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Zwölftes Kapitel.
Das Wunder

»Geliebtes Kind,« sagte der Graf am anderen Tage, als er aus seinem Morgenschlummer erwacht, Eugenie zu Füßen des Bettes sitzend fand, »ist die Verbindung mit ihm noch dein innigster Wunsch?«

»So gewiß, mein Vater, als ich weiß, daß sie einst enden wird – aber erst dann – wenn einer von uns beiden stirbt.«

Der Graf seufzte tief auf und schellte nach dem Jäger. Er fragte ängstlich nach dem Marquis, der aber auch in der Nacht nicht wiedergekehrt war. »Nun, so rufe Er wenigstens den Leutnant.«

»Was wollen Sie, mein Vater? Ihr Zustand fordert Ruhe, Ihr Schlaf war es nicht.«

»Meine Angelegenheiten in Ordnung bringen, das will ich, mein Kind, und kann mir etwas näher liegen, als deine Zukunft? Ich hätte gern noch für gewiß erfahren, wie es mit dem Vermögen des Marquis aussieht; indessen hat er mehr gerettet, als ich bei seiner Narrheit glauben durfte. Etienne darf auf Anerkennung rechnen; so will ich denn nicht länger eurem Wunsche widerstehen. Was sind die Güter dieser Welt, wenn man am Rande der Ewigkeit steht –«

»Sie werden nicht sterben, gewiß nicht. Der Regimentsarzt meinte –«

»Laß das sein – Etienne ist im Grunde ein guter Mensch – man muß sich versöhnen, das ist christliche Pflicht. Nur sein Vater, warne ihn vor der Politik des Mannes. Gütiger Himmel, wie kann einen Menschen das Alter so kindisch machen! – Der Mann ist inkapabel einen Plan zu fassen – die Vernunft hat ihn völlig verlassen – nun, wir sind alle schwach, aber so schwach, so bizarr zu sein, so unfähig, auf einen Gedanken einzugehen und ihn zu verfolgen, so inkonsequent in allem, was er tut, so ohne bestimmtes Ziel hier und dorthin irrend –«

Er schellte in seiner Ungeduld, er schüttelte lächelnd den Kopf zu den tröstenden Worten der Tochter, und Etienne konnte nicht schnell genug herbeigerufen werden. Es war, als bezahle der Graf eine drückende Schuld, die er nicht schnell genug abschütteln könne, indem er den Offizier aufforderte, mit der Komtesse an seinem Bette niederzuknien. In Etienne schien sich etwas dagegen zu sträuben, er fragte, ob man keine bessere Zeit abwarten wolle; ein erschrockener Blick Eugenies machte ihn jedoch stumm, der Vater legte beider Hände ineinander, segnete sie, küßte ihre Stirnen und entließ freier atmend den Glücklichen.

»Du begreifst das nicht, steht in deinem Auge zu lesen,« sprach der Graf zur Komtesse. »Ich fühle mich so erleichtert, da dies vorbei ist, daß es mich fast drängt, noch mehr dir zu vertrauen, mehr als ein Vater eigentlich sollte. Ein Vater soll nicht die Kinder zu Vertrauten seiner Schwächen machen, allein, die Stunde ist so ernst. – Mich trieb es gestern nacht, mein Kind, zu erfahren, welche Botschaft dein Bräutigam mitgebracht. Im Interesse meines Fürsten wollte ich den Rapport mit anhören und schlich mich um deshalb in das Zimmer des Generals. Ich nahm meinen Platz in einem Wandschrank, um mich in der Nacht, wenn der General schlief, wieder unbemerkt zu entfernen. Allein, dem Manne kam es ein, sein Bett in das Zimmer und vor die Tapetentür tragen zu lassen – du wirst rot –«

»Wozu die Erinnerungen, lieber Vater!« fiel Eugenie ein.

