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Fünftes Kapitel.
Der nächtliche Besuch

Der Graf war ein Höfling, alt im Leben und alt in Kabalen geworden. Und doch hatte ihn ein so langes Studium nicht vollkommen gelehrt, Herr über sich zu werden. Er konnte dreihundertsechzig Tage im Jahre seine Miene beherrschen, wenn er traurig war, vergnügt, wenn er froh war, verdrießlich aussehen; aber am dreihunderteinundsechzigsten wurde die Natur plötzlich Herrin über die Kunst und ein Neuling in der großen, die Menschen aus ihren Gefühlen zu studieren, konnte aus seinem, wie es sich gab, ihn kennen lernen. Solche Augenblicke der Schwäche ließen ihn zweifeln, ob unter dem Monde etwas vollkommen sei.

Wenn er heut nacht vorm Zubettegehen sich eine Viertelstunde im Spiegel sah, war dies nicht eine törichte Eitelkeit, die längst überwunden. Er war unzufrieden mit sich, daß, wie er sich auch Mühe gab die Stirn zu runzeln, die Augenbrauen zusammenzuziehen, dem Auge einen ernsten Ausdruck zu geben und die Oberlippe über die Unterlippe hängen zu lassen, sein ganzes Gesicht doch einen heiteren Ausdruck behielt. Die Runzeln verschwanden, die Brauen zogen sich auseinander, die Lippe wich und das Auge lachte. Er wurde noch unzufriedener, wenn er sich entsann, daß er während des ganzen Abends so freundlich ausgesehen und vermutlich auch freundlich gesprochen hatte.

»Wo bleibt ein Vertrauen in dieser sublunarischen Welt, wenn wir uns selbst nicht mehr trauen dürfen!« monologisierte er.

Mit der verdrießlichsten Miene ließ er sich vom Kammerdiener entkleiden; aber als dieser ihm zum letztenmal im Bette leuchtete, war plötzlich ein so wohlgefälliges Lächeln über seines Herrn Antlitz ausgegossen, daß der Diener von diesem ungewöhnlichen Phänomen fast erschreckt zurückfuhr.

»Wann befehlen Sie, daß ich morgen –«

»Wann du willst –« unterbrach ihn der Graf. Daß der Wille des Kammerdieners beim Aufstehen seines Herrn in Betracht käme, war, wenn es auch wie in der ganzen Welt, so in Meronis Hause, mitunter vorkam, doch etwas, das weder dort noch hier jemals mit Worten ausgesprochen worden. Der Kammerdiener ging kopfschüttelnd hinaus.

Der Graf horchte, wie er Tür um Tür zuklinkte, er glaubte bei der tiefen Stille seine Schritte selbst noch zu hören, als er die Treppe hinaufstieg, obgleich sein Verstand ihm hätte sagen müssen, daß dies unmöglich sei. Er fühlte, daß jemand über den Hof ging und am Brunnen pumpte, im nächsten Augenblick war er bei sich gewiß, Eugenie lege sich zu Bette und schüttele die Eiderdaunen zu Füßen, sie machte jetzt das Licht mit der Putzschere aus; er hörte die schweren Tritte des Nachtwächters vom neuen Markte her und als es jetzt Mitternacht schlug, unterschied er jeden Metallklang von der Frauenkirche, der Kreuzkirche, dem Dom und selbst aus der Neustadt über die Elbe her. Die Glockenschläge waren ein Zauberspiel, sie wollten nicht aufhören, die Luft, die Nacht lebte, er fühlte sich in seinen elastischen Kissen gehoben, als schwebe er auf den Frauenkirchturm und blicke in den Sternenhimmel und durch die weggenommenen Dächer in die Häuser seiner Dresdener Freunde und Feinde. Graf Meroni, in seiner Jugend wie in seinem Alter ein besonnener Mann, hatte so wenig den Wein als phantastische Ideen geliebt. Und doch kam er sich jetzt wie trunken vor, oder hatten ihn die Phantasmen des Marquis angesteckt? Er rieb sich umsonst die Augen, es führte alles um ihn her einen lustigen Reigen, er zwang sich zur verdrießlichsten Miene, aber aus dem Toilettenspiegel, den er sich wieder vorhielt, nickte ihm wieder ein innig vergnügtes Gesicht entgegen.

Es war etwas ganz wider sein Erwarten und Verhoffen eingetreten. Die Lust über dies Etwas war der Rausch, der die Pulse des alten vernünftigen Mannes trieb, und Wille und Verstand suchten ihren Ärger darüber durchzukämpfen, daß es so unerwartet, so unverhofft eingetreten war.

