Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.
Englischer Nachtisch

Die Hochzeit ging geräuschvoller vor sich als Eugenie und Etienne gewünscht, der Marquis regierte, und vor seinem Willen mußten selbst die Pläne des Grafen sich verkriechen. Er hatte wohl auf dem Wege zur Kirche, vielleicht noch in der Kirche selbst, während der Trauung, gegen Friedrich Intrigen gesponnen, denn man sah ihn viel und geheim mit dem Hofmarschall von Kurz sprechen; aber bei der Tafel war auch jede Spur eines Planes gegen den großen, einzigen Monarchen aus seiner Seele verschwunden, denn dieser selbe Monarch war plötzlich ungeladen und unerwartet in den Hochzeitssaal getreten, hatte die Braut begrüßt und den Bräutigam, seinen Kammerherrn, wiederholentlich einen seiner bravsten Offiziere genannt. Der Besuch hatte nur wenige Minuten gedauert, denn der König war nur im Vorbeifahren auf dem Wege nach Potsdam ausgestiegen, aber der Marquis meinte, seit diesem Besuche zittere das ganze Haus von dem Auftreten der königlichen Füße, natürlich vor Freude, und dies gab ihm Veranlassung, das Haus später niederreißen und ein prächtigeres Hotel an dessen Stelle aufführen zu lassen.

Noch ist nicht zu vergessen, daß sich am Morgen des Hochzeitstages ein Mann von seltsamer Figur in der Küche eingefunden, der mit einer erhitzten Miene, wie der Diener sagte, den Marquis von Cabanis zu sprechen verlangt, indem er ihm Wichtiges mitzuteilen habe. Der Marquis hatte die Porzellantasse beinahe fallen lassen, als er aufsprang, um den Angemeldeten zu suchen; als indes Etienne, auf Eugenies Erinnern, ob dem alten Manne auch nichts begegnet sei, nacheilte, fand er, daß der Mann, der ihn hatte rufen lassen, ein wenigstens ebenso alter Mann sei, der, eine weiße Schürze sich umbindend, die kleine wollene Mütze schon auf der Glatze, also halb italienisch, halb deutsch vor dem Marquis perorierte. »Allerdings, Signore Marchese, er hat ihn gelesen, den Guiccardini so gut wie den Macchiavell, und den Montecuculi hat er studiert, das ist so wahr als diese Erde unter mir einbrechen soll, wenn ich eine Lüge über die Lippen bringe, und zehntausendmal das Dach über mich einstürzen, wenn ich kein katholischer Christ bin; wo hätte er ohne unsere großen italienischen Kapitäne, ohne unsere ausgezeichneten Strategen eine Schlacht geschlagen! Vor Roßbach hatte er den Guiccardini in der Tasche und las, wie wir den Pisaner am Trebbia schlugen. Nun Zug für Zug ebenso kommandiert – hier die Batterie vor, dort die Grenadiere in Sturmschritt, nun die Reiterei auf den Flügel. Eingehauen! Und wo's ihm fehlte, frisch das Buch aus der Tasche. Und es ging; so ging's immer, aber warum ging es immer so? Man kann auswendig kennen vom Julius Cäsar bis zum Montecuculi alle Schriftsteller, die über Strategie geschrieben, Silbe um Silbe, Buchstabe um Buchstabe und doch keine Schlacht liefern, von der ein italienischer Kapitän sagt: das ist eine. Denn warum? Spiritus gehört dazu! – Und woher kommt dieser Spiritus ihm in die Adern? Vom Vater etwa oder von der Großmutter? Schlägt man mit den Sprüchen einer alten Großtante ein Heer altgläubiger Christen? Nein, Signore Marchese, das hieße die Heiligen gelästert.« Er zog den Marquis in die Ecke, damit die Leute in der Küche es nicht hörten: »Friedrich ist Katholik,« flüsterte er ihm mit verzerrter Feierlichkeit ins Ohr. »Wie sollte ein Genius wie er, ein Sieger, ein Stern am Himmel, ein Meteor an der Sternenbahn, wie sollte der große Friedrich, heilige Mutter Gottes, ein Protestant sein! Er ist ein heimlicher Katholik – heimlich von wegen seines heidnischen Volkes und der heilige Vater hat ihm Absolution erteilt – er braucht nicht in die Messe zu gehen, nicht den englischen Gruß zu machen, er braucht nicht Weihwasser, nicht den Rosenkranz, auch nicht die Heiligen anzurufen, es ist ihm erlaubt, nicht alles zu glauben, er darf ein Freigeist sein, so viel er will, weil in so ganz außerordentlichen Fällen man gern nachläßt, – das kann der Papst, der Papst kann alles, – aber ein römischer Katholik ist er, so wahr an dieser Hand fünf Finger sitzen und auf dieser Glatze einst ein Wald wie Simsons wuchs, denn erstens hat er römisch-katholische Generalissimi mit ihren Armeen total geschlagen, das kann kein Ketzer; zweitens baut er der heiligen Hedwig eine Kirche – und dicht an der Großen Oper, es gibt keinen schöneren Platz in diesem ganzen ketzerischen Lande! – Und was für eine Kirche, eine Kirche, daß Sankt Peters Dom in Rom sich dagegen verkriechen wird wie eine Hundehütte, und drittens geht er in kein protestantisches Bethaus. Friedrich der Große, mein großlauchtiger, einziger, herrlicher König und Imperator, auf dessen Scheitel, wenn es nach Verdienst ginge, drei Kaiserkronen glänzten, ist Katholik, oder die Erde sollte mich verschlingen bis in den Mittelpunkt, wo die eiskalte Hölle ist.«

