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Richard Henry Stoddard.

Ode.

I.

Bleich steht der Sommer im verdorrten Land,
Gleich Niobe mit schmerzgefaltner Hand,
Stumm an der Blumenkinder todtem Flor,
Die sich zum Raub ein jäher Frost erkor.
Das Himmelszelt ist wolkig, braun und matt,
Die Erde ruht im Nebel bleich und todt,
Der Winde Heulen jagt vom Baum das Blatt,
Wie wenn ein Hund das scheue Reh bedroht –
'S ist eine ernste Zeit, des Jahres Abendroth!

II.

Mein Herz ist krank und trüb – ich schaffte hart
In ehrnem Druck und hoffnungsloser Plag';
In Fesseln ewig rudernd Tag um Tag
Und in der Bahn des Lebens ringend, ward
Mein Arm erschöpft, mit Staub befleckt mein Kleid;
Ich habe nicht die Kraft zu fernerm Streit!
Und wenn ich stürbe? Keiner fragt danach,
Ob eines müßigen Träumers Herz zerbrach!
Wir leben, kämpfen, sterben unbeachtet,
Ob unser Geist und Lieben noch so groß;
Den Blumen gleich nur werden wir betrachtet,
Und Tod und Finsterniß ist unser Loos!
Was gilt am Zweig des Denkens eine Frucht,
Am Baum des Lebens einer Blüthe Flucht?
Kein Schnittersmann beklagt zur Erntezeit
Blüth' oder Frucht, die schon ihr Lenz dem Tod geweiht!

III.

Weg mit der That! sie ist der Fluch der Zeit,
Von Edens Thoren das Verwünschungswort;
Wir mühn uns, ringen, streben weit und breit,
Und schleppen jahrlang unsre Kette fort.
Weg mit der That und mit der Arbeit Last!
Sie ward uns nicht gesellt
Im Plan der Welt,
Wir sind nicht da zum Kampfe, nein, zur Rast!
Am Grund des Meeres ihrer Schal' entquillt
Die Perle, wo kein Sturm die Fluthen traf;
Die eingesargte Saat entkeimt und schwillt
Im Schooß der Erde still, in tiefstem Schlaf;
Und für den Brautkranz, holde Rose, du
Blühst üppig auf zum Licht in sanfter Ruh.
Mag Honig sammeln, wer auf Erden lebt,
Und ihn bis an den Tod in Zellen staun –
Mir gnügt's, in süßem Traum umherzuschaun,
Athmend in Sommerluft
Der Blumen würz'gen Duft,
Genießend, bis mein Fittig aufwärts schwebt.

IV.

Wie strahlte jeder Tag in goldnem Glanz,
Als ich ein Knabe war, von Schmerz befreit,
Vergessend noch die Welt, – ihr Glück und Leid!
O, dichtend träumt' ich schon vom Lorbeerkranz,
Und wähnte nach dem Tod, wenn eher nicht,
(Doch hofft' ich: eher!) mich geehrt zu schaun,
Zu hellen rings die Nacht mit meinem Licht,
Im Ruhmestempel mir ein Mal zu baun!
Der alten Sänger dacht' ich, deren Spur
Noch heut im Geist der Menschen nicht erblich;
Sie waren, sie auch! staubgeboren nur,
Und erbten doch den Kranz – warum nicht ich?
Ich schlürfte süßen Wein aus ihren Klängen,
Nektar vom Helikon aus Heldensängen;
Da ward mein Herz berauscht, von Gluth entfacht.
Ein Seher, sprang ich auf in finstrer Nacht,
In Tod und Leben nur dem Lied geweiht,
In süßem Weh erbangend,
Ein Strom, zum Meer verlangend,
Voll Sehnsucht, daß die Zeit
Vertauch' und untergeh' in seiner Ewigkeit!

V.

O Poesie! du meine Königin,
Könnt' ich dich zaubern auf die Erde hin,
Lebendig, wie du mir im Herzen lebst,
Und strahlend hehr das Weltall überschwebst!
Dir baut' ich einen reicheren Palast,
Als einst der Dämon in Aladdins Sold;
Mit Wänden, Säulen von gediegnem Gold
Und Steinen, heller als der Sterne Glast!
Dein Thron ein Pfühl aus Abendroth, ein Zelt
Von Dustgewölken, die der Mond erhellt!
Mit Schätzen füllt' ich dir, wie sich's gebührt,
Die Truhen, reicher als des Indus Pracht,
Mit edlem Erz aus des Gedankens Schacht,
Des Geistes vielgespaltner Kluft entführt!
Und alles Hehre brächt' ich früh und spät,
Was unterm Sommer deiner Schwing' entsteht:
Wein, der gereift an Hellas' Sonnenstrahl,
Aufschäumend in antikem Goldpokal;
Und saft'ges Obst, in Gärten dir gesucht
Mit Wundern und verzaubertem Portal;
Und goldner Aepfel Hesperidenfrucht,
Die Phantasie dem Wächter »Schicksal« stahl.
Und Tags und Nachts dir schaut' ich ins Gesicht,
Nicht unterscheiden wollt' ich Nacht von Tag;
Und flöge fort die Zeit, ich säh' es nicht.
Noch hört' ich rauschen ihrer Flügel Schlag!
Der Welt vergessen, wollt' ich seitwärts stehn,
Und meine Harfe nach des Herzens Drang
Zu deinem Preise rühren ungesehn,
Daß nimmerdar verstummte ihr Gesang;
Und Freud' und Trauer kläng' aus meinem Lied,
Wie mit dem Schwan sein Schatten stromwärts zieht!
Und wenn, von Unmuth oder Lust entfacht,
Du je hinabstiegst zu der Erde Nacht,
Schritt' ich dir vor in blanker Heroldszier,
Mit Pomp und Pracht und lieblich süßem Klang,
Und meinen Mantel spannt' ich aus vor dir,
Daß deinen Fuß der Staub bestecke nicht im Gang!

 

*

 

VI.

Hinweg, hinweg! die Zeit ist trüb und kalt;
Verwelkte Blumen modern rings im Wald;
Gewittersturm die fahle Erde schreckt,
Und dürres Laub des Sommers Bahre deckt.
Ach, nimmer ziemt sich süßer Lieder Glanz,
Wo rings das All ein Leichenduft durchzieht;
Der wahre Dichter spielt nicht auf zum Tanz,
Er singt nur an der Gruft sein Klagelied!
Hinweg mit Träumen jetzt! Das Jahr begehrt
Ein ernster Reis, ein Lied, von Schmerz durchloht –
Sei denn ihm ein Cypressenzweig bescheert,
Ein Grablied seinem Tod!

 

*

 

Die Glocke des Königs.

 

Ums Himmelswillen, laßt uns niedersitzen
Zu Trauermären von der Kön'ge Tod.

Shakespeare.

 

Der König starb, und es bestieg den Thron
Prinz Felix. Alsogleich mit Jubelton
Ließ er die Glocken läuten und versprach,
Mit gleicher Ehre jeden frohen Tag
Zu grüßen. »Keine Stunde wird vergehn,
Kaum einer Sanduhr Auf- und Niederdrehn,
Wo meiner Glocken Festlied nicht erschallt,
Daß jedes Grabgeläute schier verhallt,
Und Leid in Lust sich kehrt! So glücklich sein
Werd' ich, daß mich beneidet Groß und Klein.«

So sprach der neue Fürst mit stolzem Mund,
Und in der That so ganz nicht ohne Grund.
Zum Ersten, er war jung, und Jugend kann
Nicht elend sein; wenn ihr auch dann und wann
Im Aug' erglänzt der Wehmuthszähren Schein:
Sie fühlt doch stets ihr königliches Sein.
Auch war er reich wie Krösus, ohne Schulden,
Sein Schatz gefüllt mit Gold und ganzen Mulden
Voll edler Steine, blinkend heller fast
Auf Scepter, Kron' und Thron, als Sternenglast.
Machtvoll und reich und jung – beglückter König!
Wie solltest du nicht läuten jubeltönig?

Er ließ sich einen Pallast stracks erbaun,
Mit Marmorthoren, prächtig anzuschaun;
Inmitten eine Kuppel, und darauf
Ein Glockenstuhl mit blitzend güldnem Knauf,
Und eine Glocke drin von Silberton,
Die eine seidne Schnur mit seinem Thron
Verband und auch bis an sein Lager ging –
(Wie anders jenes Schwert, das dräuend hing
Ob einem Königshaupt in alten Zeiten!) –
»Betäuben wird mein Volk ihr frohes Läuten«,
Sprach er, als Alles fertig war. Und dann
Sofort das frohe Leben hub er an.
Zu Lenkern seines Reichs wählt' er die Besten,
Die Aeltesten, die Weisen, Ehrenfesten,
Und, ihnen anvertraund des Staates Nachen,
Hieß er sie, gut und groß sein Volk zu machen.
»Mir ziemt es besser«, dacht' er, »Nichts zu thun;
Sie mühn sich gerne – sei's! ich werde ruhn.«
Er ließ die Stunden träumerisch entfliehn
Auf weichen Polstern, sah die Wolken ziehn,
Die Schwäne gleiten, sah den Springbrunn steigen
Und sich ins Meer die Abendsonne neigen.
Auch Musik heischt' er manchmal – süß erschreckt
Ward aus dem Zauber dann sein Geist geweckt
Und hold erregt von Harf- und Lautenklang,
Bis wieder sanft ein Lied in Schlaf ihn sang.
Wohl zehnmal wollt' er an der Glocke ziehn,
So heiter fühlt' er sich: doch immer schien
Ein Etwas – ein Geräusch, ein Windeswehn –
Den Vorsatz abzukühlen im Entstehn.
»Warst du nicht glücklich?« frug er Abends bang;
»Wie kommt's, daß heut die Glocke nicht erklang? –
Ich war zu träg!« Und damit schlief er ein.
»Wohlauf!« dann sprach er bei des Frühroths Schein,
»Ich will hinaus in Thau und Morgenwind,
Daß frischer mir das Blut zum Herzen rinnt.«
Den Pagen stört' er aus dem Schlaf empor
Und hieß ihn führen heimlich an das Thor
Sein Roß, damit er rasch von dannen sprenge,
Bevor der Hof erwachend ihn umdränge.
Bald war das Roß gezäumt, der Page glitt
Ins Zimmer seines Herrn mit leisem Tritt;
Der aber schlief – aufs Neu' der Ruhe pflag
Auch er, und Beid' erwachten spät am Tag.

