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Viertes Kapitel.
Tottleben

Der geflügelte Pegasus ist das einzige Pferd, welches in Karriere durch den Storkowschen Kreis setzen kann; auch ein arabischer Renner, doch an Sand gewöhnt, wird hier müde. Ein mit seiner Armatur belasteter Reiter, der sein Roß verloren hat, schlägt sich daher, wenn auch inneres Feuer ihn brennt, nur äußerst langsam durch die Wüsten, Heiden und um die langen Seen. Doch sind diese, wie sie klar und blau daliegen zwischen verbrannten Höhen und den saftlos traurigen Kiefernwäldern, Erquickung für Auge und Brust. Es sind die Augen der Landschaft, die von einer Seele sprechen. Was heute wohlgefällig die farblose Monotonie einer Reise durch diesen Teil der Mark Brandenburg unterbricht, die roten Dächer von frisch gebrannten Ziegeln, suchte man damals umsonst. Braunes Stroh und Schilf deckte, vom Sturm geworfen und gebogen, die Lehmwände der wendisch-deutschen Dörfer. Der lange Krieg hatte auch die Baulust der wohlhabenderen Besitzer gehemmt, und die Ruinen, die er niedergeworfen, trugen wohl den Stempel der Verwüstung, aber keine, die das Gemüt erhebt und das Auge erfreut. Überhaupt begegnet dieses selten steinernen Gebäuden; auch der Feudaladel des Mittelalters baute seine Raubnester von Lehm und Balken. Sie sind meist spurlos vergangen. Die wenigen erhaltenen Rittersitze und adligen Schlösser gehören einer Vorzeit an, die schon den Sinn verloren für die einfach rohe Größe der alten Burgen, und im schlecht verbundenen Streben nach Nützlichkeit und Zierat noch den Geschmack nicht gefunden hat.

Es sind Träume, welche die Mark in grauer Vorzeit mit dunklen Laubwäldern und duftiger Wiesenflur schmücken. Diese weiten Küstenstriche sind und waren nichts als eine Sandanschwemmung, welcher erst rastlose Betriebsamkeit den wohnlichen Charakter verliehen hat. Die Sitze der alten Wenden sprechen zu deutlich dafür. Wie die Biber, baute sich dies emsige Völkchen in Kot und Wasser an. Sie suchten in der großen Sandwüste nach den feuchten Stellen, nach morastigen Oasen und scheuten nicht den Kampf mit dem unsicheren Boden, um fruchtbares Gartenland um ihre Hütten zu gewinnen oder am Fischfang einen Nahrungszweig, wenn der undankbare Boden ihnen diesen versagte. So entstand Berlin mitten in den Sumpfinseln der Spree auf Pfählen – das alte Cölln – so Brandenburg, Havelberg. Auch die nicht an Flüssen gelegenen Städte der Mark und Niederlausitz sind meist mitten an entwässerten Sümpfen und an der Stelle ausgetrockneter Seen erbaut, was zum Teil selbst ihr Name andeutet. Während die Deutschen gern hoch bauten, umrauscht von freier Luft, siedelten sich die Slawen lieber in feuchten Niederungen oder am Strande an. So treffen wir mitten in der traurigsten Landschaft auf anmutig gelegene, von Wiesengrün und Laubholz umgrünte Städte und Marktflecken.

Einen Anblick der Art bot unserem Freunde nach einer doppelt traurigen Wanderung durch die Luckauer Heide das Städtchen Wendisch-Buchholz. Wo ein bescheidenes Flüßchen dieser dürren Grenzgegenden einige tiefe Wiesen bewässert, hat sich der kleine Flecken angeschichtet an seine Krümmungen. Seine Lage erscheint nach einer Wanderung durch die Kiefernheide nicht unmalerisch. Doch hatte Stephan so wenig Auge dafür, als er aufgelegt war, die dürftige Bauart dieser ersten brandenburgischen Stadt mit der reichsstädtisch behaglicheren an den sächsischen Örtern, die er eben verließ, zu vergleichen. Er sah nicht auf die Lehmhäuser und die überhängenden unmassiven Wände, nicht auf den Schmutz und den äußeren Stempel der Armut; was ihn erfreute, war, daß er sie von feindlichen Truppen unbesetzt fand. Die Kosaken hatten sich mit einer geringen Brandschatzung abfinden lassen, und der Bürgermeister beeilte sich voll preußischem Patriotismus, dem Offizier Vorspann zu verschaffen, ehe ein angemeldetes Detachement Österreicher einträfe. Auch tauschte Stephan hier seine gefährliche Uniform mit dem Rock eines Landmannes, denn niemand wollte ihm verbürgen, daß er damit Berlin erreiche. Wie er das Ehrenkleid ausgezogen und den schlichten Pächterrock anlegte, war ihm zumute, als werde er erst wieder Bürger seines Vaterlandes. Der Bürgermeister drückte ihm die Hand: »Ihr König wird Sie auch in dem Rocke wiedererkennen.« Die Tränen standen dem wackeren Manne im Auge, und die Glückwünsche der Einwohner geleiteten unseren Freund. Er hatte nicht über eine Stunde in dem traurigen Städtchen verweilt, kein Mensch war ihm bekannt, und doch war es ihm in der einen Stunde so wohl und vertraut geworden, daß er dem Schuhflicker, der aus dem Fenster der letzten Hütte ihn grüßte, wie einem alten Freunde zunickte.

