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Viertes Kapitel.
Die Cour

Etienne betrachtete sich lächelnd in dem goldumleisteten Trumeau, wie er aus den Händen des Friseurs und Schneiders hervorgegangen, die glänzende Armeeuniform, die Schoßweste darunter und die weißen Kniestiefeletten über den Kaschmirhosen. Er dachte, indem er die gekräuselten Locken hinterm Ohr und den langen Zopf betastete, an die Cousine Stephanie. Aber das Lächeln verging ihm, als sein Blick auf dem Pudel ruhen blieb, der wie steif und tot zu seinen Füßen lag.

»Gottlieb!« rief er. Der Hund hörte nicht. Er mußte den Ruf wiederholen und ihn am Ohr zupfen, ehe er sich aufrichtete.

»Willst du auch Trauer spielen, ehrlicher Totenwächter,« sprach er zu ihm. »Ich bin nun dein letzter Herr und du sollst nicht traurig sein; ich befehle es dir.« Der Hund schüttelte die Ohren und schnappte spielend nach seiner Hand. »Es war nicht mein Vater; aber es war sein Vater und deshalb meinst du, soll ich auch Trauer anlegen und kein Hochzeitskleid?«

Die Tür flog auf und der Marquis im reichsten goldbordierten Galakleide stand im Zimmer: »Wissen Sie schon, mein Vater,« rief ihm Etienne entgegen, »daß wir die Hochzeit doch aufschieben müssen. Ich ahnte gestern abend wohl, als beide Väter so unerwartet einig waren in einem phantastischen Entschluß und beide Kinder schwiegen und die Häupter senkten, daß auch ein dritter – es ist nun auch ein Vater – Einspruch tun könnte!«

»Alles weiß ich,« sagte der Marquis, »Hochzeiten und Begräbnisse dürfen nicht zusammen gefeiert werden, bei keinem Volke der Welt; die Engländer sagten sogar, man muß keine Hochzeit ausrichten mit dem Abhub vom Leichenschmause, was die Irländer nicht so genau nehmen, als billig ist. Allein billig ist es, daß wir warten. Warten schadet nichts, Pläne reifen durch Geduld, die Zeit ist nie verloren, für einen, der sie zu nutzen weiß. Ich war bei deiner Braut; sie tröstet sich.«

»Sie sprachen vermutlich den Wundarzt?«

»Ich kenne ihn von alters; ein ehrenwertes Exemplar, zu Land- und Seedienst geschickt, von unerschütterlichem Geistesgleichmut. Ich möchte ihn nach Amerika haben. Überhaupt tüchtige Leute, einige Köpfe noch nach Amerika, und es müßte ein Staat werden voll Männer, bieder, streng, arbeitsam, ohne Vorurteil, das erste Gesetz: nützlich sein.«

»Es war ein streng rechtlicher Mann, mein Vater,« unterbrach ihn Etienne. »Sein grader Sinn wußte sich nicht zu fügen in die gewundenen Wege, die ihn das Schicksal führte. Er stieß sich daran, und er hat doch auf der Welt etwas geliebt – seinen Sohn. Es ist rührend zu hören, was mir der Feldscher von seinen Träumen erzählte. Dem verstandeskräftigen Mann, der kein Geheimnis, kein Wunder gelten ließ, trat überall das Gespenst seines Gottlieb entgegen, es kratzte nachts an die Tür, es setzte sich an sein Bette, es klagte ihn an, daß er zu strenge gewesen. Sie unterhielten sich miteinander, der Vater bat flehentlich und bat so lange, bis Gottlieb ihm vergab. Auch im wachen Zustande hatte er diese Vision. Mein Hund hatte den Vater seines alten Herrn wiedererkannt, er hatte sich bei ihm einquartiert. Er kam die Nacht nicht von des Inspektors Bette und es hat den Anschein nach allem, was der alte Chirurgus, der nebenan schlief, gehört, daß er ihn für seinen leibhaftigen Sohn gehalten. Er hat ihn immer gestreichelt und geliebkost, und am Morgen, als man die Tür öffnete, fand man meinen Pudel mit den Vorderpfoten auf dem Bette den letzten brechenden Blick des Alten bewachend. Der Tote hielt noch mit seiner Linken die eine Pfote. – Seine Züge sollen ganz heiter mehr geworden, als geblieben sein.«

