Willibald Alexis
Cabanis
Willibald Alexis

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7. Familienangelegenheiten

Amalie hatte sich geirrt, wenn sie meinte, durch ihr siegreiches Vorpostengefecht die Schlacht abzuwenden, die der Graf seiner Tochter angedroht. Als er sich auf den Weg machte, konnte man den aufsteigenden Entschluß, ein Mann, ein Hausherr, ein Familientyrann zu sein, auf seinem Gesichte lesen. Ja, so sehr war er aus sich selbst herausgegangen, daß er ohne alle Vorbereitungen, ohne Umschweife, die Tür noch in der Hand, der Komtesse das erklärte, weshalb er mit ihr eine Unterredung gewünscht hatte. Es schien wirklich, als fürchte er, es zu vergessen, oder als wolle er den Einreden zuvorkommen und siegen, ohne zu streiten. »Und das ist mein Wille«, schloß er, wie über sich selbst erstaunt.

Aber er hatte noch mehr Ursache, zu staunen, als es Eugenie weder erschütterte noch betrübt machte. Sie sah ihn so ruhig und heiter wie vorhin an, ihr Gesicht glühte von derselben inneren Freude, und nur ihre großen Augen sprachen eine Verwunderung aus: »Mein Vater, welche Veränderung ist mit Ihnen vor sich gegangen?«

»Du meinst, weil ich eine Zeitlang dem Spiele zugesehen, weil ich mich einverstanden gezeigt, weil ich sogar – ich bekenne es – die Verbindung gewissermaßen gewünscht habe ...«

»Das meine ich nicht«, unterbrach ihn Eugenie. »Sie besinnen sich wohl auch noch einmal anders, aber Ihr blasses Gesicht, die ängstlich stieren Augen, Ihre dumpfe Sprache! Haben Sie die Nacht nicht geschlafen?«

»Es waren Sorgen – um dich.«

»Sie erlauben mir, daß ich daran zweifle. Auch die entschiedene Art, mit der Sie sich aussprechen, deutet auf eine Abweichung. So redeten Sie nie. Lassen Sie mich nicht besorgt um Sie werden. Mein Gott, was ist mit Ihnen vor sich gegangen? Hat Ihnen jemand etwas getan, erhielten Sie eine böse Nachricht? Sie sprachen vorhin lange Zeit mit Amalie. Hat sich meine Kusine gegen meinen Vater vergessen?«

»Nein, sie hat sich nicht vergessen. Ein Mädchen, welches um die Ehre ihrer Familie besorgter ist als andere, die mehr Ansprüche auf Ehre haben.«

»Lieber Vater, Sie sind erregt und suchen jetzt eine Gelegenheit, Ihren Ärger auszuschütten. Das tut Ihnen wahr und wahrhaftig nicht gut und hilft Ihnen wenig, da Sie meinen Charakter kennen und wissen, was mir der Marquis ist.«

»Ist er denn Marquis?« fuhr es dem Grafen heraus. »O über meine kluge Tochter, das Spiel, das man mit ihr spielt, nicht einzusehen! Ich hielt es bisher nicht für angemessen, mit dir über den Charakter des alten Marquis zu sprechen. Vorsicht kann nie zu weit gehen, teils glaubte ich auch, meiner Eugenie Verstand durchschaue den Sonderling. Hast du nie gemerkt, daß es dem Manne nicht auf die Mittel ankam, wenn er auf ein Ziel losging? Er macht sich einen Gott, einen Heiland, Heilige, einen Stammbaum, ein Vaterland, wenn er sie nötig hat, warum nicht auch einen Sohn, wenn er einen braucht? Seine stets tätige Phantasie schafft sich Vorfahren bis zum alten Pharamund, warum nicht Nachkommen? Das ist viel leichter, und man kann damit angesehene Familien betrügen und junge Erbinnen kapern.«

»Vergebung, lieber Vater, daß ich auf Ihre Klugheit und Erfahrung baute«, entgegnete lächelnd Eugenie. »Hätten Sie mich nicht versichert über das Alter der Familie Cabanis ...«

