Willibald Alexis
Cabanis
Willibald Alexis

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10. Maria Theresia

Es ist Verleumdung zu sagen, daß in des Deutschen Adern kein Feuer brennt. Langsam glimmt es, und erst wenn der Körper warm ist, lodert die Flamme auf. Es gibt aber auch Momente, wo es mit einem Male hell wird, wo die Schuppen schnell von den Augen fallen, und Begeisterung, hell wie ein Nordlicht und warm wie ein Julitag, den Deutschen lebendig macht. Solch ein Zeitpunkt war für Preußen gekommen. Schlesien war ohne Schwertschlag unser, Glogau erstürmt, die alte Reichsstadt Breslau öffnete ihre Tore. Das »ja, ja« kam nun ganz anders heraus, man schüttelte die Köpfe nicht mehr seitwärts, sondern nach vorn, man trank das Bier in Absätzen, und wie viele sagten, so hätten sie's längst gedacht, so hätte es kommen müssen. Nun schien es, als hätte durch alle brandenburgischen Länder ein Brand geglüht unter der Asche, ein Wind wehte sie fort, und überall loderte die helle Glut des Patriotismus auf.

Mein Vater gehörte lange zu denen, welche ungläubig den Kopf schüttelten. Der alte Fürst von Dessau hatte dies und jenes offen nach seiner Weise getadelt; alles was geschah, geschah zu rasch, übereilt, und der Erfolg war niemals ganz verdient. Die Stimme des alten Dessauers hallte nach unter den Ehrenmännern des Tages und in den Tabagien. Man meinte, der müsse es doch verstehen und besser als der junge König, aber was half alles Sprechen? Sie redeten, und der König handelte. Die Preußen wurden nicht von den Helden des alten Eugen wie Spreu weggeweht, und die Augen von Europa hafteten erstaunt auf Friedrich, von dem Voltaires Freunde nur wußten, daß er gegen den Machiavell geschrieben, und die Welt, daß er ein ungehorsamer Sohn gewesen. Mein Vater saß gern unter den grollenden Freunden des Dessauers, aber er war doch ein zu guter Freund des Vaterlandes, um nicht auch froh zu sein, daß ihre Rabenprophezeiungen von Tag zu Tag zuschanden gingen. Er jubelte mit bei jeder neuen frohen Botschaft, er rief sein Vivat dem Könige bei seinem Glase Wein am Mittagstische und duldete endlich nicht einmal einen Tadel gegen seinen Helden von einem andern als sich selbst.

Ganz anders war es mit mir. Mit einer Wißbegier, welche die Oheime in Erstaunen setzte, hatte ich mich nach Friedrichs Ansprüchen auf die schlesischen Fürstentümer, welche den Grund zum Kriege abgaben, erkundigt. Sie hatten mir das Manifest zu lesen gegeben; das konnte aber meines Italieners Glossen über die Kriegserklärung nicht widerlegen. Der Mann hatte sich es einmal vorgesetzt, für Maria Theresia begeistert zu sein. Er stattete die Kaisertochter mit allen Reizen und Vorzügen aus, die nur ein schönes, junges Weib und eine edle Fürstin zieren. Aus ihrem kleinen Finger troff Huld und Segen, die Erde blühte, wo ihre Fußspitzen auftraten, und wen ihr Auge anblickte, der war zeitlebens gefangen.

Und gegen diesen Inbegriff aller Huld, Milde, Schönheit, Majestät, ließ der gefühllose junge Fürst die Bajonette schleifen. Dem hilflos verlassenen Weibe etwas von ihrem Erbteil zu entreißen, war seine erste Regierungstat. »Etienne!« rief er mit italienischem Affekt, »sähe ich dich einmal gegen die holdseligste Königin fechten, ich erwürgte dich mit diesen Händen. Schöne Heldentaten! Gegen eine schöne Frau zu Felde ziehen, einen Saum von ihrer Atlasschleppe ihr abschneiden, der an einem Nagel hängenbleibt. Aber paß acht, sie kann sich umdrehen, ihm einen Zornblick zuwerfen, daß er auf die Knie stürzt. Mutter Gottes! Eine so fromme Frau, die morgens und abends auf ihren Knien betet, die den Armen die Füße wäscht, die vor jedem Heiligen kniet, der will der Ketzerfürst einen Finger krümmen! Und das sieht das deutsche Volk an, sie schreien nicht zum Himmel, Acht und Bannstrahl fliegen ihm nicht auf den Scheitel? Aber ihr Geschrei dringt doch hinauf, die Jungfrau Maria wird ihr Generalissimus werden, und wenn jetzt Nachtmützen und Beutelschneider in den Kabinetten sitzen, sie werden nicht immer drin sitzenbleiben, sie werden es nicht immer ruhig mit ansehen. Man wird auch über einen anderen sich ins Fäustchen lachen. Es werden Leoparden und Tiger auf die Stühle springen und mitreden. Der junge ungeleckte Bär wird froh sein, wenn er mit zerzaustem Pelze davon kommt. – Maria Theresia, wandte er sich dann wie betend aufwärts, die du florentinisch sprichst, als wärst du in Mailand geboren, du huldreichste Kaisertochter, du Gebieterin in einem Lande von zehn Sprachen, wo der Tokaier fließt und sie Dukaten prägen. Österreich, so reich, als diese Sandsteppen arm sind, die Gebenedeite wird dir die Schmach vergelten, daß der Zottel- und Tanzbär wagen darf mit seinen Tatzen anzurühren den Saum deines Kleides, den Schatten deines Fußes, das Fleckchen Erde, wo du hingeblickt, dich Fürstin, Erzherzogin, Königin, Kaisertochter, dich der Ketzer, der Flötenpuster, der Tintenschreiber, der verlorene Sohn, der pardonierte Deserteur, der deutsche Bierheld, Bär und Barbar!«

