, wer dann die Blume bringt, von Beiden
      Zumeist geliebt: das Veilchen, jener Gruft;
Mit Liljen wird ein Andrer sie bekleiden,
      Vielleicht umwallt sie auch Cypressenduft!

Dann komme du, wenn Alle sonst geschieden,
      Du, der allein ihr ganzes Weh gekannt,
Wirf ihr aufs Grab, darin sie fand den Frieden,
      Ein müßig Kraut, das nicht zu blühn verstand!

 

*

 


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