Von edlem Zorn ward Felix bald entfacht,
Daß er die Stunden müßig so verbracht;
Voll Scham, daß er die Zeit verträumt so lang, –
Und sehnsuchtvoll nach seiner Glocke Klang,
Wies nochmals er den Pagen an, zu zäumen
Sein Roß und, falls er schliefe, aus den Träumen
Ihn aufzurütteln. »Und hab Acht, daß ich
Mich auch erhebe, Bursch – sonst hüte dich!«
Also geschah es. Von dem Königshaus
Fortsprengt' er in die dunkle Nacht hinaus,
Durch Wiesen, wo des Renners Hufschlag leis
Erscholl, so lautlos fast, wie Blüthen weiß
Hinfliegen durch die laue Sommerluft;
Dann sog er ein des Waldes würz'gen Duft, –
Zu Häupten ihm des Himmels reines Blau, –
Und von den Zweigen manchmal schlug der Thau
Ihm ins Gesicht, und manchmal auch erklang
Ihm eines Vögleins heller Jubelsang.
Wie schön der Morgen war, wie kühl der Wind!
Ihm ward so frei zu Muth, so leicht und lind,
Und schneller ihm das Blut zur Wange schoß.
Im Sturme trug von dannen ihn sein Roß,
Vom weißen Schaume triefend Flank' und Bug;
Die Lerche schwang sich auf vom Grund und trug
Empor befiedert ihre Melodein;
Die Wolken färbte lichter Purpurschein,
Daß sie wie Feuer glommen. Blaue Höhn,
Der breite Strom, die Felder, frisch und schön –
Er sah das All', und ward so frohgesinnt,
Vergaß den König, jauchzte wie ein Kind,
Hob in den Bügeln sich, und streckte aus
Die Hand zur Glocke – ach! was war er nicht zu Haus?

War Felix glücklich? Wenn ihr ihn gefragt,
Er hätt' euch damals sicher »Ja!« gesagt.
Doch als zwei Stunden später heim er ritt,
War seine Brau umwölkt, und langsam schritt
Sein Roß, der kurze Jubel sich verlor,
Und trüber war er, stiller als zuvor;
Denn eine Stimme summt' ihm schmerzenstönig:
»Du bist ein Kind nicht mehr, du bist ein König!«

Rückkehrend ernst, die Stirn gefurcht von Denken,
Wollt' er zum Staatsrath hin die Schritte lenken;
Doch sieh, ein lust'ger Junker sprach am Thor
Ihn an, er neigte seinem Wort das Ohr,
Und hörte willig sein Geplauder an,
Ein Hofskandälchen, schlechte Witze dann;
Es trank sein Herz das süße Gift, die Pest
Der Schmeichelei – ihr ahnet wohl den Rest:
Der Rath heut tagte ohne seinen Herrn.
Zu Nacht erscholl der Pallast nah und fern
Von einem lauten, lust'gen Zechgelag.
Vergessend seines Reichs und Volkes, pflag
Des Schwelgens Felix mit der wilden Rotte,
Ein trunkner König, ihrem Witz zum Spotte.
Jetzt Gläserklirren, jetzt ein Rundgesang!
Sie schrieen, daß von Saal zu Saal es klang,
Und scharrten oft, wenn er begann zu sprechen;
Zuletzt gar wollte Einer von den Frechen,
Selbst König spielend, nach der Krone langen,
Doch Felix schlug ihn zornig auf die Wangen,
Daß taumelnd er zur Erde fiel. »Du Wicht,
Da liege! dir geziemt die Krone nicht!«
Er stieß ihn fort. Doch wusch ein Becher Wein
Bald seine Würde von dem Frevel rein,
Und immer höher schwoll ihm an der Muth,
Bis in das Hirn ihm stieg die Purpurfluth.
»Ich hör' in meinem Ohr ein dröhnend Singen«,
Sprach er, »so mag der Sphären Musik klingen.
Welch Meer von Tönen! welch ein Fest ist heute!
Nun ist es Zeit, daß ich die Glocke läute!«
Und zu dem Schlafgemach in trunknem Sinn
Schwankt' er, doch auf der Schwelle sank er hin,
Und während Jene weiter lärmten, rief
Umsonst nach Hilfe er, bis er entschlief.

Was nun? welch neuer Rausch steht ihm bevor,
Der ihn zu Glück und Jubel hebt empor?
Die Glocke schweigt noch immer – o, was soll
Er thun, damit sie schalle freudenvoll?
Zuweilen ritt er aus, – nicht mehr allein;
Denn als von seinen Morgenstreiferein
Der Hof vernahm, begann er flugs, bei Zeiten
Sich zu erheben und ihn zu begleiten.
Ein bunter Zug von Herrn und Damen flog
Durch Wald und Feld dahin, zu Rosse hoch,
Den Falken auf der Faust, und hinterdrein
Der Hunde Kläffen und der Treiber Schrein.
Zu jener Zeit bei Hof zusammen kamen
Galante Ritter viel' und schöne Damen,
Leichtblütig, ränkevoll, gewandt im Sprechen –
Was galt es ihnen Viel, ein Herz zu brechen?
Erst hat ein muntres Antlitz ihn erfreut,
Das frisch die Jagd mit Rosen überstreut;
Dann reizt' ihn einer Locke Gaukelspiel,
Die flatternd über derbe Schultern fiel;
Ein weißes Händchen, sich im Zaum verstrickend,
Ein kleiner Fuß, aus falt'gem Kleide blickend.
Vielleicht auch in der lauen Julinacht,
Wenn überm Garten stand des Vollmonds Pracht,
Hört' er im Gras der Mägdlein Lied erschallen,
Wetteifernd mit dem Chor der Nachtigallen,
Und schwellende Arme, nächtig dunkles Haar,
Weiß wallende Kleider brachten ihm Gefahr,
Und lüstern sah sein Blick, von Gluth entflammt,
In Augen, blitzend aus der Maske Sammt.

Warum nicht sollt' er lieben? Er war jung,
Sie waren schön! Er trank im Taumelschwung
Der Liebe Schaum – die Hefen blieben nach, –
Ob manches treue Herz auch blutend brach.
Ihn quälte nicht der Niedern Sorg' und Pein,
Der Gegenliebe durft' er sicher sein –
Er war ja Fürst! Sollt' ihm der Weiber eins
Ihr Herz versagen können? Wahrlich, keins.
Sein erstes Liebchen war ein zartes Kind
Mit schmachtenden Augen, sanft und weichgesinnt,
Ein süßes, bleiches Antlitz, wehmuthvoll,
Trüb lächelnd nur, wenn ihr sein Wort erscholl.
Es blieb dem armen Blümchen nicht die Zeit,
Ins Grab zu welken, eh in Trunkenheit
Felix die Zweite treulos schon umfing:
Ein Weib voll Lieb' und Haß, ein trotzig Ding,
Mit Augen, deren Gluth in Lust zu sterben
Begehrte oder tückisch sann Verderben;
Von rabenschwarzem Haar die Stirn umkränzt,
Aus dessen Flechten ein Rubin geglänzt;
Olivenbraun die Wangen, eine Spur
Tiefdunklen Roths auf jeder Wange nur;
Der Mund voll üppigen Stolzes; schön die Hand,
Die leicht zu bänd'gen wohl ein Roß verstand
Und selbst Begehr nach einem Scepter trug;
Ein Herz, das Andern gerne Wunden schlug!

O wonnig Leben, das der Fürst verbracht!
Tags süßes Denken, süßrer Traum bei Nacht!
Und doch – die Glocke schweigt! Was mag's bedeuten,
Daß, liebend selbst, er zögert, sie zu läuten?
Vielleicht, er liebt nicht weise – Rasch zum Tausch!
Sein reicher Geist bedarf erneuten Rausch;
Der Sklav mag Einer Lieb' und Treue zahlen,
Der Fürst muß, wie die Sonne, Allen strahlen!
Dem Falter gleich, der sich in Lüften wiegt
Und kosend jeder Blume Kelch umfliegt,
Umwarb er seines Hofes stolze Schönen,
Mit Liebesscherzen jeden Tag zu krönen,
Nun eine Locke küssend, nun ein Ohr,
Und nun ein Auge, das aus Thränen glomm hervor!

»Der König sollte sich vermählen«, sprach
Zuletzt das Volk; »der Jugendtollheit Schmach
Sollt' enden, und der Fürst um Edlers werben;
Ein Herrscher thut uns noth bei seinem Sterben.«

»O, mächt'ger Felix!« sang der Hofpoet,
(Es war von Jugendschwulst sein Lied gebläht,)
»Der Schönheit Rose wird mit dir vergehn,
Wenn wir ihr keine Knosp' entsprießen sehn.
Wollt' eine Blüthe uns zum Troste schenken,
Daß sich dem Grab entrette dein Gedenken!
Wohl hundert Fürstentöchter, die ein Reich
Als Mitgift ziert, erseufzen dir zugleich;
O großer König! laß dein Herz besiegen
Sich selbst, und laß der Milde Reif sich schmiegen
Um deinen spröden Sinn zu sanftem Joch; –
Wenn Allen nicht, sei Einer gnädig doch!
Der Schönen Schönste magst als Weib du werben,
Auf daß du dich verjüngst in einem Erben.
Wenn jetzt du schrittest in des Grabes Reich,
Wärst du nur Asche, – nicht dem Phönix gleich,
Der, wenn er auf den Scheitern sich verzehrt,
Aus seiner eignen Flamme aufwärts fährt.
Drum gieb, daß, wenn dein Leib zur Erde sinkt,
Uns deines Sohnes Goldgefieder blinkt!«

So auch der Staatsrath, minder schwungvoll zwar,
Doch ernst und nachdrucksvoll, wie's ziemend war:
»Ein Weib thut noth dem König, in der That!«
Die Gründe folgten. Einer sprach: »Der Staat
Verlangt's« – (unheimlich Wort, wie schwer erklingt's!),
Ein Andrer: »Ja, des Staates Wohl bedingt's.« –
»Sei's denn! Doch wen erwähl' ich?« Her und hin
Erwog die Frage man mit klugem Sinn.
Die bringt fünf Herzogthümer, und zugleich
Viel Gold; die Zweite erbt ein Königreich;
Die trägt ein Silberbergwerk ein dem Thron,
Goldminen Die (doch alt sind Beide schon).
Sie wählten Eine, die er nie geschaut,
Aebtissin mehr, als eine Königsbraut;
Denn sie erwuchs in eines Klosters Räumen,
Und nährt' ihr Herz mit eitlen Himmelsträumen.

