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Siebentes Kapitel.
Mondscheinszenen

»Sie sind ein launenhafter Mensch,« sagte Amelie zu ihrem Begleiter. »Vorhin schienen Sie Lust zu haben, sich über alles zu mokieren und jetzt, wette ich, hängt ein schwarzer Flor über der ganzen Welt, nämlich vor Ihren Augen.«

»Muß ich doch mit mir selbst zufrieden sein!« entgegnete Stephan.

»Erklären Sie sich einmal, was Sie von sich selbst halten.«

»Glauben Sie, ich mache eine Ausnahme von dem allgemeinen Lose?«

»Was ist das für ein Los?«

»Daß jeder Mensch jezuweilen ein Rätsel ist, anderen und sich.«

»Nur daß es sich bei den meisten nicht lohnt, ihr Oedip zu werden. Wir haben aber heute im Sande nichts Besseres zu tun. Lassen Sie uns einmal an dem Rätsel raten, das in Ihnen der Welt aufgegeben ist. Warum sind Sie mit sich nicht zufrieden?«

»Meine Freundin kennt so genau meine Schwächen.«

»O ja! Ihre Nerven sind bei gewissen Angelegenheiten so reizbar, daß man eher denken sollte, Sie wären ein Hoffräulein als ein Husaren-Leutnant. Verstehen Sie wohl, nur bei gewissen Angelegenheiten. Sie schlagen sich ganz vortrefflich, wenn es sein muß, und wenn es nicht sein muß. Aber ihre Tapferkeit ist auch nervös. Pikiert um jede Kleinigkeit bricht sie immer da los, wo sie nicht hingehört, Sie möchten sich am liebsten mit jedem General schlagen, der Ihnen ein schiefes Gesicht macht, und jetzt vielleicht mit mir, weil ich mich unterstehe, es Ihnen zu sagen. – Doch nein, da habe ich mich wohl getäuscht – oder Ihr Blick sagt, daß Sie sich für überwunden bekennen.«

»Ich bin ja nicht einmal tapfer, wo ich es sollte.«

»Das sind Grillen. Ist das nichts, was Sie getan – die Rettung des Königs, Ihre Bravour bei Hochkirch?«

» Etwas für eine gewöhnliche Zeit, nichts für eine außerordentliche.«

»Worin ist sie denn außerordentlich, daß Europas Kaiser und Könige sich nun drei Jahre herumschlagen um einen Streifen Landes, und da sie nicht fertig werden, noch den Großsultan und Tataren zum Sukkurs rufen! Ich glaube, am Ende wird noch der Dalai Lama den Ausschlag geben müssen, wer Schlesien bekommt.«

»Was ich im Park getan, nennt man Verräterei, bei Hochkirch soll ich in mondsüchtiger Raserei gefochten haben und in Dresden – nun Sie wissen wie man das nennt.«

»Schämen Sie sich,« fiel das Fräulein ein. »Wissen Sie, was man dort von uns sagt, von der Komtesse und mir? Wir sind Frauen, haben keine Waffen, uns zu verteidigen, und, mein Freund, sahen Sie schon ein Wölkchen des Unmuts auf Eugenies Stirn, daß man ihren Ruf antastet? Und Sie sind ein Mann und nicht darüber hinaus!«

»Jeden, in dessen Mienen ich nur den Schatten eines Zweifels an der Gräfin Ehre läse –«

»Würden Sie mit dem Degen spornstreichs in das Reich der Schatten spedieren, und gewiß nur das Übel ärger machen.«

»Ist das nicht ein Fluch: ein Jahr lang gefesselt zu liegen und nichts tun zu dürfen, um einen ehrlosen Verdacht zu widerlegen, einen Verdacht, der selbst in ihrem Auge wie ein stummer Verweis täglich zu mir spricht –«

»Pfui, Etienne!«

»Bin ich blind?«

»Sie sehen immer mit erhitzten Augen.«

»Und wäre ich blind, ich müßte es fühlen. Ihre männliche Seele ringt mit dem Gefühl – Sie kann mich nicht achten.«

»Alles steht noch bei Ihnen« – sagte Amelie nach einer Pause. Er blickte lange stumm vor sich nieder, ehe er so wieder anhob.

