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Viertes Kapitel.
Die Maus

Der Marquis galt in dem gräflichen Hause für einen Mann, aus dem niemand klug werden konnte. Er hatte überall Vertraute, vom Oberhaupt der Familie bis zu dem Kammerdiener herab; aber jedem war etwas Besonderes vertraut, und wenn der Zufall machte, daß die Vertrauten sich untereinander verständigten, so widersprach eine Mitteilung der anderen, und ein Salomo hätte umsonst nach einem Einklang der Gesinnung und Absichten ihres Urhebers gesucht. Nichtsdestoweniger stand er beim ganzen Hause in großem Ansehen, der Graf ehrte unbedingt seine Aussprüche, wiewohl es unentschieden blieb, ob dies wahre Achtung für seinen Verstand oder für seine Reichtümer und seinen Einfluß war. Eugenie schwankte zwischen Unwillen und Verachtung, und doch gab es Augenblicke, wo ihr die Flamme eines edleren Geistes aus dem grillenhaften Manne entgegenzuleuchten schien, wo seine Begeisterung für irgend etwas – denn der Gegenstände, für die er warm wurde, waren viele – nicht affektiert vorkam, wo die Seele mitsprach und eine hinreißende Kraft der Rede, die man in dem kleinen Körper nicht erwartete, selbst sie aus ihren Träumen aufstörte. Amelie war ihm bis dahin am feindlichsten gesinnt gewesen. Sie nannte ihn einen labyrinthischen Maulwurfshaufen. Dem Gange seiner Intrigen könne man zwar nicht nachgehen, aber da mit einem Fußtritt der ganze Bau zertreten sei, lohne es sich auch nicht der Mühe. Aber in dem Grade, wo er den anderen Familiengliedern Ehrfurcht einflößte, belustigte er sie. Heut zum erstenmal fühlte sie sich ihm gewogen, ohne doch Lust zu spüren, seine Vertraute zu werden, ja ohne es selbst wert zu halten, ihn auf dem Rückwege von der Klinkauf nach der Ursache seines Beistandes zu fragen.

Nur etwas war an dem Manne klar und ausgesprochen, sein Haß gegen den König von Preußen. Bei allen Irrgängen seiner Gedanken, Neigungen und Pläne stieß man auf diese Lebensader oder Wurzel. Der Mann, welcher das Unbedeutendste in geheimnisvolle Nebel hüllte, der jeden Schritt, jeden Laut bewachte und dem Unwillkürlichen selbst den Schein des Tiefüberdachten zu leihen wußte, war nicht mehr Diplomat, wenn die Rede auf Friedrich und die Könige von Preußen kam. Halb Widerwille, halb Geringschätzung floß es von seinem Munde, ein begeisterter dunkler Strom des Hasses, mit Lichtfunken untermischt von Hoffnung auf Demütigung und Untergang des Gegners. Dann kannte er keine Rücksichten und die wild losgelassene Begeisterung schöpfte ihre Gründe aus dem tiefen Meere menschlichen Hasses und von der Sumpfoberfläche seichter Gemeinplätze.

So wütete er heute bei dem schnell improvisierten Abendessen, sobald der Name Friedrich zuerst von einem der Anwesenden genannt wurde. Die Reise, Dresden, die kaum verlassene Damengesellschaft, die Familienangelegenheiten, Dinge, welche ihn eben noch ernst beschäftigt und in ein tiefes Gespräch mit dem Grafen verwickelt, schienen über das eine Wort völlig vergessen. Seine Ausdrücke trafen mehr als einmal empfindlich den Wirt. Dieser liebte Übergänge, aber vermittelte, allmähliche, ein so rasches Überspringen erschreckte ihn. Man mußte ihm Zeit lassen, den Übergang bei sich selbst zu rechtfertigen. Damit war er hier schon auf gutem Wege, aber diese Heftigkeit machte ihn betroffen, sie traf verwundend, was er kurz vorher gedacht, empfunden. Die Steine, die Wände, die Luft von Dresden, waren ja noch vorgestern preußisch; konnten sie nicht noch Ohren haben? Klang es nicht noch wider von Tönen, die disharmonisch in das eben Gehörte eingriffen? Die Damen blieben teilnahmlos beim Gespräch, aber eben vor ihnen wünschte er, daß sein Gast sich mäßige. Sie waren Zeuginnen einer Gesinnung gewesen, welche nicht alle Äußerungen des Marquis ohne Widerspruch hinnehmen konnte.

