Willibald Alexis
Cabanis
Willibald Alexis

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4. Die Maus

Der Marquis galt in dem gräflichen Hause für einen Mann, aus dem niemand klug werden konnte. Nur etwas war an dem Manne klar und ausgesprochen: sein Haß gegen den König von Preußen. So wütete er heute bei dem schnell improvisierten Abendessen, sobald der Name Friedrich zuerst von einem der Anwesenden genannt wurde. Die Reise, Dresden, die kaum verlassene Damengesellschaft, die Familienangelegenheiten, Dinge, welche ihn eben noch ernst beschäftigt und in ein tiefes Gespräch mit dem Grafen verwickelt hatten, schienen über das eine Wort völlig vergessen. Seine Ausdrücke trafen mehr als einmal empfindlich den Wirt. Dieser liebte allmähliche Übergänge; ein so rasches Überspringen erschreckte ihn.

»Friedrich ist noch nicht überwunden«, warf er ein.

»Die Sonne scheint noch nicht untergegangen«, fuhr der Marquis mit der vorigen Heftigkeit fort, »wenn ihr glutroter Ball den Saum des Horizontes küßt; aber sie ist schon unter, es ist nur ihr Nebelbild im Dunstkreise, das uns noch täuscht. Friedrich ist unter, er muß unter sein, unsere blöden Augen wagen nur noch nicht die Leere vor dem Dunstbild seiner Größe zu sehen. Worin bestand diese? In dem Schein, den er uns vormachte. Es ist klarer als die Sterne am Himmel, daß der Mann, der sich Kurfürst, ein König nennt, und wenn er sich Kaiser nennte und hätte nicht mehr, als er hat an Maus und Mann, nicht Frankreich, Österreich, Rußland, Schweden widerstehen könnte. Klar wie das Einmaleins, daß er erdrückt werden mußte, wenn er nicht besiegt werden könnte. Und wodurch widerstand er? Durch den Schein seiner Größe, durch den Pöbelwahn, der sich so was vorgaukeln läßt. Er scheint Geld zu haben, weil er Münzen aus Kupfer prägt und sie golden und silbern anstreicht, er scheint Armeen aus dem Boden zu stampfen, weil er sie die Kreuz und Quer marschieren läßt, daß wir immer neue sehen, und es sind nur die alten, er schien unüberwindlich, weil das Volk es glaubte, er scheint groß, weil niemand ihn gemessen hat. Gegen den Schein lassen Sie uns kämpfen, so schrumpft der Riese zu einer Maus zusammen, und wer erschrickt dann vor ihm ...«

Kaum waren diese Worte über des Redners Lippen gekommen, als er, den Mund noch halb geöffnet, verstummte und mit dem Gesicht, aus dem die Farbe entwichen, unverwandt nach einem Winkel hinstarrte. Ein Zittern bewegte seinen ganzen Körper, man sah, er strengte sich an und konnte doch nicht den Blick abwenden. Der Schweiß perlte über die blasse Stirn, die Zähne schlugen zusammen, er preßte die Serviette in seiner Hand, er wollte aufspringen und konnte es nicht. »Was ist Ihnen?« Aller Augen richteten sich nach dem bezeichneten leeren Fleck. Es herrschte eine tiefe Stille, und man glaubte, was man nicht sehen konnte, jetzt zu hören: das Rascheln einer Maus. Der Marquis war nun wirklich aufgestanden. Mit der Serviette wischte er sich die Stirn und schob die Perücke zurecht. »Man soll morgen Mausefallen stellen«, sagte der Graf.


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