Heinrich Wölfflin
Die klassische Kunst
Heinrich Wölfflin

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Vorwort zur ersten Auflage

Das Interesse des modernen Publikums, soweit es überhaupt mit bildender Kunst Fühlung nimmt, scheint sich heutzutage wieder mehr den eigentlich künstlerischen Fragen zuwenden zu wollen. Man verlangt von einem kunstgeschichtlichen Buche nicht mehr bloss die biographische Anekdote oder die Schilderung der Zeitumstände, sondern möchte etwas erfahren von dem, was Wert und Wesen des Kunstwerks ausmacht; man greift begierig nach neuen Begriffen, denn die alten Worte wollen den Dienst nicht mehr thun, und die gänzlich beiseite geschobene Ästhetik fängt wieder an, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein Buch wie Adolf Hildebrands »Problem der Form« ist wie ein erfrischender Regen auf dürres Erdreich gefallen. Endlich einmal neue Handhaben, der Kunst beizukommen, eine Betrachtung, die nicht nur in der Breite neuen Materials sich ausdehnt, sondern ein Stück weit in die Tiefe führt.

Der Künstler, der diese jetzt viel citierte Schrift verfasste, hat unsern kunstgeschichtlichen Bemühungen ein stachliges Kränzlein darin gewunden. Die historische Betrachtungsweise, sagt er, hat dazu geführt, mehr und mehr die Unterschiede und den Wechsel der Kunstäusserungen in den Vordergrund zu bringen; sie behandelt die Kunst als Ausfluss der verschiedenen Individuen als Persönlichkeiten, oder als Erzeugnis der verschiedenen Zeitumstände und nationalen Eigentümlichkeiten. Daraus erwächst die falsche Auffassung, als handle es sich bei der Kunst vor allem um die Beziehung zum Persönlichen und zu den nicht künstlerischen Seiten des Menschen, und jedes Wertmass für die Kunst an sich geht verloren. Die Nebenbeziehungen werden zur Hauptsache VIII und der künstlerische Inhalt, der unbekümmert um allen Zeitwechsel seinen inneren Gesetzen folgt, wird ignoriert.

Es kommt mir das vor, fährt Hildebrand fort, wie wenn ein Gärtner Pflanzen unter verschieden geformten Glasglocken wachsen lässt und damit den Sträuchlein lauter verschiedene Formen zu geben weiss, und man nachher sich nur mit diesen verschiedenen Formen abgeben wollte und über all den Verschiedenheiten ganz vergässe, dass es die Pflanzen sind mit ihrem innern Lebenstrieb und ihren eigenen Naturgesetzen, um die es sich handelt.

Diese Kritik ist einseitig und hart, aber vielleicht recht nützlich.Die eigentliche Analogie zu dem gerügten Gebahren der Kunsthistoriker ist nicht in dieser Gärtnergeschichte gegeben, sondern läge in einer Botanik, die nur Pflanzengeographie sein wollte. Die Charakteristik der Künstlerpersönlichkeiten, der individuellen Stile und der Zeitstile wird immer eine Aufgabe der Kunstgeschichte bleiben und ein starkes menschliches Interesse erwecken, aber das grössere Thema der »Kunst« hat die historische Wissenschaft in der That fast ganz aus den Händen gegeben und einer von ihr gesonderten Kunstphilosophie überlassen, der sie doch andererseits schon so oft die Existenzberechtigung abgesprochen hat. Das Natürliche wäre, dass jede kunstgeschichtliche Monographie zugleich ein Stück Ästhetik enthielte.

Der Verfasser dieses Buches hat ein solches Ziel vor Augen gehabt. Seine Absicht war, den künstlerischen Inhalt der italienischen Klassik herauszuheben. Im Cinquecento ist die italienische Kunst reif geworden. Wer sie verstehen will, wird gut thun, den Stier bei den Hörnern zu packen, d. h. mit dem vollentwickelten Phänomen sich bekannt zu machen, weil erst hier sich das ganze Wesen ausspricht und erst hier Massstäbe des Urteils gewonnen werden können.

Die Untersuchung beschränkt sich auf die grossen mittelitalienischen Meister. Venedig hat eine analoge Entwicklung, aber es würde die Darstellung verwirrt haben, auf die venezianischen Sonderbedingungen einzugehen.