»Friedrich ist noch nicht überwunden,« warf er, das ist betonend, ein.

»Die Sonne scheint noch nicht untergegangen,« fuhr der Marquis mit der vorigen Heftigkeit fort, »wenn ihr glutroter Ball den Saum des Horizontes küßt; aber sie ist schon unter, es ist nur ihr Nebelbild im Dunstkreise, das uns noch täuscht. Friedrich ist unter, er muß unter sein, unsere blöden Augen wagen nur noch nicht die Leere vor dem Dunstbild seiner Größe zu sehen. Worin bestand diese? In dem Schein, den er uns vormachte. Es ist klarer wie die Sterne am Himmel, daß der Mann, der sich Kurfürst, ein König nennt, und wenn er sich Kaiser nennte, und hätte nicht mehr als er hat an Maus und Mann, nicht Frankreich, Österreich, Rußland, Schweden, widerstehen könnte. Klar wie das Einmaleins, daß er erdrückt werden mußte, wenn er nicht besiegt werden konnte. Und wodurch widerstand er? Durch den Schein seiner Größe, durch den Pöbelwahn, der sich so was vorgaukeln läßt. Er scheint Geld zu haben, weil er Münzen aus Kupfer prägt und sie golden und silbern anstreicht, er scheint Armeen aus dem Boden zu stampfen, weil er sie die Kreuz und Quer marschieren läßt, daß wir immer neue sehen, und es sind doch nur die alten, er schien unüberwindlich, weil das Volk es glaubte, er scheint groß, weil ihn noch niemand gemessen hat. Gegen den Schein lassen Sie uns kämpfen, so schrumpft der Riese zu einer Maus zusammen, und wer erschrickt dann vor ihm –«

Kaum waren diese Worte über des erhitzten Redners Lippen gekommen, als er, den Mund noch halb geöffnet, verstummte und mit dem Gesicht, aus dem die Farbe entwichen, unverwandt nach einem Winkel hinstarrte. Ein heftiges Zittern bewegte seinen ganzen Körper, man sah, er strengte sich an und konnte doch nicht den Blick abwenden. Der Todesschweiß perlte über die leichenblasse Stirn, die Zähne schlugen zusammen, er preßte die Serviette in seiner Hand, er wollte aufspringen und konnte nicht aufspringen. »Was ist Ihnen?« Aller Augen richteten sich nach dem bezeichneten leeren Fleck. Es herrschte eine tiefe Stille, und man glaubte, was man nicht sehen konnte, jetzt zu hören, das Rascheln einer Maus. Der Marquis war nun wirklich aufgestanden. Mit der Serviette wischte er sich den Schweiß von der Stirn und schob die Perücke zurecht.

»Vergebung, meine Damen,« sprach er mit einer Stimme, die noch nicht ganz Herrin ihrer selbst schien. »Es gibt Erscheinungen im Leben, über die wir uns nicht klar werden.«

Der Graf besann sich, daß sein Gast eine angeborene Furcht vor Mäusen hatte. Was ihm durch die Rückerinnerung an einige spaßhafte Momente aus ihrer Bekanntschaft jetzt begreiflich war, suchte er durch eine scherzhafte Wendung auch den Damen anzudeuten, um weitere Fragen zu verhüten; eine unnötige Vorsicht, indem beider Sinn, von anderen Gedanken abgezogen, wenig Teil am Gespräch genommen hatte.

