Emile Zola
Nana
Emile Zola

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Elftes Kapitel

An einem Sonntag, während der Himmel mit schweren Gewitterwolken bedeckt war, fand das große Pariser Preiswettrennen im Bois de Boulogne statt.

Nana war leidenschaftlich erregt, als ob der große Preis für ihr Glück entscheidend sein werde, und wollte an der Barriere neben dem Zielpfosten Platz nehmen. Sie war eine der ersten in ihrem silberverzierten Landauer, der mit vier prächtigen, weißen Pferden bespannt war, einem Geschenk des Grafen Muffat. Als sie mit zwei Vorreitern und zwei Dienern, die wie Statuen den Hintersitz des Wagens einnahmen, am Eingang zum Rennplatz erschienen war, hatte sich das Volk herbeigedrängt, als ob eine Königin vorbeifahre. In ausgewählter Toilette trug sie die Farben Vandeuvres', Blau und Weiß; das kleine Mieder und die blauseidene Tunika schmiegten sich eng an ihren Körper und bildeten hinter den Hüften einen gewaltigen Bausch; das Kleid und die Ärmel waren aus weißem Atlas, und darüber hinweg lief eine Schärpe aus demselben Stoff, das Ganze durchwoben von Silberfäden, die in der Sonne strahlten. Zudem, um noch mehr einem Jockei zu ähneln, hatte sie sich ein blaues Mützchen mit weißen Federn aufgesetzt, unter denen blonde Flechten über ihren Rücken hinabwallten.

Es schlug zwölf Uhr, und man hatte noch drei Stunden auf den Beginn des Rennens zu warten. Nachdem sich der Landauer an der Barriere eingeordnet hatte, machte Nana es sich bequem, als ob sie zu Hause wäre. Einer Laune folgend, hatte sie Bijou und Louis mitgebracht. Der Hund lag auf ihrem Schoß und fröstelte trotz der Hitze, während das Kind, mit Bändern und Spitzen herausgeputzt, mit seinem wachsfarbenen, stummen Gesichtchen einen kläglichen Eindruck machte. Nana unterhielt sich, ohne sich weiter um ihre Nachbarn zu kümmern, ganz laut mit Georges und Philippe Hugon, die vor ihr auf dem Rücksitz saßen, in einer solchen Masse von Sträußen aus weißen Rosen und blauen Vergißmeinnicht, daß sie darin bis fast an die Schultern verschwanden.

»Schaut, da kommt die Familie Mignon mit ihren Söhnchen. Sind die aber aufgedonnert, die Kleinen!«

Die Familie Mignon saß in einem Landauer von dunklen Farben, der im Geschmack des reichgewordenen Bürgertums mit Luxus überladen war. Rose, in grauseidener, mit Puffen und roten Schleifen garnierter Robe, lächelte und war glücklich über ihre lustigen Söhnchen, die auf dem Vordersitz placiert waren und bis an den Hals in ihren etwas zu weiten Mänteln steckten. Als sie aber Nana bemerkte, triumphierend inmitten ihrer Blumen, mit ihrem Viergespann und ihrer livrierten Dienerschaft, verzog sie spöttisch die Lippen und drehte sich steif um. Aber Mignon winkte ihr lebhaft und heiter einen Gruß zu. Er mischte sich aus Prinzip nicht in Weiberstreitigkeiten.

»Apropos«, fuhr Nana fort, »kennen Sie vielleicht einen kleinen, alten Herrn mit schadhaften Zähnen? Ein Herr Venot ... Er hat mich heute früh besucht.«

»Herr Venot!« sagte Georges bestürzt. »Nicht möglich! Der ist ja Jesuit!«

»Richtig, das habe ich gespürt! Oh, Sie machen sich keinen Begriff von unserer Unterhaltung! Es war zu drollig! ... Er hat mit mir über den Grafen gesprochen, über dessen ungeordnetes Hauswesen, und mich dringend gebeten, eine ganze Familie nicht unglücklich zu machen. Übrigens war er sehr höflich und lächelte in einem fort. Darauf habe ich ihm zur Antwort gegeben, daß dies auch mein Wunsch sei, und mir vorgenommen, den Grafen mit seiner Frau wieder zusammenzubringen. Sie wissen, ich meine das ernst und wäre entzückt, seine ganze Familie glücklich zu sehen! Außerdem würde ich mich dadurch auch erleichtert fühlen, denn an manchen Tagen ist er mir wirklich unausstehlich!«

Diese letzten Worte kamen ihr so recht aus dem Innersten ihres leeren Herzens. Zudem schien sich der Graf in starken Geldverlegenheiten zu befinden; er war fortwährend in Sorgen, und alles hatte den drohenden Anschein, als werde der für Labordette unterzeichnete Wechsel nicht bezahlt werden.

»Da sehe ich gerade die Gräfin«, sagte Georges, dessen Blicke über die Tribüne schweiften.

»Wo denn?« rief Nana aus. »Hat dieses Kind scharfe Augen! ... Philippe, halten Sie einmal meinen Sonnenschirm!«

Aber schon war Georges mit einer raschen Bewegung seinem Bruder zuvorgekommen und freute sich unbändig, diesen blauseidenen Sonnenschirm mit silbernen Fransen halten zu dürfen. Nana zog ein riesiges Opernglas hervor.

»Ah ja, ich sehe sie«, erwiderte sie endlich. »Auf der Tribüne rechts, in der Nähe einer Säule, nicht wahr? Sie trägt eine malvenfarbene und ihre Tochter eine weiße Robe ... Da kommt auch Daguenet und begrüßt sie.«

Im Laufe der Unterhaltung kam Philippe auf die bevorstehende Heirat Daguenets mit der »Bachstelze« Estelle zu sprechen. Die Sache sei schon arrangiert, meinte er, und die Aufgebote zur Verlobung hätten schon stattgefunden. Die Gräfin habe sich anfangs geweigert, allein der Graf habe seinen Willen durchgesetzt, wie die Leute behaupteten. Nana lächelte. »Ich weiß, ich weiß», murmelte sie. »Um so besser für Paul. Das ist ein netter junger Mann, und er verdient es.«

Mittlerweile bevölkerte sich das Gelände um die Rennbahn immer mehr. In einer unübersehbaren Reihe kamen die Wagen herbei. Labordette stieg aus einer Kalesche, in der Gaga, Clarisse und Blanche de Sivry ihm einen Platz reserviert hatten. Als er mit eiligen Schritten über die Rennbahn setzen wollte, ließ ihn Nana durch Georges zu sich rufen. Als er bei ihr war, fragte sie lachend:

»Na, Labordette, wieviel bin ich wert?«

Sie wollte von »Nana« sprechen, der jungen Stute, die sich im Dianarennen schmählich hatte schlagen lassen und die sogar im April und Mai bei dem Rennen um den »Prix des Cars« und die »Grande Poule des Produits« keine Ehre eingelegt hatte, während Lusignan, das andere Pferd Vandeuvres', den Sieg errungen hatte. So war Lusignan plötzlich Favorit geworden, und am Abend vorher wettete man auf ihn glattweg zwei gegen eins.

»Immer noch fünfzig«, entgegnete Labordette.

»Der Tausend, ich stehe nicht hoch«, erwiderte Nana, die sich an diesem Scherz belustigte. »Dann wette ich allerdings nicht auf mich ... Nein, zum Geier, ich setze nicht einen einzigen Louisdor auf mich.«

Labordette schien es sehr eilig zu haben, denn er wollte schon wieder gehen; aber sie rief ihn zurück und wünschte einen guten Rat. Er unterhielt nämlich beständig Beziehungen zu den Unternehmern und Jockeis und war ein routinierter Pferdekenner. Schon zwanzigmal hatten sich seine Vorhersagen verwirklicht. Er war der »König der Tipster«, wie man ihn zu nennen pflegte.