Von der Stellung der Feinde hatte er hier so wenig erfahren können, als von dem Stande der Dinge in Berlin. Buchholz liegt so abgesondert in seiner Öde, daß auch im Frieden die Nachrichten aus der Residenz nur spärlich hindringen. Die Zeitungen waren seit einer Woche ausgeblieben. In Königs-Wusterhausen, des ersten Friedrich Wilhelm berühmtem Jagdschlosse, wußte man, daß Berlin belagert wurde; man hatte bei günstigem Winde den Kanonendonner gehört. Preußische Hilfskorps stürzten, so hieß es, von allen Seiten herbei, um des Königs teure Stadt zu retten; doch waren auch jetzt die Österreicher unter den Generalen Lascy und Brentano den Russen zu Hilfe geeilt. Einige meinten, beide Völker hätten nicht übel Lust, sich zuvor untereinander über ihren Anteil an der Beute zu schlagen.

Stephan glühte. Es war Unwillen und Lust, die beste Arzenei gegen den Schmerz vom Morgen. Das Bild des toten Freundes mit dem wehmütigen Abschied, mit der düsteren Ahnung, trat schon zurück, wenn er meilenweit durch tiefen Sand sich fortarbeitete, es verschwand völlig, wenn das Bild von Berlin, mit seinen hohen Dächern, seinen stolzen Kuppeln und Türmen wie eine Fata Morgana aus den Seen tauchte, an deren Strande sein Weg ihn vorüberführte. Er ging zu Fuß; ein Vorspannwagen wäre jetzt ein so verräterisches Zeichen geworden wie seine Uniform. Von Gerüchten gescheucht, vom Instinkt geleitet, wich er aus, bald rechts, bald links. Er erkannte an den Fußtapfen im Sande die Österreicher, war indes nicht so glücklich, auch einem Polk Kosaken ausweichen zu können, von denen er sich, schnell entschlossen, mit verstecktem Widerstreben, zum Führer annehmen ließ. Auf einem ihrer kleinen raschen Sattelpferde eilte er, sicherer und schneller, seinem Ziele entgegen. Dem Preußen drohte das Schicksal, in der Mitte einer kriegerischen Horde durch die Tore seiner Vaterstadt einzuziehen. Nicht im stolzen ritterlichen Trabe, wie ein Rudel schnellfüßiger Raubtiere setzten sie im Fluge und doch fast kriechend am Boden über die Höhen und durch die Täler. Von den Höhen von Streganz, von Kolberg übersah er die weiten Seen um Blossin, und in der Ferne die ersten Hügel, die dem Kinde Gebirge dünkten – die Müggelberge.

Immer lebhafter wurde es auf den Landstraßen. Artillerieparks, Bagagewagen, Getümmel von ab und zu sprengenden Streifparteien, er hörte Gewehrfeuer, Kanonendonner. Hier jauchzte die rohe Lust der Sieger, hier überschlugen Offiziere die Mittel und Wege, oder schon die Beute. Dort mußte er ein Zeuge der Mißhandlungen sein, die seine Landsleute trafen. Er mußte schweigen, wenn sein Blut sich empörte, die Hand sich ballte, er durfte nicht einmal ein Wort des Trostes zurufen.

Die Gegend hatte sich verwandelt. Der lockere Boden wurde fester, ein Rasenteppich breitete sich über den Sand aus, statt der Kiefernbüsche erhoben sich aus den feuchten Gründen weiße Birkenstämme. Durch diesen Birkenwald führte der meilenlange Weg bis Berlin, erfuhr er aus einem zufälligen Gespräch; er selbst durfte nicht fragen. »Auf den Seiten sind Moräste,« rief ein Offizier dem anderen französisch zu, »dahinter eine ausgebreitete Wiese. Es führt nur der eine Weg durch das Holz.« –

»Es wäre doch verdammt,« sagte ein anderer, vorübersprengend. Schon längst hatte Kleingewehrfeuer aus der Ferne geknallt, einige Kanonen brummten dazwischen. Die Kosaken spitzten, wie im Instinkte eins mit ihren Rennern, die Ohren. »Die Affäre wird ernsthaft; wer hätte das gedacht!« rief ein Offizier. Das Getümmel vermehrte sich, der Staub wirbelte hoch auf, die Wagen fanden keinen Platz, die Pferde drängten sich, Trompetenstöße, Feldgeschrei, Wiehern der Pferde, Flüche, Kommandoworte. Die Stockung dauerte nicht lange, plötzlich kam ein Gegenstoß, die vor ihnen machten kehrt. »Die Preußen kommen!« rief es in so viel Sprachen, als zwischen Ural und Seine gesprochen werden. Die noch hielten, wurden mit fortgerissen und mußten sich auf die hinter ihnen werfen. Der Weg war nicht breit, an den Seiten Sumpf und Wald, und die Trommeln wirbelten in ihrem Rücken. Prinz Eugen von Württemberg, der Garnison mit seinem kleinen Korps zu Hilfe geeilt, hatte einen Ausfall gemacht und drängte Tottlebens Russen durch die Defileen der Köpenicker Heide bis in dieses Städtchen zurück. Stephans Herz schlug der wohlbekannten Fanfare, dem Wirbel der Trommel zu. O, daß es so schwach herüberdrang, daß kein Säbel an seiner Seite klirrte! Er hoffte jeden Augenblick, es würde sich hinter ihm lichten, die braunen Husaren würden pfeilschnell in die Kolonnen dringen, einhauen, die Kosaken versprengen, ihn befreien, er sah sich als Retter unter ihnen zurückkehren. Vergebens. Das Waldecho hallte die preußischen und russischen Schüsse wieder, aber so weit er sich umsah, Kopf an Kopf, nur die Mützen und Hüte der Asiaten und Sarmaten, kein preußischer Federbusch.

