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Zweites Kapitel.
Das Geständnis

Der Horizont rötete sich schon im Osten, als sie einschlief; die Nachtigallen sangen ihr noch lange den Namen, den sie zuletzt in ihr Gebet geschlossen, ins Ohr – es war der Name Friedrich. Es war noch früher Morgen, als sie die Augen aufschlug, und das Morgenrot hatte duftend die schneeweißen Vorhänge ihres Bettes durchdrungen. Kein so holder Geist, als dieser Rosenschein, war der erste Anblick, als sie die Gardine zurückschlug und auch rot angetan in seinem goldbordierten Scharlachrock, der Marquis von Cabanis vor ihrem Bette saß.

Der seltsame Mann hatte sich seit dem letzten Gespräch, welches die Glocke zur Mittagstafel unterbrach, nicht wieder im Schlosse gezeigt; man war aber schon so an sein plötzliches Kommen und Verschwinden gewöhnt, daß sein Anblick, außer der ersten Überraschung für die noch Schlaftrunkene, nichts Befremdendes hatte.

»Wohl geruht, Komtesse,« hub er, seine Lektüre unterbrechend, an. »So früh auf hatte ich Sie mir nicht erwartet.«

»So wenig als ich Sie, Herr Marquis, an der Stelle meines Kammermädchens. Haben Sie, ich bitte, die Gefälligkeit und rufen mir dieses; dann stehe ich ganz zu Diensten.«

»Zu dem, was ich Ihnen zu sagen habe, braucht es keines Kammermädchens. Betrachten Sie sich, als wären Sie hier zu Hause, meine teuerste Tochter, ich will mit dem Wichtigsten, mit der Überraschung anfangen.«

»Ich betrachte das schon länger so,« erwiderte lächelnd Eugenie.

»Das ist sehr gut. Gegen Ihre Erziehung läßt sich auch nichts im Grunde einwenden. Meine Einwendungen gegen Etiennes Wünsche bezogen sich auch auf ganz andere Dinge. – Ach, Ihre Mutter, Komtesse, war ein vortreffliches Wesen. Aber es ist doch gut, daß sie tot ist, denn durch die Schule der Ungezogenheit, durch den Widerstand gegen die Erziehung, die Ihnen geworden, mußten Sie sich bilden. Sie waren ein höchst ungezogenes, eigensinniges Kind. Wären Sie aus niederem Stande gewesen, hätte man die Rute nicht aus der Hand legen dürfen. Aber neben der Leidenschaftlichkeit – Sie haben mich sogar einmal gebissen – war doch eine gewisse Pfiffigkeit prononziert. Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen von klugen Kindern, die ans Unglaubliche streifen, aber was mich mehr wundernimmt, ist, wie Sie noch so vernünftig klug geworden sind, da Sie früher so sehr altklug waren.«

»Wenn nur, teuerster Marquis, Ihr Unwille nicht einmal wieder erwacht, daß ich Sie einst gebissen habe.«

»Mein liebstes Kind, darauf können Sie sich verlassen und ich bin ja eben deshalb jetzt hier. Hier ist die eine Urkunde mit Ihrem Vater, hier die andere für Sie – der Justitiar und sein Aktuar haben die ganze Nacht sitzen und schreiben und siegeln müssen, denn ich habe dergleichen Geschäfte gern bald ins reine gebracht. Da ich Goldsand auf die Tinte streute, flogen die Federn. Hier, liebe Eugenie, nehmen Sie die Dokumente, die Sie versichern sollen –«

»Daß Sie mir den Biß vergeben haben?«

»Nein, das ist die Schenkungsurkunde. Ich schenke Ihnen erb- und eigentümlich, jedoch mit der fideikommissarischen Sukzession für Ihr siebentes, kommt es nicht bis dahin, für Ihr drittes Kind, dieses Schloß nebst der ganzen Herrschaft, Hofediensten, Hutung und Jagdgerechtigkeiten, wie es im Erburbar eingetragen.«

»Dies Schloß, liebster Marquis, das gehört ja meinem Vater.«

» Gehörte! Bis gestern um Mitternacht. Da habe ich es ihm abgekauft, er kann mit dem Preise zufrieden sein, und hier ist die Schenkungsurkunde, wodurch ich es Ihnen als Brautgabe übermache. Bleiben Sie daher ruhig im Bette liegen, Sie sind in Ihrem Eigentum.«

Eugenie blickte ihn und die großbesiegelten Pergamente mit Verwunderung an. Es schien doch mehr als Scherz.

