Willibald Alexis
Cabanis
Willibald Alexis

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2. Das Geheimnis

Wer nie in Alt-Dresden war, weiß auch nicht, daß daselbst nicht über der ersten, sondern erst über der zweiten Treppe die Beletage anfängt. Die Statistiker sind uneinig über den Grund dieser Abnormität; die Einwohner behaupten, Feuchtigkeit und Kälte der Erdgeschoßgewölbe, meist zu Kaufmannsniederlagen eingeräumt, treibe die vornehme Welt in die Etage, welche im übrigen Europa die zweite heißt. Es ist zweifelhaft, ob diese uralte Annahme in der sächsischen Hauptstadt auch den mächtigen Erschütterungen der neuesten Zeit widerstehen wird; zu der des Siebenjährigen Krieges bestand sie aber noch in aller Kraft, und auch die Familie des Grafen Moroni hatte ihre Wohnung in der zweiten Etage ihres Hotels in der Moritzgasse aufgeschlagen. Noch sah es indessen wüst und unordentlich in den geräumigen Vorderzimmern aus; denn während des drohenden Bombardements waren die besten Einrichtungsstücke in die festen Gewölbe zur flachen Erde gerettet worden, und erst heute fing man an, sie in die alte Ordnung zu bringen. Der Graf ging schweigend den Dienern zur Hand, die Gräfin, welche im eifrigen Gespräch mit einem ernsten Mann am Fenster stand, ermahnte sie durch Wort und Wink, mit mehr Stille zu Werke zu gehen. Der Mann, mit dem sie sprach, gehörte, nach seinem Gesichtsausdruck und dem sicheren Wesen, mit dem er dastand, zu schließen, zu den im Hause Bevorrechteten. Es war der Hausarzt.

»Wir dürfen also ganz auf Sie rechnen?« sagte die Gräfin.

»Ohne Sorge, Komtesse. Aber die Hauptarznei ist und bleibt Ruhe. Sorgen Sie dafür, daß kein Bombardement kommt, kein Einbruch von Phantasien und sonstigem Gesindel – wie dazumal. Ich bin noch immer nicht im klaren über die eigentliche Ursache des Rückfalls.«

Der Arzt verabschiedete sich, und ein Jäger überbrachte dem Grafen ein Paket Briefe.

Adresse und Wappen des obenaufliegenden Briefes fesselten sogleich dergestalt seine Aufmerksamkeit, daß er mit dem Ausruf »Endlich!« das Siegel erbrach. Der Graf hatte gelesen, und die Falten seiner Stirn legten sich allmählich um; etwas Freude machte sich auf seinem Auge, das sonst jeden bestimmten Ausdruck vermied, bemerkbar; er las und überlas den Brief, legte ihn zusammen, und sein inneres Wohlgefallen machte sich nun in der halblauten Äußerung Luft: »Er kommt.«

»Wer?« fragte Eugenie gleichgültig. Beide waren vollkommen mit sich beschäftigt.

»Wer, mein Kind! – Doch sein Name ist ja nicht gefährlich – ein alter Freund, den ich fast aufgegeben, weil er solange geschwiegen. Er kommt nach Dresden.«

Eugenie, teilnahmslos wie vorhin, wiederholte das Schlußwort: »Also nach Dresden?«

»Du fragst mich nicht, wer dieser Freund ist?«

»Was kenne ich Ihre Freunde!«

»Diesen solltest du doch kennen. Der Marquis kommt.«

»Der Preußenfeind!«

»Erinnere dich, Eugenie, der freundschaftlichen Verbindung zwischen mir und dem Marquis, wenn er kommt. Ich durfte – und du nicht minder – ihn einen wahren Freund nennen, trotz aller Grillen des wunderlichen Mannes. Du weißt, daß unsere Familie, als wir noch in der Lombardei ansässig, verwandt waren.«

»Sie beabsichtigen doch keine neue Verbindung?«

»Als Kind warst du dem Marquis sehr gewogen. Du ließest dich von niemand lieber auf den Knien schaukeln.«