Jetzt gewannen sie eine freie Stelle, die Kosaken, nie gewohnt im Trosse mitzuziehen, sprengten seitwärts ab. Er ersah den günstigen Augenblick, es ritt ihm niemand zur Seite. Er riß seinen Klepper rechts um und war schon fünfzig Schritt in den Wald, ehe es bemerkt wurde. Die Hallos hinter ihm spornten ihn an. Er setzte die Hacken in die Weichen des Pferdes: »Friedrich kommt! Friedrich kommt!« und das Pferd trug ihn bis an einen Wassergraben. Noch verließ ihn das Glück nicht und Friedrichs Name half; »Friedrich kommt!« war sein Sporn und seine Peitsche. Das Tier, an solche Hindernisse gewöhnt, trug seinen neuen Herrn leicht hinüber, ehe seine Verfolger das Ufer erreichten. »Nun zu, mein Tier, und du sollst den Hafer aus goldener Krippe fressen!« Das Pferd gehorchte, so lange es konnte; aber der Fliehende hatte das Moor nicht beachtet, in das er es gerade hineingelenkt. Er wollte fliehen und das Tier Boden suchen. Er war noch nicht in der Mitte des Morastes, als es schon bis über die Knie im Wasser stehen blieb. Von hinten schallte ihm ein lautes Gelächter nach. Er schlug mit den Hacken in die Seiten, das Pferd blieb stehen; er flehte, das Tier rückte sich nicht. Jetzt pfiff ein Kosak, und das Tier spitzte die Ohren. Er pfiff zum zweitenmal, und es machte kehrt. Einige zehn pfiffen, die Pferde wieherten ihrem verlaufenen Kameraden zu, und keine Sporen und keine Stahlkette und kein Name Friedrich hätten es länger gehalten. Durch dick und dünn trabte das Tier zurück, seinem Reiter nicht einmal Zeit lassend abzuspringen. Mit einem Satz war es zurück über den Graben, den zu passieren seine Verfolger sich nicht erst die Mühe gegeben und wollte, als wäre nichts geschehen, wieder mittraben. Die Söhne des Urals schienen indes nicht einer Meinung des Vergebens und Vergessens. Eine derbe Faust hatte ihn ergriffen und riß ihn von hinten herab. Im Moment blinkten drei Pikenspitzen auf den unsanft in den Sand Gestreckten; doch das grinsende Gesicht eines vierten, es mochte eine Art Offizier sein, hielt sie zurück und kreischte ihnen etwas zu, was Stephan nicht verstand. Sie lachten und statt der blanken Waffen griff man nach den Peitschen. Stephans Blut siedete, er wollte aufspringen, doch ein alter Kosak hielt ihm kaltblütig die Pike vor die Brust, ihm mit der Spitze ums Gesicht kitzelnd: »Bis ruhig! Tut nix!« Zähneknirschend riß er ein Terzerol aus der Brust und richtete es dem grinsenden Kalmückengesicht entgegen, das ihn jetzt beinahe berührte, indes sein Eigner fest im Sattel, obgleich drei Viertel des Leibes überlagen, mit dem Kanischu ausholte.

Mochte er losdrücken, den Kosaken treffen oder nicht, sein Los schien nun ein anderes zu werden. Friedrichs Botschaft schien bestimmt zu modern in einem Wassergraben oder verscharrt zu liegen im Sande der Köpenicker Heide. Schnalzend, halb Erstaunen, halb Lust, fuhren die rohen Natursöhne zurück und schwenkten die Piken um ihn, wie einem gehetzten Wilde den Garaus zu geben, als in dem rechten Augenblick ein Trupp Offiziere heransprengte. Ein ›Halt!‹ einige Flüche und Stöße trieben die allzu heftigen Exekutoren auseinander. Der Vornehmste unter den Offizieren fragte nach der Ursache des Auftritts. Man rapportierte. Das Terzerol war noch in der Hand unseres Freundes, der sich jetzt halb erhoben. Ein Wink des Anführers hieß ihn ganz aufstehen. Mit einem scharfen Blick hatte der General ihn gemustert. Auf Deutsch rief er ihm zu:

»Kein Bauer?«

»Ich bin ein Preuße.«

»Woher?«

»Aus Wasserburg.«

»Wohin?«

»Nach Berlin. Man griff mich auf, um Führer zu werden.«

»Wozu die Waffe?«

»Man wollte mich –« Stephan sprach das Wort nicht aus, aber ein wütender Blick, die bebende Miene vollendete die Rede und die Peitschen in den Kosakenhänden bestätigten sie. Des Generals Blicke verweilten einige Sekunden auf der trotzigen Gestalt.