Als Felix ihre Wahl erfuhr (er stund
Just müßig spielend mit dem Wachtelhund),
Seufzt' er und sprach: »Gott schenk' ihr Freud' und Ruh!
Bartlosen Knaben mißt man Thorheit zu,
Und Weisheit grauem Haar; ihr aber seid
Schlimmer, als thöricht, noch: – voll Grausamkeit.
Ja, grausam ist's; denn kann sie glücklich sein
Mit einem Mann, wie ich bin? Nein, o nein!
Genug! ein Opfer, eurem Willen fröhn' ich,
Darf ich nicht lieben, bleib' ich doch ein König!«

Er sandte einen Ritter stolz und fein,
Mit prächtigem Gefolg, die Braut zu frein.
Hätt' ich zu schildern ihre lust'ge Fahrt,
Ich sagt' euch, daß im Mai sie dichtgeschaart
Fortzogen, weiß die Hecken weit entlang,
Der Himmel blau, und ringsum Vogelsang!
Den Dom beschrieb' ich dann, drin sie vermählt:
Die Säulenpfeiler, kunstvoll ausgekehlt,
Die Heil'gen auch, gemalte und geschnitzte,
Das Licht, das sanft durch bunte Scheiben blitzte,
Der Orgel Klang, das Festlied am Altar,
Den würd'gen Bischof und das edle Paar!
Dann, wie durch Feld und Wald mit stolzem Schritt
Der reiche Zug zurück zum Hofe ritt,
Voran der Banner flatterndes Gewall,
Die Renner schnaubend bei Trompetenschall,
Und auf dem weißen Zelter zwischen ihnen
Die hohe Frau, mit stillen, ernsten Mienen.
»Der Kön'gin Heil!« Sie wußte, daß sie nah
Der Stadt, eh sie die Thürme glitzern sah,
Die hinter jenem Waldrand sich erhoben;
Denn vom Geläut der Glocken all' dort oben
Erklang das Willkommsläuten ihr ins Ohr,
Und Jubelruf, der sich im Wind verlor,
Bis nun die Stadt ihr selbst ins Auge fällt,
Die Thürme, Tempel, Häuser reich erhellt,
Mit Decken rings von Goldbrokat behangen,
Und übrall sieht sie ihren Namen prangen;
» Agnes und Felix« strahlt es hier und dort,
Und weiße Hände streuen fort und fort
Ihr Blumen, bis die Luft mit Duft erfüllt,
Und von Guirlanden ist ihr Weg umhüllt,
Entzückt und froh drängt sich das Volk herbei
Mit Händeklatschen, Hurrah, Freudenschrei.
Als sie zum Pallast kommen, schreitet vor
Ein Herold, dreimal bläst er laut am Thor
Ins Horn, die Pforten springen weit zurück,
Und auf der Schwelle steht der Fürst – o Glück! –
Der, wie die Sonne aus des Morgens Thor,
Im Königsmantel schimmernd tritt hervor.
Mit Zittern steigt die junge Frau vom Roß,
Reicht ihm die Hand, folgt langsam ihm ins Schloß,
Und hinter ihnen, schicksalsschwer und bang,
Schließt sich das Thor bei gellem Hörnerklang!
Er führte stracks sie zum Balkone hin,
Und wies sie allem Volk als Königin.
»Der Kön'gin Heil! Heil dem beglückten König!«
Und wieder klangen laut und freudentönig
Die Glocken, eben nur ein Weilchen stumm,
Und dröhnend scholl hinaus ihr Bimbambum,
Daß fast die Thürme bebten hin und her;
Und drunten brach aus dem belebten Meer
Ein Sturm von Jubel, und aus hundert Schlünden
Ein Donnergruß, des Volkes Lust zu künden!
Manch Schauspiel bot sich dar, und Alles frei:
Seiltänzer, Gaukler, Sänger, Mummerei,
Soldaten, Musikkorps, und obendrein
Floß in Fontänen heut der edle Wein!
So schwand der Tag; und Abends war erhellt
Mit Lampen rings des Schloßparks Laubgezelt,
Dazu Raketen, die mit buntem Funkeln
Des Himmels Sterne droben fast verdunkeln.
Und immer gab der Glocken ehrner Mund
Mit Jubelton die frohen Stunden kund;
Doch eine schwieg – ein Grablied wär' erklungen,
Wenn Felix seine Glocke heut geschwungen!

Und ist er denn so elend gar? O nein!
Zwischen den Nachbarlanden »Lust« und »Pein«
Liegt noch ein Mittelreich, wo Manche ruhn,
Befangen wie in träumerischem Thun.
So geht's auch Felix. Seiner Sehnsucht Brand,
Der einst in stürmisch heißen Gluthen stand,
Ist ausgeglüht, und ließ das Herz verwaist,
Verödet das Gemüth, und leer den Geist.
Er liebt das Weib nicht, das er sich erwarb;
Jetzt mindstens nicht, denn seine Liebe starb.
Ob sie einst aufersteht? Wem ist es klar?
Die Form von Staub ist ja so wandelbar!
Schwach sind die Männer, wissen wir – ein Blick
Aus Weiberaugen ändert ihr Geschick.
Ob drin verzehrend heißes Feuer glimmt,
Ob einer Thräne Glanz im Auge schwimmt,
Ob durch ein trübes Lächeln nur das Herz
Verräth, daß jahrelang in stillem Schmerz
Es stumm geharrt, geblutet und gehofft,
Und seinem Leide fast erlegen oft: –
Er wird gerührt dadurch, besiegt, errungen,
Bezwungen, wie sie selber ward bezwungen!
O Macht des Weibes! du bist stark genug,
Ist nur das Weib, was Agnes nicht war, – klug.
Sie liebte den Gemahl, allein nicht recht.
Wie sollt' ein Mädchen, nur vom Pfaffenknecht
Und Mönch gebildet, wissen, was ein Mann
Erheischt von ihr, die er zum Weib gewann?
Sie wußte beim Gebetbuch nur zu weilen,
Nicht, seine Sorg' und seine Lust zu theilen.
In seiner Nähe zog's sie oftmals hin
Zu ihm, aufthauen wollt' ihr spröder Sinn,
Doch Sünde schien ihr, was das Herz begehrt –
Sie liebt', ach, ihn und Gott, und Beide gleich verkehrt.
Unselig Paar, dir fiel ein trübes Loos!
Zu klein für Liebe, und für Haß zu groß,
In Nichts euch gleich, wie fändet ihr den Frieden?
Der Mensch vereinte hier, was Gott geschieden!
Nur Eine Rettung giebt's aus solcher Schuld:
Vergessenheit, Vergebung und Geduld.
Träumt nicht, seid thätig! schafft euch für den Geist
Beschäft'gung, die dem Brüten ihn entreißt;
Dann wird das Herz den müßigen Kampf verwinden,
Und, wenn nicht Glück, doch endlich Frieden finden!

Bei Agnes kehrte nicht der Frieden ein;
Sie konnte, was sie war, nur – Nonne sein.
Sie schuf den Hof zum Kloster. Felix trug,
Der Arme, diese Schickung sanft genug,
Behütend seine Gattin wie ein Kind,
Nur selten lächelnd, freundlich doch gesinnt,
Und zu beglücken strebt' er Volk und Land,
Je mehr des eignen Glückes Hoffnung schwand.
Und glücklich war sein Volk. Es lebt' in Ruh,
Die Steuern klein, die Ernten reich dazu,
Der König gut, die Kön'gin fromm und schön;
Bald sollt' ein Erbe noch des Landes Glück erhöhn;
Es sprachen Alle: »Würd' es doch ein Sohn!«
Wie welkes Laub im Herbstessturm, entflohn
Die Tage; Sommer, Herbst und Winter schwand,
Der Schnee zerschmolz, der Frühling zog ins Land.

Im Frühling kam das lang ersehnte Kind.
Die frohe Kunde brachten sie geschwind
Dem König, der, von Unruh bang gehetzt,
Staunend emporfuhr: »Bin ich glücklich jetzt?
Ein Vater – sagt mir« ... Doch sein Herz und Sinn,
Allmächt'gen Dranges, flog zum Kinde hin,
Deß Stimmchen er vernahm, und er empfand
Ein Glücksgefühl, wie er es nie gekannt.
Die Hand schon nach der stummen Glocke fuhr,
Doch flugs entsank ihm die ergriffne Schnur.
Denn ernsten Gruß der Arzt dem König bot:
»O Trauer, Herr! die Königin ist todt!«
Die Schmerzenskunde scheuchte jählings fort
Der Wangen freudig Roth; er sprach kein Wort,
Ein Steinbild stand er da, gesenkt die Lider,
Zwei große Thränen rollten still hernieder.
Was weint' er? Hatt' er sie doch nicht geliebt!
Was war sie ihm, die jetzt in Staub zerstiebt?
Er nahm sie, daß sie einen Sohn ihm trage,
Erfüllt ja war das Endziel ihrer Tage.
Wie konnt' ihr Tod ihn schmerzen? Sah vielleicht
Er eine Mahnung drin, daß ihn erreicht
Und Alle einst dasselbe ernste Loos?
Dann nicht unmännlich seine Thrän' entfloß.
Doch seid gerechter, sagt: sein Herz beschlich
Ein Mitleidsweh, daß sie so jung erblich,
Dahin gerafft am trüb umwölkten Morgen,
Als noch der Dorn die Rose hielt verborgen.
Er weint, daß sein verwaistes Ehebette
Zugleich des Lebens und des Todes Stätte,
Daß seinem Kind ihr Tod das Leben giebt –
Kurzum, er weint, weil er sein Weib geliebt!
Ja, Felix liebte sie, faßt ihr's auch kaum,
Sein langer Stumpfsinn war ein schwerer Traum,
Der alle Blüthen eisig angeweht;
Nun endlich wacht er auf, doch, ach! zu spät.
Nun liebt er sie, das bittre Einst zerstiebt.
Kaum dünkt's ihn, daß er je sie nicht geliebt.
»Wenn doch«, (fühlt' er sich das Gewissen regen)
»So hätt' ich sie geliebt des Prinzen wegen!«
All dies und mehr – ach, eine Welt von Pein –
Drang auf sein Herz und Hirn erdrückend ein,
Bis wieder er des Kindes Schrei vernahm,
Und seufzend schwer aufschrak aus seinem Gram.
»Faßt Euch, es lebt das Kind.« – Er sprach mit Weinen:
»Doch sie ist todt!« Dann ging er zu dem Kleinen.

Sie ward in einem prächtigen Gezelt
Dem ganzen Hof drei Tage ausgestellt,
In königlichem Schmuck, die Kron' im Haare;
Geweihte Kerzen brannten um die Bahre,
Gebete, Lieder schollen immerzu,
Und Messen las man für der Seele Ruh,
Ah, requiescat! Dann der Leichenzug,
Der Pomp, mit dem man sie zu Grabe trug:
Der Trauermarsch – gedämpfter Trommeln Klang –
Sonst Todtenstille rings den Weg entlang –
Der große Himmelwagen, schwarz behangen –
Die Rosse, die mit Federbüschen prangen –
Der König dann – wie gellt so schauertönig
Der Grabchoral dem glückesdurst'gen König?
Der alten Kathedrale Dunkel barg,
Benetzt von vielen Thränen, ihren Sarg,
Und auf dem Grabe prunkt' aus Marmelstein
Ein Agnus Dei und ihr Nam' allein:
» Agnes, des Felix Gattin«, (armes Wesen!)
Der Rest steht in des Lebens Buch zu lesen!

Ein finstrer Schatten lag auf dem Palast
Noch lang, nachdem die Königin verblaßt
Und schon der Hof die Trauer abgethan,
Ja, bis ihr jungfräulicher Leib die Bahn
Von Staub zu Staub vollendet! Felix zwar
Vermißt' an keinem Ort, der heilig war
Von glücklicher Erinnrung, sein Gemahl –
Doch spukhaft huscht' ihr Bild durch jeden Saal.
Wie lebend einst, sah er sie wieder nun,
Ein liebend Weib, doch stets in müßigem Thun:
Bei ihrer Stickerei, wo Blumen bunt
Entwuchsen ihrer Hand auf Silbergrund;
Bei ihren Liljen, die wie Nonnen rein –
Aebtissin mochte sie den Schwestern sein;
In ihrer Betkapelle, himmlisch ganz
Verklärt, abbetend ihren Rosenkranz.
Wie eine Heil'ge auch in stiller Nacht
Hielt sie im Mondlicht an der Wiege Wacht,
Die todte Mutter küßt' ihr schlummernd Kind,
Um das der Traum die goldnen Fäden spinnt.