»Hören Sie, auf welche Pferde soll ich wetten?« wiederholte sie ihre Frage. »Wieviel könnte man auf den Engländer wagen?«

»Auf Spirit? Drei ... Valerio II ebenfalls drei...«

»Nein, ich wette nicht auf den Engländer! Ich bin patriotisch ... Nun, vielleicht auf Valerio II; ich bemerke eben beim Herzog von Corbreuse eine freudestrahlende Miene ... Ach nein, fünfzig Louisdor auf Lusignan, was meinst du dazu?«

Labordette betrachtete sie mit sonderbarer Miene. Sie neigte sich vor und fragte ihn leise, denn sie wußte, daß Vandeuvres ihn beauftragte, sich in seinem Interesse an die Buchmacher zu halten, um bequem wetten zu können. Wenn er etwas erfahren habe, meinte sie, so könne er es doch sagen. Aber Labordette, ohne sich auszusprechen, bestimmte sie, sich auf ihn zu verlassen; er werde ihre fünfzig Louisdor nach seinem Ermessen setzen, und sie werde es gewiß nicht bereuen.

»Alle Pferde, die du willst!« rief sie erfreut aus. »Aber nur nicht ›Nana‹, diese Mähre!«

Ein tolles Gelächter brach im Wagen los. Die beiden jungen Männer fanden ihren Ausruf sehr drollig.

»Es ist immerhin dumm, daß man nicht einmal weiß, auf welches Pferd man wetten soll«, sagte Nana. »Ich möchte fast selbst ein paar Louisdor riskieren.«

Sie war aufgestanden, um einen Buchmacher zu wählen, der ihr vertrauenswürdig erschien. Indessen vergaß sie ihre Absicht, als sie eine ganze Schar Bekannter erblickte. Außer der Familie Mignon, außer Gaga, Clarisse und Blanche standen rechts, links, im Hintergrunde und in der Mitte der Masse Wagen, die ihren Landauer umgaben, Tatan Néné mit Marie Blond in einer Viktoriachaise, Caroline Héquet mit ihrer Mutter und zwei Herren in einer Kalesche. Louise Violaine führte höchst eigenhändig einen kleinen Korbwagen, geziert mit den Stallfarben von Méchain, Orange und Grün, Léa de Horn befand sich hoch oben auf dem Bock einer Mailcoach, wo eine Schar junger Herren einen schrecklichen Lärm vollführte. Weiter entfernt, in einer aristokratisch aussehenden Kutsche, machte Lucy Stewart in einer einfachen schwarzen Seidenrobe eine gewichtige Miene; neben ihr saß ein großer, junger Mann, der die Uniform der Marineaspiranten trug. Besonders erstaunt aber war Nana, als sie Simonne in einem von Steiner geführten Tandem ankommen sah, während auf dem Hintersitz unbeweglich und mit gekreuzten Armen ein Lakai saß. Sie war auffällig in weißen, gelbgestreiften Atlas gekleidet und vom Gürtel bis zum Kopf mit Diamanten geschmückt, während der Bankier eine lange Peitsche schwang und die beiden hintereinander eingeschirrten Pferde antrieb; das erste war ein kleiner Goldfuchs, das zweite ein brauner Stepper, der mit hocherhobenen Beinen stolz einherschritt.

»Sapperlot!« sagte Nana. »Dieser Spitzbube Steiner hat also die Börse noch einmal gerupft! ... Nicht wahr, Simonne sieht famos aus! Die hat Schick, man wird sich um sie reißen.«

Dennoch grüßte sie von weitem. Sie winkte mit der Hand, lächelte, drehte sich nach allen Seiten und vergaß niemanden, nur um von allen gesehen zu werden. Dann setzte sie ihre Unterhaltung fort:

»Ah, Lucy hat ihren Sohn bei sich! Er sieht nett aus in der Uniform ... Also deshalb machte sie eine so vornehme Miene! Sie wissen doch, daß sie sich vor ihm geniert und sich für eine Schauspielerin ausgibt.«

»Bah«, murmelte Philippe lachend, »wenn sie will, so kann sie ihm eine reiche Erbin in der Provinz verschaffen.«

»Schau doch, dieser Dummkopf Faloise!« sagte plötzlich Georges.

Das gab Anlaß zu großer Verwunderung; Nana erkannte ihren Faloise gar nicht wieder. Seitdem er geerbt hatte, war er außerordentlich nobel geworden. Mit steifen Vatermördern, gekleidet in einen zartfarbenen Stoff, der sich an seine dürren Schultern anschmiegte, und mit einer mondänen, glatten Frisur, affektierte er die betont saloppen Bewegungen eines aristokratischen Lebemannes, sprach nachlässig durch die Nase, gebrauchte noble Ausdrücke und gab sich nicht die Mühe, die von ihm angefangenen Sätze zu vollenden.

»Aber er ist doch ganz nett!« sagte Nana bezaubert.

Gaga und Clarisse hatten Faloise zu sich gewinkt und suchten ihn wieder zu kapern. Aber er verließ sie sofort wieder nach einigen halb ironischen, halb verächtlichen Phrasen. Nana hatte ihn gefesselt, er eilte herbei, trat an den Wagenschlag, und als sie ihn mit Gaga aufzog, murmelte er:

»Ah, nein, zu Ende! Alte Garde! Brauche sie nicht mehr! Und dann, wissen Sie, jetzt sind Sie meine Julia.«

Er hatte die Hand aufs Herz gelegt. Nana lachte laut über diese so schnelle Liebeserklärung am hellen Tage. Allein sie erwiderte:

»Sagen Sie einmal, ist das alles? Ich vergesse ganz, daß ich wetten will ... Georges, du siehst doch diesen Buchmacher da unten, den dicken Roten mit den krausen Haaren. Sein Hammelkopf gefällt mir ... Du kannst bei ihm wetten ... Nun, wieviel könnte man wohl bei ihm anlegen?«

»Ich bin kein Patriot, o nein!« stotterte Faloise affektiert. »Ich setzte alles auf Engländer ... Sehr nett, wenn der Engländer gewinnt! Zum Geier mit Franzosen!«

Nana war entrüstet ... Hierauf beurteilte man den Wert der einzelnen Pferde. Faloise behandelte sie alle als Schindmähren, damit es aussehen sollte, als sei er über alle Neuigkeiten unterrichtet.

Philippe ließ die Bemerkung fallen, daß immerhin Lusignan den »Prix des Cars« und die »Grande Poule des Produits« gewonnen habe. Was könne dies beweisen, versetzte der andere, gar nichts. Im Gegenteil, man müsse da erst recht Mißtrauen haben. Und übrigens reite Gresham den Lusignan, und da möge man ihn ungeschoren lassen! Gresham habe stets Pech und werde nie gewinnen.

»Und ›Nana‹?« sagte Georges. »Niemand fragt nach ihr!«

In der Tat, niemand fragte nach ihr; man sprach gar nicht davon. Der Outsider aus Vandeuvres' Stall verschwand vor der Popularität Lusignans; Faloise aber erhob den Arm und sagte:

»Ich habe einen glücklichen Gedanken: ich setze einen Louisdor auf ›Nana‹.«

»Bravo! Ich setze zwei«, sagte Georges.

»Ich drei Louisdor«, fügte Philippe hinzu.