»Doch warum führen Sie Waffen?«

»Es sind Kriegszeiten, Herr General.«

»Ihre Geschäfte in Berlin sind dringend?«

»Dem Besitzer kann jede Minute in solcher Zeit unersetzlichen Verlust bringen.«

Über des Generals Augen stand eine Anweisung an den Gefangenen, daß er mehr gehört, als er Antwort erhalten, und daß es ihm leid wäre, seine Pflicht tun zu müssen. Er beorderte die Offiziere, diesen Besitzer aus Wasserburg in sicheren Verhaft zu bringen. »Bis Berlins Schicksal sich entschieden, wird Ihr dringendes Geschäft Aufschub leiden müssen,« sagte er achselzuckend. Er sprengte davon, nachdem er ein Wort von Wiedersehen hatte fallen lassen.

Die unerwartet gnädige Verwendung des russischen Generals rettete Stephan aus einer doppelten Gefahr, und doch fühlte er sich unsäglich unglücklich in der Köpenicker Wachtstube, wohin man ihn gebracht, zwar nicht wie so viele andere Unglückliche, an den Schweif eines Kosakenpferdes gebunden, doch nicht viel besser als einen eingefangenen Verbrecher. Man bewachte ihn streng, aber bekümmerte sich nicht viel um ihn. Er litt am Nötigsten Mangel, niemand war um ihn, der ihn verstand, er konnte nicht einmal erfahren, wer der General gewesen, der auf diese Weise für ihn gesorgt. Er mochte ihn längst vergessen haben; daran lag auch nicht viel. Und hätte er ihn auf Rosen gebettet, die Rosen wären zur Folter geworden, solange er nicht die Erlaubnis erhielt, nach Berlin zu gehen. Ein Feuerbrand war in ihm, Friedrichs Wort, und es konnte nicht heraus, nicht leuchten, brennen, es zehrte an seinen Eingeweiden. Konnte er es nicht den Wolken zuschreien, die nach der Stadt zogen, nicht an die Flügel der Brummfliege binden, die um ihn summte? Hingestreckt am feuchten Boden, das Gesicht in den Armen, durchzuckte ihn jeder Kanonenschuß. Das wilde Hallo, der Jubel der Kalmücken am Wachtfeuer sprach von Siegen. Es verging eine Nacht, ein Tag, vielleicht noch mehr, er hätte Wochen herausgezählt, und es war vielleicht schon geschehen, was ein Wort ändern konnte. Die Eilboten sprengten hin und her über den gepflasterten Hof, es gab Streit, Zwistigkeiten, er hörte zuweilen die österreichische Mundart, man klagte über die Russen. Ein Franzose rief mit dem unbesonnenen Leichtsinn, den man den Diplomaten dieser Nation vorwirft, laut zu einem anderen: »Die russischen Starrköpfe wollen nicht. Friedrichs Name steckt ihnen in den Hosen, oder Friedrichs Geld in der Tasche.« Also war Berlin noch nicht genommen; die Hoffnung ließ ihn eine unerträgliche Lage ertragen.

Unerwartet trat ein Offizier in die Wachtstube, ihn in eines der oberen Schloßzimmer zu führen, welches zu seinem besonderen Gefängnis bestimmt schien. Welcher Veranlassung er dies verdankte, war nicht herauszubringen, da der Offizier weder Deutsch noch Französisch verstand. Man hatte ihn also doch nicht vergessen.

Er erhielt Wein und Speisen, die nur aus der Küche der Generalität kommen konnten; eine Matratze und mehr Bequemlichkeit, als worauf Kriegsgefangene Anspruch machen dürfen, war zu seinem Dienst. Doch ließ sich niemand sehen. Das Fenster war nicht vergittert, und er hatte die freie weite Aussicht über den breiten, schönen Spreestrom.

Er maß die Höhe, er berechnete die Hilfsmittel: zusammenzubindende Tücher, Stricke, Möbelüberzüge, um sich herunterzulassen. Vor zehn Jahren hatte er sein Meisterstück in der Schwimmkunst abgelegt, und die breite Spree war ein Bach gegen die Donau bei Semlin. Aber die Tiefe war zu beträchtlich, und wenn er selbst seine Kleider zu Hilfe nahm, hätte das Seil doch kaum zur Hälfte gereicht. Er warf sich auf die Matratze, er sprang wieder auf, ein Gedanke durchzuckte ihn: Warum hatte er nicht in der Wachtstube, auf dem Hofe, wo Tausende von Zuhörern waren, sein Geheimnis ausgeschrien. Es waren gewiß gute Patrioten, vielleicht Lauscher für die Berliner Garnison darunter. Man hätte ihn wohl auf der Stelle niedergestoßen, so starb er den Tod eines Märtyrers. Hätte auch keine Zunge das inhaltschwere Wort nach Berlin getragen, doch erschreckte es vielleicht die Feinde, sie zauderten, sie zogen sich zurück. Blieb ihm nicht noch immer diese Auskunft? Sein Herz schlug vor Lust, es schlug gegen seine Brieftasche. Er riß sie heraus, wie ungläubig, daß er sie noch besitze. Wie kam das? Betrachtete man ihn wie einen Gefangenen, wie einen Spion, warum hatte man ihm nicht alles genommen, warum ihn nicht durchsucht, warum behandelt man ihn mit der seltsamen Auszeichnung? Er war unter Russen!