Was Felix fühlt, sein Glück und seine Wehn,
Kann nur ein liebend Vaterherz verstehn.
Er liebte heiß das Kind, deß schuldlos Haupt
Die Mutter ihm, das Weib ihm selbst geraubt.
Konnt' er die Staatsgeschäfte abthun, stahl
Er sich zu ihm des Tags wohl zwanzigmal,
Harrt' an der Wiege, wenn der Kleine schlief,
Schlich auf den Zehn hinaus, wenn man ihn rief,
Kam wieder bald, sich satt an ihm zu blicken,
Vielleicht auch, um sein Weinen zu ersticken
Mit Schlummerliedchen, Ammenmelodien,
Eiapopeia! oder sänftlich ihn
Auf seinem Arm zu wiegen leis in Schlummer –
O süße Last an einer Brust voll Kummer!
Die Liebe, die der Gattin jetzt er gern
Gespendet, weilte sie nicht ewig fern
Im Reich der Todten, unerreichbar weit,
– (Denn was ist ihnen Menschenlust und Leid?) –
Strömt' aus in Thränen, schmerzlichen und süßen;
Und, frühe Schuld durch späte Reu' zu büßen,
Schloß an das Kind sein Herz verzweiflungsvoll
Sich an: – der Mutter willen liebt er's toll!
O Uebermaß von Lieb' und Zärtlichkeit!
O Träume, Sorgen, Hoffnungen, geweiht
Dem Leben, das ein Stündlein brechen mag!
Bewachen sah man ihn bei Nacht und Tag
Des Prinzen Wiege; als er größer ward,
Bracht' er ihm kostbar Spielzeug, seltner Art,
Und lehrt' ihn Spiele voller Lärm und Scherz,
Wie Kindern sie ersinnt das Vaterherz;
Auch Schattenbilder formt' er mit der Hand,
Häslein und Widderköpfe, an der Wand,
Die hüpften, fraßen, meckerten und schrien;
Ließ Hottepferd ihn reiten auf den Knien,
Mit Händeklatschen, Jauchzen – hopp, hopp, hopp! –
Nach unbekannten Ländern, im Galopp,
Ins Feeenland Utopia; zur Stund'
Mit Küssen schließend ihm den Kindermund,
Dann ihn im Schwung erhebend auf den Thron
Der breiten Schulter, wo der kleine Sohn
So furchtlos saß, so stolz, so königlich –
Beugt' ihm doch ganz das Herz des Vaters sich! –
Wie in den Augen, die so freundlich lachen,
Die Seele Felix heller sah erwachen;
Wie er, das Haar ihm streichelnd lieb und lind,
Erseufzte: » Du hast keine Mutter, Kind!«
Wie er, da nie der Schatten wollt' entfliehn,
Den Himmel frug: »Ob sie mir wohl verziehn?«
Ach, seines Lebens Buch, wo dies geschrieben,
Sein unfruchtbares Weh, sein eitles Lieben
(Der öden Jahre Blätter, zwischen denen
Die todte Blume lag, sind feucht von Thränen!)
Das Alles gäb' ein trüber, süßer Lied,
Als meiner Leier je wohl eins entflieht;
Ein trübes, süßes Lied, werth, daß ihr Denken
Die Männer ihm, die Weiber Zähren schenken.
Schreib's, wer da kann! Ich folge meinem Sang,
Wie und wann Felix seine Glocke schwang.

Zehn Jahr' lang oder mehr (im Lebensspiele
Gilt Nichts die Zeit, und Alles die Gefühle)
War auf die Staatskunst all sein Sinn gestellt,
Das kleine Thun der Großen dieser Welt;
Nicht um aus Ränkesucht mit list'gem Mund
Zu schließen oder brechen einen Bund,
Das Scepter einem Bruder zu entraffen,
Nein, in der Unterthanen Glück zu schaffen
Trost für das eigene, das ihm entflohn,
Auf ihre Liebe stützend seinen Thron.
Gewandter war, als er, ein König nie,
Noch Meister so in der Diplomatie.
Kein Sendling spürte seine Pläne aus,
Der Fuchs schlich, wie er kam, so klug nach Haus.
Gesandte, welche Minen schlau gelegt,
Verrath gesponnen, Lug und Trug gehegt;
Staatsmänner, greise, mit verschmitztem Blick,
Verhandelnd frech um Gold das Weltgeschick:
Alle besiegt' er, nicht durch Arglist meist,
Nein, durch ein reinres Herz und edlern Geist.
Nicht besser ging's den Dienern seines Throns,
Wenn sie, als Schmeichler harrend ihres Lohns,
Sich selbst zu dienen suchten, nicht dem Staat –
Dem eignen Sturz nur gruben sie den Pfad.
Zuerst, so heißt es, war sein Rath verderbt,
Das Richteramt war Schacherern vererbt,
Die Recht verkauften und Gerechtigkeit,
Und in die Kirche schlich im Hirtenkleid
Sich mancher Dieb und Räuber, nicht zu wehren
Den Wölfen, nein, die Schafe baß zu scheeren.
Verhielt sich's so – (und Wahrheit ist mein Wort), –
Er fand die Schuld'gen aus, und trieb sie fort,
Zum Wohl des Volks. Glück schuf und Heil er Allen –
Doch Felix ließ die Glocke nicht erschallen!

Ein Krieg kam endlich. Wodurch er entstand,
Vergaß ich, wenn ich je den Grund gekannt;
Gerecht war sicher er, – zum mindsten meint'
Es Felix so, und ebenfalls sein Feind,
Der Vater seiner Frau, der stillen, bleichen,
Mit deren Tode zwischen ihren Reichen
Das letzte Band zerriß. Nach eitlem Mühn,
Zu sichern, wie bisher, des Landes Blühn
Und Wohlstand in des Friedens stiller Hut,
Erklärte Felix und begann mit Wuth
Den Krieg, den Feind bedrängend furchtbarlich,
Der vor dem Schatten seines Ruhms entwich.
Im Sturmschritt rückt' er in des Gegners Land,
Bis dessen feige Truppen endlich Stand
In einer Festung hielten, schwer zu nehmen.
Hier mußte Felix jetzo sich bequemen,
Sie zu belagern lang, mit viel Beschwer.
Das Land durchstreifen ließ er rings sein Heer,
Moräste trocknen, alte Wälder lichten,
Laufgräben graben, Schanz' um Schanz' errichten,
Umschließend enger stets des Feindes Macht,
Der sie im Schutz der Festung Tag und Nacht
In Athem hielt, wie sehr auch früh und spät
Das mördrische Belagerungsgeräth
Die Reihen lichtete. In mancher Nacht
Brach aus den Thoren mit Verzweiflungsmacht
Der Feind hervor, es dröhnte Knall um Knall,
Und rasselnd grollte drein der Trommeln Schall.
Kanon' und Mörser reißen Lück' um Lück'
In Wall und Thor; jetzt fällt ein Mauerstück,
Und jetzt ein Thurm; doch giebt der Feind das Spiel
Nicht auf, ob mancher tapfre Held schon fiel.
Das blut'ge Werk geht Stund' um Stunde fort –
Glückauf! errungen ist der feste Ort.
Die Thore öffnen sich! Doch sieh, wer naht?
Die Schlüssel bringen Greise aus der Stadt.
»Wir hätten«, sprechen sie, »dir bis zum Tod
Getrotzt, doch Weib und Kindern fehlt das Brot;
Dem Hunger, Felix, weichen wir, nicht dir.« –
»Ich führe Krieg mit Männern nur; vor mir
Sind sicher Weib und Kind. Die Schlüssel hie
Nehmt mit, und Brod.« Voll Staunens sanken sie
Zu Füßen ihm, es jauchzte laut sein Heer,
Und die Besiegten jauchzten fast noch mehr,
Hörner und Glocken klangen jubeltönig:
»Der König hoch! Hoch der beglückte König!«

Sein milder Sinn und seiner Waffen Ruf
Dem alten König neue Sorg' erschuf;
Ertragen hätt' er wohl ein Ungemach,
Doch nicht so völliger Niederlage Schmach!
»Ihr Herrn! was ist zu thun mit einem Mann,
Der, so wie uns, sich selbst bezwingen kann?
Gebt Rath mir!« Und sie thaten's. »Seine Milde,
So heiß' es, Herr, dient finsterm Zweck zum Schilde;
Er will vom Thron Euch stoßen, wie es scheint.«
So arg verleumdet ward ihr edler Feind.
Das thörichte Volk (wann war es jemals klug?)
Glaubt' ihnen arglos, denn der Fürsten Lug
Geht, ihren Münzen gleich, von Hand zu Hand,
Wie schlecht auch das Metall. Das ganze Land,
Vor Kurzem schreckerfaßt, doch jetzt erregt
Von falschem Muth, erhob sich wild bewegt,
Für Haus und Herd, wie Jeder schwor, zu sterben,
Und den Tyrannen Felix zu verderben!
Der gute Felix hörte das Geschrei
Mit edlem Zorn, und seufzte still dabei:
»So wahnbethörtem Lug und Truge Halt
Zu setzen, giebt's kein Mittel, als Gewalt;
Furcht bänd'ge sie, da Liebe sie verschmäht;
Wer jetzt von Mitleid spricht, der spricht zu spät.
Wie heißt der Spruch, den uns der Herr gelehrt?
Durchs Schwert soll sterben, wer da zieht das Schwert!«