»Die Familie ist durchaus angesehen ...«

»Und über die Eigenschaften des jungen Cabanis ...«

»Eugenie, es gibt Verwicklungen, wo auch der Scharfsichtigste blind sein muß. Der Soldat muß es gegen die Gefahr, der Hofmann gegen die Fehler, ja gegen offenbare Ungerechtigkeiten seines Fürsten, der Staatsmann gegen alle persönlichen Rücksichten sein. Es durfte deinem Vater einmal als wünschenswert erscheinen, die Verbindung mit dem Marquis inniger zu knüpfen, er durfte, ja er mußte die Augen schließen gegen Mängel der Geburt, es war ihm erlaubt, anzunehmen, daß Etienne der Sohn des Mannes war, dessen Verbindung ihm damals den größten Vorteil gewähren durfte ...«

»Und er durfte«, fiel ihm Eugenie ins Wort, »seine Tochter, seine einzige Tochter einem Betrüger in die Hände spielen.«

»Ich hätte mich vorgesehen. Nicht eher hätte ich meine Einwilligung erteilt, als bis ich es schwarz auf weiß und gerichtlich gesehen, daß er ihn als Sohn anerkannt und zu seinem Universalerben ernannt hatte. Einem sehr reichen Mann, der einen bedeutenden Namen führt, forscht man nirgend allzu streng nach, ob er ein angeborenes Recht auf diesen hat. Gibt es doch Staatsgesetze, welche die Wiedergeburt großer Familien durch reiche Heiraten mit Namen, denen aller Glanz abgeht, begünstigen.«

»Ihre Tochter hatte sich besser vorgesehen«, wandte Eugenie lächelnd ein. »Ich erzählte Ihnen ja wohl von dem seltsamen Dokument, welches Etienne in der Brieftasche des verstorbenen Advokaten gefunden hat.«

»Trau' dem doch nicht!« fuhr der Graf auf. »Die Dokumente sind gemacht, fabriziert; wenn es dem Marquis einfällt, beweist er dir, daß Elienne der Sohn der Maria Theresia ist. Und überdies, im Vertrauen gesagt, er hat ja nichts mehr, liebes Kind, das ist die Hauptsache. Der Spekulant warf Tausende über Tausende nach Schatten, die vielen Tausende sind verschwunden, aber die Schatten gaukeln immer vor ihm, denen er nachjagt. Weißt du, was er seinem Sohne hinterlassen wird?«

»Und wenn er ihm nichts hinterläßt als den Namen >Sohn<...«

»Törin! So höre denn, wie es sich damit verhält. Höre, ob du noch wünschen kannst, die Tochter eines Mannes zu werden, der diese Demütigungen erfuhr, der so charakterlos handelte, der seine Ehre verkauft hat, seine Grundsätze, seine Familie geschändet, mit Weib und Kind Sklavenhandel trieb, höre, ob es je möglich sein wird, vor einem Lehnshofe Etiennes legitime Geburt zu beweisen, ob nicht er und sein Vater der Spott und die Verachtung der großen Welt werden, ob man ihm nicht die Tür zuschlagen, ihn ausstoßen wird aus unseren Kreisen.«

Die Tür ging in diesem Augenblick mit Geräusch auf, und der Jäger meldete – den Marquis von Cabanis. Der Jäger hatte noch nicht ausgeredet, als der kleine Mann über die Schwelle flog und dann in den Armen des Grafen lag. Wäre der Graf verlegen gewesen, so ward es versteckt in der Umarmung und der langen Rede, mit der der Marquis die hervorgestotterte freudige Begrüßungsformel erstickte. Eugenie hörte nicht mehr das Ende, denn er beschwor darin den Grafen, niemandem von seiner Anwesenheit einen Laut zu verraten und selbst seine Tochter zu entfernen, da er ihm Dinge anzuvertrauen hätte, die mehr wögen als alle Kassenwagen, die je von den Preußen genommen worden wären. Das rief er aber mit einem Pathos und so laut, daß man es ebenso auf der Treppe hören konnte wie vorhin seinen Namen und Titel, den der Jäger doch auf seinen ausdrücklichen Befehl mit lauter Stimme hatte hineinrufen müssen. Es zeigte sich bald, daß er auch sonst mit nicht besserer Vorsicht seinen Aufenthalt verheimlicht hatte, denn die halbe Bewohnerschaft war davon unterrichtet, daß der Marquis von Cabanis auf einem Strohsack unter der Bodentreppe geschlafen, und er war es selbst, der neun Zehntel davon in das Geheimnis einbezogen hatte.