Er zwang sich, die offenen Augen starr auf einen gleichgültigen Gegenstand gerichtet, die ungebetenen Phantasiebilder zu verscheuchen. Es gelang. Der Spiegel, den er zum dritten- und letztenmal vorhielt, sagte ihm zu seiner Zufriedenheit, daß er wieder eine unzufriedene Miene machen konnte, und aus der angenommenen Miene entwickelte sich eine Stimmung. War nicht, worauf er jahrelang hingearbeitet, was seine Klugheit heute durch einen glänzenden Sieg errungen, auf einmal unnütze Mühe geworden? Leeres Stroh dreschen ist eine unschädliche Beschäftigung. Eines Feindes Getreide ausdreschen, in der Meinung, es gehöre uns, ist schon verdrießlicher. Aber mit Sorge und Not ein Magazin ruinieren, damit der Feind in der Festung verhungere und dann den Platz vertauschen und selbst die entblößte Festung verteidigen zu müssen, ist etwas, das man sich nicht vergibt. So ungefähr dachte oder sprach der Wirt des Hauses, um sich in eine unangenehme Stimmung zu versetzen. Erst das letzte Gleichnis brachte ihn auf einen Gedanken, der traf. »Wenn sie nun eigensinnig bliebe!« Er hatte tausend Gründe zugleich zur Hand, sich vom Gegenteil zu überreden, er lächelte über den Einwand, und doch, wenn er jetzt den Spiegel genommen, hätte er zu seinem Schrecken diesmal gesehen, daß unwillkürliche Runzeln auf der Stirn lagerten, das Auge ernst geworden war und seine Zähne die Unterlippe bissen.

Der heraufbeschworene Ernst folgte ihm bis in den Schlaf. Er haßte die Träume, wie der von ihnen Gejagte die Furien. Sie faßten den phantasielosen Mann; aus einer Umarmung eines Schreckbildes flog er in die andere. Die Angst stieg in dem Grade, als das Wohlbehagen vorhin im wachen Zustande Herr über ihn gewesen. Ein Schloß mit hundert Türmen, das er selbst erbaut, lastete auf ihm, er fühlte jeden Stein, den er vorhin zugetragen, er ächzte erstickend, er schrie um Hilfe und schleuderte, in Todesschweiß sich aufrichtend, das Deckbett fort.

Die Frauenkirche schlug eben drei Uhr, es war hell im Zimmer und vor seinem Bette stand eine so sonderbare Gestalt, daß sie in märchenhaftere Träume als seine gepaßt hätte. Im flatternden Nachthemde, bloßen Beinen, die Mütze vom kahlen Scheitel gefallen, in der Hand einen Armleuchter, grinste ihn der Marquis an. Er mußte selbst eben aus dem Bette gesprungen sein, sich nicht Zeit genommen haben, einen Schlafrock umzuwerfen, und doch durch mehrere Zimmer und einen Korridor gelaufen sein. Was bewog ihn zu diesem außerordentlichen Besuche, wie war er hergekommen? Untersuchungen, zu denen der Graf in diesem Augenblicke von halbem Wachen und ganzem Entsetzen nichts weniger als fähig war, denn er hatte nur ein Gefühl, das ihn ganz übermannte – Grauen und Entsetzen.

»Was wollen Sie?« schrie er mit aller Kraft, deren seine Stimme fähig. Er wäre aufgesprungen und hätte den nächtlichen Besucher an der Gurgel gefaßt, mit dem Aufwande von Mut, dessen gerade ein Furchtsamer in Augenblicken der Art fähig ist, hätte dieser nicht vermöge seiner Stellung auf einen Angriff vorbereitet geschienen.

»Ermuntern Sie sich –« sprach der Marquis.

»Es brennt!« fragte jener, rasch aus den Regionen rein phantastischer Träume in eine nähere Möglichkeit übergehend.