Zuletzt erschien der unheilvolle Tag,
Wo, gleich zwei Wolken, dräund mit Wetterschlag,
Heer prallt' auf Heer mit finsterm Todesmuth.
Der dämmrungstrübe Ost war roth wie Blut
Hinter des alten Königs Zelt, wo bang
Ein Rabe seine schwarzen Flügel schwang,
Erschreckt vom Donner, der von unten grollt,
Und von den Wolken, die bergauf gerollt.
Denn eingehüllt in Rauch war jetzt die Flur,
Und der Kanonen schwer Gebrumm durchfuhr
Die aufgestörte Luft, es bebt der Grund,
Tod und Verderben blitzt aus jedem Schlund.
Dann kam der Schwerterhiebe scharfes Klirren,
Der Flinten Knattern und der Lanzen Schwirren,
Trompetenstöße schmetterten, der Klang
Der Trommeln rasselte das Feld entlang.
Erst kämpften Flügel, Vorhut, wie's ersann
Der Feldherr, ruhig, planvoll, jeder Mann
Ein blindes Werkzeug in des Führers Hand,
Und All' an ihres Königs Wink gebannt.
Wenn Felix sagte: »Dorthin!« – war's geschehn,
Tausend auf einmal sah zum Ort man gehn.
Wo stehn sie sollten, standen sie wie Stein,
Dicht schließend stets die toddurchblitzten Reihn;
Wo sie marschiren sollten, ward marschirt;
Was thut's, ob ihre Schaaren decimirt
Der Speere Sausen und der Kugeln Pfeifen,
Die dunkel rings die dunkle Luft durchschweifen?
Sie stürmen auf den Feind mit wilder Macht.
So eine Weile wogt die Fluth der Schlacht.
Doch immer weiter, immer breiter schwellen
Hin zu den Höhn im Osten ihre Wellen,
Ein tobend Meer, das fluthet, ebbt und schwillt,
Und rings einherbraust über das Gefild.
Bald waren all die Reiter, die im Gischt
Des Blutbads wateten, so wirr vermischt,
Daß kein Fürst sagen konnte: »Die sind mein«,
Noch ob sie Sieger, ob Besiegte sei'n.
Speerwerfer wählten Mörser sich als Ziel;
Standarten ragten, sanken im Gewühl;
Helmbüsche flohn wie Schaum im Meere fort,
Und Reitertrupps erschienen hie und dort,
Schwingend die blanke Wehr, die blutig rothe,
Hinsprengend über Sterbende und Todte!
Alles war Chaos. – Mittags zog ins Feld,
Aus Westen her, von Kampfbegier geschwellt,
Ein zweites Heer, das Felix zum Entscheid
Des launenhaften Schlachtglücks hielt bereit,
Blitzgleich hernieder wetternd mit Hurrah,
Daß rettungslos der Feind sein End' ersah.
Denn wie im Herbstessturm das rothe Laub
Wirbelnd umherkreist im Gewölk von Staub,
Bis vor dem Nordwind, welcher gleich dem Meer
Alles entrafft, es plötzlich flieht einher:
So floh des alten Königs Heergebot,
Feig, schreckerblaßt, der Pflicht und Ehre todt!
Umsonst der Führer Müh', die Flucht zu staun;
Nichts hören mehr die Rasenden, und haun
Sie nieder – nicht vor tausend Toden beben
Sie jetzt, zu retten nur ihr werthlos Leben!
Kurz freute Felix sich des Sieges bloß,
Dann dacht' er an des alten Königs Loos
Mit Schmerz. Er sagte: »Tod sei Dem bescheert,
Der seines grauen Haupts ein Haar versehrt!«
Auf weißem Roß hinsprengt' er übers Feld,
Zu retten seinen Feind. In seinem Zelt
Lag Der von wen'gen Treuen nur bewacht,
Verblutend halb schon in des Todes Nacht;
Sein Sohn, Prinz Irak, über ihn gebückt.
»Felix!« schrie auf der Greis, der ihn erblickt.
Prinz Irak sprang empor und griff zum Speer,
Wuthblitzenden Augs. – »Tollkühner Knab', komm her!«
Stöhnte der Greis; »dem Schicksal beuge dich!
Gehorche mir!« – Abwandte Felix sich,
Voll Trauer: »Wie der Vater, so das Kind!
Sie Alle sind voll Haß mir feind gesinnt.
Nur Eine kannte mich, und Die ist todt.« –
»Felix! – Geh, ruf ihn her zu mir!« gebot
Der König mit erbleichendem Gesicht,
»Ich muß ihn sprechen, eh mein Auge bricht. –
Felix, jetzt kenn' ich dich, und kannte lang dich schon
Als wahr und gut, zu gut für einen Thron;
Erhaben über Herrschsucht, die Verderben
Den Völkern bringt, und Kön'gen solch ein Sterben!
An diesem Krieg – laß heut zu End' ihn sein –
Ist dein die Schuld nicht, sondern mein, ja mein!
Irak, die Selbstsucht trieb mich nur dazu –
O, mögen Freunde Felix sein und du!«
Er fügte ihre Hände noch zusammen,
Als fast erloschen seines Auges Flammen;
Sie knieten nieder, stumm begrüßend sich.
»Lebt ihr, nebst euren Völkern, brüderlich
In Freundschaft stets!« – Mit dieser Worte Ton
War seine Kraft erschöpft, sein Geist entflohn.

Nach Friedensschluß zog in sein Königthum
Felix zurück, gekrönt mit Heldenruhm;
Ein Jeder freute sich und schwang den Hut,
Als sei bescheert ihm ein besondres Gut;
Die Weiber, Kinder klatschten in die Hand,
Ein großer Festtag war's im ganzen Land –
Guirlanden – Fahnen – Glockenklang ringsum –
Die Glocke nur des Glücks blieb heut, wie immer, stumm!

Sie hätt' erzählen können manche Mär
Von dem, was unter ihrem Golddach her
Sie sah, seit Felix in der Jugend Prangen
Auf höchstem Thurm dort ließ sie prunkend hangen.
Zu ihren Füßen dehnte, Haus an Haus,
Sich stundenweit die mächt'ge Hauptstadt aus,
Ein Dächermeer, von Straßen rings durchzogen,
Mit herrlichen Alleeen, Brücken, Bogen,
Mit kühlen Ruheplätzen, wo der Quell
Des Springbrunns plätschernd aufstieg, silberhell,
Und hie und da aus dunklen Häuserreihn
Ein Kirchthurmskreuz erblinkt' im Sonnenschein;
In Hall' und Thurm auch hingen allerwärts
Gewalt'ge Glocken, deren Mund von Erz
Die flücht'gen Stunden angab Tag und Nacht, –
Die Wonnezeit, die Neuvermählten lacht
(Ach, Traum von Lieb' und Glück, zu bald verloht!),
Das Leid um Herzen, welche brach der Tod!
So trug der Töne wechselvolles Meer
Jahraus, jahrein die Kunde rings umher
Des Menschenlebens, wie es schwell' und stocke –
Doch keine Antwort gab die Königsglocke!

Als sie zuerst bezog den luft'gen Raum,
Erschien im jungen Parke jeder Baum
Aus jener Höh' ein winz'ger Schatten nur,
Hinzitternd über Gang und Rasenflur.
Doch mählich wuchsen sie empor ins Blau;
Die glatte Rinde ward verrunzelt, rauh;
Mit dichtem Laub ist das Geäst bekränzt,
Durch das der Zephyr streicht, die Sonne glänzt,
Und Vöglein schaun. Bald ist ihr Schattenzelt
Von blitzender Augen lust'gem Sprühn erhellt,
Und schöne Damen wandeln mit Gesang,
Gelächter und Gekos von Gang zu Gang,
Rauschend in Seide, Sammt und Flur dahin
Mit bunter Pracht! Dann kommt die Königin,
Die, liljenkeusch, zur Nonne bleich genug,
Anstatt des Schleiers eine Krone trug.
Die stumme Glocke hört ihr Hochzeitslied,
Ihr Grabgeläut – kein Ton ihr selbst entflieht!

So hing die Glocke, schweigsam wie das Grab,
Gleich einer Trauerblume stets herab,
Berührt nicht von der Erde Lust und Weh,
Jetzt hell von Sonnenschein, jetzt weiß von Schnee!
Und Sonn' und Schnee und Regenguß bedecken
Zuletzt ihr blankes Herz mit dunklen Flecken,
Dick liegt der Staub auf ihrer ehrnen Zunge,
Und Vögel bauen dort ihr Nest und Hecken Junge.

Was König Felix und sein Loos gewesen
In diesen Wechseln all', habt ihr gelesen;
Nicht viel vielleicht, – doch hat es euch belehrt,
Daß stets er das ersehnte Glück entbehrt.
Ihr hättet wohl im Glanz der Herrscherpflicht
Euch glücklicher gefühlt – er konnt' es nicht;
Ach! um so minder, da sein Lenz entwich,
Und mählich schon heran das Alter schlich:
Erst ein paar graue Haare, die den Schein
Noch tiefern Brauns den Locken nur verleihn;
Im Augenwinkel ein paar leichte Falten,
Zu sein doch, um für Runzeln sie zu halten.
Ein Schritt, der ganz nicht so elastisch glitt,
Gemessen, förmlich, just ein Königsschritt –
Die Schatten, kündend, daß die Jugend schwand,
Eh man's noch für das Werk der Zeit erkannt;
Denn noch war scharf sein Blick, die Wange blühte,
Kein Blatt von ihren Rosen noch verglühte.
Als sorgenschwer verrauschte Jahr um Jahr,
Ward spärlicher und winterweiß sein Haar;
Und Zeit und Kummer pflügten tief und dicht
Ihm Furchen in das welke Angesicht.
Sein müder Gang, unstät und schlotternd fast,
Das Haupt, gebeugt von seiner eignen Last,
Der blöde Blick, die Hände, zitternd, kalt –
Sie alle kündeten: »Du wirst nun alt!«

So welkte trüb der arme König hin,
Verlassen, schweigsam, bis mit ödem Sinn
Er einst zur Sommerszeit mit müdem Tritt
Und schweren Herzens sein Gemach durchschritt.
Es war ein groß und königlich Gemach,
Wo Alles rings von Prunk und Reichthum sprach:
Die Wände mit Gemälden dicht behangen,
Von Meistern, die als ew'ge Sterne prangen;
Vorhänge, purpurfarbig, schwer und fein,
Mit goldnem Saum und Silberstickerein;
Ein Blumenflor der Teppich, wie er nur
Erblüht in Gärten auf des Ostens Flur,
Mit morgenfrischen Farben hell bemalt,
Bunt, wie der Staub auf Falterflügeln strahlt!
Divans gleich Wolken, Sessel Thronen gleich;
Kostbare Vasen, Becher, Silberzeug;
Was nur an Schmuck ein Königshaus belebt,
War da, und mehr; und in der Mitte schwebt
(Dem Stricke gleich, auf den der Henker deutet!)
Die Schnur, die nie die stumme Glocke läutet!
Und auf und nieder mit verdroßnem Tritt,
Sein Haupt oft schüttelnd, das Gemach durchschritt
Der Königsgreis, und wünschte schmerzverloren,
Daß todt er wär', und lieber nie geboren!
Ins tiefste Dunkel senkt' er gern hinab
Sein Leid, – wo schlief es stiller, als im Grab?
Dann sich aufraffend schmerzvoll, härmt' er sich,
Wie müde neben ihm sein Schatten schlich;
Dann wieder trat er mit umflortem Sinn
Vor eine Landschaft oder Statue hin,
Mit Blicken sie betrachtend, blöd und kalt,
Stumpf für den Reiz der göttlichsten Gestalt!
Vor seinen Fenstern hob sich ein Altan,
Wo unterm Schirmzelt seine Augen sahn
Hinab auf seiner Gärten Wiesen, Seen,
Verschlungne Gänge, schattige Alleen.
Er riß ein Fenster auf, verzweiflungsvoll,
Vielleicht den Wolken nachzuschaun; es quoll
Die frische Luft vom Garten kühl herein,
Gewürzt mit Düften, süß von Melodein –
Thaufrischer Blumen Hauch, und Vogelsang;
Gebrüll von fernen Heerden, dünkt' ihn, klang
Herüber; Jubelton die Stadt durchzog:
»Der glückgekrönte König lebe hoch!«
(Es war ein Festtag just.) Er seufzt': »O Gott!
Der glückgekrönte König? Bittrer Spott!

