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Drittes Kapitel.
Das Gardinenregiment

Die Offiziere waren auf der Jagd. Der Wind trieb durch das Schneegestöber den Knall der Flintenschüsse deutlich heran. Eugenie am Fenster weinte. »Und warum das?« fragte Amelie. Sie erhielt keine Antwort. »Antwort genug, wenn Sie schweigen. Aber wer verdenkt mir's, wenn ich nun an Hexerei glaube, an Sympathie und Liebestränke!«

»Wenn er nun tot wäre!«

»Weil er gestern nicht kam. Er kommt auch heute vielleicht nicht, auch morgen nicht.«

»Ein einziger Schuß ist genug –«

»Um einem Menschen das Leben zu nehmen, gewiß. Aber Sie haben in Ihrem Leben schon wenigstens hunderttausend Schüsse gehört und es ist Ihnen nie beigekommen, das zu denken. Und heute sind nur Hasen und Rehe dran.«

»Es könnte doch –«

»Der jüngste Tag eintreten.«

»Du hast nicht geliebt.«

Das Fräulein summte einen halben Ton zwischen den Lippen.

»Nein, so hast du nicht geliebt, so kannst du nicht geliebt haben. Ach, dich überkam's nie so bitter, so todesbitter, so glühendheiß, so daß es alle Adern sprengen möchte, und wieder so eiskalt das: wenn er tot wäre! – Du sahst einen sterben, vor deinen Augen starb er, o, das war Lust, Wollust gegen die Ahnung, daß er tot sein kann, und ich weiß es nicht. Alles, was ich habe, ich gäb' es drum, jetzt nur bei ihm zu sein, wo er ist, nur ihn zu sehen, nur einen Augenblick mich zu überzeugen. – Ach, er ist tot – er ist gewiß tot – ich fühl' es zu deutlich –«

»So deutlich, liebe Freundin, als letzte Nacht, wo er nicht tot war und über Ihr Bett langte und aus dem Wandschrank sich ein Glas Madeira schenkte.«

Eugenie hemmte mit Mühe die Tränen, die wie ein Quell sprudelnd aus hartem Gestein herausdrängten, die Brust bewegte sich noch heftig. Sie reichte der Freundin die Hand: »Was meintest du mit der Sympathie?«

»Daß Sie in geheimem Rapport mit ihm stehen.«

Eugenie sprang freudig auf: »Siehst du wohl, Amelie, dann lebt er, ist wohl; denn bin ich nicht wohl, ganz wohl, gesund?«

»Ich habe mir auch nie was anderes gedacht,« lächelte die Freundin. »Sie wollen oft, ich soll Ihnen was vorlügen. Lügen ist, etwas erzählen, was man nicht glaubt. Wenn ich Ihnen nun aber das erzähle, was ich nicht glaube, nämlich daß ihm ein Unglück passiert ist, das würde Sie erst recht aufbringen.«

»Verzeih' mir, Liebe. Ich fühle wohl, ich bin wie ein Kind. Wir sind alle schwach. Die zumal, die sich am stärksten dünken. Wenn nur nicht die Ungewißheit wäre. Ach, und es ist doch auch wieder so süß, dem Schmerz sich hingeben, sich so ganz von ihm niederwerfen lassen. Das kleinste bißchen Hoffnung wird dann Himmelsbalsam.«

Der Graf war eingetreten, Bücher und Portefeuilles im Arm; seine Miene war wohlgefällig: »Reflexionen angestellt über die Vergänglichkeit der Dinge?« rief er den Damen mit einem persiflierenden Blicke zu. »Was ist denn Himmelsbalsam?«

»Wir sprachen eben von der Süßigkeit des Schlafens,« antwortete ihm das Fräulein. »Ach, und die Komtesse meinten, es gebe nichts Angenehmeres, als des Morgens im besten Schlaf sich wecken lassen, und dann doch weiter fortzuschlafen!«

»Der Schlaf hat sehr viel angenehme Seiten,« bemerkte der Graf. »Ob die Herren drüben gutes Glück haben?«

»Das Wetter ist zu schlecht, mein' ich.«

»Für Preußen gut genug,« sagte der Graf, seine Hände auf dem Rücken spielen lassend.

Amelie bemerkte, wie Eugenie bei den Worten zusammenzuckte. Sie hob sich plötzlich auf den Zehen und blickte mit ausgerecktem Halse über die Schulter des Grafen weg: »Was war das?«

Der Graf drehte sich um: »Bemerkten Sie etwas?«

»Es kann Täuschung gewesen sein, aber mir kam es vor, als blicke ein Gesicht aus dem Kamin vor im Augenblick, wo Sie das sprachen von den Preußen.«

Der Graf fuhr zusammen und stand im nächsten Moment am Kamin, wo nichts zu sehen war.