Er nickte ihr bedeutungsvoll zu: »Es ist auch vielleicht besser, daß ich schweige. Allein, mein Kind, wenn ich sterbe – es kann doch sein, daß ich sterbe, es gibt Ahnungen, Vorbedeutungen – wenn es also wäre, so hinterlasse ich dir ein besseres Andenken, als der Vater deines Bräutigams. Dein Vater wurde nicht geprügelt – auch von keinem Könige der Welt.« Das sprach er und hob den Kopf mit einer Art stolzen Bewußtseins aus den Kissen. Es sollte sein der Sieg eines adligen Bewußtseins über eine mächtige Angst, deren er sich doch schämte.

Die Komtesse war hinausgeeilt, sie hatte einige Worte mit dem General gewechselt, und der General kam bald darauf, um sich teilnehmend nach dem Befinden des Patienten zu erkundigen. Er war die Güte selbst und erwähnte im Laufe des Gesprächs lachend, daß er eine tote Fledermaus in seinem Zimmer gefunden. Der Besuch des Gespenstes könne daher wohl diesen und keines Menschen Tod bedeutet haben. Der Graf drückte ihm fast zärtlich dafür die Hand, er wurde sichtlich wohler, die Sonne schien ins Zimmer, er bekam Appetit, und bei einem Frühstück wurden beide so munter, daß sie über den Wunderglauben sich lustig machten und auf Friedrichs Gesundheit und die Fortschritte der Aufklärung anstießen.

Seitdem waren und blieben die Gespenstergeschichten im Schlosse verbannt, und der Graf billigte von Herzen, was Oberst Klippfisch einst aussprach, daß, wenn es auch Geister gebe, sich doch niemand, der ein reines Gewissen hat, vor ihnen zu entsetzen brauchte. Man merkte dem alten Mann an, daß ihm ein Stein vom Herzen gerollt war; der General äußerte einst zu seinem Adjutanten: » ihn haben die Geister so neutralisiert, daß ich ihm Friedrichs Rettungspläne anvertrauen wollte –« worauf der Adjutant trübe erwiderte: »Wollte Gott, Exzellenz könnten es; dann gäbe es welche!«

Die Liebenden opferten durch Stummsein ihrem Glücke, das für beide wenigstens keinem Wechsel mehr unterworfen schien. Die Welt umher war für sie nicht da, ihre Zeichensprache, vollkommen ausgebildet, war doch den Beisitzenden so vollkommen unverständlich, als die Sprache eines Telegraphen allen denen ringsum, die das Arbeiten der Stangen sehen. Es wurde still, sogar unheimlich, was indessen noch einen anderen Grund hatte, als, wie Fräulein Amelie gegen den Kammerherrn klagte, den übermäßigen Anwuchs von Liebesstoff im Schlosse. Es waren die betrübenden Nachrichten, die mit jedem Tage über die Lage des preußischen Königs einliefen. Der General, einsilbig, zerstreut, brach oft früher die Tafel ab; man suchte mehr auf der Jagd Zerstreuung: gemeinsame Unterhaltung, Witzspiele kamen selten zustande. Die Republik, welche Vergessenheit der Gegenwart spielen wollte, war wie von selbst aufgelöst.

»Jede Gesellschaft mit einem Liebespaar, dem keine Schwierigkeiten mehr gemacht werden, ist unausstehlich,« sagte Amelie zum Kammerherrn. »Der ewige Leutnant und meine Cousine bringen eine Monotonie unter uns, daß man darüber vergehen möchte. Sie müssen etwas ersinnen, Eduard, was uns wieder in Bewegung setzt. Man hat es Ihnen auch zu leicht gemacht, ich war eine gutwillige Törin, daß ich Sie nicht länger schmachten ließ.«

»Taten Sie das nicht lange genug?« entgegnete der Baron, zärtlich ihre Hand küssend.

»Lange nicht genug. Ihre glühende Leidenschaft rührte mich. Ich dachte an die Vergänglichkeit unseres Lebens. Ach, Eduard, was ist das Leben?«

»Ein Faden, den die Parzen Ihnen noch so lang spinnen mögen als meine Wünsche.«

»Und wer gibt mir für die letzteren Bürgschaft?«

Er senkte ein Knie auf die Fensterbank und drückte ihre Hand an sein Herz.