»Was ist dies Ding, das Glück heißt? Wo es wohne,
Wer sagt's, und führt mich hin zu seinem Throne?
Mein Fuß hat nimmer seinen Pfad gekannt;
Wenn meine Hand den Faden jemals fand,
Entfiel er gleich ihr wieder. Mag bescheert
Es Andern sein, und grade mir verwehrt?
Oder sind All' wir Narren, toll und wild,
Nachrennend gierig einem Schattenbild?
Unmöglich! Etwas giebt es zu erschwingen –
Nicht Alle können so vergeblich ringen!
Die Herzen, die mit jedem Pulsschlag laut
Ein Sehnen künden, das nach Stillung schaut,
Die Purpurfluth, die stets von Wünschen schwillt,
So einfach, und so selten doch erfüllt;
Die Geister, thronend wie in stolzem Thurm,
Erhaben über flücht'ger Stunden Sturm,
Klarblickend, ruhig, Wenig fordernd, – Nichts,
Als nur die Traum-Macht des Gedankenlichts:
Die haben, oder hätten, Recht auf Glück,
Geschädiget von keinem Schmerzgeschick;
Die sind uns nicht zum Hohne nur gegeben,
Lüg' ist sonst Alles, wir und unser Leben!

»Warum denn bin ich glücklich nicht? Warum
Blieb ewig meine goldne Glocke stumm?
Vielleicht verlangt' ich in der Jugend Pracht
Zu große Wonne, wie sie Keinem lacht;
Entzücken, das kein Wort zu schildern weiß,
Das Herz durchstürmend plötzlich, wild und heiß;
Ein Hochgefühl, das uns mit Lust durchgluthet,
Und, gleich dem Meere, Alles überfluthet;
Ein Blitz, der hell auf Aug' und Wangen loht,
Ein Licht, wie endlos prangend Morgenroth;
Ein Etwas, dem ich noch mit letztem Blick
Zuriefe jauchzend: Dies, o dies ist Glück!

»Vielleicht ist's so; die Jugend ist nicht klug,
Und Kön'gen das Gemeinloos nie genug;
Mich dünkt, da liegt die Lösung – schicksalsdröhnig,
Spricht Alles aus das eine Wort: – Ein König!

»Was ist ein König? Thoren sagen schon:
Ein Wesen, das geformt aus edlerm Thon,
Als ihre Seelchen. Wie die Berge fern
Erscheint er ihnen, wie ein hoher Stern.
Doch selber – Felix, sprich! was bist du dir?
(Bekenn' es offen, Niemand lauscht ja hier!)
Kein Stern, ach! oder einer, der vergebens
Zu hellen sucht das Dunkel seines Lebens,
In dem er bleich verglimmt. Ein Berg? O nein!
Oder ein Berg, der öde, kahl, allein
In Schnee und Wolken dasteht. Ach, was dann?
Von allen Elenden der ärmste Mann!

»O Königsdasein, jammervolles Loos!
Größe genannt, doch nur an Elend groß!
Wüßten die Menschen, was es birgt an Pein,
Sie würden sterben eh'r, als Kön'ge sein!
Schwer ist es schon und heischt sein bestes Denken,
Die kleine Welt in seiner Brust zu lenken;
Doch muß er sie beherrschen und die Welt,
Nicht König ist, wer eitlem Stolz verfällt!
Was ist des Königs Amt? Zu seinem soll
Er machen seiner Unterthanen Wohl;
Soll für sie denken, handeln; soll erschließen
Den Quell, aus dem all' ihre Schätze fließen.
Des Friedens Künste und des Krieges Wehr;
Des Staatsschiffs sichrer Steuermann; – ja mehr:
Gerecht, gut, weise, groß, wie Gott allein,
Sollt' er, der Herrscher, sich bemühn, zu sein.
Wie Viele thun's? Wo leben solche Kön'ge?
Vielleicht im Himmel, doch auf Erden wen'ge!
's ist trauervoll und trüb, daß Gott erbarm! –
Eins aber stets vergißt der große Schwarm,
Der auf die Kön'ge schmäht mit tollem Schrein:
Er weiß nicht, was es heißt, ein König sein!
Welch Dämonsheer den Herrscherstand umschleicht,
Welch giftig Unkraut üppig er erzeugt,
Wie schlecht der Beste wird, von Stolz gebläht,
Sklav seines Willens, dem Nichts widersteht;
Wie ihn der Schmeichler glattes Wort umspinnt,
Die seiner Lüste ärgste Kuppler sind;
Wie taub und blind ihn machen Lug und Trug,
Zu seinem eignen Feind und zu der Menschheit Fluch!
Gäb's Solche auch, an denen all dies Leid
Abprallte, wie der Pfeil am Panzerkleid,
Sie fingen doch, gleich mir, das Glück nicht ein;
Kein König ist beglückt – er kann's nicht sein!
Denkt, welche Last ein König trägt vom Morgen
Bis in die Nacht! Sein Leben starrt von Sorgen
Und Pflichten, deren Ende nie erscheint;
Zehntausend Feinde hat er, keinen Freund!
Sich selber nicht, dem Staate leb' er bloß!
Undankbarn Pöbel mach' er gut und groß;
Das Haupt der tausend Hände, die er lehrt
Zum Pfluge greifen jetzt, und jetzt zum Schwert!
Am Schlechten hindr' er, lenk' auf gute Bahnen,
Und schütze vor sich selbst die Unterthanen;
Thu' Manches, was nicht einsieht ihr Verstand,
Und herrsche, muß es sein, mit ehrner Hand;
Dem Aufruhr beug' er vor und Kriegeswettern,
Gerüstet, beide blitzgleich zu zerschmettern!
O Jammerloos der Kön'ge! Höllenrachen,
Drin wir zu spät, Verdammten gleich, erwachen!

»Könnt' ich abthun des Königsprunkes Schein,
Und einer der von mir Beherrschten sein:
Ein Schäfersknecht, ein froher Bauer nur
In Feld und Wald, auf einer stillen Flur,
Weit weg von dieser Hauptstadt Lärmverkehr, –
Wer, wo, gleichviel, wenn nur kein König mehr!
Aufstund' ich mit dem ersten Dämmrungsgrau
Und triebe meine Heerd' ins Feld voll Thau,
Mit Blumen ziert' ich meinen Hirtenstab,
Dem Sang der Vögel lauscht' ich thalhinab.
Am Hügel ruhend, blies' ich Weisen vor
Den schneeigen Lämmern auf dem Haberrohr,
Und sänge alte Lieder, rosenfarb,
Wie Corydon um Phyllis' Liebe warb,
Bis ihm Cupido half, der schelmische Wicht,
Daß er vergebens länger seufze nicht!
Und meine Phyllis, eine blühnde Maid,
Säße verschämten Blickes mir zur Seit',
Wenn süß Geflüster uns die Zeit vertrieb –
Wie lieb sie mir – und bin auch ich ihr lieb?
Nicht ängstet sie's, wenn sie mein Arm umschließt,
Noch schrickt sie auf, wenn sie mein Kuß geküßt!
Wie sehr ich euch, o meine Unterthanen,
Beneid' um euer Glück, könnt ihr nicht ahnen,
Um all' die heitre Lust am flücht'gen Nu,
Der Tage stillen Lauf, der Nächte Ruh,
Um Kirchweih, Jahrmarkt, Schützenfest im Walde,
Und um den Maibaumtanz auf grüner Halde!

»Ein Vater heut vor seiner Hütte stand,
Ein Bauersmann, der ärmste wohl im Land;
Anstarrt' er mich, als ich vorbei geeilt,
Und sehnsuchtsvoll mein Blick auf ihm geweilt:
Ach, säß' ich doch, gleich ihm, und schaute, wie
Pausbäckige Kinder klettern mir aufs Knie!

»Kein Kind mehr, schon ein Mann ist jetzt mein Sohn
Und bald mir folgen wird er auf den Thron.
Was ich vermocht, ihm Gutes einzusenken,
Um weise seines Volkes Loos zu lenken,
Das that ich; edel ist er, liebevoll,
Er haßt der Ränke Spiel, des Schmeichlers Zoll;
So ungestüm, wie meins nicht, wallt sein Blut,
Empfindsam ist er nicht, und doch voll Gluth;
Gewandt im Waffenspiel, furchtlos im Streit,
(Gewiß errang er den Turnierpreis heut), –
Ein ritterlicher Prinz, der, ehrentfacht,
Dem Ruhm der Ahnen keine Schande macht.
Das ist er jetzt; doch ach! wer sagt mir an,
Was er, wenn ich dahin schied, werden kann,
Wenn ihm der Freund und Pfleger ward entrissen?
Weh mir, mein Sohn! wer kann das Ende wissen?
Wenn ich mein Leben überschau', erbleicht
Die Wange mir, und Thrän' um Thräne schleicht
Sich in mein letztes, einz'ges Flehen ein:
Mögst du beglückter als dein armer Vater sein!

»Beglückt! Ach, wer ist glücklich je auf Erden?
Der Mensch ist elend seit dem ersten Werden;
In Nacht empfangen und erzeugt in Pein,
Tritt weinend er ins Weh des Lebens ein;
Schwach wie die Blume – Wer verheißt, ob blühn
Die Menschenknospe wird, ob welk verglühn?
In Schlaf sind lang geschlossen seine Lider,
Und wacht er endlich auf, so weint er wieder!
Und jetzt beginnt die ew'ge Jagd nach Glück;
Erst findet er's mit leicht zufriednem Blick
In jedem Spielzeug, sei's ein Glöckchen nur,
Ein Büschel Unkraut, eine Perlenschnur,
Ein buntes Bilderbuch, ein Hampelmann –
In Allem, was er fassen, greifen kann;
Doch kurz nur ist das Lustgejauchz des Kleinen,
Denn in das Lachen mischt sich gleich das Weinen!
Die Jugend kommt, und wie die Kindheit schwand,
Hat auch die Jugend bald sich fortgewandt;
Ihr bischen Glück ward kaum gekannt, gepriesen,
Wenn nicht verkannt gar, schmählich fortgewiesen!
Doch klüger wird das Mannesalter sein,
Es wird sich reifern, höhern Zielen weihn;
Unmöglich, daß das Glück uns dann entrinnt,
Es kommt gewiß, wenn wir erst Männer sind!
Der Eine sucht im Becher seine Lust,
Gift trinkt der Andre an des Weibes Brust,
Der giert nach Ruhm, und Jener sammelt Geld –
Nach Einem trachten Alle in der Welt,
Und Alle äfft und täuschet hinterrücks
(Ach, mich nicht minder!) das Phantom des Glücks!

»O Schatten, stets enteilend unserm Blick!
Das Kind schaut vorwärts, doch der Mann zurück.
Zurück zur Jugend flieht jetzt unser Sehnen,
Auf ihre Urne strömen unsre Thränen;
Zurück zur Kindheit, die – es wird uns klar
Zu spät – nicht weit von Edens Thoren war!
Nie, was uns beut der Gegenwart Geschick –
Vergangnes oder Künft'ges nur ist Glück!

