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Caroline M. Sawyer.

Die Lorelei.

Eine Rheinsage.

»Siehst du die Maid auf dem Felsenhang
Hoch oben dort über dem Wogendrang?
Von meergrünen Wellen ihr Kleid gewebt,
Und ihr Aug' wie der Himmel, der über uns schwebt;
Ihr Haar umfluthet wie Sonnenlicht
Golden das liebliche Angesicht;
Sie reckt in die Lüfte den schneeigen Arm,
Und singt ein Lied, so süß und so warm,
In die dämmernde graue Frühlingszeit –
Hol über, mein Fährmann, hinüber zur Maid!«

Ein Nebel des Fährmanns Auge beschlich,
Und sein Arm ward matt, seine Wang' erblich,
Als er ragen sah auf dem Felsen die Maid
Mit dem fluthenden Haar und meergrünen Kleid.
»»Herr Ritter, das Leben stünd' auf dem Spiel,
Durchfurchten die Fluth wir auf stärkstem Kiel,
Wenn die wilde Maid mit dem grünen Gewand
Auf dem Lurleifelsen früh Morgens stand!
O wahrt Euch – denn Unheil befällt den Mann,
Der die Lust, ihr zu nahen, nicht zügeln kann!««

»Geh, pred'ge dein Märchen dem Weibergeschlecht
Und der zitternden Memme, du feiger Knecht!
Der in hundert blutigen Schlachten war,
Der Ritter, weicht nicht erlogner Gefahr.
Fort über die Wogen im tanzenden Schiff
Zu der herrlichen Maid auf dem Lurleiriff!
Nimm als Lohn hier die Kette von schwerem Gold –
Umsonst nicht tratst du in meinen Sold!«

Die Kette nahm Jener und sprach Nichts mehr,
Zum Ruder langt' er, doch bebt' er sehr,
Und er trieb durch die grollenden Fluthen sein Schiff
Hin über den Strom zum verderblichen Riff.
Schwarz wurde der Himmel, es heulte der Wind,
Vögel aufkreischten und flohen geschwind,
Und brüllende Wogen umthürmten den Strand,
Als sie näher kamen dem Felsenrand.

»»Zurück!«« schrie der Fährmann, vor Schrecken bleich,
»»Der rasende Wirbel verschlingt uns gleich!««
Doch der kühne Ritter, von Muth erfaßt,
Stand auf im Nachen mit wilder Hast,
Sprang furchtlos hinein in die tobende Fluth,
Und trotzte des schäumenden Stromes Wuth.
Seltsame Gestalten wohl mocht' er sehn
In den Wassern ihm feindlich genüberstehn;
Drohende Stimmen ihm zischten ins Ohr –
Doch nimmer sein Wille die Kraft verlor.
An hielt er den Athem, den Arm gespannt,
Bis, den Wogen entrafft, er am Ufer stand.
Zu dem Gipfel dann klomm er in süßem Leid,
Und athemlos grüßt' er die holde Maid.

Er sah ihr berauscht in die Augen klar,
Seine Finger strählten ihr goldnes Haar –
Und »Mein für immer!« sie jauchzend sang,
Als sie ihn mit dem schimmernden Arm umschlang.
»Komm hinab, mein Held, in die dunkle Fluth,
Wo der Stromnix singt, die Najade ruht;
Komm hinab und wohn bei der Meeresfei,
Wo kein Sturm uns findet, kein Möwenschrei!«

Sie preßt' ihm den Mund auf die glühende Wang',
Sie lockt' ihn über den schroffen Hang –
Nun stehen sie da auf dem schwindelnden Saum –
Dann hinab in des zischenden Strudels Schaum!

Die Winde schwiegen, still wogte der Rhein,
Es tanzten die Mücken im Sonnenschein –
Der Nachen fuhr heim zu entlegenem Strand,
Doch die Maid mit dem Ritter für ewig verschwand.

 

*

 


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