»Dem Elefanten in Paris,« sagte der Marquis, »habe ich meinen Arm in den Rüssel gehalten und die Löwin am Barthaar gezupft; aber dies unansehnliche, widerwärtige Tier, das unserem Blick so wenig als unseren Waffen steht, das man nur sieht, um es verschwinden zu sehen, ist mir so in der Seele zuwider als fürchterlich. Ich habe Kanonendonner gehört und beim Bombardement geschlafen, aber das Rascheln des grauen, formlosen, kugelnden, winzigen Ungeheuers zuckt mir durch die Nerven. Ist nicht sein Geruch die Quintessenz alles Leichengestanks – ich glaube die Schlachtfelder der ganzen Geschichte zu sehen, die modernden Leichen von Jahrhunderten zu riechen.«

»Man soll morgen Mausefallen stellen,« sagte der Graf lächelnd.

»Ist es nicht fürchterlich, –« fuhr der Gast fort, sich aus seiner Angst zum Eifer einer neuen Begeisterung anregend, – »fürchterlich, Graf, daß der menschliche Geist Maschinen erfinden muß, künstliche Gestelle mit allen Apparaten der Technik erbauen, daß er intrigieren, machinieren muß, Täuschungen ersinnen, um ein vernunftloses Tier, das niedrigste, erbärmlichste, ruchloseste, zu fangen? Noch die Tötung macht uns Schwierigkeiten, und so weit entwürdigen wir uns, ihm Gift zu stellen, so kunstreich, schlau, wie noch keinem Eroberer, keinem gefährlichen Staatsmanne Pulver in Tränke gemischt wurden. Es ist Lust, einen Fuchs aus seinen Höhlen zu treiben, einen Dachs zu hetzen, es ist ein Hochgefühl, dem Stolzesten und Größten, wenn man so niedrig steht, daß sein Fuß uns zertreten kann, Krieg zu bieten auf Tod und Leben; aber es kränkt das Gefühl, dieselbe Geisteskraft gegen – Ungeziefer anwenden zu müssen.«

Der Sturmschritt seiner Begeisterung ging immer in Springerzügen. Von der Maus kam er auf die Mausefalle; von der Mausefalle auf die Löwenjagd, deren einer er in Afrika beigewohnt haben wollte. Der kleine Körper wurde Feuer und Flamme, indem er mit grellen Farben die Sätze, die Verzweiflung, den Todeskampf des Königs der Tiere schilderte. Nun beschrieb er den Mut und die Gewandtheit der maurischen Jäger, wie sie auf ihren Rossen durch die Wüste fliegen, wie sie den Wurfspieß schleudern, ihre nervigen Arme, die Glut ihres Auges. Der Löwe und seine Jagd waren bald vergessen, der afrikanische Soldat begeisterte ihn. Die Taktik der Beduinen, die Ungerechtigkeit der Spanier, die schwärmerische Treue des Orientalen waren Gegenstände seiner preisenden Bewunderung geworden. Von dort her solle Europa bevölkert werden, von dort her würde Mut, neuer Glanz, neues Leben, frisches Blut in die europäische Staatswelt kommen. Er war schon mit einem kühnen Sprunge über das Mittelmeer zurück und tätig dabei, den welken Zustand der abendländischen Staaten zu schildern, als der Graf, den dies Thema nicht mehr anziehen mochte, ihm bemerklich machte, daß sich die Damen schon zurückgezogen und er der Nachtruhe nach einer so anstrengenden Reise bedürfen werde.

