Willibald Alexis
Cabanis
Willibald Alexis

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Viertes Buch

Die Vaterstadt

1. Das Vaterland

Unter hochstämmigen Kiefern, das Gesicht im Ellenbogen, lag ein Kriegsmann, und sein Auge verfolgte das Spiel der vom leisen Luftzug durchschauerten Wipfel. Es war tiefe Stille in der weiten Heide. Nur die Bienen summten um die violetten Blüten des Heidekrautes, ein einsamer Specht hämmerte an den Fichtenstämmen, Krähen flatterten um das Nest oben in den Wipfeln. Das helldurchsichtige Himmelsblau verriet den nördlichen Herbsttag, und doch brannte die Mittagssonne. Die Kiefern schwitzten, und der Lagernde hatte den Mantel von den Schultern fallenlassen, gern, wie es schien, von der kühlenden Luft umfächelt.

Es war unser Freund, nur hätte, wer ihn lange nicht gesehen hatte, in dem sonnig gebräunten Gesicht den Genesenden nicht wiedererkannt. Der Blick war fester, das zuckende Muskelspiel, das jede Bewegung des Gemüts verriet, war einem entschiedenen Ausdruck, gewichen, die Lippen etwas trotzig aufgeworfen. Nur die Augen waren dieselben, obgleich ihr Blick gewichtiger niedersank, wo er hinfiel. Trug die kecke, schöne Jünglingsmiene, wie er einst vor seinem Richter stand, einen ungarischen Anflug, so war ihm jetzt der Stempel des Preußen unverkennbar aufgedrückt. Stephan war ein Preuße, ein Preuße, der jahrelang, hätte man schwören mögen, mit Friedrichs Heeren gezogen, gestritten, gesiegt. Ein Nichtpreuße hätte sich anders gelagert, den Fuß anders gegen den Baum gestemmt, die Arme jetzt anders unter den Kopf gelegt, als er sich hinstreckte, die Augen starr hinauf in die Kiefernwipfel gerichtet. Es war dieselbe Uniform, die er auf dem Schlosse beim Abschied trug, derselbe Dolman, derselbe Säbel; doch Sonnenschein, Staub, Regen, Winterlager hatten gebleicht, gedunkelt, und wer nie einen Preußen gesehen, hätte doch in dem Manne, der dort lag, einen Soldaten erkannt, dem Winterstürme und Sonnenschein einen unzerstörbaren Charakterstempel aufgedrückt hatten.

Ein Kamerad – seiner Uniform nach – schritt, den Säbel aufgehoben, durch das dicke Heidekraut auf ihn zu:

»Worüber lachst du?«

»Über eine Fliege«, war die Antwort.

»Wie kann man über eine Fliege lachen?«

»Ich dachte an Eugenie.«

»Das ist eine Blasphemie! An die Geliebte zu denken in der Sandheide vor Wendisch-Buchholz! Was hat die Gräfin mit einer Fliege gemein?«

»Eine Fliege trat einmal zwischen uns.«

»Davon hast du mir nie erzählt.«

»Sie gestand es mir scherzhaft in ihrem letzten Briefe. Ich dünkte ihr auf meinem Krankenbett so unaussprechlich kläglich, schwach, bemitleidenswert, als ich mit aller Anstrengung nicht einmal eine Fliege von der Nase scheuchen konnte. Da hätte das Phantasiegebäude ihrer Zuneigung geschwankt. Sieh, und das könnte doch jetzt nicht mehr der Fall sein; ich brauchte kaum zu pusten, und die Fliege ist fort. – Sind die Pferde getränkt?«

»Sie saufen noch. Das, mein' ich, unterscheidet allein unsere vertrackten Sandwüsten von den afrikanischen, daß man Wasser trifft.«

»Auch Wälder«, sagte der Liegende.

»Alle Ehre für die Kiefernheide. Willst du loben, rühme lieber den Sand und den Wind. Die Spuren unserer Hufe werden wenigstens gleich wieder verweht. Ich glaube, wir könnten uns getrost bis zur mecklenburgischen Grenze durchschlagen, ohne daß ein Österreicher uns hört oder ein Russe wittert.«

»Höre doch das Rauschen über uns. Es hat mich lange keine Stimme so bewegt wie der Choral da oben. War mir doch, als bewillkommneten mich wieder die Grenzen meines Vaterlandes. In einer solchen Kiefernwüste lag ich als Knabe, durstig und hungrig, mit wundgelaufenen Füßen. Die Zunge klebte am Gaumen, der Staub trocknete im Schweiß, ich hatte keine Tränen mehr, um zu weinen, und drückte das Gesicht in kindlicher Verzweiflung in einen Busch Heidekraut. Das Vaterland, aus dem ich fort wollte, schien mir immer länger zu werden; irgendeine Feengeschichte fiel mir ein, wo der zurückgelegte Weg dem Helden unter seinen Füßen wieder zuwächst. Ich wollte daher lieber gleich hier verschmachten, als umsonst noch eine Strecke weiterlaufen. Aber wie ich das Gesicht so tief ins Kraut begrub, weckte der Anblick von ein paar blauen Beeren wieder die Lust zum Leben.«

»Kurios genug, daß du so wieder über die Grenze kommen mußt, wie du hinausliefst. Da bringt mein Kerl uns eine Mütze voll von dem, was dich damals mit dem Leben aussöhnte. Übrigens besser, wenn man sich einmal in einer märkischen Heide verirrt, ein Offizier zu sein als ein entlaufener Schulknabe; man überläßt das Beerensuchen und die Verzweiflung seinem Bedienten.«

Sie waren von früh an heiß geritten; das frugale Mahl von Blaubeeren, aus der Branntweinflasche angefeuchtet, und Kommißbrot schien beiden trefflich zu schmecken. Nur Wasser fehlte, denn das, woraus die Pferde tranken, wäre Sumpf, erklärte der Bursche, ein reiner Quell sei nicht zu finden.