Der Marquis schien sich in Erinnerungen zu wiegen. Er würde gewiß, wenn er die letzten Worte gehört, einige Züge von Hunden und anderen Tieren, welche ihren Herrn noch im Tode treu geblieben, vorgebracht haben. Dies mochte Etienne fürchten, als er schnell hinzusetzte: »Ich will ihn selbst noch einmal sehen, ehe sie den Mann, den ich so lange für meinen Vater hielt, in sein letztes kleines Haus tragen.«

Der Marquis erklärte mitzuwollen, er duldete nicht, daß Etienne seinen Hochzeitsstaat ablege, denn in einem Leichenhause werde auch eine Hochzeit gefeiert, die jedem bevorstände, er sei noch so häßlich, noch so arm, alt wie Methusalem, oder ein Kind in der Wiege, eine Hochzeit zu einer Ehe, welche kein Konsistorium und kein Papst trenne, die einmal nur gefeiert werde und dann nie wieder, die Hochzeit mit dem Tode. Auf dem Wege war er still. Beim Anblick der Leiche brach er in Tränen aus und hub eine höchst pathetische Lobrede auf den Verblichenen an, die, anfangs in weit hergeholten Bildern und Gleichnissen umherirrend und springend, im Fortschreiten immer ernster und inniger wurde. Er redete sich selbst in wirkliche Rührung hinein und seine Tränen wurden Wahrheit. Er warf sich auf die Leiche, küßte sie, nannte den Toten einen Mann, der seine Mannes-, Vater- und Ehrenpflicht übernommen, als treuer Knecht verwaltet, und verkannt von der Welt, seinen Kindern und Verwandten, in ein besseres Land scheide. Etienne, selbst tief ergriffen, bemerkte doch mit Schrecken, wohin die Lebendigkeit seiner Einbildungskraft den Marquis zu reißen drohte und unterbrach ihn nur mit Mühe, als er im Begriff war, sein fabelhaftes Verhältnis zum Verblichenen aller Welt mitzuteilen. Die Diensttuenden, der alte Feldscher wurden königlich belohnt und das Leichenbegängnis, zu welchem die entferntesten Verwandten geladen waren, auch die französischen folgten, wurde mit außerordentlichem Aufwande bestritten. Bis dahin war der Marquis einsilbig, traurig; mit diesem Begräbnis schien er einer drückenden Verpflichtung quitt geworden, es freute ihn, daß man darüber rede, es unrecht finde, daß einem Inspektor solche Ehren widerführen und zu Etienne sprach er: »Nun, denke ich, wird sie zufrieden sein!«

Die Restauration der Stuarts, die Capets, ja die ganze alte Welt mit ihren Ehrbegriffen, ihrem Lehns- und ursprünglich freiem Adel, schien über eine neue Idee vergessen. Das Wort Amerika schwebte oft von des Marquis Lippen, er studierte in der königlichen Bibliothek und erzählte der Komtesse mit entzückten Lippen von den stillen, gewerbfleißigen Ansiedlungen in den ungeheuren Urwäldern Nordamerikas, wo nie eines Europäers Axt erklungen, wo es keinen Adel gäbe, keine Titel, keine Orden, wo das Bedürfnis die Menschen auf den Zustand ursprünglicher Gleichheit zurückführe. Und doch freute er sich, als er hörte, daß Friedrich bei der letzten Cour sehr gnädig mit dem Grafen Meroni gesprochen, sich nach seiner Tochter erkundigt und gefragt, wann die Hochzeit sein werde, und geäußert habe, sie bekomme einen braven Offizier zum Manne. Der König hatte sich auch gewundert, das Brautpaar noch nicht bei Hofe gesehen zu haben, und der Marquis ruhte jetzt nicht, bis die Wagen vor der Tür standen, welche den Grafen, seine Tochter und den Offizier zur Cour nach dem Schlosse fuhren, es war der Tag vor der Hochzeit.

Der König stand am Marmortisch inmitten des Glanzes, den sein Land, arm an Gold und Kleinodien, aber reich an großen Namen, den schon das halbe Europa, glückwünschend, über den unerschütterten Helden ausbreitete. Es strahlte um ihn von Brillanten, Ehrenkleidern, Federbüschen, reichen Orden, von stolzen Heldengestalten in den verschiedensten Uniformen, von gewichtigen Diplomaten, von hohen Frauen, in allem überflüssigen Reichtum der üppigen Mode. Inmitten all des Glanzes er der Scheinloseste, ein vernachlässigter Anzug, eine gedrückte Stellung, eine Miene wie der Stoff des Tisches, auf dessen Alabasterplatte sich der müde Sieger stützte. Und doch strahlte er heller als alle. Seine Lippen blieben geschlossen, nur Phrasen, gleichgültige, gedankenlose kamen heraus; aber seine Augen, wenn sie umherflogen durch die bunten Reihen, als suchten sie einen verwandten Blick, trugen die Majestät des Genius, vor dem der Glanz der Brillanten matt, die reichste Farbe bleich, die brennendste Schminke blaß wurde.

