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Über das Lyrische

Anlässlich der »Tierkreisgedichte« von Elisabeth Langgässer

Paul Valéry, dessen Dichtungen durch Rilkes Übersetzung zu einem noch nicht genügend beachteten deutschen Besitz geworden sind, bestätigte in einem neulich erschienenen Aufsatz »Questions de Poésie« meine seit langem gehegte, durch die Betrachtung der größten deutschen Gedichte gewonnene Meinung, daß das eigentlich Lyrische das ist, was sich, seinem Wesen nach, in Prosa nicht ausdrücken läßt.

Reim, Versmaß, Anordnung oder gar das Gegenständliche: ein löblicher Gedanke oder eine schöne Stimmung sind für das Wesen eines Gedichtes und demnach für seine Beurteilung belanglos. Es ist geradezu ein Kriterium dafür, daß wir keine Lyrik vor uns haben, sondern Dilettantenmache oder Reimwerk, gereimte Prosa oder künstliche Spielerei, wenn sich ein Gedicht säuberlich zerlegen läßt in einen genau auf Prosa abziehbaren Inhalt und in formales Beiwerk, das diesen Inhalt poetisch hebt. Das eigentlich Lyrische ist jener Rest, der bei jeder Analyse eines wirklichen Gedichtes zurückbleibt als unerklärbar, unfaßbar, ist das, was wir im Werk des späten Hölderlin nackt und unmittelbar anschauen dürfen, aber auch das, was als Zauber in der Lyrik des jungen Goethe wirkt und was sie, bei gleicher Klarheit, Leichtigkeit, Einfachheit, von ihren zahllosen Epigonen unterscheidet.

Ich weiß, es gibt Leute, die vor den letzten Ansprachen Hölderlins taub bleiben, die Gedichte wie »Patmos«, »Andenken«, »Brot und Wein« achselzuckend abtun als unverständlich, als wirr, sich aber an goethescher Lyrik entzücken. Sie beweisen damit nur, wie sehr ihnen der Sinn für das Lyrische an sich abgeht; ich zweifle deshalb auch, ob sie wirklich imstande sind, Gedichten von Goethe gerecht zu werden. Es gibt auch Banausen des Kunstempfindens; sie schätzen an Goethes Lyrik ausschließlich das, was sich an ihr nachahmen läßt, was man als unlyrisch von ihr ablösen könnte, das Stoffliche, möchte ich sagen, im Gegensatz zu jenem Arkanum, das das Lyrische ist und durch das erst ein Gedicht sein Leben gewinnt.

Wenn das Lyrische, wie in den »Tierkreisgedichten« von Elisabeth Langgässer, offen und unmittelbar in Erscheinung tritt, wenn es nicht nur Sinn des Gedichtes, sondern, als Sprachleib, auch Zweck wird, wenn es, schon hart an der Grenze des Unsagbaren, mit dem Aufwand seiner die Ratio übersteigenden Kraft noch etwas sagbar werden läßt, muß es leider gewärtig sein, daß man es immer wieder, mit einem Ton von Vorwurf, als esoterisch bezeichnet. Aber wo hört das allgemein Faßliche auf, und wo fängt das nur für einen bestimmten Kreis von Eingeweihten Zugängliche an? Meistens bedeutet Esoterik für den, der das Wort ausspricht, nur die Grenze seines persönlichen Einsichtsvermögens.

