Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.
Die Erscheinung

Den General hatte keine fremdartige Erscheinung, weder in der Nacht noch beim Aufstehen, erschreckt; anders ging es bei der Komtesse zu. Amelie war, von ihrer Ohnmacht zu sich kommend, im Bette der Ausgeberin unten zurückgeblieben, und Eugenie hatte, allein in ihren Turm zurückgekehrt, die Tür eigenhändig von innen verschlossen. Dennoch traten Gestalten der allerwunderbarsten Art vor ihr Bette, sie schmückten die Stube mit Rosenkränzen und grünen Gewinden, bauten Thronhimmel, führten einen Hochzeitsreigen auf, ja drangen bis innerhalb der Gardine ihres Himmelbettes, das sie mit einer Rosenglut umspannen, ohne daß die junge Gräfin sich vor dem unerwarteten Besuche fürchtete. Sie schlief erst nachdem der Morgenhahn gekräht, ein, aber dafür wurde es ein desto seligerer und längerer Schlaf. Es war schon recht hell, als sie gestärkt und frisch die Augen und dann die Gardine aufschlug – aber die Erscheinung, welche hier ihrem ersten Blick begegnete, stimmte wenig mit der eben gesehenen. Mit einem kurzen Schrei des Entsetzens fuhr die Geisterseherin bis ans Kinn unter die seidene Bettdecke.

Die Erscheinung war ein Mann, dessen abgetragener Manchesterrock samt der Frisur und dem Zopf unmöglich aus der Geisterwelt stammen konnte. Er saß auf einem Stuhl dicht vorm Bette und schien, ein Bein über das andere und ein Buch in der einen Hand, durch das Aufschreien der Gräfin eben erst in seiner gemächlichen Lektüre gestört.

»Wohl geruht, Komtesse, wenn es zu fragen erlaubt ist?« wandte er sich verbindlich an die Dame.

»Wer sind Sie? Fort – den Augenblick!« schrie die Gräfin.

»Sollt' ich Ihnen im Verlauf weniger Jahre so unbekannt geworden sein?« entgegnete der Fortgewiesene, ohne Miene zu machen, der Anweisung zu folgen.

»Wenn Sie es sind, wie kamen Sie her, wie hatten Sie die Dreistigkeit?«

»Nur nicht, bitte ich, meinen Namen genannt, die Wände hier haben Ohren.«

»Wenn Sie Gast im Schlosse sind, Herr Marquis, so begreife ich doch nicht, was Ihnen das Recht, die Erlaubnis, die Dreistigkeit, ja nur die Mittel gab, in mein Zimmer zu dringen.«

»Ich bin nicht Gast im Schlosse und will es auch niemals werden, vielmehr lediglich hier in Ihrem Zimmer und bei Ihnen. Die Mittel, einzudringen, gewährten Sie, gnädigste Komtesse, mir hilfreichst selbst, als Sie gestern abend beim Hinauslaufen die Tür offen ließen. Da schlüpfte ich hinein.«

»Sie waren die ganze Nacht in meinem Zimmer? Entsetzlich! Wo hatten Sie gesteckt?«

»Oben da, im Wand- und Bücherschrank über der Tür.«

»Wie kann man dort eine Nacht zubringen?«

»Ich habe vortrefflich geschlafen. O lassen Sie sich erzählen, in welchen anderen Nestern, Kabachen, Höhlen, Tabernen, Latrinen der unglückliche Prätendent von Schottland nach der Schlacht bei Culloden übernachtet hat. Ich habe mit eigenen Augen gesehen diese Löcher, Hühnersteige, Taubenschläge; die deutsche Sprache hat keinen Namen für diese hochländischen oder gälischen, besser celtischen Begriffe von Behausungen, in denen der unglückliche rechtmäßige Thronerbe sich verkriechen mußte.«