Das war aber nicht das Wichtige, weshalb der Logenschließer Caseri den Marquis herausrufen lassen. Denn er beschwor ihn, – nicht ohne ihn den Ehrentag des jungen Marchese Etienne, der sein Schüler gewesen, der von ihm gelernt, was Taktik sei, florentinische Sprache, und eine reine Küche, zu begehen. Darum hatte er noch, ehe Friedrich von ihm kanonisiert wurde, den Rock ausgezogen, die Schürze umgebunden und dem Marquis bewiesen, daß die Polentapastete, wie sie auf König Viktor Emanuels Hochzeitstisch aufgetragen worden, von keinem Koch in der Welt so bereitet werden könne, wie von ihm, und daß keine Hochzeit eines italienischen Edelmanns würdig gefeiert werden könne ohne eine solche Polentapastete.

Diese Pastete gab dem Marquis bei der Tafel viel Veranlassung, über den Mais- und Reisbau, über Ostindien und China, das Land der Brahminen, die Wahrscheinlichkeit des Zusammensturzes des Reiches des Großmoguls und einen Handelsweg durch Asien zu sprechen. Die Traurede aber hatte der junge Prediger Merans, zur großen Erbauung aller Zuhörer, besonders seiner näheren Familie, gehalten, und der Marquis versicherte, wenn er so echt evangelisch getraut worden wäre, so wäre er nie auf den Gedanken gekommen, katholisch zu werden.

* * *

In der Familie Cabanis hat sich das im vierten Buche erwähnte Gedicht Ramlers erhalten. Der Dichter selbst hat wahrscheinlich nie, auf keinen Fall aber eine neunjährige Feile daran gelegt. Im Gegenteil darf man annehmen, daß mehrere jüngere Mitglieder der Familie, die sich selbst mit Poesie beschäftigt und zur romantischen Schule geschworen, hie und da sich Veränderungen und Zusätze in ihrem Sinne erlaubt haben. Ausmachen läßt sich nicht, was darin ursprünglich von dem großen Dichter herrührt, und was durch Spätere und Schwächere hinzugekommen, da das Manuskript von Ramlers Händen verloren gegangen. Ramler selbst würde das Gedicht, wie es sich im Laufe der Jahrzehnte zu folgendem gestaltet hat, schwerlich anerkennen und war deshalb der Biograph der Familie diese Vorbemerkung den Manen des berühmten Sängers schuldig.

* * *

Empor, empor!
Zur Sonne, mein Adler,
Zeus' Blitze tragender!
Im klaren, lichtblauen Äther
Ist dein Gebiet –
Rüstiger schwinge die Fittich,
Blicke sie scharf an,
Schüttle des Donnergotts
Waffen auf die verwegenen,
Dunkelgefiederten Geier.
Nur nicht rückwärts,
Mein Adler!

O mein entzücktes Auge
Folgt dir zum Sonnenstrahl –
Näher und näher,
Mein junger Adler
Dem leuchtenden Helios!
Bade dich droben
Über dem Opferdampf
Schwacher Sterblichen
Im ewigen Lichtmeer
Jünglingsfrisch, –
Du hast gesiegt.

Wehe, mein Auge wird trüb –
Ist das Opferdampfs Qualm? –
Gewitterstürme toben,
Um dein Felsennest raucht es.
Sind es tückische Jäger?
Spanne die Flügel,
Aufwärts, mein Adler,
Lange rastender,
Deine Brut ist flügge,
Du lehrtest sie prüfen
Auch in Orkanen die Fittich.
Aufwärts zur Sonne –
Nur nicht rückwärts,
Mein Adler!

Viktoria! O entzückender Blick!
Wie du sicheren Schwunges
Mit dem strebenden jungen Geschlechte
Dahinrauschest
Über die dunkle, rauchende Erde
Auf alter Bahn
Empor zur Sonne.
Ja, mein Adler, du bist es
Zeus' Bote,
Erstgeborenes Kind
Des lichtgetränkten Äthers –
Nur nicht rückwärts, mein Adler!