»Das ist der Gruß des Vaterlandes, Stephan«, nickte der Kamerad unserem Helden zu und reichte ihm die Flasche.

»Ich hielt als Kind Branntweintrinken für eine Todsünde.«

»Es wird keiner als kluger Mann geboren.«

Auch der Kamerad hatte sich hingestreckt und häufte spielend mit der Hand die vertrockneten Kiefernnadeln: »Ich fürchte überhaupt, Stephan, die Phantasie spielt dir wieder einen Streich. Du denkst dir's besser, als es ist.«

»Nun, ich sollte doch allmählich wieder gelernt haben, was preußisch ist.«

»Da hast du recht. Und von der schlimmsten Seite. Wie du die Batterie genommen hattest, die Meldung ankam, der gefangene Oberst selbst deine Bravour lobte und der General, dein Freund, dich zum Avancement vorschlug, glaubten wir nicht alle, nun sei dein Glück gemacht, und wahrhaftig, ein jeder gönnte es dir. Du wurdest gerufen, sprengtest heran, da mußte dein verdammtes Pferd vor der Front straucheln, du stürzen, himmelsakrament, nun mußte einer deinen Namen falsch aussprechen, der König korrigierte ihn ärgerlich, nahm eine Prise, und damit glaubte er genug für dich getan zu haben, und es war nicht weiter die Rede.«

»Ist das nicht schon genug, wenn Friedrich meinen Namen weiß? Ein Verdienst wurde anerkannt nach einer gewonnenen Affäre, nach einer Schlacht, die in den Kriegsannalen glänzen wird, die Friedrich noch einmal vom Untergange rettete.«

»Du bist sehr bescheiden geworden.«

»Man wird mit jedem Jahre um eines älter und lernt mit jedem Tage so viel Ansprüche auf Ehre kennen, die nicht in hundert Jahren zu befriedigen sind. Und gesetzt den Fall, ich stürbe als Leutnant und es lautete einmal in der Kriegsgeschichte: ›In dieser Schlacht bei Liegnitz nahm der Husarenleutnant Stephan Cabanis mit seiner Schwadron die erste Batterie und eröffnete so den Sieg gegen den bis da unüberwundenen Laudon‹, wäre das nicht genug? Wer hat denn ein Recht auf Glück, auf Ehre? Wie vielen Millionen werden die Lorbeerkränze aufgesetzt, von denen sie in der Jugend träumten?«

»Man muß es dir lassen, du bist ein ökonomischer Husarenleutnant.«

»Man rechne nur zusammen, was man hat, und vergleiche es nicht mit dem, was man wollte, so kommt immer ein Resultat heraus. Ist der Auftrag jetzt nicht schmeichelhaft, ehrenvoll glücklich? Berlin kann durch unsere Botschaft gerettet werden.«

»Wenn uns nicht die Kosaken fangen und an ihre Pferdeschweife binden.«

»Auf Wegen, wie diesen, erreichen wir Berlin. Nur bis hinein. Und laß dann die ganze russische Armee stürmen...«

»Da denkst du dir Berlin gewiß wieder anders, als es ist.«

»Vielleicht – nein, gewiß! Der Platz meiner Kinderspiele, der mir eine Welt dünkte, wird ein kleiner Hof sein, auf den Brunnen, damals für mich ein Turm, werde ich die Hand legen können, der Müllkasten war eine Burg, der Rinnstein ein Fluß, der Raum unter der Treppe eine Ritterhalle. Das wird allerdings alles anders sein.«

»Und die Menschen, Stephan?«

Stephan schwieg, der Freund fuhr ruhig fort: »Die Phantasie täuschte dich, wie du im Kaiserlichen ein Paradies erhofftest; wenn sie dich nur nicht bitterer täuscht! Sie sind zu Hause nicht alle Enthusiasten, nicht alle Helden, nicht jeder macht französische Verse, spielt die Flöte, sieht durch Herzen und eichene Bretter, die Genies sind so rar wie anderwärts.«

»Als ob ich mir einbildete, in jedem Landsmann einen Friedrich zu finden!«

»Aber du denkst, es muß doch alles zittern vor Aufregung, Spannung, jeder Gedanke soll bei der Größe Preußens, dem neuen Aufschwung der Dinge sein! Liebster, der Krieg dauert nun schon vier Jahre; die erste Begeisterung ist vorüber. Man liebt den König, aber man schlägt doch die Hände über den Kopf zusammen über Teuerung, Not, Einquartierung, Plünderungen, Brandschatzungen und jammert nach Frieden. Und glaubst du, die Menschen sind anders geworden, freier, kühner? Der alte Registrator sitzt dir wie vor dreißig Jahren unter seinen Akten und sieht heut just so viel vom Sonnenschein wie damals durch die grünen Fensterscheiben, der Buchhalter addiert wie damals sein Konto, die Frauen trinken wie zu Anfang des Jahrhunderts ihren Kaffee und schwatzen dabei eben dasselbe, und wenn man Anno eins um elf zu Mittag speiste, tut man es vielleicht jetzt um zwölf Uhr.


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