»Soll ich ihn heiraten? – Sie hatten mich ja für den Baron Izwitz bestimmt.«

»Wie man in solchen Augenblicken noch scherzen kann! Der junge Günstling seines Königs, dessen Neigung zu dir ich damals aus Rücksichten der Gastfreundschaft und Politik nicht offen entgegen sein durfte, haut sich jetzt, wenn er noch lebt, mit den Kosaken in Pommern herum, und Friedrich, sein Gönner, liegt an der Gicht in Glogau schwer danieder. Ich habe mich nie meines Vaterrechts über meine Tochter bedient, ich habe dich nie zu einer Verbindung überreden wollen. Dies Zeugnis kannst du mir nicht versagen, und ich werde und will nicht von diesem Grundsatz abweichen.«

»So wollen wir, lieber Vater, Österreicher und Preußen vergessen.«

»Ich habe diese Preußen kennengelernt«, fuhr er fort, es war aber zweifelhaft, ob alles Folgende für die Tochter bestimmt war, oder ob er es zur eigenen Überredung bedurfte. »Ich habe sie kennengelernt und gestehe, daß ihre Begeisterung, die Ausdauer, die Taten ihres Königs etwas Blendendes haben. Wurde ich selbst davon für den Augenblick bestochen, so war dies die Macht des Unerwarteten, ich hatte sie mir schlimmer gedacht. Im näheren Umgang lernt man Vorzüge kennen, welche das Gerücht abspricht, allein auf der anderen Seite findet man auch da Mängel, wo in der Ferne lauter Glanz und Strahl waren. Sie sind tapfer, gewiß – halten Mannszucht – mit Ausnahmen –, brüskes, militärisches Wesen läßt sich bei Siegern verzeihen. – Aber – daß Friedrich unsere braven Landeskinder bei Pirna in die preußische Montur knöpfte und sie zwang, gegen die Verbündeten ihres Kurfürsten, ja gegen ihre eigenen Landsleute, gegen Brüder, Väter, Söhne zu fechten! O, es ist unerhört!«

»War aber damals schon eine alte Sache.«

»Ein Unrecht verjährt nie. Und die Behandlung der Mecklenburger, die Brandschatzungen in ihrem Ländchen, im Reich, in Franken! Ist denn der König von Preußen nur gerecht? Nicht einmal gegen seine eigenen treuesten Diener. Ein beständiger Argwohn umdüstert wie ein Nebelschleier den Glanz seines Ruhmes. Er ist undankbar, weil er sich fürchtet, jemand gestehen zu müssen, daß er ihm etwas schuldet. Er hat keine Vertrauten, weil er sich nur allein vertraut, Bewunderer, aber keine Freunde. Frage einen unter seinen Generälen; ihr Leben wollen Tausende für ihn einsetzen, aber nicht einer möchte mit seiner traurigen, isolierten Größe tauschen. Er lebt, er agiert, er ist vertreten in den Kabinetten von Petersburg bis Neapel. Den russischen Kanzler, ja den russischen Thronfolger hat er für sich gewonnen, der Hof von Versailles wimmelt von seinen Anhängern, selbst mit Maria Theresias Gatten schließt er heimliche Lieferungsverträge. Sein Geld miniert gegen uns wie sein erfindungsreicher Geist, und es ist geraten, es ist Pflicht, es ist unerläßliche Pflicht, ihm mit denselben Waffen zu begegnen.«

Eugenie hatte wenig auf das Räsonnement gehört. Es mochte daher keine spöttische Entgegnung, sondern der Schluß ihrer eigenen Gedankenkette sein, als sie ausrief: »Ja, er ist im Unglück!«

»Aber er hat Geld«, sagte der Graf, »wer Geld hat, ist unüberwindlich. Der ungarische Offizier gestern antwortete uns sehr naiv: »Qui pecuniam habet, habet omnia. Den Frieden zu suchen, ist die erste Pflicht jedes Patrioten, der sein Vaterland bluten sieht. Ich bekenne dir, ich hoffte eine Zeitlang, Friedrich sei der Geist, der Sachsens Wunden heilen, ihm den Frieden schenken, seinen alten Ruhm, seine alte Blüte wiedergeben könnte. Friedrich hat unsere Hoffnung getäuscht, darum ...«

»Ich beschäftige mich nicht mehr mit Politik, lieber Vater. Erwarten Sie den Marquis bald?«

