Willibald Alexis
Cabanis
Willibald Alexis

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11. Feuer überall

»Wer bin ich? – Was liegt daran, wer ich bin?« rief Stephan laut, die starren Augen auf die dunkle Wand gerichtet, als wolle er dort die Antwort lesen auf seine Frage. Das Licht mit seinem flimmernden und schon verkohlten langen Docht warf ungewisse Schatten auf die zerrissenen Tapeten. Sein Mantelsack lag auf dem Stuhl, der Säbel daran, die Pistolen vor ihm auf dem Tisch; er selbst lehnte, wie müde vom Einpacken, sich auf das violettsamtene Kanapee.

Die Gedanken wurden nicht mehr alle zu Worten; sie erstarben allmählich in halbartikulierte Laute. – »Nach hundert – nach fünfzig – zehn – ach, schon nach fünf Jahren, wieviel Namen leben dann noch von allen, die jetzt aus dem großen Strome auftauchen? Wie wenige notiert der Kriegsrapport, und wie wenige von den wenigen trägt die Geschichte in ihre Bücher! Nach tausend Jahren lebt von seinem ganzen Heere kaum mehr als Friedrich.«

Es faßte ihn etwas auf die Schulter. »Etienne!«

»Siehst du's?« fragte der Marquis leise. »Komm dort ans Flurfenster.« Er zog ihn mit.

»Ich sehe hier nichts.«

»Dort – das Licht ...«

»Das ist kein Licht.« Es schoß eine Helle in die Höhe – eine rote Glut fuhr kräuselnd über die Büsche.

»Etienne, wo ist das?«

»Die Schäferei.«

In dem Augenblick riß es an der Torklingel. »Feuer!« schrie eine Stimme, und die Dunkelheit wiederholte es vielstimmig: »Feuer! Feuer!«

Stephan hatte, rasch zurückspringend, den Säbel umgeschnallt: »Sorgen Sie dafür, daß die Sturmglocke geläutet wird!« Er flog die Treppe hinunter, stieß die Stalltür ein, riß seinen Husaren vom Lager und schrie, während er sein Pferd selbst von der Krippe losband: »In die Kleider! Was Arme hat, zu den Waffen! Es brennt!«

Die Schäferei lag außerhalb des Dorfes, jenseits eines Busches. Sie sahen, als sie aus dem Busch getreten waren, das weitläufige Gebäude in hellen Flammen. Stephan kommandierte der Mannschaft, die mit Stangen, Leitern, Schaufeln, Löscheimern hinter ihm drängte, ein Halt, um sich zu vergewissem, was sie vor sich hätten.

Es war still unter den prasselnden Flammen. Nur die Schafe blökten herzzerreißend, von einer verdächtigen Nähe ließ sich nichts merken. »Rettet die Tiere!« hieß es. Es kostete eine Schlacht mit ihnen, um sie, nachdem die Tore eingestoßen waren, hinauszutreiben. Da stöhnte eine Menschenstimme im Winkel um Rettung – ein Schwerverwundeter. Es war der Schäfer. Als man ihn hinausschleppte, stöhnte er die Worte hervor: »Roter Hahn – Schloß!« Stephan durchzuckte eine neue furchtbare Ahnung. Im selben Augenblick schrie aber schon ein Junge draußen: »Es brennt, es brennt im Schlosse!«

Die Schäferei war etwa zehn Minuten vom Schlosse entfernt. Doch sah man über das Buschwerk nur seine Türme emporragen; diese glänzten hell und lustig, wie von Pechfackeln erleuchtet.

»Zurück!« riefen alle Stimmen zugleich. In der Schäferei war nichts mehr zu retten. Man überließ die Lehmwände den Flammen, denn auch dem stumpfsinnigsten Bauernburschen wurde es im Augenblick klar, daß man dies entfernte Gebäude nur in Brand gesteckt hatte, um die Aufmerksamkeit der Rettenden von Dorf und Schloß abzulenken.

»Strengt eure Lungen an!« rief Stephan. Nur die stummen Bäume hörten sein Kommando, sein gesporntes Pferd hatte ihn weit vorausgetragen. Es brauchte auch dessen nicht. Man überstürzte sich. Die Sturmglocke im Dorf tobte wie in Raserei.

Was im Dorf lebendig war, fand man auf den Beinen. Weiber, Greise, Kinder liefen schreiend, heulend, lärmend in bunter Verwirrung umher, die wenigen Männer, Langschläfer, vereinzelt, halb nackend, dachten an keinen Widerstand, ja, die Plünderer, die schon in voller Arbeit waren, luden ihnen noch hohnlachend Gepäck auf die Schultern. Die Beraubten mußten aus ihren brennenden Häusern den Raub ihrer übermütigen Räuber selbst auf die Straße tragen. Mitten unter den Dingen, die man hier zur Teilung anhäufte, stand der Marquis, wie wir ihn verlassen, und zog, schweißtriefend, unermüdlich die Sturmglocke. Es schien, als lasse man ihn zum Spaß, aus Siegesübermut dabei, den Plünderern geschah dadurch kein Schaden. Denn wer noch schlief, den weckte keine Dorfglocke mehr.

Stephans Pferd war gestürzt, die anderen holten ihn ein. Ihre Augen fragten, was zu tun sei. Es war hier nichts zu tun. In dem Schlosse, dessen graue Wände von den brennenden Scheunen erleuchtet waren, wütete die Rotte. Stumm, den Säbel schwingend, wies er dahin.

