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Spanische Barocklyrik

Wenn ich mich auf den Seiten dieser Zeitschrift Der Bücherwurm (1936)., die es als ihre vornehmste Absicht betrachtet, den Leser mit schönem Schrifttum bekannt zu machen, mit einem seiner Aufmachung und Anlage nach wissenschaftlichen Werk zu befassen gedenke, das unlängst in den »Sitzungsberichten der Bayrischen Akademie der Wissenschaften« erschienen ist In Kommission bei der C. H. Beck'schen Verlagsbuchhandlung, München, so wäre es von seiten des Lesers nicht unbillig, eine Rechtfertigung darüber zu fordern. Indessen, es handelt sich hier um einen im deutschen Geistesleben seit Jahren und Jahrzehnten verehrlich gewordenen Namen, und Karl Voßler, der Autor des anzuzeigenden Buches, den ich nicht ohne beharrliche Dankbarkeit meinen Lehrer nenne, hat uns seit langem die Gewähr gegeben, daß ein jegliches Thema, um das sich sein Geist bemüht, auch für den fernerstehenden Betrachter nicht dargestellt wird, ohne ihm nicht durch einen allgemeinen Zusammenhang wichtig werden zu können.

Heute von Karl Voßlers Bedeutung für die Sprach- und Literaturwissenschaft zu reden, wäre ein müßiges Unterfangen und hieße einem weit über Deutschlands Grenzen hinausgedrungenen Ruhm einen unerheblichen Beitrag stiften. Wichtiger ist es bei gegenwärtigem Anlaß, auf jene spezifische Haltung zu weisen, die, unbedingt musisch, Voßlers wissenschaftliche Arbeit entscheidend bestimmt, und die auf einen tieferen Sinn für die menschliche Natur und eine größere Einsicht in ihr Wesen schließen läßt, als man sie sonst bei einem Gelehrten erwartet. Solche kann freilich nur aus der prachtvollen Tatsache herrühren, daß wir in Voßler eine bis in die Fingerspitzen hinein durchgeformte Persönlichkeit finden, die in ihrer scharfen Prägung als Vorbedingung und jedesmal neue Ursache seiner wissenschaftlichen Arbeit zu gelten hat. Am auffallendsten tritt dieser Zug bei seinem Verhältnis zur Sprache hervor. Mehr als ein gesetzhaft durchwirktes System von Worten und Formen, wie es eine mechanische Philologie einst wahrhaben wollte, stellt sich die Sprache für Voßler als ein durchaus lebendiges Wesen dar, gewachsen als ein Produkt aus Mensch und Boden. Indem der große Gelehrte für die Veränderungen, die eine Sprache im Laufe der Zeit erlebt, die Entwicklung des menschlichen Geistes, Natur, Geschichte und psychologische Umstände zur Erklärung heranzog, wurde er – es war in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts – zum Begründer der idealistischen Sprachwissenschaft.

In allen Schriften Karl Voßlers macht sich jene unmittelbare Berührung mit Leben und Welt, jene durchaus nach dem Menschen fragende Betrachtung des wissenschaftlichen Gegenstandes, wie sie die Art eines Weltmannes ist, bemerkbar. Die Themen seiner Arbeiten sind ihm jeweils persönlichste Anliegen, und es wäre daher ein leichtes, an Hand seiner Werke, die ein Muster an Sachlichkeit sind, die innere Biographie seines differenzierten Wesens nachzuschreiben. Die erste Bekanntschaft mit einem Stoff ist für ihn stets ein subjektives Erlebnis, und seine Verobjektivierung in einer wissenschaftlichen Arbeit ist, menschlich betrachtet, nicht anders als ein persönlicher Dankesabtrag zu nehmen.