»Noch nicht, aber es steht ein Gewitter über unseren Köpfen, es könnte einschlagen. – Es ist ernst – stehen Sie auf.«

Der Graf war aufgestanden. Während er schlaftrunken, noch immer befangen von den Traumbildern, in die Kleider fuhr, spazierte der nächtliche Gast mehr rennend als gehend, die Stube auf und ab. Die kleine nicht schöne Gestalt, in einem zerknitterten Hemde, wie sie, die Arme auf dem Rücken, in immer hastigeren Sprüngen die Zimmerlänge maß, hatte etwas Gespenstisches. Der Marquis ging nie anders als ein Bein über das andere setzend. Hatte dieser Kreuzschritt bei seinen unverhältnismäßig kleinen und zierlichen Füßen schon, wenn er im Hofkleide war, etwas Seltsames, so steigerte sich diese Seltsamkeit jetzt zum Widerwärtigwunderbaren. Immer hastiger und doch dabei zierlich abgezirkelt flogen die nackten Füße übereinander und der Graf, den es unheimlich überlief, stand in der Erwartung, daß er wie ein Kobold einmal die Wand hinaufspazieren möchte. Aber er kehrte jedesmal ebenso geschickt um, als er scheinbar blind darauf zurannte. Je mehr der Graf, Traum und Schlaf abschüttelnd, von der Identität seines Gastes und seines Freundes überzeugt wurde, sah er, daß diesen ebensowenig ein mondsüchtiger Anfall hergetrieben, als daß ein Gewitter am Himmel stand. Es war totenstill, nur der Nachtwächter ließ sich vernehmen und die österreichische Ablösung vom Pirnaschen Tore her.

»Sind Sie fertig?« fragte jetzt der Marquis in weit ruhigerem Tone, als man bei seiner heftigen Sprechweise gewohnt war. »So nehmen Sie Platz, ich trage Ihnen vor und Sie entschließen sich."

»Um des Himmels willen, würdigster Freund, Sie erkälten sich."

»Das tut nichts zur Sache.«

»Aber für die Folge."

»Wenn die Wache unsere Tür erbricht, zieht man nicht erst Hosen an, um zum Fenster hinauszuspringen."

»Ich will nicht hoffen –« fuhr der Graf auf – »es ist ja ganz ruhig im Hause."

»Ob es aber so bleiben wird?« Indessen zog er den Pelz, den der Graf ihm aufgedrungen, mit einer Ruhe an, welche den Wirt ebenso wegen der etwaigen Gefahr beruhigen konnte, als sie ihn wegen des Aufschubs der erwarteten Mitteilung peinigte. Sie hatten sich kaum auf die Ottomane gesetzt, als es auf dem Hofe lebendig wurde. Man zog Wagen aus der Remise, Stallknechte fluchten, des Jägers verdrossene Stimme ließ sich hören.

»Müssen Sie fort, Marquis?«

»Noch ehe der Tag anbricht.«

»Was ist vorgefallen, seit Sie sich einschlossen, es sind kaum ein paar Stunden her, es ist kein Kurier angekommen. Es klopfte nicht ein einziges Mal an der Haustür. Sie haben geträumt.«

»Ist das Alltagsleben wahrhaftiger als ein Traum?«

»So haben Sie geträumt von Gefahr.«

»Er soll gerettet werden.«

»Wer?«

»Etienne.«

»Darüber waren wir schon gestern einverstanden.«

»Ich bin mit nichts einverstanden, was Sie getan haben, Graf. Sie haben laviert. Man muß nicht lavieren, wenn Sturm ist. Das Schiff liegt nun im Feindeshafen. Hinaus ins Dunkel der Nacht, ehe die Batterien uns empfangen.«

»Haben Sie sich mit den Österreichern überworfen? Wollen Sie zu den Preußen?«

»Halten Sie mich für ein schwankendes Rohr?« fuhr der Marquis auf, und hielt seinen rechten Arm fest ausgestreckt vor sich hin, um zu zeigen, daß er nicht schwanke. »Mögen Sie Ihren Verkehr mit dem Kurfürsten von Brandenburg bei sich verantworten, ich hasse den Monarchen, sein Zwergreich, sein Volk von Pilzen, aber mein Sohn ist hier verloren. Die Österreicher verstehen keinen Spaß, die Klinkauf kann nicht schweigen, was gestern um neun Uhr dreizehn Weiber wußten, weiß heute morgen um acht Uhr die Stadt und dreizehn Dörfer. Er muß hinaus sein, ehe die Friseure umherlaufen.«

»Aber bester Freund, die Damen drüben halten unseren Kranken und den preußischen Husarenoffizier für zwei verschiedene Personen. Dieser ist über alle Berge, der Kranke ist Ihr Sohn, den Sie vorausgeschickt, den wir, der Preußen wegen, bis dahin sorgfältig verborgen haben.«