Sollte er die Papiere zerreißen? – wer hatte es ihm erlaubt, mit Friedrichs Geheimnis nach eigenem Gutdünken zu schalten? Schwere Tritte hallten die Treppe herauf. Er preßte das Portefeuille in der Hand zusammen. Und was konnte ihm der König tun? Ihn vor ein Kriegsgericht stellen, ihn kassieren, ihn füsilieren lassen. Ja, der König tat es, auch wenn die eigenmächtige Tat Berlin rettete. Ja, Friedrich ließ ihn erschießen! Es stand ihm klar vor der Seele. Aber konnte er nicht sterben mit dem stolzen Bewußtsein, dem größten Manne seiner Zeit einen Dienst gegen seinen Willen geleistet zu haben? Ein spätes, mächtigeres, ein heiligeres Gericht, als das nach dem Buchstaben urteilt, die allgemeine Stimme, die Geschichte, nannte ihn dann unter den unsterblichen Helden des unsterblichen Krieges. Es müssen Zeiten kommen, fühlte er, wo der Eigenwille nicht mehr unauflöslich durch das geschriebene Wort gebunden ist, wo ein Geist in die Subordination fährt, der Soldat ein Mensch ist, der Offizier urteilen darf, und nur für den Erfolg steht.

Es war draußen wieder still geworden. Wie aber, wenn der Erfolg anders kam als er dachte, wenn die Nachricht von Friedrichs Ankunft den Angriff beschleunigt, Berlin gestürmt, die Königsstadt in Brand gesteckt, allen Greueln einer Plünderung ausgesetzt wird? Wie, wenn die Feinde aus den Depeschen Friedrichs Marschroute kennen lernen, ihm begegnen, einen Hinterhalt legen, ihn angreifen. Konnte er die Verantwortung tragen, wenn Friedrich durch seine Schuld überfallen, geschlagen, vielleicht vernichtet wurde?

Die Brieftasche war wieder unter der Weste versteckt, als die Tür aufging und eine Ordonnanz ihn zum General Tottleben forderte. Es war derselbe General, der ihn aus den Händen der Kosaken gerettet, ein Mann mit einem gebildeten, wohlwollenden Gesichtsausdruck. Er ging im Zimmer mit einem Adjutanten auf und ab. Stephan konnte bemerken, daß er ihn während des Gesprächs fixierte. Als der Adjutant sich mit einem Auftrage, der ihm in russischer Sprache erteilt worden, entfernte, begrüßte ihn der General mit der Hand und redete ihn in französischer Sprache an:

»Sie sind Proprietär in Wasserburg?«

Stephan verneigte sich; er mochte nicht die Unwahrheit durch ein »Ja« bekräftigen.

»Der Schein sprach wider Sie,« fuhr der General fort, »Ihre Haltung ließ einen Militär des Königs von Preußen vermuten, und das setzte Sie der unangenehmen Behandlung meiner Leute aus. Es ist mir lieb, daß ich nun die Versicherung habe, daß Sie es nicht sind.«

»Ew. Exzellenz, jeder Preuße ist Soldat, sobald sein König ruft.«

»Schon gut! Sie werden mir in Berlin Ihre Legitimationsdokumente vorlegen. Ich bitte Sie zu vergessen, was Ihnen auf der Landstraße begegnete. Es ist im Kriege nicht zu vermeiden.«

»Ew. Exzellenz haben den Ruf eines menschenfreundlichen Generals.«

»Der Feldherr darf nicht stets seinem Herzen folgen. Der Krieg ist noch ein rohes Handwerk, aber auch er wird edler werden. Meine erhabene Gebieterin, die Kaiserin Elisabeth, führt nicht mit den Untertanen des Königs Krieg. Es wird meine nächste Sorge sein, das traurige Los der Armen zu mildern, die der Ehrgeiz Ihres Herrschers dem Verderben opfert.«

»Ew. Exzellenz werden den Dank des Menschengeschlechts ernten; und die Achtung des erhabenen Monarchen, den seine unversöhnlichen Feinde fälschlich des Ehrgeizes beschuldigen, wird Ihre Anstrengungen belohnen.«

»Sie reden sehr warm für Ihren König.«

»Fanden Ew. Exzellenz einen Preußen, der anders von ihm redete?«

»Sie sind kein geborener Preuße –«

Stephan blickte betroffen auf; er fühlte die Wangen glühen. »Exzellenz, ich glaubte Ihnen gemeldet zu haben –«