So trieben sie sich in die Höhe, machten Nana den Hof und steigerten ihre Gebote, als ob sie auf der Auktion wären und »Nana« versteigern wollten. Faloise sprach davon, sie mit Gold zu überschütten. Übrigens mußte jedermann setzen, und sie schickten sich an, Wetten auf »Nana« zu werben. Als aber die drei Männer forteilten, um Propaganda zu machen, rief ihnen Nana nach:

»Sie wissen, ich wünsche das nicht! Um keinen Preis der Welt! Georges, zehn Louisdor auf Lusignan und fünf auf Valerio II.« Unterdessen waren sie davongeeilt. Freudig erregt blickte sie ihnen nach, wie sie sich zwischen den Wagen durchdrängten, sich unter den Köpfen der Pferde beugten und so über den ganzen weiten Platz liefen. Sobald sie einen Bekannten in einem Wagen erblickten, eilten sie hin und rühmten »Nana«. Das erste Rennen näherte sich dem Ende und war in der Erwartung des »Großen Preises« bis jetzt fast unbeobachtet vorübergegangen, als sich über der Bahn eine Regenwolke entlud. Seit einiger Zeit war die Sonne verschwunden, und eine wahre Flut ungeheurer Tropfen und Wassergüsse prasselte hernieder. Einige Augenblicke lang herrschte große Verwirrung, man hörte schreien, scherzen und fluchen, während die Fußgänger in wilder Flucht davonrannten und sich unter die Restaurationszelte retteten. In den Wagen suchten sich die Frauen dadurch zu schützen, daß sie mit beiden Händen ihre Sonnenschirme hielten, während die verblüfften Diener zu den Regenmänteln griffen. Aber schon hörte der Guß wieder auf, und die Sonne strahlte von neuem.

Der Regenschauer hatte urplötzlich die Tribünen gefüllt. Nana blickte durch ihr Opernglas; in dieser Entfernung jedoch unterschied man nur eine dichte, verworrene Masse auf der Rennfläche und einen dunklen Hintergrund, auf dem man die hellen Flecken der Gesichter sah. Einzelne Sonnenstrahlen schauten verstohlen durch die Ecken der Bedachung und beleuchteten grell mehrere Gruppen der Menge. Aber besonders ergötzte sich Nana über die Damen, die der Regenguß aus den Wagen verscheucht hatte und die nun in einer langen Reihe am Fuße der Tribüne auf dem Sandboden standen. Da das Betreten der Umfriedung des Wiegeraumes den Halbweltdamen ausdrücklich untersagt war, machte Nana abfällige Bemerkungen über alle jene ehrbaren Frauen, deren Toiletten sie geschmacklos und deren Gesichter sie lächerlich fand.

In den Wagen um sie herum sprachen die Damen spöttelnd darüber, daß der Graf Nana im Stich gelassen habe. In den Tuilerien war man aufgebracht über das schlechte Betragen des Kammerherrn, der sich auf solche Weise bloßstellte. Um nun seine Stellung nicht einzubüßen, meinte man, habe er das Verhältnis abgebrochen. Faloise hinterbrachte ganz unverhohlen die Geschichte der jungen Frau und machte ihr zugleich neue Anträge, indem er sie wieder »meine Julia« nannte. Aber mit süßem Lächeln entgegnete sie:

»Das ist dummes Zeug... Sie kennen ihn nicht! Ich brauche nur Pst! zu machen, und er läßt alles andere im Stich.«

Seit einigen Augenblicken betrachtete sie die Gräfin Sabine und Estelle. Daguenet weilte noch bei diesen Damen; dann kam Fauchery und störte alles rundherum auf, um sie zu begrüßen, worauf auch er mit heiterer Miene dablieb. Nana deutete mit einer verächtlichen Bewegung nach den Tribünen:

»Nun, Sie wissen, über diese Leute wundere ich mich nicht mehr – ich kenne sie zu gut. Man braucht sie nur richtig zu beobachten: mit dem Respekt ist es aus, keine Achtung mehr! Schmutz unten, Schmutz oben, überall Dreck und kein Ende... Deshalb wünsche ich auch nicht mehr, daß man mich mit diesem Volke langweilt.«

»Bravo, Nana! Sehr nett, Nana!« rief Faloise begeistert. Soeben wurde es noch lebhafter auf dem Platze. Man begann unter freiem Himmel zu frühstücken und wartete auf den »Großen Preis«. Nanas Landauer wurde bald besonders umlagert. Sie war aufgestanden und begann, diejenigen Herren, die sie begrüßten, mit Champagner zu traktieren. Der Diener Fran['c]ois brachte Flaschen herbei, während Faloise, der eine recht pöbelhaft klingende Stimme anzunehmen suchte, nach Art eines Marktschreiers das Publikum herbeilockte:

»Immer näher, meine Herren ... Alles umsonst... Jeder kann etwas bekommen!«

»Schweigen Sie doch, mein Lieber«, sagte endlich Nana. »Es sieht ja aus, als seien wir Jahrmarktschreier.«

»Kommen Sie näher, meine Herren, kommen Sie näher!« wiederholte Faloise. »Es kostet nicht zwei Sou, es kostet auch nicht einmal einen Sou ... Wir geben alles gratis...«

»Ah! Da kommt Bordenave, da unten! Rufen Sie ihn bitte schnell her!«

Wirklich kam Bordenave daher, die Hände auf dem Rücken, mit einem in der Sonne rötlich schimmernden Hute und einem fettglänzenden, verschossenen Überzieher; er war durch seinen Bankerott heruntergekommen, trug aber trotzdem mit innerem Grimm sein Elend unter der vornehmen Welt zur Schau, mit der Unverwüstlichkeit eines Menschen, der stets bereit ist, das Glück herauszufordern.

»Verflucht nobel!« sagte er, als ihm Nana gutmütig die Hand reichte.

Nachdem er ein Glas Champagner geleert hatte, fuhr er in schmerzlichem Tone fort:

»Ah, wenn ich ein Weib wäre! ... Aber, bei Gott, das tut nichts! Willst du wieder zur Bühne gehen? Ich habe einen Plan, ich pachte die ›Gaîté‹, und wir beide stellen ganz Paris auf den Kopf ... Nun? Das bist du mir eigentlich schuldig.«

So grollte er weiter und war dennoch glücklich darüber, sie wiederzusehen; denn diese verwünschte Nana gieße ihm Balsam ins Herz, wenn er sie bloß ansehe. Sie sei seine Tochter, ganz sein Blut.

Der Kreis der Umstehenden wurde immer größer. Jetzt schenkte Faloise ein, während Philippe und Georges Freunde herbeiriefen, und allmählich kam die ganze Zuschauermenge heran. Für jeden hatte Nana einen freundlichen Blick und ein scherzendes Wort. Die Scharen der Trinkfreudigen kamen wieder zurück, und bald drängte sich um ihren Landauer eine unübersehbare Menge mit wildem Lärm, und Nana herrschte inmitten der erhobenen Champagnerflaschen mit ihrem im Winde flatternden blonden Haar und ihrem schneeweißen, vom Sonnenlicht umfluteten Gesicht. Um nun die anderen Weiber, die ihr Triumph ohnedies schon mit Wut erfüllte, vollends rasend zu machen, erhob sie ihr volles Glas und stand auf ihrem hohen Sitz wie vor Zeiten als siegreiche Venus. Da berührte sie jemand von hinten, und als sie sich umdrehte, bemerkte sie zu ihrem Erstaunen Mignon auf dem Wagensitze. Einen Augenblick verschwand sie und setzte sich an seine Seite, denn er hatte ihr etwas Ernstes mitzuteilen. Er erzählte überall, es sei lächerlich von seiner Frau, auf Nana böse zu sein; er fand es töricht und zwecklos.