Maria Theresia dachte ich mir überdies als Königin mit einer Krone auf dem Kopf, einem goldbrokatenen Reifrock und den Hermelinmantel über den Schultern; denn so hing sie auf einem Nürnberger Bilderbogen beim Bilderkrämer Kirchmaier an der langen Brücke aus. Kein Wunder also, daß sie mir eine legitimere Majestät dünkte als mein Kronprinz mit den großen Augen, der nicht einmal an der Wand ruhig hängen blieb. Wenn ich zu Bett ging, saß sie bei mir, fast wie meine Mutter sonst, und wenn ich aufstand, war sie bei mir gewesen, und es war viel angenehmer, mit ihr allein zu sein, als mit dem jungen Kronprinzen, der jetzt König war. Maria Theresia streichelte mich und küßte mich auf die Stirn, und dann weinte sie auch und erzählte mir des Nachts, was ihr der böse junge König mit den blitzenden Augen getan; und es war immer dasselbe, was tags vorher in der Vossischen Zeitung gestanden, die ich nach Tisch vorlesen mußte. Sie lispelte mir ins Ohr und bat mich, ich wußte nicht was; aber sie versprach dafür nachher mit mir zu spielen, und wir spielten auch zusammen Zeckjagen und Anschlag, und sie sprang munter und lustig, was ich gar nicht gedacht hatte, daß es ginge in dem goldbrokatenen Kleide und dem Hermelinmantel, dem Zepter und dem Reichsapfel. Einmal aber spielten wir nicht, sondern es war Ernst geworden, Krieg, Schlachtgetümmel. Ein Ritter haute die goldbrokatene Kaisertochter aus den Feinden heraus, aber mit einem krummen Säbel; sie weinte und reichte ihm die Hand und bat ihn, das Visier aufzuschlagen. Er tat es und kniete nieder, und da war ich es selbst, dem die Kaisertochter um den Hals fiel und ihn herzte und küßte.

»Etienne, was sieht Er rot und verschlafen um die Augen aus! Hat Er geweint?« fuhr mich der Vater an, als ich zum Frühstück kam.

Ich wußte ja nicht, daß ich geweint hatte.

»Er hat nicht geweint? Ihm stehen ja noch die Tränen im Auge.«

Hätte ich gesagt, daß ich geträumt, wäre das noch viel schlimmer gewesen als weinen. Träume wurden im Haus nicht gelitten.

»Um was hat Er geweint? Heraus mit der Sprache.«

»Um die Maria Theresia«, stotterte ich, denn des Vaters Blick hatte etwas, das die Wahrheit hinterm Berge hervorlockte.

Er sah mich groß an; er hatte wohl gedacht, meine Tränen hätten Zusammenhang mit Gottlieb.

»Was geht Ihn die Maria Theresia an? Was weint er darum?«

»Daß sie so schlecht mit ihr umgehen und ihr alles nehmen wollen.«

»Wer will ihr alles nehmen?«

»Ihre Feinde«, sagte ich behutsam.

»Wer sind ihre Feinde ...« fuhr er heraus. Ich schwieg. Er schüttelte mich am Rockzipfel. »Will Er so gütig sein und sprechen. Wer sind ihre Feinde? Hält Er's mit der Maria Theresia, der Feindin seines allergnädigsten Königs?« donnerte er heraus.

»Die arme Maria Theresia dauert mich!«

Ein Backenstreich war die symbolische Antwort. »Das zum Denkzettel, weil Er mit den Feinden seines allergnädigsten Königs schön tut. Dauert Ihn noch die Maria Theresia?«

Ich war tückisch und sagte »Ja«.