»Sie glauben an kein Verhängnis, meine heitere Freundin, und freilich, wer mich kennt, glaubt auch nicht, daß es so schwer auf mir lastet. Es gibt Völker, die an einen erblichen Fluch glauben. Bin ich doch so von denen, welchen ich durch Geburt angehörte, geschieden, daß ich nicht weiß, ob es ein Familiengeschick ist, was mich verfolgt. Ich weiß, daß meine Brauen nicht immer finster sich zusammenziehen, daß die muntere Röte der Jugendkraft noch über meine Wangen hauchen kann; ich kann scherzen und lachen. Auch lastet nächtlich kein solcher Alp von Gewissensbissen und böser Vorahnung auf mir, daß mir die Kraft verginge, vorwärts und rückwärts zu blicken. Das, was die Leute Glück nennen, lächelt mir dann und wann, und doch quält, verfolgt mich ein Geschick, das mich gerade Ihrer Teilnahme berauben mußte. Mein Leben ist ein Zwiespalt, ein Sehnen, Ahnen, Wollen, – ich habe auch etwas, vielleicht sogar viel getan, und doch kam es nie zu einem Zwecke, immer gerade umgekehrt heraus als ich wollte. Ich las Ihnen einige Abschnitte aus meiner Jugendgeschichte vor. Aus allen diesen Jugenderinnerungen geht für mich hervor –«

»Daß Sie ein liebenswürdiger Gassenjunge waren,« ergänzte Amelie.

»Meine Kinderjahre waren unglücklich, weil ich mich nicht in das finden konnte, wozu ich geboren schien. Das Haus war mir zu eng, der Himmel über Berlin zu matt und grau, die Leute zu gemein, der deutsche Ernst zu herbe. Mir war etwas vorgespiegelt worden, ahnende Funken von einem glänzenderen, farbenreicheren Dasein waren mir gekommen, die gar nicht in den Kreis gehörten, wohin mich das Schicksal geworfen. Was andere befriedigte, erregte mir Verdruß, ich war schon als Kind mit der mir angewiesenen Welt zerfallen und lebte in Träumen. Ich spielte als Kind den Mann, ich wollte hinaus in die eingebildete Welt, ich pochte trotzig auf einen inneren Ruf.«

»Und darum liefen Sie davon, das wissen wir.«

»Ich kam dahin, wo die Sonne heller scheint, wo das Blut fröhlicher rinnt, das Glück, was man so nennt, war mir günstig; und mitten im Genuß dessen, was ich ersehnt, fühlte ich, wie es nicht genügt. Ich hatte doch mehr eingesogen, mitgenommen von dem Blute und dem Geiste meiner Heimat, als ich dachte. Ich konnte nicht so gedankenlos dem Genusse hinleben wie die anderen; meine Zweifel nicht mit dem Glauben beschwichtigen, daß wir zu nichts anderem da wären. Ich war nicht katholisch; vielleicht liegt's darin. Die Lustigkeit, einen Tag um den anderen, kam mir schal vor. Sie nannten mich einen Grübler, oder noch schlimmer. Daß sie in mir nicht fanden, was sie suchten, ließ sich ertragen, denn ich ließ nichts, was kränken konnte, an mich kommen. Daß ich aber in ihnen nicht fand, was ich suchte, wer gab mir dafür Ersatz? Ich hatte keinen Freund. Nun stieg Friedrichs Meteor in die Luft. Lange suchte ich mit knabenhaftem Eigensinn an Vorgefaßtem mir zu beweisen, daß es nur ein kalter Nordschein wäre. Aber wie lange reichte das aus! Die Vernunft wurde mündig. Ich sah, daß in dem großen Kampfe, den eine altersmüde Welt mit einer jungen ringt, bei den Neugeborenen Licht und Leben, Wahrheit und Kraft war. Ich mußte zurück.«