»Höre, meine Liebe«, murmelte er geheimnisvoll, »hüte dich, Rose zu sehr zu erzürnen. Du verstehst mich, ich setze dich gern beizeiten in Kenntnis ... Ja, sie besitzt eine Waffe, und da sie dir niemals die Affäre mit der ›Kleinen Herzogin‹ verzeihen wird ...«

»Eine Waffe?« sagte Nana. »Was kümmert mich das?«

»Höre nur weiter, es ist ein Brief, den sie in der Tasche Faucherys gefunden haben muß, ein Brief der Gräfin Muffat an diesen elenden Fauchery. Und, verwünscht, darin steht alles klar und deutlich ... Nun will Rose diesen Brief dem Grafen schicken, um sich an ihm und dir zu rächen.«

»Was kümmert mich das?« wiederholte Nana. »Das ist drollig ... Ah, so weit ist es mit Fauchery? Nun, um so besser! Sie hat mich gereizt. Da haben wir einmal etwas zu lachen.«

»O nein, ich will das nicht haben!« versetzte Mignon lebhaft. »Das wäre ein schöner Skandal! Übrigens kommt nichts dabei heraus ...«

Er hielt inne aus Furcht, zuviel zu sagen. Nana aber rief aus, sie werde sicherlich nicht wieder einer ehrbaren Frau aus der Verlegenheit helfen. Da er dennoch bei seinem Vorsatze beharrte, blickte sie ihn fest an.

Ohne Zweifel fürchtete er, wenn Fauchery mit der Gräfin breche, werde dieser wieder mit seiner Frau verkehren wollen. Das bezweckte Rose auch gerade mit ihrer Rache, denn sie war dem Journalisten noch immer gut. Nana wurde nachdenklich, sie dachte an den Besuch Venots, und während Mignon sie noch zu überzeugen suchte, faßte sie einen Plan.

»Nehmen wir an«, fuhr er fort, »Rose schickt den Brief ab, nicht wahr? Es gibt dann einen Skandal; du bist darin verwickelt, man sagt, daß du an allem schuld seiest ... Zuerst wird sich dann der Graf von seiner Frau trennen ...«

»Warum dies?« fragte sie. »Im Gegenteil ...« Sie unterbrach sich selbst. Es war nicht nötig, daß sie ihre Gedanken verriet.

Ein plötzlicher Lärm drang jetzt an ihr Ohr; auf der Rennbahn kamen einige Reiter in gestrecktem Galopp dahergejagt. Es galt den »Preis der Stadt Paris«, der endlich von Corbreuse gewonnen wurde. Nunmehr blieb noch der »Große Preis« übrig; die Aufregung wuchs, eine ängstliche Spannung bemächtigte sich der Menge, die den wichtigen Moment kaum erwarten konnte und unruhig hin- und herwogte. In dieser letzten Stunde noch staunten die Wettenden darüber, daß der Kurs für »Nana«, den Outsider Vandeuvres', immer mehr stieg. Was bedeutete dieser plötzliche tolle Umschwung? Die einen sprachen spöttelnd über eine nette Ausbeutung der Tröpfe, die sich an diesem Possenspiel beteiligten; andere wieder wurden ernstlich besorgt und spürten etwas Verdächtiges dahinter. Es handelte sich dabei vielleicht, meinten sie, um einen Gaunerstreich, und sie spielten auf verschiedene Spitzbubengeschichten an; aber diesmal hielt der vornehme Name Vandeuvres' sie von direkten Anschuldigungen zurück, und die Skeptiker, die voraussagten, »Nana« werde ganz sicher zuletzt ankommen, behielten schließlich die Oberhand.

»Wer reitet ›Nana‹?« fragte Faloise.

In diesem Augenblick erschien die wirkliche Nana wieder, grüßte und versetzte lachend: »Price reitet sie.«

Da begannen die Auseinandersetzungen von neuem. Price war eine in Frankreich unbekannte englische Berühmtheit. Warum hatte Vandeuvres diesen Jockei kommen lassen, da doch Gresham gewöhnlich ritt? Übrigens war man erstaunt zu sehen, daß er Lusignan diesem Gresham anvertraute, der nach Faloises Meinung doch niemals das Ziel erreichte. Aber alle diese Bemerkungen wurden übertönt von den Scherzen, Beweisen, kurz dem ganzen großen Meinungsgewirr. Um die Zeit totzuschlagen, setzte man sich wieder und leerte die Flaschen. Da ließ plötzlich ein Geflüster sich vernehmen, und die einzelnen Gruppen gingen auseinander. Vandeuvres kam, und Nana stellte sich ärgerlich.

Als sie über die Rennbahn schritten, sprach sie mit leiser Stimme:

»Sage mir doch, erkläre mir: Warum wird so stark auf deine Stute gesetzt?«

Er fuhr zusammen und entgegnete:

»Ach, Geschwätz! Wenn ich ein Lieblingspferd habe, setzen sie alle darauf, wenn aber mein Outsider gewinnt, belfern sie und schreien, als ob man sie erwürgte.«

»Das hätte man mir vorher sagen sollen, ich habe gewettet«, erwiderte sie. »Hat sie Chancen?«

Ein plötzlicher Zorn riß ihn hin, und er rief:

»Ach, laß mich ungeschoren ... Alle Pferde haben Chancen. Potz Wetter, der Kurs steigt nur, weil man darauf gesetzt hat. Wer, weiß ich nicht ... Ich will dich lieber stehen lassen, wenn du mich mit deinen dummen Fragen quälen willst.«

Dieser Ton entsprach weder seinem Charakter noch seinen Gewohnheiten. Sie war mehr erstaunt als verletzt. Übrigens war er jetzt eigentümlich verschämt geworden, und als sie ihn in trockenem Tone bat, doch höflich zu sein, entschuldigte er sich. Schon seit einiger Zeit gewahrte man an ihm einen plötzlichen Stimmungswechsel. In ganz Paris war es bekannt, daß er an diesem Tage seinen letzten Trumpf ausspielte. Wenn seine Pferde nicht gewannen, wenn sie nicht noch einmal die auf sie gewetteten beträchtlichen Summen einbrachten, so war es für ihn eine Katastrophe, es war sein Ruin; das Trugbild seines Kredits, der vornehme Schein, die seine durch Verschwendung und Schulden untergrabene Existenz noch hielten, stürzten dann krachend zusammen. Und Nana, das wußte jedermann, hatte auch diesem den letzten Stoß versetzt, sie war als letzte in sein bereits schwankendes Vermögen geraten und hatte vollends das Feld gesäubert. Man erzählte von ihren tollen Launen, wie sie das Geld gleichsam zum Fenster hinausgeworfen habe, von einer Spielpartie in Baden-Baden, wo ihm nicht so viel geblieben sei, um die Hotelkosten zu bezahlen, davon, daß sie einst eine Handvoll Diamanten ins Feuer geworfen habe, um zu sehen, ob diese wie Kohlen brennen. Noch vor acht Tagen hatte sie sich von ihm ein Schloß an der Küste der Normandie, zwischen Le Havre und Trouville, versprechen lassen, und er setzte seine Ehre aufs Spiel, um Wort zu halten. Sie reizte ihn nun, und er hätte sie schlagen mögen, so sehr fühlte er ihre Stupidität.

Der Torwächter hatte sie in die Umfriedung des Wiegeraumes eingelassen, da er dieses Weib am Arme des Grafen nicht anzuhalten wagte. Nana, aufgeblasen dadurch, daß sie den Fuß auf dieses verbotene Terrain setzen durfte, schaute sich stolz um und ging langsam an den am Fuße der Tribüne sitzenden Damen vorüber. Daguenet und Fauchery grüßten sie im Vorbeigehen; sie gab ihnen einen Wink, und sie mußten zu ihr kommen.

»Schauen Sie, wie der Marquis de Chouard altert! Dieser Greis wird sich wohl auch noch zugrunde richten! Ist er denn immer noch so verliebt?«

Da erzählte Daugenet den jüngsten Streich des Alten, eine Geschichte, die am vorvergangenen Abend passiert war, von der aber noch niemand etwas wußte. Nach monatelangem Herumdrücken hatte er Gaga vorgestern – so erzählte man sich – ihre Tochter Lili um dreißigtausend Franken abgekauft.