»Liebst du nicht mehr dein Vaterland, Eugenie? Ist es dir gleichgültig, ob man uns ehrt oder verspottet, ob Sachsen selbständigbleibt, ob es zerstückelt dem und jenem zugeworfen wird? Empört sich nicht mehr dein reiner Sinn, wenn er von Unrecht hört, dünkt es dich lächerlich, wenn ein Mann für sein Vaterland sterben will, dann, liebe Eugenie, möchte ich dir je eher, je lieber dein Wort zurückgeben und dich mit dem kranken Menschen noch in seinem Bett kopulieren lassen. Dann zieht miteinander in irgendeinen Winkel der Welt, wo ihr nichts von Krieg und Frieden hört.«

Er hielt inne, wie von Rührung übermannt. Es dünkte auch Eugenie, als stände eine Träne in seinem Auge, als er nach einem Kuß auf ihre Stirn schnell das Zimmer verließ. Sie wollte ihn zurückrufen – sie fühlte ein Bedürfnis, das sie nie gekannt. Sie wollte sich vor dem Vater rechtfertigen. Aber er war schon aus dem Vorzimmer fort.

Sie trat zum Eingang des Alkovens und öffnete die Glastür. Der Kranke lag mit dem Gesicht dem Lichte zugekehrt, gerade in der Stellung, wie sie ihn vorhin verlassen. Er schlief, wie er vorhin geschlafen. Flaschen, Tassen, Bandagen standen und lagen umher, kein freundliches Bild. »Wie man so lange ruhig liegen kann!« murmelte sie vor sich hin. »Er fühlte sich doch schon gestern viel stärker!« Die Abendsonne, die hell durch die großen Fenster schien, drang jetzt bis in das tiefe Kabinett. Ihr rotes Licht überstrahlte das Gesicht des Schlummernden und lieh ihm den Anschein strotzender Gesundheit. Auch sein Atem war regelmäßig. Die Finger der auf dem Bett liegenden Hand bewegten sich wie in einer Art regelmäßigem Spiel. »Wachen Sie, Etienne?« flüsterte die Gräfin. Keine Antwort. Eine große Fliege kroch auf seiner Stirn. Augenscheinlich war es für den Schlummernden ein lästiger Besuch. Der Körper schüttelte, der Mund verzog sich, die Fliege wollte aber nicht fort. Jetzt hob er den Arm und schlug in ungewissen Bewegungen nach dem Insekt, aber die Hand traf es nicht, und die verscheuchte Fliege kam immer wieder. Endlich, wie vor Unwillen und Schmerz aus der innersten Brust aufseufzend und die Lippen zusammenziehend, fuhr er mit dem Kopf unter das Deckbett.

Eugenie verließ ihren Lauscherposten. »Und das ist der starke Mensch!« rief sie, in einem Sofa übergelehnt, und drückte ihre Stirn an ein Kissen, um etwas, was ihr ins Auge trat, vor allen und sich auch zu verbergen. In dem Augenblick stieß die Seitentür auf, und Amalie fragte hastig hinein:

»Eugenie, was gibt es hier?«

Ihr erster Blick fiel auf die offene Glastür. »Unselige!« rief sie, flog durch das Zimmer und drückte die Alkoventür ungestüm zu. »Was hast du vor?« wollte die Aufspringende fragen, als auch schon der Graf Amalie folgte.

»Unbesonnene!«

»Es ist alles verloren, wenn die Sippschaft bei der Klinkauf ist«, sagte das Fräulein.

»Er muß fort, augenblicklich fort!« rief der Graf. »Das ist nun zu spät«, die Gesellschafterin.

»Entdeckt!« sagte Eugenies ängstlicher Blick. Amalie zog statt der Antwort die Gräfin hinter die Fenstergardine und zeigte mit dem Finger nach dem gegenüberstehenden Hause. Aus einem Fenster der dritten Etage, welche aber nur um etwas höher als die zweite im gräflichen Hotel war, steckte die Spitze eines Fernrohrs, dessen schwebende Bewegung immer nach dem Zimmer, in welchem sich die Familie befand, gerichtet blieb. Die Bewegungen hinter der zugesteckten Gardine verrieten, daß die Bewohnerin des Quartiers nicht allein war.