Es gehörte zu den bequemen Eigenschaften des Marquis, daß er auf alles einging. Die leiseste Andeutung faßte er rasch auf und ermüdete nie durch ein hartnäckiges Verweilen bei aufgestellten Behauptungen. Die Löwen, die Afrikaner und ein ganzes System der neueren Staatskunst, eben bereit, entwickelt zu werden, wurden ebenso bereitwillig in das große Repositorium seiner Phantasien und Pläne zurückgeschoben, und er folgte dem Wirte, welcher es selbst übernommen, ihn in sein Zimmer zu führen. Der Weg dahin war kurz, und doch verging eine Viertelstunde, denn an jeder Tür blieben die beiden Männer stehen, in ein Gespräch vertieft, welches weder den Löwen in den afrikanischen Wüsten, noch den Beduinen unter den Barbaresken aufsuchte. Denn der Graf, welcher, kein Freund dieser exotischen Intrigen, die nächste Wirklichkeit gern im Auge behielt, schien es mit der nämlichen Teilnahme wie sein Gast zu verfolgen.

»Nichtsdestoweniger, mein würdiger Freund,« sagte er, als sie im Schlafzimmer angekommen und er selbst die Armleuchter dort angezündet, »begreife ich nicht, womit Sie sich dies Jahr über, wo jede Spur von Ihnen für uns verloren war, beschäftigt haben.«

Der kleine Mann sah ihm heftig ins Gesicht: »Sie sollen es begreifen.« Er sprang unter seinen Koffern, Schachteln umher, warf eine über die andere, bis er die rechte fand, löste die Bänder und zog etwas Flimmerndes heraus, das er mit triumphierender Miene dem Grafen entgegenhielt.

»Was ist das?«

»Eine Krone.«

Er warf das Kleinod auf einen Stuhl so sorglos, daß es heruntergefallen wäre, wenn der verwunderte Graf es nicht aufgefangen hätte.

»Lassen Sie liegen, es tut nichts,« sagte der Marquis, beschäftigt, einige Mappen mit Landkarten aufzureißen.

»Was ist das?« rief er, eine davon auf dem Tisch ausbreitend und pochte mit den fünf Fingern darauf.

Der Graf bückte sich: »Die Insel Korsika, wenn ich nicht irre.«

»Sie irren nicht. Verstehen Sie mich?«

»Kaum zur Hälfte, mein Freund.«

»Stammen nicht meine Väter,« hub der Marquis an, »in siebenter Nebenlinie von den Königen von Arragonien, in dritter von dem Grafen von Savoyen ab? Daß die von Toulouse ausgestorben sind, daß der Zufall neue Staaten konglomerierte, uraltes Erbrecht unabhängiger Dynasten zurückdrängend, ausschließend, raubt das mir, einem freien Manne, den Mut nach dem goldenen Reif zu trachten, worauf meine Ahnen ein Recht hatten! Der König von Frankreich wäre nicht mehr als ich, die Kaiserin Maria Theresia nicht mehr als ich, wenn das Recht im Laufe der Jahrhunderte nicht der Politik gewichen wäre! Diese Ideen sind nichts vor mir als Gewalt und Schein. Der ärmste Freiherr, dessen paar Hufe Landes die magnetische Kraft seiner mächtigeren Nachbardynasten an sich gezogen, ist meinen Augen ein Pair. Kronen können verjähren, aber nicht das geborene Recht sie zu tragen.«

»Doch wüßte ich nicht,« fiel der Graf mit bescheidenem Lächeln ein, »daß Ihre Familie, deren Ansprüche mir wohl bekannt sind, auch dergleichen auf die Krone Korsika formiert hatte.«

»Welche Ansprüche hatte August der Starke auf Polen? Just dieselben habe ich auf Korsika.«

»Polen war ein Wahlreich, August schon Souverän.«

»Wenn ein Thron vakant ist, eine Krone keinen Kopf findet, auf den sie paßt, warum soll ich nicht den Mut haben, meine Hand danach auszustrecken?«

» Theodor von Neuhofs Beispiel –« sagte der Graf, – »sollte, dünkt mich, jeden –« er verschluckte das Wort Abenteurer – »jedermann davon abschrecken.«

»Wer war Theodor von Neuhof?« rief der heftige Marquis. »Ein Abenteurer, ein westfälischer Edelmann, ein Mann, den kein gekränktes Blut nach dem Höchsten trieb! Die Aspekten waren mir günstig, Graf, ich war es mir, unserer Sache schuldig.«

»Unserer Sache?« fragte der Wirt.

