Abraham a Sancta Clara
Fabeln und Parabeln
Abraham a Sancta Clara

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Fuchs und Rabe

O wieviel Schmeichlerzungen haben andre ins Verderben gebracht! Was dem Raben begegnete, ist oft manchem Menschen und vornehmen Herrn widerfahren: Der Rab hatte einst ein ziemlich gutes und großes Stuck Käs entfremdet und war damit im Schnabel auf einen Baum geflogen. Als dies der arge Fuchs wahrgenommen, ist er ganz hurtig dahin geloffen und hat den Raben angefangen zu loben. »Ei, ei, ei!« sagt er, »das ist ein Vogel! Laß mir dies einen schönen Vogel sein! Hab meiner Lebtag keinen dergleichen Vogel gesehn. Du bist gewiß der Paradiesvogel oder der berühmte Phönix! Deine Mutter muß sich am Sammet versehen haben, wie sie auf den Eiern gesessen, hast du doch ein Paar Augen! Die haben gleichsam den Glanz von der Sonn zu Leihe genommen. Deine Klauen, diese so wunderlich erschaffnen Waffen, verraten, daß du von einem martialischen Geblüt abstammst. Deinesgleichen wird wohl nit unter dem adlichen Geschlecht der Vögel zu finden sein. O du schöne Kreatur, wie recht ist's geschehen, daß man die berühmte Festung in Ungarn nach deinem Namen Raab genannt hat! – Ein Ding, mein auserwählter Vogel, möcht ich doch gern wissen, weil in allem die Natur gegen dich so freigebig gewest: was du nämlich für eine Stimm wirst haben. Wenn ich dich, ansehnlicher Vogel, nur mal hörte singen, so wollt ich mich für den glückseligsten Fuchsen erkennen. Ei, ei, das ist ein Vogel!« – Der Rab glaubt dem Schmeichler in allem, übernimmt sich des großen Lobs, sperrt den Schnabel in alle Weit auf, um zu singen. Unterdessen fallt ihm das große Stuck Käs aus dem Schnabel. Der Fuchs schnappt und tappt darauf und lauft mit dieser Collation und Imbiß darvon. – Oh, wie oft geschicht, was da ist gedicht'!

 


 


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