Zweifelsohne hat Elisabeth Langgässer, die in reichem Maße über die Gabe des Lyrischen verfügt, wie sie als Naturanlage Vorbedingung des Dichters ist, auch etwas wahrhaft Erlittenes und Erworbenes zu sagen. Ihr geistiges Bewußtsein reicht über die gegensätzlichen Bereiche des Antiken und des Nordisch-Germanischen, die sich in ihren Gesängen, »einigend Rune und Rebe«, durchdringen, hinauf bis zu dem sagenhaften Ursprung des Menschen, und weiter, bis zu dem sagenhaften Ursprung des Mysteriums vom Leben überhaupt. Es ist ein tragisches Leben, eine tragische Welt, bei deren Betrachtung sich das schöpferische Wort der Dichterin entzündet; ein Sein, das, mit der vergeblichen Sehnsucht nach Dauer, in seinen Erscheinungen wehrlos der vernichtenden Zeit ausgesetzt ist. Am Eingang des Buches steht das Pauluswort: »denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung seufzt und in den Wehen liegt bis jetzt«. Dies Jetzt bedeutet aber in Elisabeth Langgässers Anwendung ein jeweiliges Jetzt, ist als ein Immer zu verstehen. Die Schöpfung, wie sie die »Tierkreisgedichte« fühlen, kennt keine Erlösung, fällt rettungslos unter die Vergänglichkeit. Trost spendet einzig das Unaufhörliche des absterbenden und sich wieder erneuernden Lebens, das die Dichterin, naturversunken, dem Unterirdischen hingegeben, im Ablauf eines Jahres unter den zwölf Tieren des Sternhimmels darstellt. Dies der Inhalt des Buches, der sich aus den Gedichten noch ablösen läßt als Bericht. Zurück bleibt aber die Hauptsache, die Art, wie dieses Geschaute von seinem Ursprung an lyrisch erfühlt ist und Gestalt annahm in einer mit leidenschaftlicher Sinnlichkeit gebrauchten Sprache, die jene Erregung, hervorgerufen im Geiste durch die auf das Irdische angewandte intuitive Schau der Dichterin: jenen spezifisch lyrischen Zustand des Geistes fast ungeschwächt und unvermindert aufzunehmen vermag. Denn das Maß der Stärke allein, mit dem dieser Zustand auftritt, läßt die Qualität eines Gedichtes noch unberührt. Er ist nur Vorbedingung. Der Wert eines Gedichtes richtet sich danach, wie weit es dem Dichter gelingt, diesen durch irgend etwas erregten lyrischen Zustand seines Geistes in der Sprache mitteilbar zu machen, das heißt, das an und für sich Unausdrückbare, das Unbestimmte, nur Erfühlte auszudrücken durch Worte, die als solche in ihrer Bedeutung festgelegt sind. Der Dichter, der ja keine neuen Worte erfinden kann, vermag die beabsichtigte Wirkung nur durch Wahl und Zusammenstellung hervorzubringen, wodurch es freilich möglich wird, daß ein Wort mit einemmal wie neu erschaffen scheint oder eine bisher unerhörte Bedeutungssphäre erlangt.

Glücklicherweise ist das Deutsche keine akademisch festgelegte Sprache. Seine Möglichkeiten sind deshalb zahllos. Indem Elisabeth Langgässer sie entdeckt, sie erweitert, indem sie abgetriebenes deutsches Sprachgut wieder in den Fluß der gewohnten Sprache zurückführt, der Neigung des Deutschen zu sinnträchtigen kühnen Komposita nachgibt, gewinnt ihr lyrisches Gefühl zuweilen erstaunliche Gestalt. Ich wähle, um zu einer Lektüre des ganzen Buches zu verlocken, als Proben einige Strophen, die typisch sind für Gefühl und Ausdruck dieser begabten Dichterin, dabei aber »leicht verständlich« genug, als daß ihnen jeder Leser vorbehaltlos begegnen muß. Aus dem Saturn-Gedicht:

Saturn, der Bauer mit den starken Hüften
aus Gold und Kot, aus Fleisch und wilden Haaren,
gedörrt, gerillt, gebeizt von allen Lüften,
die in den zwölf Kalendersäcken waren –
der Bauerngott,
o Trauern, Spott und große Jammerschelle,
sitzt auf des Jahres Schwelle.

Aus dem Uranus-Gedicht:

Jede endende Gebärde
öffnet sich im Namenlosen,
und ein Säulensturz zur Erde
wiegt im Jenseits der Beschwerde
wie Zerfall von Heckenrosen.

Aus dem letzten Gedicht (»Ausgang«):

Glaubst du, es werde am Rocken
der Norne das Liebesgarn schütter,
oder im Horne
Demeters bitter
einmal das Fließende stocken?

Aus dem Jupiter-Gedicht, dem es gelingt, die Metamorphosen des Gottes in einer mythisch singenden, selten bruchlosen Wortgestalt zu beschwören, deren Einfachheit schon bewunderungswürdige Größe ist:

Einmal als bläuliche Flamme
schlug er durch Semeles Schoß –
still auf zerrissenem Kamme
trank sich an zottiger Amme
später das Rebenkind groß.


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