»Das Schneegestöber blendet,« sagte das Fräulein, »und man kann sich mit sächsischen Augen so gut wie mit preußischen irren.«

»Vorsichtig mit den Ausdrücken, Prinzessin!« warnte der Graf in ganz verschiedenem Tone vom vorigen. »Man kann doch nicht wissen –«

»Teuerster Graf und väterlicher Freund, das ist es ja gerade, um was ich Sie bitten muß: man kann ja nicht wissen! Wir Frauen hüten uns wohl; aber Sie exponieren nur zu leicht Ihre werte Person in patriotischem Eifer. Sie bedenken nicht, daß Sie sich nicht für sich allein, nein, auch für uns erhalten müssen.«

Die liebkosende Bewegung, mit der das Fräulein um das Kinn des grauen Hofmanns spielte, konnte nicht sogleich die Bewegung unterdrücken, die ihre Bemerkung von eben veranlaßt hatte. »Sie sind also gewiß –«

»Daß ich mich diesmal getäuscht haben könnte. Es sind ja alle aus auf die Jagd. Ich bedaure unser armes Revier.«

»Sie werden nicht mehr viel jagen.«

»Gnaden! das sagen Sie mit einer Miene, die mich erschreckt.«

»Ich meine, sie haben schon so viel aufgejagt in den langen Jahren, daß nicht viel geblieben ist.«

»Und darüber triumphiert der Haus- und Forstherr! – Was wetten wir, sie finden mehr als wir denken! Es wächst im Kriege alles wieder. Erinnern Sie sich nur, wie uns damals, als wir aus Dresden kamen, alles hier zerstört und ausgezehrt dünkte, und wie scharmant es sich noch jetzt hier wohnen läßt, im Vergleich mit unserem Hotel in der Moritzgasse, wo die preußischen Bomben indes bis aufs Kellergeschoß schlugen.«

»Ich werde es den preußischen Bomben nicht vergessen.«

»Man gewöhnt sich an alles, werter Graf; man stimmt sich im Alter herunter mit seinen Forderungen. Sehen Sie, dieser König von Preußen, erst wollte er die ganze Welt erobern; dann, als er ein bißchen mit dem Kopfe an eine harte Wand gerannt, begnügte er sich mit Schlesien und heute ficht er um nichts mehr, als daß sie ihn nur existieren lassen. So geht's, meine ich in meinem bescheidenen Verstande, bergab mit allen sterblichen Wünschen. Wir zum Exempel, Ihre gnädige Tochter und ich. Gott, in unserem siebzehnten Jahre dachten wir noch daran, Prinzen und Fürsten, zum wenigsten Minister und Feldmarschälle, versteht sich, junge, und lauter Exzellenzen an unsere Schleppe zu häkeln! Und heute steht unser Sinn nicht höher als auf Leutnants. Ja, unser teuerster Papa, es ist eine eigene Geschichte, wenn man alt wird. Ich weiß von Staatsmännern, die in ihrer Jugend sehr gescheit waren und auch noch gescheit sind, sich aber im Verlauf der Zeit so herabgestimmt haben in ihren Plänen, daß, während sie sonst zwischen Kaiserinnen und Königinnen kuppelten, Koalitionen unter europäischen Kabinetten intrigierten und zerrissen, je nachdem es kam, auch wohl auf gekrönte Personen in Anschlag lagen, sich heut begnügen, gegen Proviantfuhren zu konspirieren und – gegen Leutnants. Du lieber Gott, wenn große Politiker so heruntersteigen, wer wollte dann noch klagen, daß er auch mit seinen Prätensionen herunter muß!«

»Was meinen Sie denn mit Leutnants?« fragte der Graf ärgerlich.

»Das entfuhr mir so unschuldigerweise als Exempel. Wir können auch ›Portepeefähnrichs‹ setzen.«

»Gegen Leutnants,« fuhr der Graf fort, »die es in einem sechsjährigen Kriege nicht bis zum Rittmeister gebracht, braucht doch wohl niemand zu konspirieren.«

»Sie müßten, dünkt mich,« bemerkte die Komtesse mit einiger Bitterkeit, »jetzt mit Friedrich recht zufrieden sein.«

»Sind Sie das? Ach, das wäre ja scharmant,« fiel Amelie ein. »Ach, der große König! Ist es nicht zum Tränenvergießen, wenn man sieht, wie zu seinen alten Feinden immer neue kommen. Anfänglich waren alle alten Weiber, so männlichen als weiblichen Geschlechts, wider ihn, jetzt, da er alt wird, fangen aber auch die Jungen schon an, auf ihn loszuhacken, zumal die Enthusiasten, weil der gerechte König nicht jeden Leutnant zum Generalleutnant avancieren kann.«