»Wissen Sie nicht, wem die Korsen,« eiferte der Gast fort, »wem die blöden Großen des blinden Volkes ihren Thron angeboten? Friedrich von Preußen, mein Herr Graf! Fühlen Sie nicht, was es heißt, mit dem in die Schranken zu treten, mit dem als Ebenbürtiger um das goldene Diadem zu ringen. O hätten wir doch zusammen angefaßt, er links, ich rechts; wer wäre der Stärkere gewesen? Ich hätte nicht losgelassen. Vor einem Nichts falle ich zurück, aber ein Friedrich und wir hätten probieren wollen. Ich bin fürstlich freier Abkunft wie die Burggrafen von Hohenzollern und die kleinen Grafen von Habsburg, romanisches Blut fließt in meinen Adern, ich bin katholisch.«

Der Graf befühlte die Krone: »Es ist doch nicht die Reichskrone von Korsika?«

»Ein Symbol.«

»Trefflich gearbeitet, aber die Steine sind böhmisch. Mein würdiger Freund, mir kommt die, welche die Korsen bieten könnten, nicht gediegener vor.«

»Sie glänzt doch!« rief der Marquis aus. »Was will ich haben? – Schein! – Schein gegen Schein. Wenn es mir geglückt, wäre eine Krone kein Gewicht, in die große Wagschale geworfen, um den Dunstriesen in die Luft zu schnellen? Graf, Sie sind ein gewitzigter Mann, aber die Phantasie fehlt Ihnen. Ihr romanisches Blut hat zu viel sächsisches Phlegma aufgenommen. Man muß fliegen können, um sicher zu gehen. Friedrich fliegt, wir müssen ihn überfliegen. Es kommt eine Zeit, mein Freund, wo das Sponton und die Kanone nichts sein werden, eine Zeit, die mit Zungen sticht und mit Worten Festungen belagert, eine Zeit, wo die Wolken über unseren Köpfen mit Gedanken schwanger hinziehen und vor dem Heuschreckenschwarm der Meinungen die Fürsten auf ihren Thronen erbleichen. Die markige Faust des Athleten wird zu schwach sein, um ein bedrucktes Löschpapier zu zerreißen. Manifeste wird man auf die Trommeln spannen, und der Schall fürchterlicher dröhnen als die Posaunen von Jerichow. Das ist die Zeit des Scheines, die auf die Zeit der Kraft folgt. Das macht jenen Friedrich siegreich, zieht eine Glorie um seinen Kopf, daß er den Schein zu beschwören wußte, daß er die Meinung für sich hat. Sie glauben an ihn; die Schwachmütigen sehen in ihm ihren Helden. Aber Triumph über Triumph, Glanz gegen Glanz! Nicht die Bajonette muß man zerbrechen, die Gemüter muß man fesseln, abwenden von ihm, und neue Lichter anzünden, bis seines sich darunter verliert, wie ein Stern in der Milchstraße.«

Das süße Vertrauen, daß er ein klügerer Staatsmann wäre, als der Phantast neben ihm, strahlte auf der Stirn des Grafen. Er antwortete nicht, er lächelte nur, indem er die Krone wieder einpackte.

»Zu einer Milchstraße gehören viele – kleine Sterne.«

»Ueber den kleinsten Stein fällt ein Riese, ein Irrwisch führte eine Armee in den Sumpf, ein kleiner glänzender Stein machte einen großen Dieb – nicht einmal der Staub ist zu verachten, wenn man ihn zu brauchen weiß. Als König von Korsika,« sprach er, den Wirt, der in der Absicht zu gehen, das Licht ergriffen, am Arme haltend, »als König hätte ich mit dem Papste ein Bündnis geschlossen. Er kriegt den Salzzoll in Bastia und dafür schleudert er den Bannstrahl auf alle Katholiken, die in Friedrichs Heere dienen, die ihm Getreide liefern, die sich zwingen lassen, ihm Kontribution zu zahlen, endlich sogar auf alle, die die Hände in den Schoß legen. Seine Freikorps gehen nun auseinander, seine Regimenter werden dünner; aus Polen nichts zu beißen und zu brechen; die Kassuben, die Schlesier, die Glatzer stehen auf, der alte Sardinier muß marschieren lassen, Neapel stellt ein Kontingent, die Irländer revoltieren, die Spanier senden eine Armada nach Kolberg – was sagen Sie dazu –«