»Wissen Sie, was die Klinkauf träumt, was ihr die Pikdame sagt, was sie im Kaffeegrunde liest, was ihr im Ohr klingen kann? Ein Menschenleben auf einer Weiberzunge ist nicht mehr als der Schatten eines Rauches. Er muß fort, noch diese Nacht. Es kommt nur darauf an, wohin.«

»Sie exponieren ihn einer Lebensgefahr.«

»Er ist frisch und munter. Ich habe eben bei der Komtesse angeklopft –«

»In diesem Kostüm?«

»Übermorgen kann er schon reiten; heute wird er noch in Kissen eingepackt. Nach den Pässen ist geschickt. Die zweite Frage ist nur, bleiben Sie hier, oder kommen Sie mit? Ich bitte Sie um letzteres.«

»Bei alledem begreife ich Ihre heutige Sorgfalt nicht. Sie konnten sich ein Jahr lang nicht um ihn kümmern, Sie ließen es zu, daß er im feindlichen Heere unter einem verhaßten Könige diente, Sie wußten kaum, wo er war –«

»Habe ich denn nicht etwa für ihn gearbeitet? Wäre ich König von Korsika geworden, so wäre er Kronprinz.«

»Ob die Korsen diese Adoptivkindschaft hätten gelten lassen, wie wir in niedrigen Sphären,, wo das Machtwort des Reichsoberhauptes die schwachen Bande des Blutes verstärken kann!« warf wieder mit satirischer Miene der Graf hin.

»Nicht gelten lassen!« fuhr der Marquis auf. »Kennen Sie die korsikanischen Gesetze, die Arragonischen Statuten?« In einer langen erhitzten Rede setzte er ihm die Erbrechte der Königreiche Kastilien und Leon, Navarras, Arragoniens und Portugals auseinander und zählte ihm alle Fälle auf, wo natürliche Söhne ihren Vätern sukzediert sind. Dann folgte eine ebenso eifrige Strafrede gegen die germanischen Erbrechte und gegen die Linearsukzession. Er schmähte den blaßblauen, kaltblütigen Norden, der die Gesetze der Natur und des warmen Blutes nicht anerkenne, und schloß damit, daß er den Grafen dringend aufforderte, sich anzuziehen.

»Die kurze Frage ist, wollen Sie die Partie oder nicht? Entscheiden Sie sich. Hier sind Ihre Beinkleider.«

Es lag etwas so Entschiedenes in den Worten des Marquis, daß der Graf, der offenen Widerstand niemals liebte, sich gedrungen fühlte, seinem Verlangen nachzugeben.

»Aber Sie selbst, teurer Freund?« sagte der Graf bei dem anempfohlenen Geschäfte.

»Sie können sicher sein, für den Fall, daß ich sterbe, ist mein Testament gemacht. Er ist Universalerbe, aber wissen soll er's noch nicht, er soll es verdienen. Ich will ihn zwingen – zwingen zur Vernunft.«

»Wenn nur das Testament bei einem sicheren Gerichte deponiert ist, mein Freund. Bei dem Hofkriegsrate in Wien wäre es eine mißliche Sache bei dem gegenwärtigen Status unseres – Schützlings.«

»Das tut nichts; er kriegt's ohnedies, er ist mein Sohn.«

»Daß er Ihr leiblicher Sohn ist, habe ich seit gestern vermutet, aber Söhne dieser Art, mein verehrtester Freund – unsere Gesetze mögen schlecht sein, nordisch und das Blut nicht gehörig berücksichtigen, indessen –«

»Er ist auch, bei Licht besehen, mein legitimer Sohn, aber schnell, daß Sie fertig werden. Ich höre schon die Damen.«

Der Graf war, ohne daß ihm der Kammerdiener half, schon bis zum Zuknöpfen der Weste gediehen, als der kleine Mann, die Arme verschlungen, noch vor ihm perorierte:

»Es ist gut, daß sie sich lieben; was der Vater nicht vermochte, wird ihr gelingen – ihn auf den Weg der Ehre zurückzuführen. Ich bitte Sie, wie kann man den König von Preußen lieben?«

»Ich liebe ihn nicht, mein Freund, er hat meine Erwartungen getäuscht, allein ich fürchte, wir täuschen uns auch, wenn wir auf Eugenies Beistand rechnen. Sie wird uns nicht die Hand bieten.«

