Willibald Alexis
Cabanis
Willibald Alexis

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9. Das Lager

In dem Lager an der Heerstraße war ein buntes Gemisch soldatesker Ausgelassenheit und militärischer Disziplin.

Die Offiziere sah man gruppenweise zusammenstehen, die Hände auf dem Rücken, verdrießliche Blicke, herunterhängende Gesichter. Einige vom Stabe beobachteten mit den Fernrohren die waldige Hügelreihe dicht vor dem Lager, auf denen das geübte Auge die Bärenmützen der österreichischen Grenadiere entdecken mochte. Man nannte den Namen des Königs, aber man schüttelte den Kopf; man war nicht zufrieden. Ein General ohne Degen ging, begleitet von einem Offizier, der diesen in der Hand trug, vorüber nach dem Dorfe. Die Gruppe Offiziere machte ehrerbietig Front. Der Gefangene grüßte mit der Hand und schüttelte die Achseln: »Er ist eigensinnig, meine Herren, aber hier war es einmal Pflicht, ihm nicht zu gehorchen.«

Es war der General, welchem Friedrich den Auftrag gegeben hatte, die Höhen zu nehmen; er hatte Vorstellungen gemacht, ja bestimmt protestiert. Er hatte sein Haupt dem Könige dargeboten, und Friedrich ihm seinen Degen abfordern lassen.

»Zwölftausend hätt's gekostet«, sprach einer der Offiziere, »und wir haben nicht zwölfhundert zu verlieren.«

»Was wollen Sie mit Zwölftausend«, sagte der General, den wir als Stephans Freund aus dem Schlosse kennen, »die Höhen sind mit keinem Handstreich zu nehmen. Dauns bester Freund könnte ihm nichts Lieberes tun, als in geschlossenen Bataillonen hinauf marschieren.«

»Ein Kornett sieht das ein«, fiel der erste wieder ein, »die Position läßt sich nicht forcieren. Bis an die Zähne ist er verschanzt. Da, sehen Sie, meine Herren, steht seit Mittag ein neues Verhack.«

»Und wir«, sagte der Obrist des Freikorps, »auf einen Steinwurf unter ihm, unverschanztl«

Man sah sich zweifelhaft und schweigend an, ob es im preußischen Heer erlaubt sei, eine solche Meinung auszusprechen.

»Herr Obrist, Friedrichs Lager war noch nie verschanzt«, sprach vor sich hin der General. Doch klang sein Ton nicht wie eine Rüge.

»Kann sein, Herr General«, erwiderte der Graubart ruhig. »Wir standen auch noch nie unter den Steinbergen bei Hochkirch.«

»Es röche nach Furcht«, sagte der zutretende Kürassiermajor.

»Wenn ich mit meinem Freibataillon mich lagere, Herr Major, und ist's mitten in Feindesland, ich verschanze mich nicht. Was kann verlorengehen? Mein grauer Kopf und meine schlechten Leute. – An des Königs Stelle ließ ich Schanzen aufwerfen, denn es kann verlorengehen Friedrich, das preußische Heer und das Königreich.«

»Das ist auch Keiths Meinung«, äußerte der General.

»Er ist kein Preuße, der Mylord«, warf der Major hin.

»Hm, was das anlangt!«

»Hier stehenbleiben, heißt Gott versuchen«, fuhr der Oberst fort.

»Steht's in der Bibel«, lachte der Major, »daß wir uns bei Hochkirch verschanzen sollen?«

»Seydlitz, Herr Obrist-Wachtmeister, hat dasselbe dem Könige vorgestellt«, bemerkte der General.

»Hat's Seydlitz gesagt, Herr General, das ist was anders, da glaub' ich, aber der Bibel nicht. Denn als sie geschrieben wurde, hat mir mein Informator berichtet, war das Schießpulver noch nicht erfunden, und die Kavallerie der Philister noch nicht nach Seydlitz eingeritten.«

Das Gespräch wurde nur bruchstückweise fortgeführt.

»Wir sind unter uns, meine Herren«, sagte der General, die Gesichter musternd, »Friedrich wird von keinem Feinde überwunden; von seinem Eigensinn fürchte ich allein. Er nimmt mit jeder Kampagne zu, und die wenigen Männer, auf deren Wort er hörte, sind nicht mehr.«

»Keith und Seydlitz haben doch Einfluß.«

»Nicht doch. Schwerins Widerspruch machte ihn schon verdrießlich, und der war sein Lehrer. Die anderen haben nicht das Alter für sich. Fouque ist nicht hier.«

»Es fehlt an einem Winterfeld«, sagte ein anderer Offizier, indem er lächelnd den Bart strich.