»Ich erstaune –«

»Sie tun recht daran. Schlafen Sie wohl.«

»Hätte ich Schweizer im Dienste, würde ich eine Hellebardierwache vor das Zimmer stellen, in dem ein so erlauchter Freund sein gekröntes Haupt niederzulegen würdigt.« Der Graf verbeugte sich mit halbkomischer Feierlichkeit.

»Es ist nichts. Die blödsinnigen Korsen wollen einen Riesen haben. Sie messen noch nach Ellen ihren König. Unvernünftiges Volk. Die Zeit wird kommen, schlafen Sie wohl. Paoli ist ein Gauner.«

Dicht hinter dem hinaustretenden Wirte verriegelte und verschloß der Marquis sein Zimmer, als wäre er wirklich ein König und die Verschwörung lausche an der Türschwelle.

In dem behaglichen Schritt, mit welchem der Graf seinen Rückweg antrat, – es sah ihn niemand – wiegte sich ein stolzes Selbstbewußtsein. Man hätte in dem lächelnden Zuge um Lippe und Augen lesen mögen: »Dich übersehe ich«; aber das Wohlbehagen war tiefer gegründet als im Stolze. Er blieb mehrmals stehen und wiegte den Kopf; erst als er an die Tür des Zimmers kam, in welchem wir ihn heute nachmittag in ganz anderer Stimmung gesehen, versuchte er die glatte Stirn wieder in Falten des Ernstes zu legen und den fast jovialen Ausdruck der Augen zurückzudrängen.

Die Damen waren noch beisammen; ein Licht brannte sparsam hinterm Schirme, damit der Strahl nicht durch die Glasfenster den Kranken treffe. Sie waren bei Handarbeiten, obwohl ihre Mienen sagten, daß ihre Gedanken sich ernster beschäftigt als mit den Maschen des feinen Strickzeuges. Amelie war oder spielte, gegen ihre Gewohnheit, die Nachdenkende. Die Blicke der Komtesse strahlten in heiterer Ruhe.

»Sind Sie mit mir unzufrieden, meine Freundin?« sagte der Graf, neben dem Fräulein Platz nehmend.

»Mit Ihnen nicht,« war die Antwort.

»Also mit meiner Tochter! Da muß ich wohl die Partei Eugenies nehmen. Was verbrach das arme Kind?«

»Es war ein Kind.«

»Ein Fehler, der sich wieder gutmachen läßt.«

»Wenn es nicht so viel Trotzköpfe in der Welt gäbe.«

»Man muß nur die Mittel verstehen, mit ihnen zurechtzukommen, liebe Freundin. Meine Tochter ist eigentlich nicht trotzig, sie ist nur eigenwillig, ihr Wille geht immer einen besonderen, aber einen Weg, der doch zum Ziele führt. Es ist gewissermaßen unrecht von uns beiden, wenn wir sie ablenken wollen. Ich bin wenigstens zu der Überzeugung gekommen, daß Eugenie, wenn man sie ganz sich selbst überließ, niemals fehlging. Es schien uns nur so, weil wir nicht weit genug voraussahen. Ich mache mir in der Tat Vorwürfe, wenn ich hie und da eingesprochen, ihrem Vergnügen, ihrer Wahl Hindernisse in den Weg gelegt habe.«

»Sie sind doch ein recht kluger Mann, Herr Graf,« sagte das Fräulein, ihn anblickend.