»Sie muß wollen. Wir haben zu wollen, Weiber nur zu müssen

Der Gras zuckte die Achseln: »Wenn sie nun selbst den König von Preußen liebt?«

Der Marquis stand einen Augenblick wie betroffen. Es zuckte über seine Lippen und leuchtete aus seinen kleinen Augen, gewöhnlich das Anzeichen, daß eine neue Vorstellung die vorige verdrängte; dann tauschte er plötzlich seine Positur, die Miene wurde eine andere, und auch der Ton der Stimme war es, als er leicht und heiter plötzlich anhub: »Desto besser! Wissen Sie was? Er soll ihn auch lieben. Wir lassen ihn bei den Preußen. Er zeichnet sich aus, er avanciert. Mut fehlt ihm nicht, eine schöne Gestalt gab ihm die Natur, adligen Sinn sein Vater, Geld soll er haben, um sich wie ein ungarischer Magnat vom Kopf bis zur Zeh in Gold zu kleiden, die schönsten Pferde, Kopf hat der Junge. Er avanciert vom Rittmeister zum Major, Obrist, vielleicht schon General – doch besser bis nachher. Er hat dem Könige das Leben gerettet, er muß es noch einmal tun, ein drittes Mal. Eine Schlacht, wo alles auf dem Spiel steht. Dem König wird sein Pferd unterm Leibe erschossen, er gibt ihm seines. Friedrich ist in Gefahr, gefangen zu werden, Etienne deckt ihn mit seinem Leibe wie der Rittmeister Prittwitz bei Kunersdorf. Er sammelt die Husaren, macht eine Attacke, schlägt die Sieger, rettet die Schlacht, Friedrich fällt ihm um den Hals, die Generale stehen mit abgezogenem Hut da: ›dieser Mann hat den Staat gerettet, meine Herren‹, sagt der König –«

»Und?«

»Das übrige steht bei uns. Er ist dem Könige unentbehrlich; wir haben über ihn zu disponieren. Was sagen Sie dazu?«

»Ich bewundere diesen außerordentlichen Plan, meine aber, daß wir vorerst mit aller unserer Sorgfalt Ihren kleineren, früher gefaßten, dem ich diesen nächtlichen Besuch verdanke, ins Werk setzen, nämlich ihn sicher und gesund aus der Stadt zu schaffen.«

Der Marquis nickte billigend mit dem Kopfe und fuhr zur Tür hinaus, denn die Damen verkündeten schon ihre Ankunft im Vorzimmer. Der Graf hatte nicht Zeit zu überlegen, ob der Plan des Marquis aus einer Grille entsprungen und ob er es bei sich rechtfertigen könne, ihm beizutreten, indem Eugenie reisefertig angezogen eintrat und ihm die Hand reichte:

»Es wird so am besten sein, lieber Vater.« Ihr Gesicht strahlte von der ersten Morgenfrische.

»So scheint alles ohne mich nicht allein beschlossen, sondern schon ausgeführt. – Wohin reisen wir denn?«

»Doch nur nach unseren Gütern in der Lausitz. Wir sind alle einig, Amelie, der Marquis, ich, daß es notwendig war.«

»Und dein Freund, liebes Kind – vorgestern noch war die Reise sein Tod –«

»Sehen Sie ihn selbst« – antwortete sie lachend und öffnete die Tür.

In den Saal, wo unter Amelies Aufsicht Kisten, Schachteln und Koffer gepackt und gebunden wurden, war der kranke Offizier, vom Jäger geführt, getreten. Die entwichene Krankheit war wohl noch in der blassen Farbe, in den gläsernen Augen zu erkennen, aber seine aufrechte Haltung, sein fester Blick, die Röte der Lippen sprachen von einer glücklichen Genesung. Der Graf wollte ihm entgegenspringen, aber die vielen Lichter und die offenen Gardinen erschreckten ihn. Letztere mußten erst zugezogen und einige Lichter ausgelöscht sein, ehe er den Jäger von seinem Platz verdrängte, und selbst den jungen Offizier unter den Arm faßte.

»Sie sind zu gütig, Herr Graf,« sagte dieser und folgte ihm nach dem Sofa. »Ich hoffe, Ihnen bald keine Sorge mehr zu machen.«

»Sie sind wunderbar seit vorgestern zu Kräften gekommen.«

»Wenn ich nicht alles der liebenswürdigen Pflege in Ihrem Hause verdanken soll, so bekenne ich, daß die Erscheinung meines väterlichen Wohltäters sehr günstig gewirkt hat. Aber es war ja auch nur ein nervöser Rückfall, der billig so schnell vergehen mußte, als er gekommen war. Ich war es meinem Vaterlande und meinem König schuldig, nicht länger krank zu sein.«