»Heil dem Könige, der keine Günstlinge hat!« sprach der alte Obrist. Die Erinnerung an den von Friedrich inniggeliebten und hochgefeierten Baron von Winterfeld erweckte im preußischen Lager keine gute Laune. Der glänzende Mann, des Monarchen erklärter Günstling, war, solange er lebte, von Gunst und Ehren, wie von Neid und Haß beladen. Über seinen Tod in der Affäre bei Görlitz gingen dunkle Gerüchte; viele flüsterten, es sei keine feindliche Kugel gewesen, die ihn zu Boden gestreckt.

»Lassen wir das«, sagte der General. »Auch ein Winterfeld brächte ihn nicht von der Stelle.«

»Ein Daun noch weniger«, sagte ein anderer.

»Auf den gerade bau' ich, meine Herren. Kommandierte Laudon oben, fürchtete ich einen zweiten Tag von Kolin.«

»Und wir haben hinter uns keine Schlacht von Prag«, sagte der Obrist. »Dies ist Friedrichs letztes Heer, und die Russen ziehen über die Oder. Auch ist Laudon oben dabei ...«

Alle schwiegen und sahen vor sich nieder. Der General bemerkte nur einen Offizier, der, in einiger Entfernung stehend, Ungeduld verriet.

»Unserem jungen Kameraden behagt nicht unsere Konsultation. Er ist von drüben nicht gewohnt, daß der Subalterne über seinen Feldherrn eine Meinung hat.«

Man zog Stephan freundlich in den Kreis: »Ihre heutige Expedition gegen die Furagierer hat Sie schon stichfest unter uns gezeigt.«

»Reden Sie«, ermunterte ihn der General. »Auf Ihrem Gesicht steht geschrieben: Sie möchten an der Spitze einer Schwadron hinauf galoppieren und allein Dauns Armee aus Berg und Wald jagen.«

»Ich hoffe erst von Ihnen, meine Herren, zu lernen, wo es einem Preußen erlaubt ist, Gefahr zu sehen. Ihren Gegnern und der Welt blieb das bis jetzt ein Geheimnis.«

»Glauben Sie, Leutnant, daß Daun uns angreifen wird?«

»So wenig, als jener Berg ein Vesuv ist und das Nadelholz, in dem er sich verhackt, Lorbeerbäume.«

»Er verdiente kassiert zu werden, wenn er's nicht wagt«, sprach der General.

»Wagen ist ihm ein unbekanntes Wort.«

»Hält man uns denn für Stahl und Eisen«, lächelte der junge Mann. »Beim Himmel, Ihre Feinde sind gerechter gegen Sie, als Sie es selbst sind. Ich wette, dort oben haben sie Zähneklappern hinter ihren Gräben und Schanzen, Daun überlegt den Rückzug, und wenn ein preußischer Tränkknecht den Eimer schwenkt, gellt der Rapport durch das ganze Lager. Wann wurde Friedrich angegriffen? Bei den Österreichern hält man's nicht für möglich.«

»Seinem Schicksal entgeht niemand.«

»Der es nicht sich selbst macht«, fiel Stephan heftiger ein, als es sich schickte. »Was verdankt Ihr König den blind waltenden Mächten oder der frommen Scheu, welche die Moralität des Bauernjungen regelt. Wem außer sich verdankt der Geist etwas, das ihm gelang, als sich und seinen Braven? Gestehen Sie, meine Herren, auch Sie selbst, Ihre Tapferkeit, Ihre Begeisterung, ist sie nicht eine Schöpfung des einen Mannes! Wer lehrte Sie denken, daß der Kurfürst von Brandenburg dem habsburgischen Doppeladler widerstehen könne? Wäre der nicht ein Tor gewesen, reif fürs Narrenhaus, der noch vor zwanzig Jahren gemeint: dies kleine Preußen werde allein Europa in die Flucht schlagen? Wer säte diesen Kern, wer hegte diesen Baum, wer zog ihn groß? Wer lehrte ihn das, wer half ihm dabei? Stritten die Wolken mit ihm, flog ihm das Glück in die Arme? Unser Löwe hat mit der flatterhaften Dirne gerungen. Und wenn er einst ausruht auf der verwüsteten oder der blühenden Welt, durch ihn wieder blühend, wer kann sagen, in Himmel und Erde: Mir verdankt er's!«

»Wir waren auch einmal jung«, sprach der General, ihm freundlich auf die Schultern klopfend.