»So haben sie ihn erkannt!« stöhnte der Graf. »Mußte auch das noch kommen!«

»Es muß etwas geschehen, ehe eine von ihnen aus dem Hause geht«, sprach rasch das Fräulein.

Amalie war in die Saloppe gefahren und ohne Abschied zur Tür hinaus. Der Graf wollte ihr nach, aber als er die Flurtür erreichte, hörte er ihre Hackenabsätze schon auf der untersten Treppe. Vom Kabinettfenster sah er sie über die Straße eilen und in der Haustür drüben verschwinden.

Im Zimmer trat ihm Eugenie entgegen und reichte ihm in feierlicher Ruhe die Hand. Der Ton ihrer Stimme war so mild.

»Mein Vater! Ich vergaß mich vorhin. Vergeben Sie mir. Jetzt gebe ich Ihnen dafür aus reiner Brust das Versprechen und fordere nichts wieder: Sie sollen nicht mehr Ihr Haupt mit Sorgen niederlegen und mit Kummer erwachen, denn Ihre Tochter hat dem Wunsche ihres Herzens auf immer entsagt. Ich habe mich von ihm getrennt, jetzt freiwillig getrennt. Besorgen Sie auch nicht, daß die unterdrückte Neigung wiederkommt. Nur seine vollständige Genesung lassen Sie uns abwarten, dann scheiden wir, freundlich, hoffe ich, und auf immer. Mir überlassen Sie es, ihm zu beweisen, daß uns das Schicksal nicht füreinander bestimmte.«

Da rasselte ein Postzug von sechsen vom Pirnaischen Tor her durch die Moritzgasse, und die blasenden Postillone hielten vor dem gräflichen Hotel. Das Wappen des Reisewagens war von Regen und Staub bedeckt, aber die Livree der abspringenden Diener und das Gesicht des kleinen ältlichen Mannes, den sie herausheben wollten, der aber über ihre Schultern hinwegsprang, heraufnickend, bestärkte die Vermutung des Grafen zur Gewißheit.

»Der Marquis.«

»Er ist Ihr Freund – von Ansehen bei den Österreichern – ihm vertrauen wir uns an. – Es wird dunkel – in seinem großen Reisewagen schaffen wir den Kranken noch diesen Abend aus der Stadt.«

»Rasende! Du weißt, daß ihm der Name Preuße schon zuwider ist. Wir sind verloren, wenn er nur ahnt, wen wir verbergen. Mit seinem Scharfblick bei seiner Quecksilbernatur – er riecht durch die Wände. Er darf nicht im Hause bleiben. Schnell ihm entgegen, ehe er uns hier findet.«

Aber sie kamen zu spät; denn eben hatte der Jäger die Flügeltüren aufgerissen, und ein kleiner Mann in einem weiten Reisemantel, der seiner untersetzten Gestalt eine unförmliche Ausdehnung gab, hüpfte über die Schwelle und auf den Grafen los.

»Sie erhielten doch meinen Brief?« fragte eine feine, aber gellend scharfe Stimme.

»Eben jetzt, teuerster Marquis. Sie überraschen mich.«

»Ist das Ihr Kind?« fragte er, auf Eugenie zuschreitend, indem er kaum den Grafen ausreden ließ.

»Meine Tochter Eugenie. Die Kinderschuhe sind nun wohl ausgetreten.«

»Es ist wahr, Komtesse, das werden zehn Jahr sein, daß ich Sie nicht gesehen, es war in Mariaschein bei Teplitz, Sie reisten nach Karlsbad.«

In der Mitte des Zimmers war der kleine Mann in seinem staubigen Mantel stehengeblieben. Nachdem er einige Sekunden wohlgefällig die Gräfin betrachtet, warf er ihn ab und stand in einem reich mit Gold bordierten, wiewohl schon etwas aus der Mode gekommenen Scharlachüberrock graziös vor der Dame. Er neigte sich nach alter Hofsitte, ergriff ihre Hand und drückte sie mit einer galanten Schmeichelei an die Lippen. Dann, als entsinne er sich jetzt erst, daß auch der Vater der so begrüßten Dame im Zimmer war, fuhr er auf ihn los und schloß ihn mit minder graziöser Heftigkeit in die Arme.