»Nun, das ist ja recht nett!« rief Nana erregt. «... aber ich überlege eben: Dann muß das also Lili sein, da unten auf dem Grasplatz in einem Coupé mit einer Dame. Auch kam mir das Gesicht bekannt vor... Der Alte wird sie ausgeführt haben.« Vandeuvres, voll Ungeduld, hörte gar nicht zu und hegte nur den einen Wunsch, sie loszuwerden. Da aber Fauchery im Weggehen gesagt hatte, die Buchmacher müsse sie sich unbedingt ansehen, so sah sich der Graf trotz seinem sichtlichen Widerwillen genötigt, sie hinzuführen.

Zwischen den von jungen Kastanien umsäumten Grasflächen öffnete sich ein runder Platz, und hier wartete, in einem weiten Kreise unter dem Schutze des zartgrünen Laubdachs, eine dichtgeschlossene Reihe von Buchmachern auf die Wetten, wie bei einer Messe. Um über die Menge hinwegblicken zu können, hatten sie sich auf Holzbänke gestellt; ihre Kurszettel hefteten sie neben sich an die Bäume, während sie beständig Wetten einschrieben, wobei ihrem Späherblick eine einzige Handbewegung oder ein Augenblinzeln genügte, so daß uneingeweihte neugierige Gaffer den Mund aufsperrten und von alledem nichts begriffen.

Endlich verließen sie den Platz, als Vandeuvres einem Buchmacher flüchtig zunickte, der sich dann erlaubte, ihn zu rufen. Es war dies einer seiner früheren Kutscher, von ungeheurem Körperbau, mit wahren Elefantenschultern und rotem Gesicht. Jetzt, wo er mit einem Vermögen verdächtigen Ursprungs sein Glück bei den Wettrennen versuchte, begann der Graf ihn zu protegieren, indem er ihn mit seinen geheimen Wetten beauftragte; trotzdem behandelte er ihn immer noch wie einen Diener, vor dem man sich nicht zu genieren braucht. Trotz dieser Protektion hatte der Mann Schlag auf Schlag sehr beträchtliche Summen verloren, und auch er mit seinen dicken, blutunterlaufenen Augen spielte heute seine letzten Trümpfe aus.

»Nun, Maréchal«, fragte Vandeuvres ganz leise, »wieviel haben Sie gewettet?«

»Fünftausend Louisdor, Herr Graf«, antwortete der Buchmacher gleichfalls mit gedämpfter Stimme. »Nicht wahr, das ist hübsch... Ich will Ihnen nur gestehen, daß ich den Kurs herabgedrückt habe, ich habe ihn bis auf drei gebracht.«

»Nein, nein, ich wünsche das nicht, bringen Sie ihn sofort wieder auf zwei... Ich werde Ihnen nichts mehr sagen, Maréchal.«

»Oh, was kann das jetzt dem Herrn Grafen für Schaden bringen?« entgegnete der andere mit dem Lächeln eines vertrauten Spießgesellen. »Ich mußte doch die Leute anlocken, daß sie ihre zweitausend Louisdor wagten.«

Jetzt gebot ihm Vandeuvres Schweigen. Als er aber fortging, bedauerte Maréchal, ihn nicht über die merkwürdig hohen Sätze auf seine Stute befragt zu haben. Es wäre eine schöne Geschichte, wenn die Stute Chancen hätte, wo er sie soeben für zweihundert Louisdor gegen fünfzig verkauft hatte.

Nana, die von den leise gesprochenen Worten des Grafen nichts verstand, wagte dennoch nicht, neue Aufklärungen zu fordern. Seine Aufregung hatte sich noch gesteigert, und er empfahl sie barsch an Labordette, als sie diesen vor dem Wiegeraum trafen.

»Bitte, Labordette, führen Sie Nana zurück!« sagte er. »Ich habe zu tun... Auf Wiedersehen.« Eben schloß man die Rennbahn, und Labordette eilte mit Nana nach dem Ausgang, aber sehr bald mäßigte er wieder seinen Schritt, um ihr einen kleinen Herrn zu zeigen, der in einiger Entfernung mit Vandeuvres sprach.

»Schau, da ist Price«, sagte er.

»Ach ja, der Mann, der mich reitet«, murmelte sie lachend. Sie fand ihn außerordentlich häßlich. Alle Jockeis waren ihr krüppelhaft erschienen; ohne Zweifel, meinte sie, weil man ihr Wachstum behindere. Price, ein Mann von vierzig Jahren, sah aus wie ein vertrocknetes Kind, mit langem, dürrem Gesicht, voller Falten, starr, wie tot. Sein Körper war so knorrig und verkümmert, daß die blaue Reitjacke mit den weißen Ärmeln auf einem Stück Holz zu hängen schien. 275

Am Arm Labordettes schritt sie über die Rennbahn hinweg, während die am Mast der roten Flagge aufgehängte Glocke ununterbrochen läutete, daß man die Bahn freimachen solle.

Um sie herum klatschte man Beifall und rief: »Bravo, Nana! ... Nana ist wieder da!«

Wie dumm sie doch waren, dachte sie, sie für eine feige Ausreißerin zu halten. Sie kam gerade im rechten Augenblick zurück. Achtung, jetzt begann das Rennen. Der Champagner wurde vergessen, und man hörte auf zu trinken.

Nana war sehr verwundert, daß sie Gaga mit Bijou und Louis auf dem Schoß in ihrem Wagen fand. Gaga hatte sich hierzu entschlossen, um wieder in Faloises Nähe zu sein, gab aber vor, sie habe nur das Kind ein wenig herzen wollen, da sie Kinder so sehr liebe.

»Apropos, und Lili?« fragte Nana. »Das ist sie wohl da unten, in dem Coupé mit jenem Alten? ... Man hat mir soeben eine recht nette Geschichte erzählt.«

Gaga verzog ihr Gesicht zu einer trostlosen Fratze.

»Meine Liebe, ich bin darüber ganz unglücklich«, sagte sie in schmerzlichem Ton. »Gestern mußte ich das Bett hüten, so sehr habe ich geweint, und heute glaubte ich gar nicht kommen zu können... Nicht wahr, du weißt, was meine Absicht war? Ich wollte nicht und hatte sie in einem Kloster erziehen lassen, um sie einmal anständig zu verheiraten. An ernsten Ratschlägen und einer beständigen Überwachung hat es nicht gefehlt ... Nun wohl, meine Liebe, sie hat es selbst gewollt. Oh, das gab eine Szene, Tränen flossen, und an Grobheiten mangelte es auch nicht, ich habe ihr sogar eine Ohrfeige verabreicht. Sie langweilte sich zu sehr und wollte Abwechslung ... Als sie dann anfing zu sagen: ›Du hast am allerwenigsten ein Recht, mich daran zu hindern‹, entgegnete ich ihr: ›Du bist ein elendes Mädchen, du entehrst uns, geh' nur!‹ Und so kam es, daß ich endlich einwilligte, die Sache zu arrangieren... So ist nun auch meine letzte Hoffnung futsch, ach, und ich hatte mir alles so schön ausgedacht!«

In der Nähe entstand jetzt ein Streit, und sie erhoben sich. Es war Georges, der Vandeuvres gegen die dunklen Gerüchte in Schutz nahm, die in den einzelnen Gruppen auftauchten.

»Warum behauptet man, daß er sein Pferd im Stich läßt?« rief der junge Mann. »Gestern hatte er im Klub für Lusignan eintausend Louisdor aufgenommen.«

»Jawohl, ich war dabei«, bestätigte Philippe. »Und nicht einen einzigen Louisdor hatte er auf ,Nana' gesetzt... Wenn ,Nana' auf zehn steht, so ist es schade um das Geld. Es ist lächerlich, den Leuten alles so haarklein vorzurechnen. Welches Interesse soll er dabei haben?«

Labordette hörte ruhig zu, dann zuckte er die Achseln und sagte:

»Lassen Sie doch die Leute reden... Der Graf hat soeben noch wenigstens fünfhundert Louisdor auf Lusignan gewettet, und wenn er auf ,Nana' auch etwa hundert Louisdor gesetzt hat, so ist dies nur deshalb geschehen, weil ein Besitzer immer so tun muß, als traue er seinen Pferden.«

»Pst, was kümmert uns das!« rief Faloise. »Spirit wird gewinnen... Frankreich schlagen! Bravo England!«

Die Menge war aufs höchste bewegt, während ein neues Glockenzeichen die Ankunft der Pferde in der Rennbahn ankündigte. Da stieg Nana, um mehr sehen zu können, auf einen Sitz ihres Landauers.