»Das Danken liebt aber unser König nicht«, fügte jemand hinzu.

»Und er hat recht«, fuhr Stephan fort. »Braucht die Sonne den Sternen zu danken, daß sie sie bescheint? – Er ist eigensinnig, er hört auf niemanden so recht. – Wer soll ihm denn raten auf der Bahn, die sie nicht sehen, wer neben ihm gehen, wo nur er fest tritt? Was sollen ihm Günstlinge, die ihn nicht begreifen? Je kühner vorwärts, um so einsamer wird sein Weg. Ich denke, wir alle folgen ihm doch einst dahin, und fürs erste – in den Sieg.«

Ihr Gespräch wurde durch ein Lied unterbrochen, das gegen hundert Grenadiere, die unfern von ihnen in einen Kreis zusammengetreten waren, anhuben. Es war dasselbe, welches auf dem Schlosse gesungen ward, und der Chor so laut, daß die Österreicher drüben auf dem Berge es hören mußten:

Fridericus Rex, unser König und Herr,
der rief seine Soldaten allesamt ins Gewehr,
zweihundert Bataillone und an die tausend Schwadronen,
und jeder Grenadier kriegt sechzig Patronen.

»Ihr verfluchten Kerls«, sprach Seine Majestät,
»daß jeder in der Bataille seinen Mann mir steht,
sie gönnen mir nicht Schlesien und die Grafschaft Glatz
und die hundert Millionen in meinem Schatz.

Die Kais'rin hat sich mit dem Franzosen alliert,
und das Römische Reich gegen mich revoltiert,
die Russen sind gefallen in Preußen ein,
auf, laßt uns zeigen, daß wir brave Landeskinder sein.

Meine Generale Schwerin und Feldmarschall von Keith
und der Generalmajor von Ziethen sind allemal bereit.
Kotz Mohren, Blitz und Kreuzelement,
wer den Fritz und seine Soldaten noch nicht kennt.«

»Nun adje Luise, wisch ab das Gesicht,
eine jede Kugel, die trifft ja nicht,
denn träf' jede Kugel apart ihren Mann,
wo kriegten die Könige ihre Soldaten dann!

Die Musketenkugel macht ein kleines Loch,
die Kanonenkugel ein weit größ'res noch;
die Kugeln sind alle von Eisen und Blei,
und manche Kugel geht manchem vorbei.

Unsre Artillerie hat ein vortrefflich Kaliber,
und von den Preußen geht keiner zum Feinde über,
die Schweden, die haben verflucht schlechtes Geld,
wer weiß, ob der Östreicher besseres hält.

Mit Pomade bezahlt den Franzosen sein König,
wir kriegen's alle Woche bei Heller und Pfennig.
Kotz Mohren, Blitz und Kreuzsackerment,
wer kriegt so prompt wie der Preuße sein Traktament.

Fridericus, mein König, den der Lorbeerkranz ziert,
ach, hätt'st du nur öfters zu plündern permittiert,
Fridericus Rex, mein König und Held,
wir schlügen den Teufel für dich aus der Welt.«

Die letzte Strophe wurde plötzlich durch ein lautes Vivat unterbrochen. Hunderte von Mützen flogen in die Luft, und der Kreis, dem sich die Offiziere als Zuhörer angeschlossen, öffnete sich. Der König ging durch das Lager. Er blieb stehen und sah sich eine Weile die Leute an, die so munter gesungen.

»Er ist wieder gnädig«, murmelte es.

»Wie heißt der letzte Vers?« fragte der Monarch, ein Gesicht, das ihm besonders auffallen mußte, herausgreifend. »Der da, sing' Er's noch mal.«

Der Bursche trat einen Schritt vor, und stramm, wie vor der Fuchtelklinge, die Arme an die Seite gedrückt, den Kopf vor, den Leib zurück, die ausdruckslosen Augen starr auf den König gerichtet, sang er, so gut es ging:

Fridericus, mein König, den der Lorbeerkranz ziert,
ach, hätt'st du nur öfters zu plündern permittiert,
Fridericus Rex, mein König und Held,
wir schlügen den Teufel für dich aus der Welt.