»Wie lange haben wir uns nicht gesehen, schade, schade! Es ist viel seitdem vorgefallen. – Eine böse Zeit, tumultuös, äußerst tumultuös. A propos, wie alt ist die Komtesse?«

Eugenie, leicht errötend, wollte statt des etwas betroffenen Vaters antworten. Der Marquis war aber längst in seiner sprunghaften Art über die Frage hinaus, und dem Grafen die Hand drückend, sagte er mit einer Bewegung, die unter anderen Umständen und von jedem anderen beleidigt hätte: »Was meinen Sie, Comte, zu dem Paar, mein Sohn und die Komtesse?« Dabei nickte er mit dem Kopfe vertraulich Eugenie zu.

»Sie lassen Ihren Herrn Sohn im Auslande erziehen, wie Sie einst erwähnten«, entgegnete der Graf, den Blick zu Boden gerichtet, als wolle auch er von dieser Frage nichts gehört haben.

»Erziehung macht den Menschen! Unerbittliche Strenge, keine Vorurteile, Selbsterziehung, völlige Freiheit, das meine Prinzipien, das die klassische Bildung zum Manne.«

»Sie werden müde sein. Eine so weite Reise in Ihrem Alter!«

»Nicht mein Alter, aber Ihre Steindämme. War das eine Fahrstraße oder das Bett eines Winterstromes von Chemnitz her?« Er vertiefte sich in eine Erörterung über die Schlechtigkeit der Wege in Sachsen, ganz Deutschland, Frankreich und ging in ein Lob der alten Römerstraße über, ehe er den Platz im Lehnstuhl eingenommen, auf den ihn der Wirt drängte.

»Es ist ein erfreulicher Anblick, einen Mann in Ihren Jahren noch so munter und rüstig zu sehen«, sagte der Graf.

»Ein Feigling, wer sich von den Jahren übermannen läßt!« rief der Marquis, wieder aufspringend, und nahm, seine Kraft zu beweisen, halb eine Fechter-, halb eine Tänzerpositur ein. Dann zog er die Perücke ab und zauste sich an den paar ihm gebliebenen Haaren. »Ist das Schwäche, mein Freund? – Ist das Mut, frage ich, sich dahin zu stellen, wo uns eine Kanonenkugel treffen kann? Das kann auch ein Weib, ein Milchbart und ein Pestkranker. – Ist das Mut, einem anderen den Degen in den Leib zu rennen? Mit nichten. Mutig ist, wer sich selbst sein Schicksal macht. Wer, wenn der Donner ihn niederwirft, wieder aufsteht. Wer, dreimal zur Tür hinausgeworfen, zum vierten Male wieder eintritt, es mit den Größten aufnimmt, mit Kaisern und Königen, mit Vorurteilen und – mit den Jahren.«

Er ging mit Schritten im Zimmer umher, welche an den Triumphschritt eines Siegers erinnern konnten oder sollten. Plötzlich hielt er inne:

»Liegt ein Kranker im Alkoven?« Seinen scharfen Augen war Eugenies Befangenheit und die ängstlichen Blicke, zwischen dem Vater und der Glastür gewechselt, nicht entgangen.

»Ein – sehr weitläufiger Verwandter des Hauses. Die Sache hat keine Bedeutung, lieber Marquis, aber treten wir lieber, um ganz ungestört zu sein, in ein anderes Zimmer.«

»Er ist verwundet.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Am Ofen ist ein Verband liegengeblieben.«

»Vom Aderlaß vorgestern ...« rief Eugenie dazwischen.

»Das ist keine Aderlaßbinde. Das paßt auf eine Hiebwunde. Lassen Sie mich ihn sehen, ich lernte die Wundarznei.«

»Um des Himmels willen!« brach es aus Eugenies Mund, und der Vater sprang der Tochter bei, mit höflicher Gewalt, wenn es sein mußte, den Marquis zurückzuhalten. Aber während sie ihm die Arme vorhielten, war er schon untergeduckt und ihnen vorauf an der Tür. Die Gräfin schien auf einen äußersten Entschluß gefaßt, der Graf aber flüsterte ihr zu: »Er kennt ihn ja nicht.«

»Kann er noch gerettet werden, bin ich der Mann«, sagte der Marquis, indem er das Schloß aufdrückte.


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