Eugenie empfand eine nie gekannte Bangigkeit. Instinktartig trugen sie ihre Knie, Schritt für Schritt, bis das Zeremoniell vorüber war. Sie sah niemand um sich, sie wünschte, es wäre alles vorüber, sie säße schon in ihrer Loge in der Oper. Da klang es ihr in die Ohren: »Es ist die Hofmarschallin von Kurz, die Gattin des sächsischen außerordentlichen Ambassadeurs.« – Eine stolze, hochgeputzte Dame, ihr den Rücken zugekehrt, war in einer lebhaften Konversation mit dem König begriffen. Im reichsten Hofkleide stand in demütigem Ernste neben ihr der ehemalige Herr von Kurz. »Wie lange sich Seine Majestät mit ihr unterhalten,« bemerkte man. »Das ist heute die erste Dame, welche dies außerordentliche Glück hat.« – Jetzt wendete sich die Dame um, und es war niemand anders, als ihr ehemaliges Gesellschaftsfräulein. Ein wohlwollend lächelnder Blick Amelies über dem Fächer winkte die Komtesse heran und Friedrich selbst machte eine Bewegung; der Sieger von Prag und Leuthen hatte sein Auge auf sie gerichtet, er wollte mit ihr reden. Wohin war der helle Blick, die klare Entschlossenheit, die geborene Würde, die sie in jedem Verhältnis zu bewahren gehofft! Sie zitterte nicht, aber das Blut schoß wie ein reißender Strudel vom Wirbel zur Zeh, von der Zeh zum Wirbel. Sie sah Friedrich und nur Friedrich, aber er drehte sich im Kreise mit ihr um, bald kleiner als sie, bald groß wie ein Riese. Erst als er beide Namen nannte, erkannte sie Etienne, ihren Vater an ihrer Seite. Friedrich hatte gelächelt; er hatte zu ihr einige freundliche Worte gesprochen, mehr wußte sie sich nicht zu entsinnen, und doch meinten die anderen, er habe lange nicht so freundlich mit einer Dame gesprochen.

»Einer Ihrer Militärs, Durchlauchtigster Herr,« entgegnete Amelie auf eine schmeichelhafte Bemerkung des Königs, »hat sie uns weggekapert. Eigentlich sollte mein Gatte sie auch unter der Liste der sächsischen Reklamationen aufführen, und als sächsisches Eigentum zurückfordern, indessen fürchtet man sehr bei uns in Dresden, wenn wir alle die Sächsinnen reklamierten, welche Ihre Tapferen gebunden und gefesselt mitgeführt, möchte so viel preußische Neigung mitkommen, daß es lauter Rebellion im Lande gäbe.«

Friedrich erwiderte im selben scherzenden Tone etwas davon, daß, als seine Generäle bei Trommelklang die heiratslustigen Sächsinnen hatten aufrufen lassen, das halbe schöne Sachsen den preußischen Martissöhnen zugelaufen wäre, und daß, wenn sie nicht schnell zur Retraite hätten blasen lassen, ganz Sachsen in Gefahr gewesen, alle seine heiratbaren Frauen zu verlieren. »Man hätte zeigen müssen,« setzte er hinzu, »daß die Preußen auch galant sind und ihren Nachbarn nicht alles Schöne fortnehmen wollen.«

Zu Etienne gewandt, hob er den Finger und sprach: »Ihm mache ich's zur absonderlichen Pflicht, die Untertanin unseres Nachbars gut zu halten, sonst gibt's Reklamationen von drüben, und Er will doch nicht, daß ich nochmals Krieg haben soll von wegen einer Dame.«

»Sire,« entgegnete die Hofmarschallin, tief sich verneigend: »Unsere Helden wurden längst stumme Pygmäen in Ihrer Gegenwart, aber seitdem Sie die eine Dame besiegt, wo darf noch irgend eine andere in der Welt Rettung von dem starken Arme hoffen, als im Wörtlein Gnade.«

»Welche Dame?« fragte der König, die Antwort ahnend.