»Und Sie fanden nun etwas anderes in Friedrich, als Sie erwartet.«

»Habe ich ihn denn überhaupt gefunden! – Man will mich ja nicht anerkennen; ich bin ein Fremder unter den Meinen geworden. Einige glauben mir und schütteln mir die Hand; es geschieht aber mit einer Scheu und einem Wesen, das nicht zu ihnen gehört. Ich kann mich nicht unter ihnen zurechtfinden; sie mögen sich nicht an mich gewöhnen. Es sind Männer, so tapfer, wie er sie braucht, aber nicht Geister, die, von seinem Lichthauch durchglüht, atmen. Er selbst traut mir nicht, ja er will mir nicht trauen, und wer in der Welt beugte noch Friedrichs Willen! – Freundin, ich hatte den Unmut, die Zurücksetzung bekämpft, und ich will sie noch bekämpfen, – aber war die Nacht von Hochkirch nicht ein entsetzlicher Hohn? – Ich konnte ihn retten, die Sterne lachten mir zu, er lachte mich aus. Man sagt, ich habe etwas getan und man lacht über mich, denn ich soll es im Schlaf getan haben. Ob liegt mir nun zu beweisen, daß ich im Wachen dasselbe kann, und ich muß gelähmt fast ein Jahr daliegen, während er im Unglück ist! Sie, deren Neigung ich durch Taten verdienen sollte, muß meine Krankenwärterin werden, sie muß mich täglich in einem Zustande sehen, der wohl ihr Mitleid, aber nicht ihre Liebe rechtfertigt. Nun genese ich, will auf; da erscheint zum Unglück mein Wohltäter und ich sehe einem endlosen Kampfe mit dem Grillenfänger entgegen, der alles will, nur nicht, daß jemand Friedrich verehrt.«

»Sie sind sich doch nicht so ganz unähnlich, nämlich Ihr adoptierter Wohltäter und Sie. Sie sind beide reizbar wie die Sinnpflanze Noli me tangere in unserem Gewächshause. Er will nie, was die anderen wollen und Sie auch nicht. Er hat sich mal die Phantasie gemacht, Friedrich zu hassen, und Sie, ihn zu lieben. Was wollen Sie aber jetzt?«

»Alles für Friedrich einsetzen. Es geht nichts über das Vaterland.«

»Wenn nun die Liebe sich damit nicht vertrüge, wofür nähmen Sie Partei?«

»Fürs Vaterland,« sagte nach einigem Schweigen der Offizier mit fester Stimme, »denn wie könnte ein Mädchen einen Mann lieben, der sein Vaterland verrät!«

»Das ist, wie ein Preuße gesprochen; aber nicht übel.«

» Sein bis zum letzten Lebenshauch, ob er mir dankt oder mich verspottet, dem Vaterlande treu, solange ich den Arm heben, die Zunge rühren kann, und tätig, ob vor der Front beider Heere oder in irgend einem entfernten Winkel. Nur so kann ich ihrer würdig werden!« rief Stephan mit bewegter Stimme.

»Und sind Sie anderer Meinung?« fuhr er nach einer Pause fort, welche seine Nachbarin damit verbracht, daß ihre Fußspitze eine Wagentroddel fangen und immer wieder fortstoßen mußte.

»Ich meine, daß Ihnen ein anderer Kampf bevorsteht, an den Sie nicht denken, und wünsche, daß Sie dabei ebenso Mannes bleiben – was ich Mann sein heiße – als in Ihrem Tick für das, was Sie Vaterland zu nennen belieben. Wissen Sie denn noch nicht, mein hochgelehrter Husarenoffizier, daß Weibereigensinn was viel Gefährlicheres ist, als eine Batterie mit Vierundzwanzigpfündern. Gegen Schanzen ein Sturm, alles das hilft nichts, man muß Minen graben, Kriegslisten besonderer Art erfinden, sich verstellen, in des Feindes Lager schleichen, scheinbar mit ihm operieren, vor allem aber nie den Mut verlieren und nicht trotzig umkehren, weil ein Sturm abgeschlagen ist.«