Der Blick des Generals war unverändert, als er ihn unterbrach. »Lassen wir das; ich kann mich geirrt haben. Eine Verwechselung. Ich bedaure Ihr Land, wahrhaftig, ich bedaure es. Ich lebte lange in Berlin, ich kenne, ich schätze die Kultur, die Wissenschaften, die Geselligkeit. Klagen Sie nicht darum?«

»Wir versparen uns die Klage und vertrauen auf unseren König.«

»Ganz, mein Herr?«

»Er hat auch das kühnste Vertrauen bisher gerechtfertigt, ja übertroffen.«

»Er hat zuweilen gesiegt, wo die Kurzsichtigkeit seiner Freunde und Feinde ihn verloren gab. Er ist ein großer Feldherr. Seinen Scharfblick leugnet niemand. Doch ob er so weit reicht: Geist und Talent nicht bloß unter sich, auch neben sich zu würdigen?«

»Seinen Generalen streitet auch der Feind ihre Tüchtigkeit nicht ab.«

»Doch ließ sein Scharfblick einen Mann wie Laudon sich entgehen, der ihm vor dem Kriege seine Dienste anbot. Es ist nicht das einzige Beispiel. Was erntete Tauenzien für seine Verteidigung Breslaus? ›Er hat sich erträglich verteidigt,‹ schrieb Friedrich. So erkennt er ein Meisterstück der Taktik und Strategie an! Wo ist da gerechte Würdigung und Vertrauen, indem er seinen Günstling Fouqué, der bei Landshut bestenfalls nicht schlimmer handelte als Fink bei Maxen, beweint, besingt und tröstet, indes er den genialen Fink kassieren läßt? Fink versprach ein zweiter Turenne zu werden, und tat nichts, als daß er buchstäblich den eigensinnigen Befehlen des Königs nachkam.«

Tottleben ging, indem er dies sprach, im Zimmer auf und ab.

»Und sollte das keinen Stolz gewähren, von einem solchen Mann verkannt zu sein?« entgegnete Stephan.

»Es wäre eine seltene Art Stolz.«

»Von einem Geist, der geht und sieht wie wir, ertrüge man es vielleicht nicht, Herr General; ein so außerordentlicher, dessen Riesenschritte wir nicht messen, dessen Blick wir nicht folgen, sollte, wenn er uns unrecht tut, so wenig kränken können, als einer, den wir verachten müssen.«

»Das ist ein armer Trost für den unglücklichen General Fink. Von dem bitteren Gefühl lebt es sich schlecht, wenn man es herunterschluckt.«

»Soll er zum Feinde übergehen?«

»Prinz Eugen war der größte Feldherr seiner Zeit, und es hat nie ein vernünftiger Mensch ihm den Vorwurf gemacht, daß er zu den Kaiserlichen überging. Nur den französischen König traf der Tadel, daß er ihn gehen ließ.«

»Ew. Exzellenz, ich erlaube mir zu meinen, daß wenn General Fink der ausgezeichnete Mann ist, zu dem ihn die öffentliche Stimme macht, so lebt der große Friedrich, der ihn entwürdigte, so frisch und herrlich in seiner Brust, als der gnädige Friedrich, der ihn vorhin erhob und streichelte. Er tritt mit einem stolzen Bewußtsein vom Schauplatz seiner Taten ab, daß er gekränkt wurde, von einem, der so wenig kränken kann, als die unsterblichen Götter den staubgeborenen Menschen. Er appelliert mit sicherem Vertrauen an die Nachwelt, die seinen Namen nennt, wenn sie mit schmerzlichem Lächeln anführt, daß ein Halbgott auch einmal ein Mensch war.«

»Sie reden mit einer Begeisterung, als hätten Sie selbst von dem Undank und Mißtrauen Ihres Heldenkönigs zu leiden gehabt.«

»Ein jeder Preuße, Exzellenz, lebt nur in und mit seinem König. Seine Gedanken sind bei dem einzigen; jedes Wort aus seinem Munde ist uns teuer, was er anfaßt, wird zur Reliquie. Der Preuße denkt, er freut sich, er leidet mit ihm, er fühlt, daß er ohne ihn nichts ist, kein Wunder daher, wenn alles, was ihn angeht und ihn umgibt, mit unserem innersten Sein sich verschmilzt und eins wird.«