Eugenie war aufgestanden und hatte ihre Arbeit zusammengelegt. »Ich darf doch nicht zuhören, wenn Sie mit Amelie über meine Konduitenliste Rat schlagen.«

»Und warum nicht, mein Kind? Können wir irgend etwas über dich sagen, was du dir selbst nicht schon besser gesagt hättest? Wo Eltern und Kinder auf gleicher Stufe der Ausbildung stehen, sollte überhaupt dies abhängige Verhältnis beim Ideenaustausch ganz fortfallen. Wozu da Gehorsam, wo man sich gegenseitig liebt und achtet? Solange man an Erziehung denken kann, ist das etwas anderes; aber jetzt könnte ich eher, der ich aus einer alten Schule bin, Unterricht bei meiner Tochter nehmen. Apropos, was sagte der Doktor von unserem Kranken?«

»Er gab die besten Hoffnungen.«

»Und die Medizin hat gut gewirkt?«

»Mit dem Schlaf zusammen fast Wunder,« nahm Eugenie das Wort.

»Ich sagte es gleich, mein Kind, der Rückfall war nichts als eine nervöse Aufregung. Wie erklärlich bei einem so reizbaren Gemüt unter solchen Umständen! Hast du ihn gesprochen?«

»Fast eine halbe Stunde vor dem Essen. Er fühlte sich so gestärkt und wohl, daß er das Bett verlassen wollte. Wir hatten Mühe, ihn abzureden.«

»Laß mich doch die Medizin einmal kosten. – Trefflich, trefflich! – Eigentlich bist du sein Arzt, Eugenie, und er wäre der undankbarste Mensch, wenn er in seinem ganzen Leben einen Augenblick das vergäße. Er wird es aber auch nicht, dafür wollte ich einstehen.«

»Was wollen Sie, lieber Vater?« rief sie, als der Graf die Gardine an der Alkoventür etwas lüftete.

»Ihn nur einmal sehen, um mich zu überzeugen, daß deine Phantasie dich nicht getäuscht hat. – Nein, das ist ein ruhiger, gesunder Schlaf. Wir können unbesorgt sein.«

»Ist das Ihre Meinung – ich meine Ihre Herzensmeinung, was man darunter versteht?« fragte die Gesellschafterin, ernst auf ihn zutretend.

»Gewiß.«

»Ich meine nicht, ob er krank ist oder gesund, davon verstehen Sie nichts. Aber ob der Marquis der Mann ist, der ihn vor den Österreichern beschützen kann und will?«

»Der Marquis ist der Mann dazu.« Sein zuversichtliches Lächeln schien das Fräulein zu beruhigen. Er küßte jetzt inniger als gewöhnlich Eugenie auf die Stirn:

»Die Väter sind zu beneiden, welchen die Natur solche Kinder gab. Ein weiches, hingebendes Wesen, das jeden Wunsch mir ablauschte und nichts täte, von dem es nicht vorher wüßte, daß es mir gefiele, ein solches Kind wäre nicht mein Stolz. Väter können auch irren und Kinder das Rechte wollen, indem sie ihren Eltern widersprechen. Gute Nacht, Eugenie, und gute Träume. Es kann ja alles in Erfüllung gehen, was wir wünschen, auch was du wünschest.«