»Vor allem aber,« sagte Stephan, »seinem Charakter treu bleiben.«

»Was ist denn Ihr Charakter? – Sie sind Leutnant und ein eigensinniger Mensch; im übrigen haben Sie mir ja eben selbst gesagt, daß Sie nicht wissen, woran Sie sind. Wenn nun der Feind den Sturm erwartet. Wenn Sie ihm ein größeres Herzeleid antun als sich selbst, daß Sie kehrt machen. Das ist Trotz, Egoismus, aber nicht Tapferkeit. Tun Sie mir nur einen Gefallen, Etienne, grübeln Sie jetzt nicht nach; Sie selbst sind sich immer Ihr ärgster Feind. Der Zufall baut oft Brücken, wo sich der geschickteste Ingenieur monatelang den Kopf zerbrochen, und ein furchtbarer Feind, der uns im Abend von drüben gedroht, wird, wenn die Sonne aufgeht, ein Nebel, den der erste Morgenwind verscheucht. Wenn sich ein Feldherr davon schrecken lassen und fortmarschiert wäre, wie würde man ihn auslachen. Denken Sie vorderhand an nichts als an Ihren Helden Friedrich. Was Ihnen Prinz Heinrich voriges Jahr sagte, paßt noch heute, und mehr als da. Sein Triumphwagen ist nicht allein noch nicht in der Remise, sondern wieder unten am Berge, daß er den sauren Weg noch einmal machen muß. Da können Sie noch tüchtig helfen. Im übrigen denken Sie nur an das, was Ihnen der Augenblick gibt; so paßt sich's für einen Rekonvaleszenten.«

Sie waren längst von dem großen Wege rechts abgebogen, die Sonne war untergegangen und der aufgehende Mond beleuchtete eine jener Steppengegenden der Lausitz, wie sie hier anfangend in der Richtung nach der Mark sich immer weiter ausdehnen. Der Sandboden mit kümmerlichem vergilbten Gras zeigte nur hie und da feste und kleine Erhöhungen, wo die Wagenräder, das Geschütz oder die Hufe der Kavalleriepferde den Weg nicht aufgewühlt hatten. Große Feldsteine, blaß beschienen, lagen weit umher zerstreut. Waren es Rudera einer alten Zeit, Sitze der Geister einer Vorwelt, so hatten die Geister sie doch verlassen. Es schien zu einsam dürftig auch für Gespenster. Der Abendhauch weckte keine Stimmen in dem verkrüppelten Nadelgebüsch, das erst am Saume des nächtlichen Horizontes einem hochwipfeligen Kiefernwalde sich anschloß. Der Wagen fuhr langsam durch die tiefen Sandgleise. Es wiegte und schaukelte angenehm. Beide schwiegen.

»Was starrten Sie so dahin? Saß etwas auf den Steinen?« fragte Amelie.

»Der Mond mag täuschen. Es war mir aber wirklich so, als sähe ich ein breites Gesicht darauf.«

»Ihre Phantasie ist noch vom Fieber angegriffen.«

»Wer möchte auch jetzt hier übernachten!«

»Vielleicht ein Betrunkener.«

»Hat man nie gehört, daß die Geister der alten Wenden spuken?« warf Stephan hin.

»Sie sind ein Tor.«

»Merkwürdig, wenn es nicht wäre. In allen Gegenden, wo ein früheres Volk mit blutiger Grausamkeit vertilgt und unterdrückt worden, lebt unter den Resten desselben der Glaube, daß die abgeschiedenen Geister noch Besuche machen an den Orten, wo sie einst in Herrlichkeit gelebt.«

»Ich bitte Sie um alles in der Welt, nichts von Gespenstern.«

»Wie, meine mutige, aufgeklärte Freundin!«

»Alles zu seiner Zeit. Bei Tage lache ich über jede Gespenstergeschichte, wenn sie auch noch so gräßlich ist, aber bei Nacht im Walde ist das was anderes. Da schützt mich weder Friedrichs Freigeisterei noch Ihr Säbel.«

Stephan griff unwillkürlich nach den Pistolen in der Wagentasche. »Ich schweige, doch morgen bei hellem Tage erwarte ich dafür eine recht interessante Geistergeschichte von unserer Freundin.«

»Man muß den bösen Feind nicht necken. – Es hat jeder Mensch seine schwache Stunde, lieber Freund, deshalb brauchen Sie nicht zu lachen. – Die Wagen bleiben doch zusammen? Was lehnen Sie sich wieder hinaus?«

»Es ist nichts.«

»Mein Gott, was war das, Etienne, ich bitte Sie –«

»Das Wagenrad wird nicht geschmiert sein.«

»Schon wieder. Es pfeift.«

»Beruhigen Sie sich, Gespenster pfeifen niemals,« sagte Stephan, den Hahn der Pistole langsam aufziehend.

