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Charles P. Shiras.

In der Neujahrsnacht.

Als den Willkomm brachte das neue Jahr,
      Und das alte den Abschiedsgruß,
Als Grabesgesang und Taufglockenklang
      Sich mengten im Windeskuß:
Trat an mein Lager ein ernster Greis
      In wallendem Purpurkleid;
Ich kannt' ihn, ob ich ihn nie gesehn,
      Den alten Vater: die Zeit.

»Guten Morgen!« sprach ich, und zitterte leis.
      »Guten Morgen, Lieber!« sprach er;
»Doch was zittert vor mir dein thöricht Herz,
      Was starrst du zagend einher?« –
»Mich schaudert, weil du mein Freund nicht bist,
      Dich fürchten darf ich mit Grund.« –
»Sprich aus!« gebot er mit ernstem Ton,
      »Gieb deine Sorgen mir kund!«

»Ich weiß, du bist mit Einem gesellt,
      Der nimmer uns bringt Gewinn;
Auf deiner Schwinge geräuschlos treibst
      Du uns fort – wer sagt uns: wohin?
Wir flehen um Rast – du hörst uns nicht,
      Bis Kraft und Jugend verloht,
Bis uns wehrlos trifft mit dem Sensenstahl
      Der gespenstige Krieger: Tod

Darauf der Alte mit sanfterm Blick:
      »Du schiltst in thörichtem Drang!
Natur, die ewige Macht, gebeut,
      Daß ich schreite die Welt entlang.
'S ist wahr, ich beflügle euch Schritt um Schritt
      Ans Grab, bis die Herzen verglühn –
Doch schmäht nicht mich, wenn die Blumen der Lust
      Auf eurem Pfade nicht blühn!

»'S ist wahr, geräuschlos fahr' ich daher,
      Doch was habt ihr der Flucht nicht gedacht?
Ich rede zu euch durch Sonn' und Mond,
      Durch den Wechsel von Tag und Nacht.
Ihr seht das Alles, und schreit doch wild:
      »Das Leben entfleucht zu schnell!«
Vergeudet den Lenz in den Lauben der Lust,
      Und den Herbst in des Grames Zell'.

»An mir nicht liegt es – es liegt an euch,
      Zu füllen des Lebens Maß;
Der schmähe sich selbst, wer Tag um Tag
      Genuß und Freude vergaß!
In jegliche Stunde zwängt hinein
      Eine That als herrliche Frucht;
Dann sinnt der Geist auf Jubel und Sieg,
      Und vergißt der eiligen Flucht.

»Einen Jüngling kannt' ich, der stürzte sich keck
      In die Fluth des Lebens hinein;
Von der Schulter warf er den Mantel und sprach:
      »Der Kampf, die Palme sei mein!
Ich vernahm, o Zeit, deinen Bund mit dem Tod,
      Mir bringst du nimmer Gefahr –
Die Thaten eines Jahrhunderts will
      Ich vollbringen jegliches Jahr!«

»Und, so wahr mir im Glase der Sand verrinnt,
      Er hielt sein trutziges Wort!
»Erst«, sprach er, »schaff' ich für meinen Herd,
      Und dann für die Andern dort!«
Er rang sich empor aus der Armuth Joch,
      Dann grüßte er mich: »Geduld!
Noch blieb mir die Kraft, die nervige Kraft
      Zum Kampf gegen Irrthum und Schuld!«

»Zur Quelle von Wissen und Wahrheit lenkt'
      Er die Armen empor aus der Noth;
Und nimmer vergaß er, daß auch ihr Mund
      Sei zu füllen mit leiblichem Brot.
So rang und wirkte er sechzig Jahr',
      Und ich schwöre, daß, bis er starb,
Er nimmer in all der Zeit mit Gram
      Eine einzige Stunde verdarb.

Und als ich zuletzt ihm winkte und sprach:
      Verflossen ist deine Zeit,
Da lächelte er: »Mein Werk ist vollbracht,
      Ich bin zu sterben bereit.«
Doch während er sprach, erhob aus dem Grund
      Eine Säule sich, schlank und schön,
Und wie Sphärenklang eine Stimme rief
      Den Greis aus luftigen Höhn.

»Und sieh, er schwebte empor – er stand
      Auf der Wolken purpurnem Glanz,
Sein Haupt umstrahlte mit Flammenschein
      Einer lichten Glorie Kranz.
Der Siegesadler rauschte herbei
      Mit tönendem Flügelschlag;
Die Lüfte jauchzten – ein todter Leib
      Im Grabe neben mir lag.

»Doch die Säule blieb! und ich sah, sie trug
      Von jeder herrlichen That
Das Angedenken in goldner Schrift,
      Der nimmer Zerstörung naht.
Und da stand sie manches Jahrhundert schon,
      Wird manch Jahrhundert noch stehn,
Und was sie kündet, Das soll die Welt
      Mit tönendem Klang durchwehn! –

»Drum auf! verkünde dem Erdenball,
      Was ich dir heute gesagt;
Den Brüdern künde: Gehandelt sei,
      Und nimmer feige geklagt!
Wer in eitlem Grame die Zeit verdarb.
      Mag die eigene Thorheit schmähn;
Genießt und handelt! dann mögt ihr froh
      In den Schlaf, den ewigen, gehn!«

Er sprach's, und schwand. – Ich hob mich empor,
      Und schrieb in dämmernder Nacht
Sein Wort des Lebens, sein Freudenwort,
      Und hab's euch Allen gebracht.
Mag es wecken im Herzen den Wiederhall!...
      Bringt Wein, den funkelnden, dar!
Klingt an die Gläser! Willkommen sei
      Das neue, das fröhliche Jahr!

 

*

 


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