»Bedenken Sie, Herr Marquis, die peinliche Situation.«

»Das ist das rechte Wort. Gnädigste, die Situationen hätten Sie sehen sollen, in denen der bejammernswerte Karl Eduard, ich will nicht sagen, gestanden, gelegen, gesessen, nein, geschwebt, gefallen, geschraubt war. Nie hat ein königlicher Prinz solche Fährlichkeiten zu überstehen gehabt; ich habe auch die hohle Eiche bei Woodstock gesehen, in die sein Großoheim Karl der Zweite sich hat verkriechen müssen, die war aber ein Paradebett gegen die Schweinekoben, genannt schottische Bauernhäuser, die das Haupt des flüchtigen Stuart bargen. O, mein teuerstes Fräulein, heiße Tränen hätten Sie geweint: aufgesprungen wären Sie, wie so manche edle kaledonische Dame von ihrem weichen Federdaunenbette, um es dem wunden, müden, schmutzbedeckten Prinzen anzubieten; ach, ich könnte noch Ärgeres berichten, wovon mich nur und allein die Delikatesse abhält.«

»Ich bedauere das Schicksal des armen Prätendenten; doch was soll der uns hier?«

» Der –« unterbrach sie der Marquis aufspringend. Er griff in seine Taschen, als habe er dort den Prinzen wie eine Puppe eingesteckt. » Der, mehr als Sie denken, wünschen –«

»Ich bitte inständigst, Herr Marquis, daß Sie meine Lage bedenken, und daß Sie bei einer fremden Dame sind.«

»Fremd! – Werden Sie nicht meine Schwiegertochter? Soll der Vater nicht das Recht haben, seine Tochter auch im Negligé zu besuchen?«

»Es ist noch nicht so weit,« sagte sie errötend; »überdies, weiß Ihr Herr Sohn um Ihre Anwesenheit?«

»Alles weiß er noch nicht, Kinder brauchen auch nicht alles zu wissen. Halb; er weiß, daß ich hier bin, im Schlosse nämlich, ich avancierte ihn um eine halbe Stunde; er weiß, daß er mein Sohn, aber noch nicht, daß er mein legitimer Sohn ist. Alles, nämlich, daß ich die Nacht hier zugebracht, daß ich Ihnen meine Visite, Sie zu meiner Vertrauten gemacht und was ich Ihnen vertraut, das erfährt er durch Sie. Darum bin ich hier. Sie sollen es ihm mitbringen als Mitgift, dos, donatio propter nuptias. Sind Sie nun gehörig vorbereitet, mich anzuhören?«

»Sie waren schon gestern abend hier?«

»Bagatelle! Das mag er Ihnen erzählen, wenn er es der Mühe wert hält. Ich sah Licht an diesen Ihren Fenstern; ich schlich mich hinein, da ich von altersher die Sprünge, Gänge, Sätze, Schliche lernte. Ach, das waren gute Zeiten, als wir mit der seligen Klinkauf negoziierten; ich war, ohne daß Sie es wußten, jede Woche mindestens einmal hier, bald im Pelz, bald in der Stalljacke, bald als Mensch, bald als Gespenst. – Damals, Komtesse, war Ihr Herr Vater noch ein feiner Mann. Doch genug davon, wir werden alle schwach; es hat nicht jeder das Privilegium von der Natur an der Wiege erhalten, einmal kühn gefaßte Pläne mit gleicher Geistesstärke bis an sein Ende nicht aus dem Auge zu lassen. – Die Phantasie täuscht, der Verstand wird schwach. An einem Gängelbande führte man uns in die Welt ein, an einem Gängelbande gehen wir aus. Aber es gibt auch Greise, die, noch gerade aufrecht im Steigbügel, den Zügel zu fassen wissen. Der Doge Dandolo, ein blinder Greis, eroberte Konstantinopel, jener dreiundachtzigjährige Marino Faliero hatte noch Mut, gegen seine Republik zu konspirieren, und was mehr sagen will, ein junges Weib von achtzehn Jahren zu heiraten. Dies haben Sie nie von mir zu besorgen, Komtesse; als wir uns trennten, gab ich meiner Gattin mein Ritterwort, Etienne erhält keinen Bruder, der ihm seine Ansprüche schmälert, die volle Liebe des Vaters, sein ganzes Erbe bleibt ihm – ich statuiere nicht einmal Testamente – bei echten, freien, fürstlichen Grundherren germanisch fränkischer Abkunft tritt überall die Primogenitur und Linearsukzession von selbst ein, die erst von daher, ein matter Abglanz ursprünglichen Lichtes, auch auf die Lehnsverhältnisse übergegangen ist. Der Vater hat nichts zu vererben, nichts zu verschenken. Proprio jure erhält der Erstgeborene alles, und darum seien Sie unbesorgt, liebe Komtesse, wegen Schmälerung des Erbteils.«