»Wer könnte glücklich sein in einer Welt,
Wo Staub der Mensch ist, und zu Staub zerfällt?
Sein Herr nicht, sondern Sklave der Natur,
Mit jedem Schritt dem Grab sich nähernd nur!
Von Krankheitsstoff ist ihm die Luft erfüllt,
Jetzt schüttelt Krampf ihn, jetzt das Fieber wild;
Der Sommer ist zu heiß, der Winter meist
Zu frostig ihm; der Körper zehrt den Geist,
Der Geist den Körper auf, ihn nicht besiegend,
Zu alten Leiden stets noch neue fügend!
Und was an Menschen rings sein Blick gesehn,
Die auf der Lebensbühne mit ihm stehn:
Wie hohl ihr Herz, wie schaal ihr Denken, Wollen,
Wie kläglich spielen All' sie ihre Rollen!
Ihr Lieben phrasenreich und rasch verloht,
Ihr Hassen unbefriedigt bis zum Tod;
Die Macht erschleichen sie durch Täuschungskunst,
Schmarotzer, buhlend um der Stunde Gunst;
Voll Lug und Trug, Undank und Frevelmuth,
Habgierig, grausam – Alles, nur nicht gut,
Die schlimmsten Teufel selbst, in Höllenpein
Schon lebend hier – O sagt, wer kann hier glücklich sein?

»Und endlich nun das Alter! Graues Haar,
Durchfurchte Stirn – Nichts blieb, was einstens war!
Die letzte Krankheit dann, die Todesstunde,
Der stiere Blick, der röchelnde Ton im Schlunde,
Der Sinne träg Erschlaffen, stumpf und taub,
Des Herzschlags Stocken – nur ein Klumpen Staub
Anjetzt! – die Füße, die sich schnell geregt,
Die schuld'gen Hände – Alles unbewegt,
Still, kalt und reglos – eine starre Leiche,
Genoß des Wurmes im Verwesungsreiche,
Staub, Asche, Nichts! – Und glücklich doch dabei?
Zeigt mir den Wicht, der prahlet, daß er's sei!
Er lebt nicht – menschlich war' nicht sein Geschick,
Denn nimmer reimen je sich Tod und Glück!«

So sprach bei sich der arme Königsgreis,
Müde der Lebensnoth voll Angst und Schweiß,
Erdrückt von dem Geheimniß, das zu kennen
Er glaubte, und das Menschensein wir nennen.
Wie ein Gequälter auf der Folterbank
Zusammenbricht, geknickt, gebrochen, sank
Er auf ein Ruhebett, das nahe stand,
Und barg das Antlitz schmerzlich in die Hand.
Dann fiel das thränenlose Aug' ihm zu,
Und ihn umfing beglückte Schlummerruh,
Todähnlich fast. So fand die Dienerschaar
Ihn auf, im Nachtwind flatternd wirr sein Haar.

Krank sei der König, hieß es Tags darauf.
Die Nachricht machte durch die Stadt den Lauf,
Doch wenig nur beachtet; regelweis
Ging Alles weiter im gewohnten Gleis.
Auf prächt'gem Bett der kranke König lag
Im Schlafgemach, verdunkelt vor dem Tag;
Ein Arzt, derselbe Leibarzt, stand daneben,
Der ihm der Kön'gin Tod, des Prinzen Leben
Zuerst gemeldet; auch der Prinz, zwar bleich
Und ernst, doch wie die Jugend hoffnungsreich.
Sein Vater frug: »Den Preis ersiegtest du?« –
»Ja, Majestät, doch fiel er mehr mir zu
Durch Zufall, denn als meiner Fechtkunst Lohn.« –
»Bald fällt ein andrer Preis dir zu – der Thron.«
»Erhalte Gott dich lang!« – In dumpfem Brüten
Seufzt' er zurück: »Das wolle Gott verhüten!«

»Dem König geht es schlechter!« sagte man
Am andern Tag, und theilnahmvoll begann
Das Volk nach seiner Krankheit jetzt zu fragen:
»Was fehlt ihm denn? Was mag der Doktor sagen?«
Der aber wußte, wie im Bücherschrank
Er auch studirte, nur: der Fürst ist krank;
Der Grund davon, die Kur ward ihm nicht klar,
Obwohl er ein berühmtes Lumen war.
Zu seinen Büchern drum zurückgekehrt,
Erforscht' er, was Hippokrates gelehrt,
Cardanus, Paracelsus und Galen,
Der Heilkunst hochgelehrte Koryphä'n,
Latwergen, Pillen, Pulver, Tränke brauend,
Heut dem und morgen jenem Kraut vertrauend.

»Der König liegt im Sterben!« ging die Kunde
Am dritten Tage still von Mund zu Munde;
Ein Jeder brachte neuen Lobspruch dar,
Wie glücklich seine Herrschaft Allen war.
»Wißt ihr noch, wie vor sieben Wintern er,
Als uns die Hungersnoth gedrückt so schwer,
Sein Silber einschmolz, um uns Brot zu schaffen,
Ja, selbst die Krone und die prächt'gen Waffen
Verkaufte, uns zu retten vor dem Tod?« –
»Gott segn' ihn, ja! Und als die Pest gedroht«,
Begann ein Zweiter – »(ich vergess' es nie,
Das böse Jahr, denn meine Annmarie
Starb damals auch, Gott schenk' ihr sel'ge Ruh!)
Wer sprach so gütig und beherzt uns zu,
Wie er, der für uns sorgte Nacht und Tag,
Als fast die halbe Stadt dem Tod erlag?
Angst und Verzweiflung steckten Alles an,
Vom Gatten floh das Weib, vom Weib der Mann,
Vom Kind die Mutter, achtend nicht sein Schrein,
Todte und Sterbende ließ man allein.
Doch er – wo fändet solchen König ihr? –
Er ging von Haus zu Haus, von Thür zu Thür,
Arzt, Pfleger, Freund; zur ärmsten Hütte schritt
Er hin, zu trösten, wer am Fieber litt;
Die brennenden Lippen netzt' er ihm mit Wein,
Und sprach – der Bischof spricht so schön und fein
Im goldgestickten Kleid zu Ostern nicht,
Wenn er ob aller Welt den Segen spricht.
Kein König, ach! war besser je und lieber!« –
Dann gingen sie zu andern Dingen über;
Der plauderte von Felix' Jugendzeit,
Von seiner Glocke Jener (weit und breit
Bekannt war Allen diese Königsgrille),
Warum sie nie doch unterbrach die Stille,
Selbst nicht am Sieges- oder Hochzeitstag,
Noch als ein Sohn ihm auf den Armen lag!
Drauf wandte zu der Königin man sich,
Wie schön und gut sie war, wie früh erblich;
Dann zu des Prinzen männlicher Gestalt,
Wie hübsch das goldne Haar sein Haupt umwallt.
»Welch bessern König könnt' uns Gott verleihn?
O mög' er glücklich, wie sein Vater, sein!«

Felix inzwischen welkte Tag für Tag
Dem Tode rascher zu. Kein Wogenschlag
Des Lebens klingt vom uferlosen Strand,
Zu dem fortebbend seine Seel' entschwand.
Die hohle Wange fahl, und spitz das Kinn,
Die schmalen Hände lang und weiß und dünn,
Durchfurcht von blauen Adern, hoch und breit;
Die Augensterne groß und starr und weit,
Die unter meist geschloßnen Wimpern ruhn,
Wie Todte unterm Leichenlaken thun!
Und ach, wenn endlich sich die Wimper regt,
Von leisem Schritt und liebem Wort bewegt –
(Vielleicht der Prinz war's) – welch ein seltsam Licht
Entglühte dann den Augen, irdisch nicht,
Nein, grausig, wild, – als blickten stier und stumm
Die Todten sich in Grabgewändern um!
Er sprach nicht, regte sich nicht stundenlang;
Zur Wand gekehrt das Antlitz schwer und bang,
Schlief er im Dunkel, oder schien zu ruhn,
Und »Agnes!« schluchzend jäh erwacht' er nun!
Vom Schlaf gemieden, träumt' er dann von Ruh,
Die Hände faltend, und die Augen zu,
Und mit den Füßen, ach! den steifen, kalten,
Das weiße Betttuch ziehend in stramme Falten,
Bleich, reglos, starr – ein Anblick, schreckerfüllt,
Als sei er seines Steinsargs Deckelbild.
Vergebens schlug der Arzt in Büchern nach,
Aus denen nur für Todte Weisheit sprach,
Geschwätz von Thoren, die gescheit sich nannten,
Und weder Krankheit doch, noch Heilung kannten.
Vergebens wechselt' er die Medicin,
Dem Reich der Erde und der Luft entliehn,
Geheimnißvolles Gift, mit Kunst gebraut,
Bei Mondlicht abgepflücktes Hexenkraut –
Was auch der König einnahm, ach! es bot
Ihm Heilung nicht, und, seltsam! auch nicht Tod.
Der Kranke sprach: »Gebt's auf! Ich sag' Euch frei:
Die Zeit, wo Tränke hülfen, ist vorbei.
Ihr kennt nicht meine Krankheit, schwer zu heben.« –
»Was meint Ihr, Herr?« – »Die Krankheit ist das Leben.« –
»Dafür giebt's keine Heilung.« – » Eine nur.« –
»Ach, Vater, sprich nicht so!« Dem Sohn entfuhr
Der Schmerzensruf, und Thränen strömten dicht
Hernieder auf sein traurig Angesicht.
»Kein Grund zu weinen, Kind, ist dir bescheert:
Das Leben, nicht der Tod, ist Klagens werth;
Wein' um dich selber, nicht um mich! Denn Pein
Ist's, daß du leben mußt – und König sein!«
Hier macht' ein Diener seine Reverenz,
Der Bischof warte... »Seiner Eminenz
Vermelde – ehrfurchtsvoll, wie sich's versteht, –
Er sei zu früh gekommen, und zu spät:
Zu früh, mich zu begraben; mich zu retten,
Zu spät! Doch morgen wird der Tod mich betten
Ins kühle Grab – dann folg' er mir zur Gruft!
Genug von ihm! daß Keiner eh'r ihn ruft! –
Wer richtet mich im Bett empor? Ich weiß,
Ich quäl' euch sehr.« Sein Haupt erhob der Greis,
Und zärtlich küßte ihm das Silberhaar
Der Prinz, der aufgelöst in Thränen war.
Da saß er nun, ein jammervolles Bild,
Aufrecht im Bett, von Kissen dicht umhüllt,
Unter des seidnen Baldachins Azur,
Und neben ihm hing dicht der Schicksalsglocke Schnur!

