Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.
Eine Kapitulation

Wohl war das Unternehmen ein Wagestück gewesen, und mühsamer als der, welcher dasselbe geleitet, es der Freundin erzählt hatte. Die Offiziere legten viel Gewicht darauf, und die Herbeischaffung der beiden Kassenwagen, wozu das ganze Dorf seine Pferde hergeben mußte, zeigte an, welche Schwierigkeiten man zu überwinden gehabt, sie mitten aus Feindesland auf gar keinen oder sehr verdorbenen Wegen, halb heimlich, halb mit Gewalt so weit herzuschaffen. Große Strecken Weges hatten die Husaren absitzen und ihre eigenen Pferde vorspannen müssen. Sie erzählten mit Stolz davon und rühmten die Ausdauer, den Mut, die Klugheit ihres Anführers. Etienne war zum zweitenmal, wenigstens auf einen Tag, der Held des Gespräches in diesem Schlosse. Was sächsischen und preußischen Blutes war, begegnete ihm mit Auszeichnung, Männer wie Frauen, und selbst der Kammerherr wurde von dem Fräulein genötigt, dem Offizier seine Bewunderung auszudrücken: »Wenn man nicht mutig ist,« hatte sie ihm zugeflüstert, »muß man wenigstens so tun, als halte man was Außerordentliches darauf, und dann zuckt man geheimnisvoll die Achseln, als verböten uns geheime Rücksichten, es selbst zu sein.«

Nur der Graf konnte Freude nicht einmal heucheln. Blasser als sonst ging er durch die Säle und ließ sich wie erschöpft im Armsessel nieder. Das Rasseln der schweren Geldwagen tue seinen Nerven weh, sagte er zur Komtesse, die doch auch kaum den Schein der Teilnahme erzwingen konnte. Er sah ihr verdrießlich nach, wie sie am Arm des Leutnants umherging, und hatte doch nicht den Mut, ihr mehr zu sagen, als daß er sie heut noch vor Tische allein sprechen müsse. Der General, der es gehört, äußerte mit schlauer Miene: »Das werden gewiß frohe Mitteilungen werden, die ich hinter der Tür horchen möchte, wenn das Horchen in einem Schlosse erlaubt wäre, wo so feine Sitte herrscht.« Zu dem Paare, das durch die Rede des Alten nicht gerade erfreut schien, wandte er sich dagegen mit nicht minder schlauer Miene: »Wenn der alte Herr heute mittag einen bösen Geist zitiert, so habe ich einen anderen in petto, und die Komtesse kennt mich als guten Beschwörer. Darum Mut behalten, meine jungen Freunde.« Die Ermahnung schien für beide nicht nötig.

»Was sorgen Sie nun wohl eigentlich?« fragte Amelie, lange nachher vor den Grafen tretend. Er saß wie vorhin im Lehnstuhl und musterte umschichtig die Nägel an seiner linken Hand. »Suchen Sie einen Eingang oder einen Ausgang?«

»Fräulein Naseweis täte gut, auf den letzteren zu denken, wenn es ihr bei uns nicht mehr gefällt,« entgegnete der Graf, ohne sie anzusehen.

»Gefällt es meinem gnädigen Oheim und Vormunde, in dem Tone mit mir zu reden, so werde ich auch in dem Tone zu antworten wissen,« sprach sie und rückte einen Stuhl nicht ohne Geräusch heran.

Der Graf machte große Augen, als sie sich vor ihn hinsetzte und fragte, ob sie ihn aus dem Schlosse zu weisen gedächte.

»Ich nicht, aber jemand anders könnte es tun. Es ist Zeit, daß wir uns verständigen, um endlich den richtigen Ton zu lernen, der sich zwischen uns schickt, lieber Oheim. Solange ich klein war, war das gut; nun aber bin ich groß, und das schickt sich nicht mehr. Mein teuerster Onkel weiß nicht, wie ich manche Tränen im stillen vergossen, wenn Sie mich wie ein Aschenbrödel beiseite schoben. Alles aber hat seine Zeit. Und zumal will ich jetzt nicht mehr wie ein Kind oder wie eine dienende Verwandte behandelt werden, für die alles gut genug ist, sondern als Dame vom Stande und als Nichte und Mündel des Grafen Meroni!«

»Seit wann sind Sie denn aus einem Kinde – das – was Sie belieben – geworden? Es ist wohl sehr kürzlich erst geschehen?«

»Seit ich hinter den Türen, wohin man mich plazierte,« hub sie artikulierend an, als leide der Onkel an Taubheit, – »seit ich daselbst mehr gehorcht, als ich wollte. Seit ich weiß, daß mein teurer Oheim mit dem Kommandierenden drüben in Korrespondenz ist und den Kaiserlichen alles meldet, was hier passiert –«

»Stille, um des Himmelswillen,« fiel der Graf ein.