»Ich habe gewiß nie darum Sorgen gehabt.«

»Eben darum will ich Ihnen jetzt dieses Verhältnis aufklären. Hugo Capet hatte sieben Söhne –«

»Um Himmels willen, denken Sie die ganze französische Geschichte bis auf Ludwig den Fünfzehnten mir vorzutragen?«

»Sie haben recht. Ein andermal. Nur soviel hier: es wäre mir nicht unmöglich, noch durch heraldischen Prozeß zu beweisen, daß das Haus Cabanis eine Nebenbranche der Capets sei, von einem Oheim des genannten Hugo, Grafen von Paris, und auf diese Weise würde mein Interesse an der Sache der Stuarts aufs neue bekräftigt und begründet erscheinen. Doch waren die Capets bekanntlich nur Lehnsträger der Karolinger, und ehe nicht zu beweisen stände, daß sie schon unter den Merowingern frei gewesen, wäre dadurch nichts gewonnen, im Gegenteil, unser Stammbaum verschlimmert, unser Schild verkürzt. Darum mag dies vorderhand ruhen. Aber die Sache der Stuarts wird nicht ruhen, und ich kam, Ihnen im Vertrauen die freudige Botschaft zu sagen, daß mir der Prätendent in einem Briefe, den ich vorgestern aus Rom erhielt, das Obristleutnantspatent für Etienne versprochen hat, sobald die Franzosen in Schottland landen und der neue legitime Aufstand dort ausbricht. Er soll nicht als Leutnant sterben.«

»Und deshalb sind Sie hier, Herr Marquis?«

»Nicht gerade darum. Ein glücklicher Zufall ließ mich auf meinen Sohn stoßen und ihm, eigentlich wider meinen Willen, behilflich sein. Der nächste Schritt war, ich mußte hierher. Ich wagte mich niemand in einem von Preußen besetzten Schlosse anzuvertrauen, als derjenigen, welche ihr Schicksal mit dem meines Sohnes verbinden will. Ihr Licht leitete mich in Ihr Zimmer –«

»Sie also waren es –«

»Der Sie schlafend fand und das Licht umstieß.«

»Ich bin seit gestern abend vor lauter Überraschungen nicht zu mir selbst gekommen. Ich erwarte noch viele Aufklärungen.«

»Darum bin ich ja gerade hier.«

»Herr Marquis, ich muß meine dringende Bitte wiederholen, daß Sie meine Lage bedenken und mich verlassen.«

»Sie wollen aufstehen? – Warum haben Sie das nicht früher gesagt? Bitte tausendmal um Verzeihung. Ich verschwinde wie der Wind, oder wissen Sie was: ich drehe mich um, indessen springen Sie auf, kleiden sich an und ich teile Ihnen das Nötigste aus unserem Stammbaum indessen mit.«

Die Gräfin mußte über den Vorschlag, den sie ablehnte, lächeln. »Tut nichts,« fiel der Marquis ein, »morgen um diese Zeit sitze ich wieder an Ihrem Bette und Sie hören, wer Etienne ist.«

»Warum wollen Sie bis morgen warten?«

»Während des Tages muß ich mich verstecken. Es darf niemand nur ahnen, daß ich hier bin, und ich hoffe, Sie brauchen aus dem Schranke keine Bücher.«

»Wie, Sie wollten dort im Schrank sich den ganzen Tag über verstecken?«

»Sie können abschließen.« –

»Nimmermehr!«

»Sie haben recht. Ich kenne Schlupfwinkel genug. Morgen um diese Zeit auf Wiedersehen, Gott befohlen bis dahin.«


 << zurück weiter >>