Spanien war das letzte große Erlebnis des heute fünfundsechzigjährigen Gelehrten. Nachdem einst die italienische Dichtung das Interesse des jungen, in Rom verweilenden Germanisten in den romanischen Kulturkreis gezogen hatte, nachdem die Lebensmitte vorwiegend dem Studium der französischen Literaturdenkmäler gewidmet war, spricht nun Karl Voßler, wenn man ihn fragt, mit der Erfahrung und Weisheit des Alters der spanischen Dichtung die überragende Größe und Wichtigkeit zu. Sein Buch über »Lope de Vega und sein Zeitalter«, das die C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München, vor kurzem in einer an den gebildeten Teil des Volkes schlechthin sich wendenden Ausgabe herausgebracht hat, ist das erste zusammenfassende Ergebnis seiner Beschäftigung mit dem geistigen Spanien: – ein Werk, das einst im deutschen Bildungsbereich eine Bedeutung einnehmen wird wie Justis Velasquez oder Jacob Burckhardts Kultur der Renaissance, – das andere, auf das ich hier eingehen möchte, behandelt die »Poesie der Einsamkeit in Spanien« und hat wie das Buch über Lope, dessen kulturgeschichtliche Abschnitte hier ohnehin als Hintergrund zu ergänzen sind, in erster Linie Erscheinungen aus der Zeit des spanischen Barock zum Gegenstand seiner Betrachtung. Das spanische Wort für Einsamkeit: soledad, ist bei der Umschreibung des spanischen Menschen, dessen Typ zwar schon im Mittelalter im Kampf gegen die Mauren seine Ausbildung erhielt, doch erst in neuerer Zeit, in der Epoche der spanischen Weltherrschaft zu einem Selbstbewußtsein gelangte, wohl ebenso vielsagend und charakteristisch wie jenes andere zu einem Begriff gewordene Wort, mit dem die spanische Würde umschrieben wird: sosiego. In seiner eigentlichen Erscheinung hat sich das besondere spanische Einsamkeitsgefühl wohl erst im 17. Jahrhundert herausgestellt. Es hing aufs engste mit dem geistesgeschichtlichen Umstand zusammen, daß der spanische Mensch auf der Höhe seiner irdischen Macht einen erschreckenden Überblick über die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge gewann. Extreme trafen von jeher in seiner Natur aufeinander; es ist nicht zufällig, daß das spanische Genie in der antithetischen Form des Barock seine ihm adäquateste Erscheinung fand. Doch bereits erstehen in jener Zeit neben Menschen von kampfbereitester Glaubenskraft und tiefster religiöser Innerlichkeit und – dem Gesetz des Gegensatzes weiter entsprechend – neben Menschen von überschäumender Vitalität Geister wie der Dichter Quevedo, in denen eine künftige Seelenhaltung ahnend vorweggenommen wird. Von ermattetem Willen, weder eigentlich gläubig, noch eigentlich ungläubig, sondern kurzerhand glaubensgelähmt, verzehrt sich bei ihnen die Seele in Spleen und einsamem Weltschmerz. Das Gefühl von Einsamkeit erreicht hier eine annähernde Absolutheit. Es handelt sich nicht mehr darum, daß sich ein Weiser nach der Einsicht in die Unzulänglichkeit alles menschlichen Tuns und Treibens in eine horazische Ländlichkeit flüchtet, um procul negotiis beschaulich sein Dasein zu leben, – es ist dies auch nicht mehr die Weltflucht des Einsiedlers, der auf den Umgang mit Menschen verzichtet, um ungestörter mit Gott verkehren zu können; vielmehr tritt diese Einsamkeit in der Seele des Einzelnen ein als ein Zustand wider Willen und herrscht und dauert dort an, unabhängig davon, ob der Mensch in geselligem Leben steht oder sich abschließt und eine äußere Einsamkeit sucht, die mit dieser inneren übereinstimmt. Quevedo und Gongora gehören zu den bedeutendsten Vorläufern des modernen Subjektivismus, als dessen erste Erscheinung vielleicht Petrarca in Anspruch zu nehmen ist. Sie leiteten eine Lyrik ein, deren Charakter sich seitdem in einem Maße durchgesetzt hat, daß man heute den Begriff des Einsamen mit dem Begriff des Lyrikers fast unumgänglich zusammenbringt. Die Sprache selbst legt getreu von diesem inneren Zustande Zeugnis ab: Sie wird dunkel und unverständlich, der Einsame weigert sich, in gemeinverbindlichen Worten zu sprechen. »Er verpanzert sich in eine kultische Stilsprache, die nach außen ebenso dunkel und schroff wie nach innen lichtvoll und schmelzend sein soll. Nach außen soll die Verbindung mit der Allgemeinheit und Gegenwart des menschlichen Umgangs unterbunden und mindestens erschwert werden, während nach innen ein geistig vermittelter Verkehr sich herstellen soll, eine Gemeinschaft des phantastischen und poetischen Einverständnisses mit den Sagen, Mythen, Dichtungen und Idealen der Vorzeit, der Antike, der Poeten, Götter, Helden und Halbgötter der Urzeit, des goldenen Zeitalters, der echten, urständigen und ungebrochenen Kinder der Natur.« So Voßler. Noch war es zu früh, als daß die Zeitgenossen Gongoras dies neue Seelenbefinden begriffen hätten. Die »Soledades«, die 1613 erschienen und unter den literaturfreudigen Spaniern gewaltiges Aufsehen erregten, riefen zwar zahlreiche Nachahmer hervor; ihr Einfluß aber beschränkte sich auf die Herausbildung eines geschraubten Stiles, der als Gongorismus eine ausschließlich literarisch-formalistische Spielerei war, der das Wesen, aus der Gongoras Dichtung entstand, verschlossen blieb und die daher kein lebendig bleibendes Werk hervorzubringen vermochte. Erst Jahrhunderte später erwuchsen auf einem nun tatsächlich ähnlich beschaffenen Seelenboden Gebilde, die mit den »Einsamkeiten« Gongoras in einer echten Verwandtschaft standen: ich meine Gedichte wie die Mallarmés, wo trotz des Unterschiedes, der unverwischbar in der Ursprünglichkeit der beiden künstlerischen Naturen angelegt ist, die Gleichheit der seelischen Haltung oft bis ins Einzelne nachgewiesen werden kann. Sowohl bei Gongora wie bei Mallarmé vereinsamt die Seele bis zu einem Gefühl der Ausgeschlossenheit von der Natur. An die Stelle der Wirklichkeit tritt ein bukolisch verschobenes Bild, das nun freilich mit den Vorstellungselementen der üblichen Schäferdichtung nichts mehr zu tun hat, sondern als eine wahrhaft erlebte Anschauung eines in sich gekehrten, vereinsamten Geistes zu einer eigenen dichterischen Wirklichkeit gelangt.