»Was bewegt denn nun unser Fräulein zur Bewunderung desselben?«

»Pures Mitleid! Sie erinnern sich, wie es mir allemal leid tat, wenn die Komtesse ein schönes Kleid so früh ablegte. Ich trug es dann noch ein paarmal, wenn es mir auch nie gefallen, bloß aus Teilnahme für die gefallene Größe. Ach, und dieser Friedrich, jüngst noch verehrt in dem Schlosse wie ein Halbgott, – mir war er zwar immer unausstehlich – aber meine teuersten Gebieter und Verwandten, hatten sie ihm nicht Altäre errichtet, voll Weihrauch und Wachskerzen, daß wir anderen, die wir an den Geruch nicht gewöhnt waren, niesen und husten mußten, und wie strahlte und knisterte es durchs ganze Haus von seiner Glorie, und jetzt steht die Bewunderung für ihn, die Liebe, das Bedauern, das Mitleid, das man doch den gewöhnlichsten Leuten schenkt, die einmal an unserem Tisch gesessen, wie ein abgetriebener Besen, im allerdüstersten Winkel. Ach, meine teuersten Verwandten, ich müßte ja kein menschliches Wesen sein, wenn sich nicht da das Herz im Leibe umkehren und das Mitleid hätte regen sollen. Erlauben Sie mir doch, wie Sie mir ja sonst immer zukommen ließen, was Ihnen nicht mehr gefiel, noch ein klein wenig den armen Mann und König zu lieben. Es wird bald vorüber sein.«

»Wir erlauben dem Fräulein, wozu es Lust hat, nur ersuchen wir sie, auf uns mehr Rücksicht zu nehmen, als auf die fremden Gäste, und von der Klugheit unserer Tochter sind wir überzeugt, daß eben, wie ihrem scharfen Blicke die Glorie um des preußischen Königs Haupt verschwunden, auch der falsche Schein um die Köpfe seiner Soldaten sie nicht mehr lange blenden wird.«

»Gemerkt?« fragte Amelie, als der Graf den Saal verlassen.

»Ich begreife nicht, wie du immer noch dein Vergnügen darin suchen kannst, den alten Mann aufzuziehen.«

»Und ich, Cousine, begreife nicht, wie der alte Mann noch immer intrigieren kann, da ihm doch nie etwas gelungen ist. Er führt wieder etwas Ungeheures im Schilde. Er darf doch den Krieg nicht ruhig ausgehen lassen, ohne selbst etwas hinzuzutun. Passen Sie auf; er fädelt etwas ein, was uns alle in Erstaunen setzen soll. Läge nicht der Schnee ellenhoch, so glaubte ich, er unterminiere das Schloß, um die preußische Einquartierung in die Luft zu sprengen, wenigstens den Leutnant, den wir erwarten.«

»Er bleibt doch mein Vater, Amelie.«

»Macht die Liebe Sie auch zur sentimentalen Tochter? Ich glaube, es ist das erstemal, daß Ihnen das in der Art einfällt. Wie Sie ihm eben den Rücken kehrten und dabei mit ihm sprachen, das paßte noch wenig zur gerührten Kindesliebe.«

»Wie ich auch für mich handeln und denken muß, unabänderlich dem getreu, was jetzt meine Pflicht ist, so werde ich doch stets dabei gedenken, daß er mit jedem Jahr älter und schwächer wird, und darum kein Gegenstand des Spottes, sondern der fürsorgenden Achtung.«

»Ach, was das gut ist, wenn man in seinem Alter moralisch wird,« brummte Amelie der Abgehenden nach. »Überhaupt hat das Alter Vorzüge vor der Jugend, die man erst inne wird, wenn man an der Schwelle steht. Warum soll ich den Grafen achten, der mir sein ganzes Leben durch erbärmlich vorkam? Weil er alt wird! Seine Intrigen waren immer kleinlich, jetzt sind sie kindisch. Aber ich soll nicht mehr darüber spotten; weil er alt ist. Seine Weisheit war immer eine hohle Nuß; jetzt faselt er, aber ich soll Respekt vor ihm haben, weil er alt ist. Sie waren ihm neulich auf der Spur, daß er österreichischen Fouragierern durchgeholfen, aber sie drückten ein Auge zu, weil er ein so alter Mann ist. Wenn ein Dummkopf zu einem Weisen verjährt, ein Geck zu einem ehrwürdigen Menschen und weißes Haar alle Gebrechen des Herzens und des Geistes ausgleicht, kann man dann nicht auch mit dem Alter schön werden? Das wäre doch hübsch. –« Sie sah sich im Spiegel, arrangierte das Haar und schüttelte den Kopf. »Das ist die fatale, ungerechte Teilung der Natur, die den Männern so viel voraus gab. Aber heiraten will ich, ja, das will ich, und damit es ein vollkommenes Paar wird, soll mein Mann alle die Eigenschaften besitzen, die ich nicht habe. So gleicht sich's aus. Wozu hätte uns denn die Natur den Verstand gegeben, als um ihre Fehler zu korrigieren.«


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