Eine gelb-rot gestreifte Flagge flatterte in der Luft an der Spitze des Mastes. Die Pferde kamen eines nach dem andern herbei, von Stallburschen geführt. Ein allgemeines Gemurmel empfing Spirit, einen großen, stolzen Braunen, dessen grelle Farben, Zitronengelb und Schwarz, einen echt englischen, melancholischen Eindruck machten. Auch Valerio II ward mit Applaus begrüßt; er war klein und lebhaft und trug als Abzeichen Mattgrün mit Rosa. Die beiden Pferde Vandeuvres' ließen noch auf sich warten. Endlich erschienen hinter Frangipane die Farben Blau und Weiß. Aber beinahe hätte man Lusignan, einen dunklen Braunen von tadelloser Form, über dem Erstaunen vergessen, das »Nana« hervorrief. So hatte man sie noch nicht gesehen; das Sonnenlicht spielte mit ihrer breiten Brust, ihrem frei und stolz getragenen Kopf und Hals, mit ihrem feingeschweiften, langen Rücken.

»Schau, sie hat ganz mein Haar!« rief Nana entzückt. »Hört, ihr wißt, daß ich stolz darauf bin!«

Man kletterte auf den Landauer, und Bordenave hätte beinahe den kleinen Louis getreten, den Nana vergessen hatte. Mit freundlichem Brummen hob er ihn auf seine Schulter und murmelte:

»Der arme Junge will auch etwas sehen... Warte, ich will dir deine Mama zeigen... Sieh einmal da unten das Hottepferd!«

Und als Bijou ihm an den Beinen herumkratzte, nahm er auch diesen herauf, während Nana, glücklich über die Stute, die ihren Namen trug, einen Blick nach den anderen Weibern warf, um ihre Mienen zu betrachten. Alle waren wütend. In diesem Augenblick winkte die Tricon, die bis dahin regungslos auf ihrem Wagen gesessen hatte, über die Menge hinweg einen Buchmacher zu sich und sprach mit ihm. Sie setzte auf »Nana«.

Faloise machte indessen einen unerträglichen Lärm. Er begeisterte sich für Frangipane.

»Ich habe eine geniale Eingebung«, wiederholte er. »Sehen Sie nur Frangipane! Ha, welche Spannkraft... Ich setze acht auf Frangipane. Wer will mein Partner sein?«

»Verhalten Sie sich doch ruhig«, sagte schließlich Labordette.

»Sie werden es bereuen.«

Die Pferde waren auf die rechte Seite gelenkt worden und machten jetzt den Probegalopp, indem sie ohne Ordnung an den Tribünen vorbeisausten. Es entstand eine leidenschaftliche Aufregung, und alles sprach durcheinander.

Der erste Anlauf war nicht gut, denn der Starter, den man in der Ferne wie einen dünnen, schwarzen Strich bemerkte, hatte seine rote Fahne nicht gesenkt. So kehrten die Pferde wieder zurück und machten noch zwei Anläufe. Endlich ließ der Starter die Pferde sich ordnen, und plötzlich schossen sie alle gleichzeitig davon, so daß ein allgemeiner bewundernder Aufschrei die Folge war.

»Herrlich!... Nein, es ist nur Zufall!... Tut nichts, es ist soweit!«

Das laute Rufen wurde durch die bange Erwartung erstickt, die jedes Herz zusammenschnürte. Die Wetten wurden eingestellt, atemloses Schweigen herrschte. Bleiche, nervös zitternde Gesichter reckten sich in die Höhe. Anfangs waren Hasard und Cosinus voraus, gleich nach ihnen kamen Valerio II und die anderen Pferde in einem wirren Haufen. Frangipane war der letzte, »Nana« folgte etwas hinter Lusignan und Spirit. »Verflucht!« murmelte Labordette. »Der Engländer macht sich!«

»Bei Gott, der Engländer hat gewonnen, daran ist nicht mehr zu zweifeln«, sagte Bordenave. »Lusignan ist ermüdet, und Valerio II kann sich nicht mehr halten.«

»Na, das wäre nett, wenn der Engländer gewinnen würde«, rief Philippe aus, den plötzlich ein patriotischer Schmerz überkam.

Ein Angstgefühl begann jetzt die ganze Menschenmenge zu befallen. Noch eine Niederlage? Und man flehte beinahe inbrünstig für Lusignans Sieg, während man Spirit und seinen Jockei mit den Leichenträgerfarben verwünschte. In wildem Galopp jagten die Reiter über den Grasplatz. Nana wandte sich um und sah zu ihren Füßen diesen Wirrwarr von Tieren und Menschen, dieses unruhige Meer von Köpfen, das um die Rennbahn herum gleichsam durch den Wirbelwind des Wettlaufes aufgewühlt wurde. Am Horizont strahlten die lebhaften Farben der Jockeis.

»Nur ruhig!« rief Georges, immer noch hoffnungsvoll. »Es ist noch nicht zu Ende... Der Engländer ist eingeholt.«

Nach und nach erschienen die Pferde wieder hinter der Baumgruppe. Eine allgemeine Bestürzung machte sich geltend, und ein langes Murmeln durchlief die Menge. Valerio II hielt noch immer die Spitze; aber Spirit überholte ihn, und hinter diesem war Lusignan zurückgeblieben, während ein anderes Pferd seine Stelle einnahm. Auf den ersten Blick konnte man nicht sehen, welches Pferd es war, weil man die Reiter verwechselte. Plötzlich ertönten Rufe: »›Nana‹ ist es!... Vorwärts, ›Nana‹!... Ich sage Ihnen, Lusignan ist nicht von der Stelle gekommen... Ah, jawohl, es ist ›Nana‹. Man erkennt sie sofort an ihrer goldigen Farbe... Sehen Sie jetzt, sie zeigt gewaltiges Feuer... Bravo, ›Nana‹!... Bah, es nützt nichts, sie macht es wie Lusignan.«

Einige Sekunden lang war dies die Meinung aller. Aber langsam gewann die Stute immer mehr an Boden, was ungeheure Aufregung hervorrief. Die in der Reihe zuletzt kommenden Pferde interessierten niemanden mehr. Ein letzter entscheidender Wettstreit entstand zwischen Spirit, »Nana«, Lusignan und Valerio II. Mit unablässiger Spannung besprach man ihr Vorrücken oder ihr Zurückbleiben in kurz hervorgestoßenen Sätzen. Nana war soeben auf ihren Kutschbock gestiegen, sie erbleichte, ein Zittern durchlief ihre Glieder, sie war so mitgerissen, daß sie kein Wort über die Lippen brachte. Labordette, der neben ihr stand, hatte wieder seine lächelnde Miene angenommen.