Eugenie war ihrem Freunde begegnet, sie hatte mit der nötigen Schonung ihm den Inhalt des Gespräches mitgeteilt. »Und du bist noch so froh?« fragte er.

»Nur ruhig und sicher«, war ihre Antwort. »Soll ich noch bange sein um einen längst ausgestrittenen Kampf, wenn ihn der arme Besiegte immer wieder von vorn anfängt?«

»Und du lächelst?«

»Weil mein Vater mir eine schöne Gewißheit verriet, als er sie mir verschweigen wollte. Und du legst deine Stirn in Falten, du glaubst es nicht?«

»Ich gewinne einen Vater und verliere eine Mutter. Die Mutter war das Beste, was mir herüberblinkt von da. Doch laß uns abbrechen, schweigen von dem Rückwärts, es liegt vor uns – unser Alles.«

Einige Stunden später stand Etienne vor einem Kanapee, auf welchem der Marquis ausgestreckt lag. Wenn Eugenie ihren Freund den Magus nannte, welcher sie verwandelt und die Welt der Wirklichkeit in Märchen und Wunder umgekehrt habe, so konnte man meinen, daß hier der Magus war, der die Seele des jungen Mannes mit unangenehmen Vorstellungen beschwor. Plötzlich sprang er auf und faßte den Offizier an der Brust, was aber nur im Eifer des Gesprächs und nicht im Ausbruch des Zornes geschah.

»Ich sage dir, einen so törichten, ich sage nicht Staatsmann, ich sage nicht Edelmann, nicht Menschen, ich sage: zweibeiniges Wesen, habe ich auf der ganzen Welt nicht getroffen, und ich bin so weit gereist, wie es Posteinrichtungen gibt, bis an die asiatische Grenze und auf Maultieren über die Sierra Morena nach Malaga, von wo ich bis an die Küste von Tanger schiffte. Der Dümmste aus dem Diwan des Kaisers von Marokko ist gescheiter als dieser Mann, der unter Brühl gelernt haben will. Was hat er gelernt? Ideen, Pläne? – Nichts! Er ist nicht fähig, den Zusammenhang zwischen eins und vier festzuhalten. Was ihm sonst von Begriffen anklebte, ist mit dem Alter auf und davon gegangen. Klarheit der Auffassung? – Keine Spur. Feinheit der Intrige? – Er plumpst hinein. Konsequenz? – Er hat heute vergessen, was er gestern vorhatte. – Eine gerade Linie, eine Aussicht, und darauflos, das ist die Hauptsache, Etienne.«

»Wir halten alle, dünkt mich, lieber Vater, die gerade Linie, die nach dem Grabe führt.«

»Aber wie? Die gerade Linie ist die Ehre. – Dieser törichte, alte, wankelmütige Schwachkopf bildet sich ein, daß er etwas von Staatskunst versteht, und das ist das eigentlich Lächerliche. Vor vierzig Jahren hat er einmal die Nase in die Vorsäle hineingesteckt, aber jetzt ist er rein kindisch. Ich versichere dir, Etienne, eine Idee, die ein Kind begreift, wenn sie einmal ausgesprochen ist, so einfach, so groß, so klar, davor stand er wie – das Tier am Berge; in seinen hohlen, mit Kleinlichkeitskrämereien angefüllten Schädel wollte auch kein Strahl dringen, kein Funke zünden – ich will lieber mit einer Dohle, einem Affen, mit einem tauben Hund zu tun haben als mit ihm. Ich schäme mich, daß ich mich mit ihm eingelassen habe, daß mein Name mit dem seinen zusammenstand, und das mußt du mir versprechen, Etienne: du heiratest nicht seine Tochter.«

»Und wenn ich Ihnen dies Versprechen nicht geben könnte?«

»Gäbe ich dir meine Verwünschung mit.«

»Und wenn ich Ihnen erwiderte: Die Aussicht, welche Ihr Sohn festhielt, war Eugenie, und die gerade Linie, von der er nicht abweichen will, ist der Lebensbund mit ihr. Friedrich und sie, das ist mein Banner, und keine Rücksichten und keine Aussichten können, sollen, werden midi zum Abtrünnigen machen. Ich wollte es Ihnen, mein teurer Vater, einmal recht bestimmt und deutlich sagen, damit keine Mißverständnisse darin zwischen uns ferner aufkommen.«