»Ach, ihr Männer,« entgegnete sie seufzend, »so seid ihr alle. Alles versprecht ihr uns, bis wir schwach werden, ach, und wenn ihr Herren und Gebieter seid, wo sind dann die Wünsche hingeflogen, der Faden, für dessen Ewigkeit ihr betetet, wird euch nur zu oft viel zu lang.«

»Mich, himmlische Göttin, werden Sie von diesem allgemeinen Vorwurfe ausnehmen!«

»Ach, Eduard, Sie haben mehr gesündigt als viele! – Bösewicht, haben Sie durch Ihre Heftigkeit, durch Ihre leidenschaftliche Sprache es nicht dahin gebracht, daß ich zur Verräterin wurde am jungfräulichen Stolze und – wehe mir! – Ihnen bekannte, welche Stimme für Sie hier sprach. – Ach, ich hätte schwören mögen, daß dies keinem – keinem Manne auf der Welt gelingen würde. O, Sie sind ein gefährlicher, böser, böser Mensch. Und da haben Sie mich eben recht erschreckt.«

»Womit, Teuerste?«

»Mit der Rede von der Parze. – Ja, wenn wir beide so miteinander sterben könnten, aber einer vor dem anderen! O tun Sie mir das nicht an und sterben Sie nicht vor mir. Ich überlebte es nicht.«

In dem Kammerherrn schienen zwei Gefühle um den Vorrang zu streiten, der Schreck über den Todesgedanken und der Kitzel, sich so bewundert zu sehen. Der letztere siegte: »O hätten Sie mich jemals ahnen lassen, daß diese Gefühle einst in Ihnen für mich sprechen würden!«

»Blinder Freund! Und Sie merkten das nicht?«

»Sie behandelten mich so rauh.«

»Sie sind noch ein Schüler, mein teurer Freund, sonst wüßten Sie, in welcher Maske echte Liebe auftritt. Ihre Hand streichelt nicht, sie ist rauh; sie will erkannt werden, wie der Diamant, der nicht jedem läppischen Buben zuglänzt.«

»Sie entzücken mich: aber war es auch damals schon, als ich mich hier vor den Preußen verbergen mußte, als Sie mich –«

»Oben in der Kammer versteckten,« fiel Amelie ein. »Ach, lieber Freund, hätten Sie nur eine Ahnung gehabt, welche Gefühle mich damals bewegten, welche Gewalt es mich kostete, Sie vor Ihnen zu verbergen. Heucheln mußte ich, zum anderen Gegenteil, zur Härte, zur Grausamkeit, zum Spott meine Zuflucht nehmen, mich nicht zu verraten, und Sie – Grausamer! nahmen den Schein für Ernst.«

»Ich werde es mir in meinem Leben nie verzeihen,« rief der Geschmeichelte und sank noch einmal aufs Knie, ihre Hand an seine Lippen drückend; sie streichelte ihm mit der anderen sanft über die Stirn. »Ich schwöre bei allen Göttern, es Ihnen zu vergelten, mein Herzblut sei Ihrem Dienst geweiht, mein Leben, Ihnen das Ihrige aufzuheitern.«

»Das tun Sie ja schon jetzt, ohne es zu wissen.«

»Sie scherzen, Teuerste.«

»Gewiß nicht. Sie Guter verschaffen der Einsamen, Zurückgezogenen hier durch den Verkehr mit Ihnen eine Unterhaltung, deren Annehmlichkeit Sie nicht zu schätzen verstehen. Aber so ist Liebe, sie denkt immer zu nehmen und weiß nicht, was sie gibt. – Aber damit ist es freilich nicht genug,« fuhr sie fort, freundlich ihm hinunternickend. »Einst mehr, mein Eduard. Sie sind zu Höherem berufen, Sie müssen reicher ins Leben treten. Man verkennt ihren Wert, das ist zum Teil Ihre Schuld. Sie sind zu bescheiden. Wie mancher, Ihnen an Geburt gleich, der doch Ihnen nicht das Wasser reicht, prangt in Sternen und Gold. Kränkt Sie das nicht? Ich will, daß mein Gatte nicht bloß sein, auch scheinen soll er. Lassen Sie mich nur machen; es soll mancher falsche Schein vor Ihrem echten erblassen.«