Man war in dem engeren Familienkreise davon überzeugt, daß ein Regenbogen alle Farben enthalte, und daher nicht verwundert, wenn er gestern grau, heute grün und morgen rosa schien. Wenn zwei Feldherren sich jahrelang gegenüberstehen, sagt Friedrich in der Geschichte seiner Zeit, so lernen sie sich Taktik und Kriegslisten dergestalt ab, daß die Täuschung wegfällt und keiner mehr den anderen überrascht. Ähnlich war das Verhältnis in der gräflichen Familie. Die dünne Staatsklugheit des Grafen hatte alle ihre Kraft gegen die Damen verloren, seine Gründe prallten wie Erbsen aus des Knaben Pusterohr von einem stählernen Harnisch ab, man ließ ihn reden und unterbrach ihn nur, wenn die Laune des Fräuleins Lust daran fand. Wenn ihm etwas gelungen, wie vorgestern, dankte er es nicht seiner Kunst, sondern einem mitspielenden Zufall. Die Damen schienen es nicht der Mühe wert zu halten, ein Wort über seine Aeußerung beim Abschied zu verlieren, sie packten schweigend ihre Arbeit zusammen und wollten sich trennen, als Eugenie plötzlich die Freundin umfaßte und mit einem Tone, sehr verschieden von dem vor einem Jahre, sagte:

»Bist du noch böse?«

»So etwas läßt sich entweder gar nicht vergeben,« antwortete Amelie, »oder man muß es als nicht geschehen ansehen. Letzteres halte ich für bequemer, sintemal nichts Kluges herauskäme, wenn ich unser ganzes Leben durch mit Ihnen maulen wollte.«

»Ich danke dir für deine vernünftige Gesinnung. Auch haben wir vielleicht noch so viel zu sorgen, daß unser Schutzbefohlener am meisten darunter litte, wenn wir uns voreilig entzweien.«

»Ich sollte glauben, Ihr erhabenes Gefühl oder Ihre reine Begeisterung, wie Sie es jetzt titulieren, wäre durch die Entsagung so stark geworden, daß Sie nun allein Berge versetzen könnten, warum denn nicht einen Leutnant, daß er in Sicherheit kommt.«

Die Gräfin achtete nicht darauf: »Glaubst du, daß wir uns auf den Marquis ganz verlassen können?«

Amelie sah nachdenklich vor sich nieder: »Eine Adoptivliebe ist ein gebrechliches Ding. Dem Marquis traue ich auch nicht so viel. Vielleicht ist es aber gar nicht mal sein adoptiertes Kind und er bildet es sich bloß ein, wie Sie, Komtesse, sich einbilden, etwas Heroisches getan zu haben. Wie Sie das aufopfernde Entsagung nennen, weil Sie sich vom Grafen haben übertölpeln lassen, mag es ihm wie Heroismus vorkommen, sich für den Vormund oder Adoptivvater eines Deserteurs auszugeben. Aber bei Licht besehen, ist das nicht so schlimm. Eine Phantasie ist besser als eine Wahrheit! Der alte Narr gibt mehr für das, was er sich einbildet, als was ihm eigen gehört. Wenn nun bei ihm die Phantasie recht heiß geworden, Stephan zu retten, so kostet es ihm auch nichts, dafür durchs Feuer zu gehen.«

»Du würdest nicht zweifeln, wenn du gesehen, wie der alte Mann betroffen, ja gerührt dastand beim Anblick des Kranken. Die Wimpern wurden feucht, er drückte ihm die Hand, er strich ihm das Haar aus der Stirn und hauchte wie einen Kuß über seinen Mund die aus einer bewegten Brust kommenden Worte: ›Du Kind meiner Ehre!‹«

»Das kann alles Betrug sein.«

»Er sah uns nicht.«

»So war es Selbstbetrug. Aber das schadet nicht. Nur ist es ein altes deutsches Sprichwort, daß man Eisen schmieden muß, solange es warm ist. Die Phantasie ist aber weit weniger geschmeidig als Eisen, und wird bei manchen Leuten weit schneller kalt. Deshalb halte ich dafür, den guten Mann so schnell als möglich ins Gebet zu nehmen, und ehe er aus dieser Phantasie zu einer anderen übergeht, ihn zu unserem gehorsamen Diener zu machen. Dazu sind wir beide nötig, und zu diesem Bunde und zugleich um Ihnen gute Nacht zu wünschen, reiche ich Ihnen hiermit, Komtesse, feierlich und freundschaftlichst meine Hand.«

Eugenie schlug mit einem schmerzlichen Lächeln ein.


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