»Seit ich jüngst gehört,« fuhr nichtsdestoweniger das Fräulein wie oben fort, »daß er auch von dieser Kassenexpedition Wind bekommen und darauf sofort einen Expressen –«

»Sind Sie rasend –«

»Das nicht, teurer Oheim, aber habe ich Ihnen nicht neulich vertraut, wie nahe mir das Schicksal des Königs von Preußen geht? Und ich stände nicht dafür, daß nicht mein Gewissen mich einmal antriebe –«

»Liebes Kind, ich bitte Sie, wir werden uns verständigen,« fiel der Graf ein.

»Sehen Sie, das wußte ich ja gleich, mein teurer Oheim. Sie haben so viel Verstand, um das Wohl von Staaten und Potentaten sich zu kümmern, also auch um einzusehen, daß ich in der unterdrückten Lage wie bisher nicht bleiben kann.«

»Ich will ja mit meiner Tochter sprechen.«

»Sie sind ein sehr guter Mann. Also, da wir uns verstehen, so wollen wir fürs erste den König Friedrich beiseite setzen und von einer Heirat sprechen –«

»Einer Heirat?«

»Ja, und zwar eine, zu der Sie Ihre Einwilligung geben sollen.«

Der Graf richtete sich mit einigen Anzeichen, daß er noch Ansprüche auf das Recht, einen Willen zu haben, mache, in die Höhe: »Welche Ansprüche, liebes Kind, kann dieser ewige Leutnant auf die Hand meiner Tochter machen?«

»Davon ist nicht die Rede. Ihre Tochter, die Komtesse, wird sich schon von selbst den Mann verschaffen, nach dem sie Lust hat. Ist sie und der Leutnant einig, so wüßte ich nicht, was andere Leute dagegen anfangen wollten, wenn sie einig bleiben. Aber ich rede hier von mir, und ich wollte mir Ihre gütige Zustimmung erbitten zu dem Entschluß, den ich gefaßt habe, zu dem ernsten Schritt, den ich tun will. Ich will mich nämlich verheiraten.«

» Sie haben den Entschluß gefaßt?«

»Ja, ich gehe in kein Frauenstift.«

»Und Sie haben – man hat Sie gewählt? Je eher, je lieber.«

» Nein, ich habe gewählt.« Sie hielt das Taschentuch ans Gesicht. – »Ach, mein teuerster Oheim, ich wäre ja die undankbarste Kreatur, wenn ich noch länger die Augen verschließen wollte gegen die Aufmerksamkeiten des Baron von Kurz. Man werfe alles, was man will, unserem Geschlecht vor, aber auch das Grausamsein hat seine Grenzen. Wenn wir solche rührende, innige Anhänglichkeit sehen, muß auch ein Herz von Stein zuletzt weich werden. So geht es Ihrer armen Nichte, lieber Oheim. Ach, was hatte ich nicht gehofft, daß nichts dies Herz überwinden sollte, und anfangs ging es auch, aber was der Baron tut, das geht doch allzuweit. Es ist erstaunlich! Ach, der gute Kammerherr, den ich so lange verkannt habe!«

»Fräulein, sind Sie toll, auf den zu spekulieren?«

»Freilich, lieber Oheim, sage ich mir, daß sein Verstand nicht der schärfste ist, auch sein Witz ist nicht brillant, im Gegenteil, er ist recht dumm. Aber, lieber Oheim, wissen Sie nicht, daß ich mir eigentlich immer einen dummen Mann gewünscht habe? Und der Wunsch wurde mir deutlicher, je mehr ich Sie kennen, beurteilen und schätzen lernte. Nein, sagte ich mir, alles in der Welt, nur keinen klugen Mann, für den du dich ängstigen mußt, wenn er spekuliert und Pläne macht; für einen dummen Mann da intrigierst du und machst du Pläne, und er braucht nicht zu intrigieren und nicht sich zu ängstigen. Und dann, ist es nicht Christenpflicht und Nächstenliebe für gescheite Leute, sich der Dummen anzunehmen? Kann daher eine gescheite Frau etwas Edleres tun, als sich einen bornierten Mann zu wählen, für den sie dann als Vormünderin in der Welt auftritt? Darum, lieber Oheim, halte ich meine Heirat für keine Mesalliance.«

»Der Teufel auch –« fuhr der Graf selbst erschreckend über den Verstoß auf. »Der Kammerherr und Mesalliance, der das Majorat geerbt hat! Ist der Kammerherr bei Sinnen?«

»Wenn Sie nicht blind waren, lieber Oheim, so müssen Sie gestern abend gesehen haben, daß er von Sinnen war, nämlich aus Leidenschaft zu mir. Sahen Sie denn nicht, wie er mich auffing, als ich in Ohnmacht fiel! Nein, da gelobte ich mir's, als ich das Auge aufschlug und in sein bekümmertes blickte: du willst ihn glücklich machen. Ich wäre mehr als barbarisch, wenn ich den Dienst ihm je vergäße.«

Verdrießlich hatte sich der Graf zurückgelehnt: »Und was hat er denn gelobt?«

»Er hat mir auf den Knien Treue geschworen. Darauf, wie Sie wohl denken mögen, kommt es mir nun eigentlich nicht an: aber die Sache hat nun ihre Richtigkeit und ich komme zur Hauptsache.«