Friedrich wandte sich zu seinem Adjutanten: »Sieht Er, aus der deutschen Poesie kann noch was werden. – Ist das von dem Kleist?«

»Euer Majestät, ich zweifle.«

»Aha! Dann wird's von dem großen Ramler sein«, sagte der König und ging weiter. Der Sänger stand noch in der vorigen Positur, als der Monarch mit dem Stock auf einen andern Soldaten zeigte: »Hat Er das auch mitgesungen?«

»Wenn's Euer Majestät nicht für ungut nehmen.«

»Der Schelm!«

»Ich hab's aber nicht gemacht, Ew. Majestät«, antwortete der betroffene Soldat.

»Er war bei Budweis?«

»Ja, Euer Majestät.«

»Wieviel will Er denn plündern? – Er konnte ja den Mehlsack nicht fortschleppen und singt, ich soll Ihm noch mehr permittieren!«

Ein Gelächter, wie es die Gegenwart der hohen Person erlaubte, rieselte durch die Reihen. »Er ist überaus gnädig«, flüsterte man sich zu, indessen der Monarch langsam durch die sich ihm öffnende und immer länger werdende Gasse fortbewegte. Während sein Auge jeden einzelnen zu treffen und zu suchen schien, glaubte jeder, vorzugsweise von ihm erkannt zu sein. Manche Bitte wurde vorgebracht, der König nickte, und wenn er auch nicht gewährte, hatte er doch aufmerksam angehört. Er lächelte den Rittmeister an und warf ein Wort hin von einer Affäre, wo er sich ausgezeichnet. Der Orden des Verdienstes, wenn auch noch nicht auf der Brust, schien auf dem Gesicht des Barons zu blühen. Der General stellte einige andere Offiziere dem Könige vor, jeder erhielt ein freundliches Wort oder einen Blick der Beachtung.

»Hier, Euer Majestät, der Leutnant Stephan, welcher gestern die österreichischen Furagierer verjagte und drei Furagewagen ins Lager brachte.«

»War das Heu trocken?« fragte der König und suchte nach seiner Dose.

»Es half zu rechter Zeit. Sire, es ist derselbe Offizier ...«

Friedrich hatte eine Prise genommen und aus seinen hellen, großen Augen den Vorgestellten angesehen; aber es sprach nichts darin, weder Teilnahme, noch Erinnerung, als er dem General ins Wort fiel:

»Seine Frau hat ein Kind gekriegt?«

»Zu Befehl, Euer Majestät.«

»Wie wird Er's denn taufen?«

»Sire, ich wage ihm den Namen des Siegers von Prag und Leuthen beizulegen.«

»Meinethalben braucht Er's gar nicht taufen zu lassen.«

Ein lauteres Lebehoch als vorhin schallte dem Könige nach, als er schneller weiterging.

Durch Zufall oder Begünstigung lag die Schwadron, welcher Stephan zugeteilt worden, im Dorfe selbst. Auf dem Wege nach seinem Quartier mußte er quer durch den Hohlweg der Straße, die von Bagagewagen, Feldequipagen und Munitionskarren so versperrt war, daß selbst die Kavallerie, welche einige Gefangene einbrachte, nicht durch konnte. Er lehnte sich wartend an die Mauer des Kirchhofes; sein Auge stier auf die Vorübergehenden gerichtet, sah doch nichts. Vor dem Lärm, Toben, Fluchen konnte man kein Wort verstehen. Sein Rittmeister ging an ihm vorüber, ohne daß sich beide sahen, aber der Baron eilte seitwärts längs dem Zuge fort, um jetzt mitten am Kutschenschlage einer Equipage stillzustehen. War das nicht Eugeniens Kopf, der aus dem Kutschenfenster hervorblickte, um gleich wieder zu verschwinden, wie leuchtete es auf Izwitz' Gesicht, und jetzt nickte dem Lästigen die Perücke des Grafen zu.

Es zückte in Stephans Arm: »Sie hier!« als ihm eine Hand leise von hinten auf die Schulter klopfte. Es war der alte Obrist.

»Leutnant, Sie erschrecken ja. Ich bin kein Geist aus dem Grabe. Ich stehe nur auf einem.«

»In der Schlacht sollen Sie das hoffentlich von mir nicht sehen.«

»Davon bin ich überzeugt. – Junger Freund, lassen Sie sich's nicht zu Herzen gehen. Es ist einmal des Königs Wesen. Er liebt nicht, daran erinnert zu sein, daß er jemand etwas verdankt. Aber darum denkt er doch an Sie.«


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