»Aber warum,« sprach er, »noch immer das Geheimnis? Darf denn mein Glück nicht ans Tageslicht? O bitte, bitte –«

»Ach, Sie martern mich, Eduard. Sie wollen mir nicht die Beschämung ersparen, vor den anderen zu gestehen –«

»Was doch einmal gestanden werden muß.«

»Sie haben im Grunde recht, aber können Sie sich in die Lage eines Frauenzimmers versetzen –«

Wir wissen nicht, ob Amelie eine Ahnung davon gehabt und deshalb den Kammerherrn bis jetzt auf den Knien erhalten; als die Tür aufging und die Komtesse an Etiennes Arm eintrat, lag er wenigstens noch vor ihr und sie nickte über seinen Kopf der Cousine mit einem Blick des Triumphes zu, der nicht für ihren Verehrer bestimmt war.

»Was bedeutet das?« fragte Eugenie.

»Stehen Sie auf,« befahl das Fräulein; sie ließ seine Hand nicht los, und der Erschrockene las, aufgesprungen, Trost in ihrer entschlossenen Miene: »Meine Freunde,« sagte das Fräulein, »ich sehe nicht ab, weshalb ich vor ihnen etwas verbergen soll, was doch ans Licht muß. Ich habe die Ehre, Ihnen hier in der Person des königlichen Kammerherrn Baron von Kurz meinen geliebten Bräutigam vorzustellen. Längst von seiner innigen und aufrichtigen Zuneigung zu mir überzeugt, habe ich nicht länger angestanden, ihm mein Jawort zu geben. Ja, wir werden vereinigt den Pfad durch das dornenvolle Leben antreten, uns einander ermutigend durch Liebe und Hoffnung, und mein Eduard und ich, wir eilen zusammen dem Hafen zu, von wo die Fahrt in das Land der Seligen geht, stürmevoll oder heiter, je nachdem die Überirdischen mit gnädigem Blick in die Segel unseres Schiffleins blasen. Von Ihrer innigen, aufrichtigen Teilnahme sind wir überzeugt.«

Das Fräulein ließ es zu keiner Versicherung in Worten kommen, sondern begann und schloß die gerührte Szene mit einer Umarmung, welcher die Männer folgen mußten. Es wurde mehr geweint als gesprochen, wenigstens waren die Taschentücher tätig. Sie schickte alsdann den Bräutigam mit dem Leutnant ins Freie, daß sie am Busen ihrer Freundin alle die Gefühle, die ihre Brust zersprengten, ausschütten könne.

»Was sagen Sie dazu, Cousine?« rief sie, gemächlich sich in der Sofaecke wiegend, als die Männer weit genug entfernt sein konnten.

»Mich dünkt, die Frage wäre an mir. Ich bin erstaunt.«

»Daß ich mir auch die Freiheit genommen habe, Braut zu sein, oder beneiden Sie mir den Kammerherrn?«

»Ich überlasse es dir selbst, über dich zu richten.«

»Ach, wollen Sie die Gekränkte spielen! Mich dünkt, das hätte meine Freundschaft um Sie nicht verdient.«

»Du rufst meine Freundschaft an, und die Freundschaft hat keine Worte – o weh, Amelie! Von dem Fastnachtsstreich will ich gar nicht sprechen, aber, Unglückselige, mich schaudert in deiner Seele, welche Aussicht fürs Leben. –«

»Die allerprächtigste, liebe Cousine. Ich will auch nicht scherzen, mir ist gar nicht spaßhaft zumute, da die Komödie schon zu lange gedauert, aber im völligen Ernste sag' ich Ihnen, ich bin vollkommen zufrieden, ich habe nie etwas Gescheiteres im Leben zustande gebracht und ich kann mir gar nichts Besseres denken.«