»Reden Sie davon nur jetzt nicht, mein teurer, junger Freund. Ehe Sie nicht vollkommen hergestellt sind, ehe nicht alles zwischen uns,« setzte er leiser hinzu, »ausgeglichen ist, lasse ich Sie nicht aus meiner Familie. Ja, ich möchte Sie eigentlich niemals entlassen. Wer sich in solchen Stunden der Gefahr kennen gelernt, ist eigentlich für das Leben verbunden.«

Es war mehr zu tun, mehr zu besorgen, als man erwartet. Das Wichtigste war über Nebensachen vergessen, die Kommandanturgäste verspäteten sich, die Postpferde waren falsch bestellt, und das helle Sonnenlicht eines kalten Herbstmorgens schien bereits über die Dächer der Moritzgasse bis auf das Straßenpflaster, ehe die drei Reisewagen bespannt und bepackt waren. Das Aufsehen, die Augen der Neugierigen peinigten den Grafen. Seine Blicke schalten Eugenie, Amelie, die Dienerschaft, den Marquis, dessen Ruhe, mit der er den Kaffee trank, ihm unbegreiflich dünkte. Er schien nur mit einem zufrieden, mit dem Kranken, und verdoppelte seine Sorgfalt und Teilnahme für ihn in demselben Maße, wie er ihn vielleicht früher das Gegenteil hatte merken lassen. Endlich bliesen die drei gelben Postillone, man sprang auf und dachte jetzt erst daran, wie man sich in den Wagen verteilen wolle.

»Der Kranke kommt in meine Equipage, sie ist die bequemste,« sagte der Marquis; »aber er bedarf weiblicher Pflege und Gesellschaft.«

»So tauscht meine Tochter gern mit Ihnen den Platz, Sie kommen zu mir,« sagte der Graf.

Mehr mit einem Blick, als mit Worten, aber einem Blicke, der bis dahin im gräflichen Hause als letzte Autorität gegolten hatte, entschied sich Eugenie dagegen. »Amelie wird mit dem Leutnant fahren. Sie weiß besser, was er nötig hat.«

Die Jäger öffneten die Flügeltüren und bald darauf die der Reisekutschen. Der Genesende saß in seinem Wagen und Amelie schlug die Tür hinter sich zu. Fast im nämlichen Augenblick war aber auch jemand herzugestürzt, dessen Erscheinen etwas früher sehr unwillkommen gewesen wäre. Der Marquis winkte, sobald er das Fräulein von Klinkauf in der Haustür sah, seinem Kutscher einen Befehl zu, den dieser verstand und einen stummen Gruß Amelie, den diese ebenso verstand. Der erste Wagen rollte schon dem neuen Markte zu, und der Marquis war im Begriff, zum Grafen einzusteigen, als die Klinkauf seine Hand ergriff: »Was bedeutet das?«

»Wenn Sie mit mir einsteigen wollen,« entgegnete er mit wichtiger Miene, »kann ich Ihnen Dinge vertrauen, über die Ihnen die Haare zu Berge stehen sollen.«

Dies schien der Dame doch zu viel gefordert, indem sie das reisemäßige Aussehen der Wagen betrachtete. »Was kann das sein? – Sie verlassen Dresden.«

»Wohl dem, der Dresden jetzt verlassen kann!«

»Sie meinen wegen General Wunsch und Finck.«

Der Marquis blickte gen Himmel, aber nur um den Augenblick zu ersehen, wo er auf gute Manier in die Kutsche springen konnte. Seine Miene mußte etwas so Unwiderstehliches haben, daß die Dame selbst eine machte, ihm zu folgen, auf die Gefahr, bis zur nächsten Station mitgeschleppt zu werden. »Was haben wir zu fürchten?«

»Alles!«

»Von Friedrich?«

Der Marquis nickte.

»Wer ist der Kranke?« fragte sie, seine Hand pressend. Er zuckte mit den Achseln. »Ich lasse Sie nicht fort, Marquis. Wer ist der Kranke?«

Der Marquis sah sich nach Hilfe um. Plötzlich zeigte er mit dem Zeigefinger auf einen Mann, der aus einem der äußersten Häuser der Straße nach dem Pirnaschen Tor zu trat, und mit den Worten: »Fragen Sie den. Er weiß alles« saß er im Wagen.

»Herr Rabener! Ist es möglich!« rief die Klinkauf. Der Marquis nickte feierlich aus der Kutsche und diese rollte noch mit offenem Kutschenschlage fort, während die Klinkauf mit ausgebreiteten Armen dem angezeigten Manne entgegeneilte.


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