»Nun, dem Engländer wird es schwer«, rief Philippe jubelnd aus. »Er läuft gar nicht mehr gut.«

»Auf alle Fälle ist es mit Lusignan nichts mehr«, bemerkte Faloise trocken. »Valerio II kommt jetzt vor... Sehen Sie, alle vier sind jetzt durcheinander in einem Knäuel.«

Ähnliche Bemerkungen machten alle übrigen. Jetzt verschwand der Pferdeknäuel in einer Staubwolke. Man merkte sein Näherkommen nur an einem fernen Schnauben, das von Minute zu Minute deutlicher wurde. »Nana« gewann immer mehr Vorsprung; jetzt war Valerio II ausgestochen, und sie hielt sich auf zwei bis drei Halslängen mit Spirit an der Spitze. »Vorwärts, Lusignan, feige, elende Schindmähre!... Sehr gut, der Engländer! Immer weiter so, alter Bursche! Und dieser Valerio, es ist abscheulich!... Ah, dieses Vieh! Futsch sind meine zehn Louisdor!... Nur ,Nana' hält sich wacker! Bravo, ,Nana'! Bravo, du kleiner Schäker!«

Nana begann auf ihrem Kutschbock sich zu wiegen und zu winden, als ob sie selbst mitrennen wollte. Sie zuckte vor und zurück und schien gleichsam der Stute behilflich zu sein. Bei jeder dieser zuckenden Bewegungen seufzte sie ermattet und stammelte mit dumpfer Stimme: »Lauf doch... vorwärts... so mach schon...«

Jetzt bot sich ein prächtiges Schauspiel. Price hatte sich in den Steigbügeln aufgerichtet, die Reitpeitsche erhoben und hieb mit eiserner Faust auf »Nana« ein. Dieser alte, vertrocknete Junge, diese lange steife und knöcherne Gestalt sprühte Flammen. Und in einem Augenblick feuriger Verwegenheit, in einem Augenblick triumphierenden Willens ward er wieder zärtlich mit »Nana«, er unterstützte, er trug sie gleichsam, sie, die schaumbedeckt und mit blutunterlaufenen Augen dahinjagte. So zog die ganze Reihe mit Donnergetöse vorbei, den Atem erstickend und die Luft vor sich her peitschend – während der Preisrichter, mit kalter Miene und den Blick fest auf den Startpunkt gerichtet, das Resultat erwartete.

Donnernder Beifall erscholl. Mit einer letzten, übermenschlichen Anstrengung hatte Price »Nana« durchs Ziel gebracht und Spirit um eine Kopflänge geschlagen.

»Nana! Nana! Nana!« tobte es jetzt wie donnernder Wogenprall. Dieser Ruf pflanzte sich fort, wuchs mit Sturmesgewalt. »Es lebe ,Nana'! Es lebe Frankreich! Nieder mit England!«

Die Damen schwenkten ihre Sonnenschirme; mehrere Herren sprangen wie rasend umher, drehten sich im Kreise und schrien, andere wieder warfen mit erregtem Lachen ihre Hüte hoch. Und von der anderen Seite der Rennbahn tönte dasselbe Dröhnen herüber, auch auf den Tribünen wurde es lebendig, ohne daß man etwas anderes deutlich sah als ein Zittern der Luft, als walle eine unsichtbare Flamme über jenem Gewirr winziger Gestalten, von denen man nur die verschränkten Arme, die Augen und den Mund als dunkle Punkte unterschied. Der Donnerhall der Rufe wollte nicht aufhören, er schwoll an und ertönte wider in den fernen Alleen, unter deren Schatten das Volk lagerte, er dehnte sich bis zur kaiserlichen Tribüne aus, wo selbst der Kaiser Beifall gespendet hatte. »Nana! Nana! Nana!«

Da glaubte Nana, hoch oben auf dem Landauer, der Beifall gelte ihr. Einen Augenblick lang war sie, bestürzt über ihren Triumph, unbeweglich stehen geblieben und starrte nach der Rennbahn, die jetzt von einem so dichten Menschengetümmel bedeckt war, daß man vor schwarzen Hüten fast das Gras nicht mehr erkennen konnte. Als sich dann dieses Gewimmel zu einer Doppelreihe bis an den Ausgang rangiert hatte und von neuem die mit Price davonsprengende »Nana« begrüßte – der Jockei, auf ihren Hals niedergebeugt, mit glanzlosen, müden Augen im Sattel –, vergaß sie alles, klatschte in die Hände und gab ihrem Triumphgefühl in hemmungslosen Worten Ausdruck.

»Ah, bei Gott, das gilt mir... Ah, bei Gott, welches Glück!« Sie wußte nicht, wie sie die Freude ausdrücken sollte, die ihr ganzes Wesen erfüllte; sie umarmte und küßte Louis, den sie eben hoch auf Bordenaves Schulter erblickt hatte.

Nana hörte noch immer ihren Namen, von dem die ganze Ebene widerhallte. Es war ihr Volk, das ihr Beifall jauchzte, während sie im Sonnenglanz mit ihrem Sternenhaar und ihrer blau und weißen Robe, der Farbe des Himmels, dominierte. Labordette war hinweggeeilt und hatte ihr soeben einen Gewinn von zweitausend Louisdor angekündigt, da er ihre fünfzig Louisdor gegen vierzig auf »Nana« gesetzt hatte. Die anderen Weiber verloren sämtlich. Rose Mignon hatte wütend ihren Sonnenschirm zerbrochen; Caroline Héquet, Clarisse, Simonne und selbst Lucy Stewart stießen halb unterdrückte Verwünschungen aus, sie spien Gift und Galle über das Glück dieser »dicken Dirne«, während die Tricon, die sich erst kurz vor Beginn des Rennens entschlossen hatte, auf ihrem Wagen, selbstgefällig und entzückt über ihren Spürsinn, ihre lange, dürre Taille über alle emporrichtete und als erfahrene Matrone die Siegerin »Nana« rühmte.

Unterdessen drängten sich immer mehr Herren um den Landauer herum, und wildes Jauchzen ertönte. Georges schrie sich fast die Kehle heiser, und da es an Champagner fehlte, war Philippe soeben mit den Dienern nach den Restaurationszelten geeilt. Nanas Triumph lockte jetzt noch diejenigen herbei, die vorher gezögert hatten; ihr Wagen war zum Zentrum der staunenden Menge geworden, und die Bewegung gipfelte in ihrer Apotheose: die Königin Venus im Freudentaumel ihrer Sklaven. Bordenave murmelte hinter ihr väterlich-zärtliche Flüche. Sogar Steiner war wiedererobert; er hatte Simonne verlassen und schwang sich auf einen der Wagentritte. Als endlich der Champagner angelangt war und sie ihr volles Glas erhob, brach ein orkanartiger Beifallssturm los, und man jauchzte laut: »Nana! Nana! Nana!«, so daß die erstaunte Menge sich nach der Stute umschaute und nicht wußte, ob jenes Tier oder dieses Weib die Gemüter mit Jubel erfüllte.

Auch Mignon eilte herbei, trotz der wütenden Blicke Roses. Diese verwünschte Dirne raubte ihm alle Fassung, und er wollte sie umarmen. Nachdem er ihr die Wangen geküßt hatte, sagte er in väterlichem Ton: »Vor allem ist es mir unangenehm, daß Rose jetzt sicherlich den Brief abschicken wird... Sie schäumt vor Wut.«

»Um so besser, das verschafft mir wenigstens Ruhe!« antwortete Nana sorglos. Als sie aber seine Bestürzung bemerkte, fuhr sie hastig fort: »Ach nein, was sage ich denn?... In der Tat, ich weiß nicht, was ich sage!... Ich bin betrunken.«

Und trunken, ja, in der Tat, trunken vor Freude, trunken vom Sonnenschein, hielt sie noch immer ihr Glas erhoben und spendete sich selbst Beifall.

»Auf Nanas Wohl! Auf Nanas Wohl!« rief sie mitten in den wachsenden Lärm, das Gelächter und die Bravorufe hinein, die sich nach und nach der ganzen Rennbahn bemächtigt hatten.