Tottleben lächelte, indem er sich an das Schreibpult lehnte: »Wird diese preußische Begeisterung ausdauern? – Doch sei es, mein junger Mann, sie überdauert den Krieg, denn hier findet sie auf jedem Schlachtfelde Nahrung, wird sie im Frieden dauern, wenn Friedrich, alt und grämlich, nicht mehr das Idol derer ist, welche eine Wiedergeburt der Welt von ihm erwarten, wenn sein Mißtrauen mit den Jahren wächst und keine Hoffnung mehr die hellen großen Augen des einsamen Greises belebt? – O, halten Sie mich nicht für unempfindlich gegen den Zauber, den seine Nähe einflößt. Ich lebte auch an seinem Hofe in Potsdam, ich geizte auch nach einem Blick von ihm, und wenn sein Auge mich traf, ein verbindlich Wort meine Zunge löste, verschwand vor mir der graue Wintertag, es wurde hesperischer Himmel um mich, Sommer, es tanzte alles wie die Planeten um eine Sonne. Seine Unterhaltung riß hin, sein Witz sprudelte, die Dummen selbst bekamen kluge Gesichter, wenn er mit ihnen redete. Bei jeder Wendung stieß man mit den Ellbogen an einen Philosophen und mit der Wissenschaft fanden die Künste hier einen Hof, wie er seit den Medizeern nicht geglänzt. Der Himmel kam herab, oder die Erde erhob sich zum Himmel, so angenehm war es in diesem vergnügten, witzigen, glänzenden Kreise. – Aber mit jedem Jahre strahlte diese Sonne weniger Licht aus. Sein Blick wurde ernster, stierer, abgebrochener seine Rede, sein Witz bitterer. Selbst das Glück konnte ihn nicht jovial machen, sein Mißtrauen verletzte und sein Eigensinn war unerträglich. Lassen Sie ihn siegreich aus diesem Kriege hervorgehen, lassen Sie ihn um zehn Jahre älter werden, es kommt eine Zeit, wo er die um ihn sind nicht mehr für wert hält, eine witzige Bemerkung aus seinem Munde zu hören. Wenn er dann, mit sauren Blicken, vom Podagra geplagt, auf seine Krücke gestützt, in dem stummen ehrfurchtsvollen Kreise wie ein Gespenst aus einer anderen Welt umhergehen wird, wenn auch sein Günstling, wenn sein Lieblingshund und seine Flöte ihm kein Lächeln mehr entlocken, wenn der muntere Scherz verschüchtert schweigt und es in Potsdam stumm wird wie im Grabe aus Scheu vor dem alten verdrießlichen Könige, und die monotone Glockenuhr dort die einzige Musik sein wird, dann wollen wir weiter sprechen, mein junger Freund, ob Ihre Begeisterung noch Stich hält.«

»Was soll das?« fragte sich Stephan betroffen und richtete sein Auge auf den General der Kaiserin von Rußland, der hier nicht als Feind, nicht als General gesprochen, der einem ihm völlig Fremden Ansichten offenbarte, die nur aus eigener tiefer Bewegung hervorgehen konnten.

Tottleben fuhr ruhiger, mit einem freundlichen Blicke, fort: »Sie dürfen sich über mein Zutrauen nicht wundern, ich habe offene Gesichter gern und lese lieber darin, als in besiegelten Dokumenten. Ihres spricht Wahrheit.«

Stephan fühlte aufs neue eine glühende Röte in den Wangen.

»Bei allem Witz an Friedrichs Hofe, mein junger Freund, Gesichter der Art vermißte man. Sie bekamen alle einen Zuschnitt nach Friedrichs eigenem, Nase und Kinn wurden spitz, selten das Vollmondsgesicht eines Lebemanns, an dem sich ausruhen ließ vor den scharfen Zügen und Blicken. Sie wollten insgesamt klug aussehen, was nicht jedem wohl steht, der es nicht ist. Etwas Wohlbehagliches, zum Herzen Sprechendes, ein Gesicht, das Brief und Siegel an der Stirn trägt, und dem man getrost darauf die Hand reichte, suchten Sie vergebens. Ein Auge wie Friedrichs und ein solches Auge verstanden sich nicht, wenn sie sich begegneten.«

Stephan erinnerte sich dunkel, daß man ihm auch Tottlebens Namen unter denen genannt, welche sich um die Gunst des großen Königs bemüht. Seine Freunde und Gönner suchten ihn wohl zu trösten, indem sie ihm Leidensgefährten aufzählten. Er mochte sich irren; doch ein wehmütiger Zug um das freundliche Gesicht des Generals schien seine Vermutung zu bestätigen.

»Den trüben Gedanken, den Eure Exzellenz auf meines Königs majestätisches Bild werfen, unterstehe ich mich nicht wegzublenden, dazu gehört ein Licht wie seines. Doch welcher Tor möchte die Sonne schmähen, weil sie einmal im Jahre sich verfinstert. Den irrenden Ritter aus der Fremde mag dies abschrecken. Er hat Recht, zu wählen. Dem Untertanen gibt es keines, an seinem Könige zu zweifeln.«

Der General schien nicht unzufrieden mit der Antwort: »Ja, wer Untertan ist!« Er suchte unter seinen Papieren, indem er fortfuhr: »Seine Soldaten sind zu Dreiviertel Gepreßte aus der Fremde, seine Offiziere zur Hälfte Abenteurer. Sie hält nichts an ihn, als das Band der Ehre. Seltsam, ich habe hier einen Auftrag an einen derselben. Ein merkwürdiges Vertrauen. Sie brauchten sich daher über meines zu Ihnen nicht zu wundern.«

Stephan horchte, während Tottleben in einem Briefe las: »Ein besorgter Vater bindet mir das Schicksal seines Sohnes auf die Seele. Der junge Mann ließ sich im jugendlichen Enthusiasmus verleiten, die Fahnen seiner Kaiserin zu verlassen und zum Könige von Preußen überzugehen. Der Vater, höchst unwillig darüber, hat jetzt erfahren, daß der junge Offizier sich zu einem Unternehmen hergegeben, welches einen schmählichen Ausgang haben kann.«

»Wo ist der Vater?« unterbrach Stephan unbesonnen den General.