»Blick' auf, mein Sohn!« der Sterbende begann.
»Was kommt, ertrage muthvoll wie ein Mann.
Ich thu's, und that's; mich siehst du nimmer beben;
Den Tod zu scheun, weiß ich zu Viel vom Leben;
Viel Bittres drängt sich auf die Lippen mir –
Doch wozu sagt' ich's, sagt' es gar zu dir?
Du siehst das Leben nicht mit meinem Blick,
Noch macht dich klug mein thörichtes Geschick.
Jugend bleibt Jugend, wie das Alter schmäht;
Auch ihr kommt einst Erfahrung, doch zu spät!
Und weßhalb sollt' ich dir, dem Guten, Lieben,
Der Jugend Lenz mit künft'ger Sorge trüben?
Nein, wahre dir den frischen Lebensmuth
Wie ein zu bald enteilend Gnadengut;
Sei glücklich im Genuß des Augenblicks –
Denn ich erlebte keinen Tag des Glücks!
Erschrick nicht, frage mich nicht nach dem Grund –
Die Zeit entflieht zu schnell – einst wird dir's kund.
Nur so Viel laß dir sagen: hätte ich
Je glücklich können sein, so wär's durch dich,
Den ich geliebt – fast heiß genug zu Zeiten,
Um meine stumme Glocke froh zu läuten!
Du trägst die Krone morgen – Nimm sie nun,
Und mag sie leichter auf der Stirn dir ruhn,
Als mir! (Schau her, wie bleich mein Haar und dünn!)
Denn, ach, ein Dorn ist jeder Stein darin!
Bedenke wohl, was ich dir eingeprägt –
(Gern hätt' ich mehr dir noch ans Herz gelegt!) –
Des Königs Pflichten – wie er für und für
Muß gut und weise sein, – wie ungleich mir!«
»Ach, Vater!« rief der Prinz und sah ihn an
Ehrfürcht'gen Blicks, »du bist der beste Mann.
Wär' ich nur halb so gut!« – »Sei besser, Sohn! –
Doch horch! Was hör' ich da? Es klingt ein Ton
Wie Rennen straßenab und straßenauf
Und vieler Stimmen leis Gesumm herauf.« –
»Es ist dein Volk, Herr, welches drunten ruft,
(Macht auf das Fenster, ihr dort, schafft ihm Luft!) –
Sie hörten, wie du krank, und wollten gern
Noch liebend grüßen den geliebten Herrn.« –
»So liebt mein Volk mich?« – »Wie! du zweifelst noch?« –
»Gut! Das ist, wenn auch Glück nicht, Etwas doch.«
Er schloß das Aug', es sank sein Haupt gemach,
Dann regte leis die Lippen er, und sprach:
»Tritt näher – so! – nun gieb mir deine Hand! –
Wenn Einer fortgeht in ein fernes Land,
Gleich mir, so tröstet's ihn, wenn bis zuletzt
Ein Freund, ein Sohn sich an sein Lager setzt!
Denk freundlich mein, wenn ich geschieden bin,
Und schreib als Namen auf mein Denkmal hin:
» Infelix«, nimmer » Felix« – ach, mein Sohn,
Das wär' für mich ein Epitaph voll Hohn! –
Doch, ha! mir ist, als sei ich diese Nacht
Aus einem seltsam wüsten Traum erwacht;
Das Räthsel meines Lebens klärt sich auf;
Ein Etwas – wär' es Glück? – hebt mich hinauf,
Und Musik hör' ich!... Bist du's, der da sprach?
Was glänzt dort? Sieh!« – Sein Wort verhallte schwach
Und starb dahin, indeß sein Auge weit
Sich dehnte, starrend durch die Dunkelheit
Nach einer Lichtgestalt, die vor ihm stand.
»Agnes!« – und sterbend griff zur Schnur die Hand;
So ließ er endlich doch die Glocke schallen,
Sein Grabgeläut ihr erster Ton von allen!

 

*

 

Rosen und Dornen

Kind Jesus hatte einen Garten,
      Voll Rosen roth von seltnem Glanz;
            Dreimal des Tags begoß er sie,
      Daß einst ihm draus ersteh' ein Kranz.

Als sie nun voll erblüht im Garten,
      Rief er der Juden Kinder her;
            Ein Röslein pflückte Jedes sich,
      Bis daß der Garten kahl und leer.

»Wie willst du deinen Kranz nun winden?
      Kein Röslein mehr dich heut umsprießt.«
            »Doch ihr vergeßt«, so sprach er drauf,
      »Daß ihr mir noch die Dornen ließt.«

Die Dornen nahmen sie und flochten
      Draus seinem Strahlenhaupt den Kranz,
            Und statt der Rosen blinkte dort
      Von Tropfen Bluts der dunkle Glanz.

 

*

 

Stumme Lieder

O könnt' ich singen, was da ruht
      In mir bei Tag und Nacht!
Es müßt' ein Saitenspiel von Licht
      Begleiten seine Pracht.

Wohl tausend süße Melodien,
      Erzeugt in Lust und Schmerz,
Zum Liede mahnend täglich ziehn
      Bezaubernd mir durchs Herz.

Doch möcht' ich einer Worte leihn,
      So höhnt sie meine Lust,
Und läßt mich schweigen, mit dem Dorn
      Der Musik in der Brust.

 

*

 

Zwei Bräute.

Zwei Mädchen sah ich im Dome,
      Voll Reiz und Lieblichkeit;
Die Eine im Hochzeitsgewande,
      Die Andre im Todtenkleid.

Der Priester sprach den Segen,
      Dumpf scholl der Hymnen Laut;
Die Eine fürs Leben dem Leben,
      Dem Tod ward die Andre getraut.

Im Brautbett lagen dann Beide,
      Umwallt von Blüthenduft;
Die Eine in fröhlichem Schlosse,
      Die Andre in friedlicher Gruft.

Am Morgen erwachte die Eine
      In einer Welt voll Pein;
Doch glücklicher viel war die Andre,
      Die schlief für ewig ein.

 

*

 

Im Harem.

Der Duft von glühndem Sandelholz
      Durchwallt umsonst die Luft;
      Denn heißre Gluth füllt mir das Hirn,
Den Sinn ein süßrer Duft.

Preß deine Lipp' auf meine fest!
      Nicht sei dem Kuß gewehrt,
      Bis daß mein Herz die Süßigkeit
Des deinen all geleert!

Der Garten tönt von Saitenklang,
      Hell blinkt des Mondes Strahl –
      Doch wir, den Sternen gleich, zergehn
In Wolken süßer Qual!

 

*

 

In trüber Zeit.

Ich leide mit all deinen Schmerz,
      Als wär' er mehr denn eignes Leid;
      Denn todt ist meiner Liebe Zeit,
Doch deine lebt, ob trüb das Herz.

Vermöcht' ein heiß Gebet von mir
      Zu retten dich von deinem Loos:
      Ich wollte gern des Himmels Schooß
Bestürmen, bis er gnädig dir.

Doch ach, vergebens steht der Mund –
      Des Menschen Schicksal ist bestimmt;
      Im Kelch der Trank des Todes schwimmt,
Er muß ihn leeren bis zum Grund.

Umsonst ist jedes Wort. Von mir
      Ist's mehr noch eitel; denn mein Herz
      Hat längst nur Thränen noch im Schmerz,
Und diese biet' ich reichlich dir.

 

*

 

Lied.

Die Jugend liebt und schwöret Treu'
      Der Lieb' bis an den Tod;
Sie denkt nicht, daß die Zeit entflieht,
      Daß Liebe je verloht.

Das Heut vergeht, der Morgen kommt,
      Jed' Unkraut ist noch da;
Doch ach, kein Morgen sieht ein Herz,
      Wie er es gestern sah!

So weint nicht mehr, wenn Lieb' entfleucht!
      Sogar der Haß zerstiebt –
Da jedes Herz, das heute haßt,
      Schon morgen wieder liebt.

 

*

 

Der Dämon der Musik.

Es lebt in der Musik
      Ein Dämon der Nacht;
Er webt in der Töne
      Berauschender Schlacht –
Er lacht, wenn sie wimmert,
      Er seufzt, wenn sie lacht!

Den Dämon der Musik
      Trifft Leid ohne Wahl;
Er sehnt sich nach Nicht'gem,
      Verlornem zumal –
Er weiß, ach, zu wohl nur:
      Das Leben ist Qual!

O Dämon der Musik,
      Dein Loos ist wie meins!
Ich fühlt' es und fühl' es:
      So bitter ist keins –
'S ist das Räthsel des Lebens,
      Verlorenen Seins!

 

*

 

Vöglein.

Vöglein zwitschern um mein Fenster
      Wundersüße Melodein;
Täglich häng' ich aus mein Bauer,
      Doch kein Vöglein fliegt hinein.

Also zwitschert mir's im Hirne
      Von Gedanken Tag für Tag –
Aber in des Liedes Bauer
      Zieht nicht ein ihr Flügelschlag!

 

*

 

»Für Herzen, die sich lieben.«

Für Herzen, die sich lieben, giebt
      Es Sünde nicht und Schuld;
Des niedern Standes Macht zerstiebt
      Vor ihrer Liebe Huld.

Sie sind Gesetz sich selber nur,
      Fremd jeder andern Pflicht;
Das Wahngesetz der Erdenflur
      Bezwingt, erschreckt sie nicht.

Drum sagt mir nimmer: »Liebe beugt
      Sich eitler Mächte Wort« –
Denn jeden Fehl des Liebsten scheucht
      Der Liebe Lächeln fort!

 

*

 

Am Strande.

1.

Du las'st am Strand 'ne Muschel auf,
      Bekränzt mit moos'ger Zier:
»Die Muschel wird dir, wenn ich schied,
      Noch flüstern stets von mir.«
Ich küßt' am Strand die weiße Hand –
      So freundlich warst du mir!

Die Muschel halt' ich an mein Ohr,
      Sie murmelt dumpf und schwer:
Vom Meer wohl flüstert sie zu mir,
      Doch, ach, von dir nicht mehr.
Ich schreit' am Strand und ball' die Hand
      Du bist mir freund nicht mehr!

2.

Drunten am Ende der dunklen Stadt
      – Jahre, Jahre sind's her –
Saß ich mit der Liebsten am Uferhang
      Und blickte hinaus in das Meer.

Der Mond stieg auf am Himmel zur Nacht,
      Glänzend so bleich und hehr;
Wir küßten uns, und schwuren uns Treu' –
      Doch Das sind Jahre her!

Nun wieder trüb in der dunklen Stadt
      Wandle ich hin und her –
Doch ich sitze nicht mehr am verlaßnen Strand
      Und blicke hinaus in das Meer.

 

*

 

»Fort wandelt die alte Welt.«

Fort wandelt die alte Welt
      Ihren ewigen Gang;
Wie die Stimme des Donners schwellt
Durch den Raum ihr Gesang;
      Und die rollende Zeit
      Singt weit und breit
Ernste Lieder voll Weh und Leid!

Tyrannen sitzen auf goldnem Thron,
Sie hören nimmer den Klageton
      Des Volks, sein Winseln und Schrein;
Und hören sie's, dann stören sie's
      Empor zu wilderer Pein.

      Nur wenig Freiheit blieb uns noch;
Dir ist nur wenig Raum bestellt,
O Freiheit, in der weiten Welt!
      Und siehe, bleiben wirst du doch,
            Ob auch verhüllt, umnachtet schwer;
Wirst gleich dem Stern, der Sieg verheißt,
Fortleuchten doch im Menschengeist,
            Der heut nicht heiter mehr.
Dein Leben wahrst du, deine Kraft,
Trotz Folter, Pein und Kerkerhaft,
Nach tausend Kämpfen unerschlafft!
Und jetzt die Stunde siehst du schon,
Die niederschmettert Kron' und Thron,
Da frei der Mensch auf Berg und Fluh',
Und neu die Welt und jung wie du –
O Freiheit, Freiheit, wink uns zu!

 

*

 


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