»Mädchen, liebst du ihn denn?«

»Als ob man nur aus Liebe heiraten könnte! Wir sind doch längst nicht mehr siebzehnjährige Stiftsfräulein! Ich heirate erstens, weil er ein Mann ist, zweitens, weil er ein reicher Mann ist, und drittens, weil er ein reicher und bornierter Mann ist. Sie wissen von alters her, was ich von der Ehe denke. Eine Heirat soll die Unvollständigkeiten des Einzellebens ausgleichen; konnte ich nun eine bessere Wahl treffen, konnte mir jemand besser als der Kammerherr zu dem aushelfen, was mir fehlt! Ich bin arm, er ist reich. Sie meinen immer, meine Klugheit wäre bissig; nun, er ist doch offenbar um so viel zu dumm, als ich zu klug bin. Ich bin – nicht übermäßig hübsch, dafür ist er ein schöner Mann. Ein Mann braucht sogar nicht schön zu sein; er könnte noch mehr abgeben. Was die übrigen Eigenschaften anlangt, so findet sich das ebenso. Nun bitte ich Sie aber einmal, sehen Sie, um meine fromme, gute, menschenfreundliche Intention schätzen zu lernen, von mir ab und denken Sie für den Kammerherrn. Konnte der eine bessere Partie machen als mich, eine Frau, die seinen schönen Zügen Seele gibt, seinem Gelde eine Bestimmung und dem ganzen Menschen einen Zweck, und ich versichere Ihnen: es soll aus meinem Manne etwas werden. Es heißt zwar, aus einem Klotze wird kein Gott, aber wie viel böhmische Steine glänzen für Brillanten, und ich sehe nicht ein, was der arme Kurz verbrochen hat, daß er weniger sein soll, wie so mancher vornehme Dummkopf. Ich will, ich werde mich seiner annehmen, und ich versichere Ihnen, ich staffiere ihn zu einem leidlichen, wo nicht gar mit der Zeit zu einem außerordentlichen Manne heraus. Ja, ich prophezeie Ihnen, wenn Sie mir es nicht zu übel deuten, ich bringe ihn etwas weiter in seiner Karriere, als meine teuerste Cousine ihren Leutnant Cabanis.«

»Also einen Mann, um ihn zu verspotten!«

Amelie blickte schweigend eine Weile vor sich nieder: »Nein, das ist eigentlich doch nur Nebensache. Man nimmt es mit. Im völligen Ernst aber sehe ich nicht ab, wie es mir besser hätte werden sollen. Sie sind mit Ihrem Geliebten zufrieden. Gut, aber er wird nicht anders, als er ist. Meiner soll es täglich werden. Ich schaffe mir ihn erst, und ich weiß noch gar nicht mal recht, wie ich ihn haben will. Das wird meiner Ehe immer neue Würze geben, während Sie, liebste Cousine – ach Gott, ich will keine böse Prophetin werden und darum schweige ich. Aber es ist mein Ernst, mein voller Ernst, ich will glücklich sein, und was ich bisher gewollt, habe ich noch immer durchgesetzt. Und dann, gestehen Sie nur, um wieder gut zu werden, es war doch recht gut und außerordentlich freundschaftlich von mir, erstens, daß ich mich nicht unterstand, vor Ihnen einen Bräutigam zu nehmen, ich wartete erst gehorsam und geduldig ab, bis meine gnädige Gebieterin versorgt war, und zweitens, daß ich dann mit dem zufrieden war, was sie nicht mochte. Daß ich mir das fortgeworfene Kleid ein bißchen nach meinem Geschmack zustutzen werde, kann doch die gnädige Frau dem Kammermädchen nicht verdenken. –«

* * *

Amelie war ungehalten über die kriegführenden Potentaten, und sie schien drauf und dran, dem preußischen Monarchen das Wort zu reden, da er doch eigentlich unter allen am meisten Lust zum Frieden hätte. Denn sie fand es unrecht, daß der Krieg noch fortdauere, während ihr Liebesroman zu Ende sei. Dem Einwande, daß der Friede und der Ehestand doch etwas Langweiliges wäre, begegnete sie damit, daß auch eine interessante Erzählung langweilig werde, wenn die Spannung allzulange dauert.