Aber der Ton wiederholte sich, es pfiff von mehreren Seiten. »Zugefahren!« donnerte Etienne plötzlich, das Kutschenfenster niederreißend. »Zugefahren was das Zeug hält!«

»Um Gottes willen still!« das Fräulein kniff ihm in den Arm.

»Sie hören ja alles. – Jesus, sehen Sie da –«

Etienne blickte aus dem Wagenschlag, indem er sie fast ungalant beiseite stieß. Sie umfaßte ihn krampfhaft, als wolle und könne sie ihn hindern.

»Nun – seien Sie nicht so still –«

Er hatte weder den Wagen vor ihnen, in dem der Graf fuhr, noch die Kutsche des Marquis, welche diesmal den Zug beschloß, gesehen, aber deren Schatten; und neben dem Schatten der Postpferde andere, die ihm nicht gefielen. Beide sahen dasselbe und beide sprachen keine Silbe. Lange Schlagschatten, die wie Riesen weit über die Ebene strichen, bewegten sich neben dem Wagen, wenn er langsam fuhr, langsam, wenn er eilte, schneller.

»Geister sind das nicht,« flüsterte Etienne seiner Nachbarin zu, die nicht zu atmen wagte.

»Österreichische Patrouillen, Etienne?«

»Ich glaube etwas Schlimmeres.«

»O, warum peitscht er nicht die Pferde – wir schleichen.«

»Der Kutscher vorn sieht vielleicht mehr als wir.« Auch er selbst mochte mehr sehen und gesehen haben, als er geraten hielt, der Gesellschafterin mitzuteilen. Sein Auge untersuchte rechts die Büsche.

»Wären wir alle zusammen. Es sind doch viele Männer –«

»Der Graf, Teuerste, würde uns wenig helfen. Wenn er nicht schläft, vergeht er wohl schon in Todesschweiß.«

»Und der Wagen, Etienne, geht immer langsamer.«

»Es ist ein tiefer Sand.« –

»Woran denken Sie, Freund?«

»Daß er jeden Augenblick still stehen kann –«

»Sind Sie ein mutiges Mädchen, Amelie?«

»Wenn es gilt: und Sie sind gewiß, daß es keine Gespenster sind?«

»Ich wollte sie mit Gold bezahlen.«

»Ach, es wäre aber doch schrecklich, wenn wir, die wir kaum aus so viel größeren Gefahren gerettet sind, in einer so elenden – Herr Jesus Christus, was wollen Sie tun?«

»Unter den Kiefern dort sehen Sie –«

»Lieber Freund, es ist wohl nur der Wind im Gebüsch. Wären es Leute, so wären's ihrer zu viel – schießen Sie nicht –«

»Es ist nur, daß ich den anderen ein Zeichen gebe, für den schlimmsten Fall –«

»Hu, wenn es nun doch Geister wären – hall, halt, lieber Etienne – da ist's verschwunden.«

»Desto schlimmer – man muß auf alles gefaßt sein.«

»Ich bin auf alles gefaßt, mein Freund, auf alles, auf alles. Ihre eine Pistole geben Sie her –«

Es war bis da totenstill draußen gewesen, selbst die Pferde schienen von der Bangigkeit ergriffen, sie wieherten nicht, ihre Hufe wühlten im Sand. Da schrillte eine Pfeife und im nämlichen Momente krachte, brach, stürzte etwas hinter ihnen und ein vielfältiges Geschrei unterbrach plötzlich und unangenehm die Stille der Nacht. Was hier vorging, war alles das Werk eines Augenblicks. Etienne stieß den Kutschenschlag auf, er feuerte das Pistol ab, Pulverdampf, Staub, Pferdegewieher, zehn Pfeifen, ein dumpfes Hurra, alles wie ein schrecklicher Traumwirbel.