Tottleben erwiderte: »Ich kann seinen Aufenthalt nicht verraten, indem der Brief selbst ohne Ortsangabe und Datum ist. Doch darf ich vermuten, daß wir den unstäten Mann in Berlin selbst finden werden. Wenigstens ist er, wenn wir einrücken, dort gesichert, da er, als Preußens Feind, sich nirgends wohlbefindet, wo noch Friedrichs Adler wehen. Es ist mir übrigens lieb, meinem alten Freunde einen Auftrag zurückzugeben, der den russischen General in Verlegenheit setzte. Sie kennen vielleicht die betreffende Person, einen Leutnant Stephan von den schwarzen Husaren.«

»Den Pflegesohn des Marquis von Cabanis?« fragte mit pochendem Herzen Stephan.

»Denselben. Wenn der Zufall Sie zusammenführte, warnen Sie ihn vor mir. Bei Gott, wenn man ihn mir nennt, muß ich ihn arretieren und, einer doppelten Pflicht gehorchend, den Österreichern ausliefern.«

»Man sagte mir, Herr General, man habe ihm nachträglich einen Abschied bewilligt, auf den er ein Recht hatte.«

»Wenn ich aber, mein Herr, zwar nicht offizielle Beweise, doch Anzeichen habe, daß er als preußischer Spion sich durch das verbündete Heer schleicht, wenn er mit geheimen Aufträgen des Königs nach Berlin eilt, einen Coup, den glücklichsten in diesem Kriege für die alliierten Mächte, zu hindern, so werden Sie selbst einsehen, wenngleich nicht Militär, daß er gefährlich ist und nach welchen Gesetzen man über ihn richten muß, wenn man seiner habhaft wird. Ich preise meinen Schöpfer, daß ich kein offizielles Signalement besitze, um, wenn der Zufall ihn mir in die Hände spielte, ihn nicht zu erkennen, denn ich versichere Sie, es wäre meine traurige Pflicht, den Sohn meines Freundes einem gewissen Verderben zu übergeben.«

»Wodurch erwarb sich der Marquis von Cabanis einen so edlen Freund?« rief Stephan, den Blick zu Boden.

»Freundschaft, Liebe und Dankbarkeit in Kollision mit der Pflicht sind Leichdornen für einen Geschwindläufer. Wenn Sie, mein Herr, ein Bekannter des jungen Offiziers sind, so bitte ich Sie dringend, teilen Sie ihm alles mit, was Sie von mir gehört. Ich bin und bleibe russischer General. Er darf mir nie vors Auge treten. Doch, wenn er sein eigener Freund ist, so soll er sich zurückziehen, sobald die Ehre es ihm erlaubt. Ehe er Friedrich von seinem Vorurteil überzeugt, spalten Sie einen Granitfels mit einem Galanteriedegen. Er soll nie – hoffen – er soll auf die Worte seines Vaters hören und auf das Wort eines Mannes, der Friedrich kennt. Ich kenne ihn.«

»Herr General,« hub Stephan nach einer Pause an, »und wenn mein Freund, voll Bewunderung für Ihre Großmut, dennoch ein Preuße bliebe?«

»Ich würde ihm meine Achtung nicht versagen,« sprach Tottleben und reichte dem jungen Mann die Hand. Eine Ordonnanz unterbrach die Unterhaltung.

»Darf ich mich unterstehen,« sprach Stephan, schon einige Schritte zurück und mit Ton und Stellung, welche dem Verhältnis zwischen dem Kaiserlichen General und dem Proprietär in Wasserburg zukam, »Eure Exzellenz zu fragen, was Hochdieselbe über mich beschlossen haben?«

»Ihre Geschäfte in Berlin dürften sich verzögern müssen, bis wir Ihnen daselbst Sicherheit durch unsere Garnison gewähren können. Alle Kommunikation mit der Hauptstadt ist bis dahin abgebrochen, und ich vertraue, daß Sie mich wegen eines Arrangements wenigstens entschuldigen werden, welches Sie bis auf weiteres als Gast in unserem Hauptquartier aufnimmt. Ich vertraue darauf,« wiederholte der General mit Nachdruck, indem er freundlich herablassend ihm zum Abschied zuwinkte.

Noch stand der Preuße zaudernd an der Schwelle: »Erlauben mir Eure Exzellenz, einen Brief nach Berlin zu senden, der bei meinen Geschäftsfreunden mein Ausbleiben entschuldigt?«

Tottleben zuckte mit den Achseln: »Wenn ich nun auch ein Geschäft in Berlin hätte, und es käme darauf an, wer zuerst auf den Markt käme. – Es ist möglich, daß ich nicht mit Ihnen konkurriere, aber ich hoffe, ich glaube, Sie werden nicht schreiben.«


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