Ihre Laune fand wenig Eingang; nur in allzulangen Pausen verbreitete sich der Graf über die Segnungen des Friedens, – er hatte Briefe vom Marquis, der seine Einwilligung erteilt und Gütertausch-Pläne entworfen, die dem Grafen zusagten. Sonst blieb es still. Die Offiziere waren, wie sie versicherte, unausstehlich, der Kammerherr gegen sie ein Mann von Geist. Eugenie teilte Etiennes Mißmut; sie nannte das närrisch, Etienne aber einen ausgemachten Narren, weil er glücklich sein könne und es nicht wolle.

Etienne suchte den täglichen Kampf, den er mit sich rang, vor der, welche allein ihm folgen konnte, zu verbergen, aber das Auge der Liebe ließ sich nicht täuschen. »Warum machen dich gerade die Briefe deines Vaters trübe?« fragte sie. »Weil sie mir bestätigen, daß Friedrichs letzte Hoffnungsquelle versiegt ist. Seit Georg des Zweiten Tode ist an keine Subsidien aus England zu denken. –« »Ein Wunder, warte nur auf ein Wunder!« sagte sie lächelnd, mit der Hand über seine Stirn fahrend. »Er müßte Goldminen in den Müggelbergen graben, wo die verwünschte Prinzessin verschüttet liegt!« erwiderte der Offizier.

* * *

Man wartete auf den General. Er war mit seiner Suite zum König geritten, welcher gerade eine Tour durch die Winterkantonierungen machte; aber man wartete, wenigstens zwei Personen im Schlosse, auf mehr. Der General hatte dem Leutnant beim Abschied die Hand gedrückt und zugeflüstert: »Heut hoffe ich doch mit guter Botschaft wiederzukehren, Ihre Verdienste führen diesmal eine klingende Sprache, die etwas gilt.«

Die Abenddämmerung lagerte schon über die weiten Schneefelder und gefrorenen Teiche, welche man vom Saalfenster übersah. Es stäubte ein sanfter Schnee aus dem mit gleichmäßigem Grau belegten Horizont. Etienne und Eugenie sahen die Reiter auf dem Wege, der aus dem schwarzen Kiefernwalde nach dem Damm sich zog. Es mochte noch eine halbe Stunde dauern, ehe sie das Schloß erreichen konnten. Den Kopf an seine Brust gelehnt, flüsterte sie ihm zu: »Mut, Mut. Wie dein Herz pocht!«

»Das Herz lügt. Weiß ich doch was sie bringen.«

»Nun, was bringen sie, Prophet?«

»Der König ist verdrießlich gewesen, den Rapport hat er angehört, gescholten, es ist ihm nichts recht gewesen. Und dann ist er, als der General den Bericht über die Kassen vorgetragen, ihm mit der Frage ins Wort gefallen: ›Ist auch genau nachgezählt, daß der Leutnant nichts unterschlagen hat?‹«

»Du bist ungerecht gegen Friedrich. So kann ein König nicht gesprochen haben.«

»Er hat so gesprochen. So begegnete er mir, als er im Glück war; er wollte nichts von Dank wissen. Was könnte heute seine Laune in Rosenschein versetzt haben? Ach, Eugenie, er spielt nicht mehr die Flöte, er trägt Gift bei sich und Friedrich von Preußens Hoffnungen beruhen auf der Hilfe, die ihm ein Tatarchan verspricht! Friedrich und ein Tatarchan! – Es ist weit mit dem Großen gekommen. Wenn er rückwärts muß, was kann ich verlangen vorwärts! Wenn mir ein Leutnant eine Geldkasse gerettet, ich weiß auch nicht, ob ich an seiner Stelle eine freundliche Miene machte!«

»Und worauf hoffst du denn – für mich?« fragte sie an seinem Halse. Es war niemand im Zimmer.

»Ich will auf – ein Wunder hoffen,« entgegnete er sanft; »auf ein Wunder, allein auf ein Wunder!«

Man hatte sich im Saale versammelt. Die rückkehrenden Offiziere hatten viel zu erzählen; der General unterredete sich noch mit dem Grafen, als Etienne still lächelnd Eugenie zunickte: »Weißt du nun, was Friedrich gesagt hat? –« »Noch tat er ja nicht den Mund auf. –« »Wenn es etwas Freudiges zu melden gäbe, würde der General, wie wir ihn kennen, einen Augenblick mit der Botschaft gewartet haben? Lies doch in seiner Miene. Er zaudert, nur um mich zu schonen. –«

Der General ging jetzt an dem Paar vorüber. Er drückte schweigend Etiennes Hand; sein Blick bestätigte auch der Komtesse, wenn sie noch gezweifelt hätte, was ihr Freund vorausgesagt.