Amelie hatte die Augen fest zugedrückt, aber aus allen Leibeskräften schrie sie – sie wußte nachher nicht was – unartikulierte Laute, oder Hilfe, Mörder! Aber sie wußte bestimmt, was sie sich damit erschrien hatte, Mut. Denn als jemand sie am Arm zupfte, »kommen Sie nur heraus und helfen,« sprang sie mit dem Pistol aus dem Wagen und war vielleicht ebenso angenehm als vorhin unangenehm überrascht, da ihre Hilfe zu nichts anderem angesprochen wurde, als der Gräfin aus der umgestürzten Kutsche zu helfen. Nicht unverletzt arbeitete sich Eugenie aus den polternden und klirrenden Kasten, Schachteln, Flaschen, ihr Arm blutete und sie lag erschöpft im Arm der Freundin.

»Sind sie fort?« fragte sie nach einer Weile.

»Wer?« und das Fräulein fuhr doch zusammen bei der unbestimmten Entgegnung.

Sie blickten auf, wie aus dem Schlaf erwachend, was wahr sei, was nicht? Der Mond schien auf einen öden Kiefernwald, auf eine traurige Heide, auf den sandigen, breiten Weg, in dessen Mitte der Wagen des Marquis lag. Der Postillon und der Kammerdiener stritten sich bei den Pferden, ob das linke Rad rechts oder links über den Stein gegangen, der Postillon schwor, das Pferd hätte gescheut, der Kammerdiener schalt ihn eine Schlafmütze.

Der Graf, zitternd wie Espenlaub, wankte heran und schloß seine Tochter in die Arme: »Gott sei Dank, daß ich dich wieder habe.«

»Um Gottes willen sprechen Sie, was war es?« drang Eugenie in ihn.

»Das wird uns dein Bräutigam – dein Freund, unser Freund am besten sagen. Dort steht er wie in Gedanken verloren am Baum. – Sie schossen – wonach schossen Sie?«

»Nach Gespenstern.«

»Sind Sie wieder krank?«

Der Streit zwischen den Postillonen und dem Kammerdiener wurde ungebührlich laut. Die anderen Postillone und die beiden Jäger mischten sich drein. Jene meinten, es sei in der Heide nicht geheuer, der Kammerdiener behauptete, sie hätten alle geschlafen, der Jäger schüttelte den Kopf, es seien Kerle hinter den Büschen gewesen, der Herr Leutnant hätte nicht nach Luft geschossen.

»Wonach denn?« fuhr er so wild auf, wie man es nicht gewohnt war.

»Ich laß mich henken, oder es waren Marodeure,« rief der Jäger. »Die Metallknöpfe blitzten durchs Buschwerk und ich möchte schwören, es waren preußische Monturen bei. Ihr seid alle Schlafmützen, und wenn der Leutnant nicht zu rechter Zeit schoß und das Fräulein schrie, wer weiß, wie es jetzt um uns stände. Davon liefen sie – saht ihr's nicht springen in die Büsche?«

»Davon?« sagte der eine Postillon. »Ich habe nicht geschlafen, aber wenn's solche Sakkermenter waren, die liefen vor dem Husarenliede. Da hören Sie doch, meine Herrschaften. So galoppieren die braunen Husaren, die da herumliegen.«

»Mein Gott, mein Gott, was ist da zu tun!« rief der Graf, ängstlich die Hände ringend. »Haben wir nicht einen Angriff zu befürchten, können sie nicht wiederkehren? Sie haben geschossen, Leutnant, wenn Sie jemand getroffen hätten!«

»Da sei Gott vor!«

»Herr Gott, Eugenie, du blutest –«

Stephan starrte auf und sah den Arm der Gräfin, umwickelt mit Amelies Tuch; es tröpfelte rot durch den Batist.