Nach einer Pause sprang der Marquis vom Sofa und drückte ihn an die Brust: »Komm an mein Herz, du hast noble Grundsätze, das habe ich immer gesagt.«

»Und die Grundsätze der Komtesse werden Ihrem Hause Ehre machen.«

»Du hast eigentlich gut gewählt, du hast Geschmack, du würdigst deine Abkunft. Sie – ich meine von Person – ist eine Dame von wahrem Adel, von kühnem Geist, von großer Gesinnung. Sie ist auch gar nicht seine Tochter ...«

»Wie mein Vater! Was wissen Sie?«

»Nichts, was mich nicht angeht; aber sie kann's nicht sein, sie ist's nicht gewesen, sie wird's nie sein. Wie sollte der Vater zu einem solchen Kinde kommen? Ihre Mutter, ei, das war auch ein Weib, wie es sein soll, sie nahm ihn nur, weil ein Prozeß nicht anders zu schlichten ging. In den Adern der Komtesse rinnt anderes Blut; ich will dir gleich die Kavaliere nennen, welche damals am sächsischen Hofe ...«

»Um des Himmels willen, mein Vater, wenn Sie Vermutungen der Art hegen, verbergen Sie dieselben vor Eugenie. Was könnte ihre schöne Seele mehr beleidigen als eine Kränkung ihrer Mutter im Grabe? Sie hängt mit ganzer Seele an ihr. Es muß eine Frau von hohem Geist gewesen sein, und Eugenie kann eher den Vater schmähen hören als die teure Tote.«

Es zuckte wieder etwas wie ein Blitz über das Antlitz des alten Mannes, er faßte Etiennes Hand und sah ihm scharf, aber ohne Bitterkeit ins Auge: »Ist's bei dir auch so? – Du wirst rot.« Plötzlich ließ er los und wischte eine Träne aus dem Auge.

»Mein teuerster Vater, wir sahen uns so lange nicht. Ich habe Ihnen noch nicht dafür gedankt, daß Sie am Totenbett meiner Mutter, der Dulderin, beistanden. Sie starb in Ihren Armen.«

Etienne hatte den alten, wunderlichen Mann noch nie so gerührt gesehen, er küßte ihn auf die Stirn, er segnete ihn, er weinte, er schluchzte laut. »Halten Sie den Augenblick für geeignet, den Schleier zu lüften, der noch über meiner Wiege ruht?« Etienne tat die Frage, weil er sah, daß es in der Brust des Vaters nach Mitteilung rang, er wollte ihm zu Hilfe kommen, die Hilfe wurde dankbar aufgenommen.

»Ja, Etienne«, entgegnete der alte Mann mit gerührter Stimme, »es soll – es muß nun alles heraus. Ach, ungünstige Sterne blickten hernieder, als du geboren wurdest, aber du darfst mir nicht fluchen, auch deiner toten Mutter nicht, der am wenigtsen, Etienne, am aller-, allerwenigsten, sie hat gelitten, sie hat geduldet, sie war eine Christin, ein Engel auf Erden, ich war ein Barbar gegen sie ...«

Als er, schon von Wehmut überwältigt, einen Augenblick innehielt, schallte die Tafelglocke, so laut, daß man inne ward, man habe schon den zweimaligen Vorläufer überhört. »Ich bin krank«, sprach dringend Etienne, »mein Bursche wird es melden«, und er zitterte wirklich fieberhaft, allein der Marquis, wieder zu sich gekommen, drängte ihn zu gehen. Er drängte so, daß Etienne überzeugt war: auch wenn er bliebe, würde er das nicht hören, wonach sein Herz verlangte, denn die wohllautenden Klänge der kleinen Silberglocke hatten so schnell die Gedanken des Alten in andere Sphären versetzt, daß sein Sohn, wäre er nicht gegangen, eine Geschichte vom Hofe des vierzehnten Ludwig anzuhören bekommen hätte, die schon anfing, und zwar mit der Tafelglocke im Schloß zu Versailles.


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