»Auf ein Wort, Leutnant Etienne!« sprach der General, den jungen Offizier zu sich ziehend. »Sie sind mir sehr wert, brauche ich Ihnen das zu versichern, mehr wert als Sie selbst vielleicht glauben. Doch habe ich eine Bitte an Sie – nehmen Sie Ihren Abschied.«

Als Etienne nicht antwortete, fuhr er fort: »Sie sind unabhängig, ein wohlhabender Erbe, ein glücklicher Bräutigam; mit uns hier ist es weit aussehend, Vorteil ist nicht mehr zu erkämpfen, Ehre nicht mehr als wir schon haben. Bei Gott, ich trenne mich so ungern von Ihnen, wie von einem Bruder, aber – nehmen Sie Ihren Abschied.«

Etienne verneigte sich etwas und antwortete mit fester Stimme, aber nicht trotzig: »Ew. Exzellenz, ich werde nicht meinen Abschied nehmen.«

»Etienne,« sagte der General bewegt, »nehmen Sie Ihren Abschied.«

»Und was steht mir bevor, wenn ich Ihrem Rate nicht folge?«

»Sie rechtfertigen sich nicht – nie – nimmermehr.«

»Wenn auch nicht vor ihm, so rechtfertige ich mich doch bei einem anderen, um dessen Beistimmung mir mehr zu tun ist, bei meinem Gewissen und – greifen Sie, Exzellenz, an Ihre Brust – ich stehe so gerechtfertigter auch vor Ihnen. Ja, dauerte dieser Krieg noch dreißig Jahre und müßte ich noch dreißig Jahre fechten und Leutnant sein mit weißem Haare, dennoch – es ist keine Jugendaufwallung, kein Rausch des Augenblicks, es ist der Beschluß des Mannes, das Resultat einer langen Beratung mit mir selbst, dennoch, Herr General, bleibe ich bei Friedrich.«

Der General sah ihn kopfschüttelnd, doch freundlich an, er bemerkte erst jetzt, daß auch Eugenie seine Zuhörerin gewesen: »Und die Komtesse ist Ihrer Meinung? – Diese leuchtenden Augen sprechen statt der Lippen das aus, sie sprechen von einem heroischen Entschlusse. – Was wollen meine armen Gründe gegen solche Selbstaufopferung? Meine teuren Freunde, so stärke Sie ein Glaube der Märtyrer in Ihrem Mute, der Heroismus selbst muß Ihr Lohn sein, denn ich zweifle, ob ein anderer außerdem Ihnen zuteil wird. Sie wurden unter feindlichen Gestirnen geboren. Friedrich schwieg bei dem Rapporte, sein Geist verfolgte vielleicht die verlorenen Schlachten. Ich wiederholte mit kurzen Worten das Wesentliche, ich erwartete seinen Bescheid. Er winkte: weiter! ich glaubte nun reden zu müssen, die abwesenden Gedanken des Monarchen zurückzurufen: ich wagte ihm Ihr Avancement vorzuschlagen. Es war zu viel gewiß. Eine ältere Erinnerung wurde wach, statt deren, die ich wollte, unwillig glänzte sein Auge auf, ein: ›Meint Er?‹ schwebte auf seiner Lippe, ein: ›ich meine anders,‹ glänzte im Auge, er winkte mit der Hand und rief: ›weiter!‹ –«

»Ich durfte nichts Besseres erwarten,« sagte Etienne. »Meine Freundin weiß, was ich gehofft.«