»Noch mehr Gespenster,« schrie er; »blendete mich der Mond, oder war ich im Fieber?«

»Beruhigen Sie sich, lieber Etienne,« antwortete die Gräfin. »Es kommt vom Wagenfenster. Als Sie schossen, war es schon geschehen, es ist nicht schlimm, es wird auch nicht schlimm werden. Es wird sich alles zum Besten aufklären –«

»Das gebe Gott,« entgegnete er.

»Wenn sie nun aber wiederkehren!« wiederholte der Graf, als wolle er die Postillone bewegen, innezuhalten, welche eben aus Leibeskräften ins Horn stießen.

»Um Sukkurs zu kriegen,« entgegnete der eine, und die Meinung wurde bald klar, denn die Töne wurden durch ein freudiges Hallo aus dem Walde vor ihnen beantwortet. Preußische Husaren zeigten sich mit ihren weißen Mänteln vorsichtig am Waldrande und näherten sich, nachdem sie sich überzeugt, wer hier ihre Gegenwart wünsche.

Die Freude der Gesellschaft war größer und ihre Bewillkommnung herzlicher, als die Husaren erwarten durften, welche, auf einer Patrouille begriffen, durch den Lärm hier über ihre Grenzen hinausgelockt waren. Man schenkte ihnen zu trinken, man erzählte, was man wußte und nicht wußte, und sie halfen den umgeworfenen Wagen aufrichten und das gebrochene Rad festbinden. Aber der Unteroffizier wollte nicht glauben, daß es Marodeure in preußischer Montur gewesen, denn die würden nicht so abgezogen sein vor einem Puffen in der Luft.

»Doch ich rate den Herrschaften,« sagte er, »sich fix auf den Weg zu machen und an uns zu halten; denn die Gegend steckt freilich voller Schnapphähne, was nicht hüben und drüben pariert. Es sind Ausreißer von Blau und Gelb und niemand weiß jetzt, ob die Kaiserin oder der König morgen hier das Regiment haben.«

Der Rat war so einleuchtend, daß es nicht der Geneigtheit des Vornehmsten unter den Reisenden bedurft hätte, um ihn sofort ins Werk zu setzen. Wir sagen des Vornehmsten, denn falls der Marquis dem Grafen diesen Vorzug streitig machte, so ließ sich doch jenes Stimme bei dem in der Eile gepflogenen Rate gar nicht vernehmen. Selbst als man seine Kutsche aufgerichtet und das Rad gut genug befestigt, um das schwere Fuhrwerk bis zur nächsten Dorfschmiede zu schleppen, ließ er sich nicht hören und sehen. Man rief seinen Namen, er antwortete nicht. Man suchte, vergeblich. Man rief durch die hohle Hand, Husaren tummelten sich durch die nahen Büsche, alles umsonst.

Man geriet auf den Argwohn, wenn es Marodeure gewesen, von deren Dasein doch niemand etwas Bestimmtes zu sagen wußte, so sei der rührige alte Mann unter sie geraten und von ihnen mit fort in die Heide geschleppt; die Damen drangen, daß die Husaren in den Wald sprengten. Allein der alte Unteroffizier schüttelte den Kopf.

»Meine Herrschaften, mein Kommando ist nur sechs Mann stark, ich bin der siebente; mit denen hab' ich meinem Könige geschworen, und, befiehlt es der General, stürm' ich damit eine Schanze, wenn sie auch mit dreißig Kanonen gespickt ist. Wenn wir fallen, ist das unsere verfluchte Schuldigkeit. Aber mit sieben Kavalleristen verspreng' ich mich nicht bei Nachtzeit in einen Wald, wo hinter jedem Baumstamm ein Ausreißer lauern kann – wenn auch der vornehme Herr unseres Generals Zieten bester Freund wäre, es täte doch nichts gut für ihn. Haben sie ihn mitgeschleppt, dann macht ein Wort in der Güte und eine Ranzion mehr aus, als unsere Säbel und Pistolen. Aber halten hier darf ich nicht fünf Minuten mehr.«

Wenn auch die Rede nicht für alle so einleuchtend war, als schlagend, so war sie doch bequem. Und das Gewissen fügt sich gern der Notwendigkeit, wo die Bequemlichkeit auf seiner Seite ist.


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