Er traf noch auf keinen Widerstand, als er die Treppe hinaufstürmte. Auf dem Flur tobte die Wut, die vor den umgeworfenen Möbeln, den Flüchen, den klirrenden Scheiben sich selbst nicht verstand. Aber doch rüttelten und stampften sie gegen eine Eichentür, die nicht nachgeben wollte.

Eine zitternde Stimme rief seinen Namen von oben her. Am Geländer der Bodentreppe hielt sich Amalie, halb wie auf der Flucht, halb wie auf Wacht.

»Was wollen Sie dort?«

Sie zeigte auf eine versteckte Tür im äußersten Flurwinkel: »Dort, dort, Etienne, nur dort. Um Gottes willen! Nur da können Sie zu ihr.« Seine Ahnung, die Umstände, die Laute von drinnen ergänzten die unzusammenhängenden Worte. Die ungebrauchte Tür führte nach dem Kabinett der Gräfin. Mit ihrem durch einen Schuß verwundeten Vater war Eugenie hierhin entflohen. Noch war es ihnen gelungen, die Eichentür hinter sich zuzuschlagen; jetzt rüttelten, stießen die Marodeure, um in das Versteck zu dringen. Amalie wies ein Mittel zur Rettung: die Nebentür zu erbrechen. Vergebens, er stemmte seine Arme, er stieß mit dem Fuß. Die Tür war, seit fünfzig Jahren nicht geöffnet, verquollen, und schon knackte die Füllung der Eichentür.

Da entsann er sich, daß eine Notgalerie am Seitenflügel entlang nach den hinteren Baulichkeiten führte. Indem man einen oberen Fensterflügel einschlug, konnte man in den Vorflur vom Kabinett springen. Gedanke und Tat waren eins. Zwei Entschlossene waren ihm gefolgt.

Als er eintrat, krachte die Tür gegenüber nach dem Kabinett. Ein Flügel brach aus seinen Angeln. Eugenie trat den Räubern entgegen. Stephan hatte gemeint, der Anblick allein müsse die Verwegenen zurückscheuchen. Als doch ein Frecher den Arm nach ihr auszustrecken wagte, stieß ein anderer ihn fort. »Die ist mein«, schrie der, dessen geschwärztes Gesicht den Hauptmann oder Anführer verriet. »Erbarmen! Es ist mein einziges Kind!« jammerte der Vater. Der aufgesparte Schuß aus Stephans Pistole galt dem Hauptmann, aber er traf den anderen. Es war nicht mehr Raum und Zeit, den Säbel zu schwingen. Sein Arm, in dem er eine Gigantenkraft fühlte, stieß den Geschwärzten, der die Gräfin umfassen wollte, zurück. Er strauchelte, doch ebenso schnell hielt er sich an seinem Gegner selbst fest. Sie rangen, beide Wut, Grimm. Stephan sah nichts mehr, seit ihn ein Blick aus Eugenies Augen getroffen, ein Blick der Verzweiflung, der Hoffnung, des Vertrauens; die Riesenkraft, die er gefühlt, wurde wirklich, der baumstarke Mann sank unter seiner Faust. Er stürzte, als ein neuer Feind ihn an der Brust packte. Wenn er ihn auch nicht niederwarf, verhinderte er doch, daß er zum Todesstreich ausholte. Es war ein großer Hund, der mit den Zähnen ihm Kollett und Halskrause gefaßt hielt und mit seinen schönen Augen ihn furchtbar anfunkelte.

Es war alles das Werk eines Augenblicks, so war es auch seine Rettung. Ermuntert durch sein Auftreten, waren die Leute im Schloß und einige Bauern, angeführt vom Förster, in den Gemächern Meister der Betrunkenen geworden. Ob der Beistand, der ganz unerwartet von außen kam, dabei mitgeholfen hatte, ließ sich nicht gleich entscheiden. Als Stephan den Hund fortgeschleudert oder der Hund losgelassen hatte, schmetterten ganz in der Nähe wohlbekannte preußische Trompetensignale, Pistolenschüsse pafften schon länger im Hofe, Sporentritte klangen von der steinernen Treppe, und Amalie stürzte freudeglühend mit einem Kürassieroffizier herein: »Rettung! Glück und Rettung!«

Eugenie sprang von dem verwundeten Vater auf, ihre Arme breiteten sich zitternd gegen Stephan aus, sie drückte ihr Gesicht an seine Brust: »Wie vergelt' ich es Ihnen?« lispelte ihr Mund. Sein starres Auge las in dem Glanze ihres tiefbewegten. Er küßte ihre Hand, er drückte die des Vaters, der ihm entgegenwankte, aber das Wort erstarb auf seinen Lippen.

»Sie dürfen nicht fort, Sie müssen ausruhen«, sagte Amalie, als sein Blick jetzt den draußen vorübersprengenden Kürassieren folgte. »Hier kommen alte Freunde, die bei uns bleiben, Bürgen für unsere Sicherheit.«

Der Obrist zuckte die Achseln: »Das Wort Ruhe ward nicht für den Soldaten erfunden. Bleiben darf der Preuße in diesem Kriege nur da, wo er so fest liegt, daß ihn die Fanfare nicht mehr weckt.«

Ein Unteroffizier meldete, daß ein Teil der Marodeure, umzingelt durch ein geschicktes Manöver der Kürassiere, welche, vor dem Dorfe in zwei Parteien geteilt, von beiden Seiten eingerückt waren, gefangengenommen und sich ergeben habe. Auch daß man der Flammen bald Herr zu werden hoffe, meldeten andere.

»So werden Sie ja Ruhe haben«, sagte der Obrist zum Grafen, der noch nicht Atem geschöpft hatte, um seinen Dankgefühlen Worte zu verleihen.


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