Nun regnete es von rechts und links. »Das für die Maria und das für die Theresia!« Meine Backen glühten, aber ich weinte nicht. »Und wenn Er noch einmal an die Maria Theresia denkt, wenn Er sie hört und sieht, so denk' Er an mich auch . . .« Die Anweisung des Vaters hat länger Kraft behalten, als er selbst glauben konnte. Ja, noch in dem feierlichen Augenblick, als die Flügeltüren der kaiserlichen Hofburg aufrauschten und sie selbst, strahlend von Anmut und Majestät, zum ersten Male meinen Augen erschien, da noch war mein erster Gedanke die strafende Hand des Vaters.

Die Ohrfeigen konnten ebensowenig meine schlummernde Neigung für Friedrich erwecken, als sie die längst entwichene für den Vater zurückriefen. »Wenn du ein Mann wärst«, sagte der Italiener, »so müßtest du durchgehen. Wir liefen zusammen nach Böhmen zu den Österreichern . . .« Durchgehen! Ich erschrak ordentlich bei dem Klange; einmal über den Gedanken an sich, und daß man mir, dem wohlerzogenen Sohne meiner Mutter, es vorschlagen konnte, und dann darüber, daß ich doch nicht mehr so wie sonst darüber erschrak. »Aber was machen wir bei den Österreichern?« fragte ich. »Wir schwören der schönen Maria Theresia«, entgegnete der Italiener. »Wir nehmen Dienste, werden ihre Ritter!« – Wie mir das vor den Augen flimmerte! Unter »Ritter sein«, dachte ich mir nichts anderes als alle Tage, wenigstens alle Sonntage, wenn Krieg ist, die Maria Theresia heraushauen aus ihren Feinden, dann ihr zu Füßen fallen und von ihr einen Kuß bekommen. Aber mir fiel dabei ein, daß, wenn man haut und sticht, jemand sein muß, der gehauen und gestochen wird, und das waren meine Landsleute. »Barbaren!« sagte Caseri mit barschem Ton. »Jeder Ritter muß gegen die Barbaren fechten.« Das mochte schon richtig sein, aber Gottlieb war doch auch dabei, und dann hätte ich gegen Gottlieb hauen und stechen müssen. Aber Caseri versicherte, wenn Gottlieb ein Herz im Leibe hätte, würde er auch bald desertieren.

Ich muß einmal, als das Herz zu voll war, zur Susanne etwas gesagt haben, die einen großen Schreck bekam und mich damit beschwichtigte, daß ich nun bald neun Jahre alt sei. Da würde alles anders und gut werden, denn ich bekäme ein schönes Kleid mit einer breiten Tresse und einen Zopf, so lang, daß alle Jungen mich beneiden und die kleine Stephanie mir noch einmal so gut sein würde als sonst.

Der große Tag kam mit dem neuen Jahr heran. Der Zopf ist die Ehre des Mannes, so dachte ich mir; wenn man einen Zopf hat, hört man auf ein Kind zu sein, also kriegt man auch keine Schläge mehr mit dem spanischen Röhrchen, und das war sehr viel. Also ein Abschnitt im Leben lag zwischen heut und morgen. Noch am Abend hatte ich eine Lektion mit einem von den dreien bekommen, die oben auf dem Ofen standen, und schon am Morgen darauf strahlte und brannte und puderte der Friseur mich zu einem neuen Menschen, und ich saß so feierlich ruhig wie eine Novize, der man das Haar abschneidet. Dann zogen sie mir die Jacke aus, nicht um den Leib in eine enge Montur zu pressen, sondern um mir einen schönen hellblauen Rock anzuziehen. Wie fühlte ich mich, als sie ihn mir über der Brust zuhakten, wie schlug das Herz gegen die handbreiten goldenen Tressen und wie der Zopf – ach ganz anders als ein spanisches Rohr – auf den Rücken. Meine Mutter küßte mich auf die Stirn, und eine Träne rann mir über das Gesicht, der Vater reichte mir die Hand zum Kuß und sagte, ich solle mein ganzes Leben an ihn denken, eine Ermahnung, die mir überflüssig vorkam. Er winkte uns in die Nebenstube: »Nun kommt noch was«, zischelte mir die Suse ins Ohr, »vom Herrn Marquis, juchheissa, freue dich.« Auf dem Tisch brannten neun Wachslichter und eine große, lange Lebenskerze in der Mitte des Kuchens; ach, aber den Degen, nach dem mein Herz schlug, den suchte ich vergebens, und ein Degen gehörte doch wie das Tüpfelchen aufs i zum Tressenkleide. Eine schwere goldene Uhr nahm der Vater vom Kuchen und steckte sie mir in die seidene Hosentasche. Die lange Kette hing mir fast bis ans Knie; sie war recht schön, aber ein gerader Degen war sie doch nicht, der hätte mir bis an die Waden gehangen.

Wie ward ich von allen bewundert! »Es fehlt nichts«, sagte Caseri, »als etwas. Wärst du bei der Maria Theresia, so hättest du auch den Degen dran. Ein Tressenkleid ohne Degen ist ein Husar ohne Pferd.«


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