»Was ist das?«

»Können Sie zweifeln, was das ist?« erwiderte sie mit aller Weichheit und Süße, deren ihre Stimme fähig war und rutschte vom Stuhl auf die Knie. »Ihren Segen, teuerster Mann, zu unserem Bunde.«

»Meinethalben, wenn er« – ein Narr ist, schwebte auf der Zunge, aber er milderte es in: – »wenn er will.«

»Darauf kommt es ja gar nicht an, lieber Oheim. Wenn ich ihn will, so müßte das ja ein Wunder sein, wie Sie selbst gestehen werden, wenn er nicht wollte. Er will, er muß wollen, er hat gewollt und er wird wollen. Das ist abgemacht und abgetan, da ich die Sache reiflich überlegt habe und nicht glaube, daß ich mich noch anders besinnen kann. Aber nun kommt das andere mit dem Segen.«

»In Gottes Namen, meinen vollständigen Segen, Fräulein.«

»Was meinen Sie unter vollständig?«

»Und was meinen Sie unter Segen, Fräulein?«

»Das heißt, wieviel kriege ich mit?«

Der Graf wollte aufstehen und fort. Mit freundlicher Gewalt drückte sie ihn in den Lehnstuhl zurück: »Nicht doch, lieber Oheim, solche Fragen eignen sich am besten unter vier Augen.«

»Fräulein Unverschämt!«

»Ei, das Wort paßt nicht, mein teuerster, väterlicher Freund. Wenn Sie mich lieber: Fräulein Torheit! Fräulein Eitelkeit! nennten, denn es ist eigentlich albern, Geldmitgift zu verlangen, wenn man einen reichen Mann heiratet, den man des Geldes wegen nimmt. Aber unverschämt ist das nicht, denn ich will das Geld nicht für mich, sondern für Sie. Wünschen Sie, mein Vormund, daß ich wie ein Bettelfräulein in die Kirche fahre mit dem abgelegten Putz Ihrer Gräfin Tochter angetan, wünschen Sie, daß, während alle Welt weiß, mit welcher aufopfernden Liebe Sie mich wie Ihr eigenes Kind auferzogen haben, daß nun dieselbe Welt erstaunt fragte: Was hat sich da zugetragen? Zieht der Graf seine Hand zurück? Ist der Graf ein Knicker? Sehen Sie, darum, nur Ihres eigenen Ansehens wegen, wünsche ich es, und ich will es, weil ich mir vorgesetzt habe, mit einer hübschen Ausstattung unter die Haube zu kommen. Nennen Sie mich also lieber Eigensinn als Unverschämt.«

»Fräulein Eigensinn, wie hoch stehen denn Ihre Wünsche, wenn man fragen darf?«

»So hoch als ich wünsche, daß Ihr Ansehen stehen bleiben soll. Den Rechenmeister wollen wir ein andermal rufen.«

Der Graf erhob sich etwas: »Ich will Ihnen dreihundert Taler zur Aussteuer zahlen lassen.«

»Dreihundert Taler! Ach, mein teuerster Oheim, wenn ich allein es wäre, dreihundert Pfennig wären genug, sobald ich weiß, daß Ihre Liebe sie mir gibt. Aber es gilt Ihr Ansehen, Ihre Familienehre. Mein teurer Oheim darf nicht wie ein Knicker vor der Welt erscheinen, niemand soll von Ihnen verleumderisch sagen können, daß Sie mich minder geliebt als ein Oheim seine Nichte lieben muß.«

»Sechshundert Taler und nun lassen Sie mich ungeschoren.«

»Sie belieben zu scherzen. Es würde sich von selbst verstehen, daß man unter sechstausend Taler Ihnen unter allen Umständen für Knickerei auslegte.«

»Was – sechstausend Taler!«

»Mein Gott, wie Sie mich anfahren! Es geschieht ja nur Ihretwegen, Sie wissen, wie unerfahren ich in dergleichen Dingen bin. Aber sechstausend Taler wäre doch das allermindeste – nein, wenn ich recht überlege, zehntausend – das allergeringste, was Sie einer als Tochter geliebten Nichte und Mündel aussetzen können, die einem Kavalier ihre Hand reicht, der einmal Ihr Vertrauter war, und die selbst von allen Ihren Staatsgeheimnissen – bis auf die letzt, Herr Graf – so unterrichtet ist, daß sie – davon Dukaten prägen kann. Verstanden, mein teurer Oheim? Sie sehen, die Ehre Ihrer Familie erheischt es, daß Sie großmütig sind, und ich habe es mir einmal in meinen kleinen Kopf gesetzt, daß Sie großmütig sein sollen, und wenn ich mir auch nichts daraus mache, so will ich mir doch mein Mütchen kühlen, und Sie sollen und müssen und werden die Großmut selbst sein. Auf Wiedersehen, mein herzinniggeliebter Oheim, Vormund, Vater. Glücklich die Kinder, welche so vorurteilsfreie, vernünftige, liebende Väter haben, mit denen sich ein Wort sprechen läßt.«


 << zurück weiter >>