Es ist selbstverständlich, dass nur Hauptwerke angezogen sind, und auch hier muss man dem Autor noch eine gewisse Freiheit in der Auswahl und in der Behandlung zugute halten, insofern sein Plan nicht auf IX die Schilderung der einzelnen Künstler, sondern auf die Fassung der gemeinsamen Züge, des Gesamtstils, gerichtet war.

Um dieses Ziel sicherer zu erreichen, ist dem ersten, historischen Teil zur Gegenprobe ein zweiter systematischer beigegeben, der nicht nach Persönlichkeiten, sondern nach Begriffen den Stoff ordnet, und in diesem zweiten Teil soll zugleich die Erklärung des Phänomens enthalten sein.

Das Buch will kein akademisches Buch sein, aber etwas Schulmeisterliches mag man ihm wohl anmerken, und der Verfasser bekennt gerne, dass die Erfahrungen im Verkehr mit den jungen Kunstliebhabern der Universität, die Freude des Sehenlehrens und des Sehenlernens in kunstgeschichtlichen Übungen ihn hauptsächlich zu dem verwegenen Entschluss ermutigt haben, über ein so eminent künstlerisches Thema, wie den klassischen Stil, als Nicht-Künstler seine Meinung laut werden zu lassen.

Basel, im Herbst 1898

Heinrich Wölfflin

 

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage

. . . durch eine grössere Fülle im Stofflichen oder durch breitere Darstellung, die wohl da und dort als wünschbar erachtet wurde, wäre wenig für die Hauptabsicht des Verfassers gewonnen worden: die Kunst einer ganzen Zeit einmal allseitig aufzunehmen und zu erklären. Zweifellos sollten die Fragestellungen, um das Phänomen wirklich zu fassen, noch ergänzt und verschärft werden – von dem ganzen Gebiet der Farbe ist von vornherein abgesehen worden –, einstweilen aber müssen wir versuchen, überhaupt einmal Ordnung in die Beobachtungen zu bringen. Die Begriffe »Gesinnung«, »Schönheit«, »Bildform« geben die grossen Richtungen an und ich gestehe, dass man mich kaum empfindlicher hat missverstehen können als durch den Vorschlag, die Trennung der Kapitel »Schönheit« und »Bildform« wieder aufzuheben. Die Kunstgeschichte muss sich einmal auf ihre formalen Probleme besinnen, die nicht damit X erledigt sind, dass ein Schönheitsideal gegen das andere abgegrenzt, d. h. dass Stil von Stil reinlich unterschieden wird, diese formalen Probleme fangen schon viel weiter vorn an: beim Begriff der Darstellung als solcher. Hier ist noch sehr viel zu thun. Über die Entwicklung der Zeichnung, der Licht- und Schattenbehandlung, der Perspektive und Raumdarstellung u. s. w. müssen zusammenhängende Untersuchungen gemacht sein, wenn die Kunstgeschichte nicht nur Illustration der Kulturgeschichte sein will, sondern auf eigenen Füssen stehen soll. Einstweilen sehen alle diese Versuche noch etwas fadenscheinig aus, aber wenn die Zeichen nicht täuschen, so ist der Augenblick da, wo diese wichtigen Ergänzungsarbeiten aufgenommen werden, als Beiträge zu einer allgemeinen »Geschichte des künstlerischen Sehens«.

 

Vorwort zur vierten Auflage

Das Unterscheidende dieser neuen Auflage liegt wesentlich in der reichern Illustrierung, die textlichen Veränderungen beziehen sich nur auf Einzel-Korrekturen. Neigung zu durchgreifenderer Umarbeitung wäre wohl vorhanden gewesen, denn wenn auch der Verfasser seine Ansichten noch vollkommen vertritt, so würde er doch von Darstellung und Begründung jetzt mehr verlangen, allein es stellte sich bald heraus, dass mit Flickwerk hier nichts erreicht wäre. So bildete sich der Plan, dem empfundenen Mangel mit einem besonderen Buche, das ausgeführte Analysen enthalten wird und gewissermassen als zweiter Band gelten kann, nach Kräften abzuhelfen.

Berlin, im Herbst 1907.

H. W.

 


 


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