Aus dem Don Quijote erfahren wir, wie sehr das Einsamkeitsbedürfnis bei den Menschen jener Epoche im Schwange war. Angeregt von dem jungen Cardenio, der seinen Liebeskummer in die Wildnis flüchtete, konnte es der Ritter aus der Mancha nicht unterlassen, sich in dieser Pose gleichfalls zu versuchen. Wenn man von den zahlreichen Reimschmieden absieht, die aus ähnlichen Gründen ihre Gedichte mit Einsamkeitsgefühlen auszustaffieren beliebten und damit nur eine allgemeine europäische Mode in ihrer spanischen Spielart zeigten, – wenn man auch jenen Dichtern die schuldige Abrechnung zollt, die, wie Juan Boscán und Garcilosa de la Vega in humanistischer Begeisterung das ethisch und ästhetisch gefärbte Einsamkeitsgefühl des Horaz und der römischen Elegiker noch einmal wahrhaft nacherlebten –: die köstlichste Frucht dieser spanischen, von christlichen Gedanken durchtränkten Renaissancedichtung ist die von einem Unbekannten verfaßte »Epistel an Fabio«, in der ein Freund den anderen mahnt, sich auf sich selbst zurückzuziehen, anstatt, seiner Absicht nach, um Amt und Ehre bei Hofe zu buhlen – so bleibt noch als ein wichtigster Bestand der spanischen Einsamkeitspoesie die religiöse und mystische Lyrik. In ihr entwickelt sich die Einsamkeit als eine Lebensform, die der Einzelne wählt, um die für ihn unmittelbarste Beziehung zu Gott zu gewinnen. Dem Subjektivismus des Mystikers entsprechend ist sie ein Zustand des Innern, der – hierin ähnlich wie bei den Dichtern des Weltschmerzes – in jeder Lebenslage andauert und auch im buntesten Weltgetriebe nicht aufhört. »Im Vergessen aller geschaffenen Wesen, in der völligen Entblößung von allen Erregungen, Wünschen und Sorgen, im Abtun des eigenen Willens besteht die innerliche Einsamkeit, die wahre, wo die Seele liebend, traulich und heiter in den Armen des Allerhöchsten ruht.« So drückt es Miguel de Molinos in seinem Buche von der »Geistlichen Führung« aus. Molinos, der Begründer des Quietismus, der zu Ende des 17. Jahrhunderts besonders in Frankreich großen Einfluß erhielt, war eine künstlerische Natur, die ihre Gedanken weniger für Theologen und Geistliche als in Hinsicht auf Laien und Weltleute äußerte. Und tatsächlich finden wir unter den Dichtern der mystischen Einsamkeit, deren größter, der heilige Johannes vom Kreuz, durch mehrere Übersetzungen in Deutschland kein Unbekannter mehr ist, neben Mönchen und Einsiedlern auch Weltleute wie den Feldhauptmann Francisco de Aldana, der sich wacker auf flandrischen Schlachtfeldern schlug, am portugalesischen Hof als Ratgeber jenes tragischen Königs Sebastian eine wichtige Rolle spielte und schließlich bei dessen Feldzug nach Marokko in der Schlacht bei El-Ksar-el-Kebir den Tod fand.