Das Rennen ging zu Ende, es handelte sich nur noch um den »Prix Vaublanc«, und viele Wagen fuhren einer nach dem anderen weg. Unterdessen tauchte der Name Vandeuvres unter unliebsamen Erörterungen wieder auf. Jetzt war es klar: Vandeuvres hatte seit zwei Jahren diesen Meisterstreich geplant, indem er Gresham beauftragt hatte, »Nana« zurückzuhalten; Lusignan hatte er nur deshalb vorgeführt, um mit der Stute ein sicheres Spiel zu haben. Diejenigen, die verloren hatten, ärgerten sich, während die Gewinner die Achseln zuckten. War das denn nicht erlaubt, wenn man alles reiflich erwog? Er war doch der Herr über seinen Marstall und konnte seine Pferde ausnutzen, wie es ihm gutdünkte. Man hatte ja noch ganz andere Sachen erlebt! Die meisten hielten es für klug von Vandeuvres, daß er durch seine Freunde alles hatte zusammennehmen lassen, was nur auf »Nana« zu setzen war, und dadurch erklärte sich auch die plötzliche Kurssteigerung; man sprach von zwei Millionen Louisdor, eine Summe, deren Größe Respekt verschaffte und alles entschuldigte.

Aber man flüsterte sich auch noch andere Gerüchte sehr ernster Art zu. Einige Herren erzählten die Sache genauer; es wurden Stimmen laut, und man sprach nunmehr ganz offen von einem abscheulichen Skandal. Mit dem armen Vandeuvres war es aus, er hatte sein Spiel durch einen gemeinen Betrug verdorben, durch einen raffinierten Diebstahl, indem er Maréchal, einen verdächtigen Buchmacher, beauftragte, auf seine Rechnung zweitausend Louisdor gegen Lusignan zu setzen, nur um die Kleinigkeit von einigen tausend Louisdor, die er offen gewettet hatte, wiederzubekommen; und dies gab ihm den Todesstoß mitten in seinem stürzenden Glück.

Der Buchmacher, dadurch vorher in Kenntnis gesetzt, daß das Lieblingspferd nicht gewinnen werde, hatte an die sechzigtausend Franken auf dieses Pferd zusammengebracht. Labordette hatte jedoch infolge ungenauer Instruktionen bei ihm zweihundert Louisdor auf »Nana« gesetzt, was der andere, unbekannt mit dem geplanten Streiche, ebenfalls zu fünfzig notierte. Infolge seiner Verluste war Maréchal, der den Boden unter seinen Füßen weichen fühlte, als er Labordette mit dem Grafen nach dem Rennen vor dem Wiegeraum sprechen sah, plötzlich ein Licht aufgegangen, und wütend darüber, betrogen zu sein, hatte er soeben ganz öffentlich eine abscheuliche Szene hervorgerufen, indem er mit unverschämten Worten die Geschichte erzählte und somit das Publikum zu bitterer Kritik reizte. Man behauptete sogar, daß ein Ehrengericht über den Fall beschließen werde.

Nana, die Philippe und Georges ganz leise davon in Kenntnis setzten, erging sich in Betrachtungen, ohne sich indessen sonst in ihrem Lachen und Trinken stören zu lassen. Es sei dies wohl möglich, meinte sie; sie erinnere sich gewisser Umstände, auch sei jener Maréchal ein rüder Bursche.

Indessen zweifelte sie noch, als Labordette erschien. Er war sehr bleich.

»Nun, wie steht es?« fragte sie ihn halblaut.

»Futsch!« antwortete er einfach.

Er zuckte mit den Achseln und fügte hinzu, dieser Vandeuvres sei doch ein rechtes Kind! Sie machte eine Geste, als ob sie sich ärgerte...

Erst am Dienstag erholte sich Nana teilweise von den Aufregungen ihres Sieges. Am Morgen unterhielt sie sich mit Madame Lerat, die ihr Nachricht über Louis brachte, denn dieser war durch den Aufenthalt im Freien krank geworden. Besonders regte sie eine Geschichte auf, die man sich in ganz Paris erzählte. Vandeuvres, der von den weiteren Wettrennen ausgeschlossen und noch am selben Abend aus dem Kaiserklub ausgewiesen worden war, hatte sich am nächsten Tage in seinem eigenen Stall mit seinen Pferden dem Flammentod überliefert.

»Er hatte es mir vorhergesagt«, sagte das junge Weib zu wiederholten Malen. »Ein wahrer Tollkopf, dieser Mann!... Ich bekam höllische Angst, als man es mir gestern abend erzählte; er hätte mich ebensogut einmal in der Nacht umbringen können... Und dann, mußte er mich nicht anstandshalber über sein Pferd vorher in Kenntnis setzen? Ich hätte dann wenigstens mein Glück gemacht!... Zu Labordette hatte er gesagt, ich würde, wenn ich die Sache erführe, sofort meinen Friseur und eine Menge anderer Herren ins Geheimnis ziehen. Und das nennt der Mensch Höflichkeit!... Nein, ich kann ihn wirklich nicht sehr bedauern.«

Nach diesen Reflexionen hatte sie eine plötzliche Wut ergriffen, als gerade Labordette eintrat; er hatte ihre Wetten geregelt und brachte ihr gegen vierzigtausend Franken. Dadurch wurde ihre schlechte Laune nur vergrößert, denn sie hätte ja eigentlich eine Million gewinnen müssen. Labordette spielte bei diesem Abenteuer den Unschuldigen und ließ Vandeuvres schmählich im Stich. Diese alten Adelsfamilien, meinte er, seien degeneriert und es nehme mit ihnen noch ein böses Ende auf banale Weise.

»O nein«, sagte Nana, »es ist gar nicht banal, sich auf diese Weise in einem Stall zu verbrennen. Ich finde, daß er mit Furore abgetreten ist. Oh, du weißt, seine Geschichte mit Maréchal verteidige ich durchaus nicht; das war kein Meisterstreich. Aber wenn ich bedenke, daß Blanche die Frechheit besessen hat, es mir zur Last zu legen! Ich habe einfach geantwortet: ,Habe ich ihm denn gesagt, daß er stehlen soll?' Nicht wahr, man kann doch Geld von einem Herrn verlangen, ohne ihn zum Verbrechen zu treiben... Wenn er mir gesagt hätte: ,Ich habe nichts mehr', so hätte ich ihm entgegnet: ,Gut, dann sind wir geschiedene Leute.' Und zu weiterem wäre es dann nicht gekommen.«

»Ohne Zweifel«, versetzte die Tante ernst. »Wenn die Herren auf ihrem Trotzkopf bestehen, müssen sie es auch ausbaden.«

»Aber was das kleine Schlußfeuerwerk anbetrifft, oh, so ist das eigentlich sehr brillant!« fuhr Nana fort. »Es muß aber doch schrecklich gewesen sein, daß einen eine Gänsehaut überläuft. Er soll jedermann entfernt und sich dann eingeschlossen haben... Noch dazu mit Petroleum... Und es soll gebrannt haben: lichterloh! Denken Sie doch, ein großes Gebäude, mit Stroh und Heu gefüllt! Die Flammen sind turmhoch in die Luft gestiegen... Am schönsten sollen sich die Pferde benommen haben, die durchaus nicht haben braten wollen. Man hat sie wiehern und gegen die Tür springen hören... Ja, dabei ist manchem ein Schreck in die Glieder gefahren, als er davon hörte.«

Labordette trällerte unterdessen ein Liedchen vor sich hin. Er glaubte nicht an den Tod Vandeuvres'. Er meinte, es sei ihm von einer Person beteuert worden, daß diese gesehen habe, wie er durch ein Fenster entflohen sei. Er habe seinen Stall nur in einem Anfall von Wahnsinn angezündet und sei erst dann wieder zur Besinnung gekommen, als es ihm allmählich zu heiß auf dem Pelz gebrannt habe. Ein Mann, der so in Weiber vernarrt und so ausgemergelt sei, könne nicht auf solch eine kühne Weise sterben.

Nana hörte ihm zu; ihre Augen weiteten sich. Sie fand indes keine anderen Worte als:

»Ach, der Unglückliche! Es wäre doch ein schöner Tod gewesen!«


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