»Richten Sie, junger Mann, den Großen nicht danach. Bewahren Sie sich etwas von dem, was Sie ehedem für ihn fühlten. – Ach, mein Gott, meine Freunde, wenn Sie ihn gesehen, wie ich jetzt, das innigste Mitleid hätte Sie durchschauert, und wenn Sie auch,« fuhr der General fort, sie näher an sich ziehend, »eben noch ihm tödlich gezürnt. Es geht mit dem großen Geist zur Neige, seine letzten Nahrungssäfte sind ausgezehrt. Die Augen, wie sie aus dem abgezehrten Körper gleich zweien Sternen irr vorleuchten, sprechen mehr als die Manifeste und Zeitungen der Feinde: es ist mit ihm aus. Er möchte noch, er wollte noch, es fehlt das Öl der Lampe. Er schlägt keine Rettungsschlacht von Leuthen mehr; Torgau ist die letzte Perle im Diadem seines Ruhmes. Ich betrachtete die abgemagerte Hand, sein Auge ruhte darauf und schien aus dem Strahl seines Diamantringes Nahrung zu saugen. – Die Sage spricht, in dem Ringe ruhe die Dosis Aqua Toffana, welche den größten Geist, den diese Erde erzeugte, zur ewigen Nacht zurückrufen will, sobald dieser Gast das Rechnungsbuch seiner Ehre für geschlossen erklärt. Ich fürchte, wir sind auf dem letzten Blatte. Möchte es eine große, ehrenvolle Schlacht werden, in der dies Licht seines Jahrhunderts erlischt!«

»Aber das Heer soll wieder vollständig rekrutiert sein,« sprach Etienne nach einer ernsten Pause. »Wäre es denn unmöglich, noch einmal damit –«

»Einen Feind zu schlagen,« fiel der General ein. »Vielleicht nicht. Aber wenn auch die gepreßten Bauernburschen zu Helden, unsere vierzehnjährigen Offiziere jeder zu einem Seydlitz würden, wir könnten einmal vielleicht Daun schlagen, einmal die Schweden übers Meer jagen, aber die Hunderttausende von Rußland her erdrücken uns, und wäre jeder preußische Grenadier ein Herkules und ein Leonidas in einer Person. Elisabeth läßt marschieren vom Ural und Eismeer; aus Sibirien und von der chinesischen Grenze kommen die Barbaren heran, die Preußens junges, glänzendes Königreich nicht besiegen, ersticken sollen – wenn nicht ein Wunder hilft.«

* * *

Es war noch nie so schweigsam am Abendtische zugegangen. Das nasse Schneewetter, der heulende Wind begleitete die abgerissene, gedankenlos geführte Unterhaltung. Man hatte eigentlich nur gesprochen, weil man sich vor dem Schweigen fürchtete. Früher als gewöhnlich machte der General den Aufbruch. Schon an der Tür hörte er es heftig an der Hausglocke reißen. »Wer kommt in dem Wetter?« fragte man. »Es klingt wie ein Kurier.« Es war ein Kurier, ein Feldjäger, dessen schwere Stiefel die Steintreppe heraufklirrten.

»Das kann nur aus dem Hauptquartier sein; was aber Wichtiges, da der Kurier nur um ein paar Stunden später als wir abgeritten sein muß?«

»Euer Exzellenz, eine Nachricht von Wichtigkeit,« sprach der eintretende Feldjäger, »welche Seine königliche Hoheit Prinz Heinrich aus besonderer Freundschaft für Hochdieselben mir auf die Seele gebunden, Ihnen noch heute zu überreichen. Hier ist die flüchtige Depesche.«

Die Komtesse blickte forschend auf Etienne, er schüttelte den Kopf. Der General erbrach das Siegel, seine Hand zitterte, seine Farbe wechselte. Wie unwillkürlich faltete er die Hände, das Billett zerknitternd, die Augen flossen über vor Freude. Dann sich zu den anderen umwendend, sprach er mit einer Stimme, deren Bewegung der geprüfte Befehlshaber nicht einmal mäßigen konnte: »Meine Herren, wer ein guter Preuße ist, erhebe seine Hand dankend zu dem Lenker über den Sternen – Friedrich ist gerettet! Elisabeth von Rußland ist nicht mehr. Peter der Dritte wird Kaiser und bietet unserem Könige seine Hilfe an. – Es lebe unser König Friedrich in Ewigkeit! Er siegt über die Sterne selbst.«


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