Das Schicksal wollte es, daß für Aldana das auch nach außen hin einsame Leben ein niemals erfüllter Wunsch blieb. Doch andere dieser Mystiker, zumal wenn sie dem geistlichen Stande angehörten, suchten ihr Seelenleben mit einer äußeren Daseinsform in Übereinstimmung zu bringen. Sie zogen in die freie Natur und gaben sich als Eremiten an zuweilen idyllischen Orten ihren Betrachtungen und Anschauungen hin. Agostinho da Cruz war ein solch poetischer Einsiedel. In seinen Versen suchen die Regungen einer unruhigen und bereits im modernen Sinne überempfindlichen, gottsucherischen Seele ihren Ausdruck. Auch hier in der Mystik offenbart sich die Polarität des spanischen Wesens. Während bei Molinos die Seele in eine geradezu östliche Passivität versinkt, ist sie bei Agostinho, vor allem aber bei Johannes vom Kreuz in einer ständigen, niemals in Gott ruhenden, sondern ihn dauernd umkreisenden Bewegung begriffen. Daher die ungeheure Dynamik, die in den Seelenwirbel dieser Gedichte alle Elemente der sichtbaren Wirklichkeit hineinschlingt.

Voßler erhellt, wie die Wahrung der Glaubenseinheit in Spanien nicht so sehr den rigorosen Maßnahmen der Inquisition als vielmehr dieser mystischen Strömung zu danken ist, die innerhalb der Kirche dem Einzelnen die Möglichkeit gab, jenes persönliche und unmittelbare Verhältnis zu Gott zu gewinnen, das der germanische Mensch nur mit dem von einem Novalis beklagten Verlust der sichtbaren Kirche erkaufen konnte. Freilich blieb der Subjektivismus dieser Mystik auch in Spanien nicht unangefochten. Viele dieser »Alumbrados« (dieser »Erleuchteten«) wurden als Ketzer verurteilt, das Werk des Molinos, das zu den großen Bekenntnisbüchern der menschlichen Seele gehört, kam auf den Index. Selbst die große Theresia und ein Dichter wie Luis de León hatten sich gegen schärfste Anschuldigungen zu verteidigen. »Alles irgendwie Mystische, wenn es in der Sprache des Volkes geschrieben war, galt als verdächtig.« Aus diesem Grunde und auch, weil es diesen Dichtern mit ihrer Einsamkeit Ernst war und sie auf jede Mitteilung verzichteten, hielten die meisten mit ihren Werken zurück. Wie viele Handschriften mögen verlorengegangen sein! Ein großer Teil fand sich erst Jahrhunderte später da und dort in Bibliotheken zerstreut; die Werke wurden von Fachleuten an abgelegenen und wiederum nur für Fachleute bestimmten Stellen veröffentlicht; für den Laien blieben sie unbekanntes Gebiet. In Anbetracht solcher Umstände wird eine umsichtige Darstellung dieser Kunst, wie sie Karl Voßler uns bietet, in besonderem Maße zu schätzen sein, – und dies um so mehr, als viele der angeführten Gedichte in einer hervorragenden Verdeutschung den Text unterbrechen.

Proben:

Gottheit

Johannes vom Kreuz:

Mein Lieb: der Berge Kranz
Und aller Täler stiller Schattenhang,
Der Inseln ferner Glanz,
Der Ströme Rauschegang
Und sanfter Lüfte heller Schmeichelsang,

Du bist mir Nacht und Friede
Und Morgenröte auch im bunten Kleid,
Musik zum stummen Liede
Und Klang der Einsamkeit,
Bist Abendmahl voll Kraft und Gastlichkeit.

Die gottsuchende Seele

Francisco de Aldana:

Die Seele, sag ich, muß gelassen sein,
Und Gott erwarten wie ein müdes Auge,
Das wonnevoll in Schläfrigkeit erblindet;
Denn wer sich abarbeitet, einzuschlafen,
Dem fädelt sich vor Aufregung der Schlaf,
Der gerne ungebeten kommt, nicht ein.


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