Wie des Dädalus Sohn
Erborgter Fittich
Schmolz an Helios' Strahl,
Stürzen die falschen Adler
Von deinem Blick getroffen,
An den Klippen zerschellt
Deines Adlerhorstes,
Und in des Weltbrands
Zehrender Glut
Sengt ihre Kraft.
O nie rückwärts,
Mein Adler.

* * *

Wer nun birgt noch
Dem sehnsuchtsvoll harrenden
Jungen Geschlechte
Der heitern Sonne
Leben zeugenden Strahl?
Weggerollt sind die Donner –
Ist das Opferdampf, neuer,
Qualmt Staubwolkenwirbel,
Und es atmet Moderduft –?

– Wer sind die bleichen Priester?
Aus uralten Gräbern
Hebt mit Schauergesängen
Versteinerte Leichen
Auf die Altäre
Des jungen Menschengeschlechtes
Zitternd ihr frevelnder Arm:
Weihrauchopfer zu spenden
Lebende – Mumien –
Wehe, wehe!
Nur nicht rückwärts!

Rückwärts! Rückwärts!
Krächzt aus Felsenschluchten,
Aus Efeu umwobenen
Turmspalten,
Aus gesprengten,
Ruhig schlummernder
Ahnen, Grüften,
Rückwärts! krächzen
Scharen nächtlicher
Eulen – hu, wie die Nachtvögel
Schaurig singen: –

       »Wer aus Edens
      Lachenden Gärten
      Vertrieb deine Väter, –
      Wer lieh Ikaros'
      Wächserne Flügel –
      Wer ließ trotzig
      Phaethon steigen
      Auf Phöbus Wagen? –
       Frevelnder Vorwitz!
      – Kind des Staubes!
      Nimmer zur Sonne
      Dringt – an der Wiege
      Verdammt zur Scholle –
      Das Kind des Staubes!
      Rückwärts, rückwärts!«

Königlicher Aar!
Hörst du sie, schwankst du?
Deine Fittiche rasten inmitten Himmel und Erde –
Höre sie nicht
Die dunkeln Stimmen
Nachhall nur, dämonischer,
Untergegangener Erdengeschlechter.

Ninive sank und die hundert
Thorige Thebe,
Auch Persepolis; nimmer
Wölben noch einmal
Goldene Bogen sich
Über den goldenen
Pfeilern Palmyras,
Und kein Taucher
Aus des Okeanos Wogen
Fischt die versunkene Atlantis.

Um Ägyptus Porphyrsäulen
Rauscht Jahrtausende
Der Pharaonen Gesang,
Den höre:
      »Ewige Schlösser
      Türmte gen Himmel,
      Ewige Menschen
      Schuf unser Wahn! –
            Wo ist der Könige
            Strahlende Stirn nun,
      Wo ist der Weisheit
            Beredter Mund,
      Wo ist der Schönheit
            Lachendes Auge? –
      Such' dir im bunten,
      Gekneteten Lehm
            Ewige Weisheit,
      Such' in der Mumien
      Graunvollen Zügen
            Ewige Schönheit.
      Wandrer im wüsten
            Glühenden Sande,
      Komme und kaufe hier
            Ewige
            Könige!«

Jahrtausende hallt
Um die Pfeiler Ägyptens
Der Pharaonen Gesang:
      »Gib wieder der Erde
      Was Erde gewesen.

Des alten Kronion
Geschlechter vergingen,
Den jüngeren Göttern
Gehört die Welt.
Laß ruhn das Verweste!«

* * *

Von jüngeren Göttern
Entsprangst du, mein Adler,
Längst rissest du los dich
Wie vom Stahle der Funken,
Von des alten Kronion
Versunkenem Reich.
Auch die goldenen Säulen
Im Saal des Saturnus
Mattrostig verglimmt,
Hochgerühmt einst ihr Glanz
Vor Phöbus Apollons Frühmorgenstrahl.
Rubin- und demantene
Hallen erbaut dir
Die goldene Zukunft,
Dort winkt, nicht aus Grüften,
      Das Ewige dir.

Mit den Strebenden schreite
Festsicheren Trittes –
Nur die Stürmenden stürzen –
Nur Fabel war's, lehrt uns
Errungene Weisheit,
Daß Ikaros' Flügel
Die Sonne geschmolzen.
Wer mit hellklarem Blicke,
Vertraun in dem Busen,
Mit leuchtendem Willen,
Nicht die Flügel belastet
Von der bleiernen Schuld,
Fliegt sicheren Fluges,
Den tragen sie aufwärts
Zum Himmel der Götter
Und denen geziemt nur –
– Dem Irdischen nimmer –
Zum Staube zu rufen:
»Bis hier und nicht weiter!«

      Nur nicht rückwärts,
      Mein Adler!

.


 << zurück