»Fortuna.«

Es gibt Momente, wo auch ein großer Mann von einem Alltagskomplimente geschmeichelt wird. Friedrich wollte sich abwenden, er wandte sich aber noch nicht ab. Es war so glatt, so kalt bis da gewesen, Puppen waren an ihm vorübergegangen, er hatte mit ihnen gesprochen und sie nicht gesehen, kaum gemerkt. Er fühlte sich wohltätig berührt von etwas; Fortuna, die gesetzlose, die uneroberte Jungfrau, spielte mit ihm und denen bei ihm. Friedrich musterte die Dame, den Offizier, und es schwebte etwas von Wohlwollen um die Lippen, aber die Worte eines Friedrich durften kein direkter Widerhall davon sein. Es wäre ihm vielleicht lieb gewesen, wenn Etienne gesprochen hätte; aber er schwieg und der Monarch mußte die Worte hervorholen:

»Will Er noch immer Krieg?«

»Sire, in Gedanken mit jedem, der zweifeln kann, daß mein erhabener Gebieter etwas anderes als Frieden wünscht.«

»Ich glaubte, um Ihn zu kontentieren, müßten alle Potentaten sich immer in den Haaren liegen. –«

»Das Zeugnis des Gewissens, seine Schuldigkeit getan zu haben, muß den Mann zufrieden stellen.«

»Er hat sich brav gehalten,« sagte der König, »aber Er taugt doch nicht fürs Militär; Er denkt immer daran, Feldmarschall zu werden, und es kann nicht jeder General sein.« Etienne schwieg, der König hob den Fuß, aber noch einmal winkte er ihn zu sich: »Der Kastellan in Charlottenburg hat mir referiert, daß Er daselbst die Göttin Viktoria, als sie plünderten, mir salviert hat. Das ist brav von Ihm, sehr brav. Mir ist das Stück sehr lieb. Verstanden. Nun kann Er sich eine Gnade dafür ausbitten. Bitte Er!«

Etienne stand betroffen still. »Sire,« stammelte er, »ich weiß nicht, um was ich mehr bitten soll, wenn Sie mir Ihre Gnade schenken.«

»So ernenne ich Ihn zu meinem Kammerherrn, und die Ausfertigung soll Er gratis haben. Versteht Er mich, Er braucht nichts für zu bezahlen. Er kommt doch auch in die Oper?«

Der Monarch war gegangen, Etiennes Stirn glühte; die ihn kannten, sagten: zufrieden mit sich. Es war ein Sieg des Moments. Er zählte die Schnallen-Winkel auf den Schuhen des Grafen, der ihm die Hand drückte, die Hofmarschallin von Kurz embrassierte nicht ohne Pathos die Komtesse und sprach zu den Damen umher: »Das ist unsere liebe, gute Cousine, von der ich Ihnen erzählte. Wer durfte hoffen, daß Ihr gerechter, Ihr großer, Ihr einziger König so schnell, so gutmütig Ihrer tugendhaften Liebe den Kranz aufdrücken würde. – Und Sie, mein würdiger Kammerherr, vergönnen Sie mir, Ihnen an diesem feierlichen Orte meine aufrichtigsten Glückwünsche abzustatten. Sie werden glücklich sein, das weiß ich, Sie werden meine kleine, liebe, teure Cousine glücklich machen, darauf vertraue ich; ich binde sie Ihnen auf die Seele; Sie lieben, aber Sie kennen noch nicht ganz den Schatz, den Sie gewonnen. O, aber der Segen, die Mitgift dieses Königs sei mir eine Bürgschaft von der ewigen Dauer Ihrer Neigung. Ja, vergessen Sie nie, meine Liebe, daß es dieser König war, der Ihren Bund geschlossen.« Dann noch einmal Eugenie feierlich in ihre Arme drückend, flüsterte sie ihr ins Ohr: »Nach der Oper.«

Beim Hinausgehen wurde Eugenie in einem der Treppenappartements durch einen königlichen Lakaien aus ihren Träumereien aufgeschreckt, der plötzlich ihrem Vater um den Hals fiel, dann ihr, dann Etienne, dann ihr nochmals und sich wie toll, aber toll vor Freude, herumdrehte. »Ich habe alles mit angehört,« rief der Marquis von Cabanis, denn dieser steckte in dem von Silberschnüren und Borten strotzenden Kleide, »alles habe ich vernommen. Er war ein Richter, ein König, ein Gott. Das kann nur Friedrich, Friedrich allein. Mein Sohn Kammerherr, den Degen hat er dir abgesprochen, aber er wird ihn dir wieder zusprechen, er wird mir Satisfaktion geben, oder ich müßte nicht Aloysius Xaver von Cabanis heißen. Nach der Oper sehen wir uns wieder. Ich höre ihn.« Er stürzte nach den inneren Appartements.


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