»Wir wollen doch nun einmal sehen, ob Ihr Vater noch der Meinung ist, daß er seine Tochter mit dem Sohne eines Bettlers verheiratet. Drei Güter noch wie dieses und ich frage: Was kosten sie? Wollen Sie das Geld bar auf den Tisch?«

»Sie sind ein großmütiger Vater,« sprach Eugenie, und reichte ihm die Hand.

»O, lassen Sie mich erst restituiert sein. Dann will ich in Berlin selbst auftreten, daß die Steine und Mauern davon erzählen sollen. Ich kann Läufer halten, so gut wie der König von Preußen, in Sechsen fahren, so gut und besser als jeder Reichsfreie, Scheidemünze kann ich prägen, mir eine Leibgarde besolden, und meinen Hut lüfte ich vor der Majestät aber nicht mehr. Nein, und wenn er noch einmal den Stock aufheben sollte, noch einmal die weißen Zähne in dem kirschbraunen Gesicht zeigen, noch einmal so die Augen rollen lassen, daß die kleine Prinzessin zitternd hinausläuft, ich stehe fest und rufe ihm ins Gesicht: Schlagen Sie zu.«

»Mein Gott, was ist geschehen?«

»Was geschehen ist! Haben es Ihnen die Berliner Steine und Ziegel nicht zugerufen? Und er wollte mir keine Satisfaktion geben – er nicht, er liegt bei den Toten, und die Toten werden ihm gesagt haben, daß ein Burggraf von Hohenzollern nicht allzu gnädig herabzusehen braucht auf einen Markgrafen von Cabanis. Schild für Schild, Handschuh für Handschuh! Aber sein Sohn, der seines Vaters Schulden nicht bezahlen will. Was antwortete er? Wenn ich Lust hätte, mich mit ihm zu schießen, brauchte ich ja nur unter die Kroaten zu gehen. Mich dünkt, er wird mich gemerkt haben bei den Kroaten. Ich war auch in der Krim, bei dem Khan. Warum hat er seine Tataren nicht geschickt? Warum kommen die Türken nicht, die er gerufen hat? O, und wenn er den Großmogul angerufen hätte und den Kaiser von China, ich bin ein alter, gebrechlicher Mann, aber die Schande ist ein Lebenselixier und er hätte nach mir in Delhi und in Peking fragen können, wenn der Großmogul ihn sitzen ließ.«

»Mein Gott, was konnte Ihnen der edle König von Preußen tun?«

»Der Tote? O, Komtesse! Die Mißhandlung ist abgeschüttelt, aber die Antwort, die Antwort! da liegt's. Ich forderte Friedrich Wilhelm und er antwortete mir, ich solle mir erst höhere Hacken machen lassen, daß ich zu ihm raufreichte.«

»Wie kamen Sie aber dazu, ihn zu fordern?«

»Soll ich es Ihnen haarklein erzählen, wie er – mich gemißhandelt? Nein, da soll die Decke über mir zusammenstürzen, ehe ein Wort über meine Lippen kommt.«

»Ich wünschte nur das Motiv zu wissen; aber Sie haben recht, es ist unbescheiden von mir, danach zu fragen.«

»Weil ich katholisch geworden war!« fuhr der Marquis auf. »Weil ich katholisch geworden, da, Fräulein, haben Sie das Motiv. Der Mann hatte kein Einsehen, daß ich es werden mußte. War ich es mir nicht schuldig, nicht meinem Sohne, nicht meinen großen Ahnherren, die bis zu den Merowingern reichen? Ich war es geworden, das hatte ich bei mir zu verantworten; im wiedergewonnenen Besitz aller meiner Stammgüter kehrte ich nach Berlin zurück und präsentierte mich dem Monarchen, dessen Vater meinen Vater aufgenommen hatte. Danken wollte ich ihm für die Gefälligkeit in galanter Sitte und dann meine Gattin in die Heimat meiner Väter führen. Aber der Monarch vergaß mein Recht und sein Recht, wie einen abtrünnigen Untertan fuhr er mich an. Ich fühlte mich, ich antwortete ihm in demselben Tone. Das Podagra fuhr ihm in den Leib – ich flog die Treppe hinunter. O, warum hatte er den Lustgarten niederhauen lassen, daß kein Schatten war für einen, der die Nacht suchte. Die helle, helle, brennende Mittagssonne schien auf einen Geschändeten, Entehrten, seines Adels Beraubten. In die Kloaken hätte ich fliehen mögen und ein Schwamm mit allem Wasser der Spree hätte nicht die Schmach von mir abgewaschen.«

»Ich kann mir wohl vorstellen, mein lieber Marquis,« sagte Eugenie, »daß der leicht in Jähzorn gebrachte Monarch, der nicht so frei dachte wie sein großer Sohn, in Harnisch kam, als er hörte, daß Sie vom protestantischen Glauben abgefallen, ich will auch glauben, wenn Ihre Einbildung, teuerster Mann, nicht mitgespielt hat – daß er sich vergessen hat, allein wie lange ist das nun her! Das ist auch vergessen, wie kann es Sie noch kümmern.«

»Komtesse, wissen Sie, wie lange es her ist? – Seit mein Sohn Etienne geboren worden.«

»Wohl, lieber Marquis, und wieviel Kriege liegen dazwischen; haben die Weltbegebenheiten den kleinen Unfall in Ihrem Gedächtnis nicht ausgelöscht?«

»Klein,« rief der Marquis und eine Träne quoll ihm aus dem Auge, während er mit immer bewegterer Stimme fortfuhr: »Klein nennen Sie den Unfall, Komtesse, der den Stern meines Glückes auslöschte, der meine Hoffnungen begrub, aus einem reichen, angesehenen Manne mich zu einem Flüchtlinge machte, aus einem Gatten zu einem Witwer –«

»Mein Gott, der König erschlug doch nicht Ihre Gemahlin, oder tötete der Gram, der Schreck Etiennes unglückliche Mutter? Nein, das kann nicht sein.«

»Doch, doch, doch, gnädigste Komtesse, er hat sie getötet, er hat sie gemordet, – aber nur mir, mir allein.«

»Es ist ein wirres Rätsel, lieber Marquis, sprechen Sie.«

»Haben Sie das vortreffliche Weib nie gesehen, hat ihre Stimme Ihnen nie ins Ohr geklungen, o, dann hörten Sie niemals die Stimme einer christlichen Dulderin. Da stand sie vor mir, ich sehe sie noch, in allem Liebreiz der Jugend, der mütterlichen Unschuld, der weiblichen Demut. ›Was ist Ihnen, mein Gemahl?‹ fragt sie und blickt auf meinen herabgerissenen Rock, auf die gestörten Locken, das blasse Gesicht, die rollenden Augen, die zitternden Knie, und ich sollte ihr antworten, daß ich – kein Edelmann mehr war, nicht mehr der große Seigneur, der vor dem bescheidenen Hause ihres Vaters mit sechs Pferden gehalten und indem er fragte, ob man ihm die Hand der Tochter gewähren wolle, dem Hause eine Ehre antat, davon die Grundsteine des Gebäudes noch vor Freude zittern. Ich bin kein Edelmann mehr; meine Ehre ist hin, mein Degen zerbrochen, mein Federhut in den Kot getreten, meine Gattin ist keine Edelfrau, das Kind, das du gebären wirst – hat keinen Schild – fort, Unselige –«

»Sie phantasieren, lieber Marquis, das sprachen Sie nicht zu Ihrer Gattin.«

»Sollte ich sie in die Arme drücken, sollte sie die Gattin eines Gemißhandelten bleiben, sollte ihr Knabe einen Vater haben, der keine Ehre hatte?«

»O Gott, Marquis, welche Verirrung lassen Sie mich ahnen.«

»Hätte ich den Degen ziehen sollen und die Ärmste erstechen? Ich hatte keinen Degen mehr; er hatte mir meinen zerbrochen, die Stücke mir vor die Füße geworfen, mir zugerufen, ich verdiene ihn nicht –«

»Was hatte Ihre arme Gattin schuld?«

»Schuld, Madame, keine Schuld! Sie war rein und sollte es bleiben. Darum sagte ich zu ihr: Sie reichten Ihre Hand dem reichen, hochgeehrten Edelmann. Der Edelmann ist tot, hier ist sie wieder, unsere Ehe ist getrennt.«

»Wahnsinniger Mensch,« schrie Eugenie fast auf. »Sie taten das, man nahm es an, brachte Sie die Gattin nicht zur Vernunft? Es ist unmöglich.«

»Etiennes Mutter war zu gehorchen gewohnt, eine Frau von alter Zucht.«

»Nein, die Familie, die Gesetze, der König hätte Sie Barbaren –«

»Still, Fräulein, fluchen Sie den Glücklichen! Wem tat ich mehr an, ihr oder mir? Ich war ein glücklicher Gatte gewesen. Mein Liebstes, mein Teuerstes riß ich mir vom Herzen, es blutete, aber beim Allmächtigen, es ging nicht anders; ehe daß ich sie mitgeschleppt in der Schmach, wäre ich lebendig in die Gruft meiner Väter gestiegen – die Schmach sollte ich ewig tragen, denn er hatte mir die Satisfaktion versagt. – O, sehen Sie mich nicht so scheu an, Fräulein. Ich weiß, was Sie denken: ich sei aberwitzig. Es dachten damals auch viele Leute so, mich auch überkommt manchmal der Gedanke, es ist aber nicht. Sie denken auch, die Hand eines Königs kann nicht die Ehre rauben, Sie meinen, ich hätte mich darüber wegsetzen sollen. Ei, Fräulein, gesetzt, es käme ein wilder Kriegshaufe, Sie unterlägen der viehischen Gewalt, würden Sie meinem Sohne noch schreiben: ›So komm doch und führe sie heim, deine reine Braut, du mein Herzgeliebter.‹ Nein. Mein Sohn würde schmachten und weinen und anders meinen; aber Sie nicht. Die Ehre ist ein Heiligtum, mit Hieroglyphen steht sie in der Brust des Edlen geschrieben, und die Schrift liest kein anderer, denn er selbst.«

Eugenie verfolgte seine abspringende Rede mit scheuem Blick; sie fürchtete sich fast, und ihn nicht mehr zu reizen, schwieg sie. Ihm entging es nicht.

»Sagen Sie, was sollte ich tun?«

»Sagen Sie mir erst, was Sie getan?«

»Ich ließ mich von meiner Gattin scheiden. Sie mußte beim Konsistorium klagen, weil ich katholisch geworden. Es machte sich.«

»Die Unglückliche!«

»Ich verheiratete sie wieder mit einem Ehrenmanne.«

»Die Unglückselige.«

Der Marquis schwieg, eine Weile vor sich niederblickend. »Sie mögen recht haben,« hub er darauf wieder an. »Sie wurde nicht glücklich. War das nun meine Schuld? Der Mann war brav und kein Edelmann. Es konnte ihn ein König und wer wollte prügeln, er verlor darum nicht seine Ehre, nicht seinen Stand. Also hatte ich sie gesichert. Ich ließ ihr unseren Sohn, ließ sie ihn bürgerlich erziehen, bis die Ehre seines Vaters wiederhergestellt wäre. Konnte ich dafür, daß das Ritterblut in ihm ihn aus dem Bürgerhause trieb? Daß sie den Mann nicht geliebt, ei, sie hatte mich auch nur genommen, weil ihr Vater es wollte. Auch wollte sie ja bürgerlich leben, hinter dem Herde, in der Speisekammer wirtschaften; ein goldbordiertes Sammetkleid auf ihrem Leib, ein Prunkbett kamen ihr sündlich vor, sie hatte, was sie wollte.«

»Ach, du unaussprechlich arme Selige!« brach es von Eugenies Lippen, ein Seufzer, der aus der tiefsten Brust sich Luft machte. Der Marquis schien betroffen.

»Wäre es besser gewesen, Fräulein, ich hätte sie meine Schande teilen lassen?«

»Und wenn man meinen Gatten zum Pranger triebe, ich folgte Etienne dahin,« erwiderte Eugenie.

»Komtesse, ich hätte das arme häusliche Weib durch Asien mit mir führen sollen, meine verlorene Ehre wieder zu suchen!«

»Unglückseliger Mensch!« erhob sie sich. »Sei Ihre Ehre wirklich dahin gewesen, was anders ist die Ehre des Weibes als beim Gatten zu halten, soweit die Spanne Leben reicht! Sie ist ihm zu Glück und Unglück angetraut, mit ihm zu leiden, mit ihm sich zu freuen, nicht um zu fordern und darüber zu wachen, was er ihr in den Ehepakten versprach. Mögen Sie ein Tyrann gewesen sein gegen die Dulderin, was gab Ihnen ein Recht, da als Tyrann sie zu verstoßen, als sie gern mit Ihnen gelitten hätte? Sie armselig Kluger, sich einzubilden, daß Sie ihr eine Wohltat angetan, ihr Los von dem Ihren zu trennen, in dem Augenblick, wo die heiligste Pflicht der tugendhaften Frau erwacht. O, und wenn die Selige Ihnen mit blutendem Herzen, mit rotgeweinten Augen vor allen die Hand gereicht; in dem Augenblicke, wo Sie unglücklich wurden, hätte ihre Liebe angefangen. Alle Süßigkeit des Paradieses wäre ihr nun aufgestiegen, Sie pflegen zu können, den Schmerz zu lindern durch freundliche Worte, durch teilnehmende Gesellschaft. Wie gern wäre sie Ihnen gefolgt durch Nacht und Wind, jede Beschwerde wäre ihr leicht geworden, wenn sie Ihnen dadurch ihre Treue bewiesen hätte. Ich habe die Edle nicht gekannt, aber ich kenne sie in diesem Moment besser, als Sie dies Gemüt zu schätzen gewußt. Ach, ein Engel wäre mit Ihnen gereist; so würde sie für den Gatten gesorgt, so Ihre Grillen durch Sanftmut überwunden, so Ihre Phantasien durch milde Vorstellungen enttäuscht haben. Ja, die Ehre, nach der Sie haschen und nie treffen werden, von ihr geführt, längst hätten Sie sie gefunden, Sie wären ein beneidenswerter Gatte, Etienne, von glücklichen Eltern auferzogen, suchte nicht auf den Irrwegen seines Vaters ein falsches Glück, und sie lebte vielleicht noch, selig in der Seligkeit ihrer Kinder. Da mußten Sie ein Herz zerreißen, grausam, roh, daß es langsam verblutete, das Heil, das Gedeihen Ihres Sohnes aufs Spiel setzen, ein langes Leben verfehlen und sich selbst so unaussprechlich unglücklich machen, daß ich jetzt aus – purem Mitleid Ihnen nicht sagen mag, wie gräßlich, wie abscheulich, wie wahnwitzig mich Ihre Handlung dünkt.«

Eugenie, im Feuer der Rede, hatte nicht beachtet, welche Wirkung sie hervorgebracht. Der alte Mann hielt das Gesicht mit beiden Händen zu. Er weinte und sprach kein Wort, und weinte so heftig, daß der Komtesse abermals bange wurde. Endlich griff er nach ihrer Hand und drückte sie an seine Brust: »Warum das erst jetzt? – Warum sprach nicht damals ein Engel so zu mir? – O, Sie haben recht, ich bin ein Mörder – meines Weibes – meines Sohnes – ein Selbstmörder.« Er fuhr in Anschuldigungen gegen sich fort, bis die Gräfin, aus Erbarmen, oder nur um seine peinliche Nähe loszuwerden, es sich angelegen sein ließ, ihn auf andere Gedanken zu bringen.

»Die Tote ist nun tot. Keine Tränenflut wischt die Inschrift auf ihrem Leichensteine aus und mit Ihrer Lebenskraft rücken Sie ihn nicht fort. Sie war müde. Das Ausruhen tut ihr wohl. Leben Sie nun für Ihren Sohn. Es wird die Dulderin oben freuen, was Sie für ihn tun. Wenn Sie Ihre Phantasien aufgeben, die Welt nicht mehr mit Plänen durchstürmen, sich häuslich ansiedeln, leben – dereinst für uns, das mag ihr ein seliges Lächeln dort entlocken, wenn die Seligen lächeln.«

»O, ich wollte Buße tun, pilgern nach Loretto, nach Sankt Jago, nach Rom, Kirchen bauen, Hospitäler, aber das rührt sie nicht; sie war eine zu gute Protestantin. – Ja, ich will nicht mehr jagen nach dem verlornen Gute, die Ehre bleibe versenkt ins Meer, wie die Silberflotte, die der Sturm verschlang; sie haben mich zu viel gekostet, die Taucherglocken, ich gab dem Verderben mein Weib, mein Kind, mein Glück, und der Sturm verschlang sie alle, und das Silber liegt noch unten im schlammigen Meere. – Ich habe meinen Etienne, ich will ihn erziehen, Sie erziehen als mein eigen Kind, und wenn mir's gelungen, wenn ich rechtschaffene Leute aus euch gemacht, dann blickt sie vielleicht versöhnt herab, sie winkt mir, sie ruft mich. O gewiß, man kann leben ohne Adel, auch im Bürgertum gibt es eine gewisse Art von Ehrgefühl, der krumme Säbel kann auch an der Seite eines Mannes klirren, der einen graden Sinn hat. Überhaupt greift das Bürgertum um sich; mehr und mehr wird der Adel zurücktreten, ich meine jenen falschen Adel, jenen Adoptivadel, der nicht auf ursprünglicher Freiheit, auf freiem Grundwert beruht, sondern auf Dienstbarkeit, auf Benefizien, auf erblicher Verleihung, oder gar auf Adelsbriefen. Eine Adelung, ein Adel durch Papier ist ein Unding, weit schlimmer noch als der Lehnsadel, und je mehr Papier, um so mehr wird der Adel herunterkommen, endlich untergehen. Titel und Orden, und wären's Herzöge, goldene Vließe und schwarze Adler, sind so gut Flecke wie blaue von einem Stock auf der Brust des echten Edelmannes. Es gibt gar keinen Unterschied zwischen hohem und niederem Adel als das Alter, und wenn der Hofadel sich bis zu Königstiteln schmückt; das wissen sie recht gut in Frankreich, hier aber nicht, wo Leute sich Freiherren nennen und ihre Väter besaßen nicht mehr, als das Afterlehn eines Afterlehns. Die Könige und Kaiser prägen Edelleute wie Kupferpfennige: welcher Herkules soll nun noch den Augiasstall reinigen? Darum besser, daß das ganze Institut untergeht, und wir werden alle einfache Bürger, dann wird's Zeit zu zeigen, wer ein Edelmann ist. Noble Gesinnungen adeln; wer jede Schmach von sich abschüttelt, wie der Schwan den Kot von seinem glänzenden Gefieder, das macht den Edelmann, der Orden im Herzen, nicht auf der Brust –«

»Wissen Sie denn schon, daß Etienne das Kreuz pour le mérite vom Könige bekommen hat?« unterbrach ihn Eugenie, jetzt mehr ungeduldig als bang über die Richtung, welche die Gedanken oder die Rede des Marquis genommen.

»Etienne! – den pour le mérite – vom König – von Friedrich dem Großen! –« schrie der Marquis, sich unterbrechend, auf.

»Eben schreibt er mir, es geschah nach der Affäre von Burkersdorf. Friedrich zeigte sich äußerst gnädig.«

Der Marquis war aufgesprungen und hatte den Rock losgeknöpft. »Friedrich ist ein König, ein großer König, er ist ein einziger König. Mein Gott, wie kommt Etienne zu dem Orden, wie kommt der König dazu? – O, erzählen Sie es nicht. Ich ahne alles, ich weiß alles. Das ist der Blick des Genies, er weiß, wann er gerecht sein muß. Er weiß, was Ehre bedeutet. Es kommen bessere Zeiten. Pardon! Es wird mir zu eng im Zimmer! Mein Etienne anerkannt, von Friedrich anerkannt! Es ist ein Wunder! Nein, kein Wunder; ich wußte es vorher. Haben Sie etwas zu bestellen. Schnell, schnell, bitte, stehen Sie auf,« – er riß an der Klingel nach dem Mädchen – »eilen Sie, Teuerste, in einer Viertelstunde bin ich fort, nach Schlesien; ich muß sehen, wie der Orden steht an der Brust meines einzigen Kindes, des Marquis Etienne von Cabanis.«

Etiennes Kreuz bewirkte, was die Komtesse bis dahin vergebens gewünscht hatte, der Marquis verließ sie, und das eintretende Kammermädchen versicherte nachher, so schnell